Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft - Max-Planck

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Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft - Max-Planck
1.
Rechtliche und organisatorische Grundlagen der
Europäischen Gemeinschaft
1.1
Rechtsgrundlagen der Europäischen Gemeinschaft
Der Vorschlag des französischen Außenministers Robert Schuman im Jahre
1950, die deutsche und französische Kohle- und Stahlindustrie in einer
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) zusammenzufassen, wurde von der sog. Sechsergemeinschaft (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande) aufgegriffen und
leitete den Prozeß überstaatlicher europäischer Integration ein, der zur Herausbildung des supranational verpflichtenden Rechts der Europäischen
Gemeinschaften führte. Im Jahre 1951 wurde der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV) mit
Sitz in Luxemburg unterzeichnet. Nachdem sich dieser wirtschaftliche Bereich als derjenige erwies, in dem Fortschritte einer europäischen Einigung
am ehesten erzielt werden konnten, wurde 1956 der Spaak-Bericht vorgelegt, der eine wirtschaftliche Gesamtintegration - mit Sonderregeln für die
friedliche Nutzung der Atomenergie - empfahl. Im Jahre 1957 konnten die
Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV)
und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV) in Rom (Römische Verträge) unterzeichnet werden. Am 1.11.1993 trat der Maastrichter Vertrag
über die Europäische Union (EU) in Kraft. Grundlage der EU sind die
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Europäische
Gemeinschaft (EG), wie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
jetzt heißt, und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG), ergänzt durch
die mit dem Unionsvertrag (UnionsV) eingeführten Politiken und Formen
der Zusammenarbeit (gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres).
Die drei Europäischen Gemeinschaften EGKS, EG und EAG weisen gegenüber sonstigen internationalen Organisationen des allgemeinen Völkerrechts die Besonderheit auf, daß sie unmittelbar in die Mitgliedstaaten hineinwirken können. Das Europäische Gemeinschaftsrecht ist eine eigenständige Rechtsordnung mit einer autonomen Gemeinschaftsgewalt, die von
derjenigen der Mitgliedstaaten unabhängig ist. Außerdem umfaßt der in den
1966
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
2
Gemeinschaftsverträgen und in zusätzlichen Rechtsakten1 niedergelegte
Auftrag der EG ein wirtschaftliches, teilweise aber auch ein allgemeinpolitisches Programm von so weitreichender Bedeutung, daß sich die Gemeinschaft als besondere Kategorie intensiver, staatsnaher Verbindung zwischen
ihren Mitgliedern darstellt.
1.1.1
Sachlicher Geltungsbereich
Die Gemeinschaftsverträge enthalten keine Regelung für alle Angelegenheiten der EG, sondern erfassen konkret abgegrenzte Bereiche.
Der umfassendste der Verträge ist der Vertrag der Europäischen Gemeinschaft (EGV), der die "Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und einer
Wirtschafts- und Währungsunion" (Art. 2) betrifft. Bei der Schaffung des
einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes werden folgende vier Grundfreiheiten verfolgt:
-
Freier Personenverkehr: Niederlassungs- und Beschäftigungsfreiheit
für Unionsbürger (Art. 8 EGV), Wegfall von Grenzkontrollen, Harmonisierung der Einreise-, Asyl-, Waffen- und Drogengesetze, verstärkte
Außenkontrollen;
-
Freier Warenverkehr: Wegfall von Grenzkontrollen, Harmonisierung
oder gegenseitige Anerkennung von Normen und Vorschriften, Steuerharmonisierung;
-
Freier Dienstleistungsverkehr: Liberalisierung der Finanzdienste, Harmonisierung der Banken- und Versicherungsaufsicht, Öffnung der Transport- und Telekommunikationsmärkte;
-
Freier Kapitalverkehr: Größere Freizügigkeit für Geld- und Kapitalbewegungen, Schritte zu einem gemeinsamen Markt für Finanzleistungen,
Liberalisierung des Wertpapierverkehrs.
Der Sachbereich des EGKSV ist gemäß Art. 80, 81 als die Tätigkeit der Unternehmen definiert, die auf dem Gebiete von Kohle und Stahl eine Produktionstätigkeit ausüben; weiterhin fallen gewisse Vertriebstätigkeiten für
diese beiden Produkte unter den Vertrag.
1
Vgl. zu diesen unten, insbesondere 1.1.3 und 1.5.
3
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1967
Ähnlich speziell eingegrenzt ist gemäß Art. 196, 197 EAGV der Anwendungsbereich der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), der die
Tätigkeit von Personen und Unternehmen im Bereich der Nuklearindustrie
umfaßt.
Die drei Europäischen Gemeinschaften sind sehr eng aufeinander bezogen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) spricht diesbezüglich von einer
"funktionellen Einheit" der Verträge, die bei deren Auslegung zu berücksichtigen ist.2 Leitgedanke bezüglich des Verhältnisses der drei Verträge ist
die Anerkennung des EGV als der umfassenden lex generalis, der die beiden
leges speciales des EGKSV und des EAGV gegenüberstehen (Art. 232
EGV). Zugleich legt die funktionelle Einheit der drei Gemeinschaften nahe,
eine ergänzende Anwendbarkeit des allgemeinen EG-Vertrages nicht generell auszuschließen, wenn Spezialregelungen im EGKS- und EAG-Vertrag fehlen.3
1.1.2
Räumlicher Geltungsbereich
Die Rechtsordnungen der drei Gemeinschaftsverträge verfügen nicht über
das Attribut einer umfassenden Gebietshoheit. Sie kennen - entsprechend
dem Grundsatz der beschränkten Einzelzuständigkeit - nur einen "räumlichen Geltungsbereich" der Verträge (Art. 79 EGKSV, Art. 227 EGV,
Art. 198 EAGV). Die Verträge gelten in den europäischen Hoheitsgebieten
der zwölf Mitgliedstaaten. Für die Bundesrepublik Deutschland ergaben
sich bezüglich des räumlichen Geltungsbereichs der Verträge Besonderheiten aus der Rechtslage Gesamtdeutschlands. In dem Protokoll über den innerdeutschen Handel vom 25.3.1957 erkannten die EG-Partner der Bundesrepublik den Nicht-Auslandscharakter der Beziehungen der Bundesrepublik
zur DDR an, so daß der innerdeutsche Handel kein Außenhandel i.S. des
EWGV war. Für die anderen EG-Mitgliedstaaten war die DDR hingegen
Ausland.4
Nach der Wiedervereinigung stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:5 Durch
den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat sich der territo-
2
3
4
5
EuGH, Slg. 1960, S. 848 - (Rs 27 und 39/59).
Vgl. dazu EuGH, Slg. 1987, S. 5119 ff. - (Rs 328/85).
Näher dazu Scharpf, EWG und DDR, 1973, passim.
Vgl. dazu auch unten 8.5.
1968
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
4
riale Geltungsbereich der Gemeinschaftsverträge nach dem völkerrechtlichen Grundsatz der beweglichen Vertragsgrenzen auf das Gebiet der ehemaligen DDR erstreckt.6 Dabei sollen, wie sich aus Art. 227 EGV ergebe, in
der früheren DDR auch alle Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft, die
völkerrechtlichen Verträge der Gemeinschaften, das ungeschriebene Gemeinschaftsrecht und die Urteile des EuGH gelten.7 Allerdings erforderten
die wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Verhältnisse im Bereich der
ehemaligen DDR Übergangsregelungen. Zunächst wurde die Bundesrepublik durch die Verordnung (EWG) 2684/908 sowie durch die Richtlinie
90/476/EWG9 ermächtigt, vorläufige Anpassungsregelungen zu erlassen.
Sodann wurde für den Agrarsektor sowie für die Bereiche Fahrtenschreiber,
Binnenschiffahrt und Eisenbahnunternehmen die EG-Recht-Überleitungsverordnung vom 2.10.199010 mit Wirkung bis zum 31.12.1990 erlassen. Am
4.12.1990 verabschiedete der Rat zahlreiche Überleitungsregelungen mit
Geltungsfristen, die in der Regel am 31.12.1992 abgelaufen sind, in einzelnen Bereichen wie dem Umweltschutz jedoch bis Ende 1995 laufen.11
1.1.3
Einheitliche Europäische Akte und Vertrag über die Europäische
Union von Maastricht
Mit der Einigung über die Einheitliche Europäische Akte (EEA) 1986, die
seit dem 1.7.1987 in Kraft ist, wurde ein bedeutsamer Schritt auf dem Weg
zur EU getan. Die EEA versteht sich gemäß ihrer Präambel als Weiterführung des EG-Werkes und gleichzeitige Bekundung des Willens, die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten in eine EU umzuwandeln. Die EEA12 führte insbesondere die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen im Rat (Art. 100a EGV) ein, räumte dem Europäischen Parlament
Mitwirkungsrechte bei Rechtssetzungsakten ein und übertrug dem Rat eine
Art "Haushaltskompetenz" für den Strukturfonds zur Subventionierung
6
7
8
9
10
11
12
Grabitz, EWS 1991, 89 ff.; vgl. auch die Erklärung des Europäischen Rates vom
28.4.1990, Bulletin der Bundesregierung vom 4.5.1990, S. 401.
Bieneck, in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 1992, Anhang zu § 4 Rdnr. 30.
ABl. 1990, L 263, S. 1 ff.
ABl. 1990, L 266, S. 1 ff.
BGBl. 1990 I S. 2117.
Eine detaillierte Zusammenstellung findet sich bei Grabitz, EWS 1991, 89 ff.
ABl. 1987, L 1969, S. 1 ff.
5
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1969
wirtschaftlich schwacher Mitgliedstaaten (Art. 130a ff. EGV, Art. 149
EWGV a.F. = Art. 189a, c EGV). Mit dem Binnenmarktkonzept wird allein
der wirtschaftliche Teil der gemäß Art. 1 EEA anzustrebenden, in der Konzeption der EEA jedoch noch nicht als vollendet angesehenen EU verwirklicht. Art. 102a EWGV a.F. sah daher nicht nur die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Wirtschaftspolitik vor, sondern auch die Einberufung
einer erneuten Regierungskonferenz gemäß Art. 236 EWGV a.F. (jetzt
Art. N UnionsV).
Auf dieser Grundlage wurden Vertragsverhandlungen zur Wirtschafts- und
Währungsunion auf den Gipfelkonferenzen in Straßburg am 8./9.12.1989
und in Rom am 14./15.12.1990 aufgenommen. Dabei wurde über neue Entscheidungsverfahren und -materien sowie über die gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik verhandelt. Auf der Tagung des Europäischen Rates am
9./10.12.1991 in Maastricht wurde schließlich eine Einigung erzielt, die jedoch nur durch deutliche Abstriche bei der politischen Union zustande kam.
Der am 7.2.1992 unterzeichnete Unionsvertrag ist in der Zwischenzeit von
allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden und konnte am 1.11.1993 endlich in
Kraft treten - ursprünglich sollte das bereits am 1.1.1993 geschehen sein -,
nachdem das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsmäßigkeit des Vorgehens der Bundesregierung bestätigt hatte.13 Durch
diesen Vertrag soll der Prozeß der europäischen Integration auf eine neue
Stufe gehoben werden. Um den Anforderungen einer großen, engen und mit
weiten Kompetenzen ausgestatteten Union gerecht zu werden, hat man das
Prinzip der begrenzten Ermächtigung, das der Subsidiarität14 und den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Ausübung der Unionskompetenzen ausdrücklich normiert. Nach Art. F Abs. 1 UnionsV hat die Union die
nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen beruhen, zu achten. Der UnionsV weist der EG
(Art. G UnionsV i.V.m. den entsprechenden Bestimmungen des EGV) neue
Kompetenzen in den Bereichen Kultur, transeuropäische Netze und Industrie zu. Entsprechendes gilt für die Sozialpolitik, allgemeine und berufliche
Bildung und Jugend. Gesundheitswesen und Verbraucherschutz erhalten
eigene Titel, ohne daß sich gegenüber der bisherigen Praxis etwas ändern
wird. Hervorzuheben ist schließlich Art. K UnionsV, der die Zusammenarbeit
13
14
BVerfG, NJW 1993, 3047 ff.; dazu Lenz, NJW 1993, 3038 f.
Vgl. dazu BVerfG, NJW 1993, 3053; Möschel, NJW 1993, 3025 ff.
1970
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
6
in den Bereichen Justiz und Inneres regelt. Hier herrschen Koordination,
Kooperation und Konsultation vor. In bestimmten Fällen sind auch verbindliche Beschlüsse des Rates vorgesehen.15
1.2
Institutionen der Europäischen Gemeinschaft
Zur Erfüllung der ihr nach den Gründungsverträgen zugewiesenen Aufgaben verfügt die EG über fünf Organe16 - den Rat der Europäischen Union,
die Europäische Kommission,17 das Europäische Parlament sowie den Europäischen Gerichtshof und den Rechnungshof - sowie über weitere Institutionen.
1.2.1
Rat der Europäischen Union
Gemäß Art. 145 ff. EGV, Art. 115 ff. EAGV (ähnlich Art. 26 ff. EGKSV)
sind die gesetzgebende Gewalt sowie wichtige Regierungs- und Verwaltungsbefugnisse der Gemeinschaften seit dem 1.7.1967 wesentlich in dem
gemeinsamen Rat vereinigt. Der Rat der Europäischen Union ist das wichtigste Legislativorgan;18 er trifft die grundsätzlichen gesetzgeberischen Entscheidungen in Zusammenarbeit mit der Kommission und dem Parlament
auf der Grundlage der Verträge. Ihm steht nach dem EG-Vertrag bei der
Rechtssetzung in den meisten Fällen die abschließende Entscheidung zu.
Zugleich ist er die Instanz, die über die Politik der Gemeinschaft entscheidet. Aufgrund seiner Zusammensetzung aus Vertretern der einzelnen Regierungen kann er als "föderales" Organ der Gemeinschaft bezeichnet werden, in welchem die Interessen der Mitgliedstaaten besonders zur Geltung
gebracht werden können. Gemäß Art. 145, 3. Spiegelstrich EGV ist der Rat
verpflichtet, der Kommission in den von ihm angenommenen Rechtsakten
Durchführungsbefugnisse hinsichtlich der Vorschriften, die er erläßt, zu über15
16
17
18
Näher zum Inhalt des Unionsvertrages Bleckmann, DVBl. 1992, 335 ff.; Oppermann/
Classen, NJW 1993, 7 ff.
Zur offiziellen Bezeichnung der Europäischen Organe vgl. EG-Nachrichten Nr. 46
vom 29.11.1993, S. 2.
Jedoch bleibt die Bezeichnung "Kommission der Europäischen Gemeinschaften"
bei juristischen und formellen Texten bestehen, weil der Unionsvertrag Art. 9 des
Vertrages zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8.4.1965 nicht ändert, der die
Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu einem Organ verschmilzt; EGNachrichten Nr. 46 vom 29.11.1993, S. 2.
Vgl. dazu Rabe, NJW 1993, 4.
7
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1971
tragen (Art. 155, 4. Spiegelstrich EGV). Dadurch wird der Rat erheblich entlastet, ohne die Kontrolle über die delegierten Materien gänzlich zu verlieren. Seit 1975 treffen sich zusätzlich die Staats- und Regierungschefs und
der Präsident der Kommission zwei- bis dreimal jährlich als Europäischer
Rat. Vertraglich institutionalisiert wurde der Europäische Rat in Art. 2
EEA, der jetzt durch Art. D UnionsV abgelöst wurde; er hat in erster Linie
die Aufgabe, richtungsweisende Entscheidungen zu treffen, die Gemeinschaft politisch zu aktivieren sowie neue Zielsetzungen vorzugeben. Um
über die Zuständigkeitsbereiche der drei Gemeinschaften hinaus eine allgemeine außenpolitische Zusammenarbeit der EG-Staaten betreiben zu können, bedurfte es weiterer Formen der Zusammenarbeit. Hieraus ergab sich
die "Europäische Politische Zusammenarbeit" (EPZ) in der Außenpolitik,
die von den Regierungschefs und Außenministern getragen wird und nun in
Art. J ff. UnionsV vertraglich geregelt ist. Diese EPZ wird jedoch durch die
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres abgelöst (Art. J bzw. K UnionsV).
1.2.2
Europäische Kommission
Die Europäische Kommission hat die Aufgabe, als von den nationalen Regierungen unabhängige Institution die Anwendung der Vertragsbestimmungen und die von den Organen gefaßten Beschlüsse zu überwachen. Darüber
hinaus vermittelt sie zwischen den Mitgliedstaaten und ist gleichzeitig Bestandteil der Legislative, da sie nach dem EG-Vertrag im Regelfall das Vorschlagsrecht für die Beschlüsse des Rates innehat. Dieses sog. Initiativrecht
der Kommission wird dadurch unterstrichen, daß der Rat Vorschläge der
Kommission nur einstimmig abändern kann. Daneben hat die Kommission
zahlreiche Exekutivfunktionen (vgl. z.B. Art. 89 [Kartellrecht] oder Art. 93
EGV [Subventionskontrolle]). Außerdem überträgt der Rat der Kommission
die Befugnis, die von ihm erlassenen Vorschriften durchzuführen. Er kann
dabei bestimmte, im sog. "Komitologie-Beschluß" vom 13.7.198719 festgelegte Modalitäten für die Ausübung der Befugnisse vorschreiben und sich
für spezifische Fälle vorbehalten, die Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben. Weiterhin führt die Kommission den Haushaltsplan aus, vertritt die
Gemeinschaft im Rechtsverkehr und ist Handlungsträger der Außenbeziehungen (Art. 209, 211, 228 f. EGV).
19
ABl. 1987, L 289, S. 38.
1972
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
1.2.3
8
Europäisches Parlament
Nach Art. 137 EGV, Art. 107 EAGV, Art. 20 EGKSV i.V.m. dem Abkommen über gemeinsame Organe für die Europäischen Gemeinschaften vom
25.3.1957 verfügen die drei Gemeinschaften über ein gemeinsames parlamentarisches Organ, das Europäische Parlament. Dieses übt die ihm nach
den Verträgen zustehenden Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse aus. Der
(in der Praxis nicht mehr) typische Rechtsakt der EG wird durch den Rat auf
Vorschlag der Kommission und "nach Anhörung des Parlaments" (vgl. z.B.
Art. 43 Abs. 2 Unterabs. 3 EGV) erlassen. Deshalb werden die Vorschläge
des Rates dem Europäischen Parlament zur Stellungnahme zugeleitet. Das
Parlament selbst verfügt aber weder über Rechtssetzungsbefugnisse und
Initiativrechte noch über Zustimmungsrechte im Rechtssetzungsverfahren,
sondern im wesentlichen nur über Anhörungsrechte, deren Verletzung
allerdings im Falle der Anfechtung zur Aufhebung des Rechtsakts führt.20
Im Verfahren der Zusammenarbeit (Art. 149 Abs. 2 EWGV a.F. =
Art. 189c EGV), das durch die EEA eingeführt worden ist, hat das Europäische Parlament jedoch erheblichen Einfluß gewonnen. Art. 189b EGV sieht
daneben ein Verfahren der Mitentscheidung vor, in dem die Rechtsstellung des Europäischen Parlaments durch die Einsetzung eines Vermittlungsausschusses gestärkt wird. Während der Einfluß des Europäischen Parlaments im normalen Rechtssetzungsverfahren der EG begrenzt war, gewährt
Art. 189b EGV ihm nunmehr eine eigene Rechtssetzungskompetenz und ein
absolutes Vetorecht gegenüber Vorschlägen des Rates, so daß es insoweit
als Mitgesetzgeber betrachtet werden kann. Außerdem verfügt das Europäische Parlament in den Bereichen Haushaltsrecht, Außenbeziehungen und
Harmonisierung (Art. 100a EGV) über weitergehende Befugnisse. Schließlich übt es gegenüber den anderen EG-Organen Kreations- und Kontrollrechte aus.
1.2.4
Europäischer Gerichtshof
Der Europäische Gerichtshof, der seinen Sitz in Luxemburg hat, sichert die
Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des EG-Vertrages.
Bei der Schaffung des Gerichtshofs gingen Vorstellungen deutscher und italienischer Verfassungsgerichtsbarkeit und die Traditionen des französischen
20
Vgl. EuGH, Slg. 1980, S. 3333 ff. - (Roquette Frères/Rat).
9
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1973
Conseil d'Etat ein.21 Als rechtliches Kontrollorgan der EG verfügt der
EuGH über eine herausragende Stellung im Gemeinschaftssystem. Er hat
die tatsächliche Entwicklung der EG durch seine Rechtsprechung nachhaltig
beeinflußt. Die meisten Entscheidungen betreffen Klagen der Kommission
wegen Verletzung des EG-Vertrages (Art. 169 EGV). Der EuGH entscheidet weiterhin über die Rechte und Pflichten der EG-Organe sowie über
den Gerichtsschutz des Einzelnen gegen Akte der europäischen Gewalt. Neben seinen verfassungs-, verwaltungs-, zivil- und schiedsgerichtlichen Aufgaben gibt der EuGH im Wege richterlicher Rechtsfortbildung wichtige Impulse für die Weiterentwicklung des Gemeinschaftsrechts und trägt dadurch
wesentlich zur Vertiefung der europäischen Integration bei.
Nach Art. 164 EGV und Art. 31 EGKSV hat der EuGH "die Wahrung des
Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern". Er hat
also die Aufgabe der Konkretisierung und Auslegung des vom Gemeinschaftsgesetzgeber gesetzten Rechts.22 Angesichts der Tatsache, daß die
Gemeinschaftsrechtsordnung nur als Teilrechtsordnung konzipiert ist, die
sich in erster Linie mit wirtschaftlichen und sozialen Sachverhalten befaßt,
und eine sich in der Entwicklung befindliche, offen ausgestaltete Rechtsordnung ist, kommt der Ausfüllung von Lücken durch allgemeine Rechtsgrundsätze zentrale Bedeutung zu. Unter allgemeinen Rechtsgrundsätzen
werden die ungeschriebenen Sätze der gemeinsamen europäischen Rechtstraditionen zusammengefaßt,23 für deren inhaltliche Bestimmung ganz überwiegend die Methode der wertenden Rechtsvergleichung angewendet wird.
Hierbei geht der EuGH wie folgt vor: Zuerst wird im Rahmen eines rechtsvergleichenden Überblicks die Regelung der zugrundeliegenden Frage in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten herausgearbeitet. Im zweiten Schritt wird dann der
rechtsvergleichende Befund nach wertenden Gesichtspunkten näher analysiert.24
Kriterium für die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ist weder die
übereinstimmende Geltung in allen Mitgliedstaaten noch die einheitliche Anord-
21
22
23
24
Mosler, ZaöRV Bd. 14 (1951/52), S. 1 ff.
Everling, in: Ress/Will (Hrsg.) Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europainstitut der Universität des Saarlandes, Nr. 151, 1989, S. 28 (29).
Kutscher, EuR 1981, 402; Pliakos, Les droits de la défense et le droit communautaire de la concurrence, 1987, S. 14; Zieger, JöR N.F. Bd. 22 (1973), S. 349. Zum Geltungsgrund der allgemeinen Rechtsgrundsätze Akehurst, BYIL 1981, S. 29 ff.; Kutscher, in: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Hrsg.), Begegnungen von
Justiz und Hochschule, 27.-28.9.1976, 1976, S. I-8.
EuGH, Slg. 1970, S. 1135 - (Rs 11/70: Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel); Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, Rdnr. 5/20; Meessen, JIR 1974, 300 f.; Zweigert, RabelsZ 1964, 611.
1974
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
10
nung in der Mehrheit der Mitgliedstaaten.25 Der EuGH geht bei der Bestimmung
vielmehr so vor, daß er derjenigen Lösung den Vorzug gibt, die sich unter Berücksichtigung der Ziele und Strukturprinzipien der Gemeinschaft am besten in die
Gemeinschaftsrechtsordnung einfügt.26
Durch Beschluß des Rates vom 24.10.1988 ist dem EuGH ein Gericht erster
Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuGEI) beigeordnet worden, das
der Entlastung des EuGH dienen und neben der Bearbeitung von Dienstrechtsklagen auch zur Aufklärung von Sachverhalten, etwa im Rahmen von
Anti-Dumping-Verfahren oder anderer Wettbewerbssachen der EG, beitragen soll.27 Dieses Gericht unterliegt, soweit es als Tatsacheninstanz tätig
wird, der Revisionskontrolle durch den EuGH.
Das EuGEI und der EuGH sind nur für die im EGV festgelegten Verfahren
zuständig. In allen anderen Fällen sind die nationalen Gerichte zur Entscheidung berufen, die jedoch die EG-rechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen haben. Im Interesse der Einheitlichkeit der europäischen Rechtsordnung können die nationalen Gerichte nach Art. 177 EGV dem EuGH Fragen
zur Auslegung und Gültigkeit einzelner Vorschriften des EG-Vertrages
vorlegen. Für den Fall, daß die nationalen Entscheidungen nicht mehr mit
innerstaatlichen Rechtsmitteln angefochten werden können, sind die Gerichte sogar zur Vorlage verpflichtet.28 Weiterhin können die Kommission
sowie jeder Mitgliedstaat gemäß Art. 169, 170 EGV ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einleiten, wenn dieser gegen seine
Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat.
25
26
27
28
Eingehend dazu Akehurst, BYIL 1981, S. 32 ff.
Vgl. dazu Kutscher, EuR 1981, 401; Rengeling, Rechtsgrundsätze beim Verwaltungsvollzug des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1977, S. 77 und 253; Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1414. Vgl. dazu auch unten 8.1.4.5.
Vgl. dazu Everling, in: Schwarze (Hrsg.), Fortentwicklung des Rechtsschutzes in der
Europäischen Gemeinschaft, 1987, S. 39 ff.; Junghans, Das Gericht erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften, 1991, passim; Kennedy, ELR 1989, 7 ff.; MüllerHuschke, EuGRZ 1989, 213 ff.; Rabe, NJW 1989, 3041 ff.; Temple Lang, Fordham
International Law Journal 1988, 579 ff.
EuGH, Slg. 1982, S. 3415 - (C.I.L.F.I.T.); zum Vorlageverfahren vgl. Krück, in:
Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Bd. 3,
Art. 177 Rdnrn. 51 ff.; Steindorff, ZHR Bd. 156 (1992), S. 1 ff.
11
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1.2.5
1975
Rechnungshof
Durch Vertrag vom 22.7.1975 wurde ein Rechnungshof eingesetzt, der am
25.10.1977 in Luxemburg seine konstituierende Sitzung abgehalten hat und
Organqualität durch Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGV erhält.29 Die Aufgabe des
Rechnungshofs liegt in der Prüfung des Finanzgebarens der Gemeinschaft
sowie jeder von der Gemeinschaft geschaffenen Einrichtung, soweit der
Gründungsakt dies nicht ausschließt (Art. 188c Abs. 1 EGV). Er prüft die
Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der Einnahmen und Ausgaben und
überzeugt sich von der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung (Art. 188c
Abs. 2 EGV). Dem Rechnungshof ist die Prüfung "an Ort und Stelle" bei
den anderen Organen der Gemeinschaft und in den Mitgliedstaaten gestattet
(vgl. Art 188c Abs. 3 EGV).
1.3
Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane
Die wichtigsten Handlungsformen der Gemeinschaftsorgane sind in den
Gründungsverträgen nach Bezeichnung, Struktur und Rechtswirkungen allgemein festgelegt. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet zwischen Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
(Art. 189 Abs. 1 EGV, sog. sekundäres Recht). Entscheidungen, die nach
deutscher Dogmatik den Verwaltungsakten entsprechen, sind keine Rechtsnormen. Gleiches gilt für Empfehlungen und Stellungnahmen, denen im wesentlichen nur Appellfunktion zukommt; allerdings können sie gemäß Art. 5
EGV rechtliche Bedeutung erlangen, weil sie von den Mitgliedstaaten aufgrund deren Treuepflicht zu berücksichtigen sind.
1.3.1
Verordnung
In der Praxis ist den Verordnungen die größte Bedeutung beizumessen.
Nach Art. 189 Abs. 2 EGV, Art. 161 Abs. 2 EAGV haben sie "allgemeine
Geltung". Sie sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar
in den Mitgliedstaaten. Die generell-abstrakte, gemeinschaftsweit einschlägige Regelung gegenüber einem unbestimmten Personenkreis ist das wesentliche Charakteristikum der Verordnung. Ihr Vorteil liegt darin, daß sie ohne
Umsetzung sofort geltendes Recht schafft. Es handelt sich daher um eine
29
Vgl. dazu Streinz, Europarecht, 1992, Rdnrn. 229 f.
1976
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
12
"quasi-legislatorische Maßnahme".30 Nationale Gerichte und Verwaltungsbehörden haben die Verordnung anzuwenden und entgegenstehendes nationales Recht außer Anwendung zu lassen. Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung den von den Mitgliedstaaten "unabdingbaren" Rechtscharakter
der Verordnung betont und festgestellt, daß nationale Nachformungen des
Verordnungsinhaltes angesichts der Durchgriffswirkung des EG-Rechts
grundsätzlich überflüssig und wegen der Doppelung des Rechtes sogar
schädlich sind.31 Verordnungen sind, ohne daß sie ihre Eigenschaft als Gemeinschaftsrecht verlieren, Bestandteil der innerstaatlich geltenden Rechtsordnung.
1.3.2
Richtlinie und Empfehlung der EGKS
Art. 189 Abs. 3 EGV, Art. 161 Abs. 3 EAGV charakterisieren die Richtlinie
als denjenigen Rechtsakt, der für jeden Mitgliedstaat, an den er gerichtet ist,
hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich ist, den innerstaatlichen
Stellen jedoch die Wahl der Form und der Mittel überläßt. Art. 14 Abs. 3
EGKSV trifft hinsichtlich der dort sog. "Empfehlung" eine ähnliche Regelung, die lediglich offen läßt, wer neben den Mitgliedstaaten Adressat ist.
Angesichts der Tatsache, daß die Richtlinie auf ein Tätigwerden der Mitgliedstaaten gerichtet ist, bildet sie eines der Hauptinstrumente zur Angleichung der nationalen Rechtsordnungen (vgl. nur Art. 100 EGV und
Art. 100a EGV i.V.m. der EEA-Schlußakte). Sie weist gegenüber der Verordnung die Besonderheit auf, daß durch die Umsetzung keine verfassungsrechtlichen Probleme entstehen, weil die gemeinschaftsrechtlichen
Vorgaben in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten und in deren
System eingeordnet werden.32 Obwohl sich Richtlinien nur an die Mitgliedstaaten wenden und - anders als Verordnungen - nicht unmittelbar gelten,33
30
31
32
33
Vgl. EuGH, Slg. 1955/56, S. 227 - (Rs 8/55).
EuGH, Slg. 1971, S. 1049 - (Rs 43/71); EuGH, Slg. 1973, S. 114 ff. - (Rs 39/72).
Streinz, Bundesverfassungsgerichtliche Kontrolle über die deutsche Mitwirkung am
Entscheidungsprozeß im Rat der Europäischen Gemeinschaften, 1990, S. 40 ff.
Vgl. allgemein auch Magiera, Jura 1989, 595 ff.
13
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1977
können sie unter der Voraussetzung unmittelbare Wirkungen34 zugunsten
des Einzelnen entfalten, daß die Umsetzungsfrist abgelaufen ist.35
In diesem Zusammenhang kann auf die 6. Umsatzsteuerrichtlinie36 verwiesen
werden, die vom deutschen Gesetzgeber nicht rechtzeitig umgesetzt worden war.
Angesichts dessen, daß diese Richtlinie einen eindeutig umsetzungsfähigen Inhalt
hatte, bejahte der EuGH eine Direktwirkung:37 "Nach ständiger Rechtsprechung
kann ein Mitgliedstaat, der die in einer Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgemäß erlassen hat, den einzelnen Gemeinschaftsbürgern nicht entgegenhalten, daß sie die aus dieser Richtlinie erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt haben." In einem weiteren vom EuGH entschiedenen
Fall38 wurde die Verpflichtung der Stadtverwaltung von Mailand angenommen, ein
der Richtlinie 71/305/EWG über das Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauanträge widersprechendes italienisches Gesetz nicht anzuwenden.39 Dieser Auffassung liegt die Überlegung zugrunde, daß die praktische Wirksamkeit - der sog.
"effet utile" - einer Richtlinie erheblich beeinträchtigt würde, wenn es jeder Mitgliedstaat in der Hand hätte, den Eintritt der mit der Richtlinie beabsichtigten
Rechtswirkungen dadurch beliebig hinauszuzögern oder ganz zu vereiteln, daß er
die Umsetzung der Richtlinie in innerstaatliches Recht unterläßt.40 Diese Recht-
34
35
36
37
38
39
40
Der Begriff "unmittelbare Wirkung" ist abzugrenzen von dem der "unmittelbaren
Geltung" einer Richtlinie, denn nach wie vor bedarf die Richtlinie der Umsetzung.
Als "zweistufigen Vorgang" bezeichnet die Gesetzgebung durch Richtlinien Götz,
NJW 1992, 1852 mit weiteren Nachweisen. Die zweite Stufe ist stets die Anpassung
des nationalen Rechts an die Richtlinie (Umsetzung).
Vgl. EuGH, Slg. 1979, S. 1629 - (Rs 148/78: Publico Ministero/Ratti) und EuGH, Slg.
1983, S. 2727 - (Rs 271/82: Ministère Public/Auer). Insbesondere vom Conseil d'Etat
(EuR 1979, 292 ff.) sowie vom Bundesfinanzhof (BFHE 133, S. 470 f.) wurde dies zunächst mit dem Argument bestritten, daß ein Verstoß gegen den EWG-Vertrag vorliege,
weil den Richtlinien damit eine Wirkung beigemessen würde, die nach dem Wortlaut
des Vertrages nur den Verordnungen zustünde. Aus der Literatur vgl. Bach, JZ 1990,
1108 ff. sowie Groß, JuS 1990, 522 ff. mit weiteren Nachweisen. Eine genaue Auflistung der Voraussetzungen, unter welchen eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinie
angenommen werden kann, findet sich auch bei Streinz, Europarecht, 1992, Rdnr. 402.
Richtlinie des Rates 77/388/EWG vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer-Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage, ABl. 1977, L 145, S. 1.
EuGH, Slg. 1982, S. 53 - (Rs 8/81: Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt). Vgl.
hierzu auch Streinz, Europarecht, 1992, Rdnrn. 394 ff. mit Fallbeispielen.
EuGH, EuR 1990, S. 151 - (Constanzo).
Vgl. auch die Entscheidung EuGH, Slg. 1991, S. 5357 ff. = EWS 1991, 391 = NJW
1992, 165 - (Rs C-6 und 9/90: Francovich und Bonifaci/Republik Italien), bei der es
um die Haftung der Mitgliedstaaten gegenüber den Bürgern für nicht umgesetzte
Richtlinien geht.
Schweitzer/Hummer, Europarecht, 4. Aufl. 1993, S. 115; ähnlich auch Sevenster, Common Market Law Review 1992, 29 ff. (41), die betont, daß der einzelne Mitgliedstaat
aus der fehlenden Umsetzung keine Vorteile erzielen dürfe. Eingehend zur gesamten
Problematik der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien auch Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, Rdnrn. 136 ff. sowie Streinz, Europarecht, 1992, Rdnrn. 394 ff.
1978
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
14
sprechung des EuGH hat vom BVerfG in einem Beschluß vom 8.4.1987,41 in dem
es um die Bindungswirkung von Vorabentscheidungen des EuGH ging, sowie im
Schrifttum allgemeine Zustimmung erfahren, ist allerdings bei den nationalen Gerichten zum Teil auf Ablehnung gestoßen.42
1.3.3
Entscheidung
Neben den Verordnungen und Richtlinien stellen Art. 189 Abs. 4 EGV,
Art. 161 Abs. 4 EAGV, Art. 14 Abs. 2 EGKSV die Entscheidung als
Rechtsakt zur verbindlichen Einzelfallregelung zur Verfügung. Die Entscheidung, die sich sowohl an Einzelpersonen als auch an Mitgliedstaaten
richten kann, ist für den Adressaten "in allen ihren Teilen" verbindlich
(Art. 189 Abs. 4 EGV). Die an Private gerichtete Entscheidung ist weithin
mit dem Verwaltungsakt des deutschen Rechts vergleichbar, während die an
Mitgliedstaaten gerichteten Entscheidungen oftmals richtliniennahe Elemente aufweisen. Von vorbereitenden Verlautbarungen und internen dienstlichen Maßnahmen unterscheidet sich die Entscheidung durch ihre nach außen gerichtete, abschließend rechtsgestaltende Wirkung.43
1.3.4
Empfehlung und Stellungnahme
Außer den verbindlichen Rechtsakten kennen Art. 189 Abs. 5 EGV, Art. 161
Abs. 5 EAGV, Art. 14 Abs. 4 EGKSV das Rechtsinstrument der Empfehlungen und Stellungnahmen. Sie werden vom Rat oder von der Kommission erlassen. Dabei stehen die Empfehlungsbefugnisse der Kommission im Vordergrund. Der Rechtscharakter der Empfehlungen und Stellungnahmen besteht
darin, daß es sich zwar um offizielle Verlautbarungen der Gemeinschaft
handelt, die aber nicht verbindlich sind. Gleichwohl entfalten sie "gewisse
Rechtswirkungen". Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es sich um die
Stellungnahme im Rahmen eines mehrstufigen Verfahrens handelt, das einen
solchen Rechtsakt als notwendigen Bestandteil vorsieht. Ferner können
Empfehlungen und Stellungnahmen, die Beurteilungen von Sachfragen ent-
41
42
43
BVerfGE 75, S. 223.
Vgl. für Frankreich Conseil d'Etat, EuGRZ 1979, 251 ff. sowie das Urteil vom
2.12.1980, Rec. CE 1980, S. 713; für Deutschland BFHE 143, S. 383 ff. Im übrigen
vgl. die Zusammenstellung bei Everling, in: Festschrift für Carstens, 1984, S. 95 ff.
sowie Seidel, Direktwirkung von Richtlinien, 1983, S. 11 ff.
EuGH, Slg. 1958/59, S. 9 - (Rs 17/57).
15
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1979
halten, unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Rechtswirkungen
entfalten. Außerdem haben die nationalen Behörden und Gerichte Empfehlungen bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht zu berücksichtigen.44
1.4
Verhältnis von EG-Recht und "allgemeinem" nationalem Recht
Im Normalfall stehen Gemeinschaftsrecht und nationales Recht nebenein
ander. Jeder Rechtskreis hat seinen eigenen Anwendungsbereich: Die Ge
meinschaftsvorschriften regeln Vorgänge im zwischenstaatlichen Bereich,
während die nationalen Vorschriften Vorgänge innerhalb des einzelnen
Staates umfassen. Für den Fall, daß die Vorschriften des Gemeinschaftsund des nationalen Rechts denselben Lebensvorgang betreffen, kommen sie
grundsätzlich nebeneinander zur Anwendung. Wenn sich die Regelungen
widersprechen, d.h. ein sog. "Kollisionsfall" vorliegt, wird die Situation jedoch problematisch, da das Gemeinschaftsrecht keine ausdrücklichen Kollisionsnormen kennt. Auch die Mitgliedstaaten verfügen nur teilweise über
solche Bestimmungen. So kennen die Verfassungen der Niederlande, Frankreichs, Griechenlands und Irlands Kollisionsregelungen, die einen Anwendungsvorrang des EG-Rechts gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht
vorsehen.45
1.4.1
Vorrang des Gemeinschaftsrechts
Nach Ansicht des EuGH46 und zum Teil auch der nationalen Gerichte47 sowie nach überwiegender Auffassung in der Literatur48 hat das Gemein44
45
46
47
48
EuGH, Slg. 1989, S. 4407.
Näher zur Auseinandersetzung mit dieser Problematik in den verschiedenen Mitgliedstaaten Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches
Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 346 ff.
Grundlegend EuGH, Slg. 1963, S. 1 - (Rs 26/62: Van Gend & Loos); EuGH, Slg.
1964, S. 1251 - (Rs 6/64: Costa/ENEL); EuGH, Slg. 1970, S. 1125 - (Rs 11/70: Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel); EuGH, Slg. 1978, S. 629 - (Rs 106/77: Simmenthal); EuGH, Slg. 1979,
S. 2729 - (Rs 237/78: Schaffleisch).
Für Deutschland BVerfGE 73, S. 375 ff. (Solange II); für Frankreich Cour de Cassation, EuR 1975, 326; Recueil Dalloz 1976, 3 ff.; Conseil d'Etat, EuGRZ 1990, 99 ff. Im
übrigen vgl. Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Bd. I. Das
institutionelle Recht, 1977, mit Hinweisen auf einzelne Länder: S. 696 ff. für Deutschland; S. 722 ff. für Italien; S. 736 ff. für Frankreich; S. 753 ff. für die Niederlande;
S. 761 f. für Luxemburg; S. 769 ff. für Belgien; S. 784 f. für Großbritannien; S. 790 f.
für Irland.
Für Deutschland vgl. Everling, DVBl. 1985, 1201 ff.; für Frankreich vgl. Goyard,
DÖV 1989, 259 ff.; für Italien vgl. Petriccione, ELR 1986, 320 ff.; für Großbritan-
1980
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
16
schaftsrecht in diesen Kollisionsfällen, soweit derartige Vorschriften fehlen,
"Anwendungsvorrang", der bewirkt, daß das Gemeinschaftsrecht in seinem
Anwendungsbereich nationales Recht verdrängt bzw. zur Anpassung
zwingt.49 Das gilt für das primäre wie auch für das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Die Anerkennung des Anwendungsvorrangs erfordert nicht,
daß dem jeweils zurücktretenden nationalen Recht die Wirksamkeit abgesprochen wird.50
In dem umstrittenen "Solange I"-Beschluß vom 29.5.1974 hatte das BVerfG 51 eine
Kollision zwischen Grundrechten und Gemeinschaftsrecht - unbeschadet der
grundsätzlichen Anerkennung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts - noch zugunsten der Grundrechte entschieden, "solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen
von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist".52 Diesen Vorbehalt hat das BVerfG mit dem "Solange II"-Beschluß vom
22.10.198653 zurückgenommen, indem es die Formel aus dem vorangehenden Beschluß umgekehrt und festgestellt hat, daß "im Hoheitsbereich der EG ein Maß an
Grundrechtsschutz erwachsen ist, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise
dem Grundrechtszustand des Grundgesetzes gleichzuachten ist".
Im Ergebnis wurde somit auch in der Bundesrepublik Deutschland der Vorrang
des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht (und damit auch dem Verfas-
49
50
51
52
53
nien vgl. Gormley, EuR 1987, 359 ff.; für die Beneluxländer vgl. Louis, in: Festschrift für Dehousse, 1979, Bd. II, S. 235 ff.; für Dänemark vgl. Rasmussen, EuR
1985, 66 ff.; für Griechenland vgl. Antoniou, Europäische Integration und die griechische Verfassung, 1985, passim; für Spanien vgl. Foraster Serra, RMC 1988,
163 ff.
Vgl. Hoffmann, DÖV 1967, 433 (439).
EuGH, Slg. 1968, S. 363 (373) - (Rs 34/67: Lück/Hauptzollamt Köln-Rheinau). Der
EuGH geht in den Fällen, in denen das nationale Recht keinen Anwendungsbereich
auf "rein nationale" Fälle mehr findet, von einem Geltungsvorrang des "Gemeinschaftsrechts" aus. Die Formulierung des EuGH, der nationale Richter habe gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht außer Anwendung zu lassen, bezieht
sich lediglich darauf, daß Gemeinschaftsrecht den nationalen Richter nicht zwingen
kann, die Nichtigkeit einer nationalen Vorschrift anzuordnen, ohne daß ihm dies
zugleich das nationale Recht erlaubt.
BVerfGE 37, S. 271 = NJW 1974, 1201 ff. In der Entscheidung ging es um die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der in Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 3 Verordnung des
Rates 67/120/EWG vom 13.6.1967 begründeten Verpflichtung zur Ausfuhr, der
daran anknüpfenden Gestellung einer Kaution und deren Verfall bei Nichtdurchführung der Ausfuhr im Gültigkeitszeitraum sowie um die Verfassungsmäßigkeit des
Art. 9 der zur Verordnung des Rates 67/120/EWG ergangenen Verordnung der
Kommission 67/473/ EWG vom 21.8.1967. Weitere Leitentscheidungen zum Verhältnis Gemeinschaftsrecht/ Verfassungsrecht sind BVerfGE, 22, S. 293; 52, S. 187;
58, S. 1; 59, S. 63; 73, S. 339.
BVerfGE 37, S. 285.
BVerfGE 73, S. 339 = NJW 1987, 577 ff.
17
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1981
sungsrecht) anerkannt.54 In der "Solange II"-Entscheidung wurde darüber hinaus
der EuGH als gesetzlicher Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG qualifiziert.
Damit ist eine abschließende Entscheidungsbefugnis über die Auslegung der Verträge sowie über die Gültigkeit und Interpretation der gemeinschaftlichen Akte, also des sekundären Gemeinschaftsrechts, verbunden. Hieraus wird geschlossen, daß
dem EuGH auf diese Weise ein "Zuständigkeitsmonopol" zugewiesen wurde.55
Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts hat zur Folge, daß nationale Behörden und Gerichte bei der Rechtsanwendung unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht vollziehen und das mit dem Gemeinschaftsrecht im Widerspruch stehende nationale Recht unangewendet lassen müssen.56
1.4.2
Gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung
Der Anwendungsvorrang des EG-Rechts zwingt nach Auffassung des
EuGH die Gerichte der Mitgliedstaaten grundsätzlich dazu, das nationale
Recht EG-rechtskonform auszulegen und im Lichte des Gemeinschaftsrechts fortzubilden.57 Dies gilt nicht nur für Verordnungen, sondern nach
h.M.58 gleichermaßen für Richtlinien, deren Inhalt und Zielsetzungen als
Auslegungskriterien eines nationalen Umsetzungsgesetzes heranzuziehen
sind, weil der Gesetzgeber im Zweifel eine richtlinienkonforme Umsetzung
gewollt hat und auch die Gerichte an die in Art. 5 EGV normierte Pflicht zur
Gemeinschaftstreue gebunden sind.59
In der deutschen Literatur werden dem Grundsatz der gemeinschaftskonformen
Auslegung verfassungsrechtliche Bedenken entgegengehalten, denn nach dem
Verständnis des BVerfG öffne sich die deutsche Rechtsordnung der vorrangigen
Geltung des Gemeinschaftsrechts nur insoweit, als es sich um Bestimmungen des
Vertrages, der Verordnungen und gegebenenfalls um Richtlinien handele, die unmittelbar anwendbar seien.60 Hiergegen wird wiederum eingewandt, daß von einem zu engen Verhältnis der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemein54
55
56
57
58
59
60
Zur zwischen beiden Entscheidungen liegenden Rechtsprechung und den Entscheidungen selbst vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und
Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, passim.
Thomas, NJW 1991, 2233 (2234).
Thomas, NJW 1991, 2223 (2234 f.).
EuGH, Slg. 1984, S. 1891 (1909) - (von Colson und Kamann/Land NordrheinWestfalen); EuGH, Slg. 1984, S. 1921 (1942) - (Harz/Deutsche Tradax) sowie
EuGH, Slg. 1990 I, S. 4135 (4159) (Rs C-106/89: Marleasing/La Comercial International de Alimentación).
Everling, ZGR 1992, 376 ff.; di Fabio, NJW 1990, 947 ff.; Scherzberg, Jura 1992, 575 ff.
Näher zur EG-rechtskonformen Auslegung im Strafrecht unten 6.
di Fabio, NJW 1990, 947.
1982
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
18
schaft ausgegangen werde. Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung stelle
eine "Chance, die Rechtseinheit zu verwirklichen, auszubauen und sodann auch zu
sichern," dar.61 Der EuGH hat diesbezüglich insoweit Einschränkungen gemacht,
als er den Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen - im konkreten Fall der
richtlinienkonformen - Auslegung den Schranken der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, wie dem Gebot der Rechtssicherheit und dem
Rückwirkungsverbot, unterworfen hat.62
Seit der Entscheidung des EuGH im Fall "Marleasing" aus dem Jahre
199063 steht fest, daß zwischen "unmittelbarer Wirkung von Richtlinien"
und "richtlinienkonformer Auslegung" zu differenzieren ist.64 "Richtlinienkonforme Auslegung" bedeutet, daß das nationale Recht - wenn sein Inhalt von der in einer Richtlinie geregelten Materie betroffen ist - i.S. dieser
Richtlinie auszulegen ist.65 "Unmittelbare Wirkung von Richtlinien" bedeutet demgegenüber, daß sich der einzelne Bürger gegenüber mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten auf diese berufen kann.66
1.4.3
"Cassis de Dijon"-Rechtsprechung des EuGH
Art. 30 EGV, der mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung verbietet, hat weitreichende Auswirkungen auf die nationalen Rechtsordnungen, seit der EuGH als Maßnahmen gleicher Wirkung "jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel
unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern",67 ansieht. Im
Urteil "Cassis de Dijon"68 wurde klargestellt, daß sich dies auch auf nichtdiskriminierende Maßnahmen bezieht, d.h. auf solche, die sowohl für inländische
als auch für ausländische Produkte gleichermaßen gelten. Diese weitgehende Formel schränkte der Gerichtshof in der Folgezeit dahingehend ein, daß Art. 30
61
62
63
64
65
66
67
68
Everling, ZGR 1992, 380.
Vgl. zu Inhalt und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EuGH Everling, ZGR 1992, 382 ff.
EuGH, Slg. 1990 I, S. 4135 ff. - (Marleasing/La Comercial International de Alimentación). Vgl. hierzu auch den Beitrag von Emmert, EWS 1992, 56 ff. Der Aufsatz
beinhaltet zugleich eine Besprechung der zuvor genannten Entscheidung und des
Urteils "Francovich und Bonifaci", EuGH, EWS 1991, 391, zeigt die Entwicklung
der Rechtsprechung auf und enthält zahlreiche weitere - auch ausländische - Nachweise zur Problematik der unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien.
Vgl. Streinz, Europarecht, 1992, Rdnr. 405. In vielen Werken wird allerdings diese
Unterscheidung nicht vorgenommen, da die Grenzen zum Teil fließend sind.
Streinz, Europarecht, 1992, Rdnr. 405. Vgl. auch Everling, ZGR 1992, 376 ff. und
Lutter, JZ 1992, 593 ff. Im übrigen vgl. BGHSt 37, S. 168 sowie BGH, MDR 1991,
550 = NJW 1991, 1621.
Streinz, Europarecht, 1992, Rdnr. 403.
EuGH, Slg. 1974, S. 852 - (Dassonville).
EuGH, Slg. 1979, S. 649 - (Rewe/Bundesmonopolverwaltung für Brandwein).
19
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1983
EWGV Handelshemmnissen nicht entgegensteht, die aus nationalen Bestimmungen herrühren, soweit diese den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes dienen.69 Eine weitere Einschränkung ergibt
sich aus dem Urteil "Keck/Mithonant",70 nach dem "gewisse einheitlich anzuwendende Bedingungen für die Vermarktung von Waren" nicht dem Verbot des Art. 30
EWGV unterfallen. Wenn Art. 30 EWGV nationalen Maßnahmen entgegensteht,
haben die nationalen Behörden und Gerichte dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts von sich aus Geltung zu verschaffen und dürfen die nationalen
Vorschriften nicht anwenden.
