Ganzer Artikel, Berner Zeitung, 16.06.12

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Ganzer Artikel, Berner Zeitung, 16.06.12
Datum: 16.06.2012
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k:jVatj!
Medienart: Print
Medientyp: Tages- und Wochenpresse
Auflage: 57'212
Erscheinungsweise: 6x wöchentlich
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Berner Zeitung AG
3001 Bern
031/ 330 33 33
www.bernerzeitung.ch
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Ausgabe Stadt+Region Bern
Themen-Nr.: 375.19
Abo-Nr.: 1074128
Seite: 34
Fläche: 143'035 mm²
INTERCITY-ZÜGE Der Zugkonstrukteur Bombardier baut die
59 Doppelstockzüge der SBB für die Intercity-Strecken mit Berner
Ingenieurwissen. Das seit Jahrzehnten an der Bieler Fachhochschule Technik und Informatik entwickelte Know-how treibt
die neuen Zugmotoren an die Weltspitze.
Fein gestutzter Vollbart, volles lion Franken hinblättern. Ger- liehst hohe Effizienz bei mögHaar, in den Ohren zwei filigrane manns Beitrag an die Entwick- lichst geringem Gewicht. Je nach
Silberringe: Der Elektroinge- lung des Zugmotors ist seine Länge der Komposition sechs bis
nieur Markus Germann (28) gin- Masterarbeit an der Berner Fach- zwölf dieser ausgeklügelten, gut
ge auch als Jungtheologe oder hochschule für Technik und In- 540 Kilogramm schweren MotoNachwuchsphilosoph
durch. formatik in Biel über das Fein- ren werden die 59 doppelstöckigen Twindexx-Swissexpress-ZüDoch er widmet seine hoch spe- tuning.
ge auf den Intercity-Strecken anzialisierte Denkkapazität brachialen Studienobjekten. Ger- Markus Germanns Programm treiben. Die Motoren befinden
mann steht im Labor des Kom- «Für die Auslegung der Magnet- sich nicht in einer Lokomotive,
petenzzentrums für Hochleis- felder innerhalb des Motors habe sondern werden je im Doppeltungsantriebe des kanadischen ich ein Berechnungsprogramm pack an die DrehgestellantriebsVerkehrstechnikkonzerns Bom- geschrieben», meint der diplo- achsen der Triebwagen gekopbardier in Zürich- Oerlikon. Ne- mierte Elektroingenieur. Er kann pelt. Ersichtlich ist diese Aufrüsben ihm ruht ein unscheinbarer zufrieden sein. Der Bolide hat das tung für den Fahrgast einzig an
Metallkasten, in dem Germanns Labor zwar noch nie verlassen, markanten Kühlungsgittern bei
in Biel und Schweden ausgebrü- aber seinen Belastungstest schon den Wagenübergängen. Voraustete Ideen stecken. Der Metall- mehrfach bravourös bestanden. sichtlich werden die ersten Züge
kasten ist ein 700-Kilowatt-Elek- Ein Simulator testete den An- mit der neuen Antriebstechnik
tromotor, ein Kraftwerk, das um- trieb auf Herz und Nieren, indem wegen juristisch und technisch
gerechnet rund 1000 Pferdestär- er ihn virtuell die anspruchsvolle bedingter Verzögerungen erst
ken entwickeln kann. Wer sich Zugstrecke Romanshorn-Brig 2015 in Verkehr gesetzt.
auf der Strasse mit solcher Kraft fahren liess.
nach vorne katapultieren will, Trotz des 1000 -PS -Leistungs- Schneller und sparsamer
muss in einen Bugatti Veyron pakets: Ziel der Motorenentwick- Im Vergleich zu Verbrennungssteigen und zuvor über eine Mil- ler ist nicht die rohe Kraft. Son- motoren sind Elektromotoren efdern Sparsamkeit, konkret: mög- fizienter. Der Antrieb erfolgt di-
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rekt, ohne hin- und herschieben- weitergereicht wurde, hat er eine Spirit of Biel/Bienne am World
de Kolben und Gestänge, ohne Software entwickelt, mit der man Solar Challenge in Australien die
Kurbelwelle, ohne Getriebe. errechnet, in welcher Grösse und
Doch das ist die halbe Wahrheit. Anordnung die Magnete im VerDie Energie für Elektromotoren hältnis zu den Stromwicklungen
stammt nämlich aus Strom, der sein sollen. Heute berechnet Germit grossem Aufwand hergestellt mann bei Bombardier die Stromund transportiert wird, während umwandler, die die Twindexxder Verbrennungsmotor die fos- Motoren ansteuern werden.
