Bevor die Waffen schwiegen

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Bevor die Waffen schwiegen
Bevor die Waffen schwiegen
von Ludwig Häfner
2005 jährte sich zum 60. Mal das Ende eines der schlimmsten Kriege der Menschheit, des
II. Weltkrieges. Vertreter der Deutschen Wehrmacht unterzeichneten am 7. Mai 1945 in
Reims und in der Nacht vom 8. zum. 9. Mai in Berlin die bedingungslose Kapitulation.
Dieser kleine Rückblick soll erinnern an eine schreckliche Zeit vor 60 Jahren – an die
letzten Monate des Krieges in Bad Berka.
I Teil
Bad Berka voller Menschen
Obwohl die meisten wehrfähigen Männer Bad Berkas zum Teil gefallen, verwundet, in
Gefangenschaft oder an einer der letzten Fronten lagen, war Bad Berka zu Beginn des
Jahres 1945 voller Menschen, und täglich kamen neue hinzu. Hatte der Ort vor Beginn
des Krieges 1939 ca. 3100 Einwohner, so verdoppelte sich die Zahl bis Mai 1945.
Seit 1943, als anglo-amerikanische Bomberverbände verstärkt deutsche Städte angriffen
und zerstörten, kamen zahlreiche obdachlose Familien, zumeist Frauen mit ihren Kindern
und ältere Menschen aus dem Ruhrgebiet, Westfalen, Hamburg und später besonders aus
Berlin nach Bad Berka. Sie besaßen weder Möbel noch Hausrat, an Bekleidung oft nur
das, was sie am Leibe trugen.
Als sowjetische Truppen im Januar 1945 zur großen Offensive im Osten ansetzten und
Ostpreußen, Polen und Schlesien eroberten, kamen erneut riesige Flüchtlingsströme ins
Land. Ebenso wie die „Ausgebombten“ hatten auch sie nur wenig Habe und mussten im
Ort untergebracht werden. Obwohl die Berkaer zusammenrückten und Wohnraum
abgaben, reichte doch für die immer zahlreicher in die Stadt Drängenden der Platz nicht
aus. Auf engstem Raum , unter primitiven Verhältnissen lebte man. Jede Bodenkammer,
jedes Nebengelass, jeder Abstellraum, ja selbst die Gartenlauben und Stallgebäude wurde
für Wohnzwecke genutzt. Um ein Teil der Bürger einigermaßen menschenwürdig
unterbringen zu können, hatte man bereits 1944 mit dem Bau der Behelfsheimsiedlung
begonnen. Es war der Anfang des heutigen Wohngebiets zwischen dem Hohen Weg, der
Schiller-, Herder- und Wielandstraße.
Aber noch weitere Flüchtlingsgruppen waren in Bad Berka untergebracht, und zwar die
von Hitler „heim ins Reich“ geholten „Volksdeutschen“ aus dem Baltikum, Besserabien,
der Bukowina und die Wolga-Deutschen. Seit 1941 kamen sie in größeren Gruppen in die
Stadt. Beherbergt wurden sie in der Wilhelmsburg, im „Wettiner Hof“ und im Haus
„Excelsior“ (Haus am Adelsberg). Sie blieben mehrere Monate im Ort, um dann von der
VOMI (Volksdeutsche Mittelstelle) mit Sitz im „Wettiner Hof“ zur Ansiedlung in den von den
Polen geräumten Gebiet in Schlesien geschickt zu werden. Durch das Vorrücken der
sowjetischen Truppen Ende 1944 war das allerdings nicht mehr möglich, so dass auch
diese Menschen in den bis unter die Dächer vollgestopften ehemaligen Hotels bleiben
mussten.
Auch die Deutsche Wehrmacht hatte zahlreiche ehemalige Erholungsheime und
Kureinrichtungen in Beschlag genommen. Bad Berka war bis zum Ende des Krieges fast
eine Lazarettstadt geworden. Schon 1940 hatte man verwundete deutsche Soldaten
zunächst im Ärzteheim, später im Bäckerheim, Kurhaus (Coudray-Haus), Kurbad (altes
Kurmittelhaus am Brunnen), Rodberg, Sophienheilstätte und Realschule am Hexenberg
untergebracht. Zusätzlich war natürlich auch für die Unterbringung von medizinischem
Personal Sorge zu tragen.
Mitte 1944 erhielt die Stadt weiteren Zuzug. Zunächst wurden die Schulen geschlossen.
Die Kinder gingen nur noch eine Stunde pro Tag zum Unterricht in die Gaststätte
„Stadtgarten“. Die Zeit reichte meistens nur zum Vorzeigen und Entgegennehmen der
Hausaufgaben. In der Schule selbst wurde eine Außenstelle des Auswärtigen Amtes
Berlin eingerichtet. Über die Aufgaben dieser Dienststelle gibt es nur wenige Hinweise.
Vermutlich handelte es sich um eine Abteilung zur kulturellen Betreuung Deutscher im
Ausland. Da aber zum Ende des Jahres 1944 niemand mehr im Ausland zu betreuen war,
soll sich diese Einrichtung mit der Rückführung von Kulturgütern befasst haben.
Augenzeugen berichten vom An- und Abtransport großer Kisten. Auch amerikanische
Soldaten, die nach der Einnahme der Stadt diese Außenstelle besetzten, sollen noch
große Kisten abtransportiert haben. Tatsache ist, dass Häftlinge des Konzentrationslagers
Buchenwald einen Stollen in Tag- und Nachtarbeit von der Schulmauer an der heutigen
Klosterbergschule (der Eingang ist noch gut sichtbar) unter dem Schulhof hinweg bis zur
Ilm treiben mussten. Welchen Zweck dieser Stollen erfüllen sollte, lässt sich nur vermuten:
Sicherlich sollte er für Menschen und wertvolle Güter als Schutz vor Bomben dienen. Man
hatte wohl vor, die im Schulbereich vermuteten Gewölbe, Keller, und Gänge des alten
Klosters zu nutzen. Inwieweit dies geschah, ist nicht bekannt. In den Klassenräumen der
Schule selbst waren Tonaufnahmetechnik und zahlreiche Fernschreiber aufgestellt.