1.4.4
Möglichkeiten der Rechtsharmonisierung
Zur Harmonisierung der Rechtsordnungen werden von der EG überwiegend Richtlinien, die der Rechtsangleichung dienen, daneben aber auch
Verordnungen, die unmittelbar zu einer Rechtsvereinheitlichung führen,
eingesetzt. Als weitere Methode zur Herstellung eines Gemeinsamen Marktes ist die gegenseitige Anerkennung zu nennen. Eine ausdrückliche Verankerung der gegenseitigen Anerkennung von Rechtsvorschriften durch Sekundärrechtsakte findet sich in Art. 100b EGV. Hiernach sollte die Kommission im Laufe des Jahres 1992 eine Bestandsaufnahme aller unter
Art. 100a EGV fallenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften erstellen, für
die eine Harmonisierung nicht erfolgt ist, damit der Rat gemäß Art. 100a
EGV die Gleichwertigkeit bestimmter nationaler Vorschriften feststellen
kann.71 Schließlich hat der EuGH mit seiner "Cassis de Dijon"-Rechtsprechung72 die gegenseitige Anerkennung über die freie Verkehrsfähigkeit von
Produkten, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt oder in den
Verkehr gebracht worden sind, bewirkt. Diese Konzeption findet ihre Grenzen in Art. 36 EGV, der die einzelnen Ausnahmen hiervon festlegt, sowie in
den Rechtfertigungsgründen der "Cassis"-Rechtsprechung.
69
70
71
72
Näher dazu Dannecker/Appel, ZVglRWiss 1990, 140 ff.
EuGH, EuZW 1993, 770 ff.
Kritisch zu dieser Vorschrift Streinz, ZLR 1992, 259 ff.
EuGH, Slg. 1979, S. 649 ff.
1984
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
1.5
Verwirklichung des Gemeinsamen Binnenmarktes bis zum
1.1.1993 und Inkrafttreten des Vertrages über den Europäischen Wirtschaftsraum
1.5.1
Beginn des Gemeinsamen Binnenmarktes am 1.1.1993
20
Der Gemeinsame Binnenmarkt, in dem der freie Verkehr mit Waren gemäß den Bestimmungen des EG-Vertrages gewährleistet ist (vgl. Art. 7a
Abs. 2 EGV), sollte bis zum 31.12.1992 vollendet sein. Dieses Ziel konnte
zwar weitgehend verwirklicht werden.73 Allerdings besteht insoweit ein Defizit, als die Kontrollen an den EG-Binnengrenzen nicht wie geplant abgebaut werden konnten. Man einigte sich für den Warenverkehr auf eine
Verlagerung der Kontrollen in das Inland. Weiterhin wurde die Beseitigung
der Kontrollen im grenzüberschreitenden Personenverkehr, die bislang den
Mitgliedstaaten überlassen waren, in dem Rahmenabkommen von Schengen vom 14.6.1985 ("Schengen I") beschlossen.74 Das Durchführungsabkommen vom 13.6.1990 ("Schengen II"),75 das die notwendigen Angleichungsmaßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit wie polizeiliche
Nacheile, Datenaustausch und sonstige Polizeikooperation sowie die Behandlung von Drittstaatsangehörigen - Visumerteilung, Zuständigkeit für
Asylverfahren - vorsieht, wurde bis zum 1.1.1993 nicht von allen beteiligten
Staaten76 ratifiziert, so daß der Abbau der Personenkontrollen an den EGBinnengrenzen noch nicht erfolgen konnte, zumal auch Probleme bei dem
Aufbau des computergestützten Schengener Informationssystems (SIS), das
gleichzeitig mit der Beseitigung der Grenzkontrollen seine Arbeit aufnehmen sollte, auftraten.77
73
74
75
76
77
Vgl. Kommission, 7. Bericht an den Rat und an das Europäische Parlament über die
Durchführung des Weißbuchs der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes,
Dok. der Kommission (92) 383 endg., S. 2 ff.
MBl. 1986, S. 79.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom
14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion,
der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den
schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 13.6.1990;
BR-Drucks. 121/90.
Die Abkommen wurden zwischen den Benelux-Staaten - Belgien, Luxemburg und
den Niederlanden -, Frankreich und Deutschland ausgehandelt. Italien, Spanien,
Portugal und Griechenland sind ihnen beigetreten.
Zu den Schengener Abkommen vgl. auch unten 2. Näher zu den Auswirkungen der
Schengener Abkommen auf die innere Sicherheit Kühne, Kriminalitätsbekämpfung
durch innereuropäische Grenzkontrollen, 1991, passim.
21
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1.5.2
1985
Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum
Am 22.10.1991 einigten sich die Minister der zwölf EG-Mitgliedstaaten und
der sieben Staaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA)78 auf den
Vertrag über die Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraums (EWRV),79
der am 2.5.1992 in Porto unterzeichnet wurde. Durch diesen Vertrag werden
die EFTA-Staaten bezüglich der durch die "Römischen Verträge" als Ziele
formulierten vier Verkehrsfreiheiten den Mitgliedstaaten der EG gleichgestellt. Der EWR ist, sieht man von wenigen Ausnahmen ab, ein einheitlicher Markt für Industriegüter, Dienstleistungen, öffentliche Aufträge, Kapital und Arbeitskräfte. Zu diesem Zweck sind die EFTA-Staaten verpflichtet, das diese Bereiche betreffende Gemeinschaftsrecht in nationales
Recht umzusetzen. Außerdem wurden Regelungen über den Wettbewerb in
das EWR-Abkommen aufgenommen, um einen einheitlichen Wirtschaftsraum zu schaffen. Hingegen ist der EWR weder eine Zollunion noch umfaßt
er den Agrarsektor.
Die EG ging bezüglich des Entscheidungsprozesses im EWR von der Formel aus: Beteiligung am "decision shaping", aber nicht am "decision making". Die EFTA-Staaten erhalten über die Konsultativorgane ein Anhörungsrecht im Vorfeld von Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft. Als Konsultativ- und Kontrollorgane wurden vereinbart: ein EWRRat für übergeordnete politische Entscheidungen, in dem die Ratspräsidentschaft und die Kommission der Europäischen Union sowie jedes EFTALand vertreten sind - jeder der beiden Seiten steht eine Stimme zu -, ein
entsprechend zusammengesetzter Gemeinsamer Ausschuß für die Abwicklung des Vertrages und ein EWR-Gerichtshof beim EuGH in Luxemburg,
bestehend aus Richtern beim EuGH und aus EFTA-Richtern. Nachdem der
EuGH dieses Rechtssystem für unvereinbar mit den Bestimmungen des
78
79
Die EFTA besteht aus Finnland, Island, Norwegen, Österreich, Schweden, der
Schweiz und Lichtenstein.
Eingehend zum EWR-Vertrag die in französischer, deutscher und englischer Sprache abgefaßten Beiträge in: Jacot-Guillarmod (Hrsg.), EWR-Abkommen. Erste Analysen, 1992, passim; vgl. auch Butschek, EWG und die Folgen, 1992, passim.
Vgl. auch unten 8.4.
1986
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
22
EWG-Vertrages80 erklärt hatte,81 einigte man sich auf einen unabhängigen
EFTA-Gerichtshof, der die Kontrolle über die Akte der EFTA-Aufsichtsbehörde übernehmen soll.82 Außerdem wurden die Fragen des Wettbewerbs
neu geregelt.83 Der EWRV ist am 1.1.1994 in Kraft getreten.
1.6
Schrifttumsverzeichnis
Akehurst, The application of general principles of law by the Court of Justice of the
European Communities. BYIL 1981, S. 29 ff.
Antoniou, Europäische Integration und die griechische Verfassung. 1985.
Bach, Direkte Wirkungen von EG-Richtlinien. JZ 1990, 1108 ff.
Bleckmann, Europarecht. 5. Aufl. 1990.
-
Der Vertrag über die Europäische Union. DVBl. 1992, 335 ff.
Butschek, EWG und die Folgen. 1992.
Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Bd. I. Das institutionelle Recht. 1977.
Dannecker/Appel, Auswirkungen der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes
auf den Schutz der Gesundheit und der Umwelt. ZVglRWiss 1990, 127 ff.
Emmert, Horizontale Drittwirkung von Richtlinien? EWS 1992, 56 ff.
Everling, Zur direkten innerstaatlichen Wirkung von EG-Richtlinien. In: Festschrift
für Carstens. 1984, S. 95 ff.
-
Zum Vorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht. DVBl. 1985, 1201 ff.
-
Die Errichtung eines Gerichts 1. Instanz der Europäischen Gemeinschaften.
In: Schwarze (Hrsg.), Fortentwicklung des Rechtsschutzes in der Europäischen Gemeinschaft. 1987, S. 39 ff.
80
Die Kommission beantragte gemäß Art. 228 Abs. 1 EWGV a.F. beim EuGH ein
Gutachten "über die Vereinbarkeit des Abkommens zwischen der Gemeinschaft einerseits und den Ländern der EFTA andererseits über die Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), insbesondere des gerichtlichen Kontrollmechanismus, der mit diesem Abkommen geschaffen werden soll, mit den Bestimmungen
des EWG-Vertrages"; ABl. 1991, C 243, S. 3.
EuGH, WBl. 1992, 56 ff.; näher dazu Hummer, WBl. 1992, 33 ff.
Näher dazu Jakob-Siebert, WBl. 1992, 120 f.
Dazu Jakob-Siebert, WBl. 1992, 118 ff.; näher dazu unten 8.
81
82
83
23
Rechtliche und organisatorische Grundlagen
1987
Everling, Richterrecht in der Europäischen Gemeinschaft. In: Ress/Will (Hrsg.),
Vorträge, Reden und Berichte aus dem Europainstitut der Universität des
Saarlandes. Nr. 151 (1989), S. 28 ff.
-
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Zweigert, Der Einfluß des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. RabelsZ 1964, 601 ff.
2.
Internationale Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
auf dem Gebiet des Strafrechts
2.1
Harmonisierungsbestrebungen der Europäischen Kommission
und des Europäischen Parlaments
Die Europäische Gemeinschaft besitzt keine eigene Kriminalstrafgewalt,
denn die Mitgliedstaaten haben beim Abschluß der "Römischen Verträge"
nicht auf ihre nationale Souveränität verzichtet.84 Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament85 waren und sind jedoch stets bestrebt, auch auf dem Gebiet des Strafrechts, obwohl es zum Kernbestand der
nationalstaatlichen Souveränität gehört, eine Harmonisierung herbeizuführen.86
So hatte die Kommission bereits im Jahre 1962 Gespräche mit Beamten der Mitgliedstaaten über eine bessere Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts
geführt. Nachdem der Vorschlag eines Übereinkommens über die Verfolgung und
Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaften erarbeitet worden war, mußten die Arbeiten 1965 unterbrochen werden, weil keine Einigung über die Notwendigkeit
eines derartigen weitgefaßten Übereinkommens erzielt werden konnte.87 Die Bemühungen der Kommission waren insoweit erfolgreich, als sich im Jahre 1971 die
Justizminister der damaligen sechs Mitgliedstaaten zu einer eingehenden Untersuchung der strafrechtlichen Probleme entschlossen. Schwerpunkte bildeten das
Zoll- und Steuerwesen, die Landwirtschaft und der Lebensmittelbereich.88 Die
Kommission setzte mehrere Arbeitsgruppen ein, die Berichte und Vorschläge erarbeiteten. Hieraus ging der Entwurf89 für einen Vertrag "Zur Änderung der Ver-
84
85
86
87
88
89
Vgl. nur Bridge, Crim.L.R. 1976, 88; Buruma, Grensoverschrijdend strafrecht 1990,
S. 32; Oehler, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1403 f.; Sieber, ZStW 103
(1991), S. 968 ff.; Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 113; Vasalli,
Prospettive per un Diritto Penale Europeo, 1990, S. 34 f.; Vervaele, Fraud against
the Community. The Need for European Fraud Legislation, 1992, S. 5 f.; Zuleeg, JZ
1992, 763 f.; vgl. aber auch Keijzer, in: Internationalisiering van het Strafrecht,
1986, S. 28 ff., der insbesondere für das Wirtschaftsstrafrecht ein supranationales
Strafrechtssystem befürwortet. Vgl. dazu auch unten 4.1.
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, ABl. vom 7.3.1977, C 57, S. 55 f. Zu den Bestrebungen
des Europarates Johannes, RIDP 1971, 82.
Dazu Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 31; Oppermann, Europarecht, 1991, Rdnr. 1117.
Zu den vorausgegangenen Initiativen des Europarates und des im Jahre 1958 vom Europarat eingesetzten Ausschusses für Strafrechtsprobleme vgl. Grützner, NJW 1961,
2185 ff.; Vogler, Jura 1992, 586 ff.; zu den gegenwärtigen Initiativen vgl. Nilsson, in:
Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 99 ff.
Kommission, SEK (74) 4227; Johannes, RIDP 1971, 82 ff.
ABl. vom 22.9.1976, C 222, S. 2 ff.
27
Internationale Zusammenarbeit
1991
träge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zwecks Erlaß einer gemeinsamen Regelung zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften sowie zur Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschrif-ten
genannter Verträge" hervor,90 den die Kommission dem Rat am 10.8.1976 vorlegte.91
Auch das Parlament war stets an dem Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und
Strafrecht interessiert. Bereits im Jahre 1969 wurde der Rechtsausschuß des Parlaments mit der Ausarbeitung eines Berichts über das Strafrecht der Gemeinschaft
beauftragt.92 1974 wurde de Keersmaeker zum Berichterstatter ernannt, der auf die
Notwendigkeit des Schutzes der finanziellen Interessen der EG hinwies.93 Am
10.2.1977 verabschiedete das Parlament eine "Entschließung zu dem Verhältnis
zwischen Gemeinschaftsrecht und Strafrecht".94 Trotz der Schwierigkeiten, die mit
einer Vereinheitlichung des Strafrechts in der Gemeinschaft von Anfang an verbunden waren, hob das Parlament hervor, daß die Gemeinschaft überall dort eine
Angleichung anstreben sollte, wo es um Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht
gehe, insbesondere soweit der Schutz der Finanzinteressen in Frage stehe.95
2.2
Harmonisierungsbestrebungen der Mitgliedstaaten
Die Widerstände der Mitgliedstaaten gegen eine Harmonisierung auf dem
Gebiet des Straf- und auch des Strafprozeßrechts96 waren so erheblich, daß
Ende der siebziger Jahre weitgehend Einigkeit bestand, daß sich eine eigene Strafgerichtsbarkeit auf Gemeinschaftsebene mit eigenem Verfahrenssystem in naher Zukunft nicht verwirklichen lassen würde.97 Deshalb enthält
90
91
92
93
94
95
96
97
ABl. 1976, C 222, S. 2 ff.; vgl. dazu Jung/Schroth, GA 1983, 265 mit weiteren
Nachweisen.
Kommission, 10. Gesamtbericht, S. 100 f.; Kommission, SEK (76) 4372.
Entwurf einer Aufzeichnung über die Beziehungen zwischen Gemeinschaftsrecht
und Strafrecht vom 8.7.1969, angefertigt von Boertien, Dok. PE 22504.
European Parliament, Working Documents 1976-1977, Report drawn up on behalf
of the Committee on Legal Affairs and Citizens' Rights on the relationship between
Community law and criminal law, Rapporteur: de Keersmaeker, Dok. 531/76. Eingehend zur weiteren Entwicklung der Initiativen des Parlaments bezüglich des
Schutzes der EG-Finanzinteressen Vervaele, Fraud against the Community. The
Need for European Fraud Legislation, 1992, S. 75 ff.
ABl. vom 7.3.1977, C 57, S. 55 f.
Report of the Committee on Budgetary Control on the legal protection of the European Community's financial interests, European Parliament, A3-0250/91; vgl. auch
Darras, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 17 ff.
Vgl. dazu Zuleeg, JZ 1992, 767 f.
Bulletin EG 2 - 1977, Ziff. 23.6; vgl. auch Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der
Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 31 ff.; Eser, in: Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Verbrechensbekämpfung in europäischer Dimension, Bd. 37 (1992), S. 25.
1992
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
28
auch das "Weißbuch der EG-Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes"98 vom Juni 1985 keine Vorhaben auf dem Gebiet des Strafrechts.
Wenn man hieraus den Schluß ziehen wollte, daß nur das Verwaltungs- und
Zivilrecht durch das Gemeinschaftsrecht vereinheitlicht werden, blieben wesentliche Veränderungen des Rechtssystems in den letzten Jahren unberücksichtigt.99 Dies gilt etwa für die Bemühungen der Mitgliedstaaten bei der
Ausarbeitung eines Vertragsentwurfs der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die ebenso erfolgreich waren100 wie die Kooperation bezüglich
der internationalen Terrorismusbekämpfung101 und der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität,102 für die im Schengener Rahmenabkommen
vom 14.6.1985 eine Harmonisierung vereinbart wurde (Art. 70 ff.103). Das
Schengener Durchführungsabkommen vom 13.6.1990 umfaßt Bestimmungen zum Waffenrecht sowie zur Überwachung der Außengrenzen
(Art. 3 ff.), zu denen die gegenseitige Anerkennung von Visa für Staatsbürger aus Drittstaaten sowie eine technische Angleichung der Verfahren zur
Prüfung von Asylanträgen zählen. Ein weiterer Abschnitt gilt der Zusammenarbeit der Polizeibehörden bei der Vorbeugung und Bekämpfung von
Verbrechen. Hierzu gehört u.a. das Recht, Verdächtige auch über die Staatsgrenzen hinaus zu beobachten und zu verfolgen. Weitere Vorschriften betreffen die Vollstrekkungszusammenarbeit in Strafsachen, die Auslieferung
und die Überstellung von Straftätern.104
98
99
100
101
102
103
104
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Vollendung des Binnenmarktes Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, 1985; vgl. auch Howarth,
Journal of Criminal Law vol. 53 (1989), S. 358 ff.
Jung/Schroth, GA 1983, 241 ff.; vgl. auch Jung, Crim.L.R. 1993, 237 ff.
BGBl. 1954 II S. 343. Vgl. dazu Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 113 ff., 496 ff.,
511 ff.; Oehler, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1404.
Pipkorn, in: Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft.
Rechtsordnung und Politik, 3. Aufl. 1987, S. 388 mit weiteren Nachweisen.
Eine ausführliche Darstellung des Betäubungsmittelstrafrechts in zehn westeuropäischen Staaten gibt Meyer (Hrsg.), Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa. Beiträge und Materialien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg, Bd. S 5, 1987, passim.
Zu "Schengen I" vgl. bereits oben 1.5.1 bezüglich der Vereinbarung über die Beseitigung aller Kontrollen im grenzüberschreitenden Personenverkehr.
Zu "Schengen II" vgl. schon oben 1.5.1. Zum Inhalt der Schengener Abkommen vgl.
Fijnaut/Stuyck/Wytinck (eds.), Schengen: proeftuin voor de Europese gemeenschap?
1992, passim; Kattau, Strafverfolgung nach Wegfall der europäischen Grenzkontrollen.
Eine Untersuchung der Schengener Abkommen, 1993, passim; Meijers et al., Schengen:
Internationalisation of Central Chapters of the Law of Aliens, Refugees, Privacy, Security and the Police, 2. Aufl. 1992, passim; vgl. auch Busch/Pütter/Tielemann, Europäisierung von Polizei und innerer Sicherheit. Eine Bibliographie, 1991, passim sowie
29
Internationale Zusammenarbeit
1993
In der Literatur wird die zwischen den Mitgliedstaaten in den Schengener
Abkommen vereinbarte Zusammenarbeit zwar nicht grundsätzlich in Frage
gestellt. Es werden jedoch teilweise Mängel gerügt, die sich aus der Unbestimmtheit der Regelungen, aus dem unzulänglichen Rechtsgüterschutz, der
fehlenden Transparenz und der unzureichenden parlamentarischen Kontrolle
ergeben.105
2.3
Harmonisierungsvorschläge in der Literatur
Angesichts der neuen Kriminalitätsentwicklungen, die mit dem Gemeinsamen Binnenmarkt und der Öffnung der osteuropäischen Staaten einhergehen, wird in der Literatur eine stärkere Berücksichtigung der "Europäisierung der Kriminalität"106 und die Ausarbeitung verbindlicher Grundsätze für
die künftige europäische Kriminalpolitik gefordert.107
Ein Teil der Lehre befürwortet schließlich eine Vereinheitlichung des Strafrechts jedenfalls für Europa als notwendige und wünschenswerte Konsequenz aus der wirtschaftlichen und politischen Verflechtung zwischen den
Staaten108 und empfiehlt, ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch109 zu
erarbeiten.110 Die Voraussetzungen hierfür seien insofern günstig, als sich
grenzüberschreitend eine gemeinsame Strafrechtskultur herausgebildet habe,
105
106
107
108
109
110
Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Verbrechensbekämpfung in Europäischer
Dimension, BKA-Vortragsreihe, Bd. 37 (1992), passim.
Vgl. insbesondere die Beiträge in: Pauly (ed.), Les accords de Schengen, 1993; vgl.
auch Blanc, RMC 1991, 722; Busch, KJ 1990, 1; Scheller, JZ 1992, 904; Schutte,
CMLR 1991, 549; Taschner, in: Ress/Will (Hrsg.), Vorträge, Reden und Berichte
aus dem Europainstitut der Universität des Saarlandes, Nr. 227, 1990, S. 1 ff. Vgl.
weiterhin die Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 19.11.1992, ABl.
1992, C 337, S. 214 ff. und vom 22.1.1993, ABl. 1993, C 42, S. 250 ff.
Sieber, in: ders. (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 11 f.
Hiermit befaßte sich das Gründungssymposium der Vereinigung für Europäisches
Strafrecht e.V. in Würzburg; vgl. dazu die Zusammenfassung von Sieber, in: ders.
(Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 157 ff.
Eser, in: Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Verbrechensbekämpfung in europäischer Dimension, Bd. 37 (1992), S. 25; Sieber, ZStW 103 (1991), S. 963; Zuleeg, JZ 1992, 767 f.
Zu den diesbezüglichen Bestrebungen des Europarates vgl. Enschedé, Een uniform
Europees strafrecht? 1990, S. 11. Zu den Bemühungen, einen "International Criminal Code" zusammenzustellen, Bassiouni, International Criminal Law. A Draft International Criminal Code, 1980, passim; ders., International Criminal Law, Bd. I,
1986, passim; International Law Commission, Draft Code of Crimes against the
Peace and Security of Mankind, U.N. Dok. Suppl. No. 10 A/46/10.
Sieber, ZStW 103 (1991), S. 978.
1994
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
30
die in der Achtung der Menschenrechte und dem ultima-ratio-Prinzip
fundiert sei.111 Der überwiegende Teil der Literatur steht diesem Vorschlag
skeptisch gegenüber.112 Einigkeit besteht jedoch darüber, daß die Strafnormen, die sich gegen supranationale Rechtsgüter - Weltfrieden, humanes
Verhalten im Krieg113 und Interessen der EG - richten, vereinheitlicht werden sollten.114
2.4
Schrifttumsverzeichnis
Bassiouni, International Criminal Law. A Draft International Criminal Code. 1980.
-
International Criminal Law. Bd. I 1986.
-
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Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft. Rechtsordnung und Politik. 3. Aufl. 1987.
Blanc, Schengen: Le chemin de la libre circulation en europe. RMC 1991, 722 ff.
Bleckmann, Die Überlagerung des nationalen Strafrechts durch das Europäische
Gemeinschaftsrecht. In: Festschrift für Stree und Wessels. 1993, S. 107 ff.
Bridge, The European Communities and the Criminal Law. Crim.L.R. 1976, 88 ff.
Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Verbrechensbekämpfung in Europäischer
Dimension. BKA-Vortragsreihe Bd. 37 (1992).
Buruma, Het naderend einde van het souvereine strafrecht: een tendens in het zicht
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Busch, Europa - ein "Mekka der Kriminalität"? EG-Grenzöffnung und internationale
Polizeikooperation. KJ 1990, 1 ff.
Busch/Pütter/Tielemann, Europäisierung von Polizei und innerer Sicherheit. Eine
Bibliographie. 1991.
111 Jung/Schroth, GA 1983, 252; Jung, Crim.L.R. 1993, 238.
112 Keyser-Ringnalda, ELR 1992, 502 ff.; Vogler, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 12; vgl. aber auch Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 112 ff., der eine weitgehende
Vereinheitlichung der Straf- und Strafprozeßordnungen erwartet.
113 Bassiouni, Draft Statute International Tribunal, 1993, S. 28 ff.
114 So Weigend, ZStW 105 (1993), S. 793 ff.
31
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Enschedé, Een uniform Europees strafrecht? 1990.
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Dimension. 1992, S. 25 ff.
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Eröffnungsansprache zum Gründungssymposium der Vereinigung für Europäisches Strafrecht e.V. In: ders. (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. 1993, S. 11 ff.
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Forderungen für die Europäische Strafrechtspolitik - Zusammenfassung der
Beiträge und Diskussion. In: ders. (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. 1993, S. 157 ff.
Taschner, Schengen oder die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen der EG. In: Ress/Will (Hrsg.), Vorträge, Reden und Berichte aus dem
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Vasalli, Prospettive per un Diritto Penale Europeo. 1990.
Vervaele, Fraud against the Community. The Need for European Fraud Legislation.
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Vogler, Die strafrechtlichen Konventionen des Europarats. Jura 1992, 586 ff.
-
Begrüßungsansprache. In: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich. 1993, S. 11 ff.
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Zuleeg, Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration. JZ 1992, 761 ff. =
In: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. 1993,
S. 41 ff.
3.
Ausdehnung des Anwendungsbereichs der nationalen
Strafrechtsordnungen durch supranationale
Regelungen
Eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß es kein Strafrecht supranationalen
Ursprunges gibt, besteht insoweit, als gemeinschaftsrechtliche Regelungen
existieren, die den Anwendungsbereich der nationalen Strafrechtsordnungen
zum Schutz supranationaler Rechtsgüter ausdehnen. Hierbei handelt es sich
um die Vorschriften über Aussagedelikte und Eidesverletzungen, die vor
internationalen und supranationalen Gerichtshöfen, welche die Hoheitsgewalt eines anderen Völkerrechtssubjekts repräsentieren, begangen werden,115 um die Regelung über den Geheimnisverrat der Bediensteten der
Atomüberwachungsbehörden und um die Norm betreffend Verstöße gegen
die gemeinsame Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften.
3.1
Eidesverletzungen
Art. 27 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft vom 17.4.1957116 lautet: "Jeder Mitgliedstaat behandelt die Eidesverletzung eines Zeugen oder Sachverständigen wie eine
vor seinen eigenen in Zivilsachen zuständigen Gerichten begangene Straftat.
Auf Anzeige des Gerichtshofs verfolgt er den Täter vor seinen zuständigen
Gerichten." Gleichlautend mit dieser Vorschrift ist Art. 28 des Protokolls
über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Atomgemeinschaft
vom 17.4.1957.117
Durch diese Normen werden nationale Strafvorschriften, die ansonsten
nicht ohne weiteres gelten würden, auf Aussagedelikte, die vor supranationalen Gerichtshöfen begangen werden, ausgedehnt.118 Die Strafgesetze wer-
115 Vgl. dazu Johannes, EuR 1968, 69 ff.; ders., RTDE 1971, 326 ff.
116 BGBl. 1957 II S. 1166, geändert durch Art. 20 Beitritts- und Anpassungsakte zum Vertragswerk vom 22.1.1972 (BGBl. 1972 II S. 1127); vgl. dazu Johannes, EuR 1968, 69 ff.
117 BGBl. 1957 II S. 1194, geändert durch Art. 20 Beitritts- und Anpassungsakte zum
Vertragswerk vom 22.1.1972 (BGBl. 1972 II S. 1144).
118 Vgl. hierzu und allgemein zum nachfolgenden Eser, in: Schönke/Schröder, 24. Aufl.
1991, Vorbem. §§ 3-7 Rdnr. 22; Tröndle, in: LK, 10. Aufl. 1985, Vor § 3 Rdnr. 30; ders.,
in: Dreher/Tröndle, 46. Aufl. 1993, Vor § 3 Rdnr. 6; Oehler, Internationales Strafrecht,
2. Aufl. 1983, S. 483 f., 549 ff.; ders., in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1409 f.; Sandweg, Der strafrechtliche Schutz auswärtiger Staatsgewalt, 1965, S. 155 ff.; Schellenberg,
Das Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof
35
Ausdehnung des Anwendungsbereichs
1999
den auf diese Weise unmittelbar durch die Verträge in ihrem Geltungsbereich, nicht in den Tatbestandsmerkmalen, derartig auf die Rechtsgüter der
Europäischen Gemeinschaft erweitert, daß es keiner Schaffung eines besonderen nationalen Straftatbestandes bedarf.119 Angesichts der unmittelbaren
Wirkung der genannten supranationalen Normen der Verträge werden dann
die nationalen Tatbestände, etwa § 154 des deutschen StGB (Meineid), von
den nationalen - deutschen - Gerichten angewandt.120
Art. 28 Abs. 4 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951121 hat folgenden
Wortlaut: "Wird festgestellt, daß ein Zeuge oder Sachverständiger Tatsachen, über die er ausgesagt hat oder vom Gerichtshof befragt worden ist,
verschwiegen oder falsch dargestellt hat, so ist der Gerichtshof berechtigt,
sich wegen dieser Verfehlung an den Justizminister des Staates zu wenden,
dem der Zeuge oder Sachverständige angehört, damit die von den nationalen
Gesetzen angedrohten Strafen verhängt werden."
Nach dieser Regelung ist also nur der Heimatstaat des Täters für die Aburteilung zuständig, während die beiden Satzungen der anderen Gerichtshöfe
(EG/EAG) jeden Mitgliedstaat als für die Aburteilung zuständig erklären.
Oehler122 hält das Ergebnis in letzterem Fall für seltsam, da jeder Mitgliedstaat für
die Aburteilung jeder Eidesverletzung, ob sie ein Inländer oder Ausländer, ob er
sie in Luxemburg - dem Sitz des (jetzt einen) Gerichtshofs - vor einem ersuchten
Richter im eigenen oder in einem weiteren Mitgliedstaat begangen hat, zuständig
119
120
121
122
für Menschenrechte, 1983, S. 137 f., 227 f.; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht
nach der Reform, 1977, S. 120; Johannes, EuR 1968, 95 ff.; Krehl, NJW 1992, 605 f.;
Lüttger, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 165 ff.; Möhrenschlager, in: Dannecker
(Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 165;
Schlüchter, in: Festschrift für Oehler, 1985, S. 317; Tiedemann, NJW 1993, 25; Zuleeg,
JZ 1992, 762.
In der Literatur findet sich auch vereinzelt die These, daß sich der Schutzbereich
der §§ 153 ff. StGB generell auch auf Verfahren vor internationalen und supranationalen Gerichtshöfen mit für die Bundesrepublik Deutschland relevanter Entscheidungsgewalt - so Willms, in: LK, Vor § 153 Rdnr. 3 - bzw. auf überstaatliche
Rechtsprechungsgremien, an denen die Bundesrepublik beteiligt ist - so Rudolphi,
in: SK, 4. Aufl. 1989, Vor § 153 Rdnr. 4 - erstreckt.
Für diese unmittelbare Wirkung der entsprechenden - vergleichbaren - Normen der
Verträge auch BGHSt 17, 121 im Zusammenhang mit Art. 194 Abs. 1 EAGV (zu dieser Entscheidung vgl. noch weiter unten im Text); ebenfalls Oehler, in: Erinnerungsgabe für Grünhut, 1965, S. 111 ff. und sich ihm anschließend Johannes, RIDP 1971,
95; a.A. lediglich Nehring, Strafnormen im Atomenergierecht, 1965, S. 169 f., der die
unmittelbare Wirkung der betreffenden Vertragsvorschriften leugnet.
BGBl. 1952 II S. 482.
Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 550.
2000
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
36
sei. Das Rechtsgut der Gemeinschaftsrechtspflege werde in einer Art gemeinschaftsuniversellen Weise geschützt. Für diese Art der Zuständigkeit der einzelnen
Staaten liege der Nachdruck nicht darauf, daß die Eidesverletzung auf dem Territorium, das die Gemeinschaft umfaßt, begangen werde - der Gerichtshof dürfe ohnehin nur innerhalb der Mitgliedstaaten tätig werden. Es sei deshalb nicht eine Art
gemeinschaftsterritorialer Zuständigkeit gegeben. Vielmehr liege der Nachdruck
darauf, daß jeder Mitgliedstaat das Verfahren wegen der Eidesverletzung übernehmen könne und sein Recht auf diese, gleich ob der Täter In- oder Ausländer ist, wo
die Tat begangen worden ist und ob sie am Tatort strafbar ist, erstrecken dürfe. Daß
der Täter erst in diesem Mitgliedstaat ergriffen sein müsse, sei nicht Voraussetzung
für das Verfahren vor den eigenen Gerichten.123
Umstritten ist, ob die in Art. 28 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs der
EGKS genannte Adresse des Gerichtshofs an den Justizminister des Heimatstaates bzw. die in Art. 27/28 der Satzung des Gerichtshofs der EG/
EAG erwähnte Anzeige des Gerichtshofs jeweils Prozeßvoraussetzung für
die Strafverfolgung ist. Die h.L.124 bejaht dies, und auch das luxemburgische
Strafgesetzbuch sieht in jeglicher Anzeige eines internationalen Gerichtshofs an Luxemburg wegen eines Eidesdelikts eine Prozeßvoraussetzung für
ein Verfahren in Luxemburg (Art. 221bis Abs. 2), seitdem die Eidesverletzung vor einem internationalen Gerichtshof in Art. 221bis Abs. 1 als Sondertatbestand erfaßt ist; gleiches gilt im übrigen für die Prozeßvoraussetzung nach Art. 207a Ziff. 3 des niederländischen Strafgesetzbuches. Demgegenüber lehnte der deutsche Bundesgerichtshof (BGH)125 in einem Urteil aus
dem Jahre 1957 für den entsprechenden Fall eines Verfolgungsantrags nach
Art. 194 Abs. 1 EAGV126 diese Sicht ab und sieht in solchen "Adressen",
"Anzeigen" oder "Verfolgungsanträgen" lediglich die Voraussetzung für
eine Pflicht des Staates, gegen den Täter vorzugehen, also eine Verfolgungspflicht.127 Dieser Meinung des BGH kann nach Ansicht des Schrifttums
nicht zugestimmt werden, weil allein die Annahme der Verfahrensvoraussetzung der Rechtslage gerecht wird. Schließlich solle mit der unmittelbaren
Ausdehnung der nationalen Strafbestimmung auf die Eidesdelikte noch
123 Vgl. auch Tröndle, in: LK, Vor § 3 Rdnr. 30, der davon spricht, daß bei Art. 27/28
der Satzung des Gerichtshofs EG/EAG die nationalen Bestimmungen über das internationale Strafrecht durch ein "gemeinschaftsrechtliches Territorialprinzip" ersetzt werden.
124 Tröndle, in: LK, Vor § 3 Rdnr. 30; Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983,
S. 551 f.
125 BGHSt 17, 121.
126 BGBl. 1957 II S. 1014.
127 BGHSt 17, 121 (122 f.).
37
Ausdehnung des Anwendungsbereichs
2001
nicht die strafrechtliche Verfolgung nach jenen Bestimmungen der Satzungen den Staaten überantwortet werden.128
Weitere ausdrückliche Vorschriften über die innerstaatliche Verfolgung von
Eidesverletzungen vor über- oder zwischenstaatlichen Gerichten und
Organisationen enthalten Art. 109 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften vom 3.3.1959129 i.V.m. Art. 6 der zusätzlichen Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 9.3.1962,130 Art. 57 der Verfahrensordnung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 2.4.1959131 und Art. 13 des Protokolls
über das durch das Übereinkommen zur Einrichtung einer Sicherheitskontrolle auf dem Gebiet der Kernenergie errichtete Gericht vom 20.12.1957.132
Umstritten ist, ob auch Art. 43 Satz 2 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 18.9.1959 eine derartige tatbestandliche Erweiterung der §§ 153 ff. StGB darstellt. Während das teilweise
bejaht wird,133 gelangt die h.L.134 zum gegenteiligen Ergebnis, und zwar
mit der Begründung, daß Art. 43 Satz 2 dieser Verfahrensordnung nicht
durch völkerrechtlichen Vertrag der Mitgliedstaaten geschaffen, sondern
durch den Gerichtshof selbst erlassen worden ist und keine Gleichstellungsklausel enthält, sondern nur die "Mitteilungen" von Eidesverletzungen an
den jeweiligen Mitgliedstaat regelt.
3.2
Geheimnisverrat
Weiterhin sieht Art. 194 Abs. 1 Satz 2 EAGV vor, daß der Geheimnisverrat
durch Bedienstete der Atomüberwachungsbehörden von den nationalen
128
129
130
131
So Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 551.
BGBl. 1959 II S. 1205, 1960 II S. 452, 1962 II S. 1030.
BGBl. 1962 II S. 770.
In der Fassung vom 1./5.8.1960, BGBl. 1963 II S. 333. Dieser Artikel ist allerdings
in deren Neufassung nicht mehr enthalten; vgl. dazu Schellenberg, Das Verfahren
vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte, 1983, S. 137 f.
132 BGBl. 1959 II S. 585, 610.
133 So Tröndle, in: LK, Vor § 3 Rdnr. 30, für die Fassung vom 24.10.1961, BGBl. 1963
II S. 351, 1967 II S. 1996, 2363, 1969 II S. 1502, 2174.
134 So Schellenberg, Das Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, 1983, S. 227 f.; Lüttger, in: Festschrift
für Jescheck, 1985, S. 167 Fn. 243, für die Fassung vom 17.1.1979, BGBl. 1979 II
S. 212.
2002
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
38
Gerichten nach nationalem Strafrecht zu bestrafen ist:135 "Jeder Mitgliedstaat behandelt eine Verletzung dieser Verpflichtung (scil. zur Geheimhaltung) als einen Verstoß gegen seine Geheimhaltungsvorschriften; er wendet
dabei hinsichtlich des sachlichen Rechts und der Zuständigkeit seine
Rechtsvorschriften über die Verletzung der Staatssicherheit oder die Preisgabe von Berufsgeheimnissen an." Auch in diesem Fall wurde im Wege der
Verweisung echtes supranationales Kriminalstrafrecht im engsten, klassischen Sinne von Freiheits- und Geldstrafen geschaffen, obwohl die Verfolgungs- und Ahndungskompetenz weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegt.
3.3
Verstöße gegen die gemeinsame Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
Nach Art. 48 § 2 der gemeinsamen Verfahrensordnung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 4.12.1974136 kann der Europäische Gerichtshof das Nichterscheinen von Zeugen und die Verweigerung von Aussagen, Eidesleistungen oder die feierliche Versicherung an Eides Statt mit
"Geldstrafe bis zu 250 EWA-Rechnungseinheiten" belegen.
3.4
Schrifttumsverzeichnis
Bridge, The European Communities and the Criminal Law. Crim.L.R. 1976, 88 ff.
Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich.
1993.
Johannes, Das Strafrecht im Bereich der Europäischen Gemeinschaften. EuR 1968,
63 ff.
-
Le Droit Pénal et son harmonisation dans les Communautés Européennes.
RTDE 1971, 317 ff.
-
Neue Tendenzen im Strafrecht der Europäischen Gemeinschaften. RIDP
1971, 82 ff.
Krehl, Strafbarkeit wegen Siegelbruchs (§ 136 II StGB) bei Verletzung ausländischer Zollplomben? NJW 1992, 604 ff.
135 Vgl. dazu Bridge, Crim.L.R. 1976, 88 f.
136 ABl. 1974, L 350, S. 1.
39
Ausdehnung des Anwendungsbereichs
2003
Lüttger, Bemerkungen zur Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter. In: Festschrift für Jescheck. 1985, S. 121 ff.
Möhrenschlager, Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich nationaler Straftatbestände. In: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich. 1993, S. 162 ff.
Nehring, Strafnormen im Atomenergierecht. 1965.
Oehler, Deutsches Strafanwendungsrecht. Das Recht der übernationalen Gemeinschaften und die Auslieferung eigener Staatsangehöriger. In: Erinnerungsgabe
für Grünhut. 1965, S. 111 ff.
-
Internationales Strafrecht. 2. Aufl. 1983.
-
Fragen zum Strafrecht der Europäischen Gemeinschaft. In: Festschrift für
Jescheck. 1985, S. 1399 ff.
Sandweg, Der strafrechtliche Schutz auswärtiger Staatsgewalt. 1965.
Schellenberg, Das Verfahren vor der Europäischen Kommission und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 1983.
Schlüchter, Zur teleologischen Reduktion im Rahmen des Territorialitätsprinzips.
In: Festschrift für Oehler. 1985, S. 307 ff.
Schroth, Economic Offences in EEC Law with special reference to English and
German Law. 1983.
Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht. NJW 1993, 23 ff.
Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform. 1977.
Zuleeg, Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration. JZ 1992, 761 ff.
= In: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht.
1993, S. 41 ff.
4.
Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft auf
dem Gebiet des Strafrechts
Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zur Rechtssetzung und
ihre Modalitäten bestimmen sich nach dem Primärrecht der EG. Dabei gilt
das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, d.h. die Rechtssetzungsorgane der Gemeinschaft bedürfen einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung (vgl. Art. 189 Abs. 1 EGV: "nach Maßgabe dieses Vertrages"; vgl.
auch Art. E UnionsV und Art. 3b Abs. 1 EGV).137
4.1
Fehlende Kompetenz zur Einführung und Verhängung
kriminalstrafrechtlicher Sanktionen
Aus den Verträgen von Rom kann nach h.M. in Rechtsprechung138 und Lehre139 mangels nationaler Souveränitätsverzichte keine kriminalstrafrechtliche Kompetenz der Gemeinschaft abgeleitet werden.140 Weiterhin
besteht Einigkeit darüber, daß die vertragschließenden Staaten die Ausübung einer so wesentlichen Befugnis wie die Androhung und Verhängung
echter Kriminalstrafen ohne eine entsprechende ausdrückliche Ermächtigung dem Rat nicht überlassen haben, zumal der Rat weder ein Parlament
ist noch von einem solchen kontrolliert wird.141
137 Zuleeg, JZ 1992, 762.
138 Z.B. EuGH, Slg. 1981, S. 2595 (2618) - (Casati); vgl. hierzu auch Vervaele, EEGfraude en Europees economisch strafrecht, 1991, S. 14 sowie EuGH, Slg. 1989,
S. 195 (221 f.) - (Cowan/Trésor public). Im Fall Cowan hat der EuGH diese These
grundsätzlich bestätigt, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, daß das Gemeinschaftsrecht der nach wie vor bestehenden Zuständigkeit der Mitgliedstaaten jedoch
Grenzen setze. Vgl. dazu auch Sevenster, CMLR vol. 29 (1992), S. 32.
139 Vgl. Grasso, Comunità Europee e Diritto Penale, 1989, S. 80 ff.; Oehler, in: Krekeler/ Tiedemann u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 1985 ff. (1987); ders., in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1399 ff.;
Sgubbi, in: Digesto it. delle dottrine penalistiche, 4. Aufl. 1990, Bd. IV, S. 90 ff.;
Teske, EuR 1992, 271 f.; K. Tiedemann, NJW 1993, 23 ff.; ders., NJW 1993, 49;
Vogel, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 175 ff. Allgemein zu den Kompetenzen der EG Steindorff, Grenzen der EG-Kompetenzen, 1990, passim.
140 Vgl. dazu bereits oben 2.
141 Krück, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl.
1991, Bd. 3, Art. 172 Rdnr. 3.
41
4.2
Kompetenzen
2005
Kompetenz zur Einführung und Verhängung supranationaler
Geldbußen aufgrund primärrechtlicher Ermächtigungen
Von den Kriminalstrafen sind die Geldbußen zu unterscheiden, zu deren
Einführung der EG-Vertrag den Rat in Art. 87 ausdrücklich ermächtigt.
Ähnliche Ermächtigungen sehen Art. 64 EGKSV und Art. 83 EAGV vor.
Aufgrund dieser ausdrücklichen Ermächtigung des Primärrechts wird der
EG unstreitig eine Bußgeldkompetenz zugestanden, von der der Rat in der
Vergangenheit mehrfach Gebrauch gemacht hat.142 Um deutlich zu machen,
daß es sich bei den Geldbußen nicht um Kriminalstrafen handelt, sehen die
einschlägigen EG-Verordnungen ausdrücklich vor, daß die Sanktionen "Entscheidungen nicht strafrechtlicher Art" sind. Die Geldbußen werden ganz
überwiegend dem Strafrecht im weiteren Sinne, vergleichbar den deutschen,
italienischen und portugiesischen Geldbußen im Ordnungswidrigkeitenrecht, zugeordnet.143 Diese Zuordnung hat zur Folge, daß die besonderen
rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts auch im europäischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht gelten müssen. Allerdings werden in den Niederlanden hinsichtlich der durch
Art. 87 EGV geschaffenen Sanktionsmöglichkeiten in kompetenzrechtlicher
Hinsicht Zweifel angemeldet, weil es sich aufgrund der Merkmale der Sanktion um strafrechtliche Geldbußen handele.144 In anderen Mitgliedstaaten,
wie z.B. in Frankreich, geht man aufgrund des Sprachgebrauchs davon aus,
daß das Bußgeldverfahren entsprechend dem nationalen Recht ein Verwaltungsverfahren sei.145
Umstritten ist, ob aus Art. 172 EGV eine Kompetenz der EG zur Schaffung
weiterer Bußgeldtatbestände hergeleitet werden kann. Diese Vorschrift
lautet: "Aufgrund dieses Vertrages vom Europäischen Parlament und vom
Rat gemeinsam sowie vom Rat erlassene Verordnungen können hinsichtlich
der darin vorgesehenen Zwangsmaßnahmen dem Gerichtshof eine Zuständigkeit übertragen, welche die Befugnis zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung und zur Änderung oder Verhängung solcher Maßnahmen umfaßt."
142 Eingehend dazu unten 8.
143 Vgl. nur Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989,
S. 7; Zuleeg, JZ 1992, 763; vgl. auch den Überblick bei Wagemann, Rechtfertigungs- und
Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 15 ff.
144 Vgl. Winkler, Die Rechtsnatur der Geldbuße im Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1971, S. 51 mit weiteren Nachweisen.
145 Vgl. die Nachweise bei Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe
im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1992, S. 16.
2006
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
42
Diese - inhaltlich wenig klar gefaßte - Bestimmung enthält jedenfalls kein
Verbot, über Art. 87 EGV hinaus Bußgeldsanktionen im Gemeinschaftsrecht zu begründen.146
Während für den Agrar- und Fischereibereich überwiegend eine umfassende Kompetenz, die auch die Einführung und Verhängung supranationaler Geldbußen umfaßt, bejaht wird,147 werden Bedenken angemeldet,
Art. 172 EGV als allgemeine Rechtsgrundlage für den Rat zur Schaffung
von Zwangsmaßnahmen einschließlich Geldbußen anzuerkennen:148 Sofern
man berücksichtige, daß in Art. 87 EGV Geldbußen und Zwangsgelder ausdrücklich genannt sind, könne eine wesentlich allgemeinere Rechtsgrundlage wie Art. 172 EGV eine so weitreichende Ermächtigung nicht tragen.149
Aus Art. 172 EGV könne allenfalls abgeleitet werden, daß der EG-Vertrag
die Anordnung von Zwangsmaßnahmen (Sanktionen) in Verordnungen als
zulässig voraussetze, und zwar auch außerhalb der in Art. 87 EGV erwähnten Geldbußen; ansonsten würde Art. 172 EGV keinen Sinn ergeben.150 Eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage stelle er hingegen nicht dar, zumal
sich die Mitgliedstaaten in den Verträgen von Rom die strafrechtliche Kompetenz vorbehalten hätten, und dieser Vorbehalt beziehe sich auch auf Geldbußen, weil diese strafrechtlicher Natur seien.151
146 Zuleeg, JZ 1992, 763.
147 K. Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 114 f.; Zuleeg, JZ 1992, 763;
a.A. Sieber, ZStW 103 (1991), S. 972.
148 Vgl. Grasso, Comunità Europee e Diritto Penale, 1989, S. 84; Oehler, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1403; Zuleeg, JZ 1992, 763. Vgl. auch Hermans, in:
Festschrift für Dehousse, 1979, Bd. II, S. 219 ff. sowie allgemein Kapteyn/Verloren
van Themaat, Introduction to the Law of the European Communities, 2. Aufl. 1990,
passim; a.A. Ehle, in: Ehle/Meier, EWG-Warenverkehr, 1971, D 57; Report of the
Committee on Budgetary Control on the legal protection of the European Community's financial interests, European Parliament, A3-0250/91.
149 Oehler, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1403.
150 Levasseur, in: Les problèmes juridiques et économiques du Marché Commun, 1960,
S. 107 ff.
151 Diese Argumente wurden auch von der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen
ihrer Klage gegen die Regelung des Art. 13 Abs. 3 Buchst. b und c der Verordnung
(EWG) der Kommission 3813/89 i.d.F. der Verordnung (EWG) 1279/90 - Rs C240/90 - erhoben, über die inzwischen mit Urteil vom 27.10.1992 vom EuGH (NJW
1993, 47 ff.) entschieden worden ist; vgl. dazu näher unten 4.2.
43
4.3
Kompetenzen
2007
Kompetenz zur Einführung und Verhängung repressiver
Verwaltungssanktionen
Von den Kriminalstrafen und Geldbußen sind die sonstigen supranationalen Sanktionen des Sekundärrechts zu unterscheiden.152 Diesbezüglich
kann differenziert werden zwischen Sanktionen, die zu finanziellen Einbußen führen wie der Kautionsverfall und die sog. "Strafzuschläge", und solchen, die einen - zumindest zeitweiligen - Rechtsverlust zum Inhalt haben
wie die Streichung oder Kürzung von Subventionen für den laufenden Begünstigungszeitraum und der künftige Ausschluß von der Subventionsgewährung.
4.3.1
Kautionsverfall als verdeckte Strafsanktion?
Die Marktordnung der EG, insbesondere das Agrarmarktrecht, sieht für die
Einfuhr bestimmter Agrarprodukte aus dritten Ländern und teilweise auch
für deren Ausfuhr eine Lizenz vor, die nicht nur zur Ein- oder Ausfuhr berechtigt, sondern sogar verpflichtet. Der Zweck der Lizenz besteht darin,
den Behörden der Gemeinschaft eine zuverlässige Prognose der künftigen
Warenströme zu ermöglichen.153 Deshalb muß der Antragsteller eine Kaution beibringen, um sicherzustellen, daß er seiner Verpflichtung während
der Gültigkeitsdauer der Lizenz nachkommt. Die Höhe der Kaution ist in
den einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften genau festgelegt, wobei teilweise ein bestimmter Betrag festgesetzt und teilweise nur der Berechnungsmodus angegeben wird. Die Kaution verfällt, wenn die Einfuhr oder Ausfuhr nicht bis zum Ablauf der Lizenz durchgeführt wird, es sei denn, es liegt
ein Fall höherer Gewalt vor.154
Die Stellung einer Kaution ist darüber hinaus auch in Fällen erforderlich, in
denen die EG z.B. Beihilfen für den Fall gewährt, daß sich ein Antragsteller
verpflichtet, auf dem Markt überschüssige Waren für einige Zeit vom Markt
152 Dazu vgl. insbesondere die Ausführungen von Sieber, ZStW 103 (1991), S. 966 ff.
sowie Vogel, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im
EG-Bereich, 1993, S. 170 ff.
