Rede - VVN/BdA Bamberg
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Rede - VVN/BdA Bamberg
Rede von Birgit Mair am 19. Dezember 2013 auf dem Hugenottenplatz in Erlangen anlässlich einer Veranstaltung im Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke Sehr geehrte Damen und Herren, Shlomo Lewin und Frida Poeschke wurden am Freitag, dem 19. Dezember 1980, heute vor genau 33 Jahren, zwischen 18.40 und 19.00 Uhr in ihrem Bungalow in der Erlanger Ebrardstraße 20, erschossen. Zwei unschuldige Menschen wurden gezielt hingerichtet. Der Erlanger Doppelmord veränderte das Leben der damals ohnehin nur noch wenigen in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden. Viele hatten Angst. In der jüdischen Community herrschte das blanke Entsetzen. Erstmals nach Kriegsende wurde ein Repräsentant der jüdischen Gemeinschaft von einem Neonazi ermordet. Paul Spiegel, der spätere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte zwanzig Jahre später in einem Fernsehinterview, er habe damals – als das neonazistische Tatmotiv bekannt worden war, gedacht, jetzt würde ein Aufschrei durch das Land gehen.1 Doch das gesamtgesellschaftliche Entsetzen blieb aus. Ein Grund hierfür dürfte in der grausamen Diffamierung der Person Shlomo Lewin zu suchen sein, die kurz nach seiner Ermordung einsetzte. Dem Mord folgte ein Rufmord. Liest man die Lokalpresse kurz nach dem Mordanschlag, dann bleibt einem heute die Spucke weg. Bereits drei Tage nach dem heimtückischen Mord wurde unter anderem im Erlanger Tagblatt öffentlich darüber spekuliert, Shlomo Lewin sei ein Agent des israelischen Geheimdienstes gewesen. Oder: Orthodoxe Juden könnten ihn ermordet haben, weil er mit einer Christin zusammenlebte, so stand es schwarz auf weiß in der Zeitung. Auch Palästinenser wurden verdächtigt, den feigen Mord begangen zu haben. Das Erlanger Tagblatt titelte am 22. Dezember 1980: „Viele Fragezeichen im Leben des Shlomo Lewin – Nach dem Tod des jüdischen Verlegers wird über Ungereimtheiten seiner schillernden Vergangenheit gerätselt.“ Sogar über sein Alter gebe es keine Klarheit – so diffamierte das Lokalblatt den Ermordeten. Auch „seine Familie in Israel“ habe „bisher ebenfalls 1 MDR-Filmdokumentation „Nach Hitler – radikale Rechte rüsten auf“, Teil 1, Täter, Minute 8-10 wenig zur Aufhellung beitragen“ können, so das Erlanger Tagblatt drei Tage nach dem Mord. Genau an diesem Tag, dem 22. Dezember 1980 war von der Stadt Erlangen der „internationale Leichenpass“ ausgestellt worden – die Genehmigung der Überführung Lewins Leiche nach Haifa/Israel. Verwaltungsgebühr: 20 DM, Geburtsdatum: 13. Mai 1911, Todesursache: Nicht natürlicher Tod, Alter 69 Jahre, so die Angaben im offiziellen Dokument.2 Völlig zu Recht beklagte ein Angehöriger Shlomo Lewins in seiner Trauerrede „nach dem schrecklichen körperlichen Tod auch seine geistige Ermordung, durch die negative Darstellung seiner Person in der Presse (…) Ein Mensch, der so viele Jahre im Interesse der jüdischen Gemeinschaft stand, verdient er nicht ein gutes Wort?