Betrieben wurde das Ganze von Zivilangestellten und – wohl der Überwachung dienend –
mehreren Angehörigen der Waffen-SS. Der gesamte Komplex wurde noch einmal
bewacht von berittenen Kosaken. Es waren Angehörige der Armee des russischen
Generals Wlassow, die auf deutscher Seite kämpften. Sie trugen deutsche Uniformen und
auf dem Kopf die russischen Kosakenmützen. Wie in allen deutschen Städten und Dörfern
wurden auch nach Bad Berka zahlreiche Fremdarbeiter gebracht. Sie kamen aus fast allen
Nationen, mit denen Deutschland Krieg führte. In Bad Berka waren es besonders Männer
aus Frankreich und die sogenannten Ostarbeiter – Frauen und Männer aus Polen und der
damaligen Sowjetunion. Sie hatten die Aufgabe, die Arbeit der an der Front stehenden
deutschen Männer vorwiegend in der Landwirtschaft, aber auch in Betrieben der Stadt zu
übernehmen. Für die Nationalsozialisten waren die Fremdarbeiter Menschen „niederer
Rassen“. Dementsprechend sahen die Vorschriften für ihre Behandlung aus. Da die
meisten in den Haushalten lebten, war es verboten, sie mit am Tisch der Familie speisen
zu lassen. Das Essen musste geringer sein. Die Unterkunft durfte nur in provisorischen
Schlafräumen eingerichtet werden. Kontakte persönlicher Art zwischen Deutschen und
den Fremdarbeitern waren strengstens verboten. Selbstverständlich erhielten die
Fremdarbeiter auch keinen Lohn. Dass dies bei weitem nicht so gehandhabt wurde, wie
die Vorschrift verlangte, zeigen viel Beispiele. So lebten die beiden Fremdarbeiter des
Bauern Paul Kanz, Stanislaus, ein Pole, und Mykado, ein Ukrainer, mit in der Familie. Sie
erhielten das gleiche Essen, aßen gemeinsam mit der Familie, hatten menschenwürdige
Unterkunft und verschiedene Freiheiten. Sie durften sich im Gehöft mit anderen
Fremdarbeitern treffen und kleine Feiern abhalten, was ebenfalls streng verboten war. Zur
Sicherheit vor Denunziation wurde deshalb immer das Hoftor verriegelt. Stanislaus und
Mykado waren dankbar für jeden Kontakt, den wir als Kinder mit ihnen aufnahmen, war
doch der eine selbst erst 15 Jahre alt, als er nach Bad Berka kam. Wir waren stolz, wenn
wir einige Worte in polnisch oder russisch von ihnen gelernt hatten. Andererseits lachten
wir mit ihnen, wenn sie sich in der deutschen Sprache übten.
Wie gefährlich Kontakte zu Fremdarbeitern waren, zeigt folgendes Beispiel: Im März 1940
wurde eine alleinstehende Bad Berkaer Bäuerin zu siebenjähriger Zuchthausstrafe und
fünfjährigem Entzug der Ehrenrechte verurteilt und zur Verbüßung der Strafe nach
Waldheim gebracht. Ihr Verbrechen: Sie hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu einem
polnischen Fremdarbeiter. Als abschreckendes Beispiel wurde der Frau der Kopf kahl
geschoren, und man führte sie öffentlich durch Bad Berka, wobei sie einige
Nationalsozialisten anspuckten. Der Pole wurde vor allen Fremdarbeitern aus der
Umgebung öffentlich gehängt. Bürgermeister Paul Leistner, der im Prozess als Zeuge
auftreten musste und die Frau als ordentliche und fleißige Bäuerin beschrieb, wurde kurz
danach als Verwaltungsbeamter nach Polen dienstverpflichtet.
Einige wenige Privilegien besaßen die französischen Fremdarbeiter im Ort. Sie bewohnten
ein gemeinsames kleines Haus, das sogenannte Franzosenhaus in der Bahnhofstraße 11.
Beschäftigt waren sie in mehreren Betrieben der Stadt, beispielsweise in der Molkerei, im
Sägewerk Linke oder im Forst. Sie hatten keine Bewachung und wurden nur zeitweilig
kontrolliert.
Auch einen Rüstungsbetrieb hatte man nach Bad Berka verlagert, und zwar die in Berlin
ausgebombte Firma Kuge, ein Betrieb für feinmechanische Erzeugnisse. Zahlreiche mit
dem Betrieb evakuierte Frauen stellten im Gebäude Hetschburger Straße 19 Bauteile für
Waffen her. Auch für sie und ihre Familien musste Wohnraum von der Stadt bereit gestellt
werden.
II Teil
Nächte in den Luftschutzkellern
Anfang April 1945 besaß die englische und amerikanische Luftwaffe die uneingeschränkte
Hoheit über den deutschen Luftraum. Nacht für Nacht und immer öfter dann auch tagsüber
drangen Bomberverbände vom Typ B 17 G, die sogenannten „Fliegenden Festungen“, in
Deutschland ein. Sie warfen ihre Tod und Zerstörung bringenden Lasten – die Sprengund Brandbomben sowie zwei Tonnen schwere Luftminen - auf strategische Ziele: Militärund Industrieanlagen, aber auch auf Wohngebiete in größeren deutschen Städten. Die
Flugzeuge fanden kaum Widerstand, weil die noch vorhandene Abwehr der deutschen
Luftwaffe meistens aus Treibstoffmangel am Boden bleiben musste. Die Trefferquote der
Abwehrflak war im Verhältnis zu den einfliegenden Bombern gering, oft wurde sie selbst
ein Ziel der Bomben.
Schaurig ertönten die Sirenen bei Luftalarm und rissen die Menschen aus dem Schlaf. Am
Tage musste man die Arbeit oder andere Beschäftigungen sofort verlassen. Es war Pflicht,
die Luftschutzkeller aufzusuchen. Gab es die ersten Jahre noch Voralarm und nach einem
gewissen Zeitraum Vollalarm oder Entwarnung, wenn die Flugzeuge andere Gebiete
anflogen, so war die militärische Flugüberwachung 1945 nicht mehr Herr der Lage. Oft
mischten sich Voralarm, Vollalarm und das Dröhnen der Bomberverbände miteinander.
Auch wenn die Flugzeuge zunächst weit an Bad Berka vorbeiflogen, hörte man das
Dröhnen der Motoren doch bis in den Keller.
In der geschlossenen Gaststätte „Ratskeller“ befand sich die Luftschutzmeldestelle des
Ortes. Sie war ständig besetzt, um die Luftlagemeldungen entgegen zu nehmen oder die
auf dem Rathaus befindliche Sirene zu betätigen. Da die Bewohner der Siedlung in der
Tiefengrubener Straße und des Steingrabens bei Westwind die Sirene oft nicht hören
konnten, wurde für diesen Bereich ab Mitte des Krieges von der damaligen Hühnerfarm
aus mit einer Handsirene Alarm ausgelöst.
In vielen Häusern befanden sich Luftschutzkeller, von denen aber ein großer Teil durch die
zahlreichen Hausbewohner überfüllt war. Koffer, Wäsche, Wertsachen wurden mit in den
Keller genommen, und oft waren auch Betten aufgestellt, damit wenigstens die Kinder
schlafen konnten. Wer keinen Keller besaß, musste öffentliche Luftschutzräume
aufsuchen. Diese befanden sich im Rathaus und im Felsenkeller am Adelsberg. Jede
Nacht zogen deshalb zahlreiche Bürger durch den dunklen Kurpark in die ausgebauten
Kellerräume. Aber auch sie waren oft überfüllt, mussten doch die verwundeten Soldaten
der umliegenden Lazarette ebenfalls Schutz suchen. Es gab Bürger, die Angst hatten, bei
Luftalarm Keller aufzusuchen. Sie hatten in ihren Gärten oder an anderen Stellen
Erdbunker errichtet.
