Prof. em. Peter Stotz

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Prof. em. Peter Stotz
Certamen translatorium 2012, Wil
Zur Charakterisierung des Wettbewerbtextes
An der Schule des Klosters St. Gallen waren im 17. und 18. Jahrhundert – wie
manchenorts noch heute – schulische Theateraufführungen gang und gäbe. In St.
Gallen war die Zeit von Athanas Gugger (Mitte des 17. Jahrhunderts) in dieser
Hinsicht ein Höhepunkt. Ein Stück von ihm, der ‘Edmundus puer’, über einen
hagiographischen Stoff des 13. Jahrhunderts, war Gegenstand eines Vortrages
an einer Tagung im letztjährigen Lateinischen Kulturmonat.
Wenn heuer diese schöne Veranstaltungsreihe dem Thema „Homo ludens“
gewidmet ist, so verstand es sich nahezu von selber, dass auch für das Certamen
translatorium ein Text von solchem Charakter gewählt wurde: ein Spiel eben,
ein Bühnenspiel. Und diesmal geht es nicht um ein erbauliches oder
belehrendes, sondern um ein unterhaltendes Stück, geschrieben für die Fastnacht
des Jahres 1763 von Pater Marcellus Weber, damals fünfundzwanzigjährig. Ein
halbes Jahr zuvor war er zum Lehrer der Rhetorik ernannt worden: eines Faches,
das an den geistlichen Stiftsschulen eine große Rolle spielte. Wahrscheinlich
war es das erste Mal, dass dem Junglehrer die Gelegenheit geboten wurde, ein
Stück des leichten Genres zur Aufführung zu bringen. Sein Titel lautet
Trialogus – das ist eigentlich ein Unwort, beruhend auf der (anscheinend nicht
auszurottenden) falschen Etymologie und Erklärung des Wortes dialogus als
Gespräch von notwendigerweise nur zwei Personen. Dieser Dialog wird also
von drei Sprechern bestritten – warum denn nicht? Ob man dabei von
eigentlichem „Theater“ reden will oder nicht, ist Ansichtssache. Im Grunde ist
das eher die Rezitation eines Streitgedichtes mit verteilten Rollen: eines
Wettstreites zwischen Wein, Wasser und Most, also vergorenem Apfelsaft.
Jedes dieser Getränke hat einen Advokaten mit sprechendem Namen. Bei
Wasser und Wein ist je ein Gott der namengebende Patron: Neptun für den
Neptunulus, Bacchus für Bacchulus, nur der Musteolus ist nicht in diese GötterPerspektive gestellt – er benimmt sich denn auch vulgärer als die beiden andern:
er ist der Depp, er ist der Narr.
Ob Pater Marcellus von solchen Streitgedichten – lateinischen oder
volkssprachlichen – eine nähere Vorstellung hatte, weiß ich nicht zu sagen.
Jedenfalls gibt es einen ‘Dialogus inter aquam et vinum’ bereits aus dem
Hochmittelalter. Der gleichen Zeit, dem 12. Jahrhundert, entstammt eine
‘Altercatio vini et cerevisiae’, also ein Streit zwischen Wein und Bier. Der Most
allerdings scheint in dieser Literatur kaum Spuren hinterlassen zu haben. Wasser
und Wein dagegen werden einander – seit der Antike – immer wieder
gegenübergestellt. Der Wein gilt in der Regel als höherwertig, so ist denn auch
die Verwandlung von Wasser in Wein ein großes Thema, für die Verwandlung
von Wein in Wasser hat sich keiner interessiert.