“ – so Ari Frankenthal, ein Cousin Lewins aus Brüssel.3 Nach Recherchen des Journalisten Ulrich Chaussy setzte kurz nach dem Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke eine das Tatopfer Lewin diffamierende Presseberichterstattung ein, u.a. durch einzelne Artikel der Nürnberger Nachrichten (wie oben angeführt), aber auch durch Beiträge überregionaler Medien. Unter Heranziehung dubioser Quellen und aus heutiger Sicht völlig unbelegt seien wüste Spekulationen über eine angebliche Geheimdienst-Karriere Lewins in die Welt gesetzt worden. Laut Chaussy stellte diese Berichterstattung eine massive Diffamierung des Mordopfers dar, das am Wiederaufbau jüdischen Lebens in Bayern führend beteiligt war und in den Jahren vor dem Mord vor der Gefährlichkeit der neonazistischen Szene, auch der Wehrsportaktivitäten der Wehrsportgruppe Hoffmann, gewarnt hatte.4 Der jüdische Holocaust-Überlebende Josef Jakubowicz war eng mit Shlomo Lewin befreundet. Aus den Unterlagen, die mir Herr Jakubowicz, noch vor seinem Ableben zur Verfügung gestellt hat, möchte ich das Leben von Shlomo Lewin kurz skizzieren. 2 Kopie des Leichenpasses von Shlomo Lewin im ISFBB-Archiv 3 Trauerrede zum Tod von Shlomo Lewin des Cousins, Ari Frankenthal, aus Brüssel (ISFBB-Archiv) 4 Rede von Ulrich Chaussy anlässlich der Woche der Brüderlichkeit in Erlangen am 15.3.2011 im Bürgerpalais Stutterheim, Hg. Stadt Erlangen, Bürgermeister- und Presseamt, 2011 Shlomo Lewin wurde am 13. Mai 1911 in Jerusalem geboren. Sein Vater, David Elijahu, war ein bekannter Rabbi. Seine Mutter, Chaja Lewin, war die Tochter eines ebenfalls bekannten Rabbis, Mosche Salman Frankenthal. Im Jahr 1917, im Alter von sechs Jahre alt, kam Shlomo Lewin mit seinen Eltern nach Deutschland. Sein Vater war als Rabbiner, Kantor und Lehrer in die Gemeinde Schildberg bei Posen, berufen worden. Posen war damals noch eine preußische Provinz im Deutschen Kaiserreich und wurde kurz darauf, nach dem Versailler Vertrag polnisch. Als Shlomo sieben Jahre alt war, starb sein Vater. Shlomo war das jüngste von vier Kindern. Nach dem Tod des Vaters zog die Mutter mit den drei Kindern nach Breslau. Dem Halbwaisen gelang es zu studieren: In Breslau und in Köln, wo er sein Studium beendete. Er arbeitete als Lehrer unter anderem im damaligen Saargebiet sowie in Homburg.5 Den nationalsozialistischen Verfolgungen entging Lewin zunächst durch seine Flucht nach Frankreich. Er studierte dort an der Sorbonne. Rechtzeitig vor dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich emigrierte er nach Palästina.6 Bei Ausbruch des Krieges schloss er sich der britischen Armee an und war bis 1948 Mitglied der Hagana.7 Er beteiligte am Unabhängigkeitskrieg 1948/49. Im neu gegründeten Staat Israel arbeitete unter anderem an der ersten großen hebräischen Enzyklopädie mit. 1960 kam er zurück nach Deutschland, wo er den Judaika-Verlag „Ner Tamid“ gründete. Seit 1964 lebte er in Erlangen. Seit 1964 war er mit Frida Poeschke liiert, die seit fünf Jahren Witwe war. Shlomo Lewin beherrschte fünf Sprachen. In Franken engagierte er sich sehr für die christlich-jüdische Verständigung. So war er bis 1979 Erster Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und damit der Amtsvorgänger des kürzlich verstorbenen Arno Hamburger. Nach einem Bericht von Josef Jakubowicz hatten er und Shlomo Lewin am Montag, den 22. Dezember 1980 einen Gerichtstermin, um die bereits länger geplante Gründung einer Israelitischen Gemeinde in Erlangen voranzutreiben. Herr Jakubowicz musste alleine zu dem 5 http://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/080_stadtverwaltung/dokumente/sonstiges/Woche_der_Bruederli chkeit_2011.pdf 6 7 Trauerrede von Cousin Frankenthal http://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/080_stadtverwaltung/dokumente/sonstiges/Woche_der_Bruederl ichkeit_2011.pdf Termin gehen. Sein Freund Lewin war tot. Shlomo Lewin hinterließ eine (geschiedene) Frau und zwei Kinder.8 Über Frida Poeschkes Biografie ist wenig bekannt. Vor etwa zwei Jahren entdeckte ich in einer Kneipe einen Bierdeckel mit einem Foto von Frida Poeschke. „Frida Poeschke – Tochter eines Brauereibesitzers aus Langenzenn (1923-1980)“, so sinngemäß der Text unter einem Bild von Frida Poeschke. Kein Wort vom grausamen Mord, kein Wort von der neonazistischen Motivation für diesen feigen Mord. Verdrängen und wegschieben - noch dreißig Jahre später. Frida Poeschke, geborene Hauck, gut bürgerliche Tochter einer Langenzenner Brauereifamilie, war gerade 22 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. 