Als die umliegenden größeren Städte bombardiert wurden, konnte man dies in Bad Berka
miterleben. Zunächst hörte man das Dröhnen der Bomber, und auf einmal war der Himmel
taghell erleuchtet: Die Führungsflugzeuge setzten Lichtzeichen, die sogenannten
„Christbäume“. Von unten leuchteten die Kegel der Scheinwerfer in die Bomberpulks
hinein, um Ziele für die nun einsetzende Abwehrflak zu finden. Plötzlich hörte man die
Detonation der Bomben. Der Himmel leuchtete anschließend glutrot vom Widerschein der
Brände. Als am 9. Februar 1945 in den Mittagsstunden die Stadt Weimar bombardiert
wurde, sah man von Bad Berka aus stundenlang eine riesige Rauchsäule. Tagelang
musste die Bad Berkaer Feuerwehr – sie bestand meistens aus Angehörigen der
Hitlerjugend und nicht kriegstauglichen, älteren Männern – Brände in Weimar, Erfurt und
Jena löschen.
Im Spätsommer 1944 war Bad Berka erstmalig selbst betroffen. Wie aus heiterem Himmel
detonierte am späten Abend, von einem einzelnen Flugzeug abgeworfen, eine Luftmine
am Adelsberg. Eine lautstarke Explosion erschütterte den ganzen Ort und erschreckte die
Bürger. Zahlreiche Fensterscheiben zersprangen durch die Druckwellen. Erst danach gab
es Fliegeralarm. Verängstigt suchten alle die Luftschutzräume auf, doch zum Glück blieb
es ruhig. Nur am Adelsberg stand eine große Rauchwolke. Am nächsten Tag besichtigten
die Bad Berkaer die Schäden. In einer Entfernung von ca. 150 Metern vom Turm befand
sich ein riesiger Krater. Der Wald in der gesamten Umgebung war verwüstet, der
Paulinenturm beschädigt und die damalige Baude total zerstört.
Welchen Zweck sollte der Bombenabwurf am Adelsberg haben? Von allen Vermutungen,
die damals geäußert wurden, liegt wohl die sehr nahe, dass der Angriff dem Haus der
Frau Martha Stein – heute Kindergarten am Adelsberg – gegolten haben könnte. In ihm
wohnte zu dieser Zeit einer der ranghöchsten Militärs der deutschen Wehrmacht, der Chef
der deutschen Luftabwehr, Generaloberst Stumpf.
Es wird aber auch angenommen, dass es sich um einen sog. „Hänger“ handelte. Es kam
vor, dass Bomben sich nicht ausklinken ließen. So hatte vermutlich ein angloamerikanisches Flugzeug nach einem Angriff auf den Raum Zwickau – Plauen beim
Rückflug noch eine Bombe an Bord. Der Pilot wird unterwegs immer wieder versucht
haben, sie loszuwerden, was ihm über Bad Berka schließlich gelang.
III. Teil
Bomben auf Bad Berka
Von vielen Bürgern befürchtet, kam es Anfang April 1945 zu weiteren Bombenangriffen.
Ziel war das zwischen München und Bad Berka gelegene Lufttanklager der deutschen
Wehrmacht im Bereich des heutigen Sprengstofflagers. Gut getarnt im Wald versteckt,
wurde hier in zahlreichen Gebäudekomplexen und zum Teil auch unterirdisch aus
Rohbenzin Flugzeugbenzin hergestellt, um die im Raum Thüringen gelegenen Flugplätze,
u.a. Nohra, zu beliefern. Täglich rollten Tankwagenzüge durch Bad Berka. Nur ein
einzelner Schuss oder eine Bombe hätten eine Katastrophe auslösen können.
Vermutlich am 1. oder 2. April fielen Bomben im Ilmtal ohne ihr Ziel, das Lufttanklager, zu
treffen. Der Wald und die umliegenden Felder wurden förmlich umgepflügt, das Lager
selbst kaum beschädigt. Daraufhin transportierte man sofort größere Mengen Benzin ab.
Am 9. April kamen die Flugzeuge erneut und fanden nun ihr Ziel. Furchtbare Detonationen
schallten durch das Ilmtal. Weithin sichtbare Feuersäulen schossen in den Himmel, Teile
von Tankwagen, Gleisen, Fässern und Mischbehältern, sogar ganze Rohrsysteme und
Anlagen flogen weit in die Umgebung bis hinüber zur Tannrodaer Straße. Das Lager war
voll getroffen. Es blieben nur Ruinen, Schrott , eine Kraterlandschaft und ein verwüsteter
Wald. Auch Tote und Verletzte hatte es gegeben, deren Zahl jedoch nicht bekannt wurde.
Bis heute tauchen in diesem Gebiet noch immer Bomben auf, die entschärft werden
müssen.
Im Zusammenhang mit der Bombardierung des Tanklagers in München bei Bad Berka gab
es in den letzten Kriegstagen Pressemeldungen, in denen von den damaligen
Machthabern von „Spionage“ und „militärischem“ Verrat die Rede war. Darauf stand die
Todesstrafe. Lange hielten sich deshalb Gerüchte über Personen, die beteiligt gewesen
sein sollen.
Gefährlich war es in dieser Zeit auch, sich in der offenen Landschaft zu bewegen.
Zeitweilig erschienen – ohne vorherigen Luftalarm – plötzlich am Himmel britische
Tiefflieger. Sie flogen so niedrig, dass man meinte, sie streifen die Dächer der Häuser. Alle
deutschen Truppenbewegungen am Tag wurden von ihnen kontrolliert und sofort
angegriffen. So überraschten sie beispielsweise zwei Fahrzeuge der „Waffen-SS“ an der
Rauschenburg und schossen sie in Brand. Mehrere deutsche Soldaten starben bei diesem
Angriff. Leider machten manche Piloten auch vor Zivilpersonen nicht halt. Mehrfach
wurden Flüchtlingstrecks auf der Straße und Landwirte bei der Feldarbeit beschossen.
Auch eine Frau erlitt mit ihrem Kind zwischen Tonndorf und Tiefengruben auf diese Weise
schwere Verletzungen.
Schließlich kam der 5. April 1945. Deutlich konnte man schon tags zuvor durch den
Geschützdonner die näher rückende Front erahnen. Der Personenzug aus Weimar
näherte sich gegen 9 Uhr Bad Berka. Bereits seit Holzdorf hatten ihn drei angloamerikanische Jagdbomber verfolgt. Als der Zug in den Bad Berkaer Bahnhof einfuhr,
wendeten sie vor Tannroda, kamen zurück und warfen fünf Sprengbomben ab. Diese
trafen die aussteigenden Fahrgäste, das Bahnhofsgebäude und das Bahnhofsgelände.
Die Lok, mehrere Wagen und die Gleise waren zerstört, das Bahnhofsgebäude schwer
beschädigt. 28 Menschen starben in den Trümmern, viele Fahrgäste waren schwer
verletzt. 21 Opfer wurden auf dem Bad Berkaer Friedhof beigesetzt. Besonders tragisch
war, dass von drei Familien jeweils drei bzw. vier Angehörige umkamen, die meisten
waren Kinder. Glück hatte die aus Bad Berka stammende Fahrkartenverkäuferin. Als die
Bomben explodierten, kroch sie geistesgegenwärtig unter den vor ihr stehenden Tisch, der
sie vor dem einstürzenden Gebäude schützte.
Wie sinnlos dieser Angriff noch eine Woche vor Eintreffen der amerikanischen Truppen in
Bad Berka war, belegt die Tatsache, dass keinerlei militärisches Gut transportiert wurde
und auch keine Militärangehörigen im Zug fuhren.
IV Teil
Die traurige Rolle des Bad Berkaer Jagdzeughauses
Einer der dunkelsten Flecke in der deutschen Geschichte – die Vernichtung der Juden –
ging leider an Bad Berka nicht vorüber. Die nationalsozialistischen Machthaber hatten
unserer Stadt dabei eine besonders traurige Rolle zugedacht. Das mitten in Bad Berka
gelegene historische Jagdzeughaus wurde zur Lagerstätte des letzten Besitzes von
Tausenden in den Konzentrationslagern ermordeten Juden. Wohl schon 1943, regelmäßig
aber im Jahre 1944 kamen auf dem Bahnhof Waggons mit Bekleidungsgegenständen aller
Art an. Sie wurden auf Pferdefuhrwerke umgeladen und in das Zeughaus transportiert.
Diese Arbeiten mussten die im „Wettiner Hof“ lebenden „Volksdeutschen“ erledigen, die
man von der VOMI (Volksdeutsche Mittelstelle) dazu einsetzte. Obwohl die Transporte bei
Tage durchgeführt wurden, wusste kaum jemand im Ort etwas über die traurige
Angelegenheit. Die Fuhren waren meistens abgedeckt, außerdem hielt eine zivile
Wachmannschaft der „Volksdeutschen“ Neugierige fern.
Das ganze Ausmaß wurde erst bekannt, als sich die Tore für die Bevölkerung im März
1945 öffneten. Zunächst ließ man nur Flüchtlinge, die dringend Bekleidungsgegenstände
benötigten, für kurze Zeit ein. In den letzten Kriegstagen und den ersten Tagen nach dem
Einmarsch der amerikanischen Truppen war das Zeughaus (sicherlich auch wegen der
Ausgangssperre) nicht zugänglich. Kurz darauf wurde es allerdings von der Bevölkerung
regelrecht gestürmt. Menschenmassen, auch aus der weiteren Umgebung, drängten in
das Gebäude. Der einzige Aufgang in die Obergeschosse, eine schmale Treppe, war
ständig „restlos verstopft“. Viele aber, dass muss an dieser Stelle gesagt werden, kamen,
sahen, und gingen wieder, ohne ein einziges Stück mitzunehmen. Sie waren vom
Gesehenen erschüttert. Fein säuberlich sortiert und gebündelt, zum Teil meterhoch bis
unter die Decke aufgestapelt und durch Laufgänge abgeteilt, lagen da alle
Bekleidungsgegenstände, die ein Mensch benötigt: Kindersachen, Wäsche, Schuhe,
Kleider; Jacken und Hosen, wertvolle Pelzmäntel, Betten, Kinderwagen und ganz oben an
den Balken hingen gebündelte Handtücher, Krawatten und Hüte.
Wohl ausschlaggebend für die Betroffenheit vieler Bürger waren die Judensterne, die sich
an vielen Kleidungsstücken befanden. Man wusste zwar noch nichts von Gaskammern
und Massenvernichtungen. Dass aber diese Sachen mit Mord in Verbindung zu bringen
waren, begriffen viele sehr schnell, denn da gab es auch blutbefleckte und von Schüssen
durchbohrte Kleidung.
Die Not war jedoch groß. Innerhalb weniger Wochen hatten viele das Unterste zuoberst
gekehrt, gesucht und anprobiert. Der schmalen Treppe wegen warf man Bündel mit
Bekleidung, Kinderwagen und Betten oft einfach aus dem Fenster und transportierte alles
mit Tragekörben, Handwagen sowie Pferde- oder Ochsengespannen ab. Anfang Juli 1945
befanden sich nur noch zerschlissene Federbetten, einzelne Schuhe und Lumpen im
Haus.
Eine unrühmliche Rolle spielte in diesem Zusammenhang eine Gruppe von Menschen, die
Kleidungsstücke nach eingenähtem Schmuck und anderen Wertsachen durchsuchte.
Obwohl die Bekleidung schon mehrfach kontrolliert wurde, zuletzt bei der Einlagerung im
Zeughaus, sollen einige dieser Leute „fündig“ geworden sein.
V Teil
Buchenwaldhäftlinge in Bad Berka
Die an den Fronten stehenden deutschen Männer hinterließen in den Kriegsjahren als
Arbeitskräfte im wirtschaftlichen Leben des Landes riesige Lücken. Um diese zu füllen,
wurden zum einen Kriegsgefangene und Fremdarbeiter beschäftigt, zum anderen in den
Betrieben der Rüstungsindustrie und auf zahlreichen Baustellen Häftlinge aus den
Konzentrationslagern angestellt. Auch in Bad Berka sah man in dieser Zeit die „billigen
Arbeitskräfte“ in ihrer gestreiften Häftlingskleidung aus dem KZ Buchenwald. Sie
errichteten zwischen Tiefengruben und Bad Berka mehrere Pumpenhäuser für die
Wassergewinnung und bauten eine Wasserleitung von Tiefengruben über Troistedt nach
Buchenwald. Täglich marschierten die Häftlingskolonnen durch den Ort an ihre Arbeit. Ein
Außenlager befand sich zwischen Tiefengruben und Tonndorf, wo die Häftlinge in zwei
Baracken hausten. Auch innerhalb der Stadt konnte man die Häftlinge sehen. So
pflasterten sie beispielsweise den gesamten Brauhausplatz, einen Fußweg an der
Tiefengrubener Straße und andere Straßenabschnitte, bauten den Felsenkeller als
Luftschutzkeller aus und gruben einen Stollen unter dem Schulhof. Auch beim Bau des
Hauses „Sieburg“ und bei Schachtarbeiten für die Behelfsheime sollen sie tätig gewesen
sein.