Das Stück ist geprägt von Rhetorik, nicht von Dramatik. Es wird deklamiert, an
Handlung ist nicht viel da. Das vorherrschende Versmaß ist der epische
Hexameter, der vom antiken und auch vom mittelalterlichen Theater weitab
liegt. Die Verse sind im Ganzen recht gut gebaut und wohlgefügt. Dann gibt es
da aber doch gewisse Ausreißer: Zeilen, die keine, zumindest keine ordentlichen
Hexameter sind. Man könnte sich vorstellen, dass damit der Fastnacht Rechnung
getragen wird, wo eben alles Mögliche außer Rand und Band gerät, so auch die
Versmaße. Interessant ist nun aber, dass – wenn unsere beiden Textproben: der
Übungstext und der Wettbewerbstext, uns nicht täuschen – all diese Stotterverse
dem Musteolus, dem, Möstling, unterlaufen. Dass dieser Geselle querbeet Kraut
und Rüben nach sturer Iktenskandiererei betonte, war gewiss als Lachnummer
gedacht, vergleichbar etwa dem „musikalischen Spaß“ (oder
„Dorfmusikantensextett“) von Mozart.
Witzig ist auch der makkaronische Charakter gewisser Verse. Makkaronisch:
das ist eine Dichtmanier, die in Italien zu Ende des 15. Jahrhunderts
aufgekommen war. Etwa so: ´Adveniúnt Wächterí cum spíessibus átque latérnis.
Also: volkssprachliches Wortgut wird mit lateinischen Endungen versehen und
gemäß der lateinischen Syntax verwendet. Auch diese Sprechweise scheint dem
Musteolus vorbehalten zu sein: Non coram dominis pudetis zanckere verbis?,
oder: frigefacit illum et lutter iiszapfios causat. (In unserem Übungstext wird das
gmostavit des Musteolus freilich in der Folge von Neptunulus nachgeäfft.)
Von makkaronischer Dichtung zu unterscheiden ist die geplante
Sprachmischung, entlang der tektonischen Gliederungseinheiten der Verse bzw.
Strophen. Diese Sprachmischung tritt dort auf, wo der Dichter, gegen den
Schluss hin, in kehraushafter Art, die Hexameterdichtung verlässt und zu
rhythmischen Strophen übergeht, die offenbar zum Singen bestimmt waren,
vielleicht sogar als neue Textunterlegung unter eine damals geläufige Melodie:
Vinum est potus optimus / erfrischet Hertz undt Muth. / Si large illud bibimus, /
macht lutter frisches Bluth. Solche lyrische Gedichte finden wir unter den
‘Carmina Burana’, etwa: Ich was ein chint so wolgetan, / virgo dum florebam.
Allbekannt ist diese Sprachmischung aus dem Weihnachtslied: In dulci iubilo /
nun singet und seid froh. Auch in dieser Hinsicht finden wir eine stilistische
Abstufung: Solche kunstvoll gebauten Strophen bringen nur die Vertreter von
Wein und Wasser zustande, Musteolus („der Möstler“) ist rüpelhafter: Er spricht
nur deutsch, und zwar hämmert er seine Parole „Der Most Most Most, der ist der
best“ den andern beiden unaufhörlich ein: nicht weniger als achtmal fällt sie. Er
ist so recht das enfant terrible unter den Dreien, und die andern beiden erkennen
ihm am Schluss einfach deshalb die Siegespalme zu, weil sie völlig entnervt
sind und der Sache, auf welche Weise auch immer, ein rasches Ende bereiten
wollen. Und es entspricht ja wohl der fastnächtlichen Sachlogik, dass der Narr,
der Tölpel obenauf schwingt.
Die beiden Teile unseres Wettbewerbstextes unterscheiden sich übrigens nicht
nur äußerlich, im Versbau und sprachlichen Duktus, voneinander, sondern auch
ihrem Gehalt nach. Der hexametrische Teil ist noch – wie offenbar die ganze
lange Dichtung als solche – ernsthaften Charakters: Erfahrungsregeln werden
vorgebracht, Belehrendes, große Themen der Literatur auch. Ich denke dabei
etwa an die Verse, die Alexander den Großen betreffen: Er war seit der Antike
die Verkörperung des Größtmöglichen an menschlicher Kraft und Energie, er
stand für „die Grenzen der Menschheit“ im goetheschen Sinne. Es ist dann der
Mösterich, der beginnt, diese Höhenflüge zu beenden und die erhabene Sprache
zu verhohnepiepeln mit makkaronischen Eiszapfen und Blutwürsten.
Peter Stotz, 24. September 2012