Eindeutsches Kapital-Verbrechen

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Eindeutsches Kapital-Verbrechen
36 REPORT
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D
er schwarze Koffer ist alles,
was Ulrich Engler bleibt. Ein
paar Jogginganzüge, ein paar
T-Shirts, ein Dutzend loser
Blätter. Dabei hatte Engler
einmal Hunderte Millionen auf der Bank,
Tausende Kunstwerke in einer Lagerhalle, Luxuskarossen vor seiner Villa. Jetzt
dreht der Koffer einsam Runde um Runde auf dem Gepäckband. Denn die Beamten des Landeskriminalamts haben es
eilig, legen ihm direkt am Gate Handschellen an, führen ihn durch die Flughafenhallen. Es ist Sonntag, der 19. August
2012, 13.50 Uhr in Frankfurt am Main.
Zwei US-Marschalls haben Engler über
den Atlantik gebracht. Condor Flug 7083
aus Las Vegas.
Amerika hat Engler abgeschoben. Diesen groß gewachsenen Mann, dessen
wichtigstes Kapital über Jahre hinweg
sein Auftreten war. Die LKA-Ermittler
führen Engler in einen Raum der Bundespolizei, grüne Polster unter Neonlicht. Seine blonden Haare sind rasiert
bis auf den Schädel, statt Maßanzug trägt
er Jeans und T-Shirt. Er kauert auf dem
Stuhl wie ein kleiner Junge, den man
beim Stehlen erwischt hat.
Drei Jahre lang glänzte Engler so hell,
dass er um sich herum alle blendete. Er
versprach seinen Anlegern Rendite ohne
Risiko, gaukelte ihnen vor, er könne mit
einem Computerprogramm die Märkte
überlisten. Durch Day-Trading – Käufe
und Verkäufe im Minutentakt – Gewinne
von sechs Prozent erzielen. Nicht im
Jahr, sondern im Monat. Verstehen konnte das niemand, aber mehr Geld, das
wollten sie alle: Engler, seine Vermittler,
die Kunden.
Vom Geld, das ihm die Menschen
überwiesen, machte sich Engler ein
schönes Leben. Leistete sich nur das Beste. Einen kleinen Teil zahlte er den Anlegern jeden Monat zurück – insgesamt nur
3,8 Millionen – als angeblichen Gewinn.
Solange immer neue Kunden kamen,
funktionierte das System. Die Anleger
dachten, Engler sei ein Genie, folgten
ihm, weil er vorlebte, was sie ersehnten:
Reichtum, Status, Unbeschwertheit.
Kein deutscher Anlagebetrüger war je
so schnell beim Geld einsammeln wie
Engler. Auf 500 Millionen Dollar schätzen US-Wirtschaftsprüfer den Schaden.
Deutsche Ermittler fanden bisher Belege
für 180 Millionen Euro (siehe Grafik), die
Engler bei Kunden eingesammelt hat.
Drei Jahre, von Januar 2005 bis September 2007, brauchte er dazu. Ulrich Engler war der dreisteste Dieb Deutschlands.
„Die Gier hat mein Gehirn gefressen“
Der pensionierte Ingenieur Lothar Ritter
hat 600 000 Dollar an Engler verloren.
Seinen richtigen Namen will er nicht in
der Zeitung lesen – er schämt sich für seine Dummheit. „Die Gier hat mein Gehirn
gefressen“, sagt der 74-Jährige heute. „Ich
habe nicht verstanden, was Engler da
macht, aber ich wollte das Geld. Ich wollte mehr.“ Ritter ist nur einer von über
5000 Anlegern, die Engler vertrauten.
Dabei waren Englers Kunden oft besser
gebildet als er, viele mit akademischen Titeln bestückt – vielleicht sogar klüger.
Warum fielen sie auf ihn rein?
Vielleicht, weil Engler keiner dieser
aalglatten Finanzhaie war. Nicht braun
gegerbt, als läge er nur am Strand. Nicht
durchtrainiert, sondern leicht untersetzt, die Hose immer einen Handbreit
unter der Hüfte hängend. Seine Genialität lag darin, als Typ durchschnittlich zu
sein. Aber vor allem kapierte Engler:
Ulrich Engler posiert vor einer Stretch-Limousine in Florida: Der Berufsbetrüger führte vom Geld seiner Kunden ein Leben im Luxus.
Ein deutsches
Kapital-Verbrechen
Dass Intelligenz nicht vor Gier schützt.
Englers Geschichte ist daher auch ein
Spiegel unserer Gesellschaft, in der die
meisten glauben: Wer mehr hat, ist
mehr. Ein Sinnbild für den um sich greifenden Wahn, dass sich Geld aus dem
Nichts schaffen und grenzenlos vermehren lässt. Durch Finanzgeschäfte, die
selbst Experten nicht mehr durchschauen, aber bei denen trotzdem jeder mitmischen will.
Ulrich „Richie“ Engler betrog über 5000
Anleger um insgesamt 500 Millionen Dollar.
Handelsblatt-Reporter Fabian Gartmann
recherchierte wochenlang, sprach mit
Englers Helfern und seinen Kunden.
Sie alle eint die Gier nach schnellem
Reichtum.
Der Aufstieg eines Blenders
Die unglaubliche Geldmaschine des Ulrich Engler
Stand der Ermittlungen: Belegbare Kundengelder und ausgezahlte Gewinne pro Monat, in Mio. Euro
20 Mio. Euro
15
monatlich neu investiertes
Vermögen
monatlich ausgezahlte
Gewinne an Kunden
10
5
0
März 2005
Handelsblatt
August 2007
Quelle: eigene Recherche
Ulrich Felix Anton Engler wurde am 23.
September 1949 in Andelfingen geboren,
einem Kaff auf der schwäbischen Alb.
Sohn von Otto und Antonie, eines Straßenbauarbeiters und einer Hausfrau.
Der Älteste von drei Geschwistern, der
Junge mit der Rechtschreibschwäche, ein
starker Rechtsaußen im SV Andelfingen.
Einer, dem die anderen Jungs hinterherrannten, der sie zum Rauchen verführen
konnte – oder dazu, es zu lassen. Groß,
strohblond, quirlig. Und reden konnte er
– reden.
„Er sagte, wo’s lang ging“, erzählt ein
ehemaliger Nachbar. „Er erklärte uns die
Welt, und wir folgten fasziniert.“
Und dennoch – Ulli, wie sie ihn zu
Hause nennen, brachte ansonsten nicht
viel zustande. Er machte einen durchschnittlichen Hauptschulabschluss, verpflichtete sich bei der Bundeswehr, wo
er eine Ausbildung zum Bürokaufmann
begann. Aber Engler befahl lieber, als
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DIENSTAG, 25. SEPTEMBER 2012, NR. 186
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Die Fantastic Four
Huber wird heute von den Ermittlern des
Landeskriminalamts als Europa-Chef im
Nehme Geld, biete Fantasie
System Engler geführt. Neben ihm sind
noch drei weitere Topvermittler wegen
Ein Gerichtsurteil erzählt, wie Englers AbBetrugs angeklagt: Roland J. Renner aus
zocke damals lief: Engler mimte den erfolgreichen Geschäftsmann in Amerika,
Bruchsal, Gabriele Balsiger aus der
Schweiz, Wilhelm Huber aus Wangen im
sein Komplize den deutschen GeneralreAllgäu. Engler nannte sie die „Fantastic
präsentanten. Sie verkauften wertlose InFour“ – die Fantastischen Vier.
vestments in Telefonzellen, WandelanleiKeiner außer Huber wollte mit dem
hen bereits gelöschter Firmen und PornoHandelsblatt sprechen, einige drohten
Webseiten. Engler dachte sich einen Fansogar mit rechtlichen Schritten, sollten
tasiestaat in der Karibik aus, fälschte sosie im Zusammenhang
gar eine Banklizenz. Den selbst gedruckmit Engler genannt werten Anteilschein an der „Dominion of
den. Aber Rechnungen
Melchizedek“ verkaufte er für 146890 Euund Passagierlisten bero. Das Geld steckte er einfach ein.
weisen, dass Engler im
Die Masche zog. Ende der 90er-Jahre
Oktober 2006 sogar eiherrschte Goldgräberstimmung in der Finen Lear-Jet mietete, um
nanzwelt. Millionen Menschen investierseine Fantastic Four nach
ten in Aktien, Anleihen, Beteiligungen. JeLas Vegas zu fliegen: Spieder wollte dabei sein beim großen Rouletlen, Schlemmen und
tespiel.
Schlafen – alles auf EngAll-in. Egal worein, egal an wen.
lers Kosten.
Noch einmal erhöhte der BerufsbetrüUnter den Fantastic
ger Engler den Einsatz. Ende 2004 kaufte
Four arbeitete ein Heer
er ein Computerprogramm, mit dem sich
von Vermittlern – am EnAktien handeln ließen. Vielleicht wollte er
de mehr als 120. Darunter
es anfangs wirklich benutzen – aber dazu
Karola und Jürgen Kukam es nie.
Ich weiß,
prath. Über 1 000 KunWieder schaltete Engler Zeitungsanzeiden hatten allein die beigen in Deutschland, wieder suchte er
dass ich viele
den mit ihren Helfershelnach Vermittlern, die seine Botschaft unJahre hinter
fern für Engler geworben.
ter die Menschen brachten: „Day-Tra- Der Schneeball rollt
Sie waren seine besten
ding. Sechs Prozent Rendite pro Monat.“ Liest man sich heute die Gittern sitzen
Botschafter.
Johannes Huber antwortete auf Englers Tausenden Seiten Akten
„Wir waren 2006 sogar
Annonce. Rein aus Interesse, wie er heute durch, die Englers Fall bei werde.
in Florida, haben Engler
sagt: „Engler rief mich damals, im Herbst Anwälten, Insolvenzver- Ulrich „Richie“ Engler
getroffen und alles über2004, jeden Tag an. Er erzählte mir vom waltern, dem LKA und der
prüft“, sagen die KuDay-Trading und von sich. Ich fand das al- Staatsanwaltschaft angehäuft hat, stellt sich unweigerlich die Fra- praths. „Ob es das Bankkonto gibt, ob die
les spannend.“
ge, wie so etwas sein kann. Wie konnte Notarin existiert. Und er hat uns gezeigt,
Legendenbildung frei nach Engler
Engler so viele Menschen reinlegen? Wie- was er am Vortag gehandelt hat, damit
so glaubten so viele seine Mär von sechs wir verstehen, wie das Day-Trading funkEngler redete wieder.
tioniert.“
Er hatte sich einen neuen Lebenslauf Prozent Gewinn im Monat?
„Englers Plan war simpel – er hatte
Haben Sie es verstanden?
verpasst – einen, der zu seinem jetzigen
„Ja“, sagt Jürgen Kuprath, ehemaliges
Auftritt passte: Er sei im Schwäbischen kaum Fehler“, sagt Andreas Warkentin,
aufgewachsen, mit 18 Jahren nach Ameri- Kapitalrechtsexperte der Frankfurter Vorstandsmitglied der LBS Bausparkasse,
ka abgehauen, samt Freundin. Jahrelang Anwaltskanzlei Winheller, die Hunderte über 30 Jahre im Immobiliengeschäft.
habe er sich mit Hilfsarbeiten durchge- geschädigte Anleger vertritt. „Die Bro- „Engler hat mir erklärt, dass er vorbörslich
schlagen: Autos poliert, Rasen gemäht, schüren waren überzeugend, sein Auf- handelt, Aktien kauft, bevor die Börse auftritt war überzeugend, und das Geld, das macht. Dass er beim ersten Kursanstieg
er Anlegern monatlich ausbezahlte, war verkauft, auch wenn die Aktie weiter steigt.
Eine konservativeTrading-Strategie nannte
es erst recht.“
Seine Firma nannte Engler PCO – Pri- er das.“
vate Commercial Office. Ein allgegenwärUnd Sie haben das alles kapiert?
tiger Name in Florida, da Makler damit
„Ich war ja selbst lange Zeit im Bankgezu vermietenden Büro- schäft“, sagt Jürgen Kuprath. „Ich dachte,
raum anpriesen. Engler wenn es über eine Bank läuft, ist das GeIch habe
richtete sich ein Konto schäft sauber. Ich habe ja das Konto mit
bei der Suntrust Bank den Namen und Kontoständen der Anleger
niemanden
ein, einer amerikani- gesehen.“
betrogen, aber schen Privatkunden- „Engler wirkte immer so vertrauenswürNichts an seinem dig“, sagt Karola Kuprath.
es tut mir leid bank.
„Aus heutiger Sicht ist es einfach zu saSystem war auffällig.
Engler warb seine ers- gen, man hätte eswissen müssen“, sagt Jürfür meine
ten Kunden durch An- gen Kuprath. „Wie denn?“
Kunden. Ich
zeigen im Handelsblatt,
Keiner derVermittler verstand so richtig,
der „Frankfurter Allge- was Engler ihnen erzählte. Seine Sätze
hatte alles
meinen Zeitung“ und klangen schlüssig, aber die Vermittler wagetan, um das der „Welt“. Besuche wa- ren ja keine Börsenexperten. Und trotzren kaum nötig. 72 Pro- demwiederholten sie bei den Kunden EngGeschäft
zent Gewinn pro Jahr lersWortewie gleichgeschaltete Papageien,
abzusichern.
knipsten den Kunden ih- plapperten seine Lügen nach.
Und warum sollten die Vermittler nachren Verstand aus.
Jürgen Kuprath
„Ich habe nur die An- haken? Warum sollten sie kaputt machen,
zeigen geschaltet“, sagt woran sie alle so gut verdienten? Warum
Englers Ur-Vermittler Huber heute. sollten sie sich fragen,wie ein System jeden
„Hätt’ ich gewusst, dass alles ein Betrug Monat sechs Prozent Gewinn für die Kunden abwerfen konnte, üppige Provisionen
ist, wäre ich nie eingestiegen.“
Engler fand weitere Vermittler. Immer für die Vermittler und Luxuskarossen für
mehr Kunden kamen jetzt, und von de- Engler?
ren frischem Geld bezahlte Engler die
Ab Ende 2006 flossen allein bei den KuZinsen der bestehenden Kunden.
praths Provisionen aufs Konto so hoch,
Im März 2005 fl oss das erste Geld.
Karola und Jürgen Kuprath: Die Finanzberater aus
Das Schneeballsystem Engler kam ins
Karlsruhe haben über 1 000 Kunden für Engler geRollen.
worben – und selbst 150 000 Dollar angelegt.
Fortsetzung auf Seite 38
er nach Komplizen. Er bot wenig Arbeit
und großen Gewinn.
‚
Privat (2), Bernd Roselieb
Befehle zu empfangen. Nach zwei Jahren gab er ohne Abschluss auf. Er zog
nach Ulm, verkaufte für die BHW Bausparverträge. Tingelte von Vertrieb zu
Vertrieb.
Einer seiner Chefs war Gerhard Reeg.
Dessen Firma verkaufte Pressedossiers
an Unternehmen. Und keiner verkaufte
mehr als Engler. „Wir hatten eine Vertriebstagung. Engler ging nach vorne. Er
trug einen Zweireiher, aber nicht geschlossen, wie man das machte, sondern
offen – betont lässig“, erinnert sich Reeg.
Engler habe den anderen erzählt, wie gut
er verkaufe, wie einfach das alles sei.
Reeg: „Er war ein absoluter Selbstdarsteller.“
Das Vorstrafenregister füllt sich
Engler waren die Honorare aus dem Vertrieb nicht genug. Er wollte mehr, wollte
reich sein. Mit Partnern kaufte er ein
Haus, verkaufte die einzelnen Wohnungen. Vom Erlös kaufte er einen BMW.
750i, der größte damals. Er fuhr in die
Heimat und zu seinem alten Chef. „Engler parkte so, dass ich das Auto sah. Mitten ins Halteverbot“, sagt Reeg. „Er
prahlte, er verdiene jetzt richtig viel
Geld.“ Später habe er gehört, dass Englers Firma pleiteging.
Es muss damals gewesen sein, Anfang
der 90er-Jahre, als Engler klar wurde,
dass sein Traum vom Reichtum für ihn
mit ehrlicher Arbeit nicht zu schaffen
war. Er begann eine Karriere als Krimineller. 1993 bekam er eine Bewährungsstrafe von drei Monaten wegen Kreditkartenbetrugs, zwei Jahre später 3600
Mark Geldstrafe aus dem gleichen
Grund, 1996 linkte er 14 Menschen mit
falschen Verträgen: zehn Monate auf Bewährung.
1997 setzte sich Engler in die USA ab.
Er ließ sich in Florida nieder, meldete
verschiedene Unternehmen an. Über
Zeitungsanzeigen in Deutschland suchte
Teller gewaschen. Über einen Kontakt sei
er zur Chase Manhattan Bank gekommen.
An seinem ersten Arbeitstag habe er
vor dem Bankturm gestanden, habe die
Hand seiner Freundin gedrückt und gesagt: „Heute fange ich im vierten Stock
an, aber irgendwann will ich ganz oben
arbeiten.“
Immer weiter sei er aufgestiegen, bis
er schließlich zehn Jahre lang als Chefhändler für das internationale Derivategeschäft und die Bankanleihen verantwortlich gewesen sei.
Nach 21 Jahren habe er die
Bank verlassen.
Es war die Geschichte
vom
amerikanischen
Traum.
Seine Vermittler sogen
Englers Legende auf und
spuckten sie bei den Kunden wieder aus. Alle wollten sie reich werden. Engler, die Vermittler, die
Kunden. Und Engler fütterte ihre Wünsche mit
seiner Fantasie.
Er war jetzt Ulrich Engler der Börsenspezialist,
das Finanzgenie, der
Reichmacher.
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38 REPORT
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Fortsetzung von Seite 37
dass die Gedanken stillstanden. Erst
30 000, dann 50 000, irgendwann
80 000 Dollar im Monat.
80 000 gute Gründe für Englers Ehrlichkeit.
Wer Engler in Florida besuchte, den
führte er in die besten Restaurants. Ins
Roy’s, wo man ihn zur Begrüßung
umarmte. Er ließ die Namen seiner Gäste mit Schokolade auf Teller schreiben,
ließ Garnelen und Champagner servieren. Er führte seine Vertrauten durch seine Villa – über den Marmorboden, am
Pool entlang zur Garage, wo der Bentley
stand und manchmal ein Rolls Royce.
Im November 2006 ließ der Multimillionär seine 60 besten Vermittler nach
Florida einfliegen. Es erwarteten sie drei
Tage Show nach Engler’scher Art: Schlafen im besten Hotel, Abendessen für Tausende Dollar und ein Geschenk im einzigen Format, das Engler noch kannte:
XXL. Den besten Vertretern spendierte
er einen Mercedes S600, das protzigste
Modell.
Die Gegenleistung der Vermittler: totale Unterwerfung. Als einer von ihnen bei
Englers Vortrag auf die Toilette wollte,
raunzte der ihn zurecht: Er solle es sich
gefälligst verkneifen.
Engler stand jetzt im Mittelpunkt. Er
führte seine angeblichen Trading-Ergebnisse vom Vortag vor. Tat, als sei er ein
Mix aus Gordon Gekko und Warren Buffet. Der Einzige mit Verstand für den
Markt. Zeigte Schaubilder und Kurskurven. Es gab nur einen Haken: Engler hatte gar nicht gehandelt.
Genau genommen handelte er nie.
Wer zweifelt, fliegt raus
Richard Kühn, ein Finanzberater aus
Kirchheim Teck, saß bei Englers Show
im Saal. Er prägte sich alles genau ein.
Wie Engler oben auf dem Podium stand.
Ein Prediger im feinsten Zwirn. Wie er
mit zum Himmel gereckten Händen seine Weisheiten ins Publikum feuerte, mit
Superlativen um sich schmiss – und beim
Erklären seiner fantastischen Geldmehrungsmaschine seltsam unkonkret blieb.
Heute sagt Kühn: „Nach drei Stunden
war klar: Der Typ ist ein Blender.“
Zurück zu Hause schrieb Kühn an Engler, bat im Namen seiner Kunden um Nachweise: Englers Börsenzulassung, Zeugnisse der Chase Manhattan Bank. Kühn beschwerte sich, Engler hätte doch versprochen, „live“ zu traden. Damit alle sehen
könnten, wie er das Geld im Minutentakt
vermehrt. Stattdessen wieder nur die vermeintlichen Wundertaten vomVortag.
Hans Roland Werner (66),
ehemaliger Versicherungskaufmann aus Karlsruhe, hat
30 000 Euro verloren.
‚
Englers Täuschung war einfach
perfekt. Und wenn man in fünf Jahren
aus 30 000 Dollar 150 000 machen
kann, hat das schon einen Reiz.
‘
Hans Roland Werner
Vier Tage später bekam Kühn Englers
Antwort: die fristlose Kündigung. Engler
zahlte ihn und seine Kunden aus – auf
Euro und Cent genau.
Betrachtet man es aus heutiger Sicht,
sind Kühn und seine Kunden die einzigen Gewinner im System Engler.
Kontoauszüge im Selbstdruck
Die anderen waren das Zahlvieh. Ab
April 2006 hatte Engler schon so viele
Menschen reingelegt, dass er sein
Schneeballsystem nicht mehr selbst
verwalten konnte. Engler stellte eine
deutsche Auswanderin ein. Sie nannte ihn Richie – Englers Wahlname,
weil die Amerikaner Ulrich nicht aussprechen konnten.
Zwei Jahre später wurde sie vom
LKA vernommen, als wichtige Zeugin.
Ihr Credo: „Ich habe nur die Überweisungen gemacht und Englers Briefe
aus dem Postfach geholt.“
Erst auf Nachfrage der Ermittler gestand sie, dass sie Englers Betrug eigenhändig das offizielle Siegel verlieh.
Denn ein wichtiger Grund für viele
Kunden, Engler zu vertrauen, war die
sogenannte „Promisory Note“. Eine
notarielle Urkunde, dass Engler die
volle Haftung im Falle eines Verlusts
übernehme. Es war das All-inclusiveSorglospaket für die Kunden.
Auf der Urkunde prangte immer ein
Notarstempel. Englers Gehilfin sagte
dem LKA, ab Ende 2006 habe sie die
Dokumente selbst gestempelt: „Richie hat mir den Stempel gegeben. Ich
nahm an, für die Notarin waren es
einfach zu viele Dokumente.“
Die Bafin schaut zu
Während Engler die Millionen einsammelte und seinen Betrug per Stempel als
rechtschaffen deklarierte, stand die Finanzaufsicht Bafin daneben und schaute
zu. Zwar bemängelte sie, dass Englers
Geldsammeltrupp eine Lizenz für Dritteinlagengeschäfte bräuchte, aber Taten
folgten nicht. Auch nicht, als die österreichischen Aufseher Ende 2006 vor Geschäften mit Engler warnten.
Bernd Roselieb für Handelsblatt (3), PR
Rolls Royce und Garnelen fürs Lügen
Englers Schneeballsystem hatte jetzt
zu viel Fahrt, um sich durch Kleinigkeiten stoppen zu lassen – Gerichtsurteile
zum Beispiel. 2006 erließ das Landgericht Hamburg Haftbefehl gegen ihn, wegen früherer Betrügereien. Die Kunden
aus Englers Vergangenheit standen vor
dem Nichts, während ihm die neuen weiter die Tür einrannten.
Ende 2006 reichte die JP Morgan Chase Klage gegen ihn ein – die US-Bank störte sich daran, dass Engler sich als ihr ehemaliger Chefhändler ausgab, obwohl er
niemals für sie tätig war. Als sich die Klage im System Engler herumsprach,
schrieb der Schneeball-Artist an seine
Kunden:
„Wenn die JP Morgan sich ihrer Sache
doch so sicher wäre, dann würden diese
nicht den Schadensfall auf 100 000 Dollar festlegen, sondern auf das 100-Fache.
Auf 100 000 Dollar würde ich meinen
Nachbarn verklagen, wenn sein Hund in
meinen Garten pupsen würde.“
Das Erstaunlichste an diesem Brief: Er
wirkte. 2007 floss mehr Geld auf Englers
Konten als je zuvor. In manchem Monat
über zwanzig Millionen Dollar.
Die Jagd ist eröffnet
Jetzt, da sein Büro mit Geld der Kunden
überquoll, suchte Engler nach einer Hintertür. Er begann mit den Vorbereitungen für seine Flucht.
Engler muss gespürt haben, dass seine
Stunde geschlagen hat. Schon seit Monaten überwachte das LKA Stuttgart meh-
Die Fantastic Four auf dem Podium: Im Oktober 2006 lud Engler
seine 60 besten Vermittler zur Belohnung nach Florida ein.
Der Lügenbaron genießt den Luxus: Im Wohnzimmer seiner Villa
lehnt sich Ulrich Engler im Dezember 2006 zurück (linkes Foto).
Oder fliegt im gemieteten Learjet nach Las Vegas, mit seiner Partnerin Bianca B. und den Fantastic Four – seinen Vertriebschefs.
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Ein herber Schlag für Axel Schulz:
Der ehemalige Boxprofi legte insgesamt 262 000 Euro bei Engler
an – und verlor alles.
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DIENSTAG, 25. SEPTEMBER 2012, NR. 186
1
rere seiner Vermittler, beschaffte mit verdeckten Fahndern Indizien. Während
Engler sich um einen ungarischen Diplomatenpass bemühte, schlugen die Beamten in Deutschland zu. Am 31. Juli 2007
durchsuchten sie zeitgleich die Büros
und Häuser von einem Dutzend seiner
Vermittler.
Bevor Engler am 1. August 2007 das
letzte Mal aus dem Büro ging, sagte er zu
seiner Assistentin: „Meine Vergangenheit
holt mich ein. Bald wirst du Antworten
bekommen – wie alle anderen auch.“
Wochenlang saß sie allein im Büro in
Cape Coral und beobachtete aus der Ferne das Chaos in Deutschland. Die Durchsuchungen sprachen sich bei den Kunden herum wie die Nachricht von einer
ansteckenden Krankheit. Es herrschte
Panik, alle wollten ihr Geld zurück.
Die Fassade war nicht mehr zu halten.
Am 22. September 2007 legte Englers Assistentin die Arbeit nieder und schloss
das Büro. Das Letzte, was sie von Engler
sah, war der ungarische Diplomatenpass
– Roland Renner, einer der Fantastic
Four, hätte ihn nach Florida gebracht.
Catch me if you can
Fünf Jahre war Engler auf der Flucht.
Quer durch Arizona, Kalifornien, Nevada.
Immer mit dabei: seine Partnerin Bianca
B. Sie wechselten die Autos und die Städte. Mieteten sich mal hier und mal dort
ein. Kaum noch traute sich Engler in teure
Hotels, lieber versteckte er sich in möblierten Wohnungen. Er benutzte falsche
Haftbefehl
gegen Ulrich
Engler: Ausgestellt in
Hamburg im
Juni 2006.
Der ehemalige
Ingenieur Wolf
von Loeben
(72) hat fast
150 000 Dollar
bei Engler
versenkt.
‚
Die Gier sagte mir: Mensch, schneller
kannst du kein Geld verdienen. Als der
erste Gewinn kam, dachte ich, dass es
immer so weiter gehen wird.
Wolf von Loeben
Papiere, nannte sich Joseph Miller oder Joseph Walter.
Engler hatte mehr Geld ergaunert, als
er jemals ausgeben würde, doch er konnte den Luxus nicht mehr genießen. Den
Champagner, den Hummer. Alles, was
Engler in seinem Namen gehörte, wurde
von den Behörden konfisziert: seine Villa, seine Immobilien, sein Bentley.
Englers Anwalt Steffen Lindberg sagt
über die Jahre auf der Flucht: „Er sagt, es
war keine schöne Zeit für ihn. Er fühlte
sich ständig beobachtet, hatte ständig
Angst, entdeckt zu werden.“
Am 11. Februar 2012 bemerkte die
Highway Patrol in Nevada ein Fahrzeug,
das Schlangenlinien fuhr. Sie hielten es
an, nahmen den Fahrer mit aufs Revier.
Der Mann, der sich als Joseph Miller auswies, musste seine Fingerkuppen auf einen Scanner legen und zwei Ampullen
Blut abgeben. Dann ließen die Cops ihn
wieder laufen.
Wochenlang ratterten seine Fingerabdrücke durch Computerdatenbanken,
bis es endlich einen Treffer gab: Der Be-
trunkene hieß nicht Joseph Miller, sondern Ulrich Engler. In Deutschland mehrfach per Haftbefehl gesucht.
Die Beamten zogen ihr Netz schnell zu.
Vier Monate später fanden sie Engler
wieder. Ausgerechnet in Las Vegas. Sin
City – der Stadt der Sünde. Zwölf US-Marshalls jagten ihn in ihren Autos über den
Highway, drängten ihn ab. Mit gezogenen Pistolen rannten sie auf sein Auto zu,
zogen Engler vom Sitz.
Während er in Handschellen mit dem
Gesicht zum Boden auf dem Highway lag,
fanden die Marshalls Hunderttausende
von Dollar im Kofferraum und einen
Schlüssel für eine Lagerhalle. Noch mehr
Geld, Schmuck und Tausende von Gemälden hatte Engler dort gehortet, darunter
ein Bild des russischen Expressionisten
Wasily Kandinsky. Allein dies könnte
mehr als eine Million Dollar wert sein.
‘
Verbrannte Erde, verbrannte Kunden
Was bleibt von Engler? Vor allem Opfer.
„Ich habe geweint“, sagt Lothar Ritter.
Der Mann, der Engler 600 000 Dollar
securitybymike.com: Auf seiner Internetseite
sammelte der
ehemalige Bodyguard Michael
Franklin jahrelang
alles über Englers
Betrug.
anvertraute, hat seinen Lebenstraum
verloren. Ein Segelboot wollte er sich
kaufen – hatte Jahrzehnte dafür gespart.
Seine Frau sagt: „Er hat durch Engler
den Spaß am Leben verloren.“
Ritter sagt, durch Engler habe er auch
etwas gelernt: „Es ist egal, ob ich
600 000 Dollar habe, 800 000 oder eine Million. Ich kann es nicht fressen.“
Der ehemalige Staatsanwalt und heutige Wirtschaftsstrafrechtler Volker Hoffmann hat viele Schneeballsysteme erlebt. Sein Eindruck: Wer kriminell werden will, ist mit dieser Masche gut beraten. Es ist keine Gewalt nötig, die Opfer
bringen ihr Geld fast von selbst. Dadurch haben die Betrüger oft Jahre Zeit,
ihren Ausstieg zu planen. Hoffmann:
„Der tatsächlich entstandene Verlust
wird bei einem Schneeballsystem typischerweise bis zum Zusammenbruch
verschleiert.“
Am Ende: ein Opfer
Ulrich Engler ist zurück in Deutschland.
Auf dem Boden der Realität aufgeschlagen, nach einem schier unglaublichen Höhenflug.
Sein Koffer wird von der Bundespolizei
in die JVA Mannheim gebracht. Ein Dutzend Blätter mit Belegen für die Polizei
sind darin, Jogginganzüge, und sein Kulturbeutel. Mehr ist ihm nicht geblieben.
„Ich bin froh, dass es vorbei ist“, sagt
Engler noch am Flughafen zu seinem Anwalt Steffen Lindberg. „Endlich bin ich
wieder in Deutschland.“
Aber hier wartet auch nichts Gutes auf
ihn. 1295 Fälle hat sich die Staatsanwaltschaft exemplarisch herausgegriffen, für
die sie jahrelang Beweise gesammelt hat.
Die Anklage gegen Engler wird lauten:
Schwerer bandenmäßiger Betrug. 15 Jahre könnte er dafür hinter Gitter kommen.
Engler ist voll geständig. Die Abende
verbringt er in seiner Zelle im Mannheimer Knast, macht sich Notizen aus 19 Jahren Lug und Trug. Tagsüber sitzt er beim
LKA. Es sind lange, zähe Verhöre.
Und Engler redet wieder.
Über ein halbes Leben als Betrüger. Es
ist vielleicht seine letzte Geschichte. Die
von einem der größten Finanzverbrechen
Deutschlands. 5000 Anleger, 500 Millionen Dollar Schaden. Und auf die Frage,
wie das alles kommen konnte, warum er
all diesen Menschen so viel Leid zugefügt
hat, kommt diese Antwort: „Herr Engler
ist damals von seinem Erfolg überrollt
worden, und irgendwann war es zu spät,
um auszusteigen“, sagt sein Anwalt.
So sieht Engler sein Ende. Nach all den
Versprechungen, die er machte, all dem
Luxus, in dem er lebte. Jetzt, in seiner Gefängniszelle, will Engler nicht mehr sein
als seine Kunden, seine Komplizen: ein
Opfer seiner eigenen Gier.
Millionenwerte auf
Leinwand:
Fahnder
räumen
Englers
Lager in
Las Vegas.
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Das Ende für „Richie“ Engler:
US-Marshalls schieben
Deutschlands dreistesten Dieb ab.