2010 - Haus der Wannsee

Transcription

2010 - Haus der Wannsee
Haus der Wannsee-Konferenz
Gedenk- und Bildungsstätte
Tätigkeitsbericht 2010
Herausgeber
Haus der Wannsee-Konferenz – Gedenk- und Bildungsstätte
gefördert vom Land Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung
für Kultur und Medien (BKM) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
Redaktion:
Michael Haupt
Haus der Wannsee-Konferenz
Gedenk- und Bildungsstätte
Am Großen Wannsee 56-58, 14109 Berlin
Telefon:
Telefax:
eMail:
Internet:
030 – 80 50 01 0
030 – 80 50 01 27
[email protected]
www.ghwk.de, www.ghwk.eu
© Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin, März 2011
Trägerverein
Erinnern für die Zukunft – Trägerverein des Hauses der Wannsee-Konferenz e.V.
(Vereinsregister Berlin VR 10493 Nz)
Vorsitzender: (bis August 2010) Richard Dahlheim, Senatskanzlei, Berlin
Vorsitzende: (seit Oktober 2010) Staatssekretärin Barbara Kisseler, Chefin der
Senatskanzlei, Berlin
Gemäß letztem Bescheid des Finanzamts für Körperschaften I Berlin ist der
Trägerverein der Gedenkstätte als besonders förderungswürdig zur Förderung
der Bildung und Förderung der Völkerverständigung als gemeinnützig anerkannt.
Bankverbindungen
Konto 1000 7345, Deutsche Bundesbank, Filiale Berlin, BLZ 100 000 00,
BIC: MARKDEF1100;
Konto 44 60 200 00, Commerzbank Berlin AG, BLZ 100 400 00,
BIC: COBADEFFXXX - IBAN: DE85 1004 0000 0446 0200 00.
Kontoinhaber: Erinnern für die Zukunft e.V.
2
Tätigkeitsbericht 2010
Inhalt
Vorwort – Dr. Norbert Kampe
5
Bericht des Leiters der Gedenkstätte
10
Bildungsabteilung – Bericht über das Jahr 2010
14
Besucherstatistik
20
Joseph Wulf Mediothek – Berichtsjahr 2010
27
Die Sammlung Werner T. Angress in der Joseph Wulf Mediothek
29
Kulturstaatsminister Bernd Neumann: Zusammenarbeit der NS-Gedenkorte im Raum
Berlin wird gestärkt (Pressemitteilung vom 22. März 2010)
30
Berliner NS-Gedenkstätten verstärken Zusammenarbeit (Der Regierende
Bürgermeister von Berlin, Pressemitteilung vom 22. März 2010)
31
„Man war Däne mit einer anderen Religion“ – Gespräch mit Salle Fischermann
32
Bildungsarbeit mit Zeitzeugen
40
„Zentralisierung und Politisierung des Gedenkens? – Zur Zukunft der
Erinnerungskultur an die NS-Verbrechen in Deutschland und Europa“ (Podiumsdiskussion am 18. November 2010)
42
„The Diversity of the audience – Teaching about the Holocaust at Memorial Sites,
Museums and in educational Centers“ (Tagungsbericht, August 2010)
44
Vorträge am Sonntag 2010
46
“…vor 80 Jahren …”
49
“…vor 70 Jahren …”
49
“…vor 20 Jahren …”
51
Bau- und Sanierungsmassnahmen 2010
54
Publikationen der Gedenkstätte
55
Der Trägerverein der Gedenkstätte und der internationale Beirat
56
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
57
Pressespiegel 2010 (Auswahl)
58
Kontakt (Innenseite Umschlag hinten)
Tätigkeitsbericht 2010
3
4
Tätigkeitsbericht 2010
Vorwort
Seit dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1960/61 ist
die „Villa am Wannsee“ der Inbegriff für den von
deutschen Bürokraten kaltblütig organisierten Völkermord an den Juden. Viele Juden aus aller Welt wollen
deshalb einmal in ihrem Leben diese Villa und den
Konferenzraum sehen. Darunter sind Überlebende und
Familien, die Angehörige verloren haben. Diese
Besucher wollen auch von uns wissen, wie hier junge
Deutsche über den Holocaust unterrichtet werden und
welche Konsequenzen junge Menschen daraus ziehen.
Die Gedenkstätte ist damit zugleich ein viel beachtetes
internationales Aushängeschild und ein Indikator für die
Art des Umgangs der heutigen Deutschen mit den
NS-Verbrechen geworden.
Die Gedenk- und Bildungsstätte, seit ihrer Eröffnung
1992 in hälftiger Trägerschaft vom Land Berlin und der
Bundesrepublik Deutschland, ist ein wichtiger Ort der
historischen und politischen Information über die
Verbrechen während der NS-Herrschaft in Deutschland
und Europa wie auch über die Folgen von Rassismus
und Antisemitismus. Dabei stehen die WannseeKonferenz vom 20. Januar 1942 und die Organisation
des Völkermordes an den europäischen Juden im
Mittelpunkt.
Tätigkeitsbericht 2010
Die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung
in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und im
Baltikum begann bald nach dem deutschen Angriff am
22. Juni 1941. Im Zusammenhang mit der deutschen
Kriegserklärung an die USA im Dezember 1941 gab Hitler
dem Reichsführer SS Heinrich Himmler den Auftrag zur
Deportation aller europäischen Juden im deutschen
Einflussbereich mit dem Ziel ihrer Tötung bis zum
Kriegsende.
Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard
Heydrich, der bereits die Massenmorde der Einsatzgruppen in der Sowjetunion organisiert und sich am
31. Juli 1941 vom Reichsmarschall Hermann Göring den
Auftrag zur „Endlösung der Judenfrage“ geholt hatte,
erhielt im Dezember 1941 den Auftrag zur Durchführung
der europaweiten Deportationen nach dem Osten in die
dort errichteten Ghettos und Konzentrationslager. Zur
Durchsetzung seiner alleinigen Zuständigkeit lud er zu
einer Besprechung ein, die am 20. Januar 1942 stattfand
und nach dem Ort in der Strasse am Großen Wannsee
56-58 heute die „Wannsee-Konferenz“ genannt wird.
5
Das Protokoll der Wannsee-Konferenz ragt aus der
Vielzahl der überlieferten Dokumente der Täter über die
eigenen Verbrechen heraus, weil diese „Besprechung
der Staatssekretäre“ auf hoher Hierarchieebene belegt,
was schon im Januar 1942 feststand: Die Deportation
aller Juden im deutsch beherrschten Europa sollte noch
während der andauernden militärischen Operationen
gegen die Sowjetunion erfolgen; kein Jude in Europa
sollte auf lange Sicht Deportation und Zwangsarbeit
überleben können, die “Widerstandsfähigsten“ sollten
„entsprechend behandelt“ (d. h. ermordet) werden, um
„einen neuen jüdischen Aufbau“ im Gegensatz zu
früheren Phasen der Judenverfolgung definitiv zu
verhindern (Protokoll Seite 8; die zentralen Dokumente
sind in Faksimile und Übersetzungen in vielen Sprachen
leicht erreichbar unter www.ghwk.de).
Die Teilnehmer der „Wannsee-Konferenz“ besprachen
die Zusammenarbeit ihrer jeweiligen Behörden bei der
bevorstehenden Deportation der Juden. Der SD
rechnete mit der Deportation von bis zu 11 Millionen
Menschen (Protokoll Seite 6). Die Beamten der
Ministerien erfuhren hier nicht nur das eigentliche Ziel
der Deportationen, sondern – so berichtete Eichmann in
Jerusalem – auch Einzelheiten der seit 1941 erprobten
Mordmethoden, die sie unter Konsum alkoholischer
Getränke und beim Verzehr eines zweiten Frühstücks
lebhaft begrüßten. Sie machten Vorschläge im Interesse
ihrer Dienststellen.
6
Tätigkeitsbericht 2010
So bat der Vertreter der deutschen Regierung im
besetzten Polen mit der „Endlösung“ im Generalgouvernement zu beginnen (Protokoll Seite 14f). Kein
Konferenzteilnehmer meldete grundsätzliche Bedenken
an gegen diese Verabredung zu einem bis dahin
unvorstellbaren Staatsverbrechen. Von den insgesamt
15 Konferenzteilnehmern waren sieben promovierte
Juristen und stammten aus „guten“, auch christlichen
Elternhäusern.
Der ungeheuerliche Konferenzgegenstand wurde von
Adolf Eichmann im Bürokratendeutsch als Ergebnisprotokoll festgehalten. Ungeachtet der üblichen
Tarnsprache sollten nämlich die Teilnehmer als
Mitwisser und Mitverantwortliche durch eindeutige
Formulierungen „festgenagelt“ werden. Eine Staatssekretärskonferenz war für Heydrich die höchste
erreichbare interministerielle Ebene, denn Kabinettssitzungen fanden schon seit Jahren nicht mehr statt und
Hitler hatte den Ministern ein Treffen hinter seinem
Rücken verboten.
Die Wannsee-Konferenz war nicht der Zeitpunkt und Ort
der Entscheidung zur Ermordung aller Juden – diese
Entscheidung fiel vorher mündlich durch Hitler im engen
Führungskreis –, sondern es handelte sich um eine
Organisationskonferenz auf Staatssekretärsebene.
Durch diese Konferenz wurden der gesamte deutsche
Staatsapparat und seine leitenden Beamten zu
Mitwissern und Mittätern beim Völkermord an den
Juden.
Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 steht
heute als Symbol für den bürokratisch, arbeitsteilig und
mit dem gesamten Machtapparat eines modernen
Staates geplanten und durchgeführten Völkermord. Aus
den zuvor schon stattgefundenen grauenhaften
Massenmorden wurde ein systematischer Genozid an
den europäischen Juden, dessen konkrete Umsetzung
auch im besetzten West- und Süd-Europa unmittelbar
nach der Wannsee-Konferenz begann.
Die Ausstellung
Die Ausstellung im Erdgeschoß des Hauses, in dem die
Wannsee-Konferenz stattfand, thematisiert nicht nur die
Organisation der Verbrechen und die Geschichte der
Täter, sondern sie fragt auch nach dem Verhalten der
Zuschauer und nach den Handlungsspielräumen. Juden
werden nicht nur als Opfer, sondern – soweit sie eine
Chance dazu hatten – als Handelnde gezeigt. Das
Schicksal von vier jüdischen Familien, die in der großen
Eingangshalle vorgestellt werden, wird über mehrere
Themenräume verfolgt. Die einzige Überlebende einer
polnischen Familie, Frau Esther Reiss geb. Yoskowitz,
schildert ihre Erlebnisse eindrucksvoll in zwei Videostationen. Es hat sich bewährt, besonders bei
Führungen und Seminaren mit jüngeren Schülern, von
einem konkreten Einzelschicksal auszugehen.
Tätigkeitsbericht 2010
Es soll damit ein multiperspektivischer Zugang zu den
Ereignissen ermöglicht werden. Audio-, Video- und
Lesestationen in den verschiedenen Räumen bieten die
Möglichkeit zur vertieften Information.
Die historische Ausstellung ist in sechzehn Themenräume gegliedert (vgl. Kasten mit Grundriss, Seite 8).
Beginnend mit den vier jüdischen Familiengeschichten
und einer Karte zur jüdischen Bevölkerung in Europa,
mit Informationen über die christliche Judenfeindschaft,
Emanzipation, Rassismus und Eugenik, wird die
Erfolgsgeschichte der Integration der Juden in der
Gesellschaft der Weimarer Republik vorgestellt –
kontrastiert mit dem Aufstieg der NSDAP. Der Raum für
die Vorkriegsphase im NS-Deutschland thematisiert die
Konstituierung der „Volksgemeinschaft“ und verweist auf
die davon Ausgeschlossenen, zeigt die jüdische Selbstbehauptung und Selbsthilfe und leitet mit dem Krankenmord („Euthanasie“) zur Vernichtungspolitik im Krieg
über. Der Kriegsverlauf in Polen, der UdSSR und auf
dem Balkan zeigt die Eskalationsstufen bis zum systematischen Massenmord an den sowjetischen Juden und
das Zusammenspiel von Einsatzgruppen und Wehrmacht. Die vorgestellten kritischen deutschen Stimmen
und die deutschen Judenretter verdeutlichen die
ungeachtet aller Propaganda durchaus vorhandene
Möglichkeit der Wahrnehmung der Vorgänge als ein
ungeheures Verbrechen.
7
Die von Besuchern angesichts der Dokumente und
Fotos in der Ausstellung am häufigsten gestellte Frage
lautet: Was haben die durchschnittlichen Deutschen
vom Judenmord gewusst? Dazu versucht der Raum 7
Antworten zu geben. Er zeigt anhand von Videos und
Zeitungstexten, dass der Massenmord nicht nur
öffentlich angekündigt, sondern auch dessen laufender
Vollzug öffentlich gemeldet wurde. Die Beschreibung
der Ereignisse vor der Wannsee-Konferenz mit der
Verdeutlichung der Diskrepanz von öffentlicher
Ankündigung und Bestätigung des Judenmords bei
gleichzeitig versuchter Geheimhaltung der Details leitet
über zur Information über Personen und Ämter, die bei
der Wannsee-Konferenz vertreten sind. Der Raum 9,
das ehemalige Speisezimmer der Industriellenvilla, ist
als historischer Raum der Staatssekretärs-Besprechung
über die „Endlösung der Judenfrage“ ganz diesem
Ereignis gewidmet.
Der Raum wird dominiert von einer Tischvitrine mit einer
Kopie des Konferenzprotokolls und zeigt die zentralen
Dokumente aus dem Reichssicherheitshauptamt mit der
Beauftragung Reinhard Heydrichs zur Deportation aller
europäischen Juden. Im unmittelbar anschließenden
Raum 10, dem Wintergarten, befinden sich Hörstationen, die Adolf Eichmanns Ausführungen zur
Wannsee-Konferenz und seiner eigenen Funktion im
Originalton und in Englisch vorgelesen anbieten. Es
folgen die Räume mit Informationen über die unmittelbar
nach dem 20. Januar 1942 beginnenden Deportationen
von Juden aus West-, Nordund Südeuropa, die Räume zu den Ghettos und
Lagern. Der Raum 15 mit dem Titel „Die Gegenwart der
Vergangenheit“ soll anregen zum Nachdenken über die
auch nach der Befreiung fort-dauernden
Beschädigungen der Überlebenden und deren Kinder
und sogar Enkel.
Dr. Norbert Kampe,
Leiter der Gedenkstätte
8
Tätigkeitsbericht 2010
DDDie AusstellungDD
Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden
Raumplan der Ausstellung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
Einführung in die Ausstellung
Rassismus und Judenfeindschaft
Integration und Antisemitismus in der Weimarer Republik
Rassistische Politik und Judenverfolgung in Deutschland 1933-1939
Krieg und Völkermord im Ost- und Südosteuropa
Handlungsspielräume unter deutscher Besatzung
Der Weg zum Völkermord
An der Konferenz beteiligte Behörden
Die Wannsee-Konferenz
Konferenz-Teilnehmer und Protokoll nach 1945
Deportationen
Die Ghettos
Konzentrations- und Todeslager
Zwangsarbeit und Tod im KZ
Die Gegenwart der Vergangenheit
Bisher nur im Katalog:
16
Villa und SD in Wannsee
Tätigkeitsbericht 2010
9
Bericht des Leiters der Gedenkstätte
Die Besucherstatistik
Die beigefügte Jahresstatistik 2010 gibt detailliert
Auskunft über die Anzahl der Besucher und über die
Frequenzen innerhalb des pädagogischen Angebots. Im
Jahre 2010 haben insgesamt 106.177 Personen die
Gedenk- und Bildungsstätte besucht. Im Vergleich zu
den 104.400 Besuchern im Jahre 2008 und zu den
93.600 Besuchern im Jahre 2009 - durch den monatelangen Ausfall der S-Bahnverbindung aus der Innenstadt nach Berlin-Wannsee kam es in 2009 zu einem
Besucherrückgang – zeigt sich die Frequenz wieder auf
hohem Niveau stabilisiert. Nur im Jahr 2006 war die
Besucherzahl mit 108.437 höher.
Im Jahre 2010 fanden 891 Führungen in der Ausstellung statt. Es fanden 309 Studientage, 79 Kleingruppenarbeiten und 22 sonstige Veranstaltungen statt.
Der auch im Ausland verbreitete gute Ruf der Gedenkstätte schlägt sich im Anteil von nunmehr 60% nichtdeutschen Besuchern (von allen pädagogisch betreuten
Besuchern) nieder. Der Anteil von ausländischen
Besucherinnen und Besuchern ist seit dem Jahre 2000
(30%) kontinuierlich gestiegen; er lag erstmal 2005 und
2006 bei 50%. Der Anteil ausländischer Besucherinnen
und Besucher wäre noch deutlich größer, wenn wir die
Herkunft der nicht pädagogisch betreuten touristischen
Einzelbesucher statistisch erfassen könnten.
10 Tätigkeitsbericht 2010
Zahlenmäßig führend sind bei den betreuten Gruppen
derzeit Besuchergruppen aus Israel (2010 mit 13.627
Personen) und aus Großbritannien (2010 mit 7.643
Personen); dicht gefolgt von vor allem jüdischen
Besuchern aus den USA (2010 mit 1.442 Personen).
Die Ausstellung ist deshalb von vornherein gleichberechtigt in deutscher und englischer Sprache
gestaltet.
Deutsche, hebräische und englische Kataloge liegen
vor, welche die gesamte Ausstellung mit allen Texten
und Objekten dokumentieren. Kurzgefasste Katalogbroschüren mit den wichtigsten Dokumenten und
Informationen liegen in Spanisch, Französisch,
Griechisch, Niederländisch, Polnisch und Russisch vor.
Die im Foyer kostenlos erhältlichen Informationsblätter
zur Ausstellung und zur Hausgeschichte bieten noch
weitere Sprachen an.
Eine Mappe in Brailleschrift mit wichtigen Dokumenten
zur Wannsee-Konferenz kann an der Rezeption
entliehen werden.
Führungen und Seminare können in vielen europäischen Sprachen und in Hebräisch stattfinden. Die
beigefügte Statistik schlüsselt den Spracheinsatz weiter
auf.
Die „Ständige Konferenz der Leiter
der NS-Gedenkorte im Berliner
Raum“
Der Leiter der Gedenkstätte Haus der WannseeKonferenz war im Jahre 2010 als Gründungsdirektor der
„Ständigen Konferenz der NS-Gedenkstätten im Berliner
Raum“ besonders gefordert. Die Aufgaben der
Ständigen Konferenz mussten in Kooperation mit den
Gedenkstättenleitern definiert und die Geschäftsführerin eingearbeitet werden.
Der „Ständigen Konferenz” gehören die Leiter der
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der WannseeKonferenz (Dr. Norbert Kampe), der Topographie des
Terrors (Prof. Dr. Andreas Nachama), der Stiftung
Denkmal für die ermordeten Juden Europas (Uwe
Neumärker), der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
(Prof. Dr. Johannes Tuchel) und der Gedenkstätte und
Museum Sachsenhausen (Prof. Dr. Günter Morsch) an.
Es haben sich folgende Aufgabenbereiche für die
Ständige Konferenz herauskristallisiert: Weiterentwicklung der Internetseite „Orte der Erinnerung“ zum
zentralen Internetportal für die Gedenkstätten in Berlin
und Brandenburg, eine Veranstaltungsreihe zur
Erinnerungskultur in Deutschland und Europa, die
Koordination und der Abgleich von Veranstaltungen
sowie die interne Fortbildung von Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter (Know-how-Transfer). Mit diesen Projekten
wird das Ziel verfolgt, für die Besucherinnen und
Besuchern der Einrichtungen ein verbessertes Serviceangebot zu erzielen, die Zusammenarbeit der Leiter
sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu intensivieren und die gemeinsame Außendarstellung der
Gedenkstätten zu verbessern.
In der Geschäftsordnung wurde festgelegt, dass Treffen
nicht nur auf Leiterebene, sondern auch auf Mitarbeiterebene stattfinden können. Arbeitsgruppen können
bei Bedarf projektorientiert und/oder dauerhaft eingerichtet werden. 2010 gab es neben den regelmäßigen
Treffen der fünf Gedenkstättenleiter unter der Leitung
der koordnierenden Assistentin insgesamt drei Treffen
auf Mitarbeiterebene: ein Treffen der für Internet und
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Zuständigen, ein
Treffen für die Gedenkstättenbibliothekarinnen und
-bibliothekare und ein Treffen der Leiterinnen und Leiter
der Bildungsabteilungen. In den Arbeitsgruppen wurden
u. a. Vorschläge für die Weiterentwicklung der Webseite
„Orte der Erinnerung“ und für die Produktion neuer
Inhalte diskutiert und erarbeitet, mögliche gemeinsame
Projekte diskutiert, Erfahrungen ausgetauscht und die
Vernetzung intensiviert. Zur Verbesserung der internen
Veranstaltungskoordination wurde auf der Webseite
„Orte der Erinnerung“ eine aktuelle Rubrik eingerichtet,
in der die Planungen für Veranstaltungen eingetragen
werden. Die Weiterentwicklung der Webseite und die
Stärkung der gemeinsamen Präsentation wurden von
den Nutzerinnen und Nutzern angenommen.
Tätigkeitsbericht 2010
Die Besucherzahlen der Webseite nahmen 2010
- parallel zu den Änderungen in der Struktur von „Orte
der Erinnerung“, der Schaffung einer größeren
Übersichtlichkeit, der Pflege des Veranstaltungskalenders, der Bereitstellung neuer Inhalte und das
Angebot in englischer Sprache - eine erfreuliche
Entwicklung: Insgesamt konnten die Besucherzahlen im
Durchschnitt innerhalb nur eines Jahres verdreifacht
werden (November 2009: 2.735 Besuche im Monat,
November 2010: 8.053 Besuche im Monat). Es lässt
sich bereits jetzt feststellen, dass der positive Trend
auch im neuen Jahr weiter anhält.
Geplant ist, die Webseite auch zukünftig zu verbessern
und die Nutzerfreundlichkeit zu erhöhen. Insbesondere
ist vorgesehen, die Rubrik „Bildungsangebote“ im Jahr
2011 weiter auszubauen und kombinierte Angebote
mehrerer Gedenkstätten für Schulklassen und andere
Gruppen zu entwickeln. Auf diese Weise wird die
Webseite ihre Portalfunktion vor allem im eher unübersichtlichen Bildungsbereich weiter stärken können.
Die Broschüre „Orte der Erinnerung“ stellt eine Übersicht über 14, zukünftig 15 (mit dem Anne-FrankZentrum) Einrichtungen zur Geschichte der NS-Diktatur
in Berlin und Brandenburg dar. Aufgrund der großen
Nachfrage der Broschüre ist die erste Auflage in Höhe
von 40.000 Exemplaren (Sommer 2009) bei den
meisten Einrichtungen bereits vergriffen. Da die
Broschüre für die Besucherinnen und Besucher eine
wichtige Orientierungshilfe bietet und sie für die
gemeinsame Außendarstellung der Gedenkstätten,
Museen und Dokumentationszentren eine wichtige Rolle
einnimmt, plant die Ständige Konferenz eine zweite
Auflage der Broschüre. Aufgrund der internationalen
Besucherstruktur der Einrichtungen wird es außerdem
als sehr wichtig angesehen, die Broschüre auch in
englischer Sprache anzubieten.
Um das Serviceangebot für Interessierte zu erweitern
und die gemeinsame Außendarstellung der Gedenkstätten zu verbessern, entschied die Ständige
Konferenz, bei wichtigen Gedenktagen eine gemeinsame Veranstaltungsübersicht zu erstellen. Daher
erarbeitete die koordinierende Assistentin anlässlich des
Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am
27. Januar 2011 eine Übersicht über die geplanten
Veranstaltungen der verschiedenen Einrichtungen zur
Geschichte der NS-Diktatur und bezog auch die
Veranstaltungen der Opferverbände mit ein. Diese
Übersicht wurde u. a. zusammen mit den Einladungen
zur Gedenkfeier anlässlich des 27. Januar im Berliner
Abgeordnetenhaus im Dezember 2010 verschickt.
Außerdem ist sie als Download auf „Orte der
Erinnerung“ verfügbar und wird regelmäßig aktualisiert.
11
Die Leiter der Einrichtungen der Ständigen Konferenz
haben sich darauf verständigt, dass bei gemeinsamen
Projekten und Veranstaltungen Themen behandelt
werden sollen, die für die Gedenkstätten von übergreifender Bedeutung sind. Dazu gehören die aktuellen
Entwicklungen in der Erinnerungskultur in Deutschland
und Europa.
Als Auftaktveranstaltung wurde eine Podiumsdiskussion
zu „Politisierung und Zentralisierung des Gedenkens?
Zur Zukunft der Erinnerungskultur in Deutschland und
Europa“ gewählt. Es ist geplant, die Veranstaltungsreihe
im Frühjahr 2011 fortzusetzen.
Für den Bereich der Pädagogik vereinbarte die Ständige
Konferenz einmal im Jahr für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Einrichtungen eine halbtägige pädagogische Fortbildung anzubieten. Die grundlegende
Idee solcher Veranstaltungen ist es, die pädagogische
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Wissen von
Pädagogen/innen, die bestimmte inhaltliche Schwerpunkte haben, teilhaben zu lassen und den Erfahrungsaustausch zu intensivieren.
Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die
Einrichtungen ein qualifiziertes Bildungsangebot
bereitstellen können, das sich jeweils am neuesten
Stand der Forschung orientiert. Das Thema der ersten
Fortbildung betraf Führungen von multikulturell
zusammengesetzten Gruppen. Die Fortbildung stieß bei
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf eine außerordentlich positive Resonanz: So nahmen über 60
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 11 Einrichtungen
daran teil. Neben Vorträgen der drei Referenten und
einer anschließenden Diskussion wurden drei Arbeitsgruppen gebildet, in denen verschiedene Aspekte des
Themas weiter vertieft und intensiv diskutiert wurden.
Die große Resonanz zeigte, dass eine verbesserte
Kooperation zwischen den Gedenkstätten nicht nur
extern, sondern auch intern sehr positiv wahrgenommen
wird.
Besondere Veranstaltungen
Am 20. Januar 2010 – dem Gedenktag an die
Konferenz im Jahre 1942 – wurde die Vortragsreihe
mit Zeitzeugen fortgesetzt. Herr Salle Fischermann
berichtete von der deutschen Besatzung in Dänemark
und von seiner Deportation nach Theresienstadt.
Das Gespräch wurde im Newsletter 19 der Gedenkstätte dokumentiert:
(http://www.ghwk.de/newsletter/newsletter19.pdf).
Neben der inhaltlichen Arbeit des Leiters an der Konzeption und Weiterentwicklung der Gedenkstätte fällt
diesem auch die Aufgabe der Planung besonderer
Veranstaltungen und der Betreuung besonderer
Besucher(gruppen) zu (VIPs'). An besonderen
Besuchern und Gruppen aus Politik und Öffentlichkeit
im Jahre 2010, mit denen Gespräche über den Holocaust, über die deutsche Erinnerungskultur seit 1945,
über Nachwirkungen des NS oder über das pädagogische Konzept der Gedenkstätte geführt wurden,
seien beispielsweise Besucher genannt:
-
-
-
S.E. der Vorsitzende des National Council of
Provinces (NCOP) Südafrikas in Begleitung
einer Delegation südafrikanischer Parlamentarier
(Kooperation mit den Deutschen Bundesrat).
Besuch des israelischen Außenministers Avigdor
Lieberman und Vertretern der israelischen
Botschaft und des Auswärtigen Amtes zu
Führung und Gespräch.
Morris Rosenberg, stellvertretender Außenminister Kanadas zu Führung und Gespräch.
Douglas Davidson, Beauftragter der amerikanischen Regierung für Holocaust zu Führung
und Gespräch.
Gespräch und Interview für das polnische
öffentlich-rechtliche Fernsehen: Beitrag für die
Hauptnachrichten zum Thema „EichmannAkten“, Dreharbeiten in der Ausstellung.
-
Die amerikanische Nachrichtenagentur Bloomberg,
Chefredakteur Matt Winkler.
Die Auslandsredaktion der Zeitung Asahi
Shimbun/Japan in Kooperation mit dem GoetheInstitut mit einer Führung und dem Gespräch über
Aufbau und Arbeit der Gedenkstätte.
In Kurzform: Eine Delegation von Militärs aus Pakistan
(Kooperation Bundesministerium der Verteidigung).
Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Mailand/Italien, das
Cohen Center for Holocaust & Genocide Studies in Keene
New Hampshire/USA. New York Federation of Jewish
Organisation, Gespräch über deutsche Gedenkkultur.
Gäste des israelischen Botschafters. Holocaust Museum
Houston Emanuel Katzin aus Houston, Texas/USA zu
Führung und Gespräch. Soochow Universität in
Taipei/Taiwan, Filmaufnahmen und Interview für ein
Forschungsprojekt zum Thema: „Täterorte als Gedenkstätten zum Zweck der Menschenrechtsbildung“. Jüdische
Erwachsene aus GB und den USA mit 15 Rabbinern.
Bundesrechtsanwaltskammer - Delegation der Israel Bar
(junge israelische Anwälte). Von der Humboldt-Universität
Berlin war Professor Wildt mit 50 Studenten zu einem
Seminartag über die pädagogische Arbeit und die
Konzeption der Ausstellung im HWK. Das Steering
Committee des Museum of Jewish Heritage New
York/USA und 36 amerikanische Studenten von Medical
Schools und Law Schools haben an Seminaren über
Geschichte und Ethik medizinischer und juristischer
Professionen teilgenommen. Der Lehrkörper der Baltimore
Hebrew University/USA zu einem Seminartag.
Seit mehreren Jahren besuchen regelmäßig acht
israelische Gruppen von Soldaten und Offizieren im
Rahmen des Programms „Witnesses in Uniform“ das
Haus der Wannsee-Konferenz: Einführung im historischen
Konferenzraum in die Geschichte und Bedeutung der
Wannsee-Konferenz sowie in die pädagogische Arbeit der
Gedenkstätte.
Dr. Norbert Kampe
Leiter der Gedenkstätte
12 Tätigkeitsbericht 2010
1. November 2010 – Besuch des stellvertretenden
Außenministers Kanadas, Morris Rosenberg
Morris Rosenberg (Mitte), stellvertretender
Außenminister von Kanada
6. März 2010 – Besuch des
Chairman of the National Council
of Provinces/South Africa,
Mninwa Jonathan Mahlangu
Tätigkeitsbericht 2010
13
Bildungsabteilung
- Bericht über das Jahr 2010
Mehr als 30.000 Besucher (von insgesamt über
106.000) haben im Jahr 2010 an einer Führung oder
einer umfangreicheren Bildungsveranstaltung im Haus
der Wannsee-Konferenz teilgenommen. Für Einzelbesucher am Wochenende wurde ein neues, den
Bedürfnissen dieser Besuchergruppe besser angepasstes Konzept entwickelt: einstündige Veranstaltungen mit der Option weiterer Begleitung, falls keine
anderen Besucher warten. Die Zahl derjenigen, die
dieses Angebot annahmen, stieg um mehr als ein
Drittel. Der Anteil ausländischer Gäste unter den
Gruppenbesuchern ist weiter gewachsen, auf nunmehr
60 %. Die durch die Raumsituation gegebene Kapazitätsgrenze wurde erneut durch die in etwa gleichbleibende Zahl der Studientage bestätigt. Der folgende
Rückblick auf die Aktivitäten der Bildungsabteilung des
Hauses der Wannsee-Konferenz zielt nicht auf Vollständigkeit, sondern nennt besonders bemerkenswerte
Veranstaltungen und neuere Entwicklungen.
Bildungsangebot für Schulen
Auf der Website des Hauses ist die Darstellung des
Bildungsangebots für Schulen durch detailliertere
Angaben zum Inhalt und zur Methodik von Studientagen
zu diversen Themen ergänzt worden. Das dürfte dazu
beigetragen haben, dass vermehrt Themen gewählt
worden sind, für die es früher seltener Interessenten
gab, z. B. „’Arisierung’ jüdischen Besitzes“, „der Beitrag
der Justiz zur Judenverfolgung“, „Medienpolitik und
Propaganda“ oder „Musik im Nationalsozialismus“. Viele
Gruppen sind bei Studientagen im Haus der WannseeKonferenz auf Studienreisen und Besuche in KZGedenkstätten vorbereitet worden, am häufigsten für die
Gedenkstätte Auschwitz, aber auch für Mauthausen,
Ravensbrück und Sachsenhausen.
14 Tätigkeitsbericht 2010
Zahlreiche Studientage sind von einer Kollegin und
einem Kollegen geleitet worden, die Konzepte zur
Verbindung von historischer Bildung zur NS-Geschichte
und Menschenrechtserziehung erproben.
Im Rahmen eines von der Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) geförderten Projekts
mit dieser Zielsetzung wurden auch eine zweitägige
Veranstaltung auf der Lichtenburg und eine Lehrerfortbildung durchgeführt. Nicht nur deutsche, sondern
auch britische, dänische und österreichische Schulklassen haben an Studientagen im Haus der WannseeKonferenz teilgenommen.
Mehrere Gruppen von Lehramtsanwärtern, Studienreferendaren und voll ausgebildeten Lehrern ließen sich
über die Arbeit des Hauses informieren und diskutierten
Probleme des pädagogischen Umgangs mit der
Geschichte der NS-Verbrechen. Erwähnenswert ist
darüber hinaus eine Veranstaltung mit Schulaufsichtsbeamten, die für die deutschen Schulen im
Ausland zuständig sind.
Auch zur außerschulischen Bildung fanden wieder
zahlreiche Veranstaltungen statt. Im Rahmen eines
langfristigen Projekts einer Mitarbeiterin mit dem Titel
„Zugangsmöglichkeiten zur Verfolgungsgeschichte der
europäischen Juden für Jugendliche mit Migrationshintergrund“ wurden mehrere Veranstaltungen in Berlin
und eine Bildungsreise durchgeführt. Das Projekt wurde
mit einer öffentlichen Präsentationsveranstaltung
abgeschlossen und wird derzeit wissenschaftlich
ausgewertet.
Ein Studientag wurde auf Bitten der Kreuzberger
Initiative gegen Antisemitismus für Jugendliche meist
palästinensischer Herkunft durchgeführt. Dabei wurde
der vom Haus der Wannsee-Konferenz herausgegebene „Dokumentenkoffer für eine interkulturelle
Pädagogik zum Nationalsozialismus -’GeschichteN
teilen’“ eingesetzt. Auch Väter palästinensischer
Herkunft, die der Verein Karame über seinen „Vätertreff“
erreicht, nahmen an einem Studientag zur Shoah teil.
Multiplikatoren in der außerschulischen
Bildung
An professionelle Multiplikatoren in der außerschulischen Bildung waren Studientage mit Pädagogen und
Pädagoginnen adressiert, die in der "Task Force
Education on Antisemitism“ mitarbeiten, sowie mit
Referenten der Jugendverbände des Volksbunds
Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Um Fragen der Gedenkstätten- und Museumspädagogik
ging es bei einer Veranstaltung mit pädagogischen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stiftung Denkmal
für die Ermordeten Juden Europas.
Außerordentlich großen Zuspruch fand eine Fortbildungsveranstaltung im Haus der Wannsee-Konferenz
für Pädagogen der Einrichtungen der ständigen
Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner
Raum. Die Fortbildungsveranstaltung hatte „Führungen
von multikulturell zusammengesetzten Gruppen“ zum
Thema. Bei dieser Gelegenheit fand auch eine
Besprechung der pädagogischen Leiterinnen und Leiter
dieser Einrichtungen statt, die dem Erfahrungsaustausch und der Intensivierung der Zusammenarbeit
diente.
Universitäten und Hochschulen
Mit Studierenden und Hochschullehrern von Universitäten und Hochschulen in Deutschland (FU Berlin,
HU Berlin, Göttingen, Marburg und Rostock), aus den
USA (Yale, Luther University, Stockton College),
Großbritannien (Royal Holloway College), Australien
(Nagle College Sydney) und der Schweiz (PH St.
Gallen) wurden (zumeist ganztägige) Veranstaltungen
durchgeführt. Während diese Seminare in der Regel auf
Initiative der Hochschullehrer zustande kamen, wurde
ein Studientag von der studentischen Fachschaft des
Masterstudiengangs Erwachsenenbildung an der
Humboldt-Universität Berlin initiiert. Die vier Studientage
im Rahmen eines „Fellowships at Auschwitz for the
Study of Professional Ethics“, an denen Studierende der
Fächer Medizin, Jura, Journalismus und Theologie
teilnahmen, fanden im Rahmen eines Pilotprojekts statt,
das in ein größeres Projekt münden wird.
Psychotherapeuten, Kunsttherapeuten und Museologen, die in der Belfaster Organisation „Healing through
Remembering“ zusammenarbeiten, nahmen an einem
Studientag zur Erinnerungskultur teil. Außerdem wurde
ein mehrtägiger Studienaufenthalt der Gruppe „Citoyens
contre Racisme“ aus Cabestany in Frankreich begleitet,
der die Teilnehmenden auch ins Haus der WannseeKonferenz führte.
Erwähnenswert sind zudem Veranstaltungen mit
Mitarbeitern Niederländischer Museen sowie mit
israelischen und palästinensischen Akademikerinnen
und Akademikern, die sich auf Einladung des
Hamburger Instituts für Sozialforschung mit
„Erinnerungskultur und Erinnerungskonkurrenzen“
in Berlin“ befassten.
Hochrangige spanische Juristen, darunter
ein früherer Justizminister, kamen über
die Casa Sefarad Israel, Madrid, ins Haus
und nahmen darüber hinaus an einem
Symposium in der Humboldt-Universität
teil, das von der Bildungsabteilung in
Kooperation mit dem Lehrstuhl für
Internationales Strafrecht organisiert
worden ist.
Slowakische Lehrerinnen und Lehrer in der Ausstellung
Ein Schwerpunkt lag auch im Jahr 2010 auf der
Bildungsarbeit mit Multiplikatoren aus dem Ausland.
Eintägige Veranstaltungen wurden mit internationalen
Stipendiaten der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung,
Zukunft“ (EVZ) und mit internationalen Stipendiaten des
Deutschen Bundestags durchgeführt. Lehrkräfte aus
den USA nahmen im Rahmen von Studienreisen, die
vom US Holocaust Memorial Museum in Washington
DC, von der Jewish Foundation for the Righteous, New
York, bzw. vom Goethe-Institut veranstaltet wurden, an
Studientagen teil. Auch mit Lehrkräften aus Irland und
aus Schweden sowie mit einer großen Gruppe
tschechischer Lehrkräfte, deren Studienreise von der
Gedenkstätte Theresienstadt organisiert war, wurden
Studientage durchgeführt.
Tätigkeitsbericht 2010
Weit umfangreicher waren die Fortbildungsveranstaltungen, die in Kooperation mit dem Russischen Holocaust
Zentrum Moskau für russische und
ukrainische Lehrkräfte, mit dem Holocaust Memorial Center Budapest für
ungarische Lehrkräfte, mit dem Holocaust Documentation Center Bratislava für slowakische Lehrerinnen
und Lehrer sowie für Lehrkräfte aus allen Woiwodschaften Polens durchgeführt wurden. Sie nahmen bis
zu sechs Tagen in Anspruch und schlossen den Besuch
in anderen Einrichtungen ein, die sich in Berlin und
Umgebung mit der Geschichte der NS-Verbrechen
befassen. Alle diese Veranstaltungen wurden in der
Muttersprache der Teilnehmenden bzw. mit Simultanübersetzung durchgeführt. Auch ein mehrtägiges
Seminar für Pädagogen des „Forums für Dialog
zwischen den Völkern“, Warschau hatte Multiplikatoren
als Adressaten.
15
Doch handelt es sich in diesem Fall nicht um Lehrer,
sondern um fortgeschrittene Studierende, die an
polnischen Schulen Veranstaltungen und Wettbewerbe
zur polnisch-jüdischen Geschichte und zu den polnischisraelischen Beziehungen durchführen, nachdem sie
von Historikern intensiv vorbereitet worden sind. Wie
unsere anderen Kooperationspartner hat das „Forum für
Dialog zwischen den Völkern“ großes Interesse an der
Fortsetzung der Zusammenarbeit geäußert.
Einen Höhepunkt der internationalen Zusammenarbeit
bildete ein zweieinhalbtägiges Symposium von
Gedenkstätten- und Museumsmitarbeiterinnen und mitarbeitern aus Israel, Polen, den Niederlanden, der
Schweiz, Südafrika, den Vereinigten Staaten, dem
Vereinigten Königreich und Deutschland unter dem Titel
“The diversity of the audience. Teaching the Holocaust
at memorial sites and in classrooms”. Das Symposium
schloss an eine Tagung in Amsterdam an, deren
Ergebnisse inzwischen in der Zeitschrift Intercultural
education (21. Jg. (2010) suppl. S1) veröffentlicht
worden sind.
In diesem Zusammenhang sei auch der vom deutschen
Auswärtigen Amt organisierte Besuch einer Delegation
der OECD erwähnt. Der Toleranzbeauftragte widmete
der Bildungsarbeit mit nichtdeutschen Jugendlichen im
Haus der Wannsee-Konferenz eine längere Passage in
seinem offiziellen Bericht.
Berufsgruppenbezogene Angebote
Die berufsgruppenbezogenen Angebote der Gedenkund Bildungsstätte fanden wieder den meisten Zuspruch
bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Heil- und
Pflegeberufe, für die 28 Studientage durchgeführt
wurden, darunter mehrere für Fachkräfte, die in der
Ausbildung tätig sind. Je zwei Studientage zur Berufsgeschichte von Erziehern und Sozialarbeitern wurden
mit Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule in
Berlin und der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit
der Hochschule für angewandte Wissenschaft und
Kunst Hildesheim durchgeführt. Von Seiten beider
Hochschulen besteht großes Interesse an der Fortsetzung der Zusammenarbeit. Soldaten und Offiziere
der Bundeswehr nahmen an 13 Studientagen teil; die
meisten dieser Gruppen wurden über das Ausbildungszentrum „Politische Bildung“ des Marineamts Berlin
angemeldet. Im Bereich der Justiz wurden sechs
Studientage für jeweils 30 bis 35 Referendare veranstaltet, die alle von zwei freien Mitarbeitern geleitet
wurden, die selbst Juristen sind. Auf Wunsch der
Bildungsstätte Justizvollzug wurden im Rahmen der
Ausbildung des mittleren allgemeinen Vollzugsdienstes
10 Studientage durchgeführt.
Wie in früheren Jahren fanden wieder Studientage in
Kooperation mit der Akademie Auswärtiger Dienst sowie
auf Bitten des Auswärtigen Amtes mit jungen Diplomaten aus dem Irak statt. Die schon mit der Einrichtung
der Gedenk und Bildungsstätte begründete Tradition der
Wochenseminare für Mitglieder der Gewerkschaft Verdi
aus dem ganzen Bundesgebiet sowie zusätzlich einem
Wochenseminar speziell für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Finanzverwaltung aus Berlin wurde
ebenfalls fortgesetzt.
16 Tätigkeitsbericht 2010
Um die Verantwortung von Mitarbeitern der öffentlichen
Verwaltung im Nationalsozialismus ging es auch bei
einem Studientag mit Gewerkschaftsmitgliedern, die
dem Bezirk Ver.di Nord angehören.
Auch 2010 organisierte eine Mitarbeiterin der
Bildungsabteilung im Herbst wieder eine an Einzelbesucher adressierte Reihe von vier öffentlich
angekündigten Fachvorträgen von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und anderen Experten.
Dabei fand ein Gespräch mit Reinhard Strecker, einem
Pionier der Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen, die größte Publikumsresonanz.
Schließlich seien Fortbildungsveranstaltungen für
freie und feste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
erwähnt. Alle drei Monate kamen Interessierte unter
Anleitung eines erfahrenden Pädagogen für einen Tag
zusammen, der der Reflexion über die Arbeit und der
kollegialen Beratung gewidmet war. Außerdem wurde
eine Studienreise nach Polen durchgeführt, bei der in
einem Tagungshaus anderthalb Tage lang sehr intensiv
über bewährte und neue pädagogische Konzepte im
Haus der Wannsee-Konferenz beraten wurde; daran
schloss sich ein Besuch von Gdansk und der KZGedenkstätte Stutthof an.
Die Bildungsarbeit des Hauses der Wannsee-Konferenz
und die hier angestellten Überlegungen zum Umgang
mit dem Nationalsozialismus und zur Gedenkstättenpädagogik wurden wieder durch zahlreiche Vorträge und
Workshops außerhalb des Hauses bekanntgemacht.
Ein Vortrag bei der vom Jugendgästehaus Dachau
organisierten Tagung „Beruf Gedenkstättenpädagoge/in” in der Tagungsstätte Guthäusern skizzierte den
gegenwärtigen Stand der Gedenkstättenpädagogik.
Fragen der Erinnerungskultur und Geschichtsvermittlung
waren ein Vortrag vor Menschenrechtsaktivisten aus
Serbien in der Europäischen Akademie und ein Workshop bei einer Tagung des Deutsch-Französischen
Jugendwerks in Dresden gewidmet.
Zahlreiche Beiträge bei verschiedenen Gelegenheiten
befassten sich mit der Erinnerung an die NS-Verbrechen
in der heutigen multikulturellen Gesellschaft: bei einer
vom American Jewish Committee organisierten
Veranstaltung für Freiwillige aus Berliner Gedenkstätten,
bei einem „Praxistag“ des Projekts „amira – Antisemitismus im Kontext von Migration und Rassismus“, bei
einer deutsch-israelischen Tagung zum Thema
„Historisch-politisches Lernen in Multi-MinoritätenGesellschaften: Praktische und theoretische Aspekte“,
bei einem Fachgespräch des Vereins „Gegen
Vergessen - Für Demokratie e.V.“, bei einem Podiumsgespräch im Jüdischen Museum Berlin, beim 54.
Bundesweiten Gedenkstättenseminar in Schwerin, bei
einer Veranstaltung des Projekts „Entrechtung als
Lebenserfahrung“ in der Gedenkstätte Bergen-Belsen
sowie bei einem Seminar des Mauthausen Komitees
Stuttgart e.V.
Um „Herausforderungen und Möglichkeiten einer
Pädagogik gegen Antisemitismus“ ging es in einem
Vortrag an der Evangelischen Akademie Loccum.
Die Frage, ob und wie historische Bildung zum Nationalsozialismus zur Menschenrechtsbildung beitragen kann, wurde
bei der Vorstellung der Studie der Fundamental Rights Agency
der EU mit dem Titel „The role of commemoration sites,
original sites and historical museums in Holocaust education
and Human Rights education in the EU“ im Arbeitskreis
„Erinnerungskultur und Menschenrechtsbildung“ thematisiert.
Theoretische Überlegungen und praktische Vorschläge suchte
ein Vortrag bei der 2. Internationalen Akademie Geschichte
und Menschenrechte zu verbinden, an der auf Einladung der
Stiftung EVZ Kolleginnen und Kollegen aus vielen Ländern
Europas und aus Israel teilnahmen.
Eine Reihe von Vorträgen und pädagogischen Veranstaltungen wurden außerhalb Deutschlands gehalten. So wurde in
Warschau eine eintägige Fortbildungsveranstaltung mit
mehreren Vorträgen und Workshops für Mitarbeiterinnen des
„Forums für Dialog zwischen den Völkern“ durchgeführt. Eine
Kollegin aus der Bildungsabteilung hielt einen Vortrag anlässlich des Holocaust-Gedenktages in Newcastle und einen
Vortrag zur pädagogischen Arbeit im Haus der WannseeKonferenz an der Universidad Autónoma de Madrid. Eine
Kollegin nahm an einem Round-Table-Gespräch in Perpignan
zur „Erinnerung an die Kriegsgefangenen am Erinnerungsort
Lager Rivesaltes“, an einer Tagung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes zum Thema „Geschichtsschreibung und
Erziehung zur Demokratie“ sowie einer Konferenz zur
Erinnerungspolitik in Paris mit einem Beitrag teil.
Das Haus der Wannsee-Konferenz war auch auf Einladung
der niederländischen Regierung bei der Abschlusskonferenz
in Amsterdam zu deren „Heritage of War Programme“ mit
einem Vortrag vertreten.
Abschließend sei eine Video-Konferenz mit Margot Friedlander
erwähnt, einer Überlebenden, die sich im Alter von 88 Jahren
entschieden hat, von New York nach Berlin zurückzukehren,
und bereits mehrfach im Haus der Wannsee-Konferenz über
ihren Versuch, versteckt in Berlin zu überleben und ihre Haft in
Theresienstadt gesprochen hat.
Das Gespräch zum Jahrestag des Novemberpogroms wurde
von dem dafür vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellten
Konferenzraum zur UN-Zentrale in New York und in die UN
Information Centres in Accra (Ghana), Colombo (Sri Lanka),
Dar es Salaam (Tanzania), Dhaka (Bangladesh), Harare
(Zimbabwe), Kathmandu (Nepal) und Yangon (Myanmar)
übertragen. Es ist auf der Website des Holocaust and the
United Nations Outreach Programme abrufbar:
(http://www.un.org/en/holocaustremembrance/unic_videoconference_15_November.shtml).
Tätigkeitsbericht 2010
17
Beratungstätigkeit und Zusammenarbeit
Die Bildungsabteilung setzte ihre Beratungstätigkeit und
Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Organisationen fort, u. a. durch die Teilnahme am bundesweiten Arbeitskreis „Erinnerungskultur und Menschenrechtsbildung“, die Mitarbeit in der Arbeitsgemeinschaft
Gedenkstättenpädagogik, im Kuratorium Bayrischer
Gedenkstätten, im Beirat des International Center for
Education about Auschwitz and the Holocaust, in der
Task Force Education on Antisemitism unter Leitung
des American Jewish Committee, Berlin, sowie in der
Task Force for international Cooperation on Holocaust
Education, Remembrance and Research (ITF).
Dazu kam die Mitarbeit im Beratungsteam des Projekts
„Menschenrechtsbildung für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter staatlicher Institutionen an Gedenkstätten
des NS-Unrechts“ der Gedenkstätte Neuengamme.
Der Menschenrechtsbildung galt auch die Teilnahme an
einem Werkstattgespräch der Stiftung EVZ und einer
Fachtagung der Fundamental Rights Agency der EU in
Terezin. Eine Kollegin arbeitet in der Expertenkommission zum Antisemitismus mit, die den Bundesinnenminister berät.
Dr. Wolf Kaiser
Leiter der Bildungsabteilung
stv. Leiter der Gedenkstätte
Veröffentlichungen der Bildungsabteilung
Im Zusammenhang mit der Arbeit der Bildungsabteilung erschienen 2010 folgende Veröffentlichungen:
- Elke Gryglewski: Teaching about the Holocaust in multicultural societies. Appreciating the learner. In: Intercultural
education, 21 (2010) suppl. S1. - S. S41-S49
- Elke Gryglewski.: Hier "Türken" - dort "Almanci". Ein Projekt Berliner Jugendlicher zu Geschichte und Identität. Hrsg. v.
Haus der Wannsee-Konferenz. Redaktion Elke Gryglewski u. Theresa Stegmann. Berlin, 2010
- Elke Gryglewski.: Gedenken an einen Freund. Zum Tod von Willi Frohwein (1923 - 2009). In: Zeichen 38. Jg. (2010)
H. 1, S. 23
- Elke Gryglewski (zusammen mit Franziska Ehricht): GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für eine interkulturelle
Pädagogik zum Nationalsozialismus. In: „Schwierige Jugendliche gibt es nicht …! Historisch-politische Bildung für
ALLE“. Projekte zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für besondere Zielgruppen. Hrsg. v. Andreas
Mischok. Braunschweig 2010, S. 221-243.
- Elke Gryglewski et. al. (Hrsg.) Memorias urbanas en diálogo: Berlín y Buenos Aires. Buenos Aires: Heinrich Böll
Stiftung Cono Sur, Buenos libros 2010
- Constanze Jaiser: Poesie und Musik als Mittel der Verteidigung von Menschenrechten – Ein Konzept für bildungsbenachteiligte Jugendliche. In: „Schwierige Jugendliche …“, a.a.O., S. 125-136
- Wolf Kaiser: Geschichtserlebnisse oder Geschichtsbewusstsein? Funktionen von Zeitzeugen in der pädagogischen
Vermittlung. In: kultur.macht.geschichte - geschichte.macht.kultur. Kulturpolitik und kulturelles Gedächtnis. Dokumentation des Fünften Kulturpolitischen Bundeskongresses am 11./12. Juni 2009 in Berlin. Hrsg.: Sievers, Norbert.
Essen : Klartext, 2010, S. 274-280
- Wolf Kaiser: Gedenkstättenpädagogik heute. In: Verunsichernde Orte. Selbstverständnis und Weiterbildung in der
Gedenkstättenpädagogik. Hrsg.: Thimm, Barbara. Frankfurt, M.: Brandes & Apsel, 2010 S. 19-24.
- Wolf Kaiser: Lernort: Das Haus der Wannsee-Konferenz. Bildungsarbeit zu NS-Tätern In: Newsletter des Webportals:
Lernen aus der Geschichte ([Stand: 22.02.2011]) http://lernen-aus-der-geschichte.de/print/Lernen-und-Lehren/
content/7608/2010-01-09-Das-Haus-der-Wannsee-Konferenz.
- Wolf Kaiser: Perpetrators in Holocaust Education. In: Teaching History. The secondary education journal of The
Historical Association, London (2010) Heft 141, S. 34 - 39
- Wolf-Dieter Mattausch: Pädagogische Arbeit mit Bundeswehrgruppen am Erinnerungsort von Täterschaft. In:
Gedenkstätten des NS-Unrechts und Bundeswehr. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Hrsg. v. Oliver von Wrochem.
Paderborn [u.a.] : Schöningh, 2010, S. 217-224.
- Jüdischer Sport und Jüdische Gesellschaft. Jewish Sport and Jewish Community. Redaktion Toni Niewerth, Tomasz
Jurek, Wolf-Dieter Mattausch. Berlin: Haus der Wannsee-Konferenz, Akadmie Wychowania Fizycznego w Poznaniu
2010.
18 Tätigkeitsbericht 2010
14. Oktober 2010 – Besuch des israelischen
Außenministers Avigdor Lieberman
Außenminister Lieberman (Mitte), Yoram Ben-Zeev,
israelischer Botschafter (r.), Dr. Norbert Kampe (l.)
Eintragung im Gästebuch der Gedenkstätte:
„Die Wannsee-Konferenz spielte bei der
Ausführung des teuflischen Plans der Nazis
das jüdische Volk zu vernichten eine
signifikante Rolle.
In diesem Haus, das wie kein anderer Ort den
rassistischen Mordplan der Feinde am Volk
Israel symbolisiert, sind wir vereint in
Erinnerung an unsere Brüder und
Schwestern.
Der unabhängige, souveräne Staat Israel hat
und wird die Antwort auf das Übel und das
Böse sein, das Humanität niemals vorher
kannte.
Wir stehen hier standhaft gegen jeden Ruf
unserer Hasser, die uns vernichten wollen
und wir schwören: „Niemals wieder“.
Israel ist hier um zu versichern: Niemals
wieder!
Avigdor Lieberman, Außenminister Israels“
Tätigkeitsbericht 2010
19
Besucherstatistik
Statistische Übersicht über die Jahre 1992 – 2010
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
Gruppenbesucher
24.748 21.656 25.971
29.003
29.388
29.907
31.889 33.099
38.083 36.650
Einzelbesucher
30.405 17.664 16.061
18.067
18.939
18.762
22.091 24.481
28.588 23.984
gesamt
55.153 39.320 42.032
47.070
48.327
48.669
53.980 57.580
66.671 60.634
2005
2006
2007
2008
2010
2002
2003
2004
2009
Gruppenbesucher
34.919 36.208 41.333
39.599
51.171
51.434
52.429 49.102
52.875
Einzelbesucher
28.535 30.129 36.624
35.815
57.266
49.128
51.946 44.536
53.302
gesamt
63.454 66.337 77.957
75.414 108.437 100.562 104.375 93.638
106.177
120000
100000
Einzelbesucher
Gruppenbesucher
80000
60000
40000
20000
0
1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Anmerkung:
Die Ausstellung war vom 01.10.2005 bis zum 18.01.2006 geschlossen.
Die Anzahl der Einzelbesucher und der Gruppenbesucher wird durch manuelle Zählung
bzw. Angaben der angemeldeten und unangemeldeten Gruppen an der Rezeption erhoben.
20 Tätigkeitsbericht 2010
Prozentuale Aufteilung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland
und dem Ausland
Gesamt:
Deutschland
Ausland
2010
21.582
31.708
Deutschland
40%
Ausland
60%
Gesamt:
Deutschland
Ausland
2000 – 2010
264.355
234.915
Ausland
47%
,
Deutschland
53%
Besucher aus Gruppen
Tätigkeitsbericht 2010
21
Übersicht über die monatliche Entwicklung der Besucherzahlen 1994 bis 2011
Jan.
Feb.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sep.
Okt.
1994
1.474
1.206
2.290
2.452
2.805
3.133
2.149
1.993
2.554 2.670
1.885 1.360
1995
1.324
1.668
2.462
3.160
3.650
3.431
2.105
1.595
2.478 3.010
2.445 1.675
1996
1.682
1.855
2.753
2.483
3.398
3.376
2.454
2.178
2.593 3.172
2.243 1.201
1997
1.914
2.213
2.486
2.791
3.034
3.186
2.603
1.779
2.934 3.261
2.036 1.670
1998
1.830
2.064
3.173
3.188
3.267
3.942
3.157
1.830
2.785 2.855
2.297 1.501
1999
2.075
2.489
3.309
2.966
3.055
3.050
2.366
1.399
2.923 4.234
3.266 1.967
2000
1.857
3.073
3.873
3.891
3.324
3.982
3.684
2.370
3.101 3.956
3.020 1.952
2001
2.350
3.045
3.466
3.098
4.147
3.335
3.600
1.894
3.185 3.749
2.859 1.922
2002
2.003
3.471
3.814
3.454
3.275
3.676
3.326
1.952
2.478 3.943
2.155 1.372
2003
1.993
3.109
3.440
3.598
3.869
2.998
2.920
2.175
3.237 4.157
2.610 2.102
2004
2.109
3.247
4.142
4.342
4.269
3.960
3.142
2.493
3.916 4.272
3.412 2.029
2005
2.253
3.910
4.425
5.098
4.330
5.040
4.179
3.676
4.325
2006
1.226
4.030
4.768
5.352
6.406
3.540
5.292
3.844
5.121 5.905
3.396 2.291
2007
2.257
4.172
4.811
4.363
5.894
5.987
5.431
4.029
4.327 4.993
3.034 2.136
2008
2.021
3.926
4.219
5.859
5.068
6.235
5.974
3.402
4.835 5.480
3.389 2.021
2009
1.669
3.332
4.050
5.064
5.082
5.302
5.679
4.263
4.350 5.083
3.059 2.169
2010
2.026
3.144
4.488
4.642
4.816
6.269
7.987
4.447
4.725 5.424
2.889 2.018
Durchschnitt:
1.781
2.775
3.645
3.871
4.099
4.144
3.885
2.666
3.522 3.950
2.635 1.763
984
Nov.
800
Dez.
579
Anmerkung: Die Ausstellung war vom 1.10.2005 bis 18.01.2006 geschlossen.
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus betreuten und unbetreuten Gruppen aus Europa
22 Tätigkeitsbericht 2010
gesamt
2000
456
2005
359
2006
326
2007
327
2008
466
2009
2010
13
0
0
0
0
0
0
0
0
0
13
0
377
396
194
611
517
884
1445
570
641
691
773
406
22
0
0
0
67
0
106
128
44
0
39
10.496
599
583
631
710
1.357
667
883
907
1.319
1.517
1.323
3.599
0
0
0
0
88
230
385
528
825
937
606
Großbritannien
357
2004
7.099
Griechenland
304
2003
Dänemark
Frankreich
398
2002
3.857
Finnland
282
2001
Belgien
Bosnien-Herzegowina
209
373
74.431
4.395
5.303
5.886
6.302
5.919
6.291
7.376
8.909
8.747
7.660
7.643
Irland
789
59
0
49
0
70
85
10
208
43
99
166
Island
471
0
0
0
0
24
0
52
249
57
56
33
Italien
5.304
108
311
122
165
491
488
702
613
788
514
1.002
Kroatien
41
0
0
0
0
0
0
0
41
0
0
0
Lettland
10
0
0
0
0
0
0
2
8
0
0
0
Luxemburg
95
0
0
36
0
59
0
0
0
0
0
0
Monaco
72
0
0
0
0
0
39
0
0
0
0
33
10.164
452
379
729
869
1.110
971
906
763
1.721
1.184
1.080
Norwegen
5.689
610
482
766
423
641
639
618
500
630
248
132
Österreich
2.424
271
163
74
182
219
253
213
191
170
422
266
Polen
2.195
131
183
40
94
144
196
385
402
78
269
273
Portugal
66
0
0
0
24
0
0
0
13
4
0
25
Rumänien
79
0
41
14
0
0
0
0
15
9
0
0
Niederlande
Russland
706
0
43
63
67
33
73
6
0
51
255
115
Schweden
7.076
734
878
914
761
1081
837
584
270
381
302
334
Schweiz
3.030
222
101
277
236
268
252
429
283
294
316
352
Serbien
12
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
12
Slowenien
Slowakische
Republik
44
0
0
0
0
0
0
0
0
0
44
0
295
0
0
85
0
30
28
48
0
0
37
67
1.202
0
0
24
34
40
75
201
159
236
261
172
791
52
100
22
90
74
37
94
40
135
107
40
Türkei
18
0
0
0
0
0
0
0
0
18
0
0
Ukraine
19
0
0
0
0
0
0
0
0
10
0
9
Ungarn
658
26
40
0
0
126
20
0
213
45
88
100
Spanien
Tschechische
Republik
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus betreuten und unbetreuten Gruppen aus
nichteuropäischen Ländern
Tätigkeitsbericht 2010
23
gesamt
Ägypten
Argentinien
9
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
0
0
0
9
0
0
0
0
0
0
0
280
0
0
0
0
23
35
37
27
34
81
43
Aserbaidschan
Australien/
Neuseeland
11
11
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
998
0
60
127
91
90
36
18
47
80
243
206
Brasilien
144
0
0
4
0
19
69
52
0
0
0
0
Chile
297
123
25
46
24
3
6
0
12
9
43
6
China
253
60
19
0
0
15
0
22
29
25
59
24
Guatemala
14
3
0
0
0
0
0
0
0
2
9
0
Indien
25
0
0
0
0
0
0
0
25
0
0
0
Indonesien
18
0
0
0
0
0
18
0
0
0
0
0
Irak
79
0
0
0
0
28
0
0
14
14
11
12
Israel
67.143
1.688
1.719
1.282
1.128
2.601
5.793
Japan
930
137
21
14
73
47
89
Kambodscha
Kanada
Libyen
Marokko
9.528 10.261 10.602
110
149
65
8.914 13.627
94
131
36
0
0
0
0
0
13
0
0
9
0
14
1.067
110
0
21
63
105
2
25
70
105
284
282
16
0
0
0
0
16
0
0
0
0
0
0
8
0
0
0
0
8
0
0
0
0
0
0
Mexiko
39
15
0
4
0
0
0
20
0
0
0
0
Pakistan
19
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
19
Ruanda
52
0
0
0
0
35
0
0
7
10
0
0
Sambia
14
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
14
Saudi-Arabien
20
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
20
Singapur
197
0
71
0
0
0
49
50
0
27
0
0
Südafrika
162
35
0
0
0
7
3
0
0
23
19
75
Südkorea
24
0
0
0
6
18
0
0
0
0
0
0
Syrien
15
0
0
0
0
0
0
0
0
15
0
0
2
0
0
2
0
0
0
0
0
0
0
0
13.642
1.176
1.015
1.341
963
1.044
1.185
1.041
1.323
1.822
1.290
1.442
59
0
0
0
0
0
0
0
0
0
0
59
7.942
441
636
545
407
696
772
1.139
1.140
575
921
670
Uruguay
USA
Zypern (Asien!)
*)
*) Teilnehmer aus gemischten Gruppen aus verschiedenen Ländern
24 Tätigkeitsbericht 2010
Vergleich Gruppenanzahl Berlin und andere Bundesländer
gesamt
2000 2001 2002 2003 2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Berlin
4.207
441
523
385
342
462
326
395
371
352
310
300
andere Bundesländer
6.160
611
565
514
523
562
469
660
569
554
575
558
Vergleich der Gruppen aus Deutschland (ohne Berlin)
Bundesland
gesamt 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Baden-Württemberg
BW
Bayern
BY
658
77
74
52
63
54
41
58
50
61
67
61
Brandenburg
BB
1232
149
137
105
124
120
108
147
94
86
78
84
Bremen
HB
41
2
3
5
4
8
1
3
4
4
4
3
Hamburg
HH
137
14
6
9
7
10
12
17
18
12
17
15
Hessen
HE
475
40
41
44
43
45
36
45
48
49
38
46
Mecklenburg-Vorpommern
MV
93
6
4
13
9
7
12
7
9
9
6
11
Niedersachsen
NI
544
49
53
56
49
46
37
54
43
51
57
49
Nordrhein-Westfalen
NW
1137
108
93
86
83
106
76
117
127
114
112
115
Rheinland-Pfalz
RP
267
29
23
14
18
31
12
28
20
27
34
31
Saarland
SL
46
5
3
2
3
3
4
6
4
6
6
4
Sachsen
SN
133
13
6
20
9
9
12
18
17
7
9
13
Sachsen-Anhalt
ST
164
18
14
20
16
18
13
16
13
14
17
5
Schleswig-Holstein
SH
235
24
23
29
24
19
25
27
16
15
19
14
Thüringen
TH
72
11
2
5
4
15
6
9
4
5
3
8
262
1
24
3
5
24
38
39
30
35
35
28
6.160
611
565
514
523
562
469
660
569
554
575
558
Bundesland unbekannt
664
65
59
51
62
47
36
69
72
59
73
71
Stadtbezirke von Berlin
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
Charlottenburg-Wilmersdorf
gesamt
364
34
37
22
20
32
33
30
37
37
45
37
Friedrichshain-Kreuzberg
255
21
35
23
25
32
24
24
15
18
19
19
Lichtenberg
170
21
23
15
17
19
16
14
16
9
8
12
Marzahn-Hellersdorf
203
16
34
25
25
30
13
13
11
17
11
8
Mitte
404
50
26
20
17
39
24
34
52
50
45
47
Neukölln
259
28
25
26
30
34
16
18
17
17
24
24
Pankow
266
27
29
23
31
27
29
32
29
17
11
11
Reinickendorf
222
22
10
18
28
24
14
19
23
26
14
24
Spandau
212
19
16
17
19
21
18
24
22
27
15
14
Steglitz-Zehlendorf
658
64
65
43
33
69
48
83
52
74
67
60
Tempelhof-Schöneberg
385
65
38
35
24
42
28
30
43
33
23
24
Treptow-Köpenick
114
19
19
13
11
7
10
10
6
7
6
6
Teilnehmer aus ganz Berlin
695
55
166
105
62
86
53
64
48
20
22
14
4.207
441
523
385
342
462
326
395
371
352
310
300
Tätigkeitsbericht 2010
25
Statistik über die 2000 - 2010 durchgeführten Studientage
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010
Themen
Judentum und jüdisches Leben in
Europa vor 1933
1
11
9
7
12
7
4
6
3
4
3
4
Juden unter nationalsozialistischer
Herrschaft
2
31
34
30
37
36
41
33
36
26
29
44
Herrschaft und Alltag im
Nationalsozialismus
3
76
54
69
78
59
40
64
63
63
47
44
Planung und Organisation des
Völkermordes
4
62
72
61
76
92
70
69
73
58
61
41
Nachwirkungen des NS-Regimes in
Politik und Gesellschaft seit 1945
5
8
12
20
13
13
27
10
16
14
16
8
Die heutige Auseinandersetzung mit
dem NS-Regime und seinen Verbrechen
6
54
54
39
33
34
36
26
32
38
38
34
7
10
26
9
4
2
10
9
5
4
4
1
8
12
13
18
8
5
4
7
4
1
1
1
9
17
29
12
17
16
10
12
16
12
15
15
10
100
86
82
90
73
64
68
73
75
81
81
11
36
20
12
8
24
29
45
21
34
46
53
12
9
14
11
8
7
6
0
18
12
6
7
Kontinuitätslinien
Workshops mit Methoden der
Gestaltpädagogik und der
themenzentrierten Interaktion
Die Verfolgung von Kindern und
Jugendlichen im NS
Berufsbezogene Themen
(Krankenpflege, Justiz, Bundeswehr)
Die pädagogische Arbeit im Haus der
Wannsee-Konferenz / Fortbildung zur
Arbeit in Gedenkstätten
Andere Themen
(Zusammenstellung der Statistiken: Barbara Ewald)
26 Tätigkeitsbericht 2010
Berichtsjahr 2010
Joseph Wulf Mediothek
Bestand
Benutzung
Die Mediothek hat mittlerweile einen Buchbestand von
ca. 50.000 Bänden und abonniert 120 Fachzeitschriften.
Audio-visuelle Medien sind 10.000 Videofilme, 850
DVD's, Mikrofilme und -fiches von verfilmten Zeitungen
bzw. Aktenbestände, Tonkassetten, CD´s, und CDROM´s.
In der letzten Zeit werden uns verstärkt Nachlässe, teils
als Geschenk, teils zum Ankauf angeboten, was einfach
die Bekanntheit der Mediothek zeigt. Der größte Teil der
Ergänzungen des Bestandes durch Neuerscheinungen
geschieht aber durch Kauf oder Tausch.
Neuerwerbungslisten werden pro Quartal an einen Kreis
von Interessenten per e-Mail verschickt. Im Herbst 2010
wurde die Bibliothek eines verstorbenen Zeithistorikers
der Joseph Wulf Mediothek überlassen.
Die Zahl der Besucher in der Mediothek ist in den
vergangenen Jahren stark gestiegen. Ursprünglich war
der größte Teil der Besucher Teilnehmer an Studientagen, nun sind es eben soviel Einzelbenutzer. Im Jahr
2010 haben 6.031 Einzelbesucher die Bibliothek
genutzt. Ein Grossteil der Interessenten orientiert sich
an dem Bestandskatalog im Internet und kommt dann
mit gezielten Anfragen in die Mediothek. Einzelbesucher
sind häufig Journalisten, Wissenschaftler, Doktoranden,
Studienreferendare, Studenten, Schüler und ehemalige
TeilnehmerInnen an Studientagen, die bei der Gelegenheit die Bibliothek kennen gelernt haben. Durch die
Anforderung in Berlin und Brandenburg selbständig
Bibliotheken und Archive für den "Mittleren Schulabschluss" in der 10. Klasse und der "Fünften Prüfungskomponente" für das Abitur zu benutzen, ist der Anteil
an SchülerInnen erheblich gestiegen. Sie benötigen
sehr individuelle und intensive Betreuung, da sie in
vielen Fällen mit Bibliotheken nicht vertraut sind.
Hinweise auf Literaturangaben, Indices, Fußnoten,
Zitierweise etc. müssen ihnen durch das Bibliothekspersonal vermittelt werden.
Die Daten des gesamten Bestandes sind im elektronischen Katalog der Bibliothek aufgeführt und können
vor Ort recherchiert werden. Bei der Eingabe eines
Stichwortes werden alle vorhandenen Medien zu dem
Thema angezeigt. Artikel aus Sammelbänden und
Fachzeitschriften werden ausgewertet und ebenfalls
nachgewiesen. Zusammen mit den Katalogen der
Bibliotheken anderer Gedenkstätten ist der sehr
benutzerfreundliche Katalog unter der Adresse
www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/ zu finden, aber
auch durch Links auf den jeweiligen Webseiten der
Institutíonen. Die detaillierte Auswertung der Bücher,
Zeitschriften und AV-Medien macht es dem Besucher
leicht den Bestand zu nutzen. So können Interessenten
vor ihrem Bibliotheksbesuch Recherchen durchführen
und dann gezielt das Material vor Ort einsehen und
eventuell kopieren. Da es sich um eine Präsenzbibliothek handelt - also keine Ausleihe - ist auch der
gesamte Bestand immer vorhanden.
Tätigkeitsbericht 2010
BesucherInnen der Dauerausstellung kommen mit
Fragen in die Bibliothek, die sich auf Dokumente und
Aussagen in der Ausstellung beziehen. Sie möchten
einfach zu den Themenbereichen mehr Information
haben und/oder eine Zusammenstellung von weiterführender Literatur. Annotierte fachspezifische Bibliographien werden für einzelne Seminare und Studientage. Telefonische, schriftliche Anfragen und per e-Mail
aus dem In- und Ausland haben stark zugenommen.
Häufig kann durch die Zusammenstellung einer
Literaturliste aus der Datenbank, Einscannen von Fotos
und Dokumenten aus Büchern und durch die Übermittlung per e-Mail die Anfrage schnell beantwortet
werden.
27
Es kommt aber immer öfters vor, dass regelrechte
Recherchen in dem Bestand und in anderen Datenbanken
vorgenommen werden müssen. Die Spezialsammlungen
wie z. B. Gedenkstättenpädagogik, jüdische Ortsgeschichte und Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nach
1945, aber auch die Gedenkbücher für die Opfer sind bei
vielen Anfragen eine große Hilfe. So sind die Recherchen
für "Stolperstein-Projekte" häufig in der Bibliothek durchgeführt worden. In vielen Publikationen wird der Bibliothek
für die Hilfe und Unterstützung bei den Recherchen
gedankt.
Personal
Durch die stark angestiegene Benutzerzahl in der
Mediothek und der intensiven Betreuung der einzelnen
Besucher, ist es mittlerweile notwendig ständig zwei
Personen in dem Bibliotheksraum präsent zu haben. Dies
führt zu Engpässen bei anderen Aufgaben wie Bestandsaufbau, Katalogbearbeitung etc. Im Mai 2010 hat der
Umschüler zum Fachangestellten für Medien- und
Informationsdienste Bereich: Bibliothek das Examen
bestanden. Leider konnte der Ausbildungsplatz nicht
wieder besetzt werden. Durch den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand ist für ein Jahr auch die Stelle eines
technischen Mitarbeiters unbesetzt. Zwei studentische
Hilfskräfte arbeiten aber unentgeltlich jeweils einen Tag
pro Woche in der Bibliothek und PraktikantInnen werden
hinzugezogen.
28 Tätigkeitsbericht 2010
Arbeitsgemeinschaft
Gedenkstättenbibliotheken (AGGB)
Der gemeinsame online-Bibliothekskatalog der AGGB
zeigt die Bestände der Bibliotheken Aktives Museum
Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., Gedenkstätte
Deutscher Widerstand, Deutsche Nationalbibliothek
Anne-Frank-Shoah-Bibliothek, Stiftung Neue Synagoge
– Centrum Judaicum, Stiftung Topographie des Terrors,
NS-Dokumentationszentrum (Köln) und Haus der
Wannsee-Konferenz Joseph Wulf Mediothek. Die
Benutzer können im Gesamtbestand oder in den
einzelnen Bibliotheksbeständen Nachweise suchen.
Updates werden in der Joseph Wulf Mediothek
koordiniert und monatlich übertragen.
Im März 2010 tagte die AGGB in der Gedenkstätte
Deutscher Widerstand. Eines der Vortragsthemen war
"Digitalisierung und digitale Bibliothek".
Gaby Müller-Oelrichs
Leiterin der Joseph Wulf Mediothek
Die Sammlung Werner T. Angress in der
Joseph Wulf Mediothek
Seit vielen Jahren erwähnte der am
5. Juli 2010 verstorbene Professor Dr.
Werner Angress, wenn wir uns trafen,
dass die ganze oder ein Teil seiner
privaten Bibliothek nach seinem Tod
der Joseph Wulf Mediothek übergeben
werden sollte.
Nun ist leider dieser Zeitpunkt
gekommen und wir haben eine
umfangreiche Bibliothek der deutschen Geschichte mit dem Schwerpunkt Kaiserreich, Weimarer Republik
und Nationalsozialismus erhalten.
Da die Joseph Wulf Mediothek ja erst
kurz vor der Eröffnung des Hauses der
Wannsee-Konferenz 1992 mit dem
Bestandsaufbau begann, fehlten bis
heute viele wichtige Werke, besonders in
der Originalsprache. Auch war bisher der
Blick primär auf die Zeit des Nationalsozialismus und
weniger auf die der Weimarer Republik beim Ankauf von
Büchern gerichtet. Dies wird jetzt durch die "Sammlung
Werner Tom Angress" hervorragend ergänzt. Viele
Werke, die wir in deutscher Übersetzung bereits
besitzen, sind nun auch im englischen Original vorhanden. Viele Kollegen, ehemalige Studenten und
Freunde von Professor Angress sowohl aus Berkeley
als auch SUNY at Stony Brook haben ihm ihre Bücher
gegeben, ihm im Vorwort für die Hilfe bei den
Recherchen und Hinweise gedankt und sehr
persönliche Widmungen hinzugefügt.
Tätigkeitsbericht 2010
Die Sammlung kann leider nicht – aus Platzgründen geschlossen aufgestellt werden, ist aber als solche in
dem Bibliothekskatalog gekennzeichnet und jedes Buch
hat auch einen Hinweis, das es zu dieser Sammlung
gehört. Viele der Bücher werden wir im Magazin
aufbewahren, weil sie durchaus in die Kategorie "Rara"
gehören. In einigen Monaten wird der Gesamtbestand
im Katalog der AG Gedenkstättenbibliotheken
nachgewiesen sein:
http://www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/
Gaby Müller-Oelrichs
Leiterin der Joseph Wulf Mediothek
29
30 Tätigkeitsbericht 2010
Tätigkeitsbericht 2010
31
Gespräch mit Salle Fischermann
„Man war Däne mit einer anderen Religion“
zum Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. Januar 2010
Norbert Kampe: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie herzlich in der Gedenkstätte zum Zeitzeugengespräch aus
Anlass des 68. Jahrestags der Konferenz vom 20. Januar 1942. Ganz besonders begrüße ich Herrn Salle Fischermann
und seine Frau sowie das Ehepaar Klose aus Berlin-Wannsee, bei dem die Fischermanns wohnen können. Begrüßen
möchte ich auch die Dokumentarfilmgruppe Rothenburg unter der Leitung von Herrn Pohle, die sich in vielen Filmen mit
der NS-Zeit beschäftigt hat und deren Filme schon häufiger – auch international – gezeigt und ausgezeichnet worden
sind. Die Filmgruppe hat für heute von dem 40-minütigen Dokumentarfilm mit Herrn Fischermann extra für uns eine etwa
20-minütige Kurzfassung erstellt, um Ihnen einen Eindruck von dem Film zu vermitteln.
Heute sprechen wir am dänischen Beispiel über eine einzigartige Geschichte hinsichtlich des Verhaltens der
Bevölkerung und der amtlichen Stellen gegenüber den Juden – einzigartig im Vergleich mit anderen vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Ländern.
Der Film, den wir nun sehen werden, beschäftigt sich mit der Propagandafunktion, die dem Ghetto Theresienstadt von
vornherein zugedacht war. Im Protokoll der Wannsee-Konferenz wird schon Anfang 1942 sehr deutlich, wozu
Theresienstadt dienen soll. Auf den Seiten acht und neun des Protokolls heißt es:
„Es ist beabsichtigt, Juden im Alter von über 65 Jahren nicht zu evakuieren, sondern sie einem Altersghetto – vorgesehen ist Theresienstadt - zu überstellen.
Neben diesen Altersklassen - von den am 31.10.1941 sich im Altreich und der Ostmark befindlichen etwa 280.000 Juden
sind etwa 30 % über 65 Jahre alt - finden in den jüdischen Altersghettos weiterhin die schwerkriegsbeschädigten Juden
und Juden mit Kriegsauszeichnungen (EK I) Aufnahme. Mit dieser zweckmäßigen Lösung werden mit einem Schlag die
vielen Interventionen ausgeschaltet.“
Im Juli 1944 wurde einer dänischen Rot-Kreuz-Delegation die Besichtigung von Theresienstadt gestattet. Das Ghetto
wurde dazu speziell hergerichtet um die Delegation zu täuschen. Im Anschluss daran ist bei den deutschen Behörden
die Idee aufgekommen, über Theresienstadt einen Propagandafilm zu drehen. Herr Salle Fischermann hatte als Junge
die Rolle eines Kabelträgers für die Filmaufnahmen.
[Der Film: „Wenn die Bilder schon verblassen“ von 2005 wird vorgeführt.]
Kampe: Herr Pohle, dieser Film ist 2005 bei den Nordischen Filmtagen als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet
worden. Könnten Sie uns bitte berichten, wie es dazu gekommen ist.
Herr Pohle: Zu diesem Filmfestival, bei dem eigentlich nur professionell gedrehte Filme gezeigt werden, haben wir
unseren Film eingereicht. Obwohl wir wussten, dass er wahrscheinlich nicht gezeigt werden kann, da bei diesem
nordischen Festival eigentlich Filme von Schulklassen gar nicht zugelassen sind, hatten wir es versucht. Wir waren der
Meinung, dass es nicht nur ein deutscher, sondern auch ein dänischer Film ist. Und zu unserer großen Überraschung
haben wir den Preis für den besten Dokumentarfilm gegen alle Profis gewonnen. Sehr beeindruckend war es zu sehen,
dass nicht wir die Wichtigsten sind bei diesem Film, sondern Herr Salle Fischermann. Die Jury hat nämlich nicht uns
zuerst zur Preisverleihung auf die Bühne gebeten, sondern Salle Fischermann und seine Frau. Erst wurden beide
befragt und dann wurden wir vorgestellt.
Kampe: Herr Fischermann, ich schlage vor, dass wir uns über drei Themenbereiche unterhalten sollten.
Der erste wäre die deutsche Besatzung und die Rettung, aber auch die Deportation der dänischen Juden. Auf das zweite
Thema, nämlich das Ghetto „Theresienstadt“ hat uns bereits der Film vorbereitet. Das dritte Thema ist die Rettungsaktion mit den weißen Bussen im März und April 1945, eine Aktion, die in Deutschland kaum bekannt ist, die aber in der
Kriegserinnerung in Skandinavien eine große Rolle spielt. Ab 9. April 1940 begann die deutsche Besatzung. In Dänemark wurde ein besonderes Besatzungsmodell entwickelt, das es sonst in keinem anderen besetzten Land gegeben hat:
nämlich alle dänischen Institutionen blieben erhalten und in Funktion. Die dänische Regierung konnte sogar die
deutschen Besatzungsbehörden auf eine Zusage festlegen, dass den Juden kein Schaden zugefügt wird. Von dänischer
Seite war völlig klar, dass ein militärischer Widerstand gegen die Wehrmacht nicht möglich war. Deshalb hatten sich die
Dänen zu einem „Kooperationsmodell“ bereiterklärt.
Ein vorsichtiges Verhalten schlug auch der Vertreter des Auswärtigen Amts während der Wannsee-Konferenz vor
(Seiten 9/10 des Protokolls):
„Unterstaatssekretär Luther teilte hierzu mit, daß bei tiefgehender Behandlung dieses Problems in
einigen Ländern, so in den nordischen Staaten, Schwierigkeiten auftauchen werden, und es sich daher
32 Tätigkeitsbericht 2010
empfiehlt, diese Länder vorerst noch zurückzustellen. In Anbetracht der hier in Frage kommenden
geringen Judenzahlen bildet diese Zurückstellung ohnedies keine wesentliche Einschränkung.
Dafür sieht das Auswärtige Amt für den Südosten und Westen Europas keine großen Schwierigkeiten.“
Ab Frühjahr 1943 änderten sich die Zustände, als Widerstand und Sabotageakte in Dänemark zunahmen, nachdem die
Niederlagen der deutschen Armee in Nordafrika und der Sowjetunion Ende mit Stalingrad 1942/43 bekannt wurden. Die
dänische Regierung war nicht bereit, gegen die eigenen Landsleute vorzugehen, und trat deshalb Ende August 1943
zurück. Der Militärbefehlshaber rief daraufhin den Ausnahmezustand aus, und der Chef der deutschen Besatzungsmacht
Werner Best 1, der Mann der das Reichssicherheitshauptamt in Berlin organisiert hat, schlug nun in Berlin die
Deportation der dänischen Juden vor. Hitler gab den Befehl dazu gleichzeitig mit seinem Befehl, die Juden aus dem
besetzten Italien zu deportieren. Renitente Bündnispartner oder besetze Länder sollten damit bestraft werden.
Wahrscheinlich gab Werner Best selbst die Information an Ferdinand von Duckwitz weiter, an den Handelsattachee an
der deutschen Botschaft, auf welchen Termin die nächtliche Verhaftungsaktion gelegt war, nämlich in die Nacht vom
1. auf den 2. Oktober 1943. Best wollte die dänischen Juden entfernen, ohne die Bevölkerung durch wochenlange Jagd
auf Juden zu provozieren. Auch deren Flucht war ihm wohl recht. Ferdinand von Duckwitz gab diesen Termin an
dänische Widerstandskreise weiter und damit begann eine einzigartige Rettungsaktion durch Übersetzen der Juden über
den Öresund in das neutrale Schweden. Dennoch wurden rund 500 dänische Juden verhaftet und nach Theresienstadt
gebracht. Das öffentliche Interesse in Dänemark am Schicksal der deportierten Juden hat dazu geführt, dass sie nicht
nach Auschwitz deportiert worden sind.
Herr Fischermann, sie waren noch sehr jung als die Besatzung begann. Wie kam es dazu, dass Sie und ein Teil Ihrer
Familie deportiert wurden, aber nicht Ihr Vater und Ihr Bruder?
Fischermann: Als die deutsche Besatzung anfing, sahen wir am Morgen des 9. April 1940 deutsche Flugzeuge über
Kopenhagen. Diese haben Flugblätter abgeworfen, in denen stand, dass die Wehrmacht gekommen sei, um uns zu
beschützen. In den Jahren 1940 bis 1943 konnten wir ganz normal und ohne Probleme leben. Die Probleme begannen
für uns erst im Oktober 1943. Mein Vater glaubte damals nicht, dass uns etwas passieren würde. Eine Cousine aus
Norwegen, die uns besucht hatte, berichtete, dass man in Norwegen nur die Männer verhaftet und deportiert hatte, nicht
aber die Frauen und die Kinder. Aber dann am 2. Oktober 1943 hat es an unserer Tür geklopft. Mein älterer Bruder und
meine Schwester waren nicht zu Hause, sie waren zur Arbeit. Wir wohnten damals im dritten Stock, unsere Wohnung
hatte einen Balkon. Mein anderer Bruder nahm ein Bettlaken und seilte sich mit meinem Vater in den zweiten Stock ab.
Erst dann hat meine Mutter die Wohnungstür geöffnet. Ein dänischer SS-Mann und drei Wehrmachtssoldaten
verlangten, dass wir warme Kleidung und Essen für drei Tage mitnehmen. Meine Mutter, drei meiner sechs Geschwister
und ich mussten auf einen Lastwagen aufsteigen und wurden zum Hafen gebracht. Dort mussten wir ein Schiff namens
„Vaterland“ besteigen. Auf diesem Schiff waren bereits rund 120 Leute. Das Schiff fuhr dann nach Swinemünde. Von
dort ging es in Viehwagen der Eisenbahn in zweieinhalb Tagen und Nächten nach Theresienstadt. Mein Vater, mein
Bruder eine meiner Schwestern konnten mit einem Boot flüchten. Aber das Boot ist kurz nach dem Ablegen untergegangen. Mein Vater und mein Bruder sind ertrunken, meine Schwester konnte sich retten und ist mit anderen
1
Werner Best (1903-1989), März 1933 wurde Best Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen, im Juli 1933 Landespolizeipräsident, von September 1939 bis Juni 1940 war er Leiter des Amtes 1 (Verwaltung und Recht) des Reichssicherheitshauptamtes
(RSHA), 1941 Leiter der Abteilung Verwaltung beim Militärbefehlshaber in Frankreich, ab 1942 „Reichsbevollmächtigter für
Dänemark“.
Tätigkeitsbericht 2010
33
Schiffbrüchigen an das Ufer geschwommen. Man kann sich vorstellen, was in ihr vorging: zu wissen, dass ihre Mutter
und vier Geschwister im KZ waren und sie miterleben musste, wie ihr Vater und ihr Bruder ertranken.
In Theresienstadt waren etwa 470 dänische Juden. Allein in den ersten sechs Monaten im Lager sind etwa 40 von ihnen
gestorben. Zu Essen gab es regelmäßig Kartoffelschalensuppe und ein kleines Stückchen Brot für drei Tage. Aber wir
haben überlebt. Meine Mutter und ich haben im Lager gearbeitet. Ich war damals 14 Jahre alt und musste in einer
Schule für Piloten Malerarbeiten machen. Einer der dort stationierten Offiziere hat mir erzählt, dass er in Berlin bei einem
Bombenangriff seine Familie, seine Frau und sein Kind verloren hat. Er hat mir zwei Stückchen Kuchen geschenkt. Er
war einer der wenigen, die ein Herz hatten. Unter den vielen Zwangsarbeiten, die ich dort machen musste, war auch die
Arbeit in der Wäscherei der SS. Dort musste ich jeden Tag mit einem Pferdegespann nach draußen vor das Lager
Theresienstadt fahren. Dort war ein anderes großes Lager für politische Gefangene und Kriegsgefangene.
Theresienstadt selbst war wie eine ganz normale Stadt mit einem Bürgermeister.
Kampe: Ist es richtig, dass kein dänischer Jude von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert worden ist.
Fischermann: Ja, das ist richtig. Der Dr. Werner Best hatte bei Himmler durchgesetzt, dass kein dänischer Jude nach
Auschwitz deportiert wird, weil aus Dänemark wichtige landwirtschaftliche Produkte nach Deutschland geliefert wurden.
Best und die Berliner Zentrale befürchteten, dass diese Lieferungen durch Aufstände in Dänemark zum Erliegen
kommen würden, wenn bekannt würde, dass Deportationen nach dem Osten stattfinden. Deshalb sind wir nicht aus
Theresienstadt deportiert worden.
Kampe: Uns interessiert natürlich sehr die Rettungsaktion mit den weißen Bussen. In der Endphase des Krieges waren
2,3 Millionen Kriegsgefangene in Deutschland, 190.000 Justizhäftlinge über 700.000 Lagerinsassen und etwa 250.000
bis 350.000 Gefangene waren auf den Todesmärschen von den frontnahen Lagern ins Reichsgebiet ums Leben
gekommen. Das Interesse von Schweden war es, nachdem die Regierung anfangs wohlwollend neutral Deutschland
gegenüber gestanden hatte - vielleicht auch aus Angst, genauso wie Norwegen und Dänemark besetzt zu werden - nun
sich als ein Staat zu legitimieren, der den Opfern von Nazi-Deutschland hilft. Es kam ab Januar 1945 zu den Verhand2
lungen zwischen Graf Folke Bernadotte als Vertreter des schwedischen Roten Kreuzes und Himmler in Berlin. Himmler
gehörte damals zu den führenden NS-Leuten, die glaubten, man könne die Westalliierten zu einem Separatfrieden
überreden, um damit ihren einen Kopf zu retten. Himmler hatte die Idee, dass Graf Bernadotte mit den Westalliierten
verhandeln könnte. Bernadotte hatte aber den Plan, skandinavische Lagerinsassen zu retten. Da Hitler strikt gegen
solche Verhandlungen war, beauftragte Himmler den Chef des Auslandsgeheimdienstes, Walter Schellenberg, mit den
Verhandlungen. Diese weißen Busse waren tatsächlich weiß angemalt, damit sie von möglichen Fliegerangriffen
verschont blieben. Insgesamt waren es 75 Busse und Lkws sowie eine Versorgungsschiff, das im Lübecker Hafen lag
und für die Nahrungsmittel- und Treibstoffversorgung zuständig war. Etwa 250 schwedische Freiwillige nahmen teil, viele
davon vom schwedischen Militär, aber in Zivilkleidung. Pro Tour konnten etwa 1.000 Häftlinge gerettet werden. Im April
1945 kamen dann noch etwa 450 dänische Helfer hinzu, darunter auch Ärzte und Krankenschwestern. Stationiert war
das ganze Team auf dem Gut des Grafen von Bismarck in der Nähe von Hamburg. Hintergrund war, dass dieser Graf
von Bismarck mit einer Schwedin verheiratet war, die wiederum aus der Jugendzeit mit dem Grafen Bernadotte
befreundet war. Anfangs durften die Häftlinge aus Theresienstadt nur ins KZ Neuengamme bei Hamburg gebracht
werden, nur einige wenige direkt nach Dänemark. Nun erzählen Sie aber bitte Ihre Geschichte der Rettung.
Fischermann: Die Geschichte war so, dass es in Dänemark einen Beamten und einen Arzt gab, die zusammen mit dem
Grafen Bernadotte über eine mögliche Rettung der dänischen Juden aus Theresienstadt gesprochen hatten. Bernadotte
sagte denen, er habe nicht die Erlaubnis für eine solche Rettungsaktion. Eines Tages kam ein höherer SS-Mann zu
Bernadotte und bot ihm an, in dieser Angelegenheit behilflich zu sein, wenn ihm dafür zugesichert wird, dass seiner
Familie geholfen wird, das Ende des Krieges zu überleben.
In der Zwischenzeit hatten sich in Jütland viele Freiwillige zusammen getan, Busse erworben, die weiß mit einem roten
Kreuz angemalt wurden. Dazu haben sie sich Uniformen angefertigt. Nach längern Verhandlung mit Berlin, wurde von
dort genehmigt, dass die weißen Busse nach Theresienstadt fahren durften. Die dänischen Lagerinsassen wurden dann
aufgefordert, an einem bestimmten Vormittag zur Kaserne im Lager zu kommen und zu den Bussen zu gehen. In den
2
Folke Bernadotte Graf von Wisborg (1895-1948), ab September 1943 Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes, er
verhandelte in seiner Funktion im Jahr 1945 mit Himmler erfolgreich über die Freilassung der skandinavischen KZ-Häftlinge.
Zusätzlich zu ca. 8.000 Häftlingen skandinavischer Herkunft wurden im Rahmen dieser Mission etwa 10.000 bis 12.000 Häftlinge
anderer Nationalität vor allem aus Ravensbrück und Theresienstadt zunächst im Lager Neuengamme bei Hamburg gesammelt und
später nach Schweden überführt. Durchgeführt wurde diese Aktion, die in die schwedische Geschichte und die Geschichte der
Rotkreuz-Bewegung als die “Weißen Busse“ eingegangen ist, kurz vor Kriegsende von ca. 250 Helfern des Schwedischen Roten
Kreuzes.
34 Tätigkeitsbericht 2010
Bussen wurden wir von dem jeweiligen skandinavischem Kommandanten aufgefordert, vorbereitete Holzplatten vor den
Fenstern zu befestigen, damit man von außen nicht sehen konnte, dass Juden in den Bussen waren. In jedem Bus war
ein bewaffneter Wehrmachtssoldat. In unserem Bus war ein junger Soldat, der die ganze Zeit nichts sagte. Zuerst sind
wir nach Dresden gefahren. Von dort aus ging es in sehr langsamer Fahrt nach Potsdam. Dort hieß, dass wir nicht nach
Berlin fahren könnten, sondern es sei besser in Richtung Schweiz zu fahren. Dann kam aber doch die Erlaubnis durch
Berlin durchzufahren. Als wir dann nach Norden an die dänische Grenze kamen, wurde uns nicht erlaubt, dass mehr als
fünf von uns auf der Straße zusammenstehen durften. Aber nun in Dänemark kamen hunderte Menschen zu unseren
Bussen und haben uns mit Essen und Zigaretten versorgt. Die Fahrt ging dann weiter nach Seeland und dann konnten
wir zum ersten Mal in einem Hotel übernachten. Abends gab es zum ersten Mal wieder ein richtig gutes Essen. Sie
können sich vielleicht vorstellen, wie es uns erging, nach eineinhalb Jahren wieder ein richtiges Essen.
Am nächsten Tag ging die Fahrt weiter nach Kopenhagen
zum Hafen. Von dort sind wir mit Fähren nach Schweden
gebracht worden. Dort wurden wir alle ärztlich untersucht.
Meine Mutter und meine Schwester kamen in ein
Sanatorium. Wir haben dort in Baracken gewohnt und es
gab dort ein Geschäft, das Schokolade und Bonbons
verkauft hat. Wir hatten sogar von den schwedischen
Autoritäten Geld bekommen, um uns Lebensmittel zu
kaufen. Aber ich und fünf andere Jugendliche wollten
lieber ins Kino gehen. Nach etwa 14 Tagen sind wir
verlegt worden, meine Mutter, mein Bruder und ich und
dort haben wir unsere Schwester wieder getroffen. So
war unsere Familie wieder zusammen, aber eine meine
Schwestern, die im KZ bereits krank geworden ist, ist hier
gestorben. Nach dem Krieg sind wir drei Brüder
Ingenieure geworden und meine andere Schwester
Krankenschwester. Wir haben ein gutes Leben führen
können. Meine Mutter ist 87 Jahre alt geworden.
Kampe: Die Tour von Theresienstadt war am 12. April
1945. Danach gab es noch einmal eine Fahrt mit den
weißen Bussen von Theresienstadt nach Ravensbrück.
Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Zustände bei der
Lagerleitung schon so chaotisch, dass die Busse Häftlinge
jeglicher Nationalität aus dem Lager mitnehmen konnten.
Fischermann: Die Freiwilligen konnten mit den Bussen
insgesamt mehr als 20.000 Menschen retten.
Kampe: Zum Zeitpunkt der Rettungsaktionen mit den Bussen standen die Amerikaner bereits an der Elbe und die Rote
Armee an der Oder. Es gab nur noch einen schmalen Korridor für die Evakuierung mit den Bussen. Bei den Rettungsaktionen nach Ravensbrück sind die weißen Busse von Flugzeugen der Royal Air Force auch beschossen worden.
Dabei sind auch etliche Helfer und Häftlinge ums Leben gekommen.
3
Fischermann: Ich möchte Ihnen noch berichten, dass ich mit Kurt Gerron befreundet war, der immer daran geglaubt
hat, zu überleben. Er musste diesen Film über Theresienstadt drehen und hoffte, dass wenigstens die Mitwirkenden
überleben würden. Aber fast alle von ihnen wurden nach Auschwitz gebracht. Auch er wurde dorthin deportiert und
ermordet. Die beiden Kommandanten von Theresienstadt waren Österreicher; sie stellten immer die Transporte nach
Auschwitz zusammen. Einmal musste ich mithelfen, die Transporte zusammenzustellen. Das war furchtbar, die
Menschen in die Viehwagen bringen zu müssen. Dazu muss man wissen, dass Theresienstadt eigentlich eine Kaserne
mit mehreren Toranlagen war. Das war so organisiert, dass man zuerst durch das eine Tor gehen musste, dann durch
das zweite Tor und draußen standen die Eisenbahnzüge. Nun mussten die zu Deportierenden durch die Tore gehen und
auf der anderen Seite einen Zettel abgeben. So wurde gezählt, dass keiner für den Transport fehlte. Eines Tages fehlte
dennoch eine Person und einer der SS-Posten sagte zu uns. „Sucht diese Person, oder jemand von euch geht auf den
Transport.“ Einer der Kommandierenden hatte einen großen Holzprügel und forderte uns auf, die fehlende Person zu
suchen. Er sagte, wir hätten fünf Minuten Zeit, diese fehlende Person zu finden. Es war eine Frau, vielleicht 40 Jahre alt.
Der Kommandierende hat dann fürchterlich auf sie eingeprügelt.
Ich selbst wurde einmal aufgefordert, in den letzten Wagen eines Transportzuges zu gehen, um dort den kleinen Ofen
für das Begleitpersonal mit Holz und Papier anzuzünden. Es war stockfinster und ich sah nicht, dass dort ein Offizier
schlief. Als ich versuchte den Ofen anzuzünden, ist er aufgewacht und hat mit dem Stiefel auf meine Hand getreten und
meinen Finger zerquetscht.
3
Kurt Gerron (1897-1944), Schauspieler z. B. in „Die Drei von der Tankstelle“, „Der blaue Engel“, arbeitete bis 1933 bei der Ufa,
kam nach dem deutschen Einmarsch in den Niederlanden in ein Lager, von dort nach Theresienstadt, musste dort den
Propagandafilm über Theresienstadt drehen. Er hoffte damit, einigen Mitgefangenen das Leben zu retten, wurde aber mit seiner Frau
nach Auschwitz deportiert und dort am 28.10.1944 ermordet.
Tätigkeitsbericht 2010
35
[Fragen der Zuhörer an Herrn Fischermann]
Frage: Meine Verwandten waren auch in der Gruppe der Geretteten, in der Sie waren. Haben Sie alle gekannt, die aus
Kopenhagen und den anderen dänischen Städten kamen?
Fischermann: Ja!
Frage: Dann kennen sie Dr. Fischer und seine Familie?
Fischermann: Ja, die kenne ich.
Frage: Der Enkel von Dr. Fischer ist mein zweiter Cousin. Meine Verwandten sind zurückgekommen nach Kopenhagen aus Theresienstadt und auch aus Schweden. Ihre Wohnungen waren unberührt. Die Nachbarn haben zum Teil die
Schlüssel gehabt. Es ist nichts geraubt worden. Meine Verwandten konnten wieder direkt in ihre Wohnungen
zurückkehren.
Fischermann: Ja, ich kenne einige Fälle. Da sind die Zurückgekehrten in ihre Wohnungen gekommen und alles war noch
da, sogar die Teller standen noch auf dem Tisch. Aber das war nicht überall so. Man darf nicht vergessen, es gibt gute
Menschen und es gibt schlechte Menschen.
Frage: Ich kann das bestätigen. Mein Schwiegervater ist nach Schweden gebracht worden und als er zurückkam, ist
noch alles so gewesen, wie er es verlassen hatte. In Deutschland wird immer wieder erzählt, als die ersten schwedischen Busse in Theresienstadt ankamen und den Juden erzählt wurde, sie würden nun nach Hause gebracht, hätten
sie es am Anfang nicht geglaubt, sondern gedacht, dass sei ein Trick der Deutschen, um sie zu deportieren. War das
wirklich so und mussten sie gezwungen werden, in die Busse zu steigen? Stimmt das?
Fischermann: Nein. Sie müssen wissen, diejenigen, die die Busse gefahren haben, sind zu uns gekommen und haben
mit uns gesprochen und wir konnten sie verstehen und wussten, dass es die Wahrheit war. Deshalb hatten wir keine
Zweifel, dass es die Wahrheit war. Wir wussten, dass Schweden neutral war und somit hatten wir keine Angst
einzusteigen.
Frage: Können Sie uns bitte sagen, was Sie damals gefühlt haben und wie Ihnen erklärt wurde, warum sie als
Jugendlicher in ein KZ gebracht werden würden.
Fischermann: Uns wurde damals gesagt, es würde soviel Streik und Widerstand gegen die Deutschen in Dänemark
geben und daran seien die Juden schuld. Deshalb müssen die Juden aus der Bevölkerung entfernt werden. Man darf
nicht vergessen, dass von den über 7.000 dänischen Juden, nur etwa 470 deportiert worden sind. Alle anderen konnten
nach Schweden entkommen.
Kampe: Ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass Werner Best den Befehl gegeben hatte, die Wohnungen der
Deportierten nicht zu verwüsten - noch nicht einmal sollten die Wohnungstüren eingeschlagen werden, denn man
befürchtete einen totalen Widerstand der dänischen Bevölkerung bei Aktionen der Deutschen gegen die dänischen
Juden. Dänemark war als Nahrungsmittelieferant für Deutschland sehr wichtig, deshalb konnte man sich nicht so
benehmen, wie in den anderen besetzten Gebieten oder Ländern.
Fischermann: Es ist tatsächlich so, wenn wir damals nicht zu Hause gewesen wären oder unsere Wohnungstür nicht
geöffnet hätten, dann wäre unserer Familie das Schicksal erspart geblieben. Die Wohnung meines Onkels, der auch
nach Theresienstadt deportiert worden ist, war nach seiner Rückkehr völlig unversehrt. Aber es hat eben auch andere
Fälle gegeben, wo alles zerstört und das Eigentum geraubt wurde.
Frage: Ich habe letztes Jahr in Tel Aviv eine Ausstellung über den bereits genannten Film unter der Regie von Kurt
Gerron gesehen. Darin kommt doch diese bekannte Szene mit dem Fußballspiel vor. Können Sie an dieses Fußballspiel
erinnern?
Fischermann: Ja, sehr gut. Man hatte alle Leute aufgefordert, in die Dresdner Kaserne zu gehen. Dann mussten zwei
Mannschaften mit – wenn ich mich recht erinnere – zehn Leuten für diesen Film Fußball spielen. Dass das ganze ein
nur Schauspiel war, sieht man unter anderem daran, dass der Schiedsrichter gar keine Münze in der Hand hält, um zu
entscheiden, welche Mannschaft mit dem Spiel beginnt. Das Spiel hat nur ganze zehn Minuten gedauert, dann haben
die Deutschen gesagt, das genügt.
Antwort: Ich möchte bitte ergänzen, dass mir der Ausstellungsmacher erzählt hat, dass er noch acht damalige Spiele
gefunden hat.
Frage von Herrn Klein: Als Sie im Oktober 1943 nach Theresienstadt gekommen sind, haben dort schon 14-jährige
Jugendliche arbeiten müssen. Dazu wollte ich fragen: Sind Sie für die Arbeit im Ghetto bezahlt worden und haben Sie
eine so genannte „Sparkarte“ erhalten? Meine zweite Frage betrifft den Postverkehr zwischen Dänemark und den
dänischen Juden in Theresienstadt: Können Sie sich erinnern, ob es Geldanweisungen aus Dänemark an die dänischen
Juden in Theresienstadt gegeben hat, die dann in Ghettokronen ausbezahlt worden sind?
Fischermann: Es gab Ghettogeld, das hat man bekommen, aber sonst nichts. Aber es gab einen Unterschied zwischen
Schwerarbeitern und Normalarbeitern. Schwerarbeiter haben ein, wie wir es nannten „Essbrot“ bekommen, das war
etwas größer als das normale Brot.
Frage: Es gab von der jüdischen Bank im Ghetto die bereits erwähnte „Sparkarte“. Warum die beiden verschiedenen
Farben, rosa und graublau?
Fischermann: Das weiß ich nicht. Ich kenne diese „Sparkarten“ nicht, ich habe nur das Ghettogeld gesehen. Ich kann
Ihnen aber erzählen, dass man im Propagandafilm Waren ohne Geld bekam. So wurden extra im Lager eine Bibliothek,
ein Cafe und einen Garten mit vielen Blumen aufgebaut. Die Wände der Häuser wurden mit Kalk weiß angemalt. Und
auch ein Krankenhaus wurde eingerichtet. In dem Film sieht man zum Beispiel einen Krankenpfleger mit Essen für einen
36 Tätigkeitsbericht 2010
Kranken, nur für diesen Film und für die dänische Rot-Kreuz-Delegation, die das Lager besucht hat. Die haben dann
einen Bericht über ihren Besuch geschrieben, wie schön dort alles sei.
Frage: Aber hätte nicht die Rot-Kreuz-Delegation die Möglichkeit gehabt, die Häftlinge fragen, wie es dort in Wirklichkeit
ist?
Fischermann: Nein, das war nicht möglich. Ich möchte Ihnen von uns erzählen. Mein Bruder und ich wurden in ein
Jugendhaus gesteckt und dann hat man nur für diesen Besuch und den Film Möbel in die Zimmer gestellt und Gardinen
an die Fenster gehängt, Blumen in die Fenster gestellt und nur an diesem Tag hat man genügend zu essen bekommen.
Frage: Können Sie uns erklären, warum in Deutschland so wenig über diese weißen Busse bekannt ist?
Fischermann: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, aber nicht nur in Deutschland ist die Aktion mit den weißen
Bussen wenig bekannt. Ich hoffe, dass solange noch Überlebende dieser Rettungsaktionen mit den Bussen leben,
davon erzählen.
Frage: Können Sie uns etwas über die künstlerischen Aktivitäten in Theresienstadt erzählen, über Theater, über Kunst.
Und erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an den Namen Kurt Singer?
Fischermann: Ja, das kann ich. Man muss wissen, dass Theresienstadt ein Paradox war. Er war erlaubt, Revuen und
ähnliches zu machen. Mit Kurt Gerron habe ich in Theresienstadt gearbeitet. Sie haben zum Schluss des Filmes
gesehen, dass da von dem Kinderchor ein Lied gesungen wird. Es gab in Theresienstadt viele gute Schauspieler. Aber
alle hat man deportiert. Allein für diesen Propagandafilm hat das Orchester über ein halbes Jahr geprobt. Alle Musiker
hat man dann nach Auschwitz geschickt.
Kampe: Die Frage war nach Kurt Singer, der vorher den Jüdischen Kulturbund in Deutschland gegründet hatte.
Fischermann: Nein, an Singer kann ich mich nicht erinnern.
Frage: Ich habe zwei Fragen zu diesem Propagandafilm.
Wo wurde dieser Film gezeigt, wie oder aus welchem
Anlass wurde dieser Film eingesetzt? War der für die
Nazis, bestimmt oder sollte der in Dänemark gezeigt
werden oder in der restlichen Welt? Die andere Frage
bezieht sich auf seine Geschichte: Es wurde gesagt,
dass es von diesem film nur noch Fragmente gibt. Gibt
es den Film nicht mehr als Ganzes, sondern nur noch
Fragmente?
Fischermann: Ich weiß, dass der Film zweimal in einer
geschlossenen Veranstaltung gezeigt wurde. Er sollte
dann in Deutschland und außerhalb gezeigt werden, um
zu beweisen, wie gut es den Juden in einem Lager geht.
Der Original-film hat über zwei Stunden gedauert. Heute
hat man noch Fragmente von ungefähr 22 Minuten.
Kampe: Herr Pohle, ist es richtig, dass der Film nie im
Ausland für Propagandazwecke verwendet wurde?
Pohle: Es gibt Fragmente in Amerika und in Yad Vashem
in Jerusalem. Die Fragmente sind in sehr unterschiedlichem Zustand und es gibt sie zum Teil auch im Internet.
Ganz interessant ist übrigens auch, dass es den Film
nach 1945 bei den deutschen Kreis- und Landesbildstellen gab. Heute ist die unbegleitete Vorstellung
verboten. Ich vermute, dass der ganze Film noch in
irgendeinem Archiv liegt, völlig unbeachtet.
Szenen aus dem Film „Theresienstadt – ein Dokumentarfilm“
Frage: Vorhin wurde beklagt, dass in Deutschland so wenig über die Rettungsaktion mit den weißen Bussen bekannt ist.
Ich habe Salle Fischermann 1995 bei einer Ausstellungseröffnung über die Rettungsaktion der dänischen Juden kennen
gelernt. Diese Ausstellung hat das Museum des Widerstands in Kopenhagen erstellt hat. In dieser Ausstellung wird auch
Tätigkeitsbericht 2010
37
über die Reaktionen der dänischen Bevölkerung gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern berichtet und wie es überhaupt
möglich war, dass über 7.000 Juden unter den Augen der Besatzungsmacht nach Schweden gerettet werden konnten.
Das Besondere an dieser Rettungsaktion war ja, dass durch die Information des von Duckwitz die dänische Bevölkerung
ihre jüdischen Mitbürger erst einmal versteckt hat. Das ist das Besondere an dieser Aktion, nämlich der bürgerliche
Widerstand gegen die Besatzungsmacht, nach dem Prinzip: Das sind unsere Mitbürger und wir liefern sie nicht der
Besatzungsmacht aus.
Kampe: Herr Fischermann, vielleicht sollte man noch einmal darauf eingehen, dass praktisch Antisemitismus in der
dänischen Bevölkerung nicht vorhanden war. Anders als in anderen Ländern, leistete man in dieser Hinsicht Widerstand
gegen die deutsche Besatzungsmacht, indem man eben sagte, die Juden sind Dänen.
Fischermann: Ich kann Ihnen sagen warum. In Dänemark war es so, dass man sagte: „In Dänemark sind wir alle
Dänen“. Man war nicht Jude, man war Däne mit einer anderen Religion.
Kampe: In Deutschland glaubten die Juden auch, sie seien Deutsche. Trotzdem wurden sie von der Bevölkerung und
der Gesellschaft nicht geschützt, sondern ausgegrenzt und ausgeliefert. Es kommt wohl weniger auf die Selbsteinschätzung der Juden, sondern auf die der Juden durch die Mehrheitsgesellschaft an.
Frage: Könnten Sie bitte über die Deportation der anderen Häftlinge nach Auschwitz berichten und wie Sie diese
Deportationen miterlebt haben.
Fischermann: Das verlief so, dass der Kommandant dem Bürgermeister gesagt hat, es werden 2.000 Personen nach
Auschwitz deportiert. Er solle nun die Namenslisten zusammenstellen. Jeder, der deportiert werden sollte, bekam einen
Zettel, dass er an einem bestimmten Tag und einer bestimmten Tageszeit mit Gepäck zu einem Treffpunkt kommen
musste. Sie mussten dann durch die beiden Tore gehen, draußen standen sie SS-Leute, haben die Häftlinge in die
Viehwaggons gestoßen. Die Türen wurden verschlossen und die Züge führen ab. Das Schlimmste waren eigentlich
daran zwei Sachen: Einmal, dass Hören der Züge. Zweitens, wenn man im Hof stand und all die Leute gesehen hat, die
auf den Transport mussten und nie wieder zurückkommen würden. Und man steht da, und kann gar nichts machen.
So war das jedes Mal. Und man hatte viele Freunde unter den Häftlingen. und wenn die dann den Zettel bekommen
haben, das war furchtbar.
Kampe: Herr Fischermann vielen Dank für das Gespräch, danke auch an das Filmteam um Herrn Pohle aus Rothenburg.
Eintragung im Gästebuch 2010
38 Tätigkeitsbericht 2010
Eintragung im Gästebuch 2010
Tätigkeitsbericht 2010
39
Bildungsarbeit mit Zeitzeugen - ASF-Freiwillige
treffen im Haus der Wannsee-Konferenz die ShoahÜberlebende Margot Friedlander
Schon seit der Eröffnung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz treffen Freiwillige
der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) auf
jüdische Shoah-Überlebende. Dies geschieht im
Rahmen eines Seminartages, die die Freiwilligen zur
Vorbereitung ihrer einjährigen Dienste in unterschiedlichen Ländern Europas, in den USA und Israel im Haus
besuchen. Die Freiwilligen sind zumeist um die zwanzig
Jahre alt.
Dieses Jahr trafen sich die ASF-Gruppen an zwei
aufeinander folgenden Tagen im September mit jeweils
rund 70 TeilnehmerInnen zum Gespräch mit der
89jährigen Berlinerin Margot Friedlander. Als sie
21 Jahre alt ist, werden ihre Mutter und ihr Bruder von
der Gestapo verschleppt. Sie selbst ist nicht zuhause.
Ihre Mutter hinterlässt ihr eine Nachricht: Versuche, dein
Leben zu machen. Im Versteck kann sie 15 Monate in
Berlin überleben. Dann wird sie verraten, nach
Theresienstadt verschleppt und dort befreit. Sie
emigriert in die USA und kehrt 2005, nach dem Tod
ihres Mannes, nach Berlin zurück.
Für ihre Biographie, die sie 2008 veröffentlichte, hat sie
die letzte Nachricht ihrer Mutter als Titel gewählt:
Versuche, dein Leben zu machen. Daraus liest sie der
Gruppe zunächst vor. Es ist eine ergreifende
Geschichte, in einer einfachen, eindringlichen Sprache
erzählt. Margot Friedlander hat eine ruhige, aber
deutliche Stimme, die den Seminarraum trotz der vielen
ZuhörerInnen gut ausfüllt. Nach einer dreiviertel Stunde
Lesung könnte man befürchten, dass die Wucht des
Textes den jungen Leuten die Sprache verschlagen hat
und dass ein Gespräch sich womöglich gar nicht
entwickelt. Doch das ist nicht der Fall: Margot Friedlander ist den ZuhörerInnen offen und freundlich
zugewandt. Sie betont nach der Lesung als erstes, dass
es ihr Ziel ist, den nachfolgenden Generationen ihre
Geschichte zu erzählen, damit sie diese Geschichte
wiederum an die nachfolgenden Generationen
weitergeben können.
40 Tätigkeitsbericht 2010
Damit gelingt es Margot Friedlander auf eine versöhnliche Art, die jungen Leute in eine Verantwortungsgemeinschaft zu bitten, die das Nachfragen und das
Gespräch erforderlich machen. Und dazu kommt es
dann auch, zunächst im großen Plenum mit der ganzen
Gruppe, danach bleibt eine kleinere Runde von zwanzig
Leuten um ihren Tisch versammelt und vertieft das
Gespräch.
Die Gruppe verlässt das Haus nicht direkt nach dem
Gespräch. Es findet am Vormittag statt, am Mittag und
Nachmittag folgen weitere Programmpunkte. Dabei
kann (und sollte) das Zeitzeugengespräch mit den
TeilnehmerInnen ausgewertet werden. Die Erfahrung
zeigt, dass dafür auch ein Bedürfnis besteht. Fragen,
die Margot Friedlander im großen Kreis vielleicht doch
nicht gestellt werden mochten, können hier diskutiert
werden: Wie konnte sie die Trennung von der Mutter
und später die Nachricht ihrer Ermordung (und die
Ermordung ihres Bruders) in Auschwitz verkraften?
Wenn ihr zudem nur eine Handtasche als Erinnerungsstück blieb? Was bedeutet es, mit einem Theresienstadt-Überlebenden verheiratet zu sein? Wie war in New
York, in das die beiden Eheleute emigrierten, ihr
Verhältnis zu Deutschland, zu Deutschen? Warum kehrt
sie 2005 nach Deutschland zurück? Es ist keineswegs
selbstverständlich, dass heute 20jährige, sei es bei
schulischen oder außerschulischen Veranstaltungen,
mit Shoah-Überlebenden bereits zusammengetroffen
sind. Viele Vereine, Gedenkorte und Schulen verlieren
die Kontakte zur Generation der Überlebenden, wenn
die ihnen vertrauten Zeitzeugen aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr zur Verfügung stehen.
Daher haben auch viele ASF-Freiwillige bis dahin
keinen Kontakt zu Shoah-Überlebenden. Die Unmittelbarkeit der Begegnung ist eine emotionale Herausforderung, für die ZuhörerInnen, für die begleitenden
PädagogInnen und natürlich auch für die Zeitzeugin
selbst. Daher muss neben dem eigentlichen Gespräch
ein Rahmen geschaffen werden, in dem das Gespräch
eingebettet ist.
Margot Friedlander in der ständigen
Ausstellung der Gedenkstätte vor dem
Foto ihres Mannes Adolf Friedlaender
Literaturhinweis:
Margot Friedlander (mit Malin
Schwerdtfeger): „Versuche, dein
Leben zu machen.“ Als Jüdin
versteckt in Berlin.
Hamburg: Rowohlt 2008.
(ISBN 978-3-499-62304-2)
Signatur in der Joseph WulffMediothek: H.2.9 Frie
Eintragung im Gästebuch der
Gedenkstätte
Das Haus der Wannsee-Konferenz bietet mit Ausstellung und Mediothek für ein Zeitzeugengespräch
überdies die Möglichkeit zur historischen Kontextualisierung des Gehörten. Die von Margot Friedlander
genannten Lager wie Auschwitz und Theresienstadt
können weiter thematisiert werden; die Rolle der
Gestapo und anderer Behörden bei den Deportationen
kann erörtert werden; die Handlungsspielräume der
Menschen, die Juden halfen, können anhand konkreter
Beispiele ausgeleuchtet werden; der Umgang von
Tätern und Opfern mit der Geschichte nach 1945 kann
diskutiert werden.
Neben der diesjährigen Begegnung der ASF-Freiwilligen
im Haus der Wannsee-Konferenz hat ASF darüber hinaus
häufiger mit Margot Friedlander Begegnungen mit –
zumeist muslimischen – Migrantinnen aus Berlin-Neukölln
und -Kreuzberg organisiert, im Rahmen des Projekts
„Stadtteilmütter auf den Spuren der Geschichte“.
Tätigkeitsbericht 2010
Auch hier war Margot Friedlander eindrucksvoller
Gewinn für die Seminararbeit zum Nationalsozialismus.
Ihre geduldige, eindringliche und freundschaftlich offene
Art ermöglichten über die Begegnung mit einer ShoahÜberlebenden hinaus eine muslimisch-jüdische
Verständigung in der Gegenwart.
Sowohl das Haus der Wannsee-Konferenz als auch
ASF schätzen sich sehr glücklich, mit Margot Friedlander eine überaus wichtige Partnerin in der Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus gefunden zu haben. Wir
wünschen uns, dass wir noch viele Jahre mit Margot
Friedlander auf diese Weise zusammenarbeiten können
– und bedanken uns an dieser Stelle herzlich für die
Bereitschaft, die Geschichte mit uns zu teilen.
Eike Stegen
Freier wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte
seit 2000
41
Podiumsdiskussion
zum Thema „Zentralisierung und Politisierung des
Gedenkens? - Zur Zukunft der Erinnerungskultur
an die NS-Verbrechen in Deutschland und Europa“
am 18. November 2010 in der Saarländischen
Landesvertretung
Die Ständige Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte
im Berliner Raum hat es sich zur Aufgabe gemacht, für
öffentliche Veranstaltungen Themen zu wählen, die für
die NS-Gedenkstätten in Berlin und Brandenburg von
übergreifender Bedeutung sind. Zu diesen Themen
gehören auch die aktuellen Entwicklungen in der
Erinnerungskultur in Deutschland und Europa. Als
Auftakt wählte die Ständige Konferenz eine Podiumsdiskussion zu Zentralisierungs- und Politisierungstendenzen im Gedenken.
In der Diskussion stand die Frage im Mittelpunkt, ob der
Beschluss des Europäischen Parlaments im April 2009,
den 23. April zum Gedenktag für die Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime zu erheben, erinnerungskulturell eine gute Entscheidung darstellt. Die Podiumsteilnehmer sind sich einig, dass die Integration der
Erinnerung an die kommunistischen Opfer in die europäische Erinnerung wichtig ist. Günter Morsch, Direktor
der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, sprach
sich jedoch dagegen aus, einen gemeinsamen
Gedenktag für die Opfer kommunistischer Regime und
für die Opfer des Nationalsozialismus einzuführen. Er ist
der Meinung, dass ein solcher Gedenktag für Konflikte
sorgen und daher kontraproduktiv für die Herausbildung
einer europäischen Identität sein wird. Auch die Wahl
des 23. August für den Gedenktag, der sich auf die
Verabschiedung des Hitler-Stalin-Paktes (1939) bezieht,
hält Morsch für ungünstig. Darin stimmten ihm die
anderen Podiumsteilnehmer Dr. Jens Bisky, FeuilletonRedakteur der Süddeutschen Zeitung und Buchautor,
Malte Lehming, Leiter der Meinungsseite beim Berliner
Tagesspiegel und Prof. Dr. Claus Leggewie, Direktor
des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, zu.
und demokratisch liberalen Staaten auf der anderen
Seite gewesen. Morsch würde den Tag der Oktoberrevolution, der den Beginn der kommunistischen
Regime markiert, als eine gute Wahl für einen
Gedenktag zur Erinnerung an die kommunistischen
Opfer halten. Seine Vermutung ist, dass der Tag des
Hitler-Stalin-Paktes bewusst gewählt worden ist, um
eine neue europäische Meistererzählung zu schaffen,
bei der kommunistische Regime und die nationalsozialistische Diktatur gleichgesetzt werden sollen.
Dafür spricht auch, dass in Brüssel ein Museum für die
Opfer aller autoritärer und totalitärer Regime errichtet
werden soll. Während das Europäische Parlament im
Jahr 1993 eine Geschichtsresolution verabschiedet hat,
in der es heißt, dass die verschiedenen Geschichtsphasen nicht miteinander vermischt werden sollen,
erfolgt 16 Jahre später eine völlige Neubewertung.
Morsch führt aus, dass dadurch der falsche Eindruck
erweckt werde, als seien Krieg und Völkermord nach
dem 1. September 1939 das Ergebnis eines Konflikts
zwischen den totalitären Diktaturen auf der einen Seite
Malte Lehming erzählt, dass ihm ein Bekannter vor
Jahren einmal vorwarf, dass die Singularitätsthese nur
dazu dienen würde, die kommunistischen Opfer aus der
Erinnerung auszuschließen.
42 Tätigkeitsbericht 2010
Als Konfliktsoziologe betrachtet Claus Leggewie einen
zivilisiert ausgetragenen Unfrieden und den Versuch,
eine europäische Identität zu schaffen, als positiv. Er
betont, dass Europa nicht nur aus einer gemeinsamen
Währung und einem freien Markt bestehen könne,
sondern auch eine gemeinsame Geschichtspolitik
braucht. Ein Vergleich der Diktaturen betrachtet er als
legitim und eine Verständigung über unterschiedliche
Sichtweisen als produktiv. Dies gilt beispielsweise auch
für den Versuch von Frankreich und Deutschland, ein
gemeinsames Geschichtsbuch für die Schülerinnen und
Schüler beider Länder zu erstellen, oder für die
Einrichtung einer Kommission von Armeniern und
Türken, die sich mit dem Genozid an den Armeniern
auseinandersetzt.
Dieser Vorwurf hätte ihn zum Nachdenken angeregt.
Die Ablehnung der Entscheidung des Europäischen
Parlaments hält er für übertrieben. Er zweifelt außerdem an, ob es denn überhaupt ein gemeinsames
deutsches Geschichtsbild gäbe. Lehming betont, dass
Gedenken per se nie apolitisch sei.
Die Moderatorin Gabriele Lesser, OsteuropaKorrespondentin und Historikerin, weist darauf hin, dass
der russische Präsident Dmitrij Medwedew am 20. Mai
2009 eine Kommission eingerichtet hat, deren Aufgabe
es ist, „Geschichtsfälschungen“ zum Nachteil der
Interessen Russlands unter Strafe zu stellen. Dies sei
eine unmittelbare Reaktion auf die Verabschiedung des
europäischen Gedenktags gewesen. Sie fragt, wie man
damit umgehen soll.
Die Podiumsteilnehmer sind sich einig, dass die
Einrichtung einer solchen Kommission nicht akzeptiert
werden kann. Günter Morsch weist darauf hin, dass
Memorial und andere Organisationen zur Zeit einen
schweren Stand und russische Historiker große Angst
hätten, vor Gericht gestellt zu werden. Leggewie betont,
dass in Russland die ausgebliebene Demokratisierung
und die nicht aufgearbeitete Vergangenheit unmittelbar
miteinander zusammenhängen. Er bezeichnet sich
selbst als radikaler Verfechter der Meinungsfreiheit und
spricht sich dagegen aus, Geschichtsauffassungen
durch Gesetze zu oktroyieren, wobei er den europäischen Gedenktag nicht in diesem Sinne versteht.
Lehming und Bisky weisen darauf hin, dass sich viele
Staaten bei der Unterstrafestellung von bestimmten
Geschichtsauffassungen auf die Gesetzgebung zur
Leugnung von Auschwitz beziehen und dass dieser
Paragraph daher wieder abgeschafft werden müsse.
Günter Morsch betont, dass Deutschland als ehemaliges Land der Täter eine besondere Verpflichtung
hat, die Überlebenden vor rechtsextremen Übergriffen
zu schützen.
Claus Leggewie vertritt hingegen die Ansicht, dass die
Existenz eines solchen Paragraphen Übergriffe auf
Menschen sowieso nicht verhindere.
Auf die Frage, wie eine Konkurrenz zwischen den NSOpfern und den Opfern kommunistischer Regime
verhindert werden kann, sind die Podiumsteilnehmer der
Ansicht, dass dies nicht möglich ist. Günter Morsch
weist darauf hin, dass die Gedenkstätte Sachsenhausen eine Konzeption der rationalen Geschichtsauffassung verfolgt, die auf Differenzierung und
Kontextualisierung großen Wert legt. Dies habe auch zu
einigen Erfolgen geführt, aber dennoch gäbe es nach
wie vor Konflikte. Er kritisiert, dass einzelne Politiker
beim Jahrestag der Befreiung die Überlebenden dazu
aufgefordert hätten, dass sie auch an die Opfer nach
1945 gedenken müssten, was ein Gedenken an NSBelastete einschließen würde. Es gäbe immer wieder
Versuche, das Speziallager mit dem KZ gleichzusetzen.
Diejenigen, die die Todeszahlen beim Speziallager hoch
rechnen würden seien dieselben, die die hohen
Todeszahlen im KZ bezweifeln würden.
Tätigkeitsbericht 2010
Claus Leggewie wiederum erinnert kritisch an die Zeit
des Kalten Krieges, in dem es im Westen bei den Linken
einen „bornierten Anti-Antikommunismus“ gegeben habe
und der Gulag ein absolutes Tabu-Thema gewesen war.
Jens Bisky stellt fest, dass im NS-Gedenken im Laufe
der Zeit immer neue Opfergruppen hinzugekommen
sind. Geschichte dürfte aber nicht nur additiv sein,
sondern müsse auch die größeren Zusammenhänge
erzählen. Die Gedenkstätten seien aber damit überfordert; dies müssten Einrichtungen wie das Deutsche
Historische Museum übernehmen. Er weist außerdem
darauf hin, dass politischer Druck durchaus auch positiv
sein könne: die Veranwortung für die Massaker in Katyn
sei von den Russen lange Zeit nicht übernommen
worden, bis Gorbatschow schließlich bestätigte, dass
diese Verbrechen von den Sowjets und nicht den
Deutschen begangen worden waren. In den letzten
Jahren hätten die Russen in diesem Punkt aber wieder
Rückschritte gemacht.
Als wichtige Herausforderung der Zukunft sieht
Leggewie den Umgang von Jugendlichen mit
Migrationshintergrund und die Frage, wie sie mit der
deutschen Vergangenheit umgehen. Leggewie hält es
für wichtig, dass Gedenkstätten in ihrer Arbeit auch
andere Genozide mit einbeziehen. Auch Lehming geht
davon aus, dass für die nächste Generation der globale
Maßstab wichtiger ist und die Spezifika weniger interessieren. Morsch hingegen betont die Notwendigkeit der
historischen Kontextualisierung, ohne die ein tieferes
Verständnis gar nicht möglich sei Als fördernd für die
Entwicklung einer europäischen Identität würde er die
Erinnerung an die positive Geschichte, d. h. der
Entstehung der Demokratien, ansehen.
Die Ständige Konferenz wird weitere Veranstaltungen
zur Erinnerungskultur anbieten, wobei der Fokus auf der
Erinnerungskultur in ausgewählten Ländern liegen wird.
Andrea Riedle
Koordinierende Assistentin der Ständigen Konferenz der
Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum
43
“The diversity of the audience - Teaching about the
Holocaust at Memorial Sites, Museums and in
Educational Centers”, August 2010
Im Jahr 2009 organisierte die Anne-Frank-Stiftung
Amsterdam ein Symposium zu „Konzepten zur
Vermittlung der Geschichte des Holocaust in multikulturellen (vielfältigen) Klassenzimmern”. Hintergrund
der Tagung war die Situation der Kolleginnen und
Kollegen in Anne-Frank-Zentren in Südafrika und
anderen Einrichtungen, in denen die Geschichte des
Holocaust vermittelt wird, die bei ihrer Arbeit regelmäßig
damit konfrontiert werden, dass die Besucherinnen und
Besucher die ihnen präsentierte Geschichte mit der
Geschichte der Apartheid assoziieren bzw. sich mit
dieser Geschichte auseinandersetzen wollen, weil sie
ihnen näher liegt. Gleichzeitig gibt es eine Entscheidung
der Regierung die Geschichte des Holocaust in die
Lehrpläne aufzunehmen. Bereits in Amsterdam waren
Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden,
Südafrika, den USA, Großbritannien, Frankreich, Israel
und ich vom Haus der Wannsee-Konferenz anwesend.
Die Diskussionen waren sehr anregend, führten jedoch
immer wieder zur Kernfrage, ob wir die Geschichte des
Holocaust brauchen, um über Apartheid zu sprechen
oder umgekehrt, ob die Geschichte der Apartheid
gebraucht wird, um über den Holocaust zu sprechen. Im
Kern also die Frage, wie und ob die eigenen Erfahrungen unserer Besucherinnen und Besucher, gerade
wenn es sich um eigene gewaltbelastete Geschichten
handelt, im Rahmen der Besuche thematisiert werden
können, sollen oder sogar müssen.
Da sich alle Teilnehmenden darüber bewusst waren,
dass eine Entscheidung auch dadurch beeinflusst
werden kann, wo die konkrete Arbeit durchgeführt wird –
ob für die Wahrnehmung der Besucherinnen und
Besucher beispielsweise das Wissen an einem
historischen Ort zu sein eine Rolle spielt – wurde der
Wunsch geäußert, eine Fortsetzung der Diskussionen
an einer Gedenkstätte in Deutschland zu organisieren.
Dies gelang im August 2010 im Rahmen der Tagung
“The diversity of the audience - Teaching about the
Holocaust at Memorial Sites, Museums and in
Educational Centers” im Haus der Wannsee-Konferenz.
Um auf die Spezifität des Ortes einzugehen wurden als
Einstieg, zunächst unabhängig vom Thema der multikulturellen Besuchergruppen, die generellen
Herausforderungen der Arbeit an einer Gedenkstätte
thematisiert, die sich durch die unterschiedlichen
Erwartungen ergeben, seitens der allgemeinen Öffentlichkeit (z. B. im Hinblick auf die häufig vorgenommene
Zuschreibung einer per se „Präventionseinrichtung“
gegen jede Form undemokratischen Gedankenguts, der
Einzelbesucher (u. a. Überlebender und deren Angehörige z. B. im Hinblick auf den Gedenkort), der Schulen
(z. B. im Hinblick auf die Bildungsfunktion von
Gedenkstätten) und schließlich der Mitarbeitenden mit
ihren unterschiedlichen Ansprüchen.
4
Konkret waren dies unter anderem: Durch Holocaust
Education (HE) Menschenrechtserziehung zu leisten,
Antisemitismus durch HE zu bekämpfen, an wichtigen
gesellschaftlichen Diskursen teilzunehmen, sich seiner
eigenen Prioritäten bewusst zu sein, die Geschichte des
Ortes präzise und korrekt zu erzählen, alle Opfer der
NS-Verbrechen zu thematisieren, Bedingungen für ein
würdiges Gedenken zu schaffen, freie Meinungsäußerungen zu gewährleisten, aktuellste Forschungsergebnisse zu präsentieren und adressatenspezifische
Angebote zu erarbeiten.
Wie diese an sich schon sehr anspruchsvollen
Funktionen sich vor dem Hintergrund des Diskurses um
multikulturell zusammengesetzte Gruppen verändern
können oder ergänzt werden müssen, wurde im
nächsten Schritt erarbeitet, um einen Rahmen für die
4
gesamte Tagung zu bilden . Im Laufe der zwei Tage
wurden Fragen der Tagung 2009 erneut aufgegriffen
und im Kontext des historischen Ortes vertieft diskutiert.
Anhand der Erfahrungen aus Cape Town, wo Menschen
ihr während der Zeit von Apartheid erlittenes Leid mit
den Verfolgungsmaßnahmen deutscher Juden gleichsetzen um ihr Leid zu legitimieren und wahrgenommen
zu wissen, wird diskutiert, wie angemessen mit solchen
Vergleichen umgegangen werden kann. Wolf Kaiser und
Tracey Petersen (Cape Town Holocaust Centre) stellen
zu-nächst die historischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Ausgrenzungs- und Diskriminierungsapparat bis etwa 1938 dar, die mit Besuchern
besprochen werden sollten. Unabhängig davon ist
jedoch wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass ihre
Erfahrungen – trotz bestehender Unterschiede der
Regime – wahr- und ernst genommen werden. Guy
Band und Raya Kalisman (Ghetto Fighters’ Museum/
Israel) beschreiben die Schwierigkeiten, die sich bei
Holocaust Education im Kontext von aktuellen Konflikten
ergeben können und welche Methoden sich als
konstruktiv erwiesen haben.
Anhand einer Studienreise mit einer Gruppe junger
Erwachsener vor allem türkischer und arabischpalästinensischer Herkunft aus Berlin in die Gedenk5
stätte Auschwitz berichten Elke Gryglewski und Alicja
Bialicka von den Schwierigkeiten an einer so frequentierten Gedenkstätte auf die Bedürfnisse einer multikulturellen Gruppe einzugehen.
Darüber hinaus wird gerade im Zusammenhang mit
diesem Bericht deutlich, wie sehr unsere Arbeit von den
sozialen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen der
einzelnen Teilnehmen beeinflusst wird. Je schwieriger
die Lebenssituation, aus der die Gruppen kommen, um
so mehr spielen pädagogische Aspekte eine Rolle, die
weit über die Wissensvermittlung hinausgehen.
So hat die Diskussion, wer die ‚Prävention’ am meisten nötig habe, sich vor allem in Richtung Jugendlicher arabischer, türkischer oder
muslimischer Herkunft verschoben, was allen empirischen Daten widerspricht, denen zu Folge rechtsextremes, rassistisches oder antisemitisches
Gedankengut immer noch vor allem ein Problem der Mehrheitsgesellschaft darstellt.
5
Die Reise wurde von Andrés Nader von der Amadeu-Antonio-Stiftung organisiert. Nachdem die Gruppe zur Vorbereitung einen Studientag im Haus
der Wannsee-Konferenz durchgeführt hatte, war ich eingeladen worden, mit nach Polen zu reisen.
44 Tätigkeitsbericht 2010
Mit der Präsentation des Dokumentenkoffers
„GeschichteN teilen“ verband sich eine Debatte um die
Frage, was wir in Gedenkstätten vermitteln wollen, oder
warum sich das Narrativ auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränken sollte.
Schließlich besuchte die Gruppe die Ausstellung „7 x
Jung“ (s. u.), um die Fragen an einem nicht-historischen
Ort erneut zu diskutieren. Strittig war hier, ob eine
Behandlung der Geschichte des NS unbedingt an dem
sonst allgemein sehr gelobten Ort stattfinden muss, der
die seltene Chance bietet, mit Jugendlichen die Frage
zu diskutieren, was ihre Identitäten ausmacht.
Die Bilanz: Eine anregende, intensive und von daher
durchaus anstrengende Tagung, auf der manche
Fragen beantwortet, viele aber zunächst nur präzisiert
wurden. Wir wollen uns, wenn möglich, auch im
nächsten Jahr treffen um weitere Antworten zu finden
und uns wechselseitig unsere Methoden für
multikulturelle oder „diverse“ Gruppen vorzustellen.
Elke Gryglewski
Bildungsabteilung, Haus der Wannsee-Konferenz
______________________________________
POESIE UND MUSIK ALS MITTEL DER VERTEIDIGUNG VON
MENSCHENRECHTEN *
HAUS DER WANNSEE-KONFERENZ GEDENK- UND BILDUNGSSTÄTTE
Entwicklung von Unterrichtsmaterialien zur Menschenrechtsbildung mit historischen Zeugnissen
Das Haus der Wannseekonferenz hat im bisherigen Projektverlauf zusammen mit Jugendlichen für die
Menschenrechtsbildung geeignete historische Zeugnisse bearbeitet und erste Entwürfe für Unterrichtsbausteine und
Hörstationen entwickelt. Im Folgeprojekt sollen 8-10 Unterrichtsentwürfe ausgestaltet, Feinarbeiten an den
Tonmaterialien vorgenommen, ein Comicbaustein mit 10 Comicseiten ausgearbeitet und das Ganze mit einem
ansprechenden Layout für eine DVD mit Begleitheft für den Schulunterricht ausgearbeitet werden. Für den Einsatz an
Studientagen im Haus der Wannseekonferenz soll zudem ein Hörguide mit 10 Hörstücken hergestellt werden.
______________________________________
Eintragung im Gästebuch
Tätigkeitsbericht 2010
45
Vorträge am Sonntag 2010
Diese Veranstaltungsreihe wendet sich an ein Publikum, das interessiert ist an Einzelaspekten der ideologischen,
politischen und sozialen Geschichte des Nationalsozialismus. Mit den Terminen jeweils am Sonntagnachmittag möchten
wir jene Öffentlichkeit erreichen, die den Wunsch hat, sich am historischen Ort über neuere Forschungsergebnisse,
Projekte und aktuelle Debatten zu informieren und mit den eingeladenen Referentinnen bzw. Referenten zu diskutieren.
In diesem Herbst werden zunächst drei junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschungsprojekte
vorstellen. Als „work in progress“ haben sie ihren Platz in der Sonntagsreihe.
Lore Kleiber
Konzeption und Moderation der Vortragsreihe
Sonntag, 14. November 2010
Johannes Fülberth
Das Strafgefängnis Spandau 1920-1945 - Kontinuität und Bruch im Strafvollzug
Das Strafgefängnis Spandau ist heute fast nur noch als
letzter Aufenthaltsort des Stellvertreters Hitlers Rudolf
Hess bekannt. Dies scheint symptomatisch für den
allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema
Strafvollzug zu sein:
Der normale Gefängnisalltag erscheint kaum interessant, obwohl sich gerade hier gesellschaftliche
Normen und Tendenzen im Umgang mit delinquentem
Verhalten manifestieren.
Nach dem Reichstagsbrand wurde es zentraler Haftort
für prominente politische Gefangene aus Berlin wie z. B.
Kurt Hiller, Hans Litten oder Werner Scholem. Im Laufe
der Umsetzung der nationalsozialistischen Politik der
1930er Jahre wurden Gefangene Opfer von Zwangssterilisationen. Unmittelbar an die Haftzeit schlossen
sich häufig Überweisungen in die KZs und zur
Zwangsarbeit an.
Während der Weimarer Republik unterstand das
Strafgefängnis Spandau lange Zeit einem reformorientierten Direktor, der neuzeitlichen Bestrebungen im
Strafvollzug durchaus aufgeschlossen gegenüberstand.
Es gab für die Häftlinge die Möglichkeit, Konzerte und
Vorträge zu hören. Ein abgestufter Strafvollzug wurde
eingeführt. Im Nationalsozialismus waren Gefängnisse
ebenso wie Konzentrationslager Teil des Systems, in
dem sie ihre Rolle als Instrument der Repression und
Disziplinierung der Bevölkerung erfüllten.
Strafgefängnis Spandau
46 Tätigkeitsbericht 2010
Sonntag, 21. November 2010
Veronika Springmann
Sport als Praxis der Gewalt im Konzentrationslager
„Wir hatten ein äußerst vielseitiges Tagesprogramm.
Dafür sorgten schon immer unsere Kapos und die
SS-Männer. Sie überboten sich gegenseitig im
Ausdenken immer neuer Folterungen. Man könnte
meinen, ganz harmloser. Den ganzen Tag machten
wir Sport: Hüpfen, Rollen, Tanzen, Kniebeugen.“
Mit diesen zynischen Worten bilanziert der AuschwitzÜberlebende Wiesław Kielar in seinem Erinnerungsbericht den Sport als Erfahrung von Qual und Peinigung
im Alltagsleben des Konzentrationslagers. Die Form
des befohlenen Bewegens wurde von den Aufsehern
wie auch von den Häftlingen als „Sport Machen“ oder
„Lagersport“ bezeichnet. In zahlreichen Berichten
männlicher Häftlinge wird dieses „Sport Machen“ als
eine Erfahrung von Willkür und Folter beschrieben.
Die ständige Gewalt in den Konzentrationslagern erfuhr
durch die zusätzliche körperliche Beanspruchung der
Insassen eine weitere Steigerung. Am Beispiel der
Konzentrationslager Esterwegen, Sachsenhausen,
Ravensbrück, Mauthausen und Auschwitz wurde die
Dimension des Lagersports untersucht. Warum wird eine
sportliche Praxis, die außerhalb des Konzentrationslagers
der gesundheitlichen Stärkung und Formung des Körpers
dient, nun in den Konzentrationslagern gewaltförmig
verändert wird, um die Häftlinge zu quälen.
Aus: Schäfer, Werner: Konzentrationslager Oranienburg. Berlin (1934), Bildtafel nach Seite 160
Tätigkeitsbericht 2010
47
Sonntag, 28. November 2010
Julia Werner
Fotografien der Shoah - Bilder aus dem „Judenlager Konstancja“ in Kutno
Im Mittelpunkt des Vortrags stand die Bildserie eines
Lehrers aus Schleswig, der als Wehrmachtssoldat die
Einrichtung des jüdischen Gettos in Kutno, einer kleinen
Stadt im Warthegau, in allen Etappen mit seiner Kamera
festgehalten hat.
An diesem einen Tag schoss er etwa 100 Bilder und
dokumentierte den gesamten Prozess der Gettoisierung.
Er hielt auch das Verhältnis zwischen Tätern, Opfern und
Zuschauern fest. Kein anderer Quellenfundus zeigt dies
so detailliert.
Daneben dokumentieren noch andere erhaltene Fotos
das Alltagsleben im Getto. Bei allen vorliegenden
Bildsammlungen handelt es sich um Täterbilder.
Fotografen waren ein Wehrmachtssoldat, ein Mitglied
einer Propagandakompanie oder ein Schutzpolizist:
- Wie haben diese Fotografen gesehen?
- Welchen Blick hatten sie auf die Opfer?
- Wie nah sind sie an das Geschehen
herangetreten?
Die genaue Analyse der jeweiligen fotografischen
Perspektive war ein zentrales Anliegen des Vortrags.
„Einsiedlung“ in das Ghetto Kutno
Sonntag, 5. Dezember 2010
Reinhard Strecker im Gespräch
Beschwiegene Vergangenheit
Reinhard Strecker ist ein äußerst interessanter
Zeitzeuge, wenn es um das politische Klima der 1950er
und 1960er Jahre und die Auseinandersetzung mit der
Nazi-Vergangenheit in Westdeutschland geht. Er war
u. a. Spiritus Rector der Ausstellung „Aktion Ungesühnte
Nazijustiz“, die Ende November 1959 zunächst in
Karlsruhe gezeigt wurde. Anschließend reiste sie als
Wanderausstellung in weitere Städte Deutschlands,
nach Großbritannien und in die Niederlande. Im Visier
war die Personalpolitik der Justiz in der damaligen
Bundesrepublik.
Schon 1948 waren hier zu 90% wieder Richter und
Staatsanwälte tätig, die bereits vor 1945 in diesem
Bereich arbeiteten. Reinhard Strecker und seine
Mitstreiter vom Sozialistischen Deutschen Studenten
48 Tätigkeitsbericht 2010
und machten durch ihre Recherchen öffentlich, wo und
in welchem Umfang in den Nationalsozialismus verstrickte Juristen ihre Karrieren als Richter und Staatsanwälte in Westdeutschland nahezu bruchlos fortgesetzt
hatten.
Seine Empörung über die skandalöse Vergangenheitspolitik der Bonner Regierung verwandelte Reinhard
Strecker in konkrete Aktionen und Forderungen gegen
den drohenden Schlussstrich durch Verjährung.
… vor 80 Jahren …
Vossische Zeitung, Nr. 107 v. 04.03.1930
… vor 70 Jahren …
am 4. Mai 1940 wird Friedrich Minoux während seiner
Aussage im Kriminalgericht Berlin verhaftet und in das
Untersuchungsgefängnis Berlin Lehrter Straße
gebracht.
Friedrich Minoux, Besitzer des Grundstücks Am
Grossen Wannsee 56-58 und Inhaber der Friedrich
Minoux Kohlenhandlung wird vorgeworfen, die Berliner
Gaswerke, die Stadtwerke Potsdam und die Gasbetriebsgesellschaft Berlin betrogen zu haben.
Mit Vertrag vom 10. September 1921 verkauft Ernst
Marlier, der Eigentümer des Grundstücks der heutigen
Gedenkstätte, das Areal an die Norddeutsche-Grundstücks Aktiengesellschaft zum Preis von 2.300.000 Mark
an Friedrich Minoux. Minoux ist der Vorstandsvorsitzende
der Norddeutschen Grundstücks Aktiengesellschaft. Das
Vermögen dieser Gesellschaft geht im November 1937
auf die Proba Metallgesellschaft mit Sitz in Berlin über,
deren Gesamtvermögen wiederum am 21. Dezember
1937 auf Friedrich Minoux übergeht.
Minoux (1877-1945), der bereits
im Alter von 33 Jahren kaufmännischer Direktor auf Lebenszeit der Gas- und Wasserwerke
Essen wird, wechselt 1912 zum
Konzern des Hugo Stinnes, leitet
zuerst die Berliner Niederlassung
des Stinnes-Konzerns und wird
Vorstandsmitglied der Stinnesgesellschaft Vaubeka (Vereinigte
Berliner Kohlenhändler AG). 1919
erfolgt seine Beförderung zum
Generaldirektor des StinnesKonzerns.
Friedrich Minoux, undatiert
Tätigkeitsbericht 2010
Bereits im Oktober 1923 trennt sich Stinnes von Minoux,
da es zwischen beiden zu heftigen Auseinandersetzungen über die aktuelle Wirtschafts- und Finanzpolitik kommt. Minoux wird daraufhin Mitinhaber des
Berliner Bankhauses Jacquier & Securius und gründet
eine Kohlengroßhandlung und Kohlenimportfirma.
Während seiner Tätigkeit bei Stinnes erwirbt Minoux ein
großes Vermögen, da er Inhaber mehrerer Firmen und
Teilhaber an Wirtschaftsgesellschaften ist. Sein Gehalt
bei Stinnes beträgt jährlich bereits 350.000 Goldmark.
Seit 1923 steht Minoux in Kontakt mit Politikern auf der
Rechten und rechtsradikalen Wehrverbänden, deren Ziel
die Errichtung einer politisch starken, autoritären
Regierung ist. Am 21. Februar 1923 soll diesbezüglich ein
Gespräch zwischen Minoux, dem Chef der Heeresleitung
Hans von Seeckt und dem ehemaligen Generalquartiermeister Erich Ludendorff in der Wannseevilla
stattgefunden haben.
Ziel ist die Errichtung eines „Direktoriums“ mit diktatorischen Vollmachten, das nach dem Sturz
der Reichsregierung Stresemann errichtet
werden und dem Minoux angehören soll.
Ludendorff ist allerdings mit dem
Wirtschaftsprogramm von Minoux nicht
einverstanden, da ihm dieses Programm zu
wenig völkisch, zu wenig antisemitisch und zu
sehr von materiellen Gesichtspunkten
bestimmt ist. Am 25. Oktober 1923 spricht
Minoux in München mit Ludendorff und Hitler.
Doch es kommt zu keiner Einigung. Minoux
will bei der wirtschaftlichen Stabilisierung
Deutschlands durch ein autoritäres Regime
nicht auf die Mitwirkung einzelner jüdischer
Bankiers verzichten und lehnt einen Putschversuch, wie ihn Hitler und Ludendorff kurz
darauf in München unternehmen, aus
taktischen Gründen ab.
49
Trotzdem versucht Minoux politisch aktiv zu werden.
Einem Artikel in der „Münchner Zeitung“ vom Oktober
1923 zufolge ist „Herr Generaldirektor Friedrich Minoux
(ist) in den verflossenen Monaten dauernd als Reichskanzlerkandidat, als Reichsminister und als Kandidat für
eine andere Position genannt worden.“
1933 kommt Minoux erstmals mit dem Gesetz in
Konflikt. Nach seiner Übernahme der Batschari
Cigarettenfabrik wird ihm Bilanzverschleierung und
-fälschung vorgeworfen. Er soll angeblich die Bilanzen
um mehr als 4.000.000 Reichsmark gefälscht haben.
Das Landgericht Berlin lehnt jedoch die Eröffnung des
Hauptverfahrens ab. Minoux, inzwischen Mitglied der
Gesellschaft zum Studium des Faschismus und der
Akademie für Deutsches Recht, ist 1938 außerdem
maßgeblich an der „Arisierung“ der Cellulosefabrik
Offenheimer in Okriftel beteiligt.
1938 erstattet die „Wirtschaftliche Vereinigung Deutscher
Gaswerke“ Anzeige gegen Minoux und andere wegen
Betruges. Es besteht der Verdacht, dass Minoux und
andere Beschuldigte im Laufe von 14 Jahren die Stadt
Berlin, die Gasbetriebsgesellschaft Berlin und die Stadtwerke Potsdam durch manipulierte Abrechnungen um
mehrere Millionen Reichmark betrogen haben.
Minoux wird während seiner Zeugenvernehmung am
4. Mai 1940 im Kriminalgericht Berlin verhaftet, in das
Untersuchungsgefängnis Berlin Lehrer Straße gebracht
und von dort am 20. Dezember 1940 in das Gefängnis
Berlin-Moabit verbracht, wo er bis zum 21. Juli 1942
bleibt. Die Reststrafe muss er im Gefängnis
Brandenburg-Görden verbringen.
Am 10. Juli 1940 beziffert die Generalstaatsanwaltschaft
beim Landgericht Berlin den Schaden auf 5.000.000 bis
6.000.000 Reichsmark. Die Gesamtforderung der
Berliner Gaswerke beläuft sich auf insgesamt
8.864.508,76 Reichsmark. Am 15. August 1941
verurteilt die 7. Strafkammer des Landgerichts Berlin
(Az. 1.Ba.K.Ls3.41/21.41) Minoux und die beiden
anderen Angeklagten wegen Betruges und gemeinschaftlicher Untreue zu jeweils fünf Jahren Zuchthaus
und Minoux zu zusätzlich 600.000 Reichsmark Geldstrafe. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm für fünf
Jahre aberkannt.
Aus dem Gefängnis heraus verkauft Minoux mit Vertrag
vom 31. Oktober 1940 das Grundstück Am Großen
Wannsee 56-58 an die 1939 von Reinhard Heydrich
gegründete Stiftung „Nordhav“ zum Preis von 1.950.000
Reichsmark. Von dieser Kaufsumme erhält Minoux nur
wenige 10.000 Reichsmark. Der Restbetrag wird zur
Schuldendeckung verwendet.
Minoux, der erst am 25. April 1945 aus dem Gefängnis
Brandenburg-Görden entlassen wird, stirbt am 16. Oktober 1945 in Berlin und wird auf dem Neuen Friedhof in
Berlin-Wannsee beigesetzt.
Michael Haupt, GHWK
50 Tätigkeitsbericht 2010
… vor 20 Jahren …
Tätigkeitsbericht 2010
51
Eintragungen im Gästebuch
52 Tätigkeitsbericht 2010
Fotos: Werner Zellien, Umbauphase zur Gedenkstätte (1988)
Tätigkeitsbericht 2010
53
Bau- und Sanierungsmaßnahmen 2010
Die im Jahr 2009 begonnenen umfangreichen Bau- und Sanierungs- bzw.
Restaurierungsmaßnahmen an der denkmalgeschützten Villa wurden im Jahr
2010 mit einer kompletten fortgesetzt Dachsanierung und -erneuerung
fortgesetzt.
In einer achtmonatigen Bauphase wurde das gesamte Flachdach erneuert
und eine Wärmedämmung eingebracht. Des Weiteren erfolgte die
Renovierung bzw. Instandsetzung der Außenfassade im zweiten Obergeschoß und Restaurierungsarbeiten am Gesims.
Die Maßnahme betraf die Dachfläche über
dem zweiten Obergeschoß sowie die seitlichen Dachabdeckungen über dem ersten
Obergeschoß. Auf Grund der vorhandenen
schadhaften Dachabdichtung kam es in den
vergangenen Jahren immer wieder zu
Feuchtigkeitsschäden in verschiedenen
Räumen im Obergeschoß. Der schadhafte
Putz sowie die schadhaften Verblechungen
inklusive der Regenrinnen wurden aufwendig erneuert. Da durch ebenfalls schadhafte Gesimsabdeckungen Wasser in das
Mauerwerk eingedrungen ist, war eine
komplette Erneuerung inklusive der Unterkonstruktion, die aus Stahlträgern bestand,
erforderlich.
Ebenfalls aufwendig saniert wurde einer der beiden
Marmorlöwen, die die Treppe flankieren, die aus dem
Garten auf die seeseitige Terrasse des Hauses führt.
Der Löwe, vermutlich Carraramarmor, zeigte erhebliche
Risse durch Verwitterung und einen abgebrochenen
Schwanz. Der betreffende Löwe bekam eine Reinigung
mit Mikrofeinstrahl. Die aufwendige Risssicherung
erfolgte durch Injektionsharz. Die ursprüngliche Politur
des Marmors ist an keiner Stelle erhalten.
54 Tätigkeitsbericht 2010
Publikationen der Gedenkstätte
Ausstellungskataloge:

Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden. Berlin 2008, 224 S.,
ISBN 3-9808517-7-X / 978-3-9808517-7-0

The Wannsee Conference and the Genocide of the European Jews. Berlin 2009, 416 S.,
ISBN 3-9808517-8-8 / 978-3-9808517-8-7

‫[ ואנזה ועידת והשמדת יהודי אירופה‬hebräische Ausgabe]. Berlin 2007, 203 S., ISBN 3-9808517-6-1
Katalogbroschüren (gekürzte Ausgaben):

La Conferencia de Wannsee y el Genocidio de los Judios Europeos. Berlin 2007, 104 S.

La Conférence de Wannsee et le génocide des juifs d’Europe. Berlin 2007, 96 S.

Η ∆ιάσκεψη της Βάνζεε και η γενοκτονία των Εβραίων της Ευρώπης [griechische Ausgabe]. Berlin
2009, 140 S.

De Wannsee-conferentie en de volkermoord op de Europese joden [niederländische Ausgabe].
Berlin 2010, 140 S.

Konferencja w Wannsee i Zagłada Źydów europejskich [polnische Ausgabe]. Berlin 2010, 144 S.
Sonstige Publikationen:

"GeschichteN teilen" - Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus.
Berlin 2009, ISBN 978-3-9808517-9-4

Haupt, Michael: Das Haus der Wannsee-Konferenz. Von der Industriellenvilla zur Gedenkstätte.
Paderborn: Bonifatius 2009, 200 S. mit 130 Fotos u. Dokumenten. ISBN 978-3-9813119-1-4,

Villenkolonien in Wannsee 1870-1945 - Großbürgerliche Lebenswelt und Ort der WannseeKonferenz. Berlin: Edition Hentrich 2000. 145 S., ISBN 3-89468-260-4. (Schriftenreihe Gedenkstätte
Haus der Wannsee-Konferenz. 8.)

Willems, Susanne: Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner
Hauptstadtbau. Berlin: Hentrich 2002. 480 S., ISBN 3-89468-259-0. (Schriftenreihe Gedenkstätte
Haus der Wannsee-Konferenz. 10.)
Newsletter der Gedenkstätte





Nr. 19, Januar 2010, 12 S.
Nr. 20, Mai 2010, 16 S.
Nr. 21, Juli 2010, 16 S.
Nr. 22, November 2010, 12 S.
Nr. 23, Dezember 2010, 16 S.
Alle bisherigen Ausgaben des Newsletters sind auch auf der Internetseite der Gedenkstätte unter der Adresse
http://www.ghwk.de/newsletter/archiv.htm als PDF-Dateien nachlesbar und zum Ausdruck geeignet. Die Anmeldung zum
Online-Bezug des Newsletters ist unter der Adresse: http://www.ghwk.de/webadmin/newsletter.php möglich.
Tätigkeitsbericht 2010
55
Der Trägerverein der Gedenkstätte und der
internationale Beirat
Der 1990 gegründete gemeinnützige Trägerverein der
Gedenkstätte „Erinnern für die Zukunft – Trägerverein des
Hauses der Wannsee-Konferenz e.V.“ mit Sitz in Berlin ist im
Vereinsregister unter der Nummer VR 10493 Nz eingetragen.
Vereinszweck (§ 2 Abs. 1, Satzung) ist die Förderung
▪ des Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen
Politik des Völkermordes;
▪ der Information über die nationalsozialistischen Verbrechen;
▪ der Erziehung zur Demokratie und zur Verteidigung
der Menschenrechte.
Zu diesem Zweck betreibt der Verein die Villa Am Großen
Wannsee 56-58 (Haus der Wannsee-Konferenz) als Ort des
Gedenkens und des Lernens mit einer Dauerausstellung und
Veranstaltungen zur politischen Bildung (§ 2 Abs. 2, Satzung).
Organe des Vereins sind die Mitgliederversammlung, der
Vorstand und der internationale Beirat.
Der Tagesspiegel, Berlin, 18.10.1990
Mitglieder des Trägervereins der Gedenkstätte (2010)








Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur
und Medien, vertreten durch Ministerialdirigent Dr. Michael Roik
Das Land Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister, vertreten durch Richard Dahlheim (bis
August 2010), ab Oktober 2010 durch Staatssekretärin Barbara Kisseler
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin, vertreten durch die Vorsitzende Frau Lala Süsskind
Der Zentralrat der Juden in Deutschland, vertreten durch Dr. Peter Fischer
Das Erzbistum Berlin der Katholischen Kirche, vertreten durch Prälat Roland Steinke
Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg - schlesische Oberlausitz, vertreten durch
Oberkonsistorialrat Gerhard Zeitz
Der Bund der Verfolgten des Naziregimes, vertreten durch Frau Dr. Waltraud Rehfeld
Das Deutsche Historische Museum, vertreten durch Dr. Burkhard Asmuss.
Vorsitzende/r des Trägervereins: Richard Dahlheim (bis August 2010), seit Oktober 2010 Staatssekretärin Barbara
Kisseler, Chefin der Senatskanzlei Berlin.
Mitglieder des internationalen Beirates (2010)














Frau Deidre Berger, American Jewish Committee, Berlin
Frau Dr. Barbara Distel, ehem. Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Dachau
Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Hamburg
Thomas Kranz, Leiter der Gedenkstätte Majdanek, Lublin/Polen
Dr. David G. Marwell, Direktor des Museum of Jewish Heritage, New York/USA
Dr. Guy Miron, Schechter Institute of Jewish Studies, Jerusalem/Israel
Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Oranienburg
Frau Karen Polak, Anne-Frank Stichting, Amsterdam/Niederlande
Frau Prof. Dr. Monika Richarz, Berlin
Prof. Dr. Mark Roseman, Indiana University, Bloomington/USA
Prof. Dr. Reinhard Rürup, Berlin
Prof. Dr. Johannes Tuchel, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
Dr. Marian Turski, Warschau/Polen
Wilfried Wiedemann, Nienburg
Vorsitzender des Beirates: Prof. Dr. Reinhard Rürup.
■■■■■
56 Tätigkeitsbericht 2010
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Bianka Baatz
Auskunftsassistentin (seit 01.09.2010)
Maria Contreras Muňoz
Auskunftsassistentin
Barbara Ewald
Sekretärin
Elke Gryglewski
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bildungsabteilung
Michael Haupt
Leiter der Verwaltung
Dittmar von Halle-Becker
Hausmeister
Dr. Wolf Kaiser
stv. Leiter der Gedenkstätte, Leiter der Bildungsabteilung
Dr. Norbert Kampe
Leiter der Gedenkstätte
Lore Kleiber
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bildungsabteilung
Matthias Mann
Diplom-Bibliothekar
Dr. Dr. Wolf-Dieter Mattausch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Bildungsabteilung
Pierre Mbiene
Auskunftsassistent (bis 31.08.2010)
Gaby Müller-Oelrichs
Diplom-Bibliothekarin, Leiterin der Joseph Wulf Mediothek
Udo Petri
Auskunftsassistent
Ewa Runge
Diplom-Bibliothekarin
Jennifer Schröder
Sekretärin
Margrit Torber
Mediothekarin
sowie:
Florian Buchmayr
Österreichischer Gedenkdiener (bis 31.08.2010)
Georg Gostomczyk
Auszubildender, Fachangestellter für Medien und
Information, Fachrichtung Bibliothek (bis 31.05.2010)
Florian Riedelsperger
Österreichischer Gedenkdiener (seit 01.09.2010)
Heinz Stadelmann
Freiwilliger im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres
(seit 01.09.2010).
Theresa Stegmann
Freiwillige im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres
(bis 31.08.2010)
Aya Zarfati
Freiwillige der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste e. V.
(seit 01.09.2010)
■■■■■
Tätigkeitsbericht 2010
57
Pressespiegel 2010 (Auswahl)
58 Tätigkeitsbericht 2010
_______________________________________
Tätigkeitsbericht 2010
59
60 Tätigkeitsbericht 2010
Christlicher Digest, Nr. 03/2010
Tätigkeitsbericht 2010
61
62 Tätigkeitsbericht 2010
Magazin Museum.de, Ausg. 2/2010, September
Tätigkeitsbericht 2010
63
Geschichte neu entdecken
Mitte März präsentierten die jugendlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Projekts “Geschichte neu entdecken”
im arabischen Jugendclub Karame ihre Ergebnisse. Die Gruppe hat sich von Dezember 2009 bis März 2010 intensiv mit
dem Nationalsozialismus und mit der arabisch-jüdisch-palästinensischen Geschichte, die 1948 zur Nakba führte,
auseinander gesetzt. Jeden Freitag haben sich die Jugendlichen bei Karame getroffen. Sie haben die Arabische Liga
besucht, an einer Führung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz teilgenommen und einen
dreitägigen Exkurs mit Workshops im Haus Kreisau durchgeführt. Dort begannen sie mit den Vorbereitungen für ihre
Ausstellung über die jüdisch-arabische Geschichte und arabisch-jüdische Beziehungen von der Zeit des Osmanischen
Reiches bis zum UN-Teilungsplan. Die Ausstellung ist noch etwa zwei Monate in den Räumen des Karame e.V. in der
Wilhelmshavener Straße 22 zu sehen. Ermöglicht wurde dieses Projekt durch die Förderung des Kulturamt Mitte aus
dem Projektfonds Kulturelle Bildung des Landes Berlin.
Bereits vor zwei Jahren hatten sich Jugendliche von Karame im Projekt “Eine Reise in die Vergangenheit” in
Kooperation mit dem Haus der Wannsee-Konferenz mit der Geschichte des Nationalsozialismus und der Geschichte der
Palästinenser von den 1920er Jahren bis heute beschäftigt. Ein Höhepunkt des damaligen Projektes war eine Reise nach
Israel ermöglicht durch die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“.
Zu Beginn der Präsentation erklärten alle TeinehmerInnen (Namen siehe unten) ganz knapp die Herkunft ihrer eigenen
Familie. In verteilten Rollen wurde dann eine Zusammenfassung ihrer Geschichtsforschungen präsentiert. Besonders
beeindruckt stellten sie heraus, wie Khaled Abdelwahhab im Tunesien während des 2. Weltkriegs eine jüdische Familie
vor deutschen Soldaten rettete, hier für Interessierte das zusammengefasste Material zu Juden in Tunesien unter
Deutscher Besatzung aus dem Dokumentenkoffer GeschichteN teilen. Hier ist auch der Text der Lesung der
Jugendlichen herunterzuladen. Khaled ist der erste Araber der von der Gedenkstätte Yad Vashem als “Gerechter unter
den Völkern” geehrt wurde. 2007, 10 Jahre nach seinem Tod, wurde ihm der Courage to Care Award der Anti
Defamation League verliehen. Ein Interview mit seiner Tochter ist hier zu hören. Nach einem fröhlichen Dabke-Tanz,
standen die Jugendlichen vor den von ihnen erarbeiteten Plakaten zur Geschichte Palästinas bereit die Fragen der
BesucherInnen zu beantworten.
64 Tätigkeitsbericht 2010
Ich hatte Gelegenheit mit zwei der Teilnehmerinnen über das Projekt zu sprechen.
Lyla, 16 Jahre, erklärte mir, dass sie sich zum ersten Mal ausführlich mit der
Geschichte ihrer Familie auseinander gesetzt hat. Obwohl es schon ihre Urgroßeltern
waren, die 1948 die “Nakba“, die Katastrophe der Flucht und Vertreibung aus dem
neu gegründeten Staat Israel erlebten, prägt dieses geschichtliche Ereignis
unausgesprochen bis heute die Familie. Die Großeltern waren damals Kleinkinder, die
ihr weiteres Leben in Flüchtlingslagern verbringen mussten. Es war wichtig für Lyla,
sich so intensiv mit der komplizierten Geschichte Palästinas auseinanderzusetzen, um
zu verstehen, wie sich die Geschichte entwickelt hat, und warum eine Lösung für den
Nahost-Konflikt so schwierig ist.
Vor diesem Geschichtsworkshop hatte sie noch nie davon gehört, wie durch die Interessen der Kolonialmächte England
und Frankreich der Konflikt geschürt wurde. Sie hat das Plakat über das schwierige Thema, Balfour Deklaration,
erarbeitet. In der Schule ihr Wissen anzubringen, fällt ihr allerdings gar nicht leicht, denn Lehrer stellen die Geschichte
oft ganz anders dar und haben auch schon falsche Dinge behauptet. Da ist sie froh jetzt genug Faktenwissen zu haben.
Auch für Nadine, 17 Jahre, war das Projekt eine wichtige Erfahrung. Früher hat sie die Geschichte Palästinas überhaupt
nicht interessiert. Nun kann sie nachvollziehen, wie der Nahost-Konflikt entstanden ist, welche Einflüsse eine Rolle
spielten. Sie versteht, dass weder Araber noch Juden böse sind, wie viele Menschen je nach Blickwinkel von der einen
oder der anderen Seite behaupten. “Man muss damit aufhören den Schuldigen zu suchen,” sagt sie und will etwas gegen
den Hass tun. Denn viele der arabischen Jugendlichen, die in Berlin leben, hassen Juden, weil Palästina jetzt Israel ist.
“Aber sie wissen gar nicht, warum es so gekommen ist” sagt sie und erklärt wie schwierig es ist andere zu überzeugen.
Die Projekt-TeilnehmerInnen:
Hamza Abdallah, Batoul Abu-Yahya, Lyla Abu-Yahya, Mazen Ahmed, Zeynap Al-Bakary, Nora Chaachouh, Iman
Chaachouh, Habiba Darwich, Mari Elaian, Kaussar El-Hussein, Mageda El-Hussein, Nadine El-Jamal, Sally El-Jamal,
Kevin Ali Hadrous und Antonia Pischke bedankten sich mit dieser Abschluss-Veranstaltung am 12. März 2010 für die
Unterstützung bei den WorkshopleiterInnen:
Claudia de Coster, Gabriel Freville und Giuseppina Lettieri, amira – Antisemitismus im Kontext von Migration und
Rassismus, Elke Gryglewski, Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee Konferenz, Shemi Shabat und
Mohammed Ibrahim, Jerusalemkirche, Forum für interreligiöse Bildung, Esra Özyürek, Associate Professor,
Department of Anthropology, UC San Diego, sowie Victoria Loß, Elisabeth Kahn und Fred Pliewischkies, Karame e.V.
Ausführliche Informationen zum Nahost-Konflikt finden sich auf der Seite der Anti Defamation Kommission.
Fotos von Christoph Eckelt, 29. März 2010 | Von Susanne Torka |
Tätigkeitsbericht 2010
65
66 Tätigkeitsbericht 2010
Tätigkeitsbericht 2010
67
The Chogoku Shimbun (Japan), 20.09.2010
68 Tätigkeitsbericht 2010
ZeitZeugenBrief, Ausg. Juni/Juli 2010
Tätigkeitsbericht 2010
69
Versuch
Der Kreis des Lebens
Zwei Lubawitscher bereisen Deutschland
26.08.2010 – von Philipp Engel
Gute Erfahrungen gemacht: Sholom Kass (l.) und Chaim Itzkin haben schließlich auch eine Druckerei für das Buch »Tanya« gefunden.
© Mike Minehan
Wenn Chaim Itzkin und Sholom Kass an ihre Erlebnisse in der Gedenk- und Bildungsstätte »Haus der
Wannsee-Konferenz« zurückdenken, bekommen sie immer noch eine Gänsehaut. Eigentlich waren die
beiden jungen Rabbiner aus dem amerikanischen Pennsylvania und dem kanadischen Ontario im Rahmen
des von Chabad Lubawitsch organisierten »Rabbinical Student Visitation Programs« mit einer Idee nach
Deutschland gekommen. Sie wollten das Buch »Tanya« in allen Städten drucken lassen, die sie bereisten und
es Juden zur Verfügung stellen. Das von Rabbiner Schneor Salman verfasste und 1796 erschienene Werk gilt
als das philosophische Hauptwerk der Chabad-Bewegung. Doch dann erlebten Chaim und Sholom diesen
einen Augenblick, wie man ihn nur aus Filmen zu kennen glaubt.
MOMENTE Als sie an ihrem freien Tag die Villa am Wannsee betreten, in dem die Nazis fast sieben
Jahrzehnte zuvor die »Endlösung der Judenfrage« beschlossen hatten, treffen sie eine etwa 30-köpfige
Reisegruppe aus Israel. Nur kurz begegnen sich ihre Blicke und sofort beginnen die Rabbiner und die
israelischen Touristen unisono das »Schma Jisrael« zu sprechen. »Hätten Chaim und ich jemals Zweifel an
dem Sinn unserer Deutschlandreise gehabt, hätten sich diese spätestens in diesem Moment verflüchtigt«,
sagt Sholom. Und Chaim, dessen Vorfahren während der Schoa zu großen Teilen ermordet worden war,
ergänzt: »Allein für diesen einen Moment hätte sich unsere Reise gelohnt.«
Leipzig, Chemnitz, Magdeburg, Halle, Schwerin, Rostock, Berlin, Wismar und Dessau heißen ihre Stationen
während ihres sechswöchigen Deutschlandaufenthalts. Seit 1984 gibt es das Programm der »Roving Rabbis«.
Der damalige Lubawitscher Rebbe Menachem M. Schneerson hatte es initiiert, um das Buch »Tanya« jedem
Juden auf der Welt zugänglich zu machen. Dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, sei ihnen sehr wichtig,
sagt Sholom. »Insbesondere in Deutschland, wo Nazis Millionen jüdische Bücher vernichteten«, ergänzt
Chaim.
70 Tätigkeitsbericht 2010
WIEDERBELEBUNG Ihr Antrieb ist der Gedanke, dass durch Gott alles in der Welt mit gutem Grund
geschieht. »Alles, was wir tun, hinterlässt Spuren in der Welt. Dazu gehöre auch«, so Chaim, »anderen Juden
bei ihrem Wunsch, ein bewusstes jüdisches Leben zu führen, behilflich zu sein.« Dafür besuchen sie vor
allem Dörfer und kleine Städte, in denen es keine jüdische Infrastruktur gibt. Das Bedürfnis nach jüdischen
Angeboten sei bei vielen russischstämmigen Juden in Deutschland vorhanden, sind Chaim und Sholom
überzeugt. »Nachdem es in der ehemaligen Sowjetunion gefährlich war, jüdisch zu leben, wollen zumeist
ältere Zuwanderer heute wissen, was Jüdischkeit genau ist.«
Bei ihren Reisen in die verschiedenen Städte gehen Chaim und Sholom mehr oder weniger ohne Plan vor.
Ihre positiven Erlebnisse scheinen ihnen recht zu geben. Eine Begebenheit hat sie besonders beeindruckt.
Durch einen Irrtum landeten Chaim und Sholom auf der Suche nach einer Druckerei in einem Geschäft, das
Autoschilder stanzt. Ob Zufall oder gottgewollt – dort trafen sie einen älteren Juden, der die beiden Rabbiner
schon von Weitem mit »Schalom« begrüßte, als habe er schon seit Jahren auf sie gewartet. »Der Mann sagte
uns, dass er sich noch daran erinnere, wie sein Vater Tefillin legte, doch habe er ihm wegen des Krieges nie
erklären können, was es bedeute«, erklärt Chaim. Mit über 80 Jahren habe der Mann unter ihrer Anleitung
zum ersten Mal in seinem Leben die Tefillin gelegt und das »Schma Jisrael« rezitiert. Für den Mann sei es so
gewesen, sagt Sholom, als habe sich der Kreis seines Lebens geschlossen.
_________________________
Title:
Haus der Wannsee-Konferenz
Alternative
House of the Wannsee conference
title:
The Haus der Wannsee-Konferenz website presents primary historical sources
related to the Nazi meeting that was held at a villa on the Wannsee, Germany on
20 January 1942, to discuss Adolf Hitler's 'Final Solution' to the Jewish question. The
chilling original protocol of the conference is available in German and in translated
versions. Additional documents surrounding this meeting, including letters of
invitation and follow-up correspondence on implementation of the genocidal policy,
are posted. Researchers will be further served by the site's search engine whereby
searches can be made according to themes and key figures. Thus for example, from
the index users can gain access to short biographies of all the people who attended
the conference. A permanent online exhibition of essays, historical documents and
photographs traces the evolution of the Nazis' policies from modified pogroms to fullDescription: blown rationalised and bureaucratised genocide. Several special online exhibitions
provide essential historical background and context. Teachers will also find extensive
useful materials here, with small essays and exhibitions complementing proposed
lesson plans. Not all documents are translated from the original German. Users
should persist in the face of somewhat over-simplified navigation menus, which belie
the wealth of information available at this site. There is a library at the villa itself; the
library's electronic catalogue is available online. A price list of the Museum's
publications, which are mainly exhibition catalogues and some relevant monographs,
is posted. Teachers are encouraged to conduct seminars and classes in visits to the
villa, where possible. The site provides directions to the villa, with tourist opening
times and details on tours and permanent exhibitions as well as a history of the
house itself.
_______________________________________
Tätigkeitsbericht 2010
71
72 Tätigkeitsbericht 2010
Tätigkeitsbericht 2010
73
74 Tätigkeitsbericht 2010
Tätigkeitsbericht 2010
75
Autor(en):
Titel:
Ehricht, Franziska; Grylewski, Elke
GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für eine interkulturelle Pädagogik zum
Nationalsozialismus
Ort:
Berlin
Verlag:
Haus der Wannsee-Konferenz
Jahr:
2009
ISBN:
978-3-9808517-9-4
Bemerkungen: hrsg. von Miphgasch/Begegnung e.V. und Gedenk- und Bildungsstätte Haus der WannseeKonferenz
Umfang/Preis: Materialsammlung; 120 S., 10 Themenordner, Begleitheft, CD-Rom; € 20,00
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Murat Akan, Jüdisches Museum Berlin
E-Mail: <murat.akan @web.de>
Pädagogen sehen sich bei der Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus mit dem Problem konfrontiert, dass
die bisherigen Materialen und Ansätze von einer Nationalgeschichte ausgehen. Die Gesellschaft hat sich aber insofern
verändert, als dass heutzutage ein Teil der Gesellschaft verschiedene kulturelle oder religiöse Hintergründe hat und sich
dadurch eine Identifikation mit der deutschen Geschichte schwierig gestalten kann. So haben bereits Werke wie
„Crossover Geschichte“[1] und „Konfrontationen“[2] das Erfordernis aufgezeigt, in der heterogenen Gesellschaft von
heute neue Konzepte zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus zu entwickeln.
Wie schafft man es also, Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Zeit des Nationalsozialismus näher zu bringen? Zu
diesem Zweck und mit der Erkenntnis, dass ein nationalhistorischer Ansatz in der Einwanderungsgesellschaft erweitert
werden muss, versucht der Dokumentenkoffer praktische Hilfe für die pädagogische Arbeit zu geben. Die beiden
76 Tätigkeitsbericht 2010
Autorinnen gehören zu zwei Berliner außerschulischen Einrichtungen, Miphgasch/Begegnung e.V. und dem Haus der
Wannseekonferenz. Gryglewski und Ehricht sind seit vielen Jahren in der außerschulischen Pädagogik tätig. Gefördert
wurde der Koffer durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Angesprochen werden ausdrücklich Schüler
und Schülerinnen aller Schultypen und kulturellen Hintergründe ab der 9. Klassenstufe.
Als wichtige Prämisse für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund gilt, dass sich ein
abermaliges Ausgrenzen nur dann vermeiden lässt, wenn man mit ihnen prinzipiell nicht anders umgeht als mit ihren
autochthonen Mitschülern. Je besser jemand integriert ist, desto eher beschäftigt sie oder er sich mit der Geschichte des
Nationalsozialismus.
Über eine „Pädagogik der Anerkennung“ will der Dokumentenkoffer die Schülerinnen und Schüler ermutigen, eigene
Interessen im Themenfeld Nationalsozialismus zu finden, ohne sie automatisch einer Schublade zuzuordnen. Die
Materialien sehen sich als Angebot, auf die Interessen der Lernenden einzugehen und ihnen zu signalisieren, dass sie
und ihre Mitarbeit geschätzt sind. Diesem Ansatz sind aber auch Grenzen gesetzt:
„[Die] Pädagogik der Anerkennung ist […] nicht mit akzeptierender […] Sozialarbeit zu verwechseln. Sie schließt im
Gegenteil auch das Grenzensetzen mit ein. Wenn beispielsweise antisemitische oder andere problematische
Äußerungen im Kontext der Beschäftigung mit der Geschichte fallen, sollten die Jugendlichen dahingehend anerkannt
werden, dass ihnen sachlich deutlich gemacht wird, warum ihre Aussagen untragbar sind.“ (S. 9)
Das Herzstück des Koffers ist eine Materialsammlung historischer Dokumente, aufbereitet in zehn Themenmappen.
Dazu gibt es ein pädagogisches Begleitheft mit didaktischen Anregungen und Hintergrundinformationen. Die beigefügte
CD-ROM bietet unter anderem Zusatzdokumente zu den jeweiligen Geschichten und Transkriptionen der Originale, dazu
eine interaktive Weltkarte. Der Zugang zu den Geschichten erfolgt über Primärquellen, so dass die Schülerinnen und
Schüler zugleich in der historisch-wissenschaftlichen Methode geschult werden.
Die Mappen sind in der Regel so aufgebaut, dass sie die Geschichte eines einzelnen Individuums als Ausgangspunkt
wählen, um nach und nach auf ein bestimmtes, größer angelegtes Thema einzugehen. Sie bestehen aus sechs bis
dreizehn Blättern, die keiner zwingenden Logik folgen, sondern versuchen verschiedene Aspekte zu beleuchten, die mit
dem Sujet verbunden sind. Die Ordner sind in sich thematisch geschlossen und können damit unabhängig voneinander
behandelt oder auch kombiniert werden.
Die subjektive Welt der Hauptpersonen wird dem NS-System und seiner Ideologie gegenübergestellt. Auf diese Weise
lässt sich das jeweils behandelte Thema aus unterschiedlichen Perspektiven vermitteln. Das Thema Rassenideologie im
NS-Staat wird zum Beispiel anhand der Romanze zwischen einem Türken und einer Deutschen behandelt, die mit den
Behörden in Konflikt kommen. Beginnend mit dem Runderlass des Reichsministeriums des Inneren zur Frage von
Eheschließungen aus dem Jahr 1936 wird Rassenideologie als ein elementares Prinzip des Nationalsozialismus
behandelt und zugleich historisiert, so zum Beispiel durch ein rassistisches Gedicht aus dem 19. Jahrhundert, einen
Zeitungsartikel aus der Weimarer Zeit und Veröffentlichungen des NS-Systems. In diesem Zusammenhang wird dann
der konkrete Fall der Hildegard Morian dargestellt, die über eine Nachfrage ihres Vaters, ob eine Eheschließung mit
einem Türken möglich sei, in das Blickfeld der Behörden gerät.
In den Mappen finden sich zahlreiche weitere persönliche Schicksale aus der NS-Zeit: die Zwangssterilisation eines 17jährigen afrodeutschen Jungen, das Leben und die Ermordung eines Afrikaners im NS-Staat, die Geschichte Isaak
Behars, eines türkischen Juden, der wie viele andere türkische Juden seine Staatsangehörigkeit verliert aber als „UBoot“ in Berlin überlebt, die Besetzung Tunesiens und die Verpflichtung tunesischer Juden zur Zwangsarbeit, die
Rettung von Juden auf Rhodos sowie die Rezeption der Hilfeleistungen des damaligen türkischen Botschafters, die
Rettung einer jüdischen Familie in Tunesien durch den Araber Khaled Abdelwahhab, muslimische Helfer in Sarajevo, die
Tätigkeitsbericht 2010
77
Verbrechen der SS in Griechenland und die Geschichte von Yoram Arie Wurm, der über die Sowjetunion und den Iran
eine Flucht um die halbe Welt antrat.
Sowohl Ansatz als auch Aufbau des Koffers klingen vielversprechend und sind überzeugend: Über eine
quellenbezogene Herangehensweise werden zentrale Begriffe vermittelt und sind durch den Zugang über ein konkretes
Individuum anschaulich erfahrbar. Dass das Thema Judenverfolgung im behandelten Themenkreis der NS-Geschichte
einen großen Raum einnimmt, ist mit der Doppelaufgabe der beiden Herausgeber-Organisationen zu erklären, deren
pädagogische Schwerpunkte einerseits im Nationalsozialismus und andererseits im Antisemitismus liegen.
Durch den Umstand, dass die Rettung und Hilfe durch muslimische Personen einen großen Stellenwert in den erzählten
Geschichten einnimmt, sticht die im Dokumentenkoffer gewählte Präsentationsweise der Judenverfolgung im NS-Staat
insoweit heraus, als die Rolle von muslimischen Helfern in der Shoah erst seit einigen Jahren thematisiert wird.
In diesem umfassenden und praktischen Ansatz liegen meines Erachtens auch die Stärken des Koffers: Er vermittelt
durch die Quellenarbeit grundlegende historische Methodik und vermag mit seinen sehr verschiedenen Geschichten,
seinem interkulturellen Lernzugang und seinem multiperspektivischen Lernprinzip Interesse zu wecken und zu
überraschen.
Die „Pädagogik der Anerkennung“ ist dabei ein richtiger, wenn auch allgemein gültiger Ansatz für das Vermitteln „auf
Augenhöhe“, unabhängig von Herkunft oder sozialem Hintergrund der Schülerinnen und Schüler.
Positiv hervorzuheben ist, dass sich durch den Dokumentenkoffer Interdependenzen, Überschneidungen und
Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Geschichten erarbeiten lassen. So gehört etwa das dargestellte Massaker
von Distomo in Griechenland sowohl zur deutschen Besatzungsgeschichte Europas wie zur Geschichte der griechischen
Opfer unter der NS-Besatzung.
Insgesamt ist „GeschichteN Teilen“ eine gelungene Zusammenstellung, die den Fokus der bisherigen
Geschichtspädagogik im Hinblick auf die NS-Zeit erweitert, denn sie bezieht jene Gruppen ein, die in der bestehenden
Pädagogik neu entdeckt werden.
Insbesondere in der außerschulischen Bildungsarbeit (Workshops etc.) lässt sich ein fruchtbarer Einsatz des Koffers gut
vorstellen. Inwiefern das Material an Schulen genutzt werden kann, hängt meines Erachtens mit dem Engagement der
jeweiligen Pädagogen zusammen, da die Arbeit mit dem Dokumentenkoffer eine intensive Vorbereitung und
Durchführung und somit ein Mehr an Zeit erfordert. Das vorliegende Material kann naturgemäß den herkömmlichen
Unterricht nicht ersetzen, ergänzt diesen aber durch seine vielfältigen Themen und aufgezeigten Perspektiven auf
sinnvolle und überzeugende Weise.
Anmerkungen:
[1] Viola B. Georgi / Rainer Ohliger (Hrsg.), Crossover Geschichte. Historisches Bewusstsein Jugendlicher in der
Einwanderungsgesellschaft, Hamburg 2009.
[2] Gottfried Kößler u.a., Konfrontationen. Bausteine für die pädagogische Annäherung an Geschichte und Wirkung des
Holocaust, 6 Hefte, Frankfurt 2000-2003.
ZitierweiseMurat Akan: Rezension zu: Ehricht, Franziska; Grylewski, Elke: GeschichteN teilen. Dokumentenkoffer für
eine interkulturelle Pädagogik zum Nationalsozialismus. Berlin 2009, in: H-Soz-u-Kult, 01.02.2010,
<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2010-1-077>.
78 Tätigkeitsbericht 2010
Interreligiöser und interkultureller Dialog
Integration
 Deutschland bekämpft Vorurteile von muslimischen Jugendlichen
Onur, 15, und seine Klassenkameraden nehmen an einem Bildungsprogramm von einer Woche in der
Gedenk- und Bildungsstätte ‚Haus der Wannsee-Konferenz’ in Berlin teil, also dem Ort, an dem die
Nazifuhrer 1942 ihren Plan zum Volkermord an den Juden ausarbeiteten. Das Haus der Wannsee-Konferenz
ist eine von vielen Institutionen in Deutschland, die sich heute um den Kampf gegen Antisemitismus und die
Leugnung des Holocaust insbesondere auch unter muslimischen Jugendlichen bemühen.
Lehrer aus ganz Deutschland berichten, dass sie bei Menschen mit Migrationshintergrund, von denen die
meisten Muslime sind, vor einer besonderen Herausforderung stehen. Viele dieser Schuler werden aus der
Allgemeinbevölkerung ausgegrenzt und geben die im Elternhaus geäußerten antisemitischen Haltungen
ungeprüft wieder, tauschen im Schulhof judenfeindliche Beleidigungen aus oder leugnen den Holocaust,
womit sie deutsche Tabus auf den Prüfstand stellen. „Es gibt ein Problem, man kann es nicht quantifizieren”,
sagte Micha Brumlik, Pädagogik-Professor an der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt. „Ich
habe von so vielen Lehrern gehört, dass Eltern ihre Kinder angeblich erkrankt abmelden, wenn wir
Augenzeugen des Holocaust in die Schule einladen. Und das gleiche geschieht, wenn Klassen das
Informationszentrum des Holocaust-Mahnmals in Berlin oder jüdische Museen besuchen.”
Es ist mit Sicherheit so, dass die Probleme Deutschlands mit rechtsextremistischen Gruppen größer sind als
die Probleme mit muslimischen Jugendlichen, von denen nur wenige Kriminelle oder Extremisten sind. Aber
aufgrund seiner Nazi-Vergangenheit ist Deutschland sehr stark daran interessiert, antisemitische Tendenzen
in allen Segmenten der Gesellschaft zu bekämpfen. Muslime bilden die größte Minderheit im Lande – 2,3
Millionen von 82 Millionen – und sind meistens türkischer Herkunft. In den letzten Jahren hat es eine
Vielzahl zusätzlicher Programme gegeben, mit denen man sie erreichen will.
Manchmal bringen die Programme junge Muslime dazu, sich mit der Geschichte des Holocaust als Opfer zu
identifizieren, wobei die heutigen Israelis die Nazis sind. In dieser Erzahlung wird die Gründung Israels –
Nakba, oder „Katastrophe” auf Arabisch – mit der Deportation der europäischen Juden durch die Nazis
gleichgesetzt. Aycan Demirel, der Gründer der Kreuzberger Antisemitismus-Initiative in Berlin, sagte, dass
er unter muslimischen Jugendlichen häufig einen „Wettbewerb um den Opferstatus” antrifft.
Es gibt jedoch auch einige Begegnungsprogramme für Muslime und Juden. Im vergangenen Sommer brachte
das Haus der Wannsee-Konferenz eine Gruppe muslimischer Jugendlicher von Berlin nach Israel und auf die
Westbank. Aber es ist wahrscheinlich, dass die meisten von Onurs Klassenkameraden in Berlin noch nie
bewusst einen Juden getroffen hatten, bevor ihr Wochenprogramm im Haus der Wannsee-Konferenz Berlin
begann.
Quelle: http://www.coe.int/t/dg4/youth/Source/Resources/Forum21/Issue_No13/N13_Interreligious_ICL_dialogue_de.pdf
Tätigkeitsbericht 2010
79
LK Musik 12 im Haus der Wannseekonferenz
Samstag, 9. Januar 2010
Eigenes Musizieren zu Stücken aus dem KZ
Schon früh am Morgen des 07.01.2010 fanden wir uns in der Villa mit dem wunderschön verschneiten Garten ein,
um in dieser scheinbaren Idylle zu erfahren, wie Menschen selbst unter lebensbedrohendsten Bedingungen
musizierten. Zunächst informierte uns Frau Dr. Knapp in der Dauerausstellung über die Geschichte des Hauses
und die Bedeutung der Musik, die unter dem nationalsozialistischen Regime entstand.
Während der folgenden Phase erprobten wir selbst in Kleingruppen die Interpretation und Instrumentation
ausgesuchter Stücke aus Konzentrationslagern. Hierbei beeindruckte uns die starke Aussagekraft dieser Musik,
wie sie sich auch bei unserem folgenden Kurzkonzert in den Ausstellungsräumen vermittelte.
Ein herzliches Dankeschön an Frau Dr. Funk und Frau Dr. Knapp – und auch an die Köchin für die
leckere Pizza!
Text: Theresa Morguet
80 Tätigkeitsbericht 2010
Lise-Meitner-Gymnasium Ruppiner Str. 25, 14612 Falkensee
Geschichte vor Ort - Exkursion der 10c
Unsere Exkursion ging am 10. Dezember 2010 in das Haus der WannseeKonferenz. Vor Ort war es unsere Aufgabe in Gruppen einzelne
Themenräume vorzustellen. Die Themen in den Räumen umfassten viele
Aspekte jüdischen Lebens vor und während der nationalsozialistischen
Herrschaft sowie im Zweiten Weltkrieg, also auch Antisemitismus,
Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden.
Nach einer einstündigen Vorbereitungszeit hatte jede Gruppe Gelegenheit
ihren Raum zu präsentieren. Insgesamt waren es 8 Räume, die wir so
gemeinsam erschlossen. Nach einer etwa zweistündigen Präsentationszeit
traten wir dann wieder den Rückweg an, diesmal auch mit Bus und Bahn
(morgens ohne Bus, dafür mit kleiner Kurzwanderung am Wannsee
entlang).
Wir alle fanden die Exkursion richtig gut. (Selbst die Lehrer waren von
unseren Vorträgen richtig begeistert. :-))
Selina
Tätigkeitsbericht 2010
81
82 Tätigkeitsbericht 2010
Tätigkeitsbericht 2010
83
Haus der Wannsee-Konferenz
Gedenk- und Bildungsstätte
Am Großen Wannsee 56-58
14109 Berlin
Telefon
(030) 80 50 01 0
Fax
(030) 80 50 01 27
eMail
[email protected]
Internet
http://www.ghwk.de, http://www.ghwk.eu
Dauerausstellung
„Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“
Öffnungszeiten:
täglich 10.00 – 18.00 Uhr
außer:
1. Januar, Karfreitag, 1. Mai, Himmelfahrt, 3. Oktober,
24.-26. Dezember, 31. Dezember
Eintritt frei - Die Ausstellung, die Bibliothek und die Seminarräume sind rollstuhlgerecht zugänglich.
Anmeldung für Gruppen (mehrsprachige Führungen und Studientage) - Tel.: (030) 80 50 01 26
Bibliothek / Mediothek
Öffnungszeiten:
außer:
Mo – Fr 10.00 – 18.00 Uhr
1. Januar, Karfreitag, 1. Mai, Himmelfahrt, 3. Oktober,
24.-26. Dezember, 31. Dezember
Telefon (030) 80 50 01 20 / -24 - [email protected]
Onlinekatalog: http://www.zeitgeschichte-online.de/alg-agg/
84 Tätigkeitsbericht 2010