153 Vgl. EuGH, Slg. 1987, S. 4587 (4606) - (Rs 137/85: Maizena Gesellschaft mbH/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung): "Die Kautionsregelung ... ist Dank
ihrer Einfachheit und Wirksamkeit ein notwendiges und angemessenes Mittel, um
den zuständigen Behörden die Wahl der wirksamsten Interventionen auf dem Markt
zu ermöglichen".
154 Art. 33 VO (EWG) der Kommission vom 3.12.1980, 3183/80, ABl. vom 13.12.1980,
L 338, S. 1.
2008
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
44
zu nehmen und privat einzulagern,155 oder in denen eine bestimmte Verarbeitung von Überschußprodukten vorgeschrieben wird, um den Markt nicht
weiter mit dem betreffenden Produkt zu belasten.156 Im Fall der Einlagerungskaution verfällt diese, wenn der private Lagerhalter die Ware nicht,
nicht rechtzeitig oder unsachgemäß einlagert oder sie vor Ablauf der festgelegten Zeit wieder auslagert. Bei den Verarbeitungskautionen tritt ein Verfall ein, wenn der Kautionssteller die vorgeschriebene Verarbeitung nicht
oder nicht fristgerecht vornimmt.157
Schließlich gibt es Fälle von Kautionsstellungen mit Verfallsregelungen im
Bereich von Abschöpfungsfreistellungen und Ausfuhrerstattungen.158
Der vollständige Verfall der Kaution ist seit einem Urteil des EuGH aus
dem Jahre 1979159 allerdings bei einer Verletzung bloßer Nebenpflichten
nicht mehr zulässig, da danach auch beim Kautionsrecht der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.160
Das Recht der Gemeinschaft gibt in allen genannten Fällen keine genaue
Auskunft darüber, welcher Anspruch tatsächlich mit der jeweiligen Kaution
gesichert werden soll. Bei der Verarbeitungskaution läßt sich der gesicherte
Anspruch noch relativ einfach nachvollziehen. Im Hinblick darauf, daß hier
Waren verbilligt abgegeben werden, fällt der Rechtsgrund für die Verbilligung dann weg, wenn die Ware nicht entsprechend der Vereinbarung verarbeitet wird. Durch den Kautionsverfall kann der Unterschiedsbetrag zwischen verbilligter Ware und normalem Marktpreis wieder eingezogen werden, so daß im Ergebnis keine Subvention verlorengeht. Die Verarbeitungskaution sichert damit letztlich einen Anspruch aus ungerechtfertigter Berei-
155 Vgl. z.B. VO (EWG) der Kommission vom 2.5.1980, 1091/80, ABl. vom 3.5.1980,
L 114, S. 18.
156 Z.B. Verarbeitungskaution für Butter, Art. 23 VO (EWG) 262/79.
157 Zur Vereinbarkeit des vollständigen Verfalls der Verarbeitungskaution für Butter gemäß
Art. 5 Abs. 2 VO (EWG) 262/79 mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vgl. EuGH,
EuZW 1993, S. 709 f. - (Hoche); vgl. auch EuGH, Slg. 1986, S. 3537 - (Maas).
158 Z.B. Art. 2 Abs. 5 VO (EWG) des Rates 441/69, ABl. 1969, L 59, S. 1 i.V.m. Art. 6
Abs. 1 VO (EWG) der Kommission 1957/69, ABl. 1969, L 250, S. 1.
159 EuGH, Slg. 1979, S. 2137 - (Rs 240/78: Atlanta Amsterdam/Produktschap voor Vee
en Vlees).
160 Zu weiteren Entscheidungen bezüglich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in
anderen Rechtsgebieten vgl. die Nachweise bei Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 60 Fn.
161-165, S. 66 Fn. 191, S. 415 Fn. 297.
45
Kompetenzen
2009
cherung. Bei der Kaution für Ein- und Ausfuhrlizenzen sowie bei der Kaution, die der private Lagerhalter zu stellen hat, ist die Situation jedoch nicht
so eindeutig. Beide Kautionsformen verfallen unabhängig vom Entstehen etwaiger Kondiktionsansprüche. Dies zeigt sich daran, daß in den Fällen, in
denen sich beispielsweise erst nach Leistung der Beihilfe herausstellt, daß
diese zu Unrecht gewährt wurde, der Kautionsanspruch nicht mit dem Kondiktionsanspruch verrechnet wird. Der Betreffende ist also verpflichtet, die
zu Unrecht erlangte Beihilfe wieder herauszugeben und verliert zusätzlich
seine Kaution.
Aus diesem Grund wird in der Literatur die Frage aufgeworfen, ob es sich in
diesen Fällen um verdeckte Strafsanktionen handele,161 für die die EG
über keine Kompetenz verfüge. Insbesondere P. Tiedemann162 vertritt in
diesem Zusammenhang die Auffassung, daß die Kaution nur als Sicherungsinstrument eines eventuell zu verhängenden Bußgeldes gemeint sein könne.
Der EuGH hat zu dieser Frage erstmals in einem Urteil vom 17.12.1970,163
in dem es um Kautionsverfall bei Ein- und Ausfuhrlizenzerteilungen
ging,164 Stellung genommen und ist dabei im wesentlichen den Ausführungen des Generalanwaltes de Lamothe165 gefolgt. Er kommt - ebenso wie
dieser - zu dem Schluß, daß durch den Kautionsverfall keine strafrechtliche
Sanktion verhängt werde, sondern es sich hierbei um eine rein verwaltungsrechtliche Sanktion handele.166 Das Gericht führt zur Begründung an, daß
die Kaution nur die Sicherheit für die Erfüllung einer freiwillig übernommenen Verpflichtung sei und daher einer Strafsanktion nicht gleichgestellt werden könne.
161 Vgl. insbesondere P. Tiedemann, NJW 1983, 2727 ff.
162 P. Tiedemann, NJW 1983, 2727 ff.
163 EuGH, Slg. 1970, S. 1125 = NJW 1971, 343 - (Rs 11/70: Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel).
164 Von der Internationalen Handelsgesellschaft mbH wurde u.a. vorgetragen: "Der
Verfall der Kaution als Folge der Nichterfüllung der Einfuhr- oder Ausfuhrverpflichtung sei eigentlich eine Geldbuße oder Strafe. Die Vertragsvorschriften über
die Agrarmarktordnung enthielten aber keine Bestimmungen, die den Rat oder die
Kommission ermächtigten, Strafsanktionen einzuführen." Vgl. zum Tatbestand
EuGH, Slg. 1970, S. 1125 ff.
165 Vgl. zum Schlußantrag EuGH, Slg. 1970, S. 1142 ff.
166 Vgl. auch Barents, ELR 1985, 242, der vorschlägt, die Technik der Stellung einer
Kaution anzusehen "as a separate administrative law phenomenon and to solve the
problem of legal protection within this framework" .
2010
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
46
An dieser Rechtsprechung hat der EuGH auch im Fall "Maizena"167 festgehalten. Hier ging es um die Klärung der Frage, ob die erneute Stellung einer
zuvor freigegebenen Kaution, die die Verpflichtung einer Ausfuhrlizenz sichern sollte, strafrechtlichen Charakter besitze oder als verwaltungsrechtliches Instrument anzusehen sei, welches Bestandteil der Kautionsregelung
sei. Das Gericht hat sich für letztere Auffassung entschieden und unter Hinweis auf das Urteil aus dem Jahre 1970168 festgestellt, daß es sich bei der
Verpflichtung zu einer erneuten Stellung einer Kaution zwar um eine Sanktion handele,169 diese aber keinen Strafcharakter habe.170 Vielmehr stelle
die Sanktion im Rahmen eines mit der vorzeitigen Freigabe der Kaution verbundenen Systems, deren Sonderregelungen sich der Wirtschaftsteilnehmer
aus freiem Entschluß unterwerfe, die logische Folge der Kautionsregelung
dar, und diene denselben Zwecken wie die Kaution selbst. Sie werde pauschal und unabhängig von einem eventuellen Verschulden des betroffenen
Wirtschaftsteilnehmers verhängt und sei daher Bestandteil der Kautionsregelung. Die Sanktion sei lediglich ein Ausgleich für die vorzeitige Freigabe der Kaution, die nur vorläufig unter der Bedingung der fristgemäßen
Erfüllung der Ausfuhrpflicht erfolgt sei.
Konsequenterweise verfällt die Kaution lediglich in den Fällen höherer Gewalt nicht.171 Dieser Begriff umfaßt Umstände, die außerhalb des Einflusses
des Betroffenen liegen und ihm die fristgerechte Durchführung seiner
Pflichten unmöglich machen. Neben Ereignissen, deren Eintritt als völlig
unwahrscheinlich angesehen werden muß, unterfallen auch solche Umstände dem Begriff, die vom Willen des Betroffenen unabhängig und unge-
167 Urteil vom 18.11.1987, EuGH, Slg. 1987, S. 4587 ff (4603 ff.) - (Rs 137/85: Maizena Gesellschaft mbH/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktforschung).
168 EuGH, Slg. 1970, S. 1125.
169 Im vorliegenden Fall konnte die Verpflichtung zur Ausfuhr überhaupt nicht mehr
eingehalten werden, so daß die erneute Stellung der Kaution sogleich deren Verfall
beinhaltete.
170 Vgl. auch die Ausführungen des Generalanwaltes Mischo, EuGH, Slg. 1987,
S. 4594 ff., der in diesem Verfahren darauf hinweist, daß die Nichtbeachtung der
Verpflichtung kein irgendwie geartetes Unwerturteil zur Folge habe und der Kautionsverfall weder in ein Strafregister eingetragen werde noch die persönlichen Verhältnisse des Verpflichteten bei der Entscheidung über den Kautionsverfall von Belang seien.
171 Zum Begriff der höheren Gewalt vgl. EuGH, Slg. 1968, S. 572 (575) - (Schwarzwaldmilch) sowie EuGH, Slg. 1970, S. 1125 = NJW 1971, 343 - (Internationale
Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel);
K. Tiedemann, NJW 1993, 30 mit weiteren Nachweisen.
47
Kompetenzen
2011
wöhnlich sind und deren Folgen trotz aller angewandten Sorgfalt nur um
den Preis unverhältnismäßiger Opfer vermeidbar gewesen wären.172
Auch das BVerfG hatte sich in einem Verfahren mit der Regelung des Kautionsverfalls zu befassen. Es vertrat dabei in seinem sog. "Solange I"-Beschluß173 - ähnlich wie der EuGH174 - die Auffassung, "daß der im System
der Lizensierung mit Kautionsgestellung für Ausfuhr und Einfuhr gewisser
Waren und Erzeugnisse vorgesehene Verfall der Kaution nicht als ein durch
staatliche Anordnung auferlegtes Übel für vorwerfbares rechtswidriges Verhalten ähnlich einer Strafe oder eines Bußgeldes gewertet werden kann". In
diesem System sei vielmehr eine der Privatrechtsordnung bekannte Rechtsfigur eingebaut, die dem Charakter von Risikogeschäften Rechnung trage.
Der interessierte Kaufmann wisse, welches Risiko er eingehe, und habe die
Freiheit der Entscheidung, ob er die gesetzlich festgelegten Bedingungen
auf sich nehmen wolle. Wie der EuGH sieht damit auch das BVerfG als
maßgebliches Kriterium zur Ablehnung des Sanktionscharakters des Kautionsverfalls die Freiwilligkeit des Eingehens der Verpflichtung an.175
Die vom EuGH in Kautions(verfalls)fällen gesprochenen Urteile hatten neben der Beantwortung der Frage nach dem Sanktionscharakter der Kautions(verfalls)regelung besondere Bedeutung bei der Klärung verfassungsrechtlicher Fragen. Hervorzuheben ist das oben erwähnte Urteil "Internationale Handelsgesellschaft" aus dem Jahre 1970,176 das gemeinsam mit einigen parallel entschiedenen Verfahren177 bedeutsam war für die Beantwortung der Fragen nach der verfassungsrechtlichen Beurteilung verpflichten-
172 Vgl. EuGH, in: LZ 13 vom 2.4.1993, S. 29 - (Molkerei-Zentrale Süd GmbH &
Co./Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung): Klärung von höherer
Gewalt als Vorfrage zu einer Kautionsrückzahlung.
173 BVerfGE 37, S. 271 (288). Vgl. zu dieser Entscheidung bereits oben 1.4.1.
174 Vgl. die Ausführungen oben in der Entscheidung EuGH, Slg. 1970, S. 1125 - (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel).
175 Der "Solange I"-Beschluß des BVerfG ist im Hinblick auf seine Ausführungen zum
Grundrechtsschutz heftig kritisiert worden. Vgl. dazu die Nachweise bei Hilf,
EuGRZ 1987, 1.
176 EuGH, Slg. 1970, S. 1125 - (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und
Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel).
177 EuGH, Slg. 1970, S. 1161 - (Rs 25/70: Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und
Futtermittel/Köster u.a.); EuGH, Slg. 1970, S. 1183 - (Rs 26/70: Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel/Henck); EuGH, Slg. 1970, S. 1197 - (Rs
30/70: Scheer/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel).
2012
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
48
der Außenhandelslizenzen, deren Absicherung durch Kautionen sowie dem
Grundrechtsschutz innerhalb der Gemeinschaft. Die Urteile entkräfteten die
verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Kautionsregelungen.178
4.3.2
Strafzuschläge, Subventionskürzungen, Abzüge und
Subventionssperren
Auf dem Agrarsektor beansprucht die Kommission seit einigen Jahren zunehmend die Kompetenz, auch gemeinschaftsrechtliche Sanktionsvorschriften zu Marktordnungen zu erlassen, wenn der Rat sie nach Art. 145, 155
EGV zum Erlaß aller erforderlichen Rechtsakte zur Durchführung einer von
ihm in den Grundzügen festgelegten Marktordnung ermächtigt hat.179 Unter
Berufung auf diese Kompetenz hat die Kommission ein breites Spektrum an
gemeinschaftsrechtlichen Sanktionen eingeführt, die von den Mitgliedstaaten zu verhängen sind.180
Sanktionen in Form von pauschalierten Rückzahlungsaufschlägen und
erhöhten Zinsforderungen (sog. Strafzuschläge) finden sich vornehmlich
im subventionsrechtlichen Bereich. Während einige Verordnungen nur die
einfache Verzinsung von Rückerstattungsbeträgen erschlichener Subventionen vorsehen,181 können nach anderen Verordnungen bei der Rückforderung Strafzuschläge bis zu 40 % verlangt werden.182 Hierbei wird den Mitgliedstaaten bezüglich der Höhe der Zuschläge ein Ermessen je nach der
Schwere des Falles eingeräumt. Die VO 1957/69183 sieht demgegenüber bei
zu Unrecht ausgezahlten Beihilfen einen generellen Aufschlag von 20 % des
normalen Erstattungsbetrags vor.
178 Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 446, bezeichnet die Rechtsprechung zu Kautionsfragen
insoweit "als positives und effektives - mehrere Rechtsakte wurden aufgehoben Beispiel des Grundrechtsschutzes durch den EuGH".
179 Vgl. dazu den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Kontrollen und Sanktionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik, Kommission (90)
endg., 8.5.1990, geändert durch Kommission (91) 378 endg., 25.10.1991.
180 Näher dazu mit Nachweisen zu den einschlägigen Verordnungen K. Tiedemann,
NJW 1993, 27.
181 So z.B. VO 3007/84 i.d.F. der VO 1260/90, ABl. 1984, L 283, S. 28 sowie ABl.
1990, L 124, S. 15.
182 So z.B. Art. 13 Abs. 3 Buchst. b und c VO (EWG) 3813/89 über landwirtschaftliche
Beihilfen, geändert durch Art. 1 VO (EWG) 1279/90, ABl. 1990, L 126, S. 20.
183 ABl. 1969, L 190, S. 5 ff.
49
Kompetenzen
2013
Eine weitere Sanktionsart betrifft die Kürzung oder Streichung von Subventionen, die zu einem Rechtsverlust führt. So können gemäß Art. 8 VO
1738/ 89184 im Bereich der Agrarsubventionen bei Überschreitung der gemeldeten beihilfefähigen Flächen bis zu 10 % die Beihilfen um den entsprechenden Prozentsatz gekürzt werden. Wenn die Fläche um mehr als 10 %
überschritten wird, kann die Subvention für den gesamten Bewilligungszeitraum gestrichen werden.
Eine andere Form des Rechtsverlustes stellen die sog. Abzüge dar, die der
Kürzung von Subventionen gleichkommen. Wenn in den Subventionsanträgen zum Teil unrichtige Angaben gemacht wurden und der Verstoß nicht
schwerwiegend war, können Abzüge von der Subventionssumme die Folge
sein.185 Letztlich wird hier also die Subvention nicht ganz versagt, sondern
nur erheblich gekürzt.
Besonders einschneidende Folgen kann schließlich die Subventionssperre
haben. Diese Sanktion hat die EG von den Mitgliedstaaten übernommen.
Bei erheblichen Unregelmäßigkeiten eines Landwirtes kann dieser über den
Subventionsgewährungszeitraum hinaus auch für künftige Bewilligungszeiträume völlig ausgeschlossen werden. So sieht z.B. eine Verordnung über
Einkommensbeihilfen für Landwirte186 einen zwölfmonatigen Ausschluß
des betreffenden Landwirtes vor.
Die Mitgliedstaaten haben diese Sanktionsvorschriften von Anfang an als
weitreichenden Eingriff in ihre nationale Souveränität angesehen und die
gemeinschaftsrechtliche Kompetenz hierfür bestritten. Dadurch kam es zu
dem Verfahren C-240/90 Bundesrepublik Deutschland/Kommission, in dem
sich der EuGH eingehend mit der Sanktionskompetenz der EG auseinandersetzen mußte und dem in der Literatur herausragende Bedeutung beigemessen wird.187 Die Bundesrepublik Deutschland hatte als Klägerin beantragt, folgende Regelungen in Verordnungen der Kommission, die Sanktionen für Unregelmäßigkeiten bei der Inanspruchnahme von Subventionen
aus Gemeinschaftsmitteln vorsehen, für nichtig zu erklären:
184 ABl. 1989, L 171, S. 31.
185 Z.B. Art. 7 VO (EWG) 164/89, ABl. 1989, L 121, S. 4 ff. (Beihilfe für Faserflachs
und Hanf).
186 Art. 13 Abs. 3 Buchst. b VO (EWG) 3813/89 i.d.F. VO (EWG) 1279/90, ABl. 1990,
L 126, S. 20 sowie Art. 9 VO (EWG) 714/89, ABl. 1989, L 78, S. 38 (Sonderprämien für Rindfleischerzeuger).
187 Pache, EuR 1993, 175; K. Tiedemann, NJW 1993, 49; Zuleeg, JZ 1992, 763 f.
2014
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
50
-
Im Falle einer erheblichen Unregelmäßigkeit muß ein Landwirt nicht
nur die Beihilfe nebst Zinsen zurückzahlen, sondern zusätzlich einen
Zuschlag in Höhe von bis zu 40 % der erhaltenen Beihilfe entrichten
(Art. 13 Abs. 3 Buchst. b VO [EWG] 3813/89);
-
nach Art. 6 Abs. 6 VO (EWG) 3007/84 sowie nach Art. 13 Abs. 3
Buchst. c VO (EWG) 3813/89 werden Wirtschaftsteilnehmer, die für
unrichtige Angaben in einem Beihilfeantrag verantwortlich sind, für ein
Jahr von jeder Beihilfe in dem betroffenen Bereich ausgeschlossen.
Die Bundesrepublik vertrat die Ansicht, für den Leistungsausschluß (Subventionssperre) bestehe grundsätzlich keine Kompetenz der EG, da eine solche Sanktion ein strafrechtliches Unwerturteil über den betroffenen Wirtschaftsteilnehmer beinhalte, das als Bestandteil des Strafrechts allein den
Mitgliedstaaten vorbehalten sei. Für den Zuschlag zur Rückzahlung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen könne zwar möglicherweise eine Gemeinschaftkompetenz bestehen; diese könne aber allenfalls vom Rat, keinesfalls
jedoch von der Kommission wahrgenommen werden.
Der EuGH hat in dieser Rechtssache inzwischen mit Urteil vom
27.10.1992188 entschieden und in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung zum Kautionsverfall und zu den Erstattungsverpflichtungen für Zinsen erklärt,189 daß er der Gemeinschaft wiederholt die Befugnis zugebilligt
habe, alle Sanktionen einzuführen, die für die wirksame Anwendung der Regelungen auf dem Gebiet der Gemeinsamen Agrarpolitik erforderlich seien.
Die Befugnis beruhe auf Art. 40 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 2 EWGV. Dabei
sei es allein Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, welche Lösungen zur
Verwirklichung der Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik am geeignetsten
seien. Bezüglich der Klagebegründung, der Gemeinschaft stehe auf dem
Gebiet des Strafrechts keine Kompetenz zu, wurde nur festgestellt, hierüber
müsse im konkreten Fall nicht entschieden werden.190 Es fehlt also jegliche
Beschränkung der Kompetenz auf inhaltlich festgelegte Sanktionsarten.
Hinsichtlich der Zuständigkeit der Kommission hat der EuGH die Bedenken der Bundesrepublik Deutschland, die aus dem Rechtsstaatsprinzip und
dem institutionellen Gleichgewicht auf Gemeinschaftsebene hergeleitet
188 EuGH, NJW 1993, 47 ff.
189 EuGH, Slg. 1970, S. 1125 ff. - (Internationale Handelsgesellschaft mbH); EuGH, Slg.
1987, S. 4587 ff. - (Maizena); EuGH, Slg. 1987, S. 6112 ff. - (Plange Kraftfutterwerke).
190 EuGH, NJW 1993, 47 (47 f.).
51
Kompetenzen
2015
wurden, verworfen und dem Rat nach Art. 145 und 155 EWGV das Recht
eingeräumt, die Zuständigkeit zum Erlaß von Durchführungsvorschriften
auf die Kommission zu übertragen. Lediglich die für die zu regelnde Materie wesentlichen Bestimmungen müsse der Rat selbst normieren. Hierzu
werden die Sanktionsvorschriften nicht gerechnet, weil sie für die Marktteilnehmer keine selbständigen Rechte oder Pflichten begründeten und die
materiellen Regeln einer gemeinschaftlichen Marktordnung nicht veränderten, sondern sich darauf beschränkten, die bestehenden materiellen
Regelungen abzusichern und ihre Anwendung und Beachtung sicherzustellen.191
Mit dieser Entscheidung des EuGH dürfte für die Praxis feststehen, daß zumindest im agrar- und fischereirechtlichen Bereich eine Kompetenz der
EG zur Schaffung nicht-kriminalstrafrechtlicher Sanktionen besteht.
Hiervon sind auch verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen umfaßt.192
Außerdem hat der EuGH die Zuständigkeit der Kommission bestätigt, gemeinschaftsrechtliche Sanktionsvorschriften zur Durchsetzung des finanzrelevanten Gemeinschaftsrechts und zum Schutz der Gemeinschaftsfinanzen
selbständig zu erlassen.193
In der Literatur ist dieses Urteil nur teilweise auf Zustimmung gestoßen.194
K. Tiedemann rügt in einer Urteilsanmerkung die "ungeschickte" Prozeßführung
der Klägerin, weil sie primär den Leistungsausschluß angriff, obwohl diese Maßnahme schon nach deutschem Verständnis ein rein verwaltungsrechtliches Instrumentarium sei, jedenfalls wenn es an die Unzuverlässigkeit des Bewerbers anknüpfe. Demgegenüber hätte sich der repressiv-punitive Charakter der "Zuschläge"
sehr viel leichter begründen lassen.195 Weiterhin sieht K. Tiedemann196 "eine
unübersehbare Schwäche" des Urteils darin, daß der EuGH nur die Alternative
von verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und echten (Kriminal-)Strafen anerkennt
und damit den in einer Reihe von Mitgliedstaaten existenten Zwischenbereich eines
Strafrechts im weiteren Sinne - das Ordnungswidrigkeitenrecht - ignoriere, obwohl z.B. in der "Pioneer"-Entscheidung197 die gemeinschaftsrechtliche Geldbuße
191 EuGH, NJW 1993, 47 (48 f.).
192 Vogel, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 171.
193 Näher dazu Pache, EuR 1993, 180 ff.; vgl. auch Grasso, Rivista Trimestrale di
Diritto Penale dell'Economia 1993, 740 ff.
194 Pache, EuR 1993, 175; K. Tiedemann, NJW 1993, 49.
195 K. Tiedemann, NJW 1993, 49.
196 K. Tiedemann, NJW 1993, 49.
197 EuGH, Slg. 1983, S. 1825 (1905).
2016
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
52
nach Art. 87 EWGV als auch repressive Zwecke verfolgend eingestuft und von den
rein präventiven Zwangsmaßnahmen abgegrenzt worden sei.
Während K. Tiedemann eine Bußgeldkompetenz der EG bejaht, kommt Vogel198
zu dem Ergebnis, daß der EWG-Vertrag unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten
keine Ermächtigungsgrundlage zur Einführung punitiver Verwaltungssanktionen
bilde.199 Weiterhin werden Bedenken gegen die Sanktionskompetenz aus dem Demokratieprinzip hergeleitet: Art. 40 Abs. 3 EWGV bilde keine hinreichend bestimmte Ermächtigung zum Erlaß von Ordnungswidrigkeitenvorschriften.200 Demgegenüber deutet Pache das Urteil sogar dahingehend, daß der EuGH strafrechtliche Sanktionen nicht von der Kompetenz der EG ausgenommen habe. Weder der
Wortlaut noch eine systematische sowie teleologische Auslegung der Art. 40, 43
EWGV schlössen die Möglichkeit völlig aus, strafrechtliche Sanktionsvorschriften
zu erlassen, wenn sie zur wirksamen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts zwingend erforderlich seien. Dem historischen Argument, bei Abschluß der Gemeinschaftsverträge hätten die Mitgliedstaaten auf ihre strafrechtliche Souveränität
nicht verzichten wollen, komme angesichts der dynamischen Entwicklung der Gemeinschaftsrechtsordnung keine gewichtige Bedeutung mehr zu. Lediglich das noch
bestehende Demokratiedefizit rechtfertige Bedenken gegen eine gemeinschaftsrechtliche Strafrechtssetzung. Wie sich der EuGH künftig zu strafrechtlichen Gemeinschaftsrechtsakten stellen werde, sei noch nicht eindeutig abzusehen.201
4.3.3
Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sanktionierung einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts
Im Zusammenhang mit der Problematik der Sanktionskompetenz der EG
wird auch das Urteil des EuGH im "Griechischen Maisskandal" aus dem
Jahre 1989 202 erörtert und in eine Reihe mit der Rechtsprechung zur Schadensersatzpflicht der EG und der Übertragung der hierbei entwickelten
Prinzipien auf die Haftung der Mitgliedstaaten und Privater im Urteil "von
198 Vogel, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 170 ff.
199 Diese Unterscheidung ist auch den bei der Tagung zum Subventionsbetrug in Trier im
Oktober 1992 verabschiedeten "Empfehlungen an die EG-Kommission und an die Mitgliedstaaten" zugrundegelegt; abgedruckt in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des
Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 198; vgl. auch Zuleeg, JZ 1992, 764.
200 Sieber, ZStW 103 (1991), S. 972; zustimmend Weigend, ZStW 105 (1993), S. 800.
201 Pache, EuR 1993, 179 f.
202 EuGH, Slg. 1989, S. 2965 ff. = NJW 1990, 2245 = EuZW 1990, 99 mit Anm. K. Tiedemann; Bleckmann, WuR 1991, 283 f.; vgl. auch Bleckmann, in: Festschrift für Stree
und Wessels, 1993, S. 109 ff.; Möhrenschlager, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung
des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 166; Pache, EuR 1993, 174. Zu der
dem Urteil vorangegangenen Rechtsprechung Pedrazzi (Hrsg.), Droit Communautaire
et Droit Pénal, 1981, S. 74 ff. Instruktiv in diesem Zusammenhang auch Dieblich, Der
strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985 passim.
53
Kompetenzen
2017
Colson und Kamann"203 und im "Francovich und Bonifaci"-Urteil204 gestellt.205 Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem die Kommission aufgrund von Informationen, die ihr zur Kenntnis gebracht worden waren, gründliche Nachforschungen angestellt hatte, gelangte sie
Ende September 1986 zu der Auffassung, daß zwei Schiffsladungen Mais, die im
Mai 1986 durch die Firma ITCO über die Häfen Saloniki und Kevala in Griechenland nach Belgien ausgeführt und von den griechischen Behörden offiziell als
griechischer Mais bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aus Mais bestanden, der aus
Jugoslawien eingeführt worden war. Aufgrund der offiziellen Äußerung der griechischen Behörden wurden damals keine Agrarabschöpfungen auf den "nicht EGMais" erhoben. Nach Angaben der Kommission war dieser Betrug unter Mitwirkung von griechischen Beamten begangen und nachträglich von mehreren hohen
Beamten durch falsche Urkunden und Erklärungen zu verschleiern versucht worden. Nach Aufdeckung der Tatumstände durch die Kommission ersuchte diese die
griechische Regierung, insbesondere die Agrarabschöpfungen zu zahlen, die unterschlagenen Summen bei den betreffenden Personen einzuziehen, Disziplinar- oder
Strafverfahren gegen die Betrüger und Mittäter einzuleiten sowie bestimmte Ein-,
Aus- und Durchfuhren von Getreide ab 1985 genauer zu untersuchen. Die griechischen Behörden erwiderten, eine Verwaltungsuntersuchung sei eingeleitet worden,
und im übrigen sei ein Untersuchungsrichter mit der Sache befaßt und es müßten
die Entscheidungen der Justiz abgewartet werden, bevor die von der Kommission
angegebenen Maßnahmen getroffen werden könnten. Die Griechische Republik
reichte in der ihr eingeräumten Frist keinen Schriftsatz ein. Daraufhin leitete die
Kommission im Jahre 1987 das Verfahren nach Art. 169 EWGV - Klage wegen
Vertragsverletzung - ein.
Der EuGH kam zu dem Ergebnis, die Griechische Republik habe durch ihr
Verhalten u.a. gegen Art. 5 EWGV verstoßen, weil sie keine straf- oder
disziplinarrechtlichen Verfahren gegen die Personen eingeleitet hat, die an
der Durchführung und der Verschleierung der Abschöpfungshinterziehung
beteiligt gewesen sind.206 Die Mitgliedstaaten haben nach Ansicht des
EuGH die Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die
Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.
Hierzu gehöre es, daß Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie
nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht. Zwar
203
204
205
206
EuGH, Slg. 1984, S. 1891 ff.
EuGH, Slg. 1991, S. 5357 ff.
Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 108 ff.; Pache, EuR 1993, 174.
Leitsatz Nr. 4 des "Maisskandal"-Urteils des EuGH, Slg. 1989, S. 2965. Diese
Rechtsprechung wurde bestätigt durch ein Urteil des EuGH von 1990, EuGH, Slg.
1990 I, S. 2911 (2935) - (Anklagemyndigheden/Hansen); vgl. dazu Vervaele, Fraud
against the Community, 1992, S. 13 f.
2018
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
54
verbleibe den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen, die nationalen Stellen müßten aber bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben
Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Vorschriften walten lassen. Darüber hinaus müßten die Sanktionen jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.207
K. Tiedemann208 leitet aus der geforderten Gleichstellung die Notwendigkeit ausdrücklicher Gesetzesklauseln her, da die Mitgliedstaaten herkömmlicherweise von
dem Grundsatz ausgingen, daß die Schädigung nicht-nationaler Fiskalinteressen
weder durch die allgemeinen Vermögensstraftatbestände, insbesondere den Tatbestand des Betrugs, noch durch die Tatbestände der Steuer- bzw. Abgabenhinterziehung erfaßt werde. In Staaten, in denen entsprechende "Gleichstellungsklauseln"
noch nicht vorhanden sind, müßten diese daher sobald wie möglich geschaffen
werden, damit der einzelne Mitgliedstaat nicht der Gefahr eines Vertragsverletzungsverfahrens ausgesetzt sei.209 Damit sei der Kommission ein Mittel an die
Hand gegeben, säumige und allzu großzügige Mitgliedstaaten zur Ergänzung ihrer
Strafgesetzgebung anzuhalten.210
Seit diesem Urteil zeichnet sich ein Wandel hin zu einer Assimilierung bzw.
innerstaatlichen Harmonisierung supranationaler und nationaler Interessen
und damit zugleich die strafrechtliche Anerkennung gemeinschaftsrechtlicher Rechtsgüter ab. So sieht nunmehr auch Art. 209a EGV vor, daß zur
Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen
der Gemeinschaft richten, die Mitgliedstaaten die gleichen Maßnahmen ergreifen, die sie auch zur Bekämpfung von Betrügereien ergreifen, die sich
gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richten. Damit ist zwar die von
der Kommission angestrebte Harmonisierung der stark divergierenden Strafgesetzgebungen der einzelnen Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht. Ob
dies jedoch ausreicht, Gerechtigkeit und Effizienz des Gemeinschaftsrechts
herzustellen, wird in der Literatur in Frage gestellt.211
In der Lehre werden die Grundsätze dieses Urteils nicht auf den Agrarbereich beschränkt. So legt Bleckmann in einer Anmerkung zur "Griechischen Mais"-Entscheidung des EuGH dar, daß dieses Urteil strafrechtliche Sanktionen auch bei
207 EuGH, Slg. 1989, S. 2984 f. Zur Anwendung des europäischen Gleichheitssatzes
vgl. Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 109 f.
208 K. Tiedemann, EuZW 1990, 100.
209 Vgl. hierzu K. Tiedemann, EuZW 1990, 100 f. Vgl. im übrigen zu den Schutzvorschriften in bezug auf Finanzmittel der EG in den Mitgliedstaaten K. Tiedemann,
NJW 1990, 2226 ff.
210 K. Tiedemann, NJW 1990, 2226. Vgl. zum gesamten Themenkomplex noch Vervaele, EEG-fraude en Europees economisch strafrecht, 1991, passim; ders., Fraud against the Community, 1992 passim.
211 Vgl. Grasso, Rivista Trimestrale di Diritto Penale dell'Economia 1989, 380 ff.
55
Kompetenzen
2019
Verletzung anderer europäischer Interessen verlange,212 und kommt unter Rückgriff auf die Schutzpflicht des Staates bei Grundrechtsverletzungen zu dem Ergebnis, daß die EG bei einer schweren Verletzung wesentlicher Rechtsgüter strafrechtliche Sanktionen, bei weniger schweren Eingriffen in die europäischen Interessen
Geldbußen festlegen müsse.213 Streinz214 stützt sich auf diese Rechtsprechung, um
die Notwendigkeit zur Vereinheitlichung der nationalen Sanktionsmechanismen im
Bereich des Lebensmittelrechts und zur Strafbewehrung gemeinschaftsrechtlicher
lebensmittelrechtlicher Vorschriften zu begründen.215 Über die Strafbestimmungen
des Besonderen Teils hinaus sollen auch die Bestimmungen des Allgemeinen Teils
künftig zumindest partiell durch das EG-Recht geregelt und die strafprozeßrechtlichen Normen durch gemeinschaftsrechtliche überlagert werden.216 Die Einheit
der nationalen Rechtsordnungen und ihre Verbindung mit der europäischen Rechtsordnung habe schließlich zur Folge, daß der Grundsatz "ne bis in idem" auch dann
eingreife, wenn das erste Strafurteil von einem Gericht der EG oder von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates erlassen worden sei.217
4.4
Schrifttumsverzeichnis
Bacigalupo, Zapater, Sanktionsbefugnisse der Organe der EG aus der Sicht des
spanischen Rechts. informaciones 1993, 15 f.
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Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis. 1989.
212
213
214
215
Bleckmann, WuR 1991, 283 f.
Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 112.
Streinz, WuV 1993, 31 ff.
Vgl. auch Dannecker, in: Streinz (Hrsg.), "Novel Food", 1993, S. 223 ff., zur Notwendigkeit neuer Straf- und Bußgeldtatbestände, falls die "Novel-Food"Verordnung eingeführt werden sollte.
216 Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 113; vgl. dazu auch K.
Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 60 ff.
217 Bleckmann, in: Festschrift für Stree und Wessels, 1993, S. 114; vgl. dazu auch
Jung, in: Festschrift für Schüler-Springorum, 1993, S. 493 ff.
2020
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
56
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2022
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
58
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5.
Zum Erlaß von Strafnormen verpflichtende Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft
5.1
Anweisungskompetenz
Neben der Möglichkeit, die Mitgliedstaaten durch ein Vertragsverletzungsverfahren wie im "Griechischen Mais-Fall" zur Einführung strafrechtlicher
Sanktionen zu verpflichten, kann der Rat Richtlinien erlassen, die die Mitgliedstaaten zum Erlaß von Strafrechtsnormen verpflichten.218 Die Tatsache, daß keine Kompetenz der EG zur Schaffung von supranationalen Strafsanktionen besteht, führt nicht zwangsläufig dazu, daß die Gemeinschaft
keine Anweisungen zur Verabschiedung von nationalem Strafrecht mit bestimmtem Inhalt in Form von Richtlinien erteilen kann. Der EG-Vertrag
sieht zwar keine ausdrückliche Grundlage für eine derartige Anweisungskompetenz vor. In der Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, daß
eine solche entweder auf einer Annex-Kompetenz i.V.m. den Spezialvorschriften des EG-Vertrages beruhe, die den Rat zur Angleichung, Koordinierung oder Harmonisierung mitgliedstaatlicher Rechte ermächtigt,219
oder daß direkt Art. 100 EGV herangezogen werden könne, der den Erlaß
von Richtlinien zur Angleichung gewisser Rechtsvorschriften regelt.220
Zwar ist die Bindung des nationalen Gesetzgebers an eine vom Rat erlassene Vorschrift nicht unproblematisch, weil es sich um ein Organ handelt, das
sich aus Vertretern der Regierung zusammensetzt.221 Das Europäische Parlament hat jedoch inzwischen ein weitreichendes Mitspracherecht erhalten,
so daß das Demokratiedefizit erheblich reduziert wurde.222
5.2
Inhalt der Richtlinien
Die EG hat sich bislang im wesentlichen damit begnügt, lediglich die Forderung nach wirksamen Sanktionen im Recht der Mitgliedstaaten zu erheben,
218 Bridge, Crim.L.R. 1976, 88; Dine, Crim.L.R. 1993, 247; vgl. auch Thomas, NJW
1991, 2233 (2234), der vom "Hineinwirken" der Richtlinien in das Strafrecht der
Mitgliedstaaten spricht.
219 Z.B. Nicolaysen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1979, § 32.
220 So etwa Dieblich, Der strafrechtliche Rechtsschutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 270 oder Johannes, EuR 1968, 67, der ausdrücklich das Strafrecht in den Anwendungsbereich des Art. 100 EWGV miteinbezieht.
Vgl. auch Bigay, RTDE vol. 8 (1972), S. 725.
221 Vgl. dazu Sieber, ZStW 103 (1991) S. 965 f., 972 f.
222 Streinz, WuV 1993, 31 Fn. 171.
2024
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
60
ohne die Art und das Ausmaß der Sanktionen näher festzulegen. Es bliebe
dem Gesetzgeber überlassen, ob er strafrechtliche, verwaltungsrechtliche
oder "gemischte" Sanktionen einführen wollte.223 Allerdings wird in der Literatur die Ansicht vertreten, daß die EG die Mitgliedstaaten auch zur Androhung bestimmter Sanktionen verpflichten kann.224
Für die Bereiche des unerlaubten Insider-Handels an der Börse und für
die Geldwäsche liegen inzwischen die Richtlinien des Rates "Zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte"225 und "Zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche"226
vor.227 Von der ursprünglich vorgesehenen Regelung, die Mitgliedstaaten
zur Androhung von Kriminalstrafen ausdrücklich zu verpflichten,228 hat der
Rat abgesehen. Auch andere Richtlinien, z.B. Art. 7 Abs. 6 Satz 1, 2. Spiegelstrich der Verordnung der Kommission (EWG) 986/89 vom 10.4.1989
über die Begleitpapiere für den Transport von Weinbauerzeugnissen und die
im Weinsektor zu führenden Ein- und Ausgangsbücher,229 enthalten entsprechende Verpflichtungen, ohne daß bestimmte Sanktionen vorgesehen
sind. Die 4. Richtlinie des Rates vom 25.7.1978 über den Jahresabschluß
von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen230 - sog. Bilanzrichtlinie -,
die der Angleichung der Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften in den
Mitgliedstaaten diente, sieht in Art. 51 Abs. 3 vor, daß Mitgliedstaaten, welche kleine Gesellschaften von der Pflicht zur Prüfung des Abschlusses befreien, geeignete Sanktionen für den Fall in ihre Rechtsvorschriften aufnehmen müssen, daß der Jahresabschluß oder der Lagebericht dieser Gesellschaften nicht nach dieser Richtlinie erstellt sind.
223 Sevenster, CMLR vol. 29 (1992), S. 33; Tiedemann, NJW 1993, 26.
224 So Grasso, Comunità Europee e Diritto Penale, 1989, S. 192 ff.
225 Richtlinie des Rates 89/592/EWG vom 13.11.1989 zur Koordinierung betreffend
Insider-Geschäfte, ABl. vom 18.11.1989, L 334, S. 30. Vgl. dazu Schödermeier/Wallach, EuZW 1990, 122 ff.; Tridimas, ELR 1993, 435 ff.
226 Richtlinie des Rates 91/308/EWG vom 10.6.1991 zur Verhinderung der Nutzung
des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche, ABl. vom 18.6.1991, L 166,
S. 77. Vgl. dazu Keyser-Ringnalda, ELR 1992, 511 ff.
227 Zu beiden Richtlinien vgl. Tiedemann, NJW 1993, 24.
228 Sieber, ZStW 103 (1991), S. 965.
229 ABl. 1989, L 106, S. 1
230 ABl. 1978, L 222, S. 11 ff.
61
5.3
Richtlinien
2025
Fehlen einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinien
Angesichts der Tatsache, daß immer detailliertere Richtlinien für zulässig
gehalten werden,231 wird für die Zukunft nicht ausgeschlossen, daß auch
Richtlinien zunehmend aufgrund ihres unbedingten und hinreichend genauen Inhalts232 unmittelbar anwendbar - "self-executing" - werden.233 Eine unmittelbare Wirkung von belastenden Richtlinien - hierzu gehören auch solche, die "unmittelbar" zu (Kriminal)Strafsanktionen gegenüber dem Bürger
führen würden - wird jedoch abgelehnt.234 So legte der EuGH in der Entscheidung "Pretore di Salo",235 in der die Vereinbarkeit italienischer Wasserschutzbestimmungen mit den Vorgaben einer noch nicht in italienisches
Recht umgesetzten EG-Richtlinie in Frage stand, dar, daß das Prinzip, daß
eine nicht umgesetzte Richtlinie niemals zum Nachteil einer Person führen
könne, unvermindert gelte. Eine Richtlinie (hier: die Richtlinie des Rates
78/659 vom 18.7.1978)236 könne für sich allein und unabhängig von zu ihrer
Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht die Wirkung haben, die strafrechtliche Verantwortlichkeit
derjenigen, die gegen die Vorschriften der Richtlinie verstießen, festzulegen
oder zu verschärfen.237 Im "Kolpinghuis-Fall"238 wurde vom EuGH bestätigt, daß eine Richtlinie nicht geeignet sei, aus sich allein heraus eine strafrechtliche Verantwortlichkeit festzulegen oder zu verschärfen.
In diesem Fall war in einem niederländischen Café bei einer städtischen Routineüberprüfung festgestellt worden, daß das als "Mineralwasser" servierte Wasser - es
soll sich um mit Kohlensäure versetztes Leitungswasser gehandelt haben - nicht
zum Verzehr geeignet war. Um die Ungeeignetheit des Wassers für den menschlichen Verzehr zu untermauern, berief sich der zuständige Staatsanwalt auf die
Richtlinie 80/777/EWG über die Verwendung und die Vermarktung natürlicher
Mineralwasser. Diese Richtlinie war jedoch zur fraglichen Zeit noch nicht in niederländisches Recht umgesetzt. Der EuGH führte aus, daß, obwohl die nationalen Gerichte die Verpflichtung hätten, nationales Recht im Lichte des Gemeinschaftsrechts auszulegen, diese Verpflichtung durch die allgemeinen Grundsätze
231 Dazu Bleckmann, Europarecht, 5. Aufl. 1990, Rdnr. 150; vgl. auch Sieber, ZStW
103 (1991), S. 965.
232 Näher zu diesen Kriterien EuGH, Slg. 1987, S. 3969 (3985) - (Rs 80/86: Kolpinghuis Nijmegen BV).
233 Vgl. Schweitzer/Hummer, Europarecht, 4. Aufl. 1993, S. 115.
234 Vgl. hierzu Streinz, Europarecht, 1992, Rdnr. 405.
235 EuGH, Slg. 1987, S. 2545 - (Rs 14/86: Pretore di Salo/Unbekannt).
236 ABl. 1978, L 222, S. 1.
237 EuGH, Slg. 1987, S. 2545 (2570) - (Pretore di Salo/Unbekannt).
238 EuGH, Slg. 1987, S. 3969 - (Rs 80/86: Kolpinghuis Nijmegen BV); dazu Hugger,
NStZ 1993, 422.
2026
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
62
des Gemeinschaftsrechts begrenzt würden. Hierzu gehöre insbesondere das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot und das Verbot der Rückwirkung.239
5.4
Schrifttumsverzeichnis
Bigay, Droit communautaire et droit pénal. RTDE vol. 8 (1972), S. 725 ff.
Bleckmann, Europarecht. 5. Aufl. 1990.
Bridge, The European Communities and the Criminal Law. Crim.L.R. 1976, 88 ff.
Dieblich, Der strafrechtliche Rechtsschutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften. 1985.
Dine, European Community Criminal Law? Crim.L.R. 1993, 246 ff.
Grasso, Comunità Europee e Diritto Penale. 1989 = Comunidades Europeas y Derecho Penal. 1993.
Hugger, Zur strafbarkeitserweiternden richtlinienkonformen Auslegung deutscher
Strafvorschriften. NStZ 1993, 421 ff.
Johannes, Das Strafrecht im Bereich der Europäischen Gemeinschaften. EuR 1968,
63 ff.
Keyser-Ringnalda, European Integration with Regard to the Confiscation of the
Proceeds of Crime. ELR 1992, 499 ff.
Nicolaysen, Europäisches Gemeinschaftsrecht. 1979.
Schödermeier/Wallach, Die Insiderrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft.
EuZW 1990, 122 ff.
Schweitzer/Hummer, Europarecht. 4. Aufl. 1993.
Sevenster, Criminal Law and EC Law. CMLR vol. 29 (1992), S. 29 ff.
Sieber, Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. ZStW 103 (1991),
S. 957 ff.
Streinz, Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht. Der Einfluß des Rechts
der Europäischen Gemeinschaften auf das deutsche Lebensmittelrecht. WuV
1993, 1 ff.
-
Europarecht. 1992.
239 EuGH, Slg. 1987, S. 3969 (3986) - (Kolpinghuis Nijmegen BV)
63
Richtlinien
2027
Thomas, Die Anwendung des europäischen materiellen Rechts im Strafverfahren.
NJW 1991, 2233 ff.
Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht. NJW 1993, 23 ff.
Tridimas, Convention on Insider Trading. ELR 1993, 435 ff.
6.
Richtlinienkonforme Auslegung des nationalen
Strafrechts
6.1
Reichweite der richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht
Die richtlinienkonforme Auslegung240 beansprucht grundsätzlich auch für
das Strafrecht Geltung.241 Allerdings kann eine Richtlinie "für sich allein
und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates ... nicht die Wirkung haben, die
strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften der
Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen".242 Die grundsätzliche Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung finde "ihre
Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit
und im Rückwirkungsverbot".243 Umstritten ist lediglich die Reichweite der
richtlinienkonformen Auslegung, wenn ein klar erkennbarer Widerspruch
zwischen nationalem Gesetz und Richtlinie oder zwischen der an der Richtlinie orientierten Auslegung und der nationalen Verfassung besteht. Hierbei
geht es um die Frage, ob die Richtlinie ein imperatives, andere Auslegungsregeln überspielendes Interpretationsgebot enthält244 oder ob den Verfassungen der Mitgliedstaaten Vorrang einzuräumen ist.245 Gegen die Anerkennung der richtlinienkonformen Auslegung als ranghöchstes Auslegungsprinzip, das sogar Verfassungsnormen relativiert,246 wird eingewandt, dies
setze voraus, daß das EG-Recht materiell im Rang vor der Verfassung stehe.247 Das BVerfG gehe jedoch davon aus, daß es sich um zwei Parallel-
240 Allgemein dazu oben 1.4.2.
241 Sevenster, CMLR vol. 29 (1992), S. 29 ff.; Thomas, NJW 1991, 2237; Tiedemann,
NJW 1993, 24 ff.; vgl. auch Cobet, Fehlerhafte Rechnungslegung, 1991, S. 5 f.;
Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, 1993, S. 191 ff.; a.A.
Hugger, NStZ 1993, 421 ff.
242 EuGH, Slg. 1987, S. 3986 - (Kolpinghuis Nijmegen BV).
243 EuGH, Slg. 1987, S. 3986 - (Kolpinghuis Nijmegen BV); vgl. dazu auch Zuleeg, JZ
1992, 765.
244 So z.B. Everling, RabelsZ 1986, 225, der die Rechtsprechung des EuGH wiedergibt.
245 Näher dazu Cobet, Fehlerhafte Rechnungslegung, 1991, S. 14 ff.
246 So Thomas, NJW 1991, 2237, der die Ansicht vertritt, daß im Falle der richtlinienkonformen Auslegung der Schutz des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebotes nach
Art. 103 Abs. 2 GG nicht greife; a.A. Hugger, NStZ 1993, 423 f.
247 So di Fabio, NJW 1990, 949. Zur Rechtslage in den verschiedenen Mitgliedstaaten
Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 346 ff.
65
Richtlinienkonforme Auslegung
2029
rechtsordnungen mit festgelegter Beziehungsstruktur handele.248 Gegenwärtig dominiert die Auffassung, daß der erkennbare andere Wille des Gesetzgebers und der Wortlaut des Gesetzes eine Grenze für die richtlinienkonforme Interpretation darstellen.249 Damit kommt den verfassungsrechtlich abgesicherten Strafrechtsprinzipien Vorrang vor der richtlinienkonformen
Auslegung zu.250
6.2
Richtlinienkonforme Auslegung des Umweltstrafrechts
Im Zuge der Reform der EG durch die Einheitliche Europäische Akte wurde
der Titel VII "Umwelt" in den EWG-Vertrag (Art. 130r-130t) eingefügt.
Dadurch wurde der Umweltschutz zum Bestandteil des Binnenmarktkonzeptes und zu einem eigenen ressortübergreifenden Politikbereich. Der
EuGH hatte bereits in dem Urteil "ADBHU" vom 7.2.1985251 den Umweltschutz als ein wesentliches Ziel der Gemeinschaft, das im Allgemeininteresse liegt, bezeichnet und darin eine Ermächtigung des Gemeinschaftsgesetzgebers gesehen, die Handlungsfreiheit, den freien Warenverkehr und den
Wettbewerb zu beschränken.252
Für die Auslegung der nationalen Strafvorschriften haben insbesondere die
Urteile des EuGH zum Begriff des Abfalls Bedeutung erlangt. Im Verfahren "Vessoso und Zanetti"253 stellte der EuGH fest, daß der Begriff "Abfall"
i.S. des Art. 1 der Richtlinie des Rates 75/442254 und des Art. 1 der Richtlinie des Rates 78/319255 Stoffe nicht ausschließt, die wirtschaftlich wiederverwertet werden können. Dieser Begriff setze nicht voraus, daß der Besit-
248 Vgl. BVerfGE 73, S. 339 ("Solange II").
249 Beisse, BB 1990, 2012; Bleckmann, BB 1984, 1526; ders., in: Leffson/Rückle/Großfeld
(Hrsg.), Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986,
S. 28; Hugger, NStZ 1993, 423 f.
250 Hugger, NStZ 1993, 423 f. Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen eine
verbindliche Auslegung des EuGH vgl. Schüppen, Systematik und Auslegung des
Bilanzstrafrechts, 1993, S. 217 f.