1946 heiratete sie den mehr als zwanzig Jahre älteren Georg Michael Poeschke, Jahrgang 1901. 1933 war der Redakteur und SPD-Aktivist von SA-Männern brutal zusammengeschlagen und ein Jahr lang ins KZ Dachau verschleppt worden. Bis Kriegsende hatte er Redeverbot. Von 1946 bis zu seinem plötzlichen Tod 1959 war er Oberbürgermeister der Stadt Erlangen.9 Josef Jakubowicz, der seit 1948 in Franken lebte und mit Shlomo Lewin und Frida Poeschke befreundet war, berichtete mir vor einigen Jahren, dass sich Frau Poeschke für jüdische Bräuche interessierte. Jakubowiczs damalige Frau habe ihr beigebracht, wie man zu den Feiertagen „gefillten Fisch“ zubereite. Josef Jakubowicz und seine spätere Lebensgefährtin, Rose Wanninger, berichteten mir im Jahr 2009 von der Angst, die nach dem Erlanger Doppelmord bei den Jüdinnen und Juden in Franken grassierte. Die Angst, selbst Opfer eines Mordanschlags zu werden. Laut Jakubowicz habe Shlomo Lewin öffentlich zu den Gefahren der Wehrsportgruppe Hoffmann Stellung bezogen. Herr Jakubowicz hatte den Transport der Leiche seines guten Freundes nach Haifa/Israel organisiert. Herr Jakubowicz übergab mir vor seinem Ableben zwei Tonbänder mit aufgezeichneten Redebeiträgen von Shlomo Lewin zur Woche der Brüderlichkeit in Erlangen in den Jahren 1978 und 1979. Die 8 Nürnberger Nachrichten, 22.12.1980 9 http://stadtlexikon.erlangen.de/download.FAU/Druck%20des%20Ergebnisses.pdf?sid=B4A6EE11&dm=1&apos=1 &zeig=2&erg=s&AUFT=.pdf Bänder wurden vor kurzem dem Stadtarchiv Erlangen zur Verfügung gestellt und sollen in naher Zukunft digitalisiert werden. Kurz nach dem Doppelmord erhielt der damalige Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg mehrere Morddrohungen. „Arno Hamburger, Du verfluchte Judensau, Shlomo Lewin war der erste, du bist der nächste. Du kannst dich darauf vorbereiten“.10 Waren das nicht deutliche Hinweise auf rechte Täterkreise? Der kürzlich verstorbene Arno Hamburger zeigte mir Anfang der 1990er Jahre einige Ordner voll mit antisemitischen Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen. Ist es nicht an der Zeit, dieses Material auszuwerten und zu veröffentlichen? Lewin hatte seit Sommer 1980 ebenfalls Drohanrufe erhalten, die auch seine Lebensgefährtin mit einschlossen.11 Dennoch: Im ersten halben Jahr nach der Tat war vor allem das persönliche und organisatorische Umfeld des Mordopfers Lewin durchleuchtet worden. In der Lokalpresse vom 30. Dezember 1980 wurde der Leitende Oberstaatsanwalt beim Landgericht Nürnberg-Fürth, Dr. Rudolf Brunner zitiert: „Als Wahrscheinlich gelten jedoch persönliche Hintergründe für den Mord an dem jüdischen Verleger Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke. Es gebe ‚Momente im Leben Lewins‘, die ein solches Motiv ausgelöst haben könnten, sagte Brunner. Die Untersuchungen blieben dabei nicht auf die Bundesrepublik beschränkt.“ 12 Erst nachdem man die Besitzerin der neben Lewins Leiche gefundenen Sonnenbrille aufgespürt hatte, folgten polizeiliche Ermittlungen in der rechtsradikalen Szene. Die Brille, ein Unikat, gehörte zweifelsohne der damaligen Lebensgefährtin des Anführers der im Januar 1980 verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann, Karl-Heinz Hoffmann. 