Obwohl Kontakte zu den Häftlingen streng verboten waren und die Wachmannschaften
dies sofort zu verhindern suchten, kamen sie zustande. Vielfach steckte ihnen die
Bevölkerung Lebensmittel und Zigaretten zu. Erschreckt beobachteten die Bürger, wie
Häftlinge wegen angeblicher Faulheit von Wachmännern brutal verprügelt wurden.
Als sich die Front den Thüringer Grenzen näherte, gab es Befehle, die Außenlager und
selbst das Hauptlager Buchenwald zu evakuieren. Zwischen dem 7. und dem 10. April
1945 wurden dreimal große Häftlingskolonnen durch Bad Berka getrieben. Da waren
zunächst diejenigen, die in den Außenlagern im Jonastal bei Arnstadt geschuftet hatten
und nun vor den anrückenden Amerikanern nach Buchenwald ausweichen sollten. Sie
kamen in zwei Gruppen, einmal über Riechheim – Hohenfelden – Tiefengruben, zum
anderen über Stadtilm und Kranichfeld durch Bad Berka. Die Häftlinge sollten vor den
Amerikanern evakuiert und nach Süddeutschland gebracht werden. Der Anblick dieser
geplagten Menschen war grauenhaft: Gegenseitig sich stützende, wankende Gestalten,
die man in ihren gestreiften und verschmutzten Häftlingskleidungen, die Gesichter voller
Bartstoppeln und Wunden, kaum erkennen konnte. Die ganze Stadt war vom Geklapper
ihrer Holzschuhe erfüllt, dazwischen die Kommandos und das Fluchen der SSWachmannschaften und das Bellen der Begleithunde. Die Bevölkerung an den
Straßenrändern schwieg, versuchte Brot, Kartoffeln und Wasser zu reichen. Oft wurden
sie von den SS-Männern brutal zurückgestoßen, ja sogar bedroht. Hinter dem Zug fuhr ein
von Häftlingen gezogener Karren. Auf ihm befanden sich Häftlinge die nicht mehr laufen
konnten. An den Ortseingängen und an der Tongrube der damaligen Ziegelei hallten die
Schüsse. Dort starben die Kranken und Erschöpften. Ihre Kameraden mussten sie eiligst
an Ort und Stelle verscharren.
Nach dem Eintreffen der amerikanischen Soldaten mussten unter deren Aufsicht
Mitglieder der NSDAP die Leichen der erschossenen Buchenwaldhäftlinge bergen. 65
namenlose Opfer wurden in Massengräbern auf dem Bad Berkaer Friedhof beigesetzt.
In unmittelbarer Nähe der Walpertalstraße befand sich eine Feldscheune. In ihr wurde
vermutlich vom 8. zum 9. April 1945 eine größere Gruppe Häftlinge über Nacht
eingesperrt. Dabei gelang es zwei von ihnen zu fliehen. Sie irrten durch Bad Berka und
konnten sich im Zeughaus verstecken. Von einem Suchtrupp, bestehend aus SA- und
SS-Männern mit Hunden, wurden die beiden aber aufgespürt. Die sofortige Vollstreckung
des Todesurteils überließ die SS zwei Bad Berkaer SA-Männern. Die sterblichen
Überreste der beiden Erschossenen wurden 1962 bei Bauarbeiten für das Möbelwerk
unmittelbar neben dem Zeughaus gefunden.
Anmerkung: In Unterlagen der damaligen Generalstaatsanwaltschaft wird von drei
erschossenen Häftlingen am Zeughaus gesprochen. Ich habe persönlich allerdings nur
zwei gesehen. Der dritte Häftling, der ebenfalls am Ehrenmal im Kurpark in einem
Urnengrab ruht, soll nach meinen Erkundigungen in der Schuttgrube hinter der Ziegelei an
der Blankenhainer Straße gefunden worden sein.
VI Teil
Die Amerikaner kommen
Die Front rückte in den ersten Apriltagen immer näher. Deutlich war das Schießen der
Artillerie aus Richtung Eisenach zu hören. Zeitweilig verstummt, begann es dann wieder
um so heftiger. Im Kurpark übte der Bad Berkaer Volkssturm den Umgang mit seinem
„Waffensammelsurium“. Getreu dem Aufruf Adolf Hitlers, der als die Grenzen in Ost und
West von den Alliierten überschritten wurden, alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und
60 zum „Deutschen Volkssturm“ rief, wurde im Frühjahr auch in Bad Berka eine solche
Einheit aufgestellt. Vorwiegend ältere Männer und Invaliden, aber auch Jugendliche
zwischen 16 und 17 Jahren bildeten nun das „letzte Aufgebot“, das den Ort verteidigen
sollte. Ihre Waffen waren veraltete Gewehre und Pistolen aus erbeuteten Beständen sowie
Panzerfäuste. Angeführt wurden sie von mehreren Teilnehmern des 1. Weltkrieges in
Feldwebel- und Offiziersrängen. Die Überwachung hatten Wehrmachtsoffiziere und
NSDAP-Spitzen der Stadt, die mit „kernigen Sprüchen und Goebbelschen
Durchhalteparolen“ die Verteidigung der Stadt forderten.
Zur Unterstützung waren aus der Weimarer Garnison ein Feldwebel und elf Mann nach
Bad Berka beordert worden. Der in Bremen lebende Karl-Heinz Bösel, der ehemalige
Feldwebel der Gruppe, schrieb uns dazu: „Wir hatten den Auftrag erhalten, die
Straßenspinne von Bad Berka, zwölf Kilometer südlich von Weimar, gegen
Feinddurchbrüche zu sperren. Bei unserer Ausrüstung, einem MG 34, Panzerfäusten und
einem Tornisterfunkgerät konnten uns nur noch gläubige Herzen helfen...“ „Ich sah es
nicht als sinnvoll an, dass wir uns an derjenigen Stelle im Ort postierten, wo alle Straßen
zusammenliefen. Statt dessen wählten wir den Adelsberg, wo man von dessen
Aussichtsturm weit ins Land schauen konnte.“
In den umliegenden Wäldern sammelte sich die Front. Auf der Flucht vor den
amerikanischen Truppen wurden deutsche Soldaten aller Waffengattungen besonders im
Bereich des Waldgebietes zwischen Tannroda, Blankenhain und Bad Berka von deutscher
Militärpolizei aufgefangen und neu formiert. Auch eine SS-Einheit mit mehreren Panzern
hatte sich hier verschanzt. Die Amerikaner, die den Widerstand spürten, belegten die
gesamte Umgebung mit Artilleriefeuer, dass die ganze Nacht vom 11. zum 12. April
andauerte. Vom Riechheimer Berg schießend, schlugen auch Granaten unterhalb des
Adelsbergs und anderen außerhalb der Stadt gelegenen Bereichen ein.
Ab 4.00 Uhr morgens verstummte das Lärmen der Geschütze. Nach und nach verließen
die Bürger übernächtigt, frierend und voller Unruhe die Luftschutzkeller. Keiner wusste,
was die nächsten Stunden bringen würden. Diejenigen, welche die Verteidigung der Stadt
noch am Vortag gefordert hatten, waren verschwunden. Auch die Volkssturmmänner
hatten es vernünftigerweise vorgezogen, sich nach Hause abzusetzen bzw. gar nicht erst
zur Verteidigung anzutreten. Eine Gruppe von ihnen hatte tatsächlich noch den Befehl
erhalten, gemeinsam mit Pionieren der Wehrmacht Bad Berkas Ilmbrücken zur Sprengung
vorzubereiten. Wir wissen heute nicht mehr, wie sie es geschafft haben. Fakt ist aber,
dass es einer Gruppe von verantwortungsbewussten Bad Berka Männern gelang, die
Pioniere von der Sinnlosigkeit ihres gemeinsamen Auftrages zu überzeugen und sie zum
Abzug zu bewegen.
Am 12. April gegen 9.00 Uhr war westlich von Bad Berka plötzlich das Dröhnen von
Motoren und Quietschen von Panzerketten zu hören. Amerikanische Truppen hatten von
Tiefengruben kommend, den Stadtrand erreicht. Militärfahrzeuge aller Art, voran Panzer
und Geschütze nahmen im Bereich der heutigen Neubaublöcke in der Tiefengrubener
Straße Aufstellung und richteten die Mündungsrohre ihrer Waffen auf die Stadt. Ein Jeep
mit aufgepflanzter weißer Fahne und einem Offizier nebst Fahrer besetzt, gefolgt von zwei
Panzerfahrzeugen rollte in die Stadt. Sie wurden verfolgt von ängstlichen Blicken der
Bevölkerung.
Aus dem Rathaus ging ihnen der einzige dort noch anwesende Angestellte, der
Stadtobersekretär Ernst Knote mit einer weißen Fahne entgegen. In einer kurzen
Aussprache musste er dem Offizier versichern, dass die Stadt kampflos übergeben wird.
Ihm wurde bedeutet, dass für jede gegenteilige Handlungsweise seine Person zur
Verantwortung gezogen wird. Weiterhin habe er zu veranlassen, dass alle Häuser als
Zeichen der Kapitulation eine weiße Fahne zu hissen hätten. Persönlich musste er sich
ständig zur Verfügung halten.
Wie ein Lauffeuer eilte diese Entscheidung durch die Stadt. Erleichtert atmeten die Bürger
auf, und in kurzer Zeit waren die Fenster der Häuser mit Handtüchern, Bettlaken oder
anderen weißen Tüchern behangen. Ohne Zwischenfall zogen gegen 11.00 Uhr die
amerikanischen Soldaten mit ihrer Kriegstechnik in die Stadt ein. Der größte Teil stieß
nach kurzer Rast weiter in Richtung Blankenhain vor. Die anderen besetzten wichtige
strategische Ziele am Ort wie das Rathaus, die Schule mit dem Auswärtigen Amt und die
Lazarette. Vielfach mussten nun Bürger ihre Häuser umgehend verlassen, um Platz für die
Soldaten zu schaffen, die sich sichtlich erschöpft niederließen. Die Bad Berkaer waren
froh, dass das sehnlichst erwartete Ende des Krieges gekommen war.
60 Jahre danach ist es für uns heute kaum noch auszudenken, was geschehen wäre,
wenn die Männer um Feldwebel Bösel stur nach ihren Befehlen gehandelt oder Bad
Berkas Volksturmmänner das Sprengen der Brücke nicht verhindert hätten. Viel Mut
gehörte damals zu solch einer Handlungsweise. Mut gehörte aber auch dazu, den
Amerikanern mir einer weißen Fahne entgegen zu treten und die Verantwortung für die
gesamte Stadt zu übernehmen. War die Einnahme der Stadt zum Glück ohne
Schusswechsel verlaufen, so gab es doch in der Umgebung vereinzelte Gefechte, u.a.
zwischen Saalborn und Blankenhain, wo sich zwei deutsche Tigerpanzer den Amerikanern
entgegen stellten. Nach einem Gefecht mit Verlusten auf beiden Seiten wurden sie in
Brand geschossen.
Informationen über die Kampfhandlung lassen sich aus den Gefechtsberichten der in
unserem Raum eingesetzten 89. amerikanischen Infanteriedivision entnehmen. Dort heißt
es: „Das 355. Inf. Rgt. setzte am 11. April seinen Vormarsch nach Osten gegen
vereinzelten Widerstand fort, bei Einbruch der Dunkelheit hielten 3 Btl. die Front auf der
Linie Gutendorf – Tonndorf – Kranichfeld. Ab 7.30 Uhr am 12. April ging der Vormarsch in
Richtung Südost weiter, Bad Berka wurde um 12.10. Uhr eingenommen. Das 3. Btl.
bewegte sich auf dem rechten Flügel nach Hohenfelden und Tonndorf. Das 2. Btl.
besetzte die Anhöhe nördlich von Kranichfeld. Um 7.30. Uhr griff dieses Btl. Kranichfeld an
und besetzte die Stadt um 12.00 Uhr mit zwei zu Hilfe eilenden Kompanien vom 354. Inf.
Rgt. ...“ „Die Kampfgruppe für Sonderaktion Crater, welches sich aus dem 707. Panzer Btl.
der Komp. A des 602. Panzerknacker Btl., dem 89. Aufklärungstrupp, Sanitätern, dem
304. Feldartillerie Btl., dem motorisierten 1. Btl. des 353. Inf. Rgt. und einem Zug der
Komp. C des 314. Pionier Btl. zusammensetzte, formierte sich am 11. April unter Lt. Col.
H.S. Streeter. Ab 8.30 Uhr am 12. April bewegte sich die Kampfgruppe über Hohenfelden
mit dem Auftrag vor, den weiteren Vormarsch durch Bad Berka und Blankenhain
fortzusetzen und in östlicher Richtung die Brücken über die Saale einzunehmen und zu
halten...“. „Die Div. stieß bei ihrem Vormarsch wieder auf vereinzelten Widerstand . Die
Div. hatte 7 Tote, 67 Verwundete, 3 Vermisste während des Gefechtes zu verzeichnen
und nahm 190 Gefangene“.
Ähnliche Berichte liegen uns vom 353. und 354. Inf. Rgt. vor, die im Raum Kranichfeld,
Rittersdorf bis Teichel operierten. Ihre Verluste werden mit 3 Toten, 2 Verwundeten und 21
Vermissten angegeben. Weiterhin wurden von ihnen 712 deutsche Soldaten in diesem
Bereich gefangen genommen. Verluste deutscher Soldaten sind nicht in Akten
verzeichnet. Wir wissen aber, dass sich zahlreiche Soldatengräber in den umliegenden
Wäldern befanden. Nach und nach wurden die meisten von ihnen in ihre Heimat
umgebettet.
VII Teil
Unter amerikanischer Besatzung
Interessante Informationen über die Situation in Bad Berka nach der Einnahme durch die
amerikanischen Soldaten sind aus dem Kriegstagebuch der 89. amerikanischen InfanterieDivision zu erfahren. Darin heißt es: „Vor dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in
die Orte brach die zivile deutsche Amtsgewalt total zusammen. Die Folge waren Unruhen
und Plünderungen. Verschleppte Personen kehrten aus den Lagern zurück und waren
sich selbst überlassen... Waffen und Munition wurden überall im Operationsgebiet
gesammelt. Nach dem Einmarsch in die Städte wurde für die ersten 24 Stunden ein
Ausgehverbot für die Bevölkerung angeordnet. Alle Polizisten wurden entwaffnet, um
unnötige Gewalt, Tumulte und Plünderungen zu verhindern. Aus Sicherheitsgründen
durfte die Bevölkerung ihre Heimatorte nicht verlassen. Alle Banken wurden geschlossen,
alle Kommunikationssysteme gesperrt. Bedingt durch die sich schnell vorwärts
bewegende taktische Situation konnten alle Bürgermeister, die der Nazi-Partei
angehörten, aus ihren Ämtern entfernt werden. Alle verschleppten Personen und alliierte
„Kriegsgefangene“ blieben zunächst in den Orten. Die jeweiligen Bürgermeister wurden für
deren Verpflegung und Unterkunft verantwortlich gemacht.“
An anderer Stelle heißt es in den Berichten: „ Unter den „Partei-Mitgliedern“, die in Bad
Berka gefasst wurden, waren Dr. Schleier, die Nr. 2 in Ribbentrops Außenministerium; Dr.
Manfred Zapp, Spionagechef und Propagandaleiter des Reiches sowie Constantin
Tsmbras, griechischer Diplomat und Journalist, auf dessen Kopf sowohl von der britischen
als auch von der amerikanischen Regierung ein Preis ausgesetzt war. Das CIC-Team
(militärischer Sicherheitsdienst) verhörte und überprüfte im Monat April 5.611 deutsche
Männer und verhaftete 834 deutsche Soldaten in Zivilkleidung. Die Angst vor fremden
Soldaten, aber auch die angeordnete Ausgangssperre für die Bürger verhinderten
zunächst Kontakte der Erwachsenen zu den amerikanischen Soldaten. Als die Sperre
aber nach und nach gelockert wurde, waren es besonders die Kinder, die erste
Annäherungen herbeiführten. Überall, wo sich in den nachfolgenden Tagen amerikanische
Soldaten mit ihrer Kriegstechnik und ihren Fahrzeugen in der Stadt befanden, waren sie
von Kindern umlagert. Neben dem Interesse für die Technik ging es wohl den meisten um
Kekse, Schokolade und das für alle unbekannte Kaugummi, das die „Amis“ verteilten.
Besonderer Anziehungspunkt waren auch die farbigen Soldaten, wenn sie mit ihren Jeeps
und Motorrädern halsbrecherische Fahrten in der Stadt vollführten. Zwei von ihnen fuhren
beispielsweise mit ihren schweren Maschinen die Stufen des Rathauses hinauf und
hinunter. Die Wetterfahne auf dem Rathaus und der Hirsch auf dem Kirchturm waren
Zielscheiben für die Schießübungen der Soldaten. Im Garten hinter dem Zeughaus hatten
die Amerikaner ein Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten eingerichtet. Die in den
Wäldern der Umgebung gefangen genommen Soldaten mussten dort unter Bewachung
auf ihren Abtransport in das berüchtigte Hungerlager Bad Kreuznach am Rhein warten.
Lassen wir zunächst nochmals den ehemaligen Feldwebel Bösel, der sich mit seinen
Kameraden zwei Tage am Adelsberg versteckt hielt, sich dann aber vor Hunger und Durst
in Gefangenschaft begab, zu Wort kommen: „Am nächsten Tag fuhr ein Truck vor, ein
Sattelschlepper mit einem Anhänger so groß wie ein Eisenbahnwagon. Auf diesen wurden
wir ohne Unterschied von Mann und Offizier gejagt, bis wir so eng wie eine Weintraube
beieinander waren.“
Besonders tragisch war, dass zahlreiche Bad Berkaer Männer, denen es in den letzten
Wochen gelungen war, auf irgendeine Art dem Krieg zu entfliehen, mit und ohne
Entlassungspapieren, teilweise durch Denunziation von verängstigten Nachbarn, von den
Amerikanern aufgegriffen und in monatelange Kriegsgefangenschaft gebracht wurden.
Den bisherigen amtierenden Bürgermeister Hartmann nahmen die Amerikaner in
Kranichfeld gefangen, verhörten ihn im Rathaus und transportierten ihn ebenfalls ab. Am
14. April wurde Ernst Knote vom beauftragten der Militärregierung 1. Lt. Myraws W.
Hilding zum Bürgermeister von Bad Berka berufen. Er musste beeiden, dass er
Anordnungen der Militärregierung befolgen und seine Arbeit pflichtgemäß ausführen
werde. Als Zeugen unterschrieben das Dokument: 2. Lt. Charlos W. Harnson, Hans de
Marees, Forstmeister Bad Berka, Max Wutzler, Schlossermeister Bad Berka. Dem
Bürgermeister zur Seite stand ein am 16. April im „Weimarischen Hof“ aus demokratisch
gesinnten Bürgern gebildetes „Antinazikomitee“, später Antifa-Ausschuss. Das
Antinazikomitee bestand zunächst aus folgenden Bürgern: Alfred Bauer, Erich Häfner,
Arthur Scholz, Albin Schaaf, Max Linke, Otto Möller, Willy Oschatz, Karl Gattung, Karl
Megerle u.a..
Gemeinsam mit den Angestellten der Stadtverwaltung und anderen fortschrittlichen
Bürgern waren sie es, die versuchten, das Leben in der Stadt wieder zu normalisieren.
Dabei mussten sie allerdings große Schwierigkeiten überwinden. An vorderster Stelle
standen die Versorgungsprobleme der Bevölkerung mit Lebensmitteln, die Unterbringung
zahlreicher Bürger, die ihre Häuser für die amerikanischen Soldaten räumen mussten,
sowie die Stromversorgung in der Stadt. Aber auch die Forderungen der Amerikaner,
sämtliche in Privatbesitz befindlichen Waffen, Munition und optische Geräte wie
Feldstecher und Fotoapparate abzuliefern, mussten organisiert und durchgesetzt werden.
Ebenso waren die Fremdarbeiter aus der gesamtem Umgebung, die von der
Militärregierung in die Baracken des ehemaligen „Wehrertüchtigungslagers“ an der Harth
eingewiesen wurden, zu versorgen. Aus einer Erhebung der letzten Apriltage 1945 geht
hervor, dass sich Bürger vieler osteuropäischer Länder in Bad Berka befanden. Obwohl
Waffen und Munition abgeliefert werden sollten, war vieles davon noch unkontrolliert
vorhanden. Besonders Flakgranaten, Panzerfäuste, Handgranaten, Minen und
Gewehrmunition lagen, wahrscheinlich von flüchtenden Soldaten weggeworfen, in
unmittelbarer Nähe des Ortes überall herum. Dies weckte natürlich die Neugier und den
Tatendrang der Kinder. In den Behältern vermuteten sie oft Konservendosen mit
Nahrungsmitteln oder anderen brauchbaren Inhalt. So geschah es, dass beim Hantieren
mit Minen Horst Happe (11) tödlich verunglückte und Hans Rohn (9) schwer verletzt
wurde. An anderer Stelle verletzten sich drei Bad Berkaer Kinder, Doris und Adolf Heune
(8 und 9 Jahre) sowie ein weiteres achtjähriges Mädchen ebenfalls schwer durch
Phosphorverbrennungen an Gesicht, Armen und Beinen.
Die amerikanischen Soldaten trugen umfangreiches Kriegsmaterial der deutschen
Wehrmacht zusammen. Am Zeughausplatz hatten sie ein großes Sammellager von
Wehrmachtsfahrzeugen aller Art eingerichtet, und auch die sogenannten
„Heeresersatzteillager“ standen zunächst unter ihrer Obhut. Im still gelegten Zementwerk
befand sich ein großes Lager für Handwerksbedarf. Obwohl von den Amerikanern
bewacht, holte sich die Bevölkerung Nägel, Schrauben, Farben, Kleber, Strick und andere
Materialien. Ein Lager der Volksdeutschen Mittelstelle im Ort enthielt Haushaltsgeschirr
aller Art. Aber auch in den Nachbarorten befanden sich derartige Lager, beispielsweise in
Legefeld mit Werkzeugen, in Kranichfeld mit Zeltplanen und Militärstrümpfen, in Barchfeld
mit Puddingpulver. Die meisten Bestände wurden von den Bürgern geplündert und später
untereinander getauscht. Vieles davon half den Menschen in dieser Zeit, die größte Not zu
lindern. So war z. B. der Strick aus dem Zementwerk für viele „Gold wert“. Als Bindegarn
bei den Landwirten gegen Getreide, Mehl oder andere Nahrungsmittel getauscht, half er
denen, die ihn sich geholt hatten, über manchen Hunger hinweg. Begegnete man in den
Nachkriegsjahren Menschen, die Kleidung, Hosen, Jacken aus Zeltplanen und
Stricksachen aus grauen Militärstrümpfen trugen, so waren diese meistens aus
Kranichfeld.
Nach und nach räumten die amerikanischen Soldaten die von ihnen besetzten Häuser,
wahrscheinlich, um an die immer noch bestehende Front zu ziehen. Besetzt blieben aber
weiterhin die Häuser an der Sonnenhöhe, das Bäckerheim, die ehemalige „Führerschule“
sowie einzelne Villen. Niedergelassen hatte sich nur ein amerikanisches Pionierbataillon
im Ort. Seine Aufgabe war es, Minen zu räumen und die von den Nazis gesprengte
Autobahnbrücke bei Mellingen wieder aufzubauen.
Nach Angaben von Theaodre C. Martin, einem Mitglied dieses Bataillons, war es die
größte Holzkonstruktion, die amerikanische Pioniere im 2. Weltkrieg errichteten. Große
Teile der Balken wurden im Sägewerk Oschatz gesägt und an Ort und Stelle von den
Pionieren vorgerichtet.
An einem Tag gegen Ende April erschien plötzlich ein Flugzeug der deutschen
Wehrmacht, eine Ju 87 (genannt Stucka) Kreise ziehend über Bad Berka. Die Menschen
waren verängstigt. Sie fragten sich: „Ist der Krieg zurückgekehrt?“ Die Amerikaner gingen
in Kampfbereitschaft und gaben vereinzelt Schüsse von der Sonnenhöhe aus ab. Das
Flugzeug landete auf dem Hundehügel. Ihm entstiegen zwei Wehrmachtsangehörige mit
Frauen und Kindern. Aus der Tschechei kommend, hatten sie ihre Familien, eine davon
stammte aus Bad Berka, in Sicherheit gebracht. Nach einer mehrwöchigen Bewachung
des Flugzeuges durch die Amerikaner wurde es dann zum beliebtesten Spielgerät der
Kinder, bis es im Herbst in einer der Bad Berkaer Schuttgruben landete.
Aufgrund einer Anweisung musste Ernst Knote am 6. Mai 1945 als Bürgermeister zurück
treten. Mit der Führung der Geschäfte wurde vorübergehend Johannes Moenck,
vermutlich ein ehemaliger Buchenwaldhäftling, beauftragt.
Sehr misstrauisch waren die Amerikaner noch Wochen nach dem Einmarsch gegenüber
Zusammenkünften von Deutschen. Versammlungen aller Art, Parteien- und
Gewerkschaftsbildung waren von ihnen verboten. Lediglich die Arbeit der AntifaAusschüsse zur Unterstützung der Verwaltungsarbeit wurde zugelassen. Ursache war
wohl die immer noch nicht verstummte Nazipropaganda im Rundfunk und der am 2. April
1945 von Hitler erlassene Aufruf zum Kampf in sogenannten „nationalsozialistischen
Partisaneneinheiten“, dem „Wehrwolf“. Zum Glück gab es in Bad Berkas Umgebung keine
derartigen Aktivitäten. Gelassen, ja erleichtert, nahmen die Bürger die Meldung vom
„Heldentod des Führers“ am 30. April 1945 entgegen. Noch erleichterter waren sie, als die
Meldung von der Unterzeichnung des Waffenstillstandes durch Hitlers Generäle kam. Der
wohl sehnlichste Wunsch aller Menschen, oft in den tobenden Bombennächten von
Frauen und Kindern in den Luftschutzkellern und von den Männern im Granatenhagel in
den Schützengräben geäußert, lieber künftig trockenes Brot essen zu müssen, dafür aber
in Frieden zu leben, hatte sich nun verwirklicht. Endlich schwiegen in Deutschland die
Waffen.
Nachwort
Nur wenige amtliche Dokumente standen mir für diese Artikelserie zur Verfügung. Vieles
stammt aus Erlebnisberichten und Überlieferungen von Beteiligten aus dieser Zeit. Ich
bedanke mich bei allen, die mir Hinweise und Mitteilungen gegeben haben. Weitere
Ergänzungen werden gern entgegengenommen. Ein besondere Dank an Herrn Klaus
Müller aus Schönwald für die Hilfe bei der Beschaffung der Unterlagen aus den
amerikanischen Archiven.
Ludwig Häfner