251 EuGH, Slg. 1985, S. 549 ff.
252 Näher zur Kompetenz der EG, umweltschützende Bestimmungen zu erlassen, Henke, EuGH und Umweltschutz, 1992, S. 49 ff. mit weiteren Nachweisen.
253 EuGH, Slg. 1990, S. 1461.
254 Richtlinie vom 15.7.1975 über Abfälle, ABl. vom 25.7.1975, L 194, S. 47 ff.; zur zwischenzeitlichen Änderung dieser Richtlinie vgl. Franzheim/Kreß, JR 1991, 402 Fn. 3.
255 Richtlinie vom 20.3.1978 über giftige und gefährliche Abfälle, ABl. vom
31.3.1978, L 84, S. 43 ff.
2030
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
66
zer, der sich eines Stoffes oder eines Gegenstandes entledige, die Absicht
haben müsse, jede wirtschaftliche Wiederverwertung durch andere Personen
auszuschließen. Zur Begründung wird angeführt, daß die Ziele der beiden
Richtlinien - der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt beeinträchtigt würden, wenn ihre Anwendung davon abhinge, ob der Besitzer die Absicht hat, die wirtschaftliche Wiederverwendung der Stoffe und
Gegenstände, deren er sich entledigt, durch andere Personen auszuschließen.256 Aus diesen Ausführungen hat der EuGH in der Entscheidung "Zanetti u.a." Konsequenzen für das italienische Abfallrecht gezogen und erklärt: "Eine nationale Regelung, die den Begriff 'Abfälle' so definiert, daß
Stoffe und Gegenstände, die einer wirtschaftlichen Wiederverwendung zugeführt werden können, nicht darunter fallen, ist mit den Richtlinien 75/442
und 78/319 des Rates nicht vereinbar."257
Der BGH hat bei der Bestimmung des strafrechtlichen Abfallbegriffes
(§ 326 StGB i.V.m. § 1 Abs. 1 AbfG) diese Interpretation durch den EuGH
übernommen und wiederverwertbare Stoffe, die für den Besitzer jedoch
wertlos geworden sind, in den Schutzbereich dieser Vorschrift miteinbezogen.258 Zuvor hatte das BVerfG in einem Nichtannahmebeschluß dargelegt,
daß "ein Strafgericht ... gehalten (ist), in jedem Stadium des Strafverfahrens
mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob bei der Auslegung einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts Zweifel bestehen und ob
die Vorlage an den EuGH gemäß Art. 177 EGV veranlaßt ist".259
In der Literatur ist umstritten, ob mit dieser Entscheidung die richtlinienkonforme Auslegung im Strafrecht anerkannt wird.260
256 EuGH, Slg. 1990, S. 1461 ff.
257 EuGH, Slg. 1990, S. 1509 ff. (1512). Vgl. zu den beiden Urteilen des EuGH auch
die Zusammenfassung in EWS 1991, 85. Einen Überblick über die Rechtsprechung
des EuGH zum Umweltschutz gibt Zuleeg, NJW 1993, 31 ff.
258 BGHSt 37, S. 333 ff. Zum Abfallrecht vgl. auch v. Wilmowsky, Abfallwirtschaft im
Binnenmarkt, 1990, passim.
259 BVerfG, NJW 1989, 2464; dazu Thomas, NJW 1991, 2235.
260 Bejahend Sieber, ZStW 103 (1991), S. 965; vgl. auch Franzheim/Kreß, JR 1991,
403. Verneinend Hugger, NStZ 1993, 422.
67
6.3
Richtlinienkonforme Auslegung
2031
Richtlinienkonforme Auslegung des Steuerstrafrechts
Auch im Steuerstrafrecht zeigen sich vielfältige Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts. Dies zeigt sich vor allem bei Straftatbeständen, die Blankettnormen darstellen oder einen blankettähnlichen Charakter aufweisen.261
Eine zentrale Vorschrift ist dabei § 370 Abgabenordnung (AO), da diese die
Hinterziehung sowohl von Zöllen des Gemeinsamen Zolltarifs als auch von
Abschöpfungen und Marktordnungsabgaben erfaßt.262 Die Strafbarkeit wird
gemäß § 370 Abs. 6 AO auf von anderen Mitgliedstaaten zu erhebende Eingangsabgaben ausgedehnt.263 Eine Bestrafung nach § 370 AO hängt im wesentlichen von der Gültigkeit und der Auslegung der zugrundeliegenden
blankettausfüllenden Rechtsakte - Verordnungen - der EG ab.264
Soweit Auslegungsprobleme auftreten, muß der nationale Richter die Streitfrage dem EuGH nach Art. 177 EGV vorlegen. Dessen Entscheidung ist für
die nationalen Gerichte - einschließlich der Strafgerichte - grundsätzlich
verbindlich. So hat das BVerfG in der "Solange-II"-Entscheidung265 festgestellt: "Der Gerichtshof der Gemeinschaften ist gesetzlicher Richter i.S. des
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Er ist ein durch die Gemeinschaftsverträge errichtetes hoheitliches Rechtspflegeorgan, das auf der Grundlage und im
Rahmen normativ festgelegter Kompetenzen und Verfahren Rechtsfragen
nach Maßgabe von Rechtsnormen und rechtlichen Maßstäben in richterlicher Unabhängigkeit grundsätzlich endgültig entscheidet." Thomas266
spricht in diesem Zusammenhang von einer "Monopolstellung" des EuGH
bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und weist damit auf den starken
Einfluß des EuGH als einem Gemeinschaftsorgan auf das nationale Recht
hin.267 Aufgrund dieser "verbindlichen" Entscheidungsbefugnis des EuGH
261 Vgl. Thomas, NJW 1991, 2234.
262 Zur Anwendbarkeit der Steuerhehlerei auf Abschöpfungen und Marktordnungsabgaben vgl. Krisch, Die Steuerhehlerei, § 374 AO, 1993, S. 56 ff.
263 Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 99; Tiedemann, NJW 1990, 2227.
264 Thomas, NJW 1991, 2235.
265 BVerfGE 73, S. 339 ff. Zu dieser Entscheidung vgl. auch bereits oben 1.4.1.
266 Thomas, NJW 1991, 2235 mit Hinweisen auf weitere Entscheidungen.
267 Kritisch zur "Solange II"-Entscheidung di Fabio, NJW 1990, 947 ff. Vgl. im übrigen zu den "Solange"-Entscheidungen und der damit zusammenhängenden Rechtsprechung Tomuschat, EuR 1990, 340 ff.; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher
Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, passim.
2032
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
68
im Vorabentscheidungsverfahren gehört § 370 AO zu den Vorschriften, die
besonders stark vom Gemeinschaftsrecht beeinflußt werden können bzw. es
bereits sind.
Dieser Einfluß kam in einem Steuerstrafverfahren zum Tragen, mit dem sich
der BGH im Jahre 1990 befassen mußte.268
Der Angeklagte war vor dem LG Bonn u.a. wegen fortgesetzter Umsatzsteuerhinterziehung angeklagt worden, weil er als faktischer Geschäftsführer mehrerer Firmen keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hatte. Gegen diesen Vorwurf wandte sich der Angeklagte mit der Behauptung, daß zumindest die in
den streitigen Umsätzen enthaltenen Umsätze aus Kreditvermittlungen nicht der
Umsatzsteuer unterlegen hätten; dies ergebe sich aus den Europäischen Gemeinschaftsrichtlinien. Er bezog sich dabei auf die Bestimmungen der 6. Richtlinie des
Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.269 Das LG Bonn hielt dieses Verteidigungsvorbringen für unbeachtlich und verurteilte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung: "Die Kammer glaubt dem Angeklagten nicht, daß er bei seinen steuerlichen Fachkenntnissen auch nur im entferntesten davon ausging, daß die deutsche
Steuergesetzgebung durch Europäische Gemeinschaftsrichtlinien außer Kraft gesetzt wird." Hiergegen legte der Angeklagte Revision zum BGH ein, der das Urteil
mit der Begründung aufhob, daß die darin zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung der Strafkammer, innerstaatliches Recht gehe dem Gemeinschaftsrecht der
EG - insbesondere den Regelungen der Richtlinien - stets vor, unzutreffend sei.
Zwar entfalte die Richtlinie gegenüber dem einzelnen Marktbürger keine unmittelbare Wirkung, sondern wende sich ausschließlich an die Mitgliedstaaten. Diese
seien allerdings verpflichtet, ihr nationales Recht an die Bestimmungen der Richtlinien anzupassen. Erfolge die Umsetzung der Richtlinien nicht innerhalb der vorgesehenen Frist, so könne sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH270 auch
ein einzelner davon betroffener Marktbürger auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, wenn diese so klar umrissen seien, daß sie auch ohne Durchführungsmaßnahmen des nationalen Gesetzgebers angewendet werden könnten.271
268 BGHSt 37, S. 168 ff.
269 Richtlinie des Rates 77/388/EWG, ABl. vom 13.6.1977, L 145, S. 1. Götz, NJW
1992, 1851, weist darauf hin, daß durch inzwischen 14 Richtlinien des Rates zur
Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts die gesamte Steuerstruktur der Umsatzsteuer Gegenstand des Gemeinschaftsrechts sei.
270 So EuGH, Slg. 1982, S. 53; EuGH, RIW 1986, 739; EuGH, HFR 1988, S. 594 jeweils mit weiteren Nachweisen.
271 BGHSt 37, S. 168 (175).
69
6.4
Richtlinienkonforme Auslegung
2033
Richtlinienkonforme Auslegung des Bilanzstrafrechts
Ähnliche Auswirkungen wie im Steuerstrafrecht entfaltet das Gemeinschaftsrecht im Bilanzstrafrecht. Das deutsche Bilanzrichtliniengesetz vom
19.12.1985272 faßt die 4., 7. und 8. Richtlinie des Rates273 zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts zusammen und setzt diese damit in das deutsche Recht um. Die Vorgaben durch die genannten Richtlinien betreffen vor
allem Kapitalgesellschaften und führen in diesem Bereich zu erhöhten Anforderungen an die Rechnungslegung und Bilanzierung. Die bilanzstrafrechtlichen Vorschriften wurden für Kapitalgesellschaften und Genossenschaften weitgehend vereinheitlicht; sie finden sich nunmehr in §§ 331 ff.
Handelsgesetzbuch (HGB). Insbesondere wurden diejenigen Vorschriften in
das HGB übernommen, die im Zusammenhang mit der Aufstellung, Prüfung
und Offenlegung der Bilanzen der Kapitalgesellschaften stehen. Gleichzeitig
wurden Regelungen aus dem Aktiengesetz (AktG), Gesetz betreffend die
Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) und Publizitätsgesetz
(PublG) in das HGB aufgenommen und durch die in den genannten Richtlinien geforderten zusätzlichen Strafvorschriften ergänzt. Diese Reform hat
insbesondere für die GmbH (nicht für die GmbH & Co KG) zu einer Verschärfung der strafrechtlichen Rechtslage geführt.274 Inzwischen wurden
auf dem Gebiet der Rechnungslegung weitere Richtlinien erlassen, die sich
schwerpunktmäßig mit dem Jahresabschluß befassen und daher künftig auch
in strafrechtlicher Hinsicht für die Mitgliedstaaten bedeutsam werden können.275
272 BGBl. 1985 I S. 2355.
273 4. Richtlinie vom 25.7.1978 über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen, ABl. 1978, L 222, S. 11 ff.; 7. Richtlinie vom 13.6.1983 über den
konsolidierten Abschluß, ABl. vom 18.7.1983, L 193; 8. Richtlinie vom 10.4.1984
über die Zulassung der mit der Pflichtprüfung der Rechnungslegungsunterlagen beauftragten Personen, ABl. vom 12.5.1984, L 126.
274 Tiedemann, in: Krekeler/Tiedemann u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, 1985 ff. (1987), S. 2.
275 Richtlinie vom 8.12.1986 über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß
von Banken und anderen Finanzinstituten, ABl. vom 31.12.1986, L 372 und das
nachfolgende Bankbilanzrichtlinien-Gesetz vom 30.11.1990, BGBl. 1990 I S. 2570
sowie Richtlinie vom 13.2.1989 über die Pflichten der in einem Mitgliedstaat eingerichteten Zweigniederlassungen von Kreditinstituten und Finanzinstituten mit Sitz
außerhalb dieses Mitgliedstaates zur Offenlegung von Jahresabschlußunterlagen,
ABl. vom 16.1.1989, L 44. Vgl. auch Europa-Dokumente: Die Angleichung des Bilanzrechts in der Europäischen Gemeinschaft, EWS 1991, 67 ff.
2034
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
70
Im Vordergrund der Auseinandersetzung mit dem Einfluß dieser EG-Bilanzrichtlinien auf das nationale Recht stehen die Fragen des Bilanzrechts.276 Zunehmend wird aber auch zu strafrechtlichen Auslegungsproblemen Stellung genommen. Den Mittelpunkt des Interesses bildet dabei
zum einen die richtlinienkonforme Auslegung der "Generalnorm" der Rechnungslegung,277 des § 264 Abs. 2 HGB,278 die für den Jahresabschluß der
Kapitalgesellschaft - entsprechend dem angelsächsischen Konzept eines
"true and fair view" - ein "den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes
Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage" fordert. Zum anderen wird
erörtert, ob der Jahresabschlußbegriff den Anhang umfaßt. Nach der Legaldefinition des § 242 Abs. 3 HGB, auf den § 264 HGB für Kapitalgesellschaften ausdrücklich verweist, bilden nur die Bilanz und die Gewinn- und
Verlustrechnung den Jahresabschluß. Allerdings schreibt § 264 HGB zugleich vor, daß der Jahresabschluß (§ 242) um einen Anhang zu erweitern
ist, der mit der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit
bildet. Wenn man die Legaldefinition konsequent anwendet, ist der Anhang
grundsätzlich nicht vom Jahresabschluß umfaßt. Gleichwohl wird im strafrechtlichen Schrifttum überwiegend die Ansicht vertreten, der Anhang sei in
den strafrechtlichen Schutz insoweit einzubeziehen, als sein Inhalt für das
Verständnis von Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung von Bedeutung
sei.279 Weitergehend will eine Mindermeinung den Anhang unter Rückgriff
auf die 4. Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß von Gesellschaften
bestimmter Rechtsformen als Bestandteil des Abschlusses der Kapitalgesellschaft unter den Begriff des Jahresabschlusses subsumieren.280
6.5
Richtlinienkonforme Auslegung des Lebensmittelstrafrechts
In der Bundesrepublik Deutschland, in der die Verantwortung des Herstellers und Inverkehrbringers von Lebensmitteln noch immer durch die von
276 Vgl. Everling, ZGR 1992, 383, der auf Hartung, RIW 1988, 52 sowie Herber, in:
Festschrift für Doellerer, 1988, S. 225, verweist.
277 Ludewig, AG 1987, 12.
278 Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, 1993, S. 198 ff.
279 So Dannecker, in: Blumers/Frick/Müller (Hrsg.), Betriebsprüfungshandbuch, Stand
1989, K 609; Otto, in: Heymann, Handelsgesetzbuch, 1989, § 331 Rdnr. 19; Tiedemann, in: Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 8. Aufl. 1993, Rdnr. 70 vor
§§ 82 ff.; vgl. auch Cobet, Fehlerhafte Rechnungslegung, 1991, S. 50 ff., der dieses
Ergebnis u.a. auf die europafreundliche Auslegung des deutschen Rechts stützt.
280 Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, 1991, S. 196 ff.
71
Richtlinienkonforme Auslegung
2035
der Rechtsprechung vertretene Kettenverantwortlichkeit geprägt ist,281 wird
die Begrenzung der lebensmittelstrafrechtlichen Sorgfaltspflichten durch
das EG-Recht diskutiert. Die Verpflichtung, Lebensmittel, die gegen die
Vorschriften zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz gegen Irreführung
verstoßen, nicht in den Verkehr zu bringen, trifft grundsätzlich jeden Inverkehrbringer - vom Hersteller über den Importeur bis zum Einzelhändler.
Nachdem der Handel mit seinen Bemühungen um eine differenzierte Stufenverantwortung nicht durchdringen konnte, wurde dieses Ergebnis nunmehr durch die Richtlinie des Rates vom 29.6.1992 über die allgemeine Produktsicherheit282 erreicht. Diese Richtlinie, die auch auf Lebensmittel
Anwendung findet, soll sicherstellen, daß Produkte bei normaler Verwendung keine Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit von Personen begründen einschließlich solcher Gefahren, die sich aus der Aufmachung oder
Etikettierung des Produkts ergeben (Art. 2b). In Art. 3 sind die Verkehrspflichten des Herstellers und des Händlers dergestalt geregelt, daß sie in der
Sache weitgehend der in der lebensmittelrechtlichen Literatur geforderten
differenzierten Stufenverantwortung entsprechen.283 Diese Vorgaben sollen
im Wege der gemeinschaftskonformen Auslegung zu berücksichtigen sein
und die lebensmittelrechtlichen Verkehrspflichten des Handels begrenzen.284 Daß es sich um zugleich strafbewehrte Verbote handelt, soll einer
EG-rechtlichen Auslegung nicht entgegenstehen, zumal durch die Berücksichtigung des EG-Rechts die strafbewehrten Pflichten nicht ausgeweitet,
sondern eingeschränkt würden.285
Weitere strafrechtliche Folgen werden daraus hergeleitet, daß die Sorgfaltspflichten des Importeurs keine handelshemmende Wirkung haben dürfen.
So hat der EuGH schon in einem Urteil vom 11.6.1987286 festgestellt, daß
nationale Kontrollverfahren nicht mit unangemessenen Kosten oder Verzögerungen verbunden sein dürfen. Außerdem müsse es dem Importeur freistehen, die Kontrolle durch Vorlage von Dokumenten zu ersetzen, die
281 Eingehend dazu Hufen, Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen lebensmittelstrafrechtlicher Verantwortung, 1987, S. 34 ff.; Zipfel, ZLR 1985, 211.
282 ABl. vom 11.8.1992, C 228, S. 24.
283 Eingehend zu Informations-, Untersuchungs- und Rücknahmepflichten Meier, ZLR
1992, 567 ff.
284 Meier, ZLR 1992, 563 ff.
285 Dannecker, ZLR 1993, 261.
286 EuGH, Slg. 1987, S. 2525 ff. - (Rs 406/85: Procureur de la République/Daniel Gofette und Alfred Gillard).
2036
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
72
im Ausfuhr-Mitgliedstaat ausgestellt wurden, sofern diese die erforderlichen
Angaben auf der Grundlage bereits durchgeführter Kontrollen enthalten.
Das bedeutet die Anerkennung von Zertifikaten aus den Mitgliedstaaten,
wenn die vorgelegten Ergebnisse gleichwertig mit nationalen Untersuchungen sind. Diese EG-rechtlichen Vorgaben sollen als Konkretisierung der
Verantwortungsbereiche die Anforderungen an die lebensmittelrechtlichen
Sorgfaltspflichten begrenzen.287
Bezüglich der Frage, ob verschärfte lebensmittelrechtliche und insbesondere
lebensmittelstrafrechtliche Anforderungen auf nationaler Ebene beibehalten
werden dürfen, wird auf Art. 36 EGV verwiesen, nach dem die Mitgliedstaaten zur Sicherung eines effektiven Gesundheitsschutzes zuständig
sind, wenn eine Harmonisierung auf EG-Ebene nicht stattgefunden hat. So
ist es nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Sache der Mitgliedstaaten,
unter Berücksichtigung sowohl der Ernährungsgewohnheiten ihrer Bevölkerung als auch der Erfordernisse des freien Warenverkehrs innerhalb der
Gemeinschaft zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen.288 Deshalb
wird es als zulässig angesehen, im Falle einer erkennbaren Gefahr eine über
die Produktsicherheitsrichtlinie hinausgehende Verantwortung des Verarbeiters oder Inverkehrbringers anzuerkennen und für Pflichtverletzungen
strafrechtliche Sanktionen anzudrohen.289
6.6
Schrifttumsverzeichnis
Beisse, Grundsatzfragen der Auslegung des neuen Bilanzrechts. BB 1990, 2007 ff.
Bleckmann, Gemeinschaftsrechtliche Probleme des Entwurfs des BilanzrichtlinienGesetzes. BB 1984, 1525 ff.
-
Artikel: "Die Richtlinie im Europäischen Gemeinschaftsrecht und im Deutschen Recht". In: Leffson/Rückle/Großfeld (Hrsg.), Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB. 1986, S. 28 ff.
Cobet, Fehlerhafte Rechnungslegung. 1991.
287 Dannecker, ZLR 1993, 262.
288 EuGH, Slg. 1983, S. 2445; EuGH, Slg. 1985, S. 3887; EuGH, Slg. 1986, S. 1511;
näher dazu Streinz, WuV 1993, 15 f.
289 Dannecker, ZLR 1993, 263.
73
Richtlinienkonforme Auslegung
2037
Dannecker, Strafrechtliche Folgen. In: Blumers/Frick/Müller (Hrsg.), Betriebsprüfungshandbuch. Stand 1989, K.
-
Strafrechtliche und strafprozessuale Probleme der Kooperation von Behörden
und Unternehmen im Lebensmittelrecht. ZLR 1993, 251 ff.
Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften. 1985.
Everling, Rechtsvereinheitlichung durch Richterrecht in der Europäischen Gemeinschaft. RabelsZ 1986, 193 ff.
-
Zur Auslegung des durch EG-Richtlinien angeglichenen nationalen Rechts.
ZGR 1992, 376 ff.
di Fabio, Richtlinienkonformität als ranghöchstes Normauslegungsprinzip? NJW
1990, 947 ff.
Franzheim/Kreß, Die Bedeutung der EWG-Richtlinien über Abfälle für den strafrechtlichen Abfallbegriff - Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des
BGH vom 26.2.1991. JR 1991, 402 ff.
Götz, Europäische Gesetzgebung durch Richtlinien - Zusammenwirken von Gemeinschaft und Staat. NJW 1992, 1849 ff.
Hartung, Unmittelbare Wirkung der Bestimmungen der EG-Bilanzrichtlinie. RIW
1988, 52 ff.
Henke, EuGH und Umweltschutz. Die Auswirkungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften auf das Umweltschutzrecht in
Europa. 1992.
Herber, Hat der deutsche Richter das Bilanzrichtliniengesetz an den ihm zugrundeliegenden EG-Richtlinien zu messen? In: Festschrift für Doellerer.
1988, S. 225 ff.
Heymann, Handelsgesetzbuch. 1989.
Hufen, Verfassungsrechtliche Maßstäbe und Grenzen lebensmittelstrafrechtlicher
Verantwortung. 1987.
Hugger, Zur strafbarkeitserweiternden richtlinienkonformen Auslegung deutscher
Strafvorschriften. NStZ 1993, 421 ff.
Krisch, Die Steuerhehlerei, § 374 AO. Eine Normanalyse unter Berücksichtigung
des Vergleichstatbestandes § 259 StGB. 1993.
Ludewig, Die Einflüsse des "true and fair view" auf die zukünftige Rechnungslegung. AG 1987, 12 ff.
2038
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
74
Meier, Die lebensmittelrechtlichen Verkehrspflichten des Handels nach der Produktsicherheitsrichtlinie 92/59/EWG. ZLR 1992, 563 ff.
Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz. 8. Aufl. 1993.
Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts. 1993.
Sevenster, Criminal Law and EC Law. CMLR vol. 29 (1992), S. 29 ff.
Sieber, Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. ZStW 103 (1991),
S. 957 ff.
Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht. Die Überprüfung grundrechtsbeschränkender Begründungsund Vollzugsakte von Europäischem Gemeinschaftsrecht durch das Bundesverfassungsgericht. 1989.
-
Deutsches und Europäisches Lebensmittelrecht. Der Einfluß des Rechts der
Europäischen Gemeinschaften auf das deutsche Lebensmittelrecht. WuV
1993, 1 ff.
Thomas, Die Anwendung des europäischen materiellen Rechts im Strafverfahren.
NJW 1991, 2233 ff.
Tiedemann, Artikel: "Bilanzstrafrecht". In: Krekeler/Tiedemann u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. 1985 ff. (1987), S. 1 ff.
-
Der Strafschutz der Finanzinteressen der Europäischen Gemeinschaft. NJW
1990, 2226 ff. = Rivista Trimestrale di Diritto Penale dell'Economia 1991,
S. 513 ff.
-
Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht. NJW 1993, 23 ff.
Tomuschat, Aller guten Dinge sind III? Zur Diskussion um die Solange-Rechtsprechung des BVerfG. EuR 1990, 340 ff.
v. Wilmowsky, Abfallwirtschaft im Binnenmarkt. 1990.
Zipfel, Die Sorgfaltspflicht im geltenden Lebensmittelrecht. ZLR 1985, 211 ff.
Zuleeg, Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration. JZ 1992, 761 ff. =
In: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. 1993,
S. 41 ff.
-
Umweltschutz in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. NJW
1993, 31 ff.
7.
Sonstige Begrenzungen des nationalen Strafrechts
durch das Gemeinschaftsrecht
Obwohl die Mitgliedstaaten nach wie vor für das Straf- und Strafverfahrensrecht zuständig sind, setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit
Schranken.290 Deshalb wird in der Literatur hervorgehoben, daß das noch
immer stark ausgeprägte Souveränitätsdenken der Mitgliedstaaten auf dem
Gebiete des Strafrechts vielfach nicht mehr der Realität entspreche.291 In
diesem Zusammenhang sind insbesondere die Entscheidungen des EuGH
zum Diskriminierungsverbot, zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, zum Rückwirkungsverbot und zum Stand-Still-Gebot hervorzuheben.292
7.1
Verbot der Diskriminierung
Im Fall "Cowan"293 befaßte sich der EuGH mit der Verteilung der Zuständigkeit zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten auf den Gebieten des Straf- und Strafverfahrensrechts.
Während eines kurzen Aufenthaltes in Frankreich wurde der britische Staatsangehörige Cowan am Ausgang einer Pariser U-Bahnstation von Unbekannten überfallen und schwer verletzt. Nach Art. 706-3, 706-13 der französischen Strafprozeßordnung (Code de procédure pénale) steht in solchen Fällen einem französischen
Staatsbürger, selbst wenn er nicht in Frankreich wohnt, sowie Personen, die entweder im Besitz einer "Fremdenkarte" sind oder aus einem Staat kommen, der sich
einem entsprechenden Gegenseitigkeitsabkommen angeschlossen hat, eine Entschädigung zu. Cowan, der keine der genannten Voraussetzungen erfüllte, verlangte dennoch diese Entschädigung von der französischen Staatskasse, die die Zahlung
verweigerte. Als EG-Angehöriger sah Cowan in dem ablehnenden Verhalten der
französischen Regierung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus
Gründen der Staatsangehörigkeit nach Art. 7 Abs. 1 EWGV a.F. (= Art. 6 Abs. 1
EGV).
Im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH294 machte die französische
Regierung geltend, daß das Strafverfahrensrecht nicht in den Anwendungs290 Vgl. dazu Zuleeg, JZ 1992, 762.
291 Vgl. dazu Dine, Crim.L.R. 1993, 246 ff.; Sevenster, CMLR vol. 29 (1992), S. 39.
292 Vgl. zu den nachfolgenden Entscheidungen auch Tiedemann, NJW 1993, 25 ff.;
Zuleeg, JZ 1992, 764 ff.
293 EuGH, Slg. 1989, S. 195 ff. - (Rs 186/87: Cowan/Trésor public).
294 Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein Inzidentverfahren, in dem - als prozessuales Zwischenverfahren - die vom nationalen Richter formulierte Rechtsfrage seitens
des EuGH in Form eines Urteils verbindlich entschieden wird. Bei den von den nationalen Richtern formulierten Fragen muß es sich allerdings um abstrakt-generell
2040
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
76
bereich des EWG-Vertrages gehöre und daß aus diesem Grund auch die
französischen Entschädigungsregelungen nicht auf ihre Vereinbarkeit mit
Art. 7 Abs. 1 EWGV a.F. hin überprüft werden könnten. In seiner Entscheidung bestätigte der EuGH,295 daß die Mitgliedstaaten zwar nach wie vor für
das Straf- und Strafverfahrensrecht zuständig seien, daß sie aber gleichwohl
gegen das Gleichheitsgebot verstoßende nationale Vorschriften nicht anwenden dürften;296 auch nationale Straf- und Strafverfahrensvorschriften
dürften weder zur Diskriminierung einer Person führen, der das Gemeinschaftsrecht einen Gleichbehandlungsanspruch verleihe, noch die vom Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten beeinträchtigen.297 Dem
Verbrechensopfer kam letztlich die Dienstleistungsfreiheit zugute, auf die
bereits Generalanwalt Lenz in seinem Schlußantrag hingewiesen hatte.298
Damit stand dem britischen Staatsangehörigen Cowan ein Ersatzanspruch
gegen die französische Staatskasse zu.
Im Fall "Drexl"299 stellte sich die Frage, ob das Verbot der Diskriminierung
auch bezüglich der Gleichartigkeit der Strafe gilt.
Drexl, ein deutscher Staatsangehöriger, wohnte in Italien. Er kaufte sich in
Deutschland ein Kraftfahrzeug, wo es auch zugelassen wurde, und zahlte die deutsche Mehrwertsteuer in Höhe von damals 13 %. Zwei Jahre später wurde Drexl
von der italienischen Finanzpolizei unter dem Vorwurf des sog. "Bannbruchs" festgenommen, weil er bei der Einfuhr des Fahrzeugs nicht die italienische Mehrwertsteuer in voller Höhe von 18 % bezahlt hatte. Daraufhin wurde das Fahrzeug
beschlagnahmt und gegen Drexl ein Strafverfahren eingeleitet. Mit Urteil vom
7.5.1986 wurde Drexl wegen Hinterziehung der Mehrwertsteuer von einem italienischen Gericht zur Zahlung von 1,6 Mio. Lire verurteilt und das Fahrzeug eingezogen. Gegen dieses Urteil wandte sich Drexl, weil das italienische Recht für Ver-
295
296
297
298
299
formulierte Fragen handeln; andernfalls darf der EuGH nicht entscheiden. Dieses
Verfahren gibt dem EuGH die Möglichkeit, das ihm gemäß Art. 164 EGV, Art. 136
EAGV sowie Art. 31 EGKSV zustehende "Auslegungsmonopol" für alle Fragen des
Gemeinschaftsrechts zu verwirklichen.
EuGH, Slg. 1989, S. 221 f. - (Cowan/Trésor public).
Ebenso EuGH, Slg. 1988, S. 371 ff. - (Barra/Belgischer Staat).
Ähnlich bereits EuGH, CMLR 1972, 723 - (Il Publico Ministero/Spa Agricola Industria Latte); dazu Bridge, Crim.L.R. 1976, 95; vgl. auch EuGH, Slg. 1981, S. 2595
(2618) - (Casati).
EuGH, Slg. 1989, S. 203 ff. - (Cowan/Trésor public). Im übrigen vgl. die grundlegende Entscheidung EuGH, Slg. 1964, S. 1251 ff. - (Rs 4/64: Costa/ENEL) mit ihrer These vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts.
EuGH, Slg. 1988, S. 1213 ff. - (Drexl).
77
Sonstige Begrenzungen des nationalen Strafrechts
2041
stöße gegen das Mehrwertsteuerrecht im Zusammenhang mit Importen nach Italien
höhere Sanktionen androhte als für vergleichbare Verstöße bei Inlandsgeschäften.
Der EuGH300 hielt diese Rechtslage für mit Art. 95 EWGV nicht vereinbar,
weil die unterschiedliche Behandlung außer Verhältnis zu der Verschiedenheit der beiden Kategorien von Verstößen stehen würde. Trotz fehlender
Kompetenz der Gemeinschaft im Bereich des nationalen Straf- und Strafverfahrensrechts ziehe das Gemeinschaftsrecht den nationalen Rechtsvorschriften Grenzen, wenn sich, wie hier, die Rechtsvorschrift auf die von
Art. 95 EWGV gewollte Neutralität der inländischen Abgaben im Hinblick
auf den innergemeinschaftlichen Handel und auf das reibungslose Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auswirke. Das Urteil gegen
Drexl konnte daher nicht aufrecht erhalten werden.
7.2
Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber
nationalem Strafrecht und Rückwirkungsverbot
Im Fall "Donckerwolcke"301 befaßte sich der EuGH mit dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Strafrecht.
Die zwei Angeklagten hatten als belgische Kaufleute in den Jahren 1969 und 1970
aus dem Libanon und aus Syrien stammende Stoffe aus synthetischen Fasern sowie
Packsäcke nach Frankreich eingeführt. Die Stoffe waren in Belgien ordnungsgemäß in den freien Verkehr gebracht und anschließend mit von belgischen Zollbehörden ausgestellten EG-Warenverkehrsbescheinigungen nach Frankreich verbracht worden. In diesen Bescheinigungen, die die ordnungsgemäße Zulassung der
Waren zum freien Verkehr i.S. von Art. 9 Abs. 2 EWGV belegten, war das Ursprungsland der Ware nicht angegeben. Bei der Einfuhr nach Frankreich wurde
die Ware auf einem französischen Zollformular als aus der belgisch-luxemburgischen Wirtschaftsunion stammend deklariert, weil sie in Belgien in den Warenverkehr überführt worden war. Nachdem die französischen Behörden diese Unrichtigkeit festgestellt hatten, wurden die Kaufleute vom Tribunal correctionnel in
Lille wegen Verstoßes gegen die französischen Zollvorschriften zu Freiheitsstrafen
von einem Monat bzw. drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, zu
Geldstrafen in Höhe des Wertes der eingeführten Waren anstelle der Einziehung der Waren, die nicht beschlagnahmt werden konnten, sowie zu einer zusätzlichen Geldstrafe in Höhe des doppelten Warenwertes verurteilt. Die Kaufleute sahen in der Verpflichtung, das Ursprungsland nochmals angeben zu müssen, obwohl
der Gemeinschaftsstatus der Ware bereits durch die EG-Warenverkehrsbescheinigung dokumentiert worden war, eine Beschränkung, die die gleiche Wir-
300 EuGH, Slg. 1988, S. 1213 ff. - (Drexl).
301 EuGH, Slg. 1976, S. 1921 ff. - (Rs 41/76: Donckerwolcke/Procureur de la République).
2042
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
78
kung wie eine mengenmäßige Beschränkung hätte und damit gegen Art. 30 EWGV
verstoßen würde.
Der EuGH302 stellte fest, daß zwar die Verpflichtung eines Importeurs, das
Ursprungsland angeben zu müssen, an sich keine Maßnahme mit gleicher
Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstelle und daher prinzipiell mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Jedoch falle eine Verpflichtung unter das Verbot des Art. 30 EWGV, wenn der Importeur verpflichtet
würde, hinsichtlich des Ursprunges etwas anderes anzugeben, als er wisse
oder vernünftigerweise wissen könne, oder wenn im Falle eines Verstoßes
gegen eine solche Verpflichtung Sanktionen verhängt würden, die zu dem
Verstoß gegen eine bloße Ordnungsvorschrift außer Verhältnis stehen. Nach
der nationalen Regelung sei das Risiko des Importeurs wesentlich höher als
das eines innerstaatlicheen Handeltreibenden, weil letzterer nicht das Ursprungsland angeben müsse, und ihm infolgedessen hierbei auch keine Fehler unterlaufen könnten. Diese Schlechterstellung des Importeurs gegenüber
seinem inländischen Konkurrenten behindere daher den Warenverkehr.303
Dies widerspreche aber den Zielen des EWG-Vertrages, so daß auch die Anwendung dieser Regelung durch die französische Rechtsprechung und damit
die verhängten Strafsanktionen nicht aufrecht erhalten werden könnten.304
Im Fall "Kirk"305 stellte sich die Frage nach der Geltung des Rückwirkungsverbots im Gemeinschaftsrecht.
Der Angeklagte war von einem nationalen Gericht auf der Grundlage einer Norm
verurteilt worden, die zur Zeit der Tathandlung nicht mit dem Gemeinschaftsrecht
vereinbar war, sondern mit diesem kollidierte. Erst später wurde eine neue Richtlinie erlassen, die nicht mehr mit der nationalen Strafnorm kollidierte. Damit stellte
sich die Frage, ob sich Kirk noch auf die "ältere", zwischenzeitlich aufgehobene
Gemeinschaftsnorm berufen konnte, die einer Bestrafung entgegengestanden hatte,
oder ob auf die zwischenzeitlich erlassene Richtlinie abzustellen war, nach der das
nationale Recht wieder anwendbar war.
302 EuGH, Slg. 1976, S. 1937 f. - (Donckerwolcke/Procureur de la République).
303 Vgl. auch EuGH, Slg. 1989, S. 1105 - (Boucharaa).
304 Zur Unverhältnismäßigkeit von Sanktionen im Falle der Verletzung der Ausweisoder Meldepflicht, wenn jemand von seinem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der
Gemeinschaft Gebrauch gemacht hat, vgl. EuGH, Slg. 1976, S. 1185 (1199) - (Rs
118/75: Walson und Belman); EuGH, Slg. 1977, S. 1495 (1506) - (Rs 8/77: Sagulo); EuGH, Slg. 1981, S. 3305 - (Rs 297/80: Webb); EuGH, Slg. 1977, S. 2261
(2280) - (Rs 52/77: Cayrol/Rivoira).
305 EuGH, Slg. 1984, S. 2689 - (Rs 63/83: Regina/Kirk).
79
Sonstige Begrenzungen des nationalen Strafrechts
2043
Der EuGH306 stellte fest, daß das Rückwirkungsverbot von Strafmaßnahmen auch auf Gemeinschaftsebene gilt. Eine Handlung, die zum Begehungszeitpunkt wegen entgegenstehenden EG-Rechts nicht strafbar gewesen
war, dürfe unter keinen Umständen rückwirkend bestraft werden. Es wurde
also bestätigt, daß der Grundsatz, daß das EG-Recht Anwendungsvorrang
vor nationalem Recht hat, auch im Strafrecht gilt, daß aber eine Bestrafung
nur zulässig ist, wenn nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen wird.
Im Fall "Auer"307 mußte sich der EuGH mit folgendem Sachverhalt befassen:
Auer, ein Österreicher, hatte in Italien Veterinärmedizin studiert und sein Examen
abgelegt. Er praktizierte sodann im Elsaß und verstieß damit gegen einen französischen Straftatbestand, der ein französisches Diplom erforderte. Allerdings sah eine
noch nicht umgesetzte EG-Richtlinie die Anerkennung aller in der EG erworbenen
Diplome vor.
Der Gerichtshof stützte sich auf den Vorrang des EG-Rechts und hielt das
französische Gesetz wegen Kollision mit der Richtlinie für nicht anwendbar.308
7.3
Zulässigkeit von strengeren als im Gemeinschaftsrecht
vorgesehenen nationalen Tatbestandsvoraussetzungen
und Stand-Still-Gebot
Die Verpflichtung eines Mitgliedstaates, die Einhaltung EG-rechtlicher Vorschriften sicherzustellen, hindert diesen nicht daran, eine schärfere strafrechtliche Verantwortlichkeit zu statuieren, als die Verordnung vorschreibt. Dies hat der EuGH im Fall "Hansen"309 dargelegt.
Die dänische Firma Hansen & Son I/S war als Arbeitgeberin eines Fahrers wegen
dessen Zuwiderhandlung gegen die die tägliche Höchstlenkzeit und die vorgeschriebene Tagesruhe betreffenden Art. 7 Abs. 2 und 11 der Verordnung (EWG)
543/69 zu einer Kriminalstrafe verurteilt worden, obwohl fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten nicht vorgeworfen werden konnte. Nach Art. 9 der dänischen Ministerialverordnung 448 vom 2.6.1981 war ein solcher Schuldvorwurf auch nicht
erforderlich. Die Firma Hansen sah in der rein objektiven, die subjektive Tatseite
306
307
308
309
EuGH, Slg. 1984, S. 2718 - (Regina/Kirk).
EuGH, Slg. 1983, S. 2739.
EuGH, Slg. 1983, S. 2739 ff.
EuGH, Slg. 1990, S. 2911 - (Rs C-326/88: Anklagemyndigheden/Hansen).
2044
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
80
nicht berücksichtigenden Verantwortlichkeit einen Verstoß gegen die Regelung der
VO (EWG) 543/69 und der dieser nachfolgenden VO (EWG) 3820/85, da diese
eine derartige strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht vorsähen.
Im Rahmen eines Vorlageverfahrens stellte der EuGH zunächst fest, daß die
Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 18 der einschlägigen Verordnung, "die notwendigen Vorschriften zu erlassen, um die Einhaltung der
Grenzen sicherzustellen", es dem nationalen Gesetzgeber freistelle, eine
objektive Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für Zuwiderhandlungen seiner Arbeiter zu statuieren.310 Erforderlich sei lediglich, "daß die vorgesehene Sanktion den Sanktionen entspricht, die bei gleichartigen und gleich
schweren Verstößen gegen nationale Rechtsvorschriften gelten, und sofern
diese Sanktion der Schwere der begangenen Zuwiderhandlung angemessen
ist".311 Nach Ansicht des EuGH ist der nationale Gesetzgeber also berechtigt, die Gemeinschaftsregelung mittels strengerer als im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Maßnahmen durchzusetzen.
Schüppen312 kommt jedoch im Zusammenhang mit § 331 HGB zu dem Ergebnis, daß diese Vorschrift nicht angewendet werden dürfe, weil nur bei
Erlaß der Richtlinie bereits vorhandene schärfere Vorschriften fortbestehen
dürften, daß hingegen der Neueinführung strengerer Vorschriften das Gebot
des "stand still"313 entgegenstehe, das eine "Fortschrittskompetenz" der Gemeinschaft begründe, selbst auf die Gefahr hin, daß rechtlicher Fortschritt
unterbleibt. Von diesen Grundsätzen sei auch für die 4. Richtlinie des Rates
über den Jahresabschluß von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen314
auszugehen. Demgegenüber hatte Bleckmann die Ansicht vertreten, daß diese Richtlinie nur Minimalbedingungen festlege, die überschritten werden
dürften.315 Er begründete dies damit, daß die Richtlinie nur ergehen dürfe,
um die Gesellschafter und Dritte zu schützen; der begrenzte Schutzzweck
der Ermächtigungsnorm sei bei der Auslegung der Richtlinie zu berücksichtigen.
310
311
312
313
314
315
EuGH, Slg. 1990, S. 2934 - (Anklagemyndigheden/Hansen).
EuGH, Slg. 1990, S. 2937 - (Anklagemyndigheden/Hansen).
Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, 1993, S. 190 ff.
Eingehend dazu Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1991, S. 16 f.
Siehe zu dieser Richtlinie bereits oben 6.4.
Bleckmann, BB 1984, 1525.
81
Sonstige Begrenzungen des nationalen Strafrechts
2045
Im Fall "Wurmser"316 stellte sich im Rahmen eines Strafverfahrens gegen
die Verantwortlichen einer französischen Aktiengesellschaft die Frage, ob
Bestrafungen aufgrund des einschlägigen Gesetzes über Betrug und Fälschungen bei Erzeugnissen oder Dienstleistungen mit dem Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen nach Art. 30
EWGV vereinbar sind.
Die Angeklagten veräußerten aus Italien und Deutschland nach Frankreich eingeführte Textilien, deren Zusammensetzung aufgrund der Rechnungen der Lieferanten falsch angegeben waren. Dabei waren sie ihrer Prüfungspflicht als Importeur
nicht nachgekommen.
Der EuGH betrachtete zwar die Prüfungspflicht des Einführers als Hindernis
für den freien Handel, gestand dem Mitgliedstaat aber das Recht zu, die
Redlichkeit der Handelsgeschäfte und die Verbraucher durch Strafrechtsbestimmungen zu schützen, solange keine gemeinschaftsrechtliche Regelung
vorhanden ist. Die Maßnahmen müßten jedoch für einen wirksamen Schutz
des betreffenden allgemeinen Interesses notwendig sein. Das Ziel dürfe
nicht durch Maßnahmen erreichbar sein, die den gemeinschaftlichen Handel
weniger beeinträchtigen. Die Strafbarkeit des jeweiligen Betroffenen im
Einfuhrstaat scheide jedenfalls dann aus, wenn er, der Importeur, sich auf
eine Bescheinigung des Herstellungslandes stützen könne, die über die Zusammensetzung des Erzeugnisses Auskunft gibt.317
7.4
Schrifttumsverzeichnis
Bernardi, "Principi di diritto" e diritto penale europeo. In: Annali dell'Università di
Ferrara. Nuova Serie - vol. II (1988), S. 75 ff.
-
Sulle funzioni dei principi di diritto penale. In: Annali dell'Università di Ferrara. Nuova Serie - vol. VI (1992), S. 59 ff.
Bleckmann, Gemeinschaftsrechtliche Probleme des Entwurfs des BilanzrichtlinienGesetzes. BB 1984, 1525 ff.
Bridge, The European Communities and the Criminal Law. Crim.L.R. 1976, 88 ff.
Dine, European Community Criminal Law? Crim.L.R. 1993, 246 ff.
316 EuGH, Slg. 1989, S. 1105 - (Wurmser).
317 EuGH, Slg. 1989, S. 1127 ff. - (Wurmser).
2046
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
82
Grasso, La protezione dei diritti fondamentali nell'ordinamento comunitario e i
suoi riflessi sui sistemi penali degli stati membri. Rivista internazionale diritti
dell'uomo 1990, 617 ff.
Lutter, Europäisches Gesellschaftsrecht. 3. Aufl. 1991.
Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts. 1993.
Sevenster, Criminal Law and EC Law. CMLR vol. 29 (1992), S. 29 ff.
Tiedemann, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht. NJW 1993, 23 ff.
Zuleeg, Der Beitrag des Strafrechts zur europäischen Integration. JZ 1992, 761 ff. =
In: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht. 1993,
S. 41 ff.
8.
Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaft
Der EG-Vertrag droht selbst keine Sanktionen an, ermächtigt aber in
Art. 87 Abs. 2 Buchst. a i.V.m. Abs. 1 EGV den Rat zur Einführung von
Geldbußen und Zwangsgeldern durch entsprechende Verordnungen, um die
in Art. 85 Abs. 1 - Verbot wettbewerbshindernder Vereinbarungen oder Beschlüsse - und nach Art. 86 - Mißbrauch einer den Markt beherrschenden
Stellung - genannten Verbote zu gewährleisten. Von dieser Ermächtigung
hat der Rat erstmalig durch die Verordnung 17/62318 Gebrauch gemacht. In
der Folgezeit wurde das Wettbewerbsrecht einschließlich der Bußgeldsanktionen ausgedehnt und für folgende Bereiche für anwendbar erklärt:
-
Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffverkehr durch die Verordnung
des Rates 1017/68,319
-
Seeverkehr durch die Verordnung des Rates 4056/86,320
-
Luftfahrtunternehmen durch die Verordnung des Rates 3975/87.321
In allen Verordnungen wird ausdrücklich festgestellt, daß die Geldbußen,
welche von der Kommission verhängt werden, "nicht strafrechtlicher Art"
sind. Weiterhin finden sich Geldbußen in Art. 14 der Verordnung 4064/
89322 zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, die verhängt
werden können, wenn unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Anmeldung eines Unternehmenszusammenschlusses gemacht werden.
Der EGKS-Vertrag sieht für den Stahl- und Kohlebereich in mehreren Einzelbestimmungen Geldbußen oder Zwangsgelder vor (Art. 47 Abs. 3, 54
Abs. 6, 58 § 4, 59 § 7, 64, 65 § 5, 66 § 5 Abs. 1, § 6 und § 7, 68 § 6 EGKSV
sowie Art. 3 der Entscheidung 14/64/EGKS über die Pflicht der Unternehmen zur Bereitstellung von Geschäftsbüchern und anderen Unterlagen).323 Neben den Sanktionsvorschriften des Wettbewerbsrechts (Art. 65
§ 5 und Art. 66 § 6 und § 7 EGKSV) haben insbesondere Verstöße gegen
318
319
320
321
322
323
ABl. vom 21.2.1962, L 13, S. 204. Zu dieser VO vgl. näher sogleich unten 8.1.
ABl. 1968, L 175, S. 1.
ABl. 1986, L 378, S. 4.
ABl. 1987, L 374, S. 1.
ABl. 1989, L 395, S. 1.
ABl. 1964, L 120, S. 1967.
2048
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
84
die Erzeugungsquotensysteme auf dem Stahlsektor, welche die Kommission
zur Abwendung von Krisen eingesetzt hat, zu zahlreichen Bußgeldverfahren
geführt.324
Der EAG-Vertrag kennt keine dem EG-Vertrag vergleichbaren Sanktionsregelungen oder Ermächtigungen, sondern sieht nur Zwangsmaßnahmen eigener Art im Rahmen des Betriebs atomrechtlicher Anlagen vor (Art. 83
Buchst. a - d und Art. 144 EAGV).
Am 22.10.1991 wurde der Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum geschlossen, der dieselben Wettbewerbsregeln wie die EG einschließlich supranationaler Geldbußen kennt. Diese Sanktionen werden von
den EFTA-Überwachungsorganen verhängt.325
8.1
Geldbußen des EG-Kartellrechts und das EG-Kartellverfahren
Nach der Verordnung 17/62 kann die Kommission Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensverbände verhängen, wenn schuldhafte Zuwiderhandlungen gegen das materielle Wettbewerbsrecht vorliegen. Sanktionen gegen die für das Unternehmen handelnden natürlichen Personen sind
nicht vorgesehen. Bei diesen Unternehmenssanktionen handelt es sich nach
überwiegender Auffassung um Strafen im weiteren Sinne, die den Geldbußen des deutschen, italienischen und portugiesischen Ordnungswidrigkeitenrechts entsprechen.326 Diese Zurechnung der Geldbußen zu den Strafen im
weiteren Sinne geschieht nicht, um deren Strafcharakter hervorzuheben,
sondern um sicherzustellen, daß die besonderen rechtsstaatlichen Garantien des materiellen Strafrechts und des Strafverfahrensrechts auch im euro324 Fischer-Fritsch, in: Albrecht/Sieber (Hrsg.), Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische Kolloquien, 1984, S. 111 ff.; vgl. auch Prothmann, Erzeugungsquoten für Stahl
gemäß Art. 58 EGKS-Vertrag in der Rechtsprechung des EuGH, 1988, passim.
325 Vgl. zum EWRV ausführlicher oben 1.5.2.
326 Baratta, in: Prospettive per un diritto penale europeo. IV. Convego dei diritto penale
europeo, 1967, S. 27; Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 6 f.; Harding, CMLR vol. 16 (1979), S. 591; Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Rahmen des Art. 15
VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S. 26 ff.; Tiedemann, Kartellrechtsverstöße und
Strafrecht, 1976, S. 57; ders., in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1417; Winkler, Die
Rechtsnatur der Geldbuße im Wettbewerbsrecht der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1971, S. 17; a.A. Schroth, Economic Offences in EEC Law with special preference to English and German Law, 1983, S. 187, der der kriminalstrafrechtlichen
Theorie folgt. Oehler, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1408, sieht in den Geldbußen Sanktionen sui generis, auf die strafrechtliche Grundsätze Anwendung finden.