10 Nürnberger Nachrichten, 22.12.1980, S. 3 11 Erlanger Nachrichten, 10./11.1.1981 12 Vermutlich Erlanger Tagblatt vom 30.12.1980, S. 13 Erst drei Jahre nach dem Mord begann am 12. September 1984 der Prozess gegen Karl-Heinz Hoffmann und seine Lebensgefährtin Franziska Birkmann. Dieser endete mit einem skandalösen Freispruch für die beiden bezüglich des Mordes an Poeschke und Lewin. Die Aktivitäten der nach dem Verbot in den Libanon verlagerten Auslands-WSG wurden nicht als terroristische Aktivitäten verfolgt; das "Teilgeständnis" Hoffmanns über die Einzel-Täterschaft Uwe Behrendts (der seit 1981 tot war) wurde gerichtlich akzeptiert. Hoffmann wurde schließlich wegen anderer Delikte zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.13 Karl-Heinz Hoffmann hatte sich auch nach Behrendts Mordeingeständnisses nicht von ihm getrennt. Hoffmann gab zu, Behrendt bei der Flucht ins Ausland geholfen zu haben.14 Im September 1981 soll Behrendt im Libanon Selbstmord begangen haben. 1984 war seine Leiche gefunden worden.15 Schon wieder ein verwirrter „Einzeltäter“ aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann. Behrendt stammte aus der DDR, wo er als junger Mann wegen Republikflucht verurteilt worden war. Mitte der siebziger Jahre kaufte ihn die Bundesregierung gemeinsam mit anderen Häftlingen für 50.000 DM frei. Er studierte u.a. in Ulm, Erlangen und Tübingen Theologie, Germanistik und Medizin. Zu KarlHeinz Hoffmanns Wehrsportgruppe kam er über den „Hochschulring Tübinger Studenten“ (HTS). In diesem sowie in der WSG Hoffmann war auch Gundolf Köhler aktiv, der drei Monate zuvor – das Attentat am Münchner Oktoberfest mit 13 Toten und mehr als 200 Verletzten begangen hatte. Wie Behrendt wurde auch Köhler als „Einzeltäter“ bezeichnet. Serienweise Einzeltäter! Die rassistische, antisemitische und neonazistische Ideologie, mit der die Rechtsterroristen ihre feigen Morde rechtfertigten, erhielten sie doch in der Wehrsportgruppe eingeimpft, die mit dem Totenkopf der SS auf der Mütze jahrelang im fränkischen Unterholz Krieg spielte. 13 http://www.nazistopp-nuernberg.de/maerz-2011_index73.htm 14 Fromm, Rainer: Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Darstellung, Analyse und Einordnung. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen und europäischen Rechtsextremismus. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften. Frankfurt/Main 1997 Univ. Diss., Frankfurt / Main 1998, S. 346 15 Fromm, Rainer: Die „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Darstellung, Analyse und Einordnung. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen und europäischen Rechtsextremismus. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften. Frankfurt/Main 1997 Univ. Diss., Frankfurt / Main 1998, S. 347 Den Namen Shlomo Lewin dürfte der spätere Mörder Uwe Behrendt doch zuvor in Hoffmanns Kampfschrift „Kommando“ gelesen haben.16 Die Verharmlosung des rechten Terrors und das Herunterspielen auf die Untaten psychisch gestörter Einzeltäter muss beendet werden. Lassen wir nicht mehr zu, dass neonazistischer Terror entpolitisiert und psychologisiert wird. Lassen wir nicht mehr zu, dass Opfer rechter Gewalt in Deutschland öffentlich diffamiert werden. 16 Rede von Ulrich Chaussy anlässlich der Woche der Brüderlichkeit in Erlangen am 15.3.2011 im Bürgerpalais Stutterheim, Hg. Stadt Erlangen, Bürgermeister- und Presseamt, 2011, S. 26