sile Energie direkt umwandelt. Germanns Arbeit ist ein wichtiUmso wichtiger ist es deshalb, ges Puzzleteil für die Motortechdas Maximum aus dem Elektro- nologie der künftigen Intercityaggregat herauszuholen. Das ist Züge. Aber sie ist kein Exploit,
Markus Germanns Mission.
der aus heiterem Himmel kam,
An der Wandtafel erläutert der sondern baut auf IngenieurIngenieur nun, wie der von ihm Know-how, das in Biel mit Ehr-
getunte Permanent-Elektroma- geiz und Ausdauer entwickelt
gnet- Synchronmotor läuft. Was wurde.
in der Mitte um die eigene Achse
dreht, ist der Rotor, was man von Andrea Vezzinis Innovation
aussen sieht, ist der Stator, der Seine Sporen als Forscher abver-
den Rotor umschliesst. «Der dient hat Germann bei Andrea
Strom», so Germann, «erzeugt im Vezzini, Professor an der AbteiStator ein Magnetfeld, nach dem lung Technik und Informatik der
sich der Rotor ausrichten will.» Fachhochschule Biel. Vezzini
Hebt man die Frequenz des schickt einen festen Blick durch
Stroms an, so wird der Rotor beschleunigt, die Achse dreht sich
schneller.
«Wir erzielen so hohe magnetische Spannungen, die es uns er-
die dünnrandige Stahlbrille, die
Entschlossenheit signalisiert. Er
begrüsst seinen ehemaligen Diplomanden herzlich, dann fährt
der 46-jährige Professor den
lauben, einen sehr kompakten Computer nochmals hoch.
Ein konzentrischer Kreis, den
Motor mit grossem Drehmoment
zu bauen.» Will heissen: Die neu- Querschnitt eines Elektromotors
en Züge können dank kräftigem darstellend, erscheint. Darin
Antrieb an der Achse schneller leuchtet in Feldern die Farbskala
beschleunigen. Und gegenüber von Blau bis Tiefrot, je nach Stärfrüheren Modellen erlaubt die ke des Magnetflusses, den Vezzi-
Konstruktion höhere Drehzah- ni mit seinem selbst entwickellen, also mehr Tempo. Wichtig sei ten Simulationsprogramm vervor allem: Der Zug bewegt sich ändern kann. Ohne solch komComputerprogramme
ökonomischer. Er fährt sparsam, plexe
hält sein Tempo mit relativ gerin- könnte man Permanentmagnetmotoren gar nicht konzipieren.
gem Energieaufwand.
Für diese Effizienz steigerung Solche Tools hat Vezzini in Biel
Elektroingenieur Markus Germann am 1000-PS-Elektromotor der Zukunft
im Bombardier-Labor in Oerlikon.
Flurin Bertschingere-Press
hat Germann ein Jahr lang im eingeführt und damit sogar seischwedischen Västeräs gearbei- nen Vorgänger Rene Jeanneret
tet. Im Hauptsitz der Asea, die verblüfft: «Vezzini hat mir In-
später mit Brown Boveri zu ABB strumente gezeigt, die ich nicht
fusionierte und von wo alsbald kannte.» Nicht kennen konnte,
die Bahnsparte an Adtranz und weil in den 90er-Jahren, als
2001 schliesslich an Bombardier Jeannerets schnelles Solarmobil
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bauer interessiert.»
Andrea Vezzini, Hochschule Biel
ersten Siege einfuhr, die kommerziellen Computer die Rechenleistung für solche Program-
me gar nicht besassen. Andere
Motorenentwickler sind heute
erst daran, ihre Programme auf
ein Niveau zu bringen, das Vezzini schon lange hat.
Vom Hybridwagen zum Zug
Mit Zügen allerdings hatte Vezzini lange nicht viel am Hut. Das
Poster über seinem Computerbildschirm zeigt keinen Zugmotor, sondern die Spirit of Biel in
voller Fahrt, daneben sieht man
den Hybridrennwagen Porsche
.
«Ich habe Züge eigentlich immer als
langweilig empfunden. Bis ich entdeckte, dass das Motordesign auch Zug-
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Virus für Elektroflitzer holte er dier-Konzern mit Bieler Technosich, als er 1988 für die Tour de logie die Lorbeeren holt? «Ich
Sol einen computergestützten empfinde Bombardier eigentlich
Batterieprüfstand erstellte. Jah- als Schweizer Unternehmen»,
relang, auch als Visiting Profes- sagt er. Stephane Wettstein, Gesor bei GM in den USA, befasste schäftsführer von Bombardier
er sich fast ausschliesslich mit Transportation Schweiz in OerliHybridautos. Erst 2006 fand er, kon, hält das Berner Ingenieurdass das Motordesign der Bieler wissen, das die Züge des WeltSchule auch den Zugbauer Bom- konzerns antreibt, für eine Fortsetzung der Geschichte: «Keine
bardier interessieren müsste.
Bombardier liess die besten 200 Meter entfernt von hier hat
Permanentmotortechnologien 1876 in der Maschinenfabrik
gegeneinander antreten und Oerlikon die Elektrifizierung der
schickte seine eigenen Teams aus Bahnen in der Schweiz angeWien und Schweden ins Rennen. fangen. Wir hoffen, dass unser
Doch die Bieler holten den Sieg. Standort in den nächsten 50 bis
Bombardier liess nach Vezzinis 100 Jahren immer noch hier sein
Plänen einen Prototyp herstel- wird.» In fast jedem Bombardierlen, der auch in der Praxis mit ei- Fahrzeug stecke ein Stück
ner spektakulären Rekordfahrt Schweizer Know-how - meist in
überzeugte. Mit zwei Motoren der Antriebstechnik. Etwa in den
gleichen Typs anstelle von vier 500 chinesischen Loks, die Bomherkömmlichen Motoren ausge- bardier in den letzten vier Jahren
rüstet, brach Bombardiers Trieb- ausrüstete.
Wettstein verweist auf den
wagenzug Gröna Täget am
14. September 2008 in Südschwe- technischen Fortschritt, den die
den mit 303 Stundenkilometern Schweizer Bahntechnik nach wie
den bisherigen nordischen Ge- vor vollbringe. Etwa die weltweit
«Der stärkste Doppellok, die 10,8
schwindigkeitsrekord.
Twindexx-Motor», so Vezzini, Megawatt Leistung erbringt.
«ist sozusagen der Urenkel unse- Oder auf die neusten Fahrassisres Prototyps, der in Schweden tenzsysteme, die 14 Prozent
Strom sparen helfen. In der
den Rekord aufstellte.»
Was genau gibt den Ausschlag Schweiz beschäftigt Bombardier
für die Überlegenheit der Bieler über 900 Personen. Die Kosten
Technologie? «Es liegt an der An- der Twindexx-Züge belaufen sich
ordnung der Magnete im Rotor», voraussichtlich auf 1,9 Milliarden
sagt Entwickler Vezzini. Mehr Franken. Rund die Hälfte dieser
911 GT3 R. «Ich habe Züge eigent- will er dazu nicht sagen.
lich immer als langweilig empfunden», meint Vezzini. Sein In- Ausgangspunkt Oerlikon
teresse und seine Doktorarbeit Schmerzt es den Berner Vezzini,
galt den Hybridfahrzeugen. Den dass sich der 65400 Mitarbeitende zählende kanadische Bombar-
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Wertschöpfung wird gemäss
Wettstein in der Schweiz anfallen. Auch dank Bieler Ingenieurwissen.
Christian Bernhart
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