85
Bußgeldrecht
2049
päischen Kartellrecht gelten.327 Nachdem allgemein anerkannt ist, daß diese
Garantien auch auf strafähnlich wirkende, repressive Zwecke verfolgende
Maßnahmen anzuwenden sind, wird in der Literatur die Ansicht vertreten,
daß "das Band zum Strafrecht im weiteren Sinne gelöst und die Chance ergriffen werden (kann), eine eigenständige Unternehmensverantwortung zu
begründen", und man interpretiert die Geldbußen als wirtschaftsaufsichtsrechtliche Maßnahmen, die an Strukturen der Haftung für fehlerhafte Organisation und mangelnde Aufsicht anknüpfen.328
Die Geldbußen können bis zu einer Höhe von 1 Mio. ECU oder bis zu 10 %
des im Jahr vor der Bußgeldverhängung erzielten Jahresumsatzes des betroffenen Unternehmens verhängt werden. Dabei bezieht sich die 10 %Grenze auf den Gesamtumsatz des Unternehmens und nicht auf den Umsatz
mit den von den Wettbewerbsverstößen tangierten Produkten (sog. relevanter Umsatz). Dies wird besonders im Fall "Pioneer" deutlich, in dem
die Kommission eine Geldbuße festsetzte, die sich auf 20 % des relevanten
Umsatzes belief.329 Auch neuere Entscheidungen der Kommission, die horizontale und damit besonders schwerwiegende Wettbewerbsabsprachen zum
Gegenstand hatten, führten zu Geldbußen, die sich auf weit mehr als 10 %
des relevanten Umsatzes beliefen.330
Nach der Verordnung des Rates 2988/74331 verjährt die Befugnis der Kommission zur Verhängung von Geldbußen in fünf Jahren. Die Verjährung
beginnt mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist.
Bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen332 beginnt die Verjährung jedoch erst mit dem Tag, an dem die letzte Zuwiderhandlung beendet
ist. Nach Art. 2 dieser Verordnung wird die Verjährung durch jede auf Ermittlung oder Verfolgung der Zuwiderhandlung gerichtete Handlung der
Kommission unterbrochen. Nach jeder Unterbrechung fängt die Verjährung
von neuem an zu laufen.
Weiterhin bußgeldbewehrt ist die Pflicht der Unternehmen, bei der Beantragung eines Negativattestes oder einer Freistellung vom Kartellverbot
327
328
329
330
331
332
Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 7.
Otto, Die Strafbarkeit von Unternehmen und Verbänden, 1993, S. 5 ff., insbes. S. 28 ff.
Kommissionsentscheidung, ABl. 1980, L 60, S. 21.
Reederausschüsse, CEWAL; vgl. dazu Gyselen, WuW 1993, 566.
ABl. 1974, L 319, S. 1.
Vgl. dazu Kommissionsentscheidung, ABl. 1992, L 131, S. 32 ff. - (Dunlop).
2050
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
86
richtige und vollständige Angaben zu machen. Eine durch Geldbußen sanktionierte Wahrheitspflicht besteht gleichermaßen, wenn die Kommission
im Rahmen ihrer Ermittlungen ein Auskunftsbegehren an die Unternehmen
richtet oder eine Nachprüfung vornimmt.333 Die Höhe der Geldbuße reicht
hier bis zu 5.000 ECU.334
8.1.1
Art. 85, 86 EGV als Rechtsgrundlagen des gemeinschaftsrechtlichen Kartellrechts
Rechtsgrundlagen des gemeinschaftsrechtlichen Kartellrechts sind Art. 85,
86 EGV, die als unmittelbar geltendes Recht an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen gerichtet sind und zum einen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und Beschlüsse sowie abgestimmtes Verhalten, zum
anderen den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbieten.
8.1.1.1 Anwendungsbereich des Art. 85 EGV
Art. 85 Abs. 1 EGV verbietet jedes koordinierte Verhalten zwischen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, das den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt.
Damit geht das europäische Wettbewerbsrecht vom Verbotsprinzip gegenüber horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen aus, d.h. gegenüber einer Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens zwischen Unternehmen derselben und unterschiedlicher Wirtschaftsstufen. Diese Beschränkungen können sowohl auf einem Vertrag als auch auf abgestimmtem Verhalten (concerted practices) beruhen.
Die Generalklausel des Art. 85 Abs. 1 EGV nennt als typische Verhinderungen, Einschränkungen oder Verfälschungen des Wettbewerbs: Preis- und
Konditionsabsprachen, Kontrollvereinbarungen, Marktaufteilungen, Diskriminierung von Handelspartnern, Koppelungsgeschäfte. Diese Beispiele stellen gleichzeitig die Haupterscheinungsformen der europäischen Kartell-
333 Eingehend dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 47 ff.
334 Zur praktischen Bedeutung dieser Sanktionsvorschriften vgl. XXI. Bericht über die
Wettbewerbspolitik 1991, Rdnr. 1.
87
Bußgeldrecht
2051
rechtsdelinquenz dar335 und werden von der Kommission als besonders
schwerwiegende Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln eingestuft.336
Bagatellfälle sowie Sachverhalte ohne Gemeinschaftsrelevanz werden mittels des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Spürbarkeit von dem
Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV ausgenommen.337 Dieses Merkmal besitzt
eine quantitative und eine qualitative Seite.
Zunächst wird das Merkmal der Spürbarkeit als De-minimis-Regel zur Ausscheidung von Bagatellfällen eingesetzt (quantitative Seite).338 Kommission und
EuGH fordern als Voraussetzung des Art. 85 Abs. 1 EGV, daß sowohl die bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsbeschränkung als auch die Eignung zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels "spürbar" sind, d.h. daß die Auswahlmöglichkeiten auf der Angebots- oder Nachfrageseite beschränkt werden.339
Als Orientierungshilfe für die Unternehmen und zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung veröffentlichte die Kommission im Jahre 1970 die sog. "BagatellBekanntmachung",340 die den Spürbarkeitsbegriff durch die quantitativen Kriterien
"Marktanteil" und "Umsatz der an der Vereinbarung beteiligten Unternehmen"
konkretisiert. Der Marktanteil darf bei dem betroffenen Erzeugnis nicht höher als
5 % liegen, die Gesamtumsätze aller beteiligten Unternehmen dürfen zusammen
200 Mio. ECU nicht übersteigen. Wenn die genannten Werte überschritten werden,
kann sich die Geringfügigkeit der Wettbewerbsbeschränkung gleichwohl aus anderen Gründen ergeben.
Neben dem Merkmal der quantitativen Spürbarkeit wird eine weitere Eingrenzung unter dem Stichwort "rule of reason" (qualitative Seite) vorgenommen, um
Wettbewerbsbeschränkungen aus Gründen der Gesamtwirtschaft oder des Gemeinwohls zuzulassen. Kommission und Gerichtshof nehmen aufgrund qualitativer
Gesichtspunkte folgend Fallgruppen vom Verbot des Art. 85 Abs. 1 EGV aus:
Verträge über die Veräußerung von Unternehmen;341 Handelsvertreter-, Gesell-
335 Vgl. dazu auch Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 64 ff.
336 Eingehend dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 12 ff.; Kerse, EEC Antitrust Procedure, 3. Aufl. 1988, passim; Morris, California International Law Journal vol. 14 (1984), S. 425 ff.
337 Vgl. dazu van Bael/Bellis, Competition Law of the EEC, 1987, S. 38 f.; Dannecker/
Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 15 ff.
338 Vgl. dazu van Bael/Bellis, Competition Law of the EEC, 1987, S. 38 f.
339 Vgl. dazu die Nachweise bei Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in
der Bußgeldpraxis, 1989, S. 15 ff.
340 ABl. 1970, C 64, S. 1, neugefaßt am 29.12.1977, ABl. 1970, C 313, S. 3 und am
3.9.1986, ABl. 1986, C 231, S. 2.
341 Kommissionsentscheidung, ABl. 1964, L 136, S. 2287 ff. - (Nicholas/Vitapro);
ABl. 1976, L 254, S. 40 - (BASF); ABl. 1983, L 376, S. 22 - (Nutricia); zustimmend EuGH, Slg. 1985, S. 2545 - (Nutricia).
2052
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
88
schafts-, Pacht- und Dienstverträge, die sich durch einen kartellrechtlich neutralen
Hauptzweck auszeichnen; Intrakonzernbeziehungen, Lizenzverträge, Erschließung
von Märkten, selektive Vertriebssysteme und Franchise-Verträge.342
Art. 85 Abs. 2 EGV bestimmt, daß die nach Abs. 1 verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind.
Art. 85 Abs. 3 EGV sieht vor, daß die Kommission wettbewerbswidrige
Kartelle genehmigen kann, wenn die Unternehmen förmlich eine Freistellungsentscheidung beantragen und die angemeldeten Vereinbarungen oder
Beschlüsse mit Vorteilen für die Verbraucher verbunden sind sowie zur
"Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung
des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen".
Unabhängig von der materiellen Freistellungsfähigkeit des angemeldeten
Kartells entfällt nach Art. 15 Abs. 5 VO 17/62 mit der Anmeldung die
Möglichkeit, wegen der offengelegten wettbewerbsbeschränkenden Handlungen eine Geldbuße festzusetzen. Diese Bußgeldfreiheit erstreckt sich jedoch nicht auf die Zeit vor der Anmeldung. Angesichts dessen, daß die Freistellungsvoraussetzungen für und gegen alle beteiligten Unternehmen wirken, führt bereits die Anmeldung eines Unternehmens zur Bußgeldfreiheit
aller beteiligten Unternehmen. Nach Art. 15 Abs. 6 VO 17/62 findet Abs. 5
keine Anwendung, wenn die Kommission den betreffenden Unternehmen
mitteilt, daß sie aufgrund vorläufiger Prüfung der Auffassung ist, daß die
Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 1 EGV vorliegen und eine Anwendung
des Art. 85 Abs. 3 EGV nicht gerechtfertigt ist.
8.1.1.2 Anwendungsbereich des Art. 86 EGV
Während Art. 85 EGV koordinierte Wettbewerbsabsprachen zwischen
mehreren Unternehmen erfaßt, verbietet Art. 86 EGV den Mißbrauch
einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Der Tatbestand kennt drei Voraussetzungen (Art. 86 Abs. 1 EGV): das
Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung, ihre mißbräuchliche Ausnutzung und die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen den
Mitgliedstaaten. Das Mißbrauchsverbot erfaßt sowohl den Ausbeutungsmißbrauch gegenüber vor- und nachgelagerten Wirtschaftsstufen (vertikal) als
342 Näher dazu Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 55 ff.
89
Bußgeldrecht
2053
auch den Behinderungsmißbrauch gegenüber anderen Unternehmen auf
derselben Wirtschaftsstufe (horizontal), wobei letzterer als das ernstere Problem des Monopolmißbrauchs angesehen wird.343 Art. 86 Abs. 2 EGV
nennt folgende Regelbeispiele: unmittelbare oder mittelbare Erzwingung
von unangemessenen Einkaufs- oder Verkaufspreisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen; Einschränkung der Erzeugung, des Absatzes oder der
technischen Entwicklung zum Schaden der Verbraucher; Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; die an
den Abschluß von Verträgen geknüpfte Bedingung, daß die Vertragspartner
zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen.
Im Vordergrund der Ahndung des Mißbrauchs marktbeherrschender Stellungen stehen Fälle der Erzwingung unangemessener Preise und Bedingungen sowie Diskriminierungen und Behinderungen anderer Marktteilnehmer,
insbesondere in Form des Boykotts, der Liefersperre und der Verkaufsverweigerung sowie der Gewährung von Treuerabatten.344 Einen weiteren Anwendungsbereich des Art. 86 EGV hat das EuGEI in dem Fall "Polypropylen" mit Urteil vom 10.3.1992345 bestätigt, indem es darlegte, daß gegen
Art. 86 EGV durch eine gemeinsam ausgeübte beherrschende Stellung verstoßen werden kann, so z.B. wenn zwei oder mehrere voneinander unabhängige Wirtschaftseinheiten durch Wirtschaftsbande auf einem bestimmten
Markt so vereint sind, daß sie gemeinsam eine beherrschende Stellung ausüben.
8.1.1.3 Extraterritoriale Anwendung des EG-Kartellrechts
Um eine umfassende Geltung des EG-Kartellrechts sicherzustellen, werden
Art. 85, 86 EGV mittels einer extraterritorialen Anwendung auch auf Un-
343 Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 20 f.
344 Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 22 f.; Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 68 ff.
345 EuGEI, Urteil vom 10.3.1992 - (RS T-68/89, T-77/89 und T-78/89: Società italiana
vetro fabbricca pisana und ppg vernante pennitalia/Kommission), XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, Rdnr. 313.
2054
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
90
ternehmen außerhalb der EG angewendet, selbst wenn diese in der EG keine
Tochtergesellschaften unterhalten.346
8.1.2
Unternehmen als Täter
Adressat der EG-rechtlichen Sanktionsnormen sind nach dem Gesetzeswortlaut der Art. 85 und 86 EGV nur Unternehmen und Unternehmensvereinigungen.347 Diese Beschränkung auf Unternehmen348 bedeutet, daß die
Zuwiderhandlungen gegen das Gemeinschaftsrecht Sonderdelikte sind.349
Der EuGH definiert ein Unternehmen als einheitliche, einem selbständigen
Rechtssubjekt zugeordnete Zusammenfassung personeller, materieller und
immaterieller Faktoren, mit welcher auf Dauer ein wirtschaftlicher Zweck
verfolgt wird.350 Dieser für den EGKS-Vertrag entwickelte Unternehmensbegriff fand zunächst auch für den EG-Vertrag Anwendung, wurde aber seitens der Kommission durch einen wirtschaftlichen Unternehmensbegriff
ersetzt:351 Fehlt z.B. bei einer Tochtergesellschaft ein Organ mit formeller
Legitimationsbefugnis, so wird deren Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet. Eine wirtschaftliche Einheit352 wird weiterhin angenommen, wenn
Konzerngesellschaften keine unternehmerische Autonomie haben, insbesondere wenn eine 100 %ige Tochtergesellschaft einem zentralistisch organisierten Konzern angehört. Ausreichend ist weiterhin eine einheitliche Leitung durch die Obergesellschaft sowie personelle Verflechtungen zwischen
den Aufsichts- und Leitungsgremien der Unternehmen.353 Die Kommission
346 Vgl. EuGH, Slg. 1974, S. 223 ff. - (Commercial Solvents); EuGH, Slg. 1975,
S. 495 ff. - (Continental Can); vgl. auch Kommissionsentscheidung, ABl. vom
26.3.1985, L 85, S. 1 ff. - (Zellstoff); kritisch dazu Tiedemann, NJW 1979, 1851 ff.
347 Vgl. dazu Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990,
Art. 15 VO 17 Rdnr. 41, Art. 85 Rdn. 1; Tiedemann, ZStW 102 (1990), S. 101.
348 Kritisch dazu Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 73.
349 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989,
S. 253; Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1420.
350 EuGH, Slg. 1962, S. 687 - (Klöckner/Hoesch).
351 Eingehend dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 254 ff., 260 ff.; Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 13 ff.; Lipowsky, Die Zurechnung von Wettbewerbsverstößen zwischen Unternehmen im EWG-Wettbewerbsrecht, 1987, S. 65 ff.
352 Vgl. dazu die "Polypropylen"-Entscheidung des EuGEI vom 10.3.1992, XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, Rdnr. 313.
353 Zu den Kriterien im einzelnen Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der
Bußgeldpraxis, 1989, S. 274 ff.; vgl. auch Rütsch, Strafrechtlicher Durchgriff bei verbundenen Unternehmen? 1985, S. 75. Zur Berechtigung der Kommission, bei der Auslegung des Wettbewerbsrechts wesentlich auf wirtschaftliche Zusammenhänge abzu-
91
Bußgeldrecht
2055
erkennt die wirtschaftliche Einheit gleichermaßen im Falle der Rechtsnach
folge an.354 Sofern zwischen dem inzwischen aufgelösten Unternehmen, das
einen Wettbewerbsverstoß begangen hat, und dem Rechtsnachfolger eine
wirtschaftliche und funktionelle Kontinuität besteht, verhängt die Kommission die Geldbuße gegen den Rechtsnachfolger.355 Nach Einschätzung der
Literatur läßt der Gesetzeswortlaut, der nicht auf die juristische Person, sondern auf den wirtschaftlichen Begriff des Unternehmens verweist, diese extensive Auslegung noch zu, so daß kein Verstoß gegen das Analogieverbot
angenommen wird.356 Gleichwohl beeinträchtigt dieses Vorgehen die
Rechtssicherheit. Bislang ist es nämlich nicht gelungen, abschließende Kriterien für die Bestimmung einer Unternehmenseinheit zu finden.357
Die Kommission geht in ständiger Praxis von der Handlungsfähigkeit der
Unternehmen aus,358 indem sie den Unternehmen das Verhalten aller natürlichen Personen zurechnet, die befugterweise für das Unternehmen handeln. Eine Zurechnung wird nur ausgeschlossen, wenn Angestellte des Unternehmens die Befugnisse überschreiten, die ihnen von den Gesellschaftern
im Rahmen der betrieblichen Aufgaben übertragen worden sind. Hierzu
gehören nicht nur Angestellte, sondern auch Beauftragte und Bevollmächtigte außerhalb des Unternehmens. Selbst das Vorgehen eines Verbandes,
der im Interesse seiner Mitglieder Wettbewerbsabsprachen vornimmt, wird
den Mitgliedern zugerechnet.359 Eine Handlung oder auch nur Kenntnis
der Inhaber oder Geschäftsführer des Unternehmens von dem wettbewerbswidrigen Verhalten ist nicht Voraussetzung für die Ahndung.360 Durch
354
355
356
357
358
359
360
stellen, Everling, Das europäische Gemeinschaftsrecht im Spannungsfeld von Politik
und Wirtschaft, 1990, S. 57, 60, 73.
Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 89 ff.
Vgl. insbesondere Kommissionsentscheidung, ABl. 1986, L 230, S. 1 ff. (32) - (Polypropylen); ABl. 1989, L 74, S. 1 ff. (14 ff.) - (PVC); ABl. 1989, L 74, S. 1 ff.
(35 ff.) - (LDPE); ABl. 1989, L 260, S. 1 ff. (39 f.) - (Betonstahlmatten).
Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 258.
Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992,
S. 13 ff., 89 ff.
Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 252; Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 552; Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2.
Aufl. 1990, Art. 15 VO 17 Rdnr. 41.
Kommissionsentscheidung vom 17.12.1981, ABl. vom 15.6.1982, L 167, S. 49 (NAVEWA/ ANSEAU).
Näher dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 258.
2056
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
92
diese Auslegung hat die Kommission allen Versuchen in der Literatur, eine
der deutschen Rechtslage vergleichbare Beschränkung der Zurechnung auf
vertretungsberechtigte Organe vorzunehmen,361 eine Absage erteilt.
8.1.3
Bußgeldverhängung und Bußgeldbemessung durch die Kommission
8.1.3.1 Bußgeldverhängung
Die Kommission macht seit 25 Jahren von ihrer supranationalen Sanktionsgewalt Gebrauch und verhängt jedes Jahr in mehreren Verfahren Geldbußen
wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens.362 Allein aufgrund von Verstößen
gegen Art. 85 und 86 EGV liegen inzwischen mehr als 70 Bußgeldentscheidungen der Kommission vor.363 Mit der "Pioneer"-Entscheidung Ende
1979364 wurde eine Politik hoher Geldbußen eingeleitet. Seit dieser Zeit
sind die Sanktionen deutlich höher als die von den nationalen Kartellbehörden verhängten365 und belaufen sich in der Regel auf eine oder mehrere
Millionen ECU.
Ähnlich richtungsweisende Bedeutung kommt der Entscheidung "Tetra
Pak II" zu.366
Tetra Pak, ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen schwedischer Herkunft, ist
Marktführer für Kartonverpackungen flüssiger Nahrungsmittel, das auf bestimmten
Märkten sogar eine Quasi-Monopolstellung (ungefähr 95 % des Marktes) hatte.
Dieses Unternehmen mißbrauchte seine marktbeherrschende Stellung, indem es in
seinen Verträgen die ausschließliche Verwendung seiner Kartons für Tetra PakMaschinen vorschrieb und die Kunden durch Kontrollklauseln und Treuerabatte an
sich band.
361 So z.B. Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Rahmen des Art. 15 VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S. 163 ff.
362 Eingehend dazu van Acker, Communautaire Sanctionering van Ondernemingen,
1987, passim; Dannecker, MschrKrim 1991, 268 ff.; Dannecker/Fischer-Fritsch,
Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 134 ff.; Mulder, Tijdschrift
voor Europees en Economisch Recht 1989, 459 ff.; vgl. auch Morris, California International Law Journal vol. 14 (1984), S. 425 ff.; Schroth, Economic Offences in
EEC Law with special reference to English and German Law, 1983, S. 31 ff.; Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 68 ff.
363 Eine tabellarische Übersicht über die verhängten Geldbußen findet sich bei van
Bael/ Bellis, Competition Law of the EEC, 1987, S. 664 ff.
364 Kommissionsentscheidung, ABl. 1980, L 60, S. 21 ff.
365 Fisse, in: Fisse/French (eds.), Corrigible Corporations & Unruly Law, 1985, S. 154
Fn. 11.
366 Kommissionsentscheidung, ABl. 1991, L 149, S. 1 ff.
93
Bußgeldrecht
2057
Die Kommission verhängte gegen dieses Unternehmen eine Geldbuße in
Höhe von 75 Mio. ECU. Mit dieser Entscheidung verfolgte die Kommission
das Ziel, deutlich zu machen, daß sie stärker als zuvor von der gesetzlichen
Möglichkeit, Geldbußen bis zu 10 % des Jahresumsatzes der beteiligten Unternehmen zu verhängen, Gebrauch machen wird, um so die abschreckende
Wirkung der Geldbußen zu verstärken.367
8.1.3.2 Bußgeldbemessung
Bezüglich der Bemessung der Geldbußen368 wird in der Literatur ein zweistufiges Vorgehen der Kommission beschrieben:369 Zunächst erfolgt in einem ersten Schritt ein Einstieg in den Bußgeldrahmen, der sich nach der
Schwere der Tat und ihren Auswirkungen bestimmt. Dabei orientiert sich
die Kommission seit der "Pioneer"-Entscheidung aus dem Jahre 1979 bei
klassischen und klaren Verstößen grundsätzlich an einer Quote von 4-5 %
des Umsatzes aus dem Geschäftsjahr vor der Entscheidung.370 Seit 1985 ist
sie bereit, die hieraus resultierenden, teilweise sehr hohen Sanktionen auch
bei horizontalen Kartellen und dem Mißbrauch der marktbeherrschenden
Stellung konsequent zu verhängen.371 Wenn die Auswirkungen des wettbewerbswidrigen Verhaltens auf dem Markt nur geringfügig waren oder eine
Gefährdung von Verbraucherinteressen nicht festgestellt werden konnte
(z.B. bei Nichtbefolgung der Kartellabsprachen), wurde eine deutlich niedrigere Einstiegsquote gewählt, die bei ca. 1-2 % des relevanten Umsatzes
lag.372
Sodann werden in einem zweiten Schritt unternehmensspezifische Einzelfallumstände entweder als Milderungsgründe - wie eine wirtschaftliche Krisensituation oder die schnelle Bereitschaft des Unternehmens zur Kooperation bei den Ermittlungen - oder als Erschwerungsgründe - wie der Rückfall
oder rückfallähnliche Situationen - berücksichtigt.373 So führte ein freiwilli-
367
368
369
370
371
XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1991, Rdnr. 139.
Eingehend dazu Gyselen, WuW 1993, 561 ff.
Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 316 ff.
Vgl. z.B. Kommissionsentscheidung, ABl. 1980, L 377, S. 25 ff. - (Johnson & Johnson).
So wurden im "Polypropylen"-Verfahren annähernd 60 Mio. ECU verhängt; Kommissionsentscheidung, ABl. 1986, L 230, S. 1 ff.
372 Vgl. Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 318.
373 Näher dazu Gyselen, WuW 1993, 570 ff. mit Nachweisen der Kommissionsentscheidungen.
2058
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
94
ges Abstellen des wettbewerbswidrigen Verhaltens unmittelbar nach Einschreiten der Kommission in den Verfahren "Polistil/Arbois",374 "National
Panasonic"375 und "Michelin Niederlande"376 zu beträchtlichen Milderungen. Wenn die Kommission bereits die Beschwerdepunkte mitgeteilt und auf
die Möglichkeit der Bußgeldverhängung hingewiesen hat und das Unternehmen erst danach sein wettbewerbswidriges Verhalten aufgibt, entfällt jedoch
eine nennenswerte Milderung der Geldbußen wegen kooperativen Verhaltens.377 Das EuGEI hat im Fall "Polypropylen" von diesem Grundsatz
eine Ausnahme gemacht und eine Reduzierung der Geldbuße um 10 % wegen bereitwilliger Zusammenarbeit als nicht hinreichend angesehen, weil
das betroffene Unternehmen der Kommission eingehende Auskünfte nicht
nur über sein eigenes wettbewerbswidriges Vorgehen, sondern auch über die
Vorgehensweise der übrigen Unternehmen erteilt hatte, ohne die die Ermittlungen der Kommission wesentlich schwieriger durchzuführen gewesen
wären. Auf diese Weise hatte der Informant zur Einstellung der Zuwiderhandlungen beigetragen. Das EuGEI ermäßigte aus diesem Grund die
von der Kommission auf 10 Mio. ECU festgesetzte Geldbuße auf 9 Mio.
ECU.378
Wenn sich die Unternehmen auf das Recht berufen, wettbewerbsregulierende Eingriffe in schwierigen Markt- und konjunkturellen Krisensituationen vorzunehmen oder sich gegen Dumping-Praktiken oder unerlaubtes
Verhalten Dritter durch wettbewerbsbeschränkende Absprachen zu wehren,
wird keine wesentliche Milderung gewährt.379
Die in der Praxis häufig auftretende Beteiligung nationaler Behörden an
Wettbewerbsverstößen wurde von der Kommission nicht als strafausschließend, sondern lediglich als Milderungsgrund angesehen. Selbst wenn
die Preisbestimmungsautonomie der Unternehmen durch innerstaatliche
Rechtsvorschriften eingeengt war oder aufgrund nationaler Gesetze nur
kurzfristig ein Wettbewerb zwischen den Unternehmen entstehen konnte,
374
375
376
377
Kommissionsentscheidung vom 16.5.1984, ABl. vom 23.5.1984, L 36, S. 9 ff.
Kommissionsentscheidung vom 7.12.1982, ABl. vom 16.12.1982, L 354, S. 28 ff.
Kommissionsentscheidung vom 9.12.1981, ABl. vom 9.12.1981, L 353, S. 33 ff.
So in den Verfahren "Flachglas-Benelux" (Kommissionsentscheidung vom 23.7.1984,
ABl. vom 8.8.1984, L 212, S. 13 ff.) und "Zinc Producer Group" (Kommissionsentscheidung vom 6.8.1984, ABl. vom 17.8.1984, L 220, S. 27 ff.).
378 XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, Rdnr. 313.
379 Vgl. dazu Gyselen, WuW 1993, 570 ff. mit Nachweisen der Kommissionsentscheidungen.
95
Bußgeldrecht
2059
wurden Geldbußen wegen der vorübergehenden Wettbewerbsbeeinträchti
gung verhängt.380
Die Kommission hat in ihrem XXI. Wettbewerbsbericht angekündigt, daß
sie in zunehmendem Maße die finanziellen Gewinne, die den gegen die
Wettbewerbsbestimmungen verstoßenden Unternehmen aus ihrem rechtswidrigen Verhalten entstehen, bei der Bußgeldbemessung berücksichtigen
wird. Wenn die Höhe der unrechtmäßigen Gewinne ermittelt werden kann,
soll dieser Betrag bei der Berechnung der Geldbuße als Ausgangspunkt dienen.381
In der Literatur wird, um dem Vorwurf der fehlenden Transparenz der Bußgeldbemessung entgegenzuwirken, der Vorschlag gemacht, sich die amerikanischen Erfahrungen zunutze zu machen, und sog. Sentencing Guidelines (Richtlinien für die Strafbemessung) zu erlassen, die ein transparentes
System von Mindestbeträgen für Geldbußen vorsehen. Dadurch soll ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit in bezug auf die Bußgeldhöhe gewährleistet werden.382
8.1.4
Allgemeiner Teil des EG-Kartellrechts
Um Fragen wie die Strafbarkeit des Versuchs und der Teilnahme, die Anerkennung von Rechtfertigungsgründen oder die Behandlung des Irrtums zu
klären, schließen die europäischen Instanzen die bestehenden Lücken durch
Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze, die im EG-Recht Normcharakter beanspruchen.383 Insbesondere der EuGH bedient sich hierzu einer "kritisch-wertenden Rechtsvergleichung".384 Dabei geht er nicht von dem kleinsten gemeinsamen Nenner der nationalen Rechtsordnungen aus,385 sondern
380 Kommissionsentscheidung vom 15.7.1982, ABl. vom 6.8.1982, L 232, S. 1 ff. (Zigarettenindustrie).
381 XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1991, Rdnr. 139.
382 So Gyselen, WuW 1993, 572.
383 Vgl. dazu Kutscher, EuR 1981, 403; Schwarze, Die Befugnis zur Abstraktion im
europäischen Gemeinschaftsrecht, 1976, S. 237.
384 Vgl. dazu Roemer, Betrachtungen zum Verhältnis Gemeinschaftsrecht - nationales
Recht, 1969, S. 6; Zweigert, RabelsZ 1964, 610.
385 So Heldrich, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze der außervertraglichen Schadenshaftung im Bereich der EWG, 1961, S. 15; Lagrange, Revue du droit public de
la science politique en France et à l'étranger vol. 74 (1958), S. 856.
2060
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
96
hält diejenige Lösung für vorzugswürdig, die den Vertragszielen der Gemeinschaft am nächsten kommt.386
8.1.4.1 Versuch und Teilnahme
Der Versuch ist im EG-Recht nicht unter Sanktionsandrohung gestellt. Im
Hinblick darauf, daß es sich bei den Wettbewerbsdelikten um abstrakte Gefährdungsdelikte handelt, bei denen bereits der Abschluß wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und nicht erst deren Durchführung tatbestandsmäßig ist, besteht auch kein Bedürfnis einer weitergehenden Vorverlagerung der Ahndbarkeit.387
Als problematisch hat sich die Frage erwiesen, ob auch solche Unternehmen
mit Geldbußen belegt werden können, die nicht Vertragspartner der wettbewerbswidrigen Vereinbarung sind, sondern lediglich die Einhaltung abgesprochener Preise, Quoten oder sonstiger Kartellabsprachen Dritter überwachen und kontrollieren.388 Die Kommission sieht bereits in der bloßen Kontrolle von Wettbewerbsvereinbarungen anderer Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten, obwohl die Teilnahme nicht ausdrücklich unter
Sanktionsandrohung gestellt ist;389 sie hat jedoch bislang in solchen Fällen
keine Sanktionen verhängt. In der Literatur werden gegen die Anwendung
der wettbewerbsrechtlichen Verbotsnormen auf Teilnahmehandlungen in
rechtsstaatlicher Hinsicht Bedenken erhoben:390 Bereits der Gesetzeswortlaut von Art. 85 EGV spreche gegen die Strafbarkeit der Teilnah-me, und
diese Schranke könne nicht durch Auslegung überschritten werden, ohne
gegen das Legalitätsprinzip zu verstoßen. Die für Kartellabsprachen nicht
untypische Kontrolltätigkeit eines dritten selbständigen Unternehmens könne daher keine eigene Bußgeldhaftung auslösen.391
386 Bleckmann, NJW 1982, 1180; Constantinesco, Das Recht der Europäischen Gemeinschaften. Bd. I. Das institutionelle Recht, 1977, S. 817; Mahieu, in: van de
Kerchove (ed.), L'interprétation en droit. Approche pluridisciplinaire, 1978, S. 363.
Zu dieser Frage vgl. auch oben 1.2.4.
387 Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1420.
388 Eingehend dazu Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 21 ff.
389 Kommissionsentscheidung, ABl. 1980, L 383, S. 26 - (Gußglas in Italien).
390 Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, Art. 15
VO 17 Rdnr. 42; Rütsch, Strafrechtlicher Durchgriff bei verbundenen Unternehmen? 1985, S. 24; Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1424.
391 Hamann, Das Unternehmen als Täter im europäischen Wettbewerbsrecht, 1992, S. 21 ff.
97
Bußgeldrecht
2061
8.1.4.2 Rechtfertigungsgründe
Im Rahmen ihres Verteidigungsvorbringens berufen sich die Unternehmen
häufig auf Rechtfertigungsgründe. Die Kommission verneint jedoch in aller
Regel das Vorliegen einer Rechtfertigungslage aus tatsächlichen Gründen.392
Den Rechtfertigungsgrund der Notwehr als allgemeinen Rechtsgrundsatz
erkennen die Kommission und der EuGH an.393 Soweit Unternehmen Angriffe von Konkurrenzunternehmen abwehren wollen, vertritt die Kommission die Ansicht, daß ein solches Vorgehen nur dann durch Notwehr gedeckt ist, wenn staatliche Hilfe nicht verhindern kann, daß die Rechtsgutsbeeinträchtigung entsteht; grundsätzlich muß der Angegriffene den Rechtsweg beschreiten.394 Gleiches soll gelten, wenn eine Rechtsgutsverletzung
zum Schutze staatlicher Rechtsgüter vorgenommen wird.395
Eine Rechtfertigung wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens durch Notstand kam bislang in keinem Verfahren zum Tragen. An diesen Rechtfertigungsgrund stellt der EuGH hohe Anforderungen: Es muß zum einen eine
ernste Gefahr vorliegen, der nur durch rechtswidriges Verhalten entgangen
werden kann, sowie zum anderen eine Existenzgefährdung der juristischen
Person gegeben sein.396
8.1.4.3 Behandlung erschlichener Freistellungen, materieller Freistellungsfähigkeit und behördlicher Duldung
Soweit ein Unternehmen eine Freistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV durch
unrichtige Angaben erlangt hat, führt die behördliche Genehmigung nicht
zur Rechtfertigung des wettbewerbswidrigen Verhaltens; das Unternehmen
kann sich nicht auf die Erlaubniserteilung berufen. Von der Kommission
392 Eingehend dazu Dannecker, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice vol. 1 (1993), S. 233 ff.; Tiedemann, NJW 1993, 29; Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 87 ff. Ausführlicher dazu unten 8.3.4.1.
393 EuGH, Slg. 1980, S. 907 ff. - (Valsabbia I); EuGH, Slg. 1983, S. 1825 (1901) (Pioneer). Vgl. dazu auch Dannecker, European Journal of Crime, Criminal Law
and Criminal Justice vol. 1 (1993), S. 237 f.
394 Kommissionsentscheidung, ABl. 1984, L 220, S. 39 - (Zinc Producer Group); ABl. 1985,
L 92, S. 1 - (Aluminiumeinfuhren aus Osteuropa); ABl. 1986, L 348, S. 62 - (Meldoc).
395 Kommissionsentscheidung, ABl. 1984, L 220, S. 39 - (Zinc Producer Group).
396 EuGH, Slg. 1983, S. 1825 (1901) - (Pioneer).
2062
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
98
und vom EuGH wird diesbezüglich die Ansicht vertreten, der Umfang der
genehmigenden Wirkung sei auf das angemeldete Verhalten beschränkt, und
das nicht angemeldete Verhalten werde von der Genehmigung nicht gedeckt.397
In mehreren Entscheidungen wurde die Frage relevant, wie im Falle eines
genehmigungsfähigen, tatsächlich jedoch nicht genehmigten Verhaltens
zu entscheiden ist. Sofern ein Unternehmen keinen förmlichen Freistellungsantrag gestellt hat, die materiellen Voraussetzungen einer Freistellung
aber vorliegen, geht die Kommission streng verwaltungsakzessorisch vor
und verneint wegen der fehlenden Anmeldung ein gerechtfertigtes Verhalten. Gleichwohl verzichtet sie in solchen Fällen durchgängig auf die Verhängung von Geldbußen.398
Auch die rechtliche Beurteilung der behördlichen Duldung belegt, daß die
Kommission und der Gerichtshof von einer strikten Verwaltungsakzessorietät ausgehen. Das Verteidigungsvorbringen der Unternehmen, die Kommission sei über ein Wettbewerbsverhalten informiert gewesen und habe dieses
geduldet, hat die Kommission stets nur im Rahmen des Opportunitätsprinzips - also bei der Frage, ob von Geldbußen abzusehen ist - bzw. bei der
Bußgeldbemessung berücksichtigt und nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt.399 Auch der EuGH hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1987 der
behördlichen Duldung eine rechtfertigende Wirkung abgesprochen, gleichzeitig aber erklärt, daß es gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoße, wenn die Kommission die Überschreitung der von ihr festgesetzten
Quoten für einen Zeitraum von zwei Jahren duldet, bevor sie eine Geldbuße
verhängt.400
8.1.4.4 Unternehmensschuld und Verbotsirrtum
Die Bußgeldvorschrift des Art. 15 VO 17/62 fordert in subjektiver Hinsicht
einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß der Unternehmen gegen das
397 Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 306 ff.
398 Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 70 ff. Aus der Rechtsprechung des EuGH vgl. EuGH, Slg. 1970, S. 135 (Bilger/ Jeele); EuGH, Slg. 1979, S. 461 ff. - (Hoffmann-La Roche).
399 Dannecker, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice vol. 1
(1993), S. 236.
400 EuGH, Slg. 1987, S. 4435 ff. (4450) - (Ferriere S.P.A./Kommission).
99
Bußgeldrecht
2063
EG-Kartellrecht. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts ist die Geltung des
Schuldprinzips in diesem Bereich allgemein anerkannt,401 obwohl Täter
nur Unternehmen sein können. Sowohl die Kommission als auch der EuGH
gehen von einer eigenen Schuldfähigkeit der Unternehmen aus,402 und auch
in der Literatur wird die Ansicht vertreten, daß das Wesen und die Eigenheiten des Unternehmens dem Schuldgrundsatz nicht entgegenstehen.403
Zur Begründung stützt man sich darauf, daß das EG-Kartellrecht keine
Kriminalstrafen, sondern den Ordnungswidrigkeiten vergleichbare Sanktionen vorsehe, wie sie auch in Deutschland, Italien und Portugal im Falle
schuldhaften Verhaltens gegen Unternehmen verhängt werden.404
Bei der Bestimmung des Verschuldens der Unternehmen orientiert sich die
Kommission an der französischen "faute de service" des Verwaltungsrechts;
grundsätzlich reicht ein formales organisatorisches Verschulden aus.405
Dennoch ist auf EG-Ebene die Tendenz festzustellen, daß die Kommission
aus der Verletzung von Organisations- und Aufsichtspflichten das Verschulden herleitet und es mit der Zurechnung des Wissens der natürlichen
Personen, insbesondere der Leitungsorgane, begründet.406 Welche Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt im konkreten Fall zu stel
len sind, wird im Hinblick auf das konkrete Unternehmen, seine Marktstellung, Größe und wirtschaftliche Tätigkeit bestimmt.407
401 Vgl. nur Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Rahmen des Art. 15 VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S. 109 ff. mit weiteren Nachweisen; grundlegend dazu bereits Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 509.
402 Vgl. dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 289.
403 Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EWG-Kartellrecht, 3. Aufl. 1978, Art. 15 VO 17
Rdnr. 35; Mailänder, in: Müller-Henneberg/Schwartz (Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht. Kommentar, 4. Aufl. 1980,
Art. 15 VO 17 Rdnr. 97; Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag,
2. Aufl. 1990, Art. 15 VO 17 Rdnr. 30; Huss, ZStW 90 (1978), S. 244.
404 Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im
Rahmen des Art. 15 VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S. 100 ff. Vgl. aber auch Müller-Gugenberger, in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 1992, § 19 Rdnr. 53,
der die Ansicht vertritt, daß dieses Vorgehen eine Abkehr vom Prinzip der persönlichen Schuld voraussetzt.
405 Näher dazu Buriánek, Das Verschuldenselement, 1987, S. 42 ff.
406 Vgl. nur Kommissionsentscheidung, ABl. 1988, L 78, S. 34 (42) - (Konica); ABl.
1988, L 376, S. 19 - (Fisher Price).
407 Kommissionsentscheidung, ABl. 1982, L 379, S. 13 - (UGAL/BNIC); Kerse, EEC
Antitrust Procedure, 3. Aufl. 1988, S. 211 f.
2064
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
100
In den Fällen, in denen sich ein Unternehmen darauf beruft, seinem wettbewerbswidrigen Verhalten habe ein Irrtum zugrunde gelegen, unterscheiden die Kommission und der EuGH zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum.
Während dem Irrtum über Tatsachen vorsatzausschließende Wirkung beigemessen wird, soll der Rechts- bzw. Verbotsirrtum generell unbeachtlich
sein, und zwar unabhängig davon, ob er vermeidbar oder unvermeidbar
war.408 Gegen dieses Rechtsauffassung werden in der Literatur im Hinblick
auf deren Vereinbarkeit mit dem Schuldgrundsatz Bedenken erhoben.409
8.1.4.5 Anerkennung strafrechtlicher Fundamentalgarantien
Die Geltung strafrechtlicher Fundamentalsätze wie das Prinzip der Tatbestandsbestimmtheit sowie das Rückwirkungsverbot410 und der Grundsatz
"in dubio pro reo" für die EG-Geldbußen ist heute weitgehend anerkannt.411
Der EuGH hat bereits 1962 in einem Urteil festgestellt, daß das Rückwirkungsverbot als elementare Ausprägung des Gesetzlichkeitsprinzips im
Gemeinschaftsrecht Geltung beanspruche.412 So wendet der EuGH das EGKartellrecht auf wettbewerbswidriges Verhalten in Staaten, die nachträglich
Mitglied der EG geworden sind, erst ab dem Zeitpunkt des Beitritts an. Deshalb erklärte er in einer Entscheidung aus dem Jahre 1978, daß die zwischen einem englischen und einem niederländischen Unternehmen seit
Mitte der fünfziger Jahre praktizierte Marktaufteilung seit dem 1.6.1973 dem Beitritt Großbritanniens zur EG - ordnungswidrig sei, denn erst ab diesem Zeitpunkt sei der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt
408 Kommissionsentscheidung, ABl. 1980, L 377, S. 25 - (Johnson & Johnson); ABl.
1986, L 232, S. 30 - (Dach- und Dichtungsbahnen); ABl. 1987, L 222, S. 33 - (Sandoz Italia); ebenso EuGH, Slg. 1983, S. 3415 - (NAVEWA/ANSEAU).
409 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 280 ff.;
Hildebrandt, Der Irrtum im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1990,
S. 76 ff.; Tiedemann, NJW 1993, 29.
410 EuGH, Slg. 1984, S. 2689 (2718) - (Regina/Kirk); EuGH, Slg. 1984, S. 3302 - (Könecke); allerdings hat der Gerichtshof die Geltung des Rückwirkungsverbots für die
Verhängung von Verwaltungssanktionen offen gelassen; EuGH, Slg. 1984, S. 1663
- (Bertoli); zusammenfassend dazu Heukels, Intertemporales Gemeinschaftsrecht Rückwirkung, Sofortwirkung und Rechtsschutz in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 1990, S. 232 ff.
411 Vgl. nur Biancarelli, Revue de science criminelle et de droit pénal comparé 1987,
131 ff.; Dannecker, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice
vol. 1 (1993), S. 230 ff.; Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag,
2. Aufl. 1990, Art. 15 VO 17 Rdnr. 6.
412 EuGH, Slg. 1962, S. 97 ff. - (Bosch).
101
Bußgeldrecht
2065
worden. Zuvor habe sich die Vereinbarung lediglich auf den Binnenhandel
der Niederlande ausgewirkt.413
Obwohl der Gerichtshof das Rückwirkungsverbot in diesem Urteil ausdrücklich anerkannte, werden gegen diese Entscheidung in der Literatur Bedenken erhoben. Es wird angeführt, sie trage der ratio des Rückwirkungsverbotes, dem Täter vor Begehung der Handlung zu ermöglichen, die
Rechtsfolge vorherzusehen und ihn durch die Sanktionsandrohung von der
Begehung der verbotenen Handlung abzuhalten, nicht Rechnung, denn das
verbotene Verhalten - die Vereinbarung zwischen den beiden Unternehmen
- sei zu einem Zeitpunkt getroffen worden, als das gesetzliche Verbot noch
nicht existiert habe, so daß die Unternehmen diese Möglichkeit nicht gehabt
hätten. Ein Normverstoß hätte allenfalls damit begründet werden können,
daß man die Durchführung der Vereinbarung als abgestimmtes Verhalten
qualifiziert hätte. Allerdings wäre eine solche Auffassung erheblichen Zweifeln ausgesetzt.414
Bezüglich des Bestimmtheitsgrundsatzes, der in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird,415 stand die Kommission insofern vor einer schwierigen Aufgabe, als es sich bei dem Wettbewerbsrecht um einen im besonderen Maße
"zukunftsoffen" abgefaßten und damit auf Rechtsfortbildung angelegten Bereich handelt. Angesichts der generalklauselartigen Fassung der Tatbestände
trägt die Kommission bei der Verhängung von Sanktionen der Vorhersehbarkeit für die Unternehmen dadurch Rechnung, daß sie zunächst durch
förmliche Entscheidungen typischer Fälle das verbotene vom erlaubten
Verhalten abgrenzt und erst nach einer entsprechenden kartellrechtlichen Vorklärung Sanktionen verhängt.416 Dies gilt insbesondere für die
Auslegung der Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsbeschränkung und
der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels, nicht hingegen für
die oft schwierigen Zurechnungsfragen.417 Danach werden Geldbußen in
symbolischer Höhe (bis 100.000 ECU) festgesetzt; diese Sanktionen haben
Appellfunktion für alle auf dem EG-Markt tätigen Unternehmen. Erst nach
der Verhängung solcher symbolischen Geldbußen werden in nachfolgenden
Fällen hohe Sanktionen verhängt.
413 EuGH, Slg. 1978, S. 1415 ff.- (TEPEA/Watts).
414 Eingehend dazu Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1423 f.
415 Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, Art. 15
VO 17 Rdnr. 6.
416 Vgl. z.B. Kommissionsentscheidung, ABl. 1988, L 43, S. 46 - (Decca Navigator System).
417 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 300 f., 316.
2066
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
102
Wenn ein Wirtschafts- oder Produktbereich betroffen ist, in dem zuvor keine Geldbußen verhängt wurden, wirkt sich dies in einer deutlichen Milderung bei der Bußgeldbemessung aus.418 So hat die Kommission im Verfahren "Fußball-Weltmeisterschaft 1990" auf die Verhängung einer Geldbuße sogar ganz verzichtet, weil erstmals eine Entscheidung nach europäischem Wettbewerbsrecht im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Eintrittskarten für Sportereignisse erlassen wurde.419 Soweit das Gemeinschaftsrecht in dem zur Entscheidung anstehenden Bereich bereits eindeutig
geklärt ist, wird dies als Erschwerungsgrund bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt.420
In der Rechtsprechung des EuGH spielt der Grundsatz "ne bis in idem", der
im Schrifttum als allgemeiner Rechtsgrundsatz angesehen wird,421 eine stark
beachtete Rolle.422 So setzte sich der EuGH in einer Entscheidung aus dem
Jahre 1968423 mit diesem Grundsatz auseinander, verneinte allerdings im
Ergebnis seine Anwendung im Verhältnis des europäischen zum nationalen
Kartellrecht.424 In einer späteren Entscheidung stellte der EuGH jedoch fest,
daß die nationalen Wettbewerbsbehörden oder die EG-Kommission eine
zuvor von der anderen Behörde verhängte Sanktionsentscheidung bei der
Höhe der Sanktion zu berücksichtigen hätten.425 Er stützte dieses Anrechnungsprinzip auf das Gebot allgemeiner Billigkeit, wie es in Art. 90
418 Kommissionsentscheidung, ABl. vom 7.4.1992, L 92, S. 1 ff. - (Baugewerbe); ABl.
vom 9.4.1992, L 95, S. 1 ff. - (Eurocheque: Helsinki-Vereinbarung); Dannekker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 346 f.
419 Vgl. dazu XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik 1992, Rdnr. 212.
420 Kommissionsentscheidung, ABl. 1991, L 287, S. 43 - (Viho/Toshiba).
421 Grabitz, NJW 1989, 1779; Pernice, Grundrechtsgehalt im europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979, S. 40 f.; Schermers, in: Du droit international au droit de l'integration. Liber amicorum Pierre Pescatore, 1987, S. 601 ff.; Weber, ZRP 1978, 332;
weitere Nachweise bei Winkler, Die Rechtsnatur der Geldbuße im Wettbewerbsrecht der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1971, S. 99 Fn. 544. Ausführlich
auch Lillich, Das Doppelstrafverbot bei Kartelldelikten im deutschen Recht und im
Recht der Europäischen Gemeinschaften, 1978, S. 35 ff. Für das EGKS-Recht vgl.
Prothmann, Erzeugungsquoten für Stahl gemäß Art. 58 EGKS-Vertrag in der
Rechtsprechung des EuGH, 1988, S. 184.
422 Allgemein zu diesem Rechtsgrundsatz im EG-Recht Mayer, Ne-bis-in idemWirkung europäischer Strafentscheidungen, 1992, S. 223 ff.
423 EuGH, Slg. 1969, S. 1 ff. - (Walt Wilhelm).
424 Ebenso BGHSt 24, 24 ff.; dazu Dannecker, Rivista Trimestrale di Diritto Penale
dell' Economia 1990, 439 f., 451 f.; Tiedemann, ZStW 102 (1990), S. 118.
425 EuGH, Slg. 1972, S. 1281 ff.
103
Bußgeldrecht
2067
Abs. 2 EGKSV niedergelegt ist.426 Auch die Kommission befaßte sich mit
der Geltung des Grundsatzes "ne bis in idem" und trug diesem Prinzip im
"Bosch"-Verfahren Rechnung, indem sie die verhängte Geldbuße aufhob.427
8.1.5
EG-Kartellverfahren
Das EG-Kartellverfahren428 ist nicht vollständig kodifiziert. Eine teilweise
Regelung enthalten die Verordnungen des Rates 17/62429 sowie der Kommission 27/62430 und 99/63431. In der VO 17/62 werden die verfahrensrechtlichen Befugnisse der Kommission geregelt, und zwar die Auskunftsund Nachprüfungsrechte sowie das Recht zur Verhängung von Buß- und
Zwangsgeldern.432 Die VO 27/62 statuiert die kartellrechtlichen Formerfordernisse, und die VO 99/63 bestimmt die Anhörung Beteiligter und Dritter.
Die Kommission hat weder ein Recht zur eidlichen Zeugenvernehmung
noch zur Beschlagnahme. Über wichtige Verteidigunsgsrechte und Verfahrensgarantien für die Unternehmen, wie z.B. Auskunftsverweigerungsrechte,
werden keine Aussagen in den entsprechenden Verordnungen gemacht. Angesichts der "Grundrechtssensibilität" des Verfahrens433 sah sich insbesondere der EuGH gefordert, durch die Orientierung an allgemeinen Rechtsgrundsätzen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz in das EG-Kartellverfahren einzuführen.
426 EuGH, Slg. 1969, S. 15; ebenso Kommissionsentscheidung vom 2.8.1989, ABl.
1989, L 260, S. 1 ff. (42) - (Betonstahlmatten).
427 Dazu Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989,
S. 348 ff.
428 Näher dazu Cannenbley, in: XI. Internationales EG-Kartellrechts-Forum, 1986,
S. 74 ff.; Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis,
1989, S. 41 ff.; Ehlermann/Oldekop, in: Fédération Internationale pour le Droit Européen, Rapport du 8ième Congrès, 22-24 Juin 1978, vol. 3 (1978), S. 111 ff.; Kerse,
EEC Antitrust Procedure, 3. Aufl. 1988, S. 29 ff.; Kreis, RIW/AWD 1981, 281 ff.
429 Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 EWGV vom 6.2.1962,
ABl. vom 21.2.1962, L 13, S. 204.
430 ABl. vom 10.5.1962, L 27, S. 1118.
431 ABl. vom 20.8.1963, L 127, S. 2268.
432 Zu dieser VO vgl. auch schon oben 8.1.
433 Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, nach
Art. 87 (Vorbemerkung) Rdnr. 10.
2068
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
104
8.1.5.1 Rechtsnatur des Verfahrens
Die VO 17/62 unterscheidet nicht zwischen Verwaltungs- und Bußgeldsachen: Für alle verfahrensabschließenden Entscheidungen - Negativattest,434
Freistellung, Feststellung, Untersagung, Geldbuße - ist grundsätzlich das
gleiche Verfahren vorgesehen.435 Hierbei handelt es sich nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH436 um ein Verwaltungs- und nicht um ein Gerichtsverfahren, auch wenn Geldbußen verhängt werden. Einwänden aus der
Literatur, die Zuständigkeit der Kommission zur Ermittlung und zur Verhängung von Geldbußen bedeute eine unzulässige Verbindung von Anklage- und
Richterfunktion und verstoße insbesondere gegen Art. 6 EMRK,437 ist der
EuGH mit dem Argument entgegengetreten,438 das Kartellverfahren habe
mit einem Gerichtsverfahren nichts zu tun und gewährleiste alle notwendigen Verteidigungsrechte.
8.1.5.2 Einleitung des Verfahrens
Das Kartellverfahren, das von der Kommission durchgeführt wird, kann auf
drei verschiedene Arten eingeleitet werden: durch einen Antrag auf Freistellung oder Erteilung eines Negativattests seitens der Unternehmen
(Art. 2, 3 VO 17/62), durch Beschwerden anderer Unternehmen (Art. 3 VO
17/62) oder von Amts wegen (Art. 3 Abs. 1 VO 17/62), wenn der Verdacht
für das Vorliegen von Wettbewerbsbeschränkungen gegeben ist.
Art. 2 und 3 VO 17/62 sehen vor, daß die Kommission das Verfahren einleiten "kann"; die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens steht also
im pflichtgemäßen Ermessen der Kommission (Opportunitätsprinzip).
Diesbezüglich ist umstritten, ob die Kommission nur im Rahmen ihrer allgemeinen Verpflichtung nach Art. 155 EGV, "das ordnungsgemäße Funk-
434 Nach Art. 2 VO 17/62 kann die Kommission durch das Negativattest erklären, daß
aufgrund der ihr bekannten Tatsachen kein Anlaß zum Einschreiten gegen Kartellrechtsverstöße besteht.
435 Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, nach
Art. 87 (Vorbemerkung) Rdnr. 9.
436 EuGH, Slg. 1966, S. 321 (385 f.) - (Grundig); EuGH, Slg. 1970, S. 733 (756) (Buchler); EuGH, Slg. 1982, S. 1575 (1611) - (AM & S).
437 Vgl. Sedemund, in: Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht im Werden,
1982, S. 57 f.
438 EuGH, Slg. 1983, S. 1825 (1880 f.) - (Pioneer); vgl. auch Pernice, in: Grabitz (Hrsg.),
Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, nach Art. 87 (Vorbemerkung) Rdnr. 9.
105
Bußgeldrecht
2069
tionieren und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes zu gewährleisten," gehalten ist, für die Verwirklichung der Grundsätze des Wettbewerbsrechts Sorge zu tragen,439 oder ob aus der Verpflichtung des Art. 89 EGV,
in den Fällen vermuteter Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln
zu ermitteln, die prinzipielle Geltung des Legalitätsprinzips hergeleitet werden kann.440 Der EuGH geht von der Geltung des Opportunitätsprinzips aus
und hat einen Anspruch betroffener Dritter auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bejaht.441 In einer neueren Entscheidung lehnte der EuGEI eine
Verpflichtung der Kommission, auf jede Beschwerde nach Art. 3 VO 17/62
hin Ermittlungen aufzunehmen, ab. Wenn sich die Kommission jedoch für
die Aufnahme von Ermittlungen entscheide, müsse sie mit der erforderlichen Sorgfalt und dem nötigen Ernst und Eifer vorgehen, um die von den
Beschwerdeführern unterbreiteten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte in voller Kenntnis der Sachlage zu prüfen.442
8.1.5.3 Ermittlungsbefugnisse der Europäischen Kommission
Im Ermittlungsverfahren der Kommission gilt der Untersuchungsgrundsatz, d.h. die Kommission muß die notwendigen Beweismittel selbst beschaffen.443 Hierfür steht ihr das Recht auf Auskunft und Nachprüfung zur
Verfügung.
8.1.5.3.1 Auskunftsrecht nach Art. 11 VO 17/62
Die Kommission ist berechtigt, alle zur Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der Art. 85 und 86 EGV erforderlichen Auskünfte einzuholen (Art. 11
VO 17/62). Dabei läßt sie sich über die eigentlichen Auskünfte hinaus in
regelmäßiger, vom EuGH gebilligter Praxis444 Unterlagen der Unternehmen
zusenden.
439 So z.B. Börner, EuR 1984, 181 ff.; Pernice, in: Grabitz (Hrsg.) Kommentar zum
EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, nach Art. 87 (Vorbemerkung) Rdnr. 12.
440 So van Bael/Bellis, Competition Law of the EEC, 1987, S. 324; Dannecker/FischerFritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 32; Steindorff,
RIW/AWD 1963, 357.
441 EuGH, Slg. 1983, S. 3063 ff. - (Demo-Studio Schmidt).
442 EuGEI, Tätigkeitsbericht 21/93, S. 14 f. - (Rs T-7/92).
443 Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, nach
Art. 87 (Vorbemerkung) Rdnr. 16.
444 Siehe z.B. Kommissionsentscheidung, ABl. 1976, L 192, S. 27; ABl. 1979, L 191,
S. 32; EuGH, Slg. 1989, S. 3283 ff. (3347 ff.) - (Orkem).
2070
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
106
Adressaten der Auskunftspflicht sind Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, und zwar sowohl die eines Kartellverstoßes verdächtigen als
auch dritte Unternehmen, die zu den Verstößen Angaben machen können.445
Die Verordnung nennt als Adressaten weiterhin Mitgliedstaaten und nationale Behörden, die bei den Auskünften aber eine untergeordnete Rolle
spielen.
Das Auskunftsrecht nach Art. 11 VO 17/62 ist zweistufig aufgebaut.446 Innerhalb der ersten Stufe muß die Kommission gemäß Art. 11 Abs. 1 und 2
VO 17/62 zunächst ein formloses Schreiben, das einfache Auskunftsverlangen, an das Unternehmen bzw. die Unternehmensvereinigung mit einer
angemessenen Frist zur Beantwortung richten. In diesem muß die Kommission die Rechtsgrundlage und den Zweck des Verlangens angeben und auf
die in Art. 15 Abs. 1 Buchst. b VO 17/62 angeführten Zwangsmaßnahmen
für den Fall einer unrichtigen Auskunft hinweisen. Das einfache Auskunftsverlangen ist für die Unternehmen nicht verpflichtend.447 Sofern sie sich
aber entscheiden, Auskünfte zu erteilen, müssen diese richtig sein. Falls unrichtige Auskünfte erteilt werden, kann die Kommission nach Art. 15 Abs. 1
Buchst. b VO 17/62 Geldbußen verhängen.
Wenn das Unternehmen dem Auskunftsverlangen der Kommission nicht
nachkommt, kann von ihr innerhalb der zweiten Stufe die Auskunft in einer
förmlichen Entscheidung nach Art. 11 Abs. 5 VO 17/62 gefordert werden,
die dann die Unternehmen zur vollständigen und richtigen Auskunftserteilung verpflichtet. Die förmliche Auskunftsentscheidung ist gegenüber dem
einfachen Auskunftsverlangen streng subsidiär; sie darf sich ausschließlich
auf Informationen erstrecken, die vorher Gegenstand des einfachen Auskunftsverlangens waren.448 Die Erteilung der Auskunft im Rahmen der Auskunftsentscheidung kann durch Zwangsgeld erzwungen werden (Art. 16 Abs. 1
Buchst. c VO 17/62). Unrichtige oder nicht fristgemäße Auskünfte sind mit
445 Schriefers, WuW 1993, 101.
446 von Winterfeld, RIW 1992, 527.
447 Grützner, Richtiges Verhalten bei Kartellamtsermittlungen in Unternehmen, 3.
Aufl. 1993, S. 159; Würdinger, WuW 1964, 580.
448 Vgl. EuGH, Slg. 1980, S. 2053 f. - (National Panasonic); Gillmeister, Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 1985,
S. 134; Gleiss/Hirsch, Kommentar zum EWG-Kartellrecht, 3. Aufl. 1978, Art. 11
VO 17 Rdnr. 24.
107
Bußgeldrecht
2071
Bußgeld bedroht (Art. 15 Abs. 1 Buchst. b VO 17/62). Die förmliche Entscheidung muß von der Kommission gemäß Art. 190 EGV begründet werden.449
8.1.5.3.2 Nachprüfungsrecht nach Art. 13 und 14 VO 17/62
Die Nachprüfung, die gemäß Art. 14 VO 17/62 bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durchgeführt werden kann, wird grundsätzlich
von Beamten der Kommission vorgenommen. Allerdings kann die Kommission mit der Nachprüfung vor Ort auch die zuständigen Kartellbehörden der
Mitgliedstaaten beauftragen (Art. 13 VO 17/62). Von dieser Delegationsmöglichkeit wird in der Praxis in neuerer Zeit gelegentlich Gebrauch gemacht; zumeist ist dann aber ein Beamter der Kommission mit anwesend.
Nachprüfungen können entweder aufgrund eines einfachen schriftlichen
Prüfungsauftrags oder im Wege einer förmlichen Nachprüfungsentscheidung erfolgen. Die Unternehmen sind im ersteren Falle - Nachprüfung
durch einfachen Prüfungsauftrag - nicht verpflichtet, diese zu dulden.
Wenn sie aber freiwillig Unterlagen vorlegen, müssen diese vollständig
sein; anderenfalls kann die Kommission nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c VO
17/62 Bußgelder verhängen. Eine durch förmliche Entscheidung nach
Art. 14 Abs. 3 VO 17/62 angeordnete Nachprüfung ist für die Unternehmen
hingegen verpflichtend. Im Falle einer Verweigerung seitens der Unternehmen kann die Kommission Zwangsgelder nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. d
VO 17/62 oder Bußgelder nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c VO 17/62 aussprechen und sich nach Art. 14 Abs. 6 VO 17/62 bei der Nachprüfung durch die
nationalen Behörden unterstützen lassen.
In der Nachprüfungsentscheidung wie auch im Prüfungsauftrag müssen Gegenstand und Zweck der Nachprüfung angegeben sein (Art. 14 Abs. 3 Satz 2
VO 17/62). Damit ist zugleich dem Begründungserfordernis des Art. 190
EGV, das eine grundlegende Garantie für die Wahrung der Rechte der Unternehmen darstellt,450 Rechnung getragen, weil den Unternehmen auf diese
Weise der Umfang ihrer Mitwirkungspflicht verdeutlicht wird.451 Die
Kommission muß Vermutungen, denen sie nachzugehen beabsichtigt, klar
angeben. Allerdings ist sie nicht verpflichtet, alle vorliegenden Informatio-
449 Zu dieser Begründungspflicht vgl. näher sogleich unten 8.1.5.3.2.
450 EuGH, Slg. 1980, S. 2033 ff. - (National Panasonic); EuGH, Slg. 1989, S. 2929 (Hoechst).
451 Kamburoglou/Pirrwitz, RIW 1990, 267.
2072
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
108
nen zu übermitteln oder eine strenge rechtliche Qualifikation der angenom
menen Zuwiderhandlung vorzunehmen;452 nicht einmal eine Angabe des
Zeitraums der vermuteten Verstöße soll erforderlich sein.453 Weiterhin muß
auf die in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c und Art. 16 Abs. 1 Buchst. d VO 17/62
vorgesehenen Zwangsmaßnahmen hingewiesen werden (Art. 14 Abs. 3
Satz 2 VO 17/62).
Im Unterschied zum Auskunftsrecht ist für das Nachprüfungsrecht keine
zweistufige Vorgehensweise vorgeschrieben. Dies legt schon der Wortlaut
der Vorschriften nahe:454 Art. 11 Abs. 5 VO 17/62 bestimmt ausdrücklich,
daß die Kommission die Auskunft durch Entscheidung anfordert, wenn sie
nicht fristgemäß erteilt wird. In Art. 14 Abs. 3 VO 17/62 fehlt eine solche
Bestimmung. Die Kommission kann daher ohne vorherige Ankündigung sofort mittels verpflichtender Nachprüfungsentscheidung vorgehen, falls mit
einem Widersetzen des Unternehmens zu rechnen ist.455
Im Rahmen der Nachprüfungen nach Art. 14 VO 17/62 haben die Kommissionsbediensteten gemäß Abs. 1 Buchst. a-d die Befugnis, die Bücher und
sonstigen Geschäftsunterlagen zu prüfen, Abschriften oder Auszüge aus selbigen anzufertigen, mündliche Erklärungen an Ort und Stelle anzufordern
sowie alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel der Unternehmen zu betreten. Die Unternehmen haben dabei eine umfassende Mitwirkungspflicht,456 so daß sie nicht nur die Nachprüfung dulden müssen, indem sie Zugang zu den Akten gewähren, sondern sie müssen den Kommissionsbediensteten auch konkrete Hinweise geben, wo die sie interessierenden
Vorgänge zu finden sind.457
452
453
454
455
456
EuGH, Slg. 1989, S. 2929 - (Hoechst).
EuGH, Slg. 1989, S. 3152 - (Dow Benelux).
EuGH, Slg. 1980, S. 2053 ff. - (National Panasonic).
Kreis, RIW/AWD 1981, 292.
EuGH, Slg. 1989, S. 2927 - (Hoechst); Mailänder, in: Müller-Henneberg/Schwarz
(Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht.
Kommentar, 4. Aufl. 1980, Art. 14 VO 17 Rdnr. 88; Mestmäcker, Europäisches
Wettbewerbsrecht, 1974, S. 607.
457 Kamburoglou/Pirrwitz, RIW 1990, 268. Zur Mitwirkungspflicht bei der Ausfertigung von Kopien vgl. Kommissionsentscheidung, EWS 1992, 391 f. - (CSM).
109
Bußgeldrecht
2073
Zum Umfang des Nachprüfungsrechts der Kommission hat sich der
EuGH in der "Hoechst"-Entscheidung geäußert,458 der folgender Sachverhalt zugrunde lag:
Die Kommission ging aufgrund der ihr vorliegenden Informationen davon aus, daß
zwischen Herstellern und Händlern von PVC und ähnlichen Produkten abgestimmte Verhaltensweisen bezüglich der Festsetzung von Preisen und Lieferquoten
bestanden. Deshalb erließ sie eine Nachprüfungsentscheidung gegenüber verschiedenen Herstellern und versuchte, an drei aufeinanderfolgenden Tagen bei
Hoechst eine Nachprüfung durchzuführen. Die Hoechst-AG verweigerte dies jedoch mit der Begründung, es handele sich um eine rechtswidrige Durchsuchung.
Die Kommission hielt aber ihre Auffassung aufrecht und drohte ein Zwangsgeld
von 1.000 ECU pro Tag des Verzuges an. Als die Hoechst-AG die Nachprüfung
dennoch nicht ermöglichte, setzte die Kommission dieses Zwangsgeld fest. Gleichzeitig beantragte das Bundeskartellamt, das von der Kommission um Amtshilfe ersucht worden war, beim Amtsgericht den Erlaß eines Durchsuchungsbefehls. Diesem Antrag wurde stattgegeben, so daß die Nachprüfung durchgeführt werden
konnte. Die Kommission setzte das Zwangsgeld - entsprechend der Androhung auf 55.000 ECU fest. Im Wege der Klage machte die Hoechst-AG beim EuGH
geltend, die Kommission habe die Grenzen des Nachprüfungsrechts überschritten,
das angewandte Verfahren sei rechtswidrig gewesen. Der EuGH hat die Klage insgesamt abgewiesen.
In dieser Entscheidung kam der Frage, ob sich Unternehmen im Gemeinschaftsrecht auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung auch
für Geschäftsräume berufen können, zentrale Bedeutung zu. Der EuGH
lehnte - entgegen dem Plädoyer des Generalanwalts -459 die Anerkennung
eines Grundrechts auf Unverletztlichkeit auch der Geschäftsräume im Gemeinschaftsrecht als gemeinsamen Grundsatz der Mitgliedstaaten ab.460 Ein
solcher Grundsatz bestehe zwar für Privatwohnungen natürlicher Personen.
Bezüglich der Art und des Umfanges des Schutzes von Geschäftsräumen
wiesen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten jedoch nicht unerhebliche
Unterschiede auf, so daß mangels gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen
ein solcher Grundrechtsschutz nicht anzuerkennen sei. Auch sei die Herleitung eines solchen Grundsatzes aus Art. 8 Abs. 1 EMRK, nach dem jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner
Wohnung und seines Briefverkehrs hat, nicht möglich. Art. 8 Abs. 1 EMRK
schütze die freie Entfaltung der Persönlichkeit und sei daher nicht auf Geschäftsräume auszudehnen. Demzufolge sei auch kein europäischer Richter-
458 EuGH, Slg. 1989, S. 2859 ff. - (Hoechst).
459 Schlußanträge des Generalanwalts Mischo, EuGH, Slg. 1989, S. 2875 ff. (2892) (Hoechst).
460 Zum nachfolgenden EuGH, Slg. 1989, S. 2929 ff. - (Hoechst).
2074
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
110
vorbehalt zu beachten. Der EuGH erkannte lediglich den Schutz vor ohne
Rechtsgrundlage ergangenen oder willkürlichen und unverhältnismäßigen
Eingriffen als allgemeinen Rechtsgrundsatz an, der auch im Gemeinschaftsrecht Geltung beanspruche, und prüfte unter diesem Gesichtspunkt den Umfang des Nachprüfungsrechts der Kommission nach Art. 14 VO 17/62. Hierzu führte er aus, daß sowohl Zweck als auch Befugnisse des Art. 14 VO
17/62 erkennen ließen, daß das Nachprüfungsrecht sehr weit gehen könne.
Ein Betretungsrecht wäre zwar nutzlos, wenn es nicht zugleich impliziere,
daß die Inspektoren der Kommission nach Informationsquellen, die noch
nicht bekannt oder vollständig bezeichnet sind, suchen dürften. Die Kommissionsbediensteten dürften sich jedoch nicht gewaltsam Zugang zu Räumen oder Möbeln verschaffen oder die Unternehmensbeschäftigten zwingen, Zugang hierzu zu gewähren. Eine Durchsuchung ohne Einwilligung sei
deshalb nicht möglich. Wenn sich die Unternehmen der Nachprüfung widersetzten, müßten auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 6 VO 17/62 die nationalen Behörden eingeschaltet werden, um die erforderliche Unterstützung zu
gewähren und nach allen Informationsquellen zu suchen. Das Verfahren
nach Einschaltung nationaler Behörden richte sich dann nach nationalem
Recht, so daß nationale Verfahrensgarantien zu beachten seien. Dadurch
könnten sich z.B. deutsche Unternehmen auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung und den daraus resultierenden Richtervorbehalt berufen, denn das BVerfG beziehe Geschäftsräume von Unternehmen in den
Schutzbereich des Art. 13 GG ein.461 Einschränkend fügte der EuGH hinzu,
daß die nationalen Stellen, sei es Behörde oder Gericht, die Notwendigkeit
der Nachprüfung nicht mehr überprüfen dürften. Diese Entscheidung unterliege allein der Kontrolle durch den EuGH. Die nationalen Stellen seien nur
zur Prüfung der Echtheit, Willkürfreiheit und Verhältnismäßigkeit der
Nachprüfungsentscheidung sowie der Wahrung nationalen Rechts befugt.
Diese Entscheidung des EuGH ist namentlich im deutschen Schrifttum heftig umstritten.
Hauptkritikpunkt ist die Ablehnung des Grundrechtsschutzes für Geschäftsräume
im Gemeinschaftsrecht.462 So wird dem EuGH eine unzureichende Auseinandersetzung mit der verfassungsrechtlichen Situation in den Mitgliedstaaten vorgeworfen, die nicht eindeutig gegen einen solchen allgemeinen Rechtsgrundsatz spreche.
Sechs Mitgliedstaaten - die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, Großbritan-
461 BVerfGE 32, S. 54 (71).
462 Vgl. Kulka, DB 1989, 2116; Moosecker, in: Schwerpunkte des Kartellrechts
1988/89, 1990, S. 90; Ress/Ukrow, EuZW 1990, 503; Scholz, WuW 1990, 107; vgl.
auch Klocker, WuW 1990, 109 ff.
111
Bußgeldrecht
2075
nien, Frankreich, Italien, Spanien - gewährten Geschäftsräumen Grundrechtsschutz, drei Staaten lehnten ihn ab (Griechenland, Irland, die Niederlande), und in
drei Mitgliedstaaten - Belgien, Luxemburg, Portugal - sei die Rechtslage nicht abschließend geklärt.463 Der EuGH sei aber bei unterschiedlichen nationalen Verfassungslagen keineswegs gezwungen, die gemeinsamen Rechtsgrundsätze anhand
eines Minimalstandards auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners zu entwickeln,464 zumal sich der EuGH auch bisher an einem Maximalstandard unter
wertender Auswahl orientiert habe. Hier schließe er indessen allein aus den nationalen Unterschieden auf den niedrigsten Standard.465 Weiterhin wird die Argumentation in Frage gestellt, Art. 8 Abs. 1 EMRK schütze nur die freie Entfaltung
der Persönlichkeit. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit realisiere sich nicht nur
in der Privatwohnung, sondern auch in unternehmerischer Tätigkeit, zu deren Verwirklichung es eines gegen staatliche Eingriffe geschützten gegenständlichen Bereichs bedürfe.466 Schließlich wird kritisiert, daß der EuGH bei einer Durchsuchung durch nationale Behörden nach Art. 14 Abs. 6 VO 17/62 die Überprüfung
der Erforderlichkeit der Nachprüfung durch den nationalen Richter nicht zuläßt.
Durch die Entziehung eines solchen zentralen Prüfungskriteriums sei der Richtervorbehalt entwertet und wirklicher präventiver Rechtsschutz nicht gegeben.467
Der EuGH hat im Schrifttum allerdings auch Unterstützung erfahren.
So wird gegen die oben dargestellte Kritik eingewandt, daß der EuGH zutreffend
zwischen einem Entscheidungsverfahren einerseits und einem Vollstreckungsverfahren nach Art. 14 Abs. 6 VO 17/62 und den nationalen Rechtsordnungen andererseits unterschieden habe.468 Es komme auf die Anerkennung eines entsprechenden gemeinschaftlichen Grundrechts überhaupt nicht an,469 weil die Kommissionsbediensteten ohnehin von der Mitwirkung der Unternehmen abhängig seien
und keinerlei Zwangsbefugnisse hätten. Dies sei aber unter Zugrundelegung der
Rechtsprechung des BVerfG zum "Betreten von Betriebsräumen zur routinemäßigen Nachschau"470 noch keine Durchsuchung und kein Eingriff bzw. keine Be
schränkung i.S. des Art. 13 Abs. 3 GG. Für die Anerkennung eines Richtervorbehalts sei daher kein Raum.471
463 So Kulka, DB 1989, 2116; im Ergebnis auch Scholz, WuW 1990, 107.
464 Kühlhorn, WuW 1986, 12; Ress/Ukrow, EuZW 1990, 503; Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989,
S. 452 mit Hinweis auf das "AM & S"-Urteil.
465 Ress/Ukrow, EuZW 1990, 503.
466 So die aufgegriffene Argumentation des BVerfG, BVerfGE 32, S. 54 (71); 42, S. 212 ff.;
vgl. Kulka, DB 1989, 2116; Scholz, WuW 1990, 101 f.; Ress/Ukrow, EuZW 1990, 503,
die anhand einer systematischen Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EMRK argumentieren, mit
weiteren Nachweisen zur Auslegung des Art. 8 Abs. 1 EMRK.
467 Kulka, DB 1989, 2117; Moosecker, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1988/89,
1990, S. 90; Scholz, WuW 1990, 106.
468 Schriefers, WuW 1993, 105.
469 Kamburoglou/Pirrwitz, RIW 1990, 270.
470 BVerfGE 32, S. 54 (77); 51, S. 97 (107).
471 Vgl. auch von Winterfeld, RIW 1992, 526.
2076
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
112
In dem Fall, in dem die Kommission Beweismittel aufgrund einer rechtswidrigen Nachprüfungsentscheidung oder außerhalb des Anwendungsbereichs einer Nachprüfungsentscheidung erlangt hat, besteht bezüglich dieser
Beweismittel ein Verwertungsverbot.472
8.1.5.4 Sanktionsverhängung bei Mitwirkungsverweigerung
Wenn ein Unternehmen die Pflicht zur richtigen und rechtzeitigen Auskunftserteilung nicht erfüllt oder die Nachprüfung nicht duldet, können
Geldbußen gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 11 VO 17/62 bzw.
Art. 15 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 13, 14 VO 17/62 verhängt werden.473
Neben der Pflichtverletzung setzt eine Ahndung den Nachweis von Vorsatz
oder Fahrlässigkeit seitens des Unternehmens voraus; hinsichtlich der Bußgeldhöhe ist ein Rahmen von 100 - 5.000 ECU vorgesehen.
Die Kommission geht davon aus, daß ein Unternehmen, bei dem eine Nachprüfung durchgeführt wird, sich der Verpflichtung nicht dadurch entziehen
kann, daß es sich darauf beruft, die geforderten Unterlagen seien nicht
zweckmäßig. Dies könnten allein die mit der Nachprüfung beauftragten Beamten beurteilen. Ein Unternehmen, das Adressat einer Nachprüfungsentscheidung ist, könne die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Kommission
durch das EuGEI überprüfen lassen. Deshalb wurde im Fall "CSM" gegen
das Unternehmen wegen der Weigerung, Kopien von Dokumenten anfertigen zu lassen, eine Geldbuße verhängt.474
Wenn ein Unternehmen es ablehnt, ein formloses Auskunftsbegehren zu
beantworten, kann dieses Verhalten nicht durch die Verhängung einer
Geldbuße geahndet werden. Die Kommission ist in diesem Fall gezwungen,
eine förmliche Entscheidung zu erlassen. Erst dann ist das Unterlassen der
472 Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofs, Slg. 1987, S. 1549; Slg. 1987, S. 4367.
473 Am 6.4.1992 verhängte die Kommission eine Geldbuße in Höhe von 5.000 ECU
gegen die Linienkonferenz United Kingdom West Africa Lines Joint Service (UKWAL), weil diese sich geweigert hatte, eine Nachprüfung gemäß Art. 18 Abs. 3 der
Verordnung des Rates (EWG) 4056/86 vom 22.12.1986 über die Einzelheiten der
Anwendung der Art. 85 und 86 EWGV auf den Seeverkehr zu dulden. Gegen die
Linienkonferenz Mediterranean Europe West Africa Conference (MEWAC) wurde
wegen eines solchen Verstoßes eine Geldbuße in Höhe von 4.000 ECU verhängt.
474 Kommissionsentscheidung, EWS 1992, 391 f.; vgl. auch XXII. Bericht über die
Wettbewerbspolitik 1992, Anhang III, S. 446 f. Näher zur Sanktionspraxis der
Kommission Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 50 f. mit weiteren Nachweisen.
113
Bußgeldrecht
2077
Auskunftserteilung seitens des Unternehmens bußgeldbewehrt. Falls das
formlose Schreiben hingegen unrichtig beantwortet wird, kann eine Geldbuße sofort verhängt werden (Art. 15 Abs. 1 Buchst. b, 1. Alt. VO 17/62).475
Auch inhaltlich richtig, aber unvollständig erteilte Auskünfte sind unrichtig,
wenn sie den Anschein einer vollständigen Auskunft erwecken.476
8.1.5.5 Verfahrensgarantien und Verteidigungsrechte der Unternehmen
Die Eingriffsbefugnisse der Kommission erfordern, daß den betroffenen
Unternehmen bereits im verwaltungsrechtlichen Verfahren vor der Kommission die Möglichkeit gegeben wird, ihre Rechte und Interessen gegenüber der Kommission wahrzunehmen. Der EuGH legte erstmals im Fall
"Hoffmann-La Roche" aus dem Jahre 1979477 dar, daß die beträchtlichen
Ermittlungsbefugnisse der Kommission auf dem Gebiet der Wettbewerbsbeschränkung es erforderlich machten, daß den betroffenen Unternehmen
mehr verfahrensrechtliche Garantien eingeräumt werden.478
8.1.5.5.1 Anspruch auf rechtliches Gehör
Der Anspruch auf rechtliches Gehör, den der EuGH in ständiger Rechtsprechung als fundamentalen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkennt,479 hat seinen Ausdruck in den Bestimmungen des Art. 19 VO 17/62
und in der Anhörungsverordnung 99/63 gefunden.480
So muß die Kommission nach Abschluß der Sachverhaltsaufklärung den Unternehmen die Beschwerdepunkte schriftlich mitteilen (Art. 19 Abs. 1 VO 17/62
i.V.m. Art. 3 und Art. 7 VO 99/63). In dieser Mitteilung hat sie zumindest in gedrängter Form die für den Vorwurf wesentlichen Tatsachen klar anzugeben und
475 Kommissionsentscheidung, ABl. vom 4.2.1982, L 27, S. 31 ff. - (Comptoir Commercial d'Importation); ABl. vom 27.4.1982, L 113, S. 18 ff. - (National Panasonic
Belgium); ABl. vom 20.7.1982, L 211, S. 32 ff. - (National Panasonic France).
476 EuGH, Slg. 1978, S. 1418 - (TEPEA/Watts); Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EGKartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 51; Kreis, RIW/AWD 1981, 295.
477 EuGH, Slg. 1979, S. 461 ff.
478 Zur Entwicklung der Rechtsprechung zu den Verfahrensrechten vgl. Due, EuR 1988,
33; Kerse, EEC Antitrust Procedure, 3. Aufl. 1988, S. 114 ff.; Gast, Les procédures européennes du droit de la concurrence et de la franchise, 1989, S. 170 ff.; Schwarze, Tendencies towards a Common Administrative Law in Europe, ELR 1991, 3 ff.
479 Vgl. nur EuGH, Slg. 1979, S. 511 - (Hoffmann-La Roche); EuGH, Slg. 1983,
S. 1880 f. - (Pioneer).
480 Einen Überblick über die inhaltliche Ausformung des rechtlichen Gehörs durch die
Rechtsprechung des EuGH gibt Girnau, Die Stellung der Betroffenen im EGKartellverfahren, 1992, S. 14 ff.
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Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
114
darauf hinzuweisen, daß die Unternehmen ihre Verteidigung schriftlich und auf
Antrag auch (im Rahmen einer Anhörung) mündlich vorbringen können.481 In
Rechtsprechung und Literatur wird zudem aus dem Recht auf effektive Verteidigung hergeleitet, daß die Kommission über die Absicht, Geldbußen zu verhängen,
informieren muß.482
Die Kommission darf in einer Bußgeldentscheidung nur diejenigen Beschwerdepunkte berücksichtigen, zu denen sich die Unternehmen äußern konnten. Das setzt
voraus, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte der Pflicht zur Klarheit entsprochen hat.483 Wenn die Kommission neue Tatsachen in das Verfahren aufnehmen will, ist eine ergänzende Mitteilung an die Unternehmen erforderlich.484
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs seitens der Kommission führt als
Verfahrensfehler allerdings nur dann zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung, wenn es ohne den Fehler zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.485 Darüber hinaus führt das Versäumnis der Kommission, nachträglich
entdeckte Aspekte in neuen Beschwerdepunkten mitzuteilen, zu einem diesbezüglichen Verwertungsverbot.486
8.1.5.5.2 Recht auf anwaltlichen Beistand und Grundsatz der Vertraulichkeit
des anwaltlichen Schriftverkehrs
Die Unternehmen haben das Recht auf anwaltlichen Beistand.487 Wenn
eine Nachprüfung aufgrund einer verpflichtenden Nachprüfungsentscheidung nach Art. 14 Abs. 3 VO 17/62 vorgenommen wird, soll deren Recht
mäßigkeit nach der Rechtsprechung des EuGH aber nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß die Kommission nicht auf das Eintreffen des Anwalts
481 EuGH, Slg. 1979, S. 512 - (Hoffmann-La Roche); EuGH, Slg. 1983, S. 1881 - (Pioneer).
482 EuGH, Slg. 1983, S. 1883 - (Pioneer); Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 54; Due, EuR 1988, 36; Girnau, Die Stellung
der Betroffenen im EG-Kartellverfahren, 1992, S. 16.
483 Vgl. dazu EuGH vom 31.3.1993, Tätigkeitsbericht 11/93, S. 16 f. - (Rs C-104/85,
C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis 129/85).
484 EuGH, Slg. 1983, S. 3220 - (AEG-Telefunken); Due, EuR 1988, 36.
485 EuGH, Slg. 1980, S. 2264 - (Distillers).
486 EuGH, Slg. 1983, S. 3192 f. - (AEG-Telefunken).
487 Näher dazu Canenbley, in: XI. Internationales EG-Kartellrechts-Forum, 1986,
S. 92 f.; Gillmeister, Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 1985, S. 81 ff.; von Winterfeld, RIW 1992, 526 f.
115
Bußgeldrecht
2079
wartet,488 da ansonsten ein möglicherweise beabsichtigter Überraschungseffekt zunichte gemacht würde.489
Der Grundsatz der Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs (legal
professional privilege)490 ist im Gemeinschaftsrecht nicht geregelt, muß jedoch nach den vom EuGH im Fall "AM & S"491 herausgearbeiteten Maßgaben beachtet werden. In diesem Urteil erkennt der EuGH trotz im einzelnen
unterschiedlicher Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten492 einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts an, nach dem die Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs unter folgenden Voraussetzungen geschützt ist: Zum einen muß der Schriftverkehr im Rahmen und im Interesse
des Mandanten auf Verteidigung geführt worden sein, zum anderen muß er
mit einem unabhängigen, nicht dienstvertraglich an den Mandanten gebundenen, in einem der Mitgliedstaaten zugelassenen Anwalt geführt worden
sein.493 Demgegenüber wird in der Literatur teilweise eine Ausdehnung des
legal professional privilege auf standesrechtlich gebundene Syndikusanwälte gefordert.494
Falls sich ein Unternehmen auf die Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs berufen will, muß es - durch Auszüge oder andere Belege - hinreichend darlegen, daß die Unterlagen vertraulich sind. Hält die Kommission die Belege für nicht genügend, kann sie die Nachprüfung durch
Entscheidung nach Art. 14 Abs. 3 VO 17/62 anordnen und gegebenenfalls
Zwangsgelder verhängen. Das Unternehmen hat die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Klage vor dem EuGH zu erheben, der dann verbindlich
über die Vertraulichkeit zu entscheiden hat.495 Diese Überlegungen werden
in der Literatur unter Rückgriff auf das "Hoechst"-Urteil dahingehend er488 EuGH, Slg. 1980, S. 2052 - (National Panasonic).
489 Joshua, ELR 1983, 9; Gillmeister, Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 1985, S. 182.
490 Eingehend dazu Beutler, RIW 1982, 820 ff.; Canenbley, in: XI. Internationales EGKartellrechts-Forum, 1986, S. 82 f.; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Der Gemeinsame
Markt, 1987, S. 168 ff.; Sedemund, in: Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, 1982, S. 58 f.
491 EuGH, Slg. 1982, S. 1575 ff.
492 Ein rechtsvergleichender Überblick findet sich in den Schlußanträgen der Generalanwälte Warner und Slynn, EuGH, Slg. 1982, S. 1619 ff. und 1642 ff. - (AM & S).
493 EuGH, Slg. 1982, S. 1611 f. - (AM & S).
494 Kolvenbach, in: Festschrift für Werner, 1984, S. 419; Gillmeister, Ermittlungsrechte im
deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 1985, S. 218.
495 EuGH, Slg. 1982, S. 1613 f. - (AM & S)
2080
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
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gänzt, daß den Interessen der Unternehmen besser gedient wäre, wenn der
streitige Schriftwechsel ohne vorherige Durchsicht in einem versiegelten
Umschlag verschlossen der Kommission übergeben würde. Das betroffene
Unternehmen müßte dann das EuGEI anrufen und den vertraulichen Charakter überprüfen lassen.496
8.1.5.5.3 Akteneinsichtsrecht
Eine sachgerechte Interessenvertretung setzt voraus, daß die betroffenen
Unternehmen über den materiellen Gegenstand des Kartellverfahrens hinreichend informiert werden. Diesem Gesichtspunkt trägt das kartellrechtliche Verfahrensrecht dadurch Rechnung, daß die Kommission den betroffenen Unternehmen nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens Akteneinsicht
gewährt.497 Der EuGH lehnt allerdings ein allgemeines Akteneinsichtsrecht
i.S. eines Rechts auf Vorlage der Gesamtakten im Kartellverfahren vor der
Kommission ab,498 ohne dabei zwischen Verwaltungs- und Bußgeldverfahren zu unterscheiden.499
Das Akteneinsichtsrecht wird vom EuGH500 auf solche Schriftstücke eingeschränkt, auf die die Kommission ihre Entscheidung stützen will. Auch das
EuGEI501 hielt es zunächst für die Wahrung der Verteidigungsrechte nicht
für erforderlich, daß sich ein Unternehmen zu allen Schriftstücken äußern
kann, die Teil der Kommissionsakten sind, wies jedoch zugleich darauf hin,
daß die Kommission dadurch, daß sie im XXI. Wettbewerbsbericht von
1991 ein Akteneinsichtsverfahren festgelegt habe, sich selbst Regeln auferlegt habe, von denen sie nur abweichen dürfe, wenn es sich um Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, um interne Schriftstücke oder um sonstige vertrauliche Informationen handelt. Nunmehr hat das EuGEI502 ein
496 von Winterfeld, RIW 1992, 527.
497 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 55; Sedemund, in: Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, 1982, S. 48 f.
498 EuGH, Slg. 1966, S. 386 - (Grundig/Consten); vgl. dazu Korah, CLP 1980, 84 ff.; Pliakos, Les droits de la défense et le droit communautaire de la concurrence, 1982,
S. 311 ff.; Sedemund, in: Schwarze (Hrsg.), Europäisches Verwaltungsrecht im Werden,
1987, S. 48 ff.; Waelbroeck, in: Annales de droit de Louvain, 1985, S. 79 ff.
499 Girnau, Die Stellung der Betroffenen im EG-Kartellverfahren, 1992, S. 8 f.
500 EuGH, Slg. 1983, S. 3192 - (AEG-Telefunken).
501 EuGEI vom 17.12.1991, Tätigkeitsbericht 22/91, S. 23 - (Rs T-7/89).
502 EuGEI vom 18.12.1992, Tätigkeitsbericht 34/92, S. 24 - (Rs T-10/92, T-11/92,
12/92 und 15/92).
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2081
umfassendes Akteneinsichtsrecht als Voraussetzung einer effektiven Verteidigung in Verfahren, die zu Sanktionen führen können, anerkannt. In der
Literatur wurde es stets als Prämisse einer effektiven Verteidigung angesehen, auch in Unterlagen Einblick nehmen zu können, die die Kommission
ihrer Entscheidung nicht zugrundegelegt hatte, da diese entlastendes Material enthalten können.503
Wenn die Kommission die Akteneinsicht zu Unrecht verweigert und dadurch die Verteidigungsrechte des betroffenen Unternehmens verletzt, folgt
hieraus grundsätzlich noch kein Verfahrenshindernis. Lediglich in dem Fall,
in dem die Rechtsstellung des betroffenen Unternehmens unmittelbar und
irreversibel beeinträchtigt ist, wird eine Nichtigkeitsklage noch vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens für zulässig gehalten.504
8.1.5.5.4 Grenzen für die Verwertung und Weitergabe von Kenntnissen und
Schutz der Berufsgeheimnisse
Nach Art. 20 Abs. 1 VO 17/62 dürfen "die bei Anwendung der Art. 11, 12,
13 und 14 erlangten Kenntnisse ... nur zu dem mit der Auskunft oder Nachprüfung verfolgten Zweck verwertet werden". Dieses Verbot stellt eine wesentliche Sicherheit für die auskunftspflichtigen bzw. der Nachprüfung unterworfenen Unternehmen dar. So darf die Kommission Informationen, die
ein Unternehmen als unbeteiligter Dritter zur Verfügung gestellt hat, nicht
in einem neuen Verfahren gegen dieses selbst oder gegen andere verwenden, selbst wenn sich aus ihnen der Nachweis über eine Zuwiderhandlung
ergibt.505 Auch in dem Fall, in dem die Auskunft Hinweise auf andere Zuwiderhandlungen als die zunächst vermuteten enthält, greift das Verwertungsverbot des Art. 20 Abs. 1 VO 17/62 ein. Nach Ansicht des EuGH
wird die Kommission jedoch dadurch nicht gehindert, ein neues Untersuchungsverfahren einzuleiten, um die Informationen, die sie bei der Nachprüfung zufällig erlangt hat, auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und zu vervollständigen.506
503 Canenbley, in: XI. Internationales EG-Kartellrechts-Forum, 1986, S. 88; von Winterfeld, RIW/AWD 1981, 807.
504 EuGEI vom 18.12.1992, Tätigkeitsbericht 34/92, S. 24.
505 Pernice, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990, Art. 20
VO 17 Rdnr. 5.
506 EuGH, Slg. 1989, S. 3154 (3155) - (Dow Benelux).
2082
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
118
Außerdem dürfen die nach Art. 11-14 VO 17/62 erlangten Kenntnisse nur
verwertet werden, soweit Art. 85 und 86 EGV angewendet werden sollen.
Hieraus zieht das EuGEI507 den Schluß, daß in nationalen Kartellverfahren
weder die in Auskünften nach Art. 11 VO 17/62 gegebenen Informationen
noch solche aus den Anträgen nach Art. 2, 3 und 5 VO 17/62 als Beweismittel verwertet werden dürfen. Allerdings sollen solche Informationen als Anhaltspunkte für die Einleitung eines nationalen Verfahrens herangezogen
werden dürfen.
Art. 214 EGV verpflichtet die "Mitglieder der Organe der Gemeinschaft,
die Mitglieder der Ausschüsse sowie die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft, Auskünfte, die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben". Dadurch wird eine allgemeine Pflicht
zur Amtsverschwiegenheit statuiert, die insbesondere Auskünfte über Unternehmen sowie deren Geschäftsbeziehungen und Kostenelemente erfaßt.
Für den Bereich des Kartellrechts wird die Amtsverschwiegenheit zudem
durch Art. 20 Abs. 2 VO 17/62 statuiert. Diese Vorschrift bezieht zusätzlich die am Kartellverfahren mitwirkenden nationalen Behörden in die
Geheimhaltungspflicht ein.
Während sich der Rechtsprechung des EuGH nur wenige Anhaltspunkte für
eine abstrakte Begriffsbestimmung des Berufsgeheimnisses entnehmen lassen,508 wird in der Literatur ein extensiver Geheimnisbegriff vertreten, der
alle Informationen - einschließlich der Geschäftsgeheimnisse509 - umfaßt,
die den Kommissionsbediensteten im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit
nach der Verordnung 17/62 bekannt werden, für die ein Geheimhaltungsinteresse besteht und die der Allgemeinheit nicht zugänglich sind.510
Bezüglich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen im Verhältnis zwischen
Beschuldigtem und Dritten hat der EuGH in den letzten Jahren ein eigenes
Verfahren entwickelt. Hiernach ist zunächst das Unternehmen, dessen Un-
507 EuGEI vom 16.7.1992 - (Rs C-67/91: Spanische Banken).
508 Temple Lang, in: Hawk (ed.), Antitrust and Trade Policies of the European Economic Community, 1984, S. 274.
509 Lieberknecht, WuW 1988, 845; Rohlfing, Das kartellrechtliche Untersuchungsverfahren nach deutschem, französischem und europäischem Kartellrecht und die Berücksichtigung der Verteidigungsrechte, 1991, S. 171 f.; vgl. auch EuGH, Slg.
1986, S. 1965 (1991 f.).
510 Bronkhorst, Maandblad voor Ondernemingsrecht en Rechtspersonen 1988, 328 ff.; Kerse,
EEC Antitrust Procedure, 3. Aufl. 1988, S. 29 ff. (mit rechtsvergleichenden Hinweisen).
119
Bußgeldrecht
2083
terlagen weitergegeben werden sollen, anzuhören. Sodann bedarf es einer
begründeten Entscheidung der Kommission über die Weiterleitung. Hiergegen kann von betroffenen Unternehmen Klage erhoben werden mit dem
Ziel, eine Weiterleitung zu verhindern.511
Art. 20 Abs. 3 VO 17/62 schränkt die Geheimhaltungspflichten der Art. 20
Abs. 1 und 2 VO 17/62 insoweit ein, als er gestattet, Übersichten und Zusammenfassungen, die der Kommission an sich nur für einen bestimmten
Ermittlungszweck oder jedenfalls als nichtöffentliche Dokumente anvertraut
wurden, zu veröffentlichen. Damit wird klargestellt, daß ein Geheimhaltungsinteresse nur insoweit anerkannt wird, als die Informationen sich
auf individualisierbare Personen oder auf Unternehmen beziehen.
8.1.5.5.5 Auskunftsverweigerungsrecht
Die Frage, ob sich die Unternehmen auf den Grundsatz "nemo tenetur se
ipsum accusare", nach dem niemand gezwungen werden kann, gegen sich
selbst auszusagen, berufen können, ist im Gemeinschaftsrecht nicht geregelt.
Im Schrifttum wurde die Anerkennung eines Auskunftsverweigerungsrechts zum
Schutz vor Selbstbezichtigung zunächst überwiegend abgelehnt,512 weil es seine
Rechtfertigung in dem Schutz vor einem persönlichen Gewissenskonflikt finde.
Natürliche Personen, die im Namen des Unternehmens Auskünfte geben, seien
aber selbst keinen Sanktionen ausgesetzt, da diese strikt unternehmensbezogen
seien,513 und unterlägen folglich keinem Gewissenskonflikt. Wenn der Ministerrat
entgegen den Empfehlungen des Europäischen Parlamentes514 ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht ausdrücklich normiert habe, so sei dies durchaus sachgerecht, denn nur so könne mit den begrenzten Eingriffsbefugnissen der Kommission
eine effektive Wettbewerbsaufsicht ermöglicht werden.515 Es fanden sich aber zunehmend - auch gegenteilige Stimmen, die sich darauf stützen, daß ein beachtlicher Gewissenskonflikt für die auskunftspflichtigen Personen entstehe. Sie müß
ten sich zum Werkzeug der Überführung ihrer selbst machen, wenn für sie eine
Verpflichtung zu Auskünften über Zuwiderhandlungen, an denen sie als vertre-
511 EuGH, Slg. 1986, S. 1992; vgl. dazu Girnau, Die Stellung der Betroffenen im EGKartellverfahren, 1992, S. 136 f.
512 Vgl. nur die Nachweise bei Schwarze, in: ders. (Hrsg.), Der Gemeinsame Markt.
Bestand und Zukunft in wirtschaftlicher Perspektive, 1987, S. 165.
513 Vgl. Joshua, ELR 1983, 13 ff.
514 Deringer-Bericht, Sitzungsdokumente des Europäischen Parlamentes vom 7.9.1961,
Dok. 57, S. 29.
515 Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 48.
2084
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
120
tungsberechtigte Personen des Unternehmens beteiligt gewesen seien, bestehe.516
Die Tatsache, daß nicht in allen Mitgliedstaaten der Grundsatz "nemo tenetur" auch
für Unternehmen gegenüber den Kartellbehörden anerkannt wird, lege nicht notwendig den Schluß nahe, daß ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts
nicht bestehe. In einigen Mitgliedstaaten hätten die nationalen Kartellbehörden
ohnehin keine weitreichenden Ermittlungsbefugnisse, so daß die Normierung eines
Auskunftsverweigerungsrechts bereits aus diesem Grunde nicht erforderlich sei.517
Weiterhin sei es nicht sachgerecht, die verfahrensrechtliche Stellung des Beschuldigten von seiner Rechtsform abhängig zu machen, da die Rechtsnatur des
Verstoßes unabhängig davon sei, ob er von einer juristischen oder einer natürlichen
Person begangen wurde.518
Nunmehr hat sich der EuGH zur Frage des Auskunftsverweigerungsrechts
von Unternehmen in der "Orkem"-Entscheidung519 geäußert. Er sieht in
dem Prinzip "nemo tenetur", soweit Unternehmen betroffen sind, keinen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der im kartellrechtlichen
Bußgeldverfahren anzuerkennen wäre. Ein Auskunftsverweigerungsrecht
werde in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten allgemein nur natürlichen Personen im Rahmen von Strafverfahren zuerkannt, nicht aber juristischen Personen bei Zuwiderhandlungen wirtschaftlicher Art.520 Eine Beschränkung der Aussagepflicht der Unternehmen leitet der EuGH aber aus
dem Grundsatz der "Wahrung der Rechte der Verteidigung" her, den er als
"fundamentalen Grundsatz der Gemeinschaftsordnung" anerkennt.521 Die
Unternehmen müßten daher zwar Auskünfte über Tatsachen erteilen, selbst
wenn diese dazu verwendet werden könnten, Beweise für ein wettbewerbswidriges Verhalten der Unternehmen zu erbringen. Sie seien allerdings
nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, durch die sie das Vorliegen einer
Zuwiderhandlung eingestehen müßten, für die die Kommission Beweis zu
erbringen hat.522 Die Unternehmen müßten also rein tatsächliche Angaben
516 Vgl. Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches
Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 455.
517 Eingehend Canenbley, in: XI. Internationales EG-Kartellrecht-Forum, 1986, S. 85;
von Winterfeld, RIW/AWD 1981, 805.
518 Hermanns, Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden nach deutschem und europäischem Recht, 2. Aufl. 1978, S. 139; ähnlich auch Sedemund, in: Schwarze (Hrsg.),
Europäisches Verwaltungsrecht im Werden, 1982, S. 58; von Winterfeld, RIW/AWD
1981, 805.
519 EuGH, Slg. 1989, S. 3283 ff. - (Orkem).
520 EuGH, Slg. 1989, S. 3350 - (Orkem).
521 EuGH, Slg. 1989, S. 3351 - (Orkem); ebenso bereits EuGH, Slg. 1983, S. 3461 (Michelin).
522 EuGH, Slg. 1989, S. 3351 - (Orkem).
121
Bußgeldrecht
2085
machen, z.B. über Gegenstand, Teilnehmer und Modalitäten von Zusammenkünften, nicht aber Aussagen über Zweck und Ziele solcher Treffen.523
In der Lehre wird an dieser Rechtsprechung kritisiert, daß eine klare Abgrenzung
zwischen unerlaubter Ausforschung und erlaubter Befragung, d.h. zwischen Fragen
nach tatsächlichen Umständen und solchen nach Ziel und Zweck von Zusammenkünften, kaum möglich und noch nicht abschließend geklärt sei.524 Die Einordnung
in den einen oder anderen Bereich hänge letztlich von der geschickten Fragestellung der Kommission ab, so daß die Unternehmen im Ergebnis doch zu einem Geständnis gezwungen würden.525 Außerdem wird die Notwendigkeit, ein
Auskunftsverweigerungsrecht abzulehnen, in Frage gestellt, weil sich die Kommission auf der Grundlage des "Hoechst"-Urteils die benötigten Informationen und
Unterlagen im Rahmen einer Nachprüfung auch gegen den Willen eines Unternehmens verschaffen könne.526
Schließlich ist festzustellen, daß ein Auskunftsverweigerungsrecht der Unternehmen bei Gefahr nationaler Strafverfolgung und zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen527 nicht anerkannt wird,528 da die Kommission im Rahmen des kartellrechtlichen Verfahrens erlangte Kenntnisse
nach Art. 20 Abs. 1 und 2 VO 17/62 und Art. 214 EGV weder für andere
Verfahren verwerten noch weiterleiten darf.529 Soweit eine andere Behörde
als die Kommission Kenntnis von diesen Angaben erlangt, sind die nationalen Behörden nicht befugt, diese Beweismittel zu verwerten.530
8.2
Geldbußen der Fusionskontroll-Verordnung
Der EG-Vertrag enthält keine Bestimmungen über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen. Ein erster Kommissionsvorschlag für eine
523 EuGH, Slg. 1989, S. 3352 - (Orkem).
524 Schriefers, WuW 1993, 101.
525 Moosecker, in: Schwerpunkte des Kartellrechts 1988/89, 1990, S. 91; Scholz, WuW
1990, 104.
526 von Winterfeld, RIW 1992, 528.
527 Zur vertraulichen Behandlung von Berufs- und Geschäftsgeheimnissen im Rahmen
des Verfahrens einer einstweiligen Anordnung im EG-Wettbewerbsrecht EuGEI,
EuZW 1993, 356 (357).
528 EuGEI vom 12.12.1991, Tätigkeitsbericht 22/91, S. 18 - (Rs T-30/89); vgl. auch
Dannecker/Fischer-Fritsch, Das EG-Kartellrecht in der Bußgeldpraxis, 1989, S. 48;
Gillmeister, Ermittlungsrechte im deutschen und europäischen Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, 1985, S. 145 ff.
529 Vgl. dazu oben 8.1.5.5.4.
530 EuGH vom 16.7.1992, Slg. 1992, S. 2050 ff. - (Rs C-67/91).
2086
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
122
allgemeine Zusammenschlußkontrolle531 war zunächst ohne Folgen geblie
ben. Nachdem aber der EuGH zunächst Art. 86 EWGV532 und später
Art. 85 EWGV533 über ihre eigentliche Bestimmung, wettbewerbswidriges
Verhalten zu unterbinden, hinaus als Instrument zur Fusionskontrolle herangezogen hatte, verabschiedete der Rat am 21.12.1989 die Verordnung
4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontroll-Verordnung),534 die am 21.9.1990 in Kraft getreten ist.535 Diese Verordnung ist nicht nur auf Art. 87 EWGV, sondern auch auf Art. 235
EWGV gestützt, der vorsieht, daß der Rat einstimmig auf Vorschlag der
Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments in dem Fall,
in dem die im Vertrag vorgesehenen Befugnisse nicht ausreichen, ein Tätigwerden zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft aber erforderlich erscheint, die geeigneten Vorschriften erlassen kann (Generalermächtigung).
8.2.1
Anwendungsbereich der Fusionskontroll-Verordnung
Die Fusionskontroll-Verordnung erfaßt Zusammenschlüsse i.S. einer Eingliederung sowie jeden Anteilserwerb, der einem Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen verschafft. Voraussetzung für ein Eingreifen der Fusionskontroll-Verordnung ist, daß der Zusammenschluß
"gemeinschaftsweite Bedeutung" hat. Das wird an zwei Umsatzschwellen
gemessen, dem weltweiten Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen
(5 Milliarden ECU) und einem Mindestumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen innerhalb der Gemeinschaft von jeweils mehr als 250
Mio. ECU, soweit nicht zwei Drittel dieses gemeinschaftsweiten Umsatzes
innerhalb eines Mitgliedstaates erzielt werden (Art. 1 VO 4064/89). Unternehmen, deren beabsichtigter Zusammenschluß diese Schwellenwerte überschreitet, ist eine bußgeldbewehrte Anmeldeverpflichtung vor Durchführung
des Zusammenschlusses auferlegt (Art. 4 VO 4064/89). Die Kommission
hat dann zu prüfen, ob der Zusammenschluß mit dem Gemeinsamen Markt
531
532
533
534
535
ABl. vom 31.10.1973, C 92, S. 1 ff.
EuGH, Slg. 1973, S. 215 ff. - (Continental Can).
EuGH, Slg. 1987, S. 4487 - (Philipp Morris/Rothmanns).
ABl. vom 30.12.1989, L 395, S. 1 ff.
Zur Entstehungsgeschichte dieser VO vgl. Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, 1991,
S. 2 ff., und zu deren Anwendung vgl. XXII. Bericht über die Wettbewerbspolitik
1992, Rdnrn. 221 f.
123
Bußgeldrecht
2087
vereinbar ist. Dies ist zu verneinen, wenn durch den Zusammenschluß eine
beherrschende Marktstellung begründet oder verstärkt oder wenn ein wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil
desselben erheblich behindert wird.536
Im Hinblick auf die Durchführung des EWR-Abkommens berücksichtigt die
Kommission nicht nur die Lage der Unternehmen im Gemeinsamen Markt,
sondern auch im Gebiet der EFTA-Staaten. Die Fusionskontroll-Verordnung ist außerdem auf Unternehmen aus Drittstaaten anwendbar, und zwar
unabhängig davon, wo der Zusammenschluß vollzogen werden soll, sofern
sich der Zusammenschluß in der Gemeinschaft auswirkt.537 Seit der Neuordnung der Fusionskontrolle im Wege der VO 4064/89 müssen die Unternehmen nur noch ein Verfahren vor der Kommission betreiben, das alle
Verfahren ersetzt, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung bei verschiedenen
nationalen Behörden durchgeführt werden mußten.
8.2.2
Bußgeldvorschriften der Fusionskontroll-Verordnung
Gemäß Art. 14 Abs. 2 VO 4064/89 kann die Kommission gegen Personen
oder Unternehmen Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des Gesamtumsatzes, den die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr mit Waren
und Dienstleistungen erzielt haben und die dem normalen geschäftlichen
Tätigkeitsbereich der Unternehmen zuzuordnen sind, unter Abzug von Erlösschmälerungen, der Mehrwertsteuer und anderer unmittelbar auf den
Umsatz bezogenen Steuern festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig
-
gegen Bedingungen und Auflagen der Kommission, die mit einer Befreiung nach Art. 7 Abs. 2 oder Art. 8 Abs. 2 VO 4064/89 verbunden
waren, verstoßen;
-
einen Zusammenschluß vor der Anmeldung oder während der auf die
Anmeldung folgenden drei Wochen oder entgegen einer Entscheidung
der Kommission, daß der Vollzug des Zusammenschlusses bis zum Erlaß einer endgültigen Entschließung ganz oder teilweise ausgesetzt
bleibt (Art. 7 Abs. 2 VO 4064/89), vollziehen;
536 Näher dazu Bechtold, RIW 1990, 259 ff.; Koch, EWS 1990, 65 ff.; vgl. auch Immenga, WuW 1990, 373 ff.; Janicki, WuW 1990, 194 ff.
537 Bechtold, RIW 1990, 260 f.; Koch, EWS 1990, 67.
2088
-
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
124
einen durch Entscheidung nach Art. 8 Abs. 3 VO 4064/89 für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärten Zusammenschluß vollziehen oder die in einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 4 VO 4064/89 angeordneten Maßnahmen nicht durchführen.
Nach Art. 14 Abs. 3 VO 4064/89 ist die Art und die Schwere des Verstoßes
bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu berücksichtigen. In Abs. 4
wird die Verhängung einer Geldbuße als "nicht strafrechtlicher Art" erklärt.
Dieses Sanktionensystem ist eng an die Regelungen der VO 17/62 angelehnt.538
Gemäß Art. 14 Abs. 1 VO 4064/89 können von der Kommission Geldbußen in Höhe von 1.000-50.000 ECU verhängt werden, wenn Personen, die
bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen die Anmeldung eines Zusammenschlusses unterlassen, in der Anmeldung eines Zusammenschlusses unrichtige oder entstellte Angaben machen, eine von der Kommission verlangte Auskunft unrichtig oder nicht in der gesetzten Frist erteilen, bei Nachprüfungen die angeforderten Bücher oder sonstige Geschäftsunterlagen nicht vollständig
vorlegen oder eine von der Kommission angeordnete Nachprüfung nicht
dulden. Die bußgeldbewehrten Anmelde-, Auskunfts- und Duldungspflichten entsprechen den in der VO 17/62 geregelten Pflichten.539 Lediglich der
Bußgeldrahmen wurde erheblich erweitert.
8.2.3
Fusionskontrollverfahren
Das Fusionskontrollverfahren ist teilweise in der Fusionskontroll-Verordnung geregelt. Weitere Vorschriften finden sich in der Verordnung der
Kommission 2367/90 vom 25.7.1990 über die Anmeldungen, über die Fristen sowie über die Anhörung nach der Verordnung des Rates 4064/89 über
die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen.540
538 Schroth, WuW 1989, 108. Vgl. dazu oben 8.1.
539 Vgl. dazu oben 8.1.
540 ABl. 1990, L 305, S. 1 ff.
125
Bußgeldrecht
2089
8.2.3.1 Einleitung des Verfahrens
Nach Art. 6 Abs. 1 VO 4064/89 beginnt die Kommission unmittelbar nach
Eingang der Anmeldung mit der Prüfung der Zulässigkeit des Zusammenschlusses. Innerhalb eines Monats muß die Kommission förmlich über die
Eröffnung des Verfahrens entscheiden. Wenn der Kommission eine Mitteilung eines Mitgliedstaates nach Art. 9 Abs. 2 VO 4064/89 zugeht, beträgt
die Frist sechs Wochen (Art. 10 Abs. 1 Satz 3 VO 4064/89). Unter der Voraussetzung, daß kein Zusammenschluß i.S. der Fusionskontroll-Verordnung
vorliegt oder daß das Vorhaben keine gemeinschaftsweite Bedeutung hat,
wird die Unanwendbarkeit der Verordnung gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a
VO 4064/89 festgestellt. Sofern der Zusammenschluß nach Ansicht der
Kommission jedoch in den Anwendungsbereich der Fusionskontroll-Verordnung fällt, ist gemäß Art. 4 Abs. 3 VO 4064/89 die Tatsache der Anmeldung zu veröffentlichen, ohne daß eine formelle Anwendbarkeitsentscheidung ergeht. In diesem Fall ist entscheidend, ob das Vorhaben auf ernsthafte
Bedenken bezüglich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt
stößt. Falls die Vorprüfung ergibt, daß keine solchen Bedenken bestehen,
beendet die Kommission das Verfahren durch eine förmliche Entscheidung.
Ansonsten wird das Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c VO 4064/89
eröffnet.
8.2.3.2 Ermittlungsbefugnisse der Europäischen Kommission
Wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, daß sie zur Erfüllung der
ihr übertragenen Aufgaben Informationen über ein Zusammenschlußvorhaben benötigt, die in der Anmeldung nicht enthalten sind, oder wenn sie
vorhandene Daten auf ihre Richtigkeit hin überprüfen will, sehen Art. 11 ff.
VO 4064/89 die Möglichkeit des Auskunftsrechts sowie des Rechts auf
Nachprüfung durch Behörden der Mitgliedstaaten und durch die Kommission selbst vor. Diese Ermittlungsbefugnisse sind weitgehend denen der VO
17/62 nachgebildet.541
541 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, 1991, S. 149. Vgl. zu diesen oben 8.1.5.3.
2090
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
126
8.2.3.2.1 Auskunftsrecht nach Art. 11 VO 4064/89
Adressaten der Auskunftspflicht sind neben den Regierungen und den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die an der Fusion beteiligt sind. Das Auskunftsrecht ist
auch im Fusionskontrollverfahren nach Art. 11 VO 4064/89 - wie in Art. 11
VO 17/62542 - zweistufig aufgebaut: Zunächst ergeht ein Auskunftsverlangen an die Unternehmen, mit dem sich diese auseinandersetzen sollen, ohne
unter einer Sanktionsandrohung zu stehen. Wenn ein Unternehmen allerdings auf das erste Verlangen hin Auskünfte erteilt, müssen diese richtig
sein. Im Falle unrichtiger Auskünfte können gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. c
VO 4064/89 Geldbußen in Höhe von 1.000-50.000 ECU verhängt werden.
In dem Fall, in dem sich ein Unternehmen weigert, der Auskunftspflicht
nachzukommen, ist sodann eine förmliche Auskunftsentscheidung erforderlich, in der auf die Möglichkeit der Sanktionsverhängung nach Art. 14
Abs. 1 Buchst. c VO 4064/89 hinzuweisen ist.
8.2.3.2.2 Nachprüfungsrecht nach Art. 12 und 13 VO 4064/89
Wenn bereits Fakten bekannt sind, deren Richtigkeit überprüft werden soll,
kann die Kommission gemäß Art. 12 VO 4064/89 die Nachprüfung durch
Behörden der Mitgliedstaaten anordnen. Nach Art. 13 VO 4064/89 hat die
Kommission auch die Möglichkeit, unmittelbar und ohne Einschaltung der
nationalen Behörden Nachprüfungen bei den Unternehmen durchzuführen.
Dabei steht es ihr frei, sich für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden.
Art. 13 VO 4064/89 unterscheidet ebenso wie Art. 11 VO 17/62 zwischen
einer einfachen Nachprüfung und einer verbindlichen Nachprüfungsanordnung. Die in Abs. 1 Buchst. a-d geregelten Einzelbefugnisse entsprechen denen des Art. 14 Abs. 1 VO 17/62, weshalb die Ausführungen des EuGH in
der "Hoechst"-Entscheidung bezüglich des Umfangs des Nachprüfungsrechts auch hier gelten.543 Sofern ein Unternehmen seiner Mitwirkungsoder Duldungspflicht nicht nachkommt, begeht es eine Ordnungswidrigkeit
gemäß Art. 14 Abs. 1 Buchst. c und d VO 4064/89, die mit einer Geldbuße
von 1.000-50.000 ECU geahndet werden kann.
542 Vgl. dazu oben 8.1.5.3.1.
543 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, 1991, S. 156 f. Vgl. dazu oben 8.1.5.3.2.
127
Bußgeldrecht
2091
8.2.3.3 Verfahrensgarantien und Verteidigungsrechte der Unternehmen
Art. 18 VO 4064/89 garantiert den Beteiligten rechtliches Gehör. Die
Kommission darf ihre Entscheidung gemäß Abs. 3 Satz 1 dieser Verordnung
nur auf Einwände stützen, zu denen sich die Beteiligten zuvor äußern konnten. Ausgenommen sind hiervon aber Entscheidungen über den weiteren
Aufschub des Vollzuges oder über die Erteilung von Befreiungen, die wegen ihrer Eilbedürftigkeit vorläufig erlassen werden können. Die Anhörung
ist dann allerdings unverzüglich nachzuholen (Abs. 2). Wenn das Recht auf
rechtliches Gehör von der Kommission verletzt wird, liegt hierin ein wesentlicher Verfahrensmangel, der jedoch durch Nachholung geheilt werden
kann.
Art. 18 Abs. 3 Satz 2 VO 4064/89 gewährleistet das Recht der Betroffenen
auf Verteidigung während des Verfahrens. Hierzu gehört insbesondere das
Recht, selbstbelastende Auskünfte zu verweigern, wenn die Erfüllung eines
Auskunftsverlangens zu einem Geständnis über die Beteiligung an einer Zuwiderhandlung führen würde. Zwar enthält die Fusionskontroll-Verordnung
kein ausdrückliches Auskunftsverweigerungsrecht. Diesbezüglich wird jedoch auf die Rechtslage im EG-Kartellverfahren verwiesen.544
Art. 18 Abs. 3 VO 4064/89 gewährt den unmittelbar Betroffenen ein Recht
auf Akteneinsicht, das aber durch die Interessen der Unternehmen an der
Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse begrenzt wird.
Während des gesamten Ermittlungsverfahrens und auch bei der Anhörung
Beteiligter oder Dritter wird das Berufsgeheimnis durch Art. 17 VO 4064/
89 geschützt. Diese Vorschrift sieht ein Verwertungsverbot für alle im fusionskontrollrechtlichen Verfahren erlangten Daten für andere als mit der
Verordnung verfolgte Zwecke vor. Das Berufsgeheimnis umfaßt auch die
Geheimhaltungspflicht der beratenden Berufe. Hieraus folgt die Befugnis
des Anwalts, alle Auskünfte zu verweigern und die Herausgabe aller Unterlagen abzulehnen, die er im Zusammenhang mit einem Mandatsverhältnis
erhalten hat. Abs. 3 dieser Verordnung schränkt allerdings den Geheimnisschutz dahingehend ein, daß die Kommission anonymisierte Daten zu statistischen Zwecken veröffentlichen darf.
544 Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, 1991, S. 169. Vgl. dazu oben 8.1.5.5.2.
2092
8.3
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
128
Geldbußen des EGKS-Vertrages
Der EGKS-Vertrag, der nur die Grundstoffindustrien Kohle und Stahl betrifft, sieht in Art. 47 Abs. 3, 54 Abs. 6, 58 § 4, 59 § 7, 64, 65 § 5, 66 § 5
Abs. 1, § 6 und § 7, 68 § 6 EGKSV Geldbußen gegen Unternehmen vor.
Diese Sanktionen werden von der Kommission verhängt. Gegen die Bußgeldbescheide ist die Klage zum EuGH zulässig.545
8.3.1
Zuwiderhandlungen gegen krisensteuernde Lenkungsmaßnahmen
der Kommission
Die erste Deliktsgruppe betrifft Zuwiderhandlungen gegen krisensteuernde
Lenkungsmaßnahmen der Kommission (Art. 58, 59 EGKSV). Insbesondere
gegen das im Oktober 1980 auf der Grundlage des Art. 58 EGKSV eingeführte Erzeugungsquotensystem für Stahl546 haben die Stahlunternehmen
häufig verstoßen.547
8.3.2
Wettbewerbsdelikte des EGKS-Vertrages
Die zweite Deliktsgruppe betrifft die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrages. Art. 65 EGKSV sieht ein Kartellverbot, Art. 66 § 5 und 6 EGKSV
die Fusionskontrolle und Art. 66 § 7 das Verbot des Mißbrauchs einer
marktbeherrschenden Stellung vor.
8.3.2.1 Kartellverbot
Nach Art. 65 EGKSV sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Verbänden und verabredete Praktiken verboten, wenn sie darauf abzielen, auf dem Gemeinsamen Markt den Wettbewerb zu verhindern,
einzuschränken oder zu verfälschen. Im Gegensatz zu Art. 85 EGV ist es
nicht Tatbestandsvoraussetzung, daß der Handel zwischen den Mitgliedstaaten berührt wird; Art. 65 EGKSV erfaßt also auch Vorgänge, die sich nur im
nationalen Rahmen auswirken. Alle Kartelle müssen der Kommission gemeldet werden; sie sind, solange sie nicht nach Art. 65 § 2 EGKSV ge-
545 Art. 17 VO 17/62 i.V.m. Art. 172, 173 EGV; Art. 36 Abs. 2 EGKSV.
546 Kommissionsentscheidung, ABl. vom 31.10.1980, L 291, S. 1 ff. - (2794/80/EGKS).
547 Fischer-Fritsch, in: Albrecht/Sieber (Hrsg.), Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische Kolloquien, 1984, S. 111 f.
129
Bußgeldrecht
2093
nehmigt sind, zivilrechtlich unwirksam und nach EGKS-Recht unzulässig.
In dem Fall, in dem die Genehmigung erteilt wird, unterstehen die Kartelle
der Aufsicht der Kommission.
Art. 65 § 1 EGKSV verbietet zunächst Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beschränken. Diese können sowohl zwischen
Konkurrenten als auch zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstufen abgeschlossen sein. Weiterhin fallen wettbewerbsbeschränkende Beschlüsse von Unternehmensverbänden und abgestimmte Verhaltensweisen
unter das Kartellverbot. Wenn die Kommission Verstöße der Unternehmen
und Unternehmensvereinigungen gegen das Kartellverbot feststellt oder
wenn vorsätzlich falsche oder entstellte Auskünfte im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens gemacht werden, kann die Kommission gemäß
Art. 65 § 5 EGKSV Geldbußen verhängen. Deren Höchstbetrag darf das
Doppelte des Umsatzes nicht überschreiten, der mit Erzeugnissen erzielt
worden ist, die Gegenstand des wettbewerbswidrigen Verhaltens waren.
Wenn die Unternehmen eine Beschränkung der Produktion, der technischen
Entwicklung oder der Investitionen beabsichtigt haben, sieht das Gesetz
einen Höchstbetrag von 10 % des Jahresumsatzes der betreffenden Unternehmen vor.
Sofern ein Unternehmen eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung anwenden will, muß es zuvor bei der Kommission eine Genehmigung beantragen. Nach Art. 65 § 3 EGKSV kann die Kommission gemäß den Bestimmungen des Art. 47 EGKSV alle erforderlichen Auskünfte, die den dem
Genehmigungsantrag beigefügten Unterlagen nicht entnommen werden
können, einholen, und zwar durch eine besondere, an die Beteiligten gerichtete Aufforderung oder durch eine Verordnung, durch welche die Art der ihr
mitzuteilenden Vereinbarungen, Beschlüsse oder Praktiken näher bezeichnet wird. Wenn sich ein Unternehmen dieser Verpflichtung entzieht
oder wissentlich falsche Auskünfte erteilt, kann die Kommission gemäß
Art. 47 Abs. 3 EGKSV eine Geldbuße bis zum Höchstbetrag von 1 % des
Jahresumsatzes verhängen.
8.3.2.2 Fusionskontrolle
Weiterhin enthält der EGKS-Vertrag in Art. 66 eine Regelung über die
Fusionskontrolle. Unter den Begriff des Zusammenschlusses, der in Art. 66
EGKSV nicht näher definiert wird, fällt zunächst die Fusion von Unter-
2094
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
130
nehmen, aber auch die Erlangung der Kontrolle über ein anderes Unternehmen aufgrund eines Rechtserwerbs oder eines Vorgehens, das "seiner
Natur nach ... zu einem Zusammenschluß zwischen Unternehmen" führt.548
Wenn die Voraussetzungen eines genehmigungspflichtigen Zusammenschlusses vorliegen, hat im Falle einer Fusion die Gesamtheit der beteiligten
Unternehmen, im Falle der Kontrollerlangung das Unternehmen, das die
Kontrolle erhält, bei der Kommission vor dem Zusammenschluß bzw.
Rechtserwerb eine Genehmigung zu beantragen. Falls die Unternehmen eine
Anmeldung unterlassen, kann die Kommission gemäß Art. 66 § 5 Abs. 1
EGKSV Geldbußen verhängen und den Zusammenschluß nachträglich genehmigen oder die Trennung der zusammengeschlossenen Unternehmen
(Entflechtungsverfahren) anordnen, weil keine materielle Genehmigungsfähgikeit vorliegt.
Weiterhin können Geldbußen gemäß Art. 66 § 6 EGKSV festgesetzt werden, wenn ein Unternehmen gegen seine Auskunftspflicht nach Art. 47
EGKSV oder gegen die im Rahmen des Entflechtungsverfahrens getroffenen Anordnungen verstößt. Die Geldbußen können sich je nach Verstoß
auf einen Höchstbetrag von 3 bis 15 % des Wertes der Vermögenswerte, die
erworben oder zusammengefaßt worden sind oder erworben oder zusammengefaßt werden sollen, belaufen.
8.3.2.3 Mißbrauchsverbot
Art. 66 § 7 EGKSV richtet sich gegen den Mißbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Montanunternehmen. Marktbeherrschend sind Unternehmen, die rechtlich oder tatsächlich für ein Erzeugnis eine derart beherrschende Stellung einnehmen oder erwerben, daß dieses dadurch dem
Wettbewerb in einem beträchtlichen Teil des Gemeinsamen Marktes entzogen wird. Für die Bestimmung der Marktbeherrschung kann auf die Auslegung des Art. 86 EGV verwiesen werden.549 Das Mißbrauchsverbot des
Art. 66 § 7 EGKSV sieht kein automatisches Verbot wie Art. 86 EGV vor,
sondern ermächtigt die Kommission, alle ihr geeignet erscheinenden Empfehlungen an das betreffende Unternehmen zu richten. Wenn eine derartige
548 Zur Auslegung dieses Kriteriums vgl. Knöpfle, in: Müller-Henneberg/Schwartz
(Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht.
Kommentar, 4. Aufl. 1980, Art. 66 EGKSV Rdnr. 39.
549 Vgl. dazu die Ausführungen oben 8.1.1.2.
131
Bußgeldrecht
2095
Empfehlung von diesem nicht in befriedigender Weise erfüllt wird, kann die
Kommission für das betreffende Unternehmen Preise und Verkaufsbedingungen sowie Fabrikations- oder Lieferprogramme festsetzen. Erst in dem
Fall, in dem das Unternehmen dieser Entscheidung zuwiderhandelt, kann
die Kommission Geldbußen bis zur Höhe des doppelten Wertes der unzulässigen Verkäufe festsetzen. Im Wiederholungsfalle wird dieser Höchstbetrag
verdoppelt (Art. 64 EGKSV).
8.3.3
Regeln über Preise und Verkaufsbedingungen und sonstige Verbotstatbestände des EGKS-Vertrages
Zu den Vorschriften über Kartelle und Zusammenschlüsse von Unternehmen treten die Regeln über Preise und Verkaufsbedingungen (Art. 60, 61
EGKSV). Hiernach müssen die Unternehmen auf vergleichbare Geschäfte
gleiche Bedingungen anwenden. Zu diesem Zweck besteht die Verpflichtung, die Preise festzulegen und dabei die Transportkosten vollständig zu
berücksichtigen. Die Preislisten müssen veröffentlicht werden und sind
grundsätzlich verbindlich. Die Unternehmen dürfen hiervon nur abweichen,
um ihre Angebote denjenigen von Konkurrenten anzugleichen. Die Kommission überwacht laufend die Verkaufstätigkeit der Unternehmen und kann
nach Art. 47 Abs. 1 EGKSV die notwendigen Auskünfte einholen sowie die
erforderlichen Nachprüfungen vornehmen lassen. Sofern ein Unternehmen
gegen die Regeln über Preise oder Verkaufsbedingungen verstößt, kann die
Kommission nach Art. 64 EGKSV Geldbußen bis zur Höhe des doppelten
Wertes der unzulässigen Verkäufe festsetzen. Im Wiederholungsfall verdoppelt sich dieser Höchstbetrag.
Die übrigen Verbotstatbestände des EGKS-Vertrages betreffen das Verbot
der Fremdfinanzierung von Investitionsprogrammen, zu denen die Kommission ablehnend Stellung genommen hat (Art. 54 Abs. 5 EGKSV), und den
Verstoß gegen verbindliche Empfehlungen, die die Kommission zum Ausgleich von zu niedrigen Arbeitslöhnen ausgesprochen hat (Art. 68 § 6
EGKSV).
2096
8.3.4
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
132
Allgemeiner Teil des EGKS-Bußgeldrechts
In der Literatur werden die Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen das
EGKS-Recht vor allem im Hinblick auf die Ausführungen der Kommission
und des EuGH zu den Rechtfertigungsgründen und zum Schuldgrundsatz
erörtert.550
8.3.4.1 Rechtfertigungsgründe
In mehreren Bußgeldverfahren wegen Verstößen gegen das EGKS-Recht
hatten sich Unternehmen in ihrer Verteidigung auf drohenden Konkurs, die
Erhaltung von Arbeitsplätzen, die Behebung struktureller Krisen, auf von
Lieferanten ausgehenden Druck, sich an Wettbewerbsverstößen zu beteiligen, oder auf die Duldung wettbewerbswidrigen Verhaltens durch die Kommission berufen. Daneben war geltend gemacht worden, man habe sich gegen wettbewerbswidriges Verhalten der Konkurrenz gewehrt.551 Dieses
Verteidigungsvorbringen betrifft die Anerkennung strafrechtlicher Rechtfertigungsgründe.552
Für die Entwicklung der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe im Gemeinschaftsrecht ist die Bußgeldsache "Valsabbia I"553 grundlegend, der folgender Sachverhalt zugrundelag:
Zwölf europäische Unternehmen der Stahlindustrie hatten die Mindestpreise der
Kommission für Stahlbeton unterschritten. Zu ihrer Verteidigung trugen sie vor,
diese Unterschreitung sei angesichts der angespannten Marktlage gerechtfertigt
gewesen; der dringend erforderliche Personalabbau in Italien sei wegen drohender
Streiks und Betriebsbesetzungen nicht durchführbar gewesen. Weiterhin beriefen
sie sich auf drohenden Absatzrückgang, die Nichteinhaltung der Mindestpreise
durch Konkurrenzunternehmen und einen zu erwartenden Stillstand der Produktion.
550 Vgl. dazu Dannecker, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice vol. 1 (1993), S. 230 ff.; Tiedemann, NJW 1993, 27 ff.; zu den Rechtfertigungsgründen vgl. insbesondere Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 87 ff.
551 Fischer-Fritsch, in: Albrecht/Sieber (Hrsg.), Zwanzig Jahre Südwestdeutsche Kriminologische Kolloquien, 1984, S. 111 f.; Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal
Económico, 1993, S. 99 ff.; Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 87 ff.
552 Vgl. dazu bereits oben 8.1.4.2.
553 EuGH, Slg. 1980, S. 907 ff.
133
Bußgeldrecht
2097
Der Gerichtshof erkannte in diesem Zusammenhang die Notwehr, den Notstand und wohl auch die höhere Gewalt als allgemeine Rechtsgrundsätze an,
lehnte jedoch im Ergebnis eine Rechtfertigung ab. Als Charakteristikum der
Notwehr hob der EuGH554 hervor, daß die Gefahr von einem rechtswidrigen Angriff desjenigen herrühren müsse, dessen Gut geopfert werden solle. Außerdem müsse Notwehr als Reaktion auf das rechtswidrige Verhalten
eines anderen für die Verteidigung unerläßlich sein; eine Beschränkung dieses Rechtfertigungsgrundes auf Angriffe gegen Leib und Leben sei aber abzulehnen.
Der Notstand, der in allen Mitgliedstaaten als Verteidigungsvorbringen anerkannt wird,555 setzt nach der Rechtsprechung des EuGH eine unmittelbare
Bedrohung durch eine ernste Gefahr und die Unmöglichkeit, ihr auf andere
Weise als durch objektiv rechtswidriges Verhalten zu entgehen, voraus.556
Außerdem darf das Verhalten des Verpflichteten nicht zur Entstehung der
Gefahrensituation geführt haben.557 Weiterhin muß die Existenz des Rechtssubjektes auf dem Spiel stehen.558 Zu der Frage, inwieweit der rechtfertigende Notstand durch wirtschaftsrechtliche Sonderregelungen ausgeschlossen wird, führte der EuGH in mehereren Entscheidungen aus, daß die Produktionsquotenregelung ernstlich beeinträchtigt würde, wenn jedes Unternehmen sich unter Berufung auf einen Notstand wegen ernster wirtschaftlicher Schwierigkeiten den Beschränkungen entziehen und nach seinem Gutdünken die ihm zugeteilte Produktionsquote überschreiten könnte. Die dadurch
ausgelöste Kettenreaktion würde zum Zusammenbruch des Systems führen.559
Den Rechtsgrundsatz der höheren Gewalt hatten Kommission und EuGH
zunächst in den Fällen des Kautionsverfalls herangezogen.560 Auf dieses
Verteidigungsvorbringen soll sich nur berufen können, wer vorsichtig, um
sichtig und sorgfältig gehandelt und sein möglichstes getan hat, um den Ein-
554
555
556
557
558
559
EuGH, Slg. 1980, S. 1021 - (Valsabbia I).
Jescheck, Revue de science criminelle et de droit pénal comparé 1987, 97.
EuGH, Slg. 1980, S. 1023 Fn. 143 - (Valsabbia I).
EuGH, Slg. 1980, S. 1035 (1069) - (Valsabbia I); EuGH, Slg. 1983, S. 1531 - (Klöckner I).
EuGH, Slg. 1980, S. 1070 - (Valsabbia I); EuGH, Slg. 1980, S. 3764 - (Ferriere Lucchini).
EuGH, Slg. 1983, S. 1533 - (Klöckner I); EuGH, Slg. 1983, S. 1569 - (Klöckner II);
EuGH, Slg. 1983, S. 4161 f. - (Klöckner III); EuGH, Slg. 1983, S. 3970 - (Ferriere San
Carlo I); EuGH, Slg. 1984, S. 1216 - (Estel I); EuGH, Slg. 1984, S. 2962 f. - (Busseni II).
560 Grundlegend dazu EuGH, Slg. 1968, S. 575 ff. - (Schwarzwaldmilch). Dazu näher oben
4.3.1.
2098
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
134
tritt jenes Ereignisses zu verhindern.561 Auf diese Ausführungen hat der
EuGH in den das EGKS-Recht betreffenden Urteilen "Busseni I" und "Ferriere Vittoria" zurückgegriffen und erklärt, höhere Gewalt erfordere ungewöhnliche, bei Beachtung aller erforderlichen Sorgfalt unvermeidbare Umstände.562 In den konkret zu entscheidenden Verfahren wurde vom EuGH
eine vorübergehende Schließung der Unternehmen in Folge einer Krise und
die daraus resultierende Nichtbearbeitung der Geschäftspost als "enorme
Nachlässigkeit" des Unternehmens und nicht als höhere Gewalt angesehen.563 Auch in den Entscheidungen "Rumi", "Valsabbia I" und "Valsabbia
II" hat der EuGH keine höhere Gewalt anerkannt, weil die Folgen nicht unvermeidbar und unausweichlich gewesen wären und den Betroffenen die
Einhaltung ihrer Verpflichtungen möglich gewesen wäre.564
8.3.4.2 Geltung des Schuldgrundsatzes
Während die Bußgeldnormen des EG-Kartellrechts ausdrücklich Vorsatz
oder Fahrlässigkeit des Betroffenen als Voraussetzung für eine Bußgeldverhängung fordern,565 fehlt für das EGKS-Bußgeldrecht eine entsprechende
gesetzliche Regelung. So verneinte dann auch die Kommission den Strafcharakter der Geldbußen, um so das Verschuldenserfordernis ablehnen zu
können.566 Der EuGH entschied die Schuldfrage zwar nicht ausdrücklich,
reduzierte aber die Geldbußen unter Berücksichtigung subjektiver Elemente.567 Hieraus sowie aus der Tatsache, daß der strafrechtliche Schuldgrundsatz in den Mitgliedstaaten überwiegend Anerkennung findet568 und
561
562
563
564
565
566
567
568
EuGH, Slg. 1968, S. 577 - (Schwarzwaldmilch).
EuGH, Slg. 1984, S. 563; EuGH, Slg. 1984, S. 2349.
EuGH, Slg. 1984, S. 567 - (Busseni I); EuGH, Slg. 1984, S. 2356 - (Ferriere Vittoria).
EuGH, Slg. 1979, S. 2523; EuGH, Slg. 1980, S. 1022; EuGH, Slg. 1984, S. 3089.
Näher zu diesen Entscheidungen sowie zu den Urteilen, die sich mit den Produktionsquotensystemen nach Art. 58 EGKSV befassen, Wagemann, Rechtfertigungsund Entschuldigungsgründe im Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften,
1992, S. 120 ff.
Vgl. dazu oben 8.1.4.3.
Vgl. dazu Siohl, Die Schuldfeststellung bei Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Rahmen des Art. 15 VO 17 zum EWG-Vertrag, 1986, S. 109 ff.
EuGH, Slg. 1983, S. 3721 - (Thyssen).
Vgl. nur Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1988, S. 20,
789 f. mit weiteren Nachweisen.
135
Bußgeldrecht
2099
sogar Verfassungsrang genießt,569 wird in der Literatur geschlossen, daß im
Ergebnis der Schuldgrundsatz vom EuGH anerkannt wird.570
8.3.5
Verfahren nach dem EGKS-Vertrag
Der EGKS-Vertrag enthält in Art. 36 Abs. 1 für alle Verfahren mit finanziellen Sanktionen Anhörungsrechte für die Betroffenen. Dadurch wird gewährleistet, daß die Beteiligten vor der Anordnung belastender Maßnahmen
durch die Kommission Gelegenheit zur Stellungnahme haben. Die Art und
Weise, in der die Anhörung durchzuführen ist, sowie der Inhalt und Umfang
des Anhörungsrechts sind nicht näher geregelt. Um einen einheitlichen verfahrensrechtlichen Schutz des Betroffenen zu garantieren, räumt die Kommission den betroffenen Unternehmen im EGKS-Verfahrensrecht die gleichen Rechte wie in den Kartellverordnungen des EG-Bereiches ein,571 so
daß die dortigen Ausführungen auch hier gelten.572
8.4
Geldbußen des EWR-Vertrages
8.4.1
Einheitliche Wettbewerbsregeln
Am 22.10.1991 einigten sich die Minister der EG-Mitgliedstaaten und der
EFTA-Staaten über den Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum
(EWRV).573 Allerdings mußten die Verhandlungen wegen des Gutachtens
des EuGH, der die vorgesehene Schaffung eines EWR-Gerichtshofs für mit
dem EWG-Vertrag nicht vereinbar erklärte,574 wieder aufgenommen werden. Hierbei wurden auch die Wettbewerbsregeln erneut erörtert. Am
14.2.1992 kam es zu einer Einigung über die integrale und vollständige
569 Zur neueren Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung in der Bundesrepublik
Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien vgl. Jescheck, in: Ignacio de Loyola,
Magister Artium en Paris, 1528 - 1535, 1991, S. 406 f. mit weiteren Nachweisen.
570 Tiedemann, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 1435.
571 Vgl. dazu Knöpfle, in: Müller-Henneberg/Schwarz (Hrsg.), Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Europäisches Kartellrecht. Kommentar, 4. Aufl. 1980,
Vorbem. EGKSV, S. 17; Langen/Niederleithinger/Ritter/Schmidt, Kommentar zum
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit Erläuterungen für die Praxis unter
Einbeziehung des EG-Kartellrechts, 6. Aufl. 1982, § 53 Rdnr. 28; siehe auch Kevekordes, DB 1989, 2521 (2523).
572 Vgl. dazu oben 8.1.5.
573 Siehe dazu oben 1.5.2.
574 Vgl. dazu EuGH, WBl. 1992, S. 56 ff.
2100
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
136
Übernahme der EG-Wettbewerbsregeln in den EWR-Vertrag, die auch im
Hinblick auf ihre direkte Anwendung vor nationalen Gerichten den Gemeinschaftsbestimmungen qualitativ gleichgestellt sind.575 Diese Regeln
sind in Art. 16 (staatliche Handelsmonopole) sowie in Art. 53-64 (wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen, Fusionskontrolle, Staatsbeihilfen, öffentliche Unternehmen) EWRV
und in dem Protokoll 25 (Kohle und Stahl) enthalten.
8.4.2
Institutioneller Rahmen
Für die Überwachung und Anwendung der EWR-Wettbewerbsregeln sind
die Kommission und ein unabhängiges EFTA-Überwachungsorgan zuständig, das der Europäischen Kommission entsprechende Kompetenzen
innehat und über die gleichen Befugnisse wie diese verfügt. Im Kartellverfahren besteht für das EFTA-Überwachungsorgan somit die Möglichkeit,
Ermittlungen anzustellen und Geldbußen zu verhängen. Um Kompetenzüberschneidungen zu vermeiden, gilt das Prinzip der ausschließlichen Zuständigkeit: Entweder ist die Kommission oder aber das EFTA-Überwachungsorgan für die Anwendung der Art. 85, 86 EGV bzw. der Art. 65, 66
EGKSV zuständig. Bei "gemischten" Fällen, die Auswirkungen sowohl im
Hoheitsbereich der EG als auch im EFTA-Gebiet haben, sieht der EWRV
vor, daß die Befugnisse der EG unberührt bleiben. In Fällen, in denen auch
der Wettbewerb und Handel zwischen EG-Mitgliedstaaten beeinträchtigt
ist, bleibt daher die Kommission zuständig, wenn die Auswirkungen in der
EG nicht ausnahmsweise i.S. der Bagatellbekanntmachung der Kommission
aus dem Jahre 1986576 geringfügig sind.
Für den Bereich der Fusionskontrolle gilt, daß die Zuständigkeiten der EG
in ihrem bisherigen Umfang bestehen bleiben. Die Europäische Kommission kontrolliert weiterhin Fusionen mit gemeinschaftsweiter Bedeutung,
unabhängig vom etwaigen Sitz der beteiligten Unternehmen. Nur in Fällen,
in denen eine Gemeinschaftszuständigkeit nicht gegeben ist, übt das EFTAÜberwachungsorgan eine Fusionskontrolle entsprechend den im Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsätzen aus.
575 Eingehend dazu Jakob-Siebert, WBl. 1992, 118 ff.
576 ABl. vom 12.9.1986, C 231, S. 3.
137
Bußgeldrecht
2101
Um im Bereich der "gemischten" Fälle, in denen auch die Interessen des unzuständigen Organs berührt werden, sicherzustellen, daß eine zufrieden
stellende Zusammenarbeit stattfindet, ist ein Kooperationssystem vereinbart. Dieses kann dahingehend charakterisiert werden, daß dem unzuständigen Organ ausreichend Gelegenheit gegeben werden muß, seine Ansichten darzulegen.
8.4.3
Gerichtliche Kontrolle
Die gerichtliche Kontrolle im Wettbewerbsrecht auf seiten der EG wird
durch den EWRV nicht verändert: Der Gerichtshof und das Gericht erster
Instanz bleiben für alle von der Kommission getroffenen Entscheidungen
zuständig. Die Kontrolle über Entscheidungen des EFTA-Überwachungsorgans übt ein unabhängiger EFTA-Gerichtshof aus.
Der ursprüngliche Plan eines EWR-Gerichtshofs - bestehend aus fünf Richtern des
EuGH und drei von den EFTA-Regierungen nominierten Richtern - bzw. eines
EWR-Gerichts erster Instanz - bestehend aus zwei Richtern des EuGEI und drei
von den EFTA-Staaten nominierten Richtern - wurde aufgegeben, nachdem der
EuGH hierin einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gesehen hatte.577
Alle supranationalen Sanktionen werden von der Kommission, deren Zuständigkeit sich aus Art. 189 Abs. 1 EGV und Art. 14 Abs. 1 EGKSV ergibt,
bzw. von dem EFTA-Überwachungsorgan in einem verwaltungsrechtlich
ausgestalteten Verfahren verhängt. Gegen die Bußgeldbescheide der Kommission ist die Klage zum EuGH zulässig (Art. 17 VO 17/62 i.V.m. Art. 172,
173 EGV); in Wettbewerbssachen ist seit 1989 erstinstanzlich das EuGEI
zuständig (Art. 11 EEA). Die Gerichte können die verhängten Geldbußen
nicht nur aufheben oder herabsetzen, sondern auch erhöhen.
8.5
Bußgeldbestimmungen in den EG-Überleitungsvorschriften
zur Regelung des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik
Deutschland und im Einigungsvertragsgesetz
Durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland hat sich der
territoriale Geltungsbereich der Gemeinschaftsverträge auf das Gebiet der
ehemaligen DDR erstreckt.578 Für die EG-Mitgliedstaaten - mit Ausnahme
577 Näher dazu Hummer, WBl. 1992, 33 ff. Vgl. dazu auch oben 1.5.2.
578 Grabitz, EWS 1991, 89 ff.; vgl. auch die Erklärung des Europäischen Rates vom
28.4.1990, Bulletin der Bundesregierung vom 4.5.1990, S. 401. Vgl. dazu auch oben
1.1.2.
2102
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
138
der Bundesrepublik Deutschland - war die DDR Ausland gewesen. Daher
bedurfte es zahlreicher Übergangsregelungen. Durch die seit dem 1.1.1991
geltende EG-Recht-Überleitungsverordnung vom 18.12.1990579 wurde der
Tatsache Rechnung getragen, daß bestimmte Erzeugnisse, für die Ausnahmen von den EG-rechtlichen Anforderungen gegolten haben, nur auf dem
Gebiet der ehemaligen DDR in den Verkehr gebracht werden durften. Die
Einhaltung dieser Beschränkung und deren Überwachung wurde der Bundesrepublik Deutschland übertragen. Diese Verordnung enthält in § 5 eine
Bußgeldvorschrift, nach der der Vertrieb von Erzeugnissen, die den EGVorschriften nicht entsprechen, in den alten Bundesländern oder in den übrigen Mitgliedstaaten mit Geldbuße geahndet werden kann.
Weiterhin sieht Art. 4 Abs. 2, 3 EinigungsvertragsG580 eine nur vorübergehend geltende (nationale) Bußgeldbestimmung vor, derzufolge Verstöße
gegen Rechtsverordnungen betreffend die Ausdehnung des Gemeinschaftsrechts zur Verwirklichung des Binnenmarktes und im Bereich des Umwelt-,
Verkehrs-, Agrar- und Arbeitsschutzrechts mit Geldbuße bis zu 10.000 DM
bedroht sind.
8.6
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580 Zustimmungsgesetz zum Einigungsvertrag vom 23.9.1990, BGBl. 1990 II S. 885.
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9.
Schutz der Finanzinteressen der Europäischen
Gemeinschaft
9.1
System der Einnahmen und Ausgaben der EG im Agrarbereich
Im Bereich der Gemeinsamen Agrarmarktpolitik ist der Gemeinsame Binnenmarkt bereits seit Jahren Realität, denn auf dem Agrarsektor haben die
Mitgliedstaaten alle Kompetenzen an die EG abgetreten. Diese steuert das
Marktgeschehen, indem sie künstlich erhöhte Preise schafft, um so den
Landwirten ein Einkommen auf einem relativ hohen Niveau zu ermöglichen. Damit die teuren EG-Produkte auf dem Weltmarkt dennoch konkurrenzfähig bleiben, werden den Exporteuren für Ausfuhren in Nicht-Mitgliedstaaten Erstattungen - die Subventionen - in Höhe der Differenz zwischen Weltmarkt- und EG-Preis ausgereicht. Um den Markt der EG vor
preiswerten Importen aus Drittländern abzuschirmen, werden in großem
Umfang Abschöpfungen von den Importeuren erhoben. Dadurch wird der
Weltmarktpreis künstlich auf den EG-Preis angehoben. Weiterhin werden
durch Interventionen der EG in erheblichem Umfang saisonale Überschüsse
vom Markt genommen. Die dafür zuständigen Interventionsstellen müssen
zu einem festgesetzten Preis Agrarerzeugnisse wie Getreide, Reis, Fette,
Tabak innerhalb der Gemeinschaft aufkaufen und zwischenlagern. Dadurch
wird dem Erzeuger dieser Produkte ein Mindestpreis garantiert. Inzwischen
gibt es vollständige Preisgarantien für Getreide, Reis, Ölsaaten, Oliven,
Milch und Zucker. Für Produkte wie Schweinefleisch, Fisch, Eier, Wein,
Obst und Gemüse bestehen partielle Preisgarantien und/oder Produktionsoder Verbrauchsbeihilfen. Daneben sind Produktions- und Lagerkostenabgaben vorgesehen.581
In der dirigistischen Agrarpolitik, die mit einer erheblichen Normenflut verbunden ist, liegt der Anreiz zu Unregelmäßigkeiten und Manipulationen
begründet,582 die sich sowohl auf die Beantragung von Subventionen und
sonstige Beihilfen als auch auf die Nichtabführung von Abgaben beziehen.
Dabei belasten diese Unregelmäßigkeiten und Manipulationen bei den Erstattungen und Abschöpfungen unmittelbar den EG-Haushalt, der sich seit
der Umstellung von der Fremd- auf eine Eigenfinanzierung583 aus Einnah-
581 Tiedemann, Lecciones de Derecho Penal Económico, 1993, S. 104 ff.
582 Dazu Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 103.
583 Angesichts dessen es der Gemeinschaft bis zum Jahre 1970 an nennenswerten eigenen
Einnahmen fehlte, war sie auf Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten angewiesen. Durch
Beschluß des Rates vom 21.4.1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitglied-
147
Schutz der Finanzinteressen
2111
men rekurriert, die sich aus Abschöpfungen und sonstigen Agrarabgaben,
aus Zöllen, Mehrwertsteuereinnahmen der Mitgliedstaaten und aus einem
Beitrag auf der Grundlage des Brutto-Sozialprodukts der Mitgliedstaaten
zusammensetzen.584 Zwar werden auch diese Mittel sämtlich von den Mitgliedstaaten erhoben und der Kommission zur Verfügung gestellt. Im Hinblick darauf, daß die Mittel aber nach Art und Umfang unabhängig vom
weiteren Willen der Mitgliedstaaten anfallen, wird auf diese Weise eine gewisse Autonomie der Gemeinschaft in finanzieller Hinsicht gewährleistet.585
Die Ausgaben der Gemeinschaft betreffen vorrangig Subventionen und sonstige Beihilfen, die in unterschiedlichster Art unter verschiedenster Bezeichnung ausgereicht werden. Mit ihnen sollen diejenigen Ziele verwirklicht werden, die in Art. 2 und 3 EGV - Aufgaben und Tätigkeit der Gemeinschaft - umschrieben sind. Neben dem Sozial-, Regional- und Forschungsfonds kommt dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds
für die Landwirtschaft (EAGLF) ein hoher Stellenwert zu, der wegen seiner
Funktion für die Agrarmarktpolitik der EG den größten Umfang aufweist.586
staaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften (BGBl. 1970 II S. 1262) wurde diese Fremd- auf eine Eigenfinanzierung umgestellt; Ermächtigungsgrundlage hierfür
war Art. 201 Abs. 3 EWGV a.F. = Art. 201 Abs. 2 EGV.
584 Das gegenwärtige System zur Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts beruht auf
dem Ratsbeschluß 88/376/EWG, EAG vom 24.6.1988 über das System der Eigenmittel der Gemeinschaften. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem System
finden sich in den Verordnungen (EWG, EAG) 1552/89 und 1553/89, ABl. vom
7.6.1989, L 155, S. 1 ff.
585 Dewost, in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 11 ff.; Tiedemann, NJW 1990, 2226.
586 Tiedemann, NJW 1990, 2226.
2112
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
9.2
Erscheinungsformen der Unregelmäßigkeiten587
9.2.1
Hinterziehung von Abgaben bei der Einfuhr von Waren
148
Die klassische Methode der Hinterziehung von Abgaben bei der Einfuhr
von Waren, die der unterlassenen Anmeldung, spielt in der EG nur eine un
tergeordnete Rolle. Weitaus bedeutsamer in der EG sind in diesem Zusammenhang Falschanmeldungen der Warenmenge nach Zahl und Gewicht sowie unrichtige Angaben bezüglich der Warengattung oder deren
Qualität. Wenn zu geringe Warenmengen angegeben werden, werden entsprechend niedrige Abschöpfungen erhoben. Gleiches gilt für unrichtige
Angaben hinsichtlich der Warengattung oder deren Qualität; sofern die Qualität von Waren zu niedrig eingestuft wird, werden geringere Abschöpfungen erhoben.
Für die Hinterziehung von Abgaben bei der Einfuhr von Waren sind auch
die Fälle falscher Angaben bezüglich des Ursprungslandes der Waren von
Bedeutung, vor allem betreffend diejenigen Länder, denen Präferenzen beim
Absatz ihrer Erzeugnisse im Gebiet der Gemeinschaft eingeräumt sind. Ebenso können falsche Angaben hinsichtlich der Warenbestimmung geeignet
sein, zur Hinterziehung von Abgaben zu führen, wenn die Abgabenhöhe
von der Verwendung der Produkte innerhalb der EG abhängt.
587 Eingehend dazu Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 24 ff.; Keller/Meier, Skandal im Kühlhaus - Dubiose
Geschäfte in der EG, 1987, S. 73 ff.; Leigh, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 75 ff.; Lettieri, in: Dannecker
(Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 88 ff.;
Martyn, in: Tulkens/van den Wyngaert/Verougstraete (eds.), La protection juridique
des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 37 ff.; Mennens, in:
Delmas-Marty (ed.), Quelle Politique Pénale pour l'Europe? 1993, S. 121 ff.; ders.,
in: Tulkens/van den Wyngaert/ Verougstraete (eds.), La protection juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 27 ff.; Nippoldt, Die
Strafbarkeit von Umgehungshandlungen, dargestellt am Beispiel der Erschleichung
von Agrarsubventionen, 1974, S. 38 ff., 132 ff.; Rieger, in: Dannecker (Hrsg.), Die
Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 24 ff.; Rump, in:
Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993,
S. 39 ff.; Tiedemann, Subventionskriminalität in der Bundesrepublik. Erscheinungsformen, Ursachen, Folgerungen, 1974, S. 121 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht und
Wirtschaftskriminalität, Bd. 2, 1976, S. 83 ff.; Vervaele, EEG-fraude en Europees
economisch strafrecht, 1991, passim; vgl. dazu auch die Beiträge in: European
Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the
Community, 1990.
149
9.2.2
Schutz der Finanzinteressen
2113
Erschleichung von Subventionen bei der Ausfuhr von Waren
Das Vorgehen bei der Erschleichung von Subventionen bei der Ausfuhr von
Waren entspricht im wesentlichen demjenigen bei der Hinterziehung von
Abgaben bei der Einfuhr von Waren. Auch in diesem Bereich finden sich
unrichtige Angaben bezüglich Warenmenge und -gewicht, Warengattung
und Ursprungsland. Während beim Import hochwertige Produkte als minderwertige Waren bezeichnet oder zu geringe Mengen angegeben werden,
werden bei der Ausfuhr die minderwertigen Erzeugnisse als hochwertige deklariert oder zu hohe Exportmengen angemeldet, um dadurch in den Genuß
einer überhöhten Ausfuhrerstattung zu gelangen. Hinzu kommen Falschanmeldungen hinsichtlich des Bestimmungslandes von Waren, denn die unzutreffende Angabe des Bestimmungslandes bei Ausfuhrerstattungen, bei der
für bestimmte Länder höhere Erstattungssätze gelten, kann zu ungerechtfertigten Bereicherungen der Exporteure führen. Schließlich können unrichtige
Angaben über den Verwendungszweck ausgeführter Ware unberechtigte Erstattungen zur Folge haben.
9.2.3
Hinterziehung von Abgaben und Erschleichung von Subventionen
innerhalb der EG
Die Unregelmäßigkeiten, die sich im Agrarbereich zu Lasten der EG auswirken, beschränken sich nicht auf den Handel mit Drittstaaten. Auch innerhalb der Gemeinschaft werden zahlreiche Beihilfen und Vergünstigungen gewährt, die zu Unrecht in Anspruch genommen werden können.
Unregelmäßigkeiten sind hier insbesondere in folgenden Bereichen aufgetreten: begünstigte Verwendung von Butter zur Herstellung von Backwaren
und Speiseeis, Subventionierung privater Lagerhaltung von Schweinefleisch, Zahlung von Prämien für die Denaturierung von Getreide, Gewährung von Prämien an die Erzeuger von Rind- und Schaffleisch, Falschangabe hinsichtlich der Referenzmenge für Milch.588
9.2.4
Handlungen im Bereich der "Grauzone"
Neben den eindeutigen Betrugsfällen gegenüber der EG wie betrügerische
Karussellgeschäfte oder mehrmalige Subventionen für die gleichen Pro-
588 Unregelmäßigkeiten haben sich weiterhin bei der Verwaltung der Nahrungsmittelüberschüsse in Lagerhäusern gezeigt. Vgl. dazu Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die
Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 23.
2114
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
150
dukte hat der Europäische Rechnungshof in einem Bericht über die Exportsubventionen der EG für Agrarprodukte vor fiktiven Handelsgeschäften gewarnt,589 denn zahlreiche Handlungen finden sich im Bereich der sog.
"Grauzone": Die spektakulärsten Fälle des Gemeinsamen Agrarmarktes beziehen sich auf die Ausnutzung von Gesetzeslücken. Hierbei sind die Erscheinungsformen rechtlich in zwei unterschiedliche Bereiche aufzuteilen.590 Bei dem Scheingeschäft wird entweder überhaupt keine Handlung
oder aber eine solche Handlung vorgenommen, die eine andere Handlung
verdeckt.
Schwieriger ist die Beurteilung der Umgehungsgeschäfte, die in Frankreich
im Rahmen des Rechtsinstituts der fraude à la loi, in Großbritannien unter
dem Gesichtspunkt der evasion of law diskutiert werden.591 Die Besonderheit der Umgehung besteht darin, daß eine Lücke im Gesetz oder jedenfalls
eine schlechte Formulierung der gesetzlichen Regelung im Einklang mit ihrem Wortlaut, aber entgegen ihrem Sinn ausgenutzt wird. Der Fehler liegt
also beim Gesetz- oder Verordnungsgeber. Von seiner Technik hängt es ab,
wie viele Umgehungsfälle tatsächlich auftreten. Grundsätzlich gilt: Je detaillierter die Regelung ist, um so zahlreicher sind die Umgehungsmöglichkeiten. Das EG-Recht ist mit seiner an der französischen Gesetzgebung ausgerichteten detaillierten Ordnungstechnik besonders anfällig für solche Umgehungen.592 Eine Ausnutzung von Gesetzeslücken kann jedoch angesichts
des in allen Mitgliedstaaten geltenden Legalitätsprinzips593 nicht bestraft
werden.
In der Literatur wird gefordert, anstelle einer Normgebung nach Aufdeckung von EG-rechtlich vorher nicht erfaßbaren Mißbräuchen eine ausdrückliche Klausel in das EG-Recht mit dem Inhalt einzuführen, daß bei
Schein- und Umgehungsgeschäften kein Anspruch auf Ausfuhrerstattung
589 ABl. 1986, C 321, S. 51 ff.
590 Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 29; Tiedemann, NJW 1990, 2230.
591 Zur Rechtslage in Frankreich Vidal, Théorie générale de la fraude en droit français,
1957, S. 51.
592 Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 30; Tiedemann, NJW 1990, 2230 f.
593 Vgl. nur Koch, in: Grabitz (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 2. Aufl. 1990,
Art. 15 VO 17 Rdnr. 6.
151
Schutz der Finanzinteressen
2115
entsteht und daß durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten der Anspruch auf Abschöpfungserhebung nicht umgangen werden kann.594
9.3
Auswirkungen, Umfang und Beweggründe der Unregelmäßigkeiten sowie die Bedeutung der organisierten Kriminalität
9.3.1
Schätzung des Schadens aus den Unregelmäßigkeiten
Wie gesehen,595 wird das Finanzaufkommen der EG bzw. deren Vermögen
geschmälert, wenn Abschöpfungen und Zölle hinterzogen oder Beihilfen zu
Unrecht erlangt werden. Bei den verschiedenen Erscheinungsformen der
Unregelmäßigkeiten596 auf dem Agrarsektor handelt es sich daher um ein
ernst zu nehmendes Problem, wie sich schon darin zeigt, daß sich die Schadensschätzungen auf 1-10 % des EG-Haushaltes belaufen.597 In ihrem letzten Bericht über die Arbeiten und Fortschritte bei der Betrugsbekämpfung
im Jahre 1992 legte die Europäische Kommission dar,598 daß sich der Gesamtschaden in den aufgedeckten Betrugs- und Hinterziehungsfällen des
vergangenen Jahres auf 280 Mio. ECU belief. Dieser Betrag entspricht zwar
weniger als 0,5 % des EG-Haushaltsvolumens für 1992, das sich auf 62 Milliarden ECU summierte. Vertreter der Kommission warnen jedoch davor,
aus diesen Zahlen allgemeine Rückschlüsse zu ziehen, und gehen von einem
erheblichen Dunkelfeld aus.
9.3.2
Kriminogene Faktoren der Unregelmäßigkeiten
Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Subventionen in den Mitgliedstaaten ist allgemein anerkannt, daß insbesondere verlorene Zuschüsse, d.h.
594 Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 110; ders., NJW 1990, 2233; vgl. auch
Dannecker, in: Evangelische Akademie Bad Boll/Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Justiz und Polizei im Europa ohne Grenzen. Bedrohungen durch die Kriminalität, Bedrohungen durch deren Bekämpfung, 1991, S. 102; Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 109 f.;
Gilsdorf, in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 361.
595 Siehe oben 9.1.
596 Siehe oben 9.2.
597 Eingehend dazu Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 103 ff. mit weiteren
Nachweisen; vgl. auch Martyn, in: Tulkens/van den Wyngaert/Verougstraete (eds.), La
protection juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 44.
598 Kommission der Europäischen Gemeinschaften SEK (93) 943 endg.
2116
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
152
Subventionen, die im Gegensatz zu zinsgünstigen Darlehen nicht zurückbezahlt werden müssen, schwer zu kontrollieren und daher ausgesprochen
kriminalitätsanfällig sind.599 Als weiterer Grund dafür, daß Manipulationen
der beschriebenen Art möglich sind, obwohl zahlreiche Machenschaften inzwischen bekannt sind, wird in der Literatur hervorgehoben, daß es sich um
für die Wirtschaftskriminalität typische Fälle handele:600 Die Importeure
und Exporteure gehörten einem Täterkreis an, der Überlegungen anstellt,
welche Gewinne durch Manipulationen erwirtschaftet werden können und
wie das Aufdeckungsrisiko möglichst gering gehalten werden kann. Außerdem sei die Scheu, Delikte zu Lasten des EG-Haushaltes zu begehen, äußerst gering, denn es fehle ein sichtbar Geschädigter; letztlich werde die
weit entfernte EG-Kasse belastet. Hinzu komme, daß jegliche soziale Kontrolle fehle, wie sie in den klassischen Kriminalitätsbereichen besteht - z.B.
durch beobachtende Dritte, Strafanzeigen der Geschädigten u.ä.
9.3.3
Von den Unregelmäßigkeiten betroffene Produkte
Bezüglich der von den Unregelmäßigkeiten betroffenen Produkte ist festzustellen, daß das Spektrum von Obst und Gemüse, Wein, Oliven und Olivenöl, Milch und Milchprodukten einschließlich Milchpulver über Getreide
und Tabak bis zu Fleisch und Fisch reicht. Dabei differieren die Produkte,
mittels derer die Manipulationen begangen werden, je nach Mitgliedstaat.601 Die Vielzahl der Produkte und die unterschiedliche Ausgestaltung
der Abschöpfungen, Erstattungen und sonstigen Beihilfen einschließlich der
nationalen Unterschiede bei der Zuständigkeit der Behörden sowie im Verwaltungsverfahrensrecht erfordert ein differenziertes Vorgehen der Ermittlungsstellen, das den jeweiligen Besonderheiten des Mitgliedstaates Rechnung trägt.602
599 Vgl. dazu Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht und Wirtschaftskriminalität, Bd. 1,
1976, S. 40 f., Bd. 2, 1976, S. 91.
600 Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 26.
601 Vgl. dazu die Beiträge in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990.
602 Vgl. auch unten 9.6.
153
Schutz der Finanzinteressen
2117
9.3.4 Bedeutung der organisierten Kriminalität bei den Unregelmäßigkeiten
Welche Rolle die organisierte Kriminalität bei den Subventionserschleichungen und Abschöpfungshinterziehungen zu Lasten der EG gegenwärtig
spielt, ist noch nicht abschließend geklärt. Dennoch besteht Einigkeit darüber, daß es sich zwar momentan bei der überwiegenden Zahl der Ermittlungsfälle um Täter handelt, die in ihrem gewöhnlichen Geschäftsbereich
neben reellen Geschäften gelegentlich oder öfter Unregelmäßigkeiten begehen. Gleichwohl wird befürchtet, daß sich angesichts der Höhe der auf dem
Spiele stehenden Beträge mafiaähnliche Strukturen bilden können, wie sie
aus dem Bereich des Rauschgift-, Gold-, Waffen- und Zigarettenschmuggels
bekannt sind.603 Deshalb wird in Erwägung gezogen, die nationalen Vorschriften über die Geldwäsche auf den Betrug zu Lasten der EG anzuwenden.604
In den Niederlanden wird die Einschätzung, daß sich die organisierte Kriminalität mit dem EG-Betrug beschäftigt, durch einen gemeinsamen Bericht
des Centrale Informatiedienst und der Zentralen Kriminalpolizeikommission
bestätigt, der auf einer Analyse der organisierten Kriminalität in den Niederlanden beruht. In diesem Bericht wird u.a. als charakteristisch für die organisierte Kriminalität bezeichnet, daß sich die Organisation hauptsächlich
auf das Erzielen von Einnahmen aus unterschiedlichen, je nach Gewinnchancen schnell wechselnden Formen der Kriminalität verlege, daß die Einnahmen aus den kriminellen Aktivitäten von einem legalen Zweig der Organisation in Immobilien und legale Betriebe investiert würden (Geldwäsche), daß man Dienstleistungen von Sachverständigen auf finanziellem,
steuerlichem oder juristischem Gebiet kaufe und daß man versuche, korrumpierende Kontakte mit wichtigen Amtsträgern des Staates zu knüpfen.605
Auch in Italien wird immer wieder hervorgehoben, daß die Mafia an den
Delikten zu Lasten der EG-Finanzen in erheblichem Umfang beteiligt sei.
Allerdings kann die Verwicklung der sog. mafiosen organisierten Kriminalität in Betrugsdelikte zum Nachteil der EG nur selten den veröffentlich-
603 Vgl. dazu die Stellungnahme von Zachert, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung
und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 81 ff.; vgl. auch Rump, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 89 f.
604 Näher dazu Flore, in: Tulkens/van den Wyngaert/Verougstraete (eds.), La protection juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 165 ff.
605 Vgl. dazu de Groot, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 64 f.
2118
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
154
ten oder sonst bekanntgewordenen Gerichtsfällen entnommen werden.
Gleichwohl wird aus "schwerwiegenden Indizien" und charakteristischen
Merkmalen der Schluß gezogen, daß die italienische mafios organisierte
Kriminalität, die große, konkursgefährdete Verarbeitungsunternehmen übernommen hat, bei dem Subventionsbetrug und den Abgabenhinterziehungen
zu Lasten der EG eine beträchtliche Rolle spielt.606
9.4
Schutz der Finanzinteressen der EG durch nationale
Straftatbestände
Die Vergabe von Subventionen und die Erhebung von Abschöpfungen in der
EG bestimmt sich nach europäischem Recht. Hingegen kann der strafrechtliche Schutz der Finanzinteressen der EG ausschließlich durch nationale
Straftatbestände gewährleistet werden.607 Bei der strafrechtlichen Erfassung
von Manipulationen der Unternehmen spiegeln die nationalen Strafrechtsordnungen im Prinzip die Zweiteilung zwischen Abschöpfungen bei der
Einfuhr von Produkten in die EG und Erstattungen bei der Ausfuhr von Waren in Drittländer wider. Die Verkürzung von Einnahmen der EG wird durch
das Steuerstrafrecht der Mitgliedstaaten, die Erschleichung von Ausgaben
der EG durch den Subventions- oder den allgemeinen Betrugstatbestand
der nationalen Strafrechtsordnungen erfaßt. Dennoch bestehen sowohl bezüglich des materiellen Strafrechts als auch hinsichtlich der Verfolgungspraxis von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erhebliche Unterschiede.608
606 Vgl. dazu Lettieri, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs
im EG-Bereich, 1993, S. 92 ff. mit weiteren Nachweisen.
607 Vgl. nur Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 548.
608 Vgl. den Überblick bei Bruns, Der strafrechtliche Schutz der europäischen Marktordnungen für die Landwirtschaft, 1980, S. 37 ff.; Delmas-Marty/Truche, in: Delmas-Marty (ed.), Quelle Politique Pénale pour l'Europe? 1993, S. 321 ff.; Grasso,
Rivista Trimestrale di Diritto Penale dell'Economia 1989, 380 ff.; ders., in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of
the Community, 1990, S. 249 ff.; Vervaele, EEG-fraude Europees economisch strafrecht, 1991, S. 81 ff.; ders., in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 119 ff. Zur
Rechtslage in Belgien Messinne, in: Commission de la C.E.E. (ed.), La protection
juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1989, S. 105 ff.;
zur Rechtslage in Deutschland Tiedemann, NJW 1990, 2226 ff.; zur Rechtslage in
Frankreich Delmas-Marty, in: European Communities Commission (ed.), Legal
Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 228 f.; zur Rechtslage in Portugal Ferreira Antunes, in: European Communities Commission (ed.),
Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 206 ff.; zur
Rechtslage in Griechenland Mylonopoulos, in: European Communities Commission
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155
9.4.1
Schutz der Finanzinteressen
2119
Strafrechtlicher Schutz der Einnahmen der EG durch
die Mitgliedstaaten
Der strafrechtliche Schutz der Einnahmen der EG wird in der Regel durch
die nationalen Straftatbestände der Steuerhinterziehung und durch Zollstraftatbestände gewährleistet. Das klassische Modell zur Bekämpfung der
Hinterziehung von Ein- und Ausfuhrabgaben609 stellen die sog. Zollstraftaten, insbesondere der Straftatbestand des Schmuggels dar, der z.B. in
Frankreich, Italien und Spanien neben der heimlichen Ein- und Ausfuhr
auch die Hinterziehung von Ein- und Ausfuhrabgaben durch Falschangaben
erfaßt.610 Diese Delikte sind aber, da es sich um Fiskaldelikte handelt,
grundsätzlich auf den Schutz des nationalen Steuer- und Zollaufkommens
beschränkt. Daher bedarf es ausdrücklicher Regelungen, durch die Abschöpfungen der EG in den Schutzbereich der nationalen Strafvorschriften einbezogen werden. Diese Notwendigkeit förderte eine Tendenz der Gesetzgeber zur homogenen Ausgestaltung der Fiskalstraftaten, zunächst in
Spezialgesetzen, dann jedoch zunehmend im Wege der Einführung allgemein anwendbarer einheitlicher Strafvorschriften für jedwede Form der Abgabenhinterziehung. Diese letzte Entwicklungsstufe weist allerdings in den
verschiedenen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten - je nach der verwendeten Gesetzgebungstechnik - auf dem Gebiet des Steuerrechts noch unterschiedliche Verwirklichungsgrade auf. So stellt das deutsche Recht in § 3
Abs. 1 Satz 2 AO, § 80a, § 1 Abs. 3 Zollgesetz und § 2 Abschöpfungsgesetz
die Abschöpfungen und die Zölle des Gemeinsamen Zolltarifs den deutschen Abgaben und Zöllen gleich. Italien kennt die in der Gesetzesverordnung 429 vom 10.7.1982, umgewandelt in Gesetz 576 vom 7.8.1982,
geregelten Sonderstraftatbestände der Abgaben- bzw. Steuerhinterziehung.
In Spanien wurde im Jahre 1977 Art. 349 C.p. eingeführt; die französische
Regelung findet sich in Art. 1741 und 1742 Code général des impôts. Die
Notwendigkeit solcher Assimilationsklauseln oder die Einführung von Sonderstraftatbeständen zum Schutz der EG-Einnahmen ist im Grundsatz anerkannt.611
609 Eingehend dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des
Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 146 (148 ff.).
610 Für Spanien Organgesetz 7/1982, für Frankreich Art. 414 ff. Code des douanes, für
Italien Art. 43 D.P.R. vom 23.1.1973.
611 Tiedemann, NJW 1990, 2231 ff. mit weiteren Nachweisen.
2120
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
156
Der deutsche Straftatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO erfaßt neben der Verkürzung von Steuern ausdrücklich auch die Erschleichung von Steuervorteilen.612 Für einen wirksamen Schutz der EG-Finanzmittel auf der Einnahmenseite ist von großer Bedeutung, daß als solcher
Vorteil auch die Gewährung abschöpfungsfreier Einfuhr anzusehen ist. In
diesem Zusammenhang ist das Urteil des BGH aus dem Jahre 1973 im sog.
"Süddeutschen Getreideskandal"613 zu erwähnen, in dem sich das Gericht
ausführlich mit der Frage befaßt hat, ob das Erschleichen von Erstattungen
in Form abschöpfungsfreier Einfuhren dem Verkürzen von Abgaben strafrechtlich gleichgestellt werden kann. Das Gericht hat diese Frage bejaht und
dazu in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Abschöpfungen und
Erstattungen ein in sich geschlossenes System zur Verwirklichung der
EWG-Agrarmarktordnung bildeten. In dem Maße, wie durch die Abschöpfungen bei der Einfuhr die Preise für Marktordnungsgüter auf das innerstaatliche - jetzt: innergemeinschaftliche - Preisniveau hinaufgeschleust
würden, würden umgekehrt bei der Ausfuhr von Marktordnungsgütern in
Drittländer die Preise auf das Weltmarktniveau hinabgeschleust. Diesem
Spiegelbildverhältnis entspreche es, daß bei der Ausfuhr von bestimmten
Getreidearten und -erzeugnissen in Drittländer die Erstattung in Form des
Verzichts auf die Erhebung der Abschöpfung bei der Einfuhr einer entsprechenden Menge gleichartiger Agrarerzeugnisse gewährt werden könne.614
Als weiteres Beispiel für den sog. EG-Marktordnungsbetrug ist eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1974 zu nennen, in der das Gericht ebenfalls eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Abschöpfungshinterziehung heute: Steuerhinterziehung - angenommen hat.615
Vergleicht man die Rechtslage bezüglich der anzudrohenden Strafen und
der Sanktionshöhe in den Mitgliedstaaten, so bestehen gegenwärtig erhebliche Unterschiede: Während z.B. in Spanien (Organgesetz 7/1982) die Abschöpfungshinterziehung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Jahren
geahndet werden kann, erreicht die in Frankreich (Art. 414 Code des douanes) kumulativ mit einer Geldbuße zu verhängende Freiheitsstrafe höchstens drei Jahre. In Italien können lediglich Geldstrafen ausgesprochen werden (Art. 282 ff. D.P.R. vom 23.1.1973). In Deutschland sieht § 370 AO als
612 Zum Schutz der Finanzinteressen der EG-Mitgliedstaaten durch § 370 Abs. 6 AO
vgl. unten 9.4.6.
613 BGHSt 25, S. 190.
614 BGHSt 25, S. 190 (195).
615 BGH, JZ 1975, 183 mit zust. Anm. Tiedemann.
157
Schutz der Finanzinteressen
2121
Höchststrafe fünf Jahre Freiheitsentzug vor; weiterhin können die Gerichte
die in § 375 AO geregelten Nebenfolgen, z.B. den Verlust der Amtsfähigkeit
oder der Wählbarkeit (Abs. 1 i.V.m. § 45 Abs. 2 StGB) sowie die Einziehung der instrumenta sceleris (Abs. 2 i.V.m. §§ 74 ff. StGB), verhängen.
Die Unterschiedlichkeit der strafrechtlichen Behandlung der Abgabenhinterziehung in den Mitgliedstaaten zeigt sich ferner im Bereich der fahrlässigen
Tatbegehung. In Spanien erfordern die Straftatbestände des Organgesetzes
7/1982 nach der Rechtsprechung und der h.L. Vorsatz.616 Gleiches gilt für
das italienische Recht, denn dort finden auf die Spezialgesetze des Nebenstrafrechts die allgemeinen Vorschriften Anwendung (Art. 16, 42 C.p.).
Demgegenüber ist in Frankreich nach der Gesetzeslage weder der Nachweis
des Vorsatzes erforderlich noch wird der Irrtum als Strafausschließungsgrund anerkannt.617 Allerdings hat die Cour de Cassation bezüglich
einer Zolldefraudation zu Lasten der EG die Einhaltung des Schuldgrundsatzes gefordert.618 In Deutschland kann leichte Fahrlässigkeit nicht bestraft
werden, vielmehr wird leichtfertiges Verhalten als Ordnungswidrigkeit geahndet (§ 378 AO).
Unterschiede sind weiterhin im Hinblick auf die Strafbarkeit des Versuchs
festzustellen. In Frankreich (Art. 409 Code des douanes) und in Italien
(Art. 293 D.P.R. vom 23.1.1973) ist der versuchte Schmuggel in den
Rechtsfolgen der vollendeten Tat gleichgestellt. In Spanien ist die diesbezügliche Rechtslage umstritten; die Rechtsprechung des Tribunal Supremo619 hat jüngst in einigen Fällen die Möglichkeit der Anwendung des
Art. 3 C.p. auf den Straftatbestand des Schmuggels anerkannt. In Deutschland ist die versuchte Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 2 AO strafbar.
Die strafrechtliche Bekämpfung der Hinterziehung anderer zu den Eigenmitteln der EG zählender Abgaben, wie etwa der Mehrwertsteuer, erfolgt
in den Mitgliedstaaten - so in Spanien, Frankreich und Italien - durch Sonderstraftatbestände der Abgaben- bzw. Steuerhinterziehung, über die diese wie zuvor gesehen - verfügen. Die jeweiligen Gesetzgebungstechniken wei-
616 Vgl. Bajo Fernandez, Derecho Penal, Parte Especial, Bd. II, 1987, S. 468.
617 Vgl. Tiedemann, Subventionskriminalität in der Bundesrepublik. Erscheinungsformen, Ursachen, Folgerungen, 1974, S. 353 f. Fn. 120.
618 Urteil vom 5.12.1983, D.S., J. 1984, S. 217 ff. mit Anm. Cosson, S. 222 ff.
619 Vgl. dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 149.
2122
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
158
sen jedoch auch hier große Unterschiede auf. Während beispielsweise im
italienischen Steuerstrafrecht die Tatbestände der Steuerhinterziehung einerseits auf die Unterlassung der Einkommen- und Mehrwertsteuererklärung
(Art. 1 und 2 Gesetzesverordnung 429 vom 10.7.1982) und andererseits auf
die Vorlage täuschender Erklärungen bzw. unzutreffender oder unvollständiger Unterlagen (Art. 4 dieser Gesetzesverordnung) abstellen, ist in
Spanien die Frage nach der Strafbarkeit einer Unterlassung jedweder Steuererklärung seit langer Zeit umstritten.620 Auch im Bereich des allgemeinen
Steuerstrafrechts sind die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten geregelten Rechtsfolgen - wie bei den Zollstraftaten festgestellt - sehr unterschiedlich.
9.4.2 Strafrechtlicher Schutz der Ausgaben der EG in den Mitgliedstaaten
Der strafrechtliche Schutz der Ausgaben der EG wird in den Mitgliedstaaten
durch den Tatbestand des Betrugs oder den des Subventionsbetrugs gewährt. Unter den Aspekten der tatbestandlichen Ausgestaltung sowie der
geschützten Rechtsgüter und des strafbaren Verhaltens lassen sich in den
Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zwei Grundmodelle des Betrugs unterscheiden: zum einen das Recht von Frankreich,621 Belgien622 und den
Niederlanden623 und zum anderen dasjenige der sonstigen Mitgliedstaaten.
9.4.2.1 Französisches Tatbestandsmodell des Betrugs
Das französische Tatbestandsmodell des Betrugs (l'escroquerie) gemäß
Art. 405 C.p., auf dem auch die Betrugstatbestände des belgischen (Art. 426
C.p.) und des niederländischen (Art. 326 Wetboek van Strafzaken) Strafrechts beruhen,624 verlangt nach h.M.625 nicht die Zufügung eines Vermögensnachteils. Ferner kann der Betrug nur durch positives Tun und nicht
620 Vgl. dazu Mestre Delgado, La defraudación tributaria por omisión, 1991, passim.
621 Näher dazu Piniot, in: Delmas-Marty (ed.), Quelle Politique Pénale pour l'Europe?
1993, S. 149 ff.
622 Tulkens, in: Tulkens/van den Wyngaert/Verougstraete (eds.), La protection juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 115 ff.
623 Vervaele, EEG-fraude en Europees economisch strafrecht, 1991, S. 81 ff.
624 Näher dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 151.
625 Merle/Vitu, Traité de Droit Criminel, Droit Pénal Spécial, 1982, S. 1880 ff. mit
Hinweisen zur Rechtsprechung der Cour de Cassation; Vouin, Droit Pénal Spécial,
6. Aufl. 1988, S. 78 ff.
159
Schutz der Finanzinteressen
2123
auch durch Unterlassen begangen werden,626 wobei jedoch der die Tathandlung umschreibende Begriff der "manoeuvres frauduleuses" weit ausgelegt wird. Des weiteren wird nach französischem Recht - insoweit jedoch
anders als des belgische oder niederländische Recht - seit der Novelle vom
13.3.1863 der Versuch in gleicher Weise bestraft wie die vollendete Tat. In
subjektiver Hinsicht verlangt Art. 405 des französischen C.p. - im Gegensatz zum niederländischen Recht - keine besondere Absicht, sich oder einem
Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Im Hinblick
auf die Unbestimmtheit der Abgrenzung von strafbaren "manoeuvres frauduleuses" und straflosen "simples déclarations mesongères" hat der Gesetzgeber, indem er für die verschiedenen Fälle der Subventionserschleichung
im Nebenstrafrecht eine Vielzahl von Sonderstraftatbeständen schuf, es für
notwendig erachtet, falsche, unzutreffende oder unvollständige Erklärungen,
die zur Erlangung staatlicher Leistungen gemacht werden, ausdrücklich unter Strafe zu stellen. Es handelt sich jedoch hierbei um Strafvorschriften von
rein partieller Bedeutung; die weitgehenden Unterschiede im Rechts-folgenbereich lassen es auch nicht zu, diese Vielfalt von Sonderbestimmungen
auf ein einheitliches kriminalpolitisches Konzept zurückzuführen.627
Das französische Recht kennt also keinen Straftatbestand der Subventionsbzw. Leistungserschleichung, so daß in Frankreich die Subventionserschleichung nur durch den allgemeinen Betrugstatbestand erfaßt werden kann.
Trotz seines weiten Anwendungsbereichs stößt der Tatbestand der französischen escroquerie aber dort an Grenzen, wo es um die Verfehlung oder Vereitelung des Subventionszwecks durch zweck- oder bedingungswidrigen
Gebrauch der erlangten Beihilfe geht.628
9.4.2.2 Deutsches Tatbestandsmodell des Betrugs und Einführung eines
Sondertatbestandes des Subventionsbetrugs in das deutsche
Strafgesetzbuch
Das zweite grundlegende Tatbestandsmodell des Betrugs rührt vom deutschen Recht (§ 263 StGB) her und ist auch in den Strafrechtsordnungen Däne-
626 Merle/Vitu, Traité de Droit Criminel, Droit Pénal Spécial, 1982, S. 1893; Vouin,
Droit Pénal Spécial, 6. Aufl. 1988, S. 60, 63.
627 Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 151.
628 Vgl. Delmas-Marty, Droit Pénal des Affaires, Bd. II, 3. Aufl. 1990, S. 246.
2124
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
160
marks (Art. 279), Griechenlands (Art. 386), Italiens (Art. 640 C.p.), Portugals (Art. 313 C.p.) und Spaniens (Art. 529 C.p.) zu finden.629 In diesen
Rechtsordnungen verlangt der Betrugstatbestand in durchgehendem Kausalzusammenhang eine Täuschungshandlung, eine Irrtumserregung, eine Vermögensverfügung des Getäuschten und einen Vermögensschaden bei letzterem oder bei einem in hinreichender Nähebeziehung stehenden Dritten.
Während im italienischen Recht - wie im deutschen Recht - die Vermögensdisposition ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist, wird es im dänischen, griechischen, portugiesischen und spanischen Recht ausdrücklich in
der entsprechenden Vorschrift erwähnt.
Die Unterschiede zwischen dem deutsch-beeinflußten Betrugsmodell und
dem französischen Modell der escroquerie sind bedeutsam. Nach dem deutschen Modell ist die Zufügung eines Vermögensschadens - anders als bei
der escroquerie - Voraussetzung der Deliktsvollendung. Auch wird der Versuch milder als das vollendete Delikt bestraft. Ferner kann die Täuschungshandlung nicht nur durch positives Tun, sondern auch durch - über das konkludente Verhalten hinausgehendes - Unterlassen begangen werden.
Schließlich muß der Täter in der Absicht handeln, sich oder einem Dritten
einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Das schließt, im Gegensatz zum französischen Recht, eine Betrugsstrafbarkeit in den Fällen aus,
in denen dem Täter ein materiell-rechtlicher Anspruch auf den Gegenstand
der Vermögensverschiebung, d.h. den Bereicherungsgegenstand zusteht.630
Die deutsche Rechtsordnung stieß aber bei der strafrechtlichen Erfassung
der durch falsche, unzutreffende oder unvollständige Angaben begangenen
Subventions- oder Leistungserschleichung mittels des allgemeinen Betrugstatbestandes insbesondere auf Nachweisschwierigkeiten.631 Diese praktischen Probleme führten zur Einführung eines speziellen Tatbestandes zur
Erfassung des Subventionsbetrugs durch das Erste Gesetz zur Bekämpfung
der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976.632 Dieser in § 264 StGB normierte Straftatbestand verzichtet auf den Eintritt eines Schadens und inkri-
629 Näher dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 151 f.
630 Bajo Fernandez, Derecho Penal, Parte Especial, Bd. II, 1987, S. 175.
631 Tiedemann, ZStW 86 (1974), S. 897 ff.; ders., ZStW 87 (1975), S. 253 ff., jeweils
mit weiteren Nachweisen.
632 BGBl. 1976 I S. 2034.
161
Schutz der Finanzinteressen
2125
miniert bereits die Täuschung über subventionserhebliche Tatsachen, verlagert also die Strafbarkeit gegenüber dem allgemeinen Betrugstatbestand
(§ 263 StGB) ins Vorfeld. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, den oft
schwierigen Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen Täuschungshandlung, Irrtumserregung, Vermögensverfügung und Vermögensschaden
zu führen. § 264 Abs. 6 StGB bezieht ausdrücklich Leistungen aus öffentlichen Mitteln nach dem Recht der EG in den Strafschutz ein. Damit fallen
insbesondere die Ausfuhrerstattungen, die bei dem Export landwirtschaftlicher Produkte in Drittländer gezahlt werden, sowie die vom Sozial- bzw.
Regionalfonds an Unternehmen und Betriebe geleisteten Beihilfen eindeutig
in den Schutzbereich des § 264 StGB.
So hat der BGH in einem Urteil vom 5.9.1989633 Ausfuhrerstattungen für Drittlandexporte nach EWG-Marktordnungsvorschriften als Subventionen i.S. des § 264
StGB qualifiziert und dargelegt: "Es trifft zwar zu, daß durch die Verbringung von
Rindfleisch aus dem Wirtschaftsgebiet der Europäischen Gemeinschaften deren
Rindfleischmarkt tatsächlich und finanziell insofern entlastet wird, als den Subventionsstellen innerhalb der Gemeinschaft und damit letztlich dem Gemeinschaftshaushalt sonst anfallende Ankaufs-, Lagerungs- und Finanzierungskosten erspart
bleiben. Damit sind aber nur mögliche Motive angesprochen, die der Ausfuhrerstattungsregelung zugrunde liegen mögen und den Subventionszweck umschreiben. Die Erfüllung des Subventionszwecks ist keine Gegenleistung, sondern nur
Voraussetzung für die Gewährung der Subvention."634
Der Schutz der Ausgaben der Gemeinschaft wird im deutschen Strafrecht
aber auch durch den allgemeinen Betrugstatbestand des § 263 StGB gewährleistet, sofern es sich um die Schädigung der EG bezüglich anderer als
Wirtschaftssubventionen i.S. von § 264 Abs. 6 StGB (z.B. Kultur-, Sozialund Umweltsubventionen) sowie sonstiger Beihilfen handelt.635 Es besteht
nämlich Einigkeit in Rechtsprechung636 und Lehre637, daß Vermögensdelikte gegen ausländisches Staatseigentum - so z.B. der Betrug zum Nachteil
633 BGH, wistra 1990, 24.
634 Ebenso Lenckner, in: Schönke/Schröder, 24. Aufl. 1991, § 264 Rdnr. 11.
635 Vgl. dazu Möhrenschlager, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 163.; Tiedemann, NJW 1990, 2226 f.; ders.,
NJW 1993, 23 f.; Zuleeg, JZ 1992, 762 f. Zu der Frage, weshalb nichtwirtschaftsfördernde Subventionen generell nicht von § 264 StGB erfaßt werden, vgl. zudem
Tiedemann, in: LK, 10. Aufl. 1985, § 264 Rdnr. 9 mit weiteren Nachweisen.
636 BayObLG, NJW 1980, 1057.
637 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7 Rdnrn. 15, 22; Tröndle, in: LK, 10.
Aufl. 1985, Vor § 3 Rdnr. 37; ders., in: Dreher/Tröndle, 46. Aufl. 1993, Vor § 3
Rdnr. 6; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz der überstaatlichen Hoheitsgewalt,
1965, S. 114 f.; Lüttger, in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 147 f.; Schlüchter, in:
Festschrift für Oehler, 1985, S. 312; Sternberg-Lieben, NJW 1985, 2125.
2126
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
162
ausländischen Staatsvermögens - von den einschlägigen inländischen Strafvorschriften erfaßt werden. Entsprechendes soll auch für gegen die Finanzinteressen der Gemeinschaft gerichtete Betrugshandlungen gelten, denn dieses Rechtsgut fließe nicht aus der staatlichen Hoheitsgewalt, sondern habe
den Charakter eines individualrechtlichen Vermögensgutes. Daher würden
Interventionszahlungen beim Ankauf von Agrarerzeugnissen durch die Subventionsstelle sowie Lagerbeihilfen durch den allgemeinen Betrugstatbestand geschützt.638 § 263 StGB findet nach ganz h.M.639 allerdings keine
Anwendung, wenn sich das betrügerische Handeln gegen eine durch einseitigen Hoheitsakt des ausländischen Staates auferlegte Zahlungsverpflichtung (wie z.B. Steuern und Zölle) richtet.
9.4.2.3 Sondertatbestände des Subventionsbetrugs in Spanien, Portugal
und Italien
Dem deutschen Modell des Subventionsbetrugs folgend haben inzwischen
auch Spanien, Portugal und Italien, die das deutsche Tatbestandsmodell des
Betrugs kennen, Sondertatbestände eingeführt, um den Subventionsbetrug
zu erfassen.640
9.4.2.3.1 Spanien
In Spanien641 wurde durch das Organgesetz 2/1985 vom 29.4.1985
Art. 350 C.p. in seiner neuen Fassung eingeführt. Hierbei handelt es sich um
einen die öffentliche Finanzwirtschaft schützenden Straftatbestand, der die
mißbräuchliche Erlangung und das mißbräuchliche Gebrauchmachen öffentlicher Subventionen im Wert von mehr als 2,5 Mio. Peseten mit Freiheitsstrafe und Geldstrafe in Höhe von bis zu dem Sechsfachen der erfolgten
Bewilligung bestraft. Der gleichen Strafandrohung unterliegt die Mißach638 Eingehend zu dieser umstrittenen Frage Dieblich, Der strafrechtliche Schutz der
Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 110 ff.; Sannwald, Rechtsgut
und Subventionsbegriff, § 264 StGB, 1983, S. 120 f.; Tiedemann, NJW 1990, 2227.
639 RGSt 14, S. 124 (128 f.); OLG Hamburg, JR 1964, 350, (352); BayObLG, NJW 1980,
1057; Tröndle, in: LK, Vor § 3 Rdnr. 36; ders., in: Dreher/Tröndle, Vor § 3 Rdnr. 6;
Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 486; ders., JR 1980, 486 f.; Schröder, JR 1964, 353; zweifelnd lediglich Gössel, Festschrift für Oehler, 1985, S. 97, 106.
640 Vgl. dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 154 ff.
641 Vgl. hierzu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 154 ff.
163
Schutz der Finanzinteressen
2127
tung der Bedingungen und Auflagen, mit denen die Subventionsbewilligung
verbunden ist, wenn dadurch deren Zweck wesentlich vereitelt wird. Das geschützte Rechtsgut des spanischen Subventionsbetrugs ist nach h.M. das
Staatsvermögen. Art. 350 C.p. erwähnt unter den Schutzgütern nicht die
Dispositions- und Planungsfreiheit der staatlichen Leistungsverwaltung.
Deshalb ist für die Vollendung des Tatbestandes nach überwiegender Meinung erforderlich, daß der Bewillungungsantrag erfolgreich war und die
Subvention an den Täter ausgezahlt wurde.642 Nach anderer Ansicht soll es
ausreichen, daß ein förmlicher Bewilligungsbescheid ergangen ist.643
Die Strafbarkeit des fahrlässigen Verhaltens ist umstritten. Der Tribunal
Supremo hat hierzu bislang noch nicht Stellung genommen. In der Lehre644
wird überwiegend auf der Basis einer kriminalpolitisch orientierten korrigierenden Auslegung des Tatbestandes die Straflosigkeit der fahrlässigen
Tatbegehung angenommen. Auch der Entwurf eines neuen Código Penal
von 1992 schießt die Strafbarkeit eines fahrlässig begangenen Subventionsbetrugs aus.
Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Subventionen in Höhe von bis zu
2,5 Mio. Peseten wird gemäß Art. 82 Abs. 1 des Allgemeinen Haushaltsgesetzes (Ley General Presupuestaria, LGP), der durch das Gesetz 31/1990
eingeführt worden ist, als "Ordnungswidrigkeit" (infracciones administrativas) geahndet. Art. 81 Abs. 2 Buchst. b LGP sieht - anders als Art. 350 C.p.
- ausdrücklich die Anwendbarkeit dieses Tatbestandes auch auf solche Subventionen und Beihilfen vor, die ganz oder teilweise aus Mitteln der EG
fließen. Gemäß Art. 82 Abs. 3 LGP kann die Geldbuße bis zum Dreifachen
der mißbräuchlich erlangten Summe betragen. Daneben kann die zuständige
Behörde den Empfänger für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren von der
Subventionsvergabe sowie von der Möglichkeit jedweder Vertragsschließung mit dem Staat ausschließen.
642 So Arroyo Zapatero, Delitos contra la Hacienda Pública en materia de subvenciones, 1987, S. 110; Bajo Fernandez, Derecho Penal, Parte Especial, Bd. II,
1987, S. 445; Boix Reig, in: Cobo/Vives/Orts/Carbonell/Boix, Derecho Penal, Parte
Especial, 2. Aufl. 1988, S. 416.
643 So Martinez Perez, in: Cobo del Rosal/Bajo Fernandez, Comentarios a la Legislación Penal, Bd. VI, 1986, S. 331, 345.
644 Vgl. Arroyo Zapatero, Delitos contra la Hacienda Pública en materia de subvenciones, 1987, S. 11; Bajo Fernandez, Derecho Penal, Parte Especial, Bd. II, 1987,
S. 144; Boix Reig, in: Cobo/Vives/Orts/Carbonell/Boix, Derecho Penal, Parte Especial, 2. Aufl. 1988, S. 417; Martinez Perez, in: Cobo del Rosal/Bajo Fernandez,
Comentarios a la Legislación Penal, Bd. VI, 1986, S. 341 f.
2128
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
164
Angesichts der Tatsache, daß Art. 350 C.p. weitgehend dem Betrugstatbestand entspricht, wird diese Strafbestimmung in der Literatur als wenig effektiv zur Bekämpfung der Subventionskriminalität kritisiert.645 Im Hinblick auf das Fehlen einer ausdrücklichen Erstreckungs- oder Assimiliationsklausel wird deshalb in Erwägung gezogen, die mißbräuchliche Inanspruchnahme von EG-Subventionen derzeit nur gemäß Art. 82 Abs. 3 LGP
zu ahnden.646
9.4.2.3.2 Portugal
In Portugal647 ist die Subventionserschleichung in Art. 36 Gesetzesverordnung 28/1984 vom 20.1.1984 geregelt. Hierbei handelt es sich, da die Deliktsvollendung die Auszahlung, d.h. den Erhalt der Subvention durch den
Antragsteller, erfordert, um ein Verletzungsdelikt.648 Im portugiesischen
Recht wird die Konstruktion des Subventionsbetrugs als eines besonders
schweren Falles des allgemeinen Betrugs konsequent durchgehalten: So
wird der Subventionsbetrug mit einer wesentlich strengeren Strafe bestraft
als der Betrug nach Art. 313 C.p. Für letzteren ist eine Freiheitsstrafe von
drei Jahren vorgesehen, die jedoch in besonders schweren Fällen gemäß
Art. 314 C.p. (Üblichkeit, Schwere der dem Opfer zugefügten wirtschaftlichen Lage, Schwere des zugefügten Vermögensschadens) auf bis zu zehn
Jahren erhöht werden kann. Hingegen sieht Art. 36 Gesetzesverordnung
28/1984 für den Subventionsbetrug eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis
zu fünf Jahren sowie eine Geldstrafe von 50 bis zu 150 Tagessätzen vor; in
besonders schweren Fällen kann auf Freiheitsstrafe von zwei bis zu acht
Jahren erkannt werden.
Art. 36 Abs. 3 Gesetzesverordnung 28/1984 sieht weiterhin die Möglichkeit
vor, den Subventionsbetrug mit der Nebenfolge der Auflösung bzw. Verhän-
645 Vgl. Arroyo Zapatero, Delitos contra la Hacienda Pública en materia de subvenciones, 1987, S. 137; Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des
Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 156 f. mit weiteren Nachweisen.
646 So Ruiz Vadillo, in: Seminario sobre la protección de los intereses financieros de la
C.E., 1992 (unveröffentlichtes Manuskript); zitiert nach Bacigalupo Zapater, in:
Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993,
S. 156 Fn. 44.
647 Vgl. hierzu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 157 f.
648 da Costa Andrade, in: Correia et al. (eds.), Diritto Penal Económico, 1985,
S. 102 ff.
165
Schutz der Finanzinteressen
2129
gung einer Geldbuße gegen Gesellschaften, juristische Personen oder sonstige Personenmehrheiten zu versehen, die ausschließlich oder doch überwiegend zur Begehung von Subventionsbetrügereien gegründet wurden. Für
die Fälle des zweckwidrigen Gebrauchs einer Subvention droht Art. 37 Gesetzesverordnung 28/1984 Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und Geldstrafe von nicht weniger als 100 Tagessätzen an.
9.4.2.3.3 Italien
In Italien649 waren die zum Nachteil des EG-Garantiefonds begangenen Subventionsbetrügereien bis 1986 insoweit unter Strafe gestellt, als Art. 9 Decreto Legge
vom 21.11.1967 n. 1051, bestätigt durch Legge vom 18.1.1968 n. 10, für den Sektor der Beihilfen für die Olivenölproduktion vorsah: "Wer in Anträgen, in Meldungen oder in anderen in Art. 3, 4, 10 des vorliegenden Dekrets vorgesehenen gleichwer-tigen Akten unrichtige Angaben über Erzeugnisse macht, für welche dieses
Dekret Preisergänzungen vorsieht, wird, sofern die Tat nicht mit schwererer Strafe
bedroht ist, mit Gefängnis von einem Monat bis zu vier Jahren und mit Geldstrafe
von fünfzigtausend bis zu drei Millionen Lire bestraft."
Andere Subventionsbetrügereien zu Lasten der EG unterfielen dem allgemeinen Betrugstatbestand des Art. 640 C.p. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung wird derjenige, der mit Hilfe von Kunstgriffen oder durch Vorspiegelung in einem anderen einen Irrtum erregt und dadurch sich oder einem
anderen einen rechtswidrigen Vorteil zum Schaden eines Dritten verschafft,
mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren und mit Geldstrafe von
einhunderttausend bis zu zwei Mio. Lire bestraft. Abs. 2 Nr. 1 sieht vor, daß
die Strafe Gefängnis von einem Jahr bis zu fünf Jahren und Geldstrafe von
sechshunderttausend bis zu drei Mio. Lire ist, wenn die Tat zum Schaden
des Staates oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaft oder unter dem Vorwand begangen wird, einen anderen vom Militärdienst zu befreien. Abs. 3 normiert, daß das Verbrechen auf Antrag des Verletzten strafbar ist, sofern die im vorhergehenden Absatz genannten sowie andere
erschwerende Umstände nicht vorliegen. Dieses Antragserfordernis galt
auch auf dem Gebiet der EG-Subventionsbetrügereien.650
649 Vgl. hierzu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 158 f.; Lettieri, in: Dannecker (Hrsg.), Die
Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 97 ff.
650 Sarazana, Giustizia penale 1985, 379 ff.
2130
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
166
Im Jahre 1986 wurde dann Art. 2 Legge vom 23.12.1986 n. 898, zuletzt geändert durch Art. 73 Legge vom 19.2.1992 n. 142, als eine die Betrügereien
gegen den EAGFL regelnde Norm in die italienische Rechtsordnung eingefügt:
"1. Wer mittels Angabe von falschen Daten und Informationen sich oder einem anderen rechtswidrig Prämien, Vergütungen, Erstattungen, Zuschüsse
oder andere ganz oder partiell zur Last des Europäischen Ausrichtungs- und
Garantiefonds für die Landwirtschaft fallende Ausgaben verschafft, wird, sofern die Tat nicht mit der in Art. 640bis vorgesehenen, schwereren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft.
Wenn der unrechtmäßig erlangte Betrag in weniger als einem Zehntel des
rechtmäßig zustehenden Zuschusses besteht, oder er allenfalls 20 Millionen
Lire nicht übersteigt, wird nur die von den folgenden Artikeln vorgesehene
Verwaltungsstrafe angewendet.
...
3. Mit dem Urteil bestimmt der Richter außerdem den unrechtmäßig erlangten
Betrag und verurteilt den Angeklagten zur Rückerstattung desselben an die
Verwaltung, die die in Abs. 1 vorgesehenen Beihilfeausgaben bewilligt hat."
Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß durch Art. 5 Legge
1986/898 Art. 9 Decreto Legge vom 21.11.1967 n. 1051 ausdrücklich aufgehoben worden ist.
Darüber hinaus ist - durch Art. 22 Legge vom 19.3.1990 n. 55 - Art. 640bis
in den C.p. eingeführt worden, der einen besonders schweren Fall des Betrugs für den Fall der mißbräuchlichen Inanspruchnahme staatlicher und
gemeinschaftlicher Subventionen normiert:
"Die Strafe ist Gefängnis von einem Jahr bis zu sechs Jahren und das Strafverfahren wird von Amts wegen eingeleitet, wenn die in Artikel 640 vorgesehene Tat Zuschüsse, Finanzierungen, zinsgünstige Darlehen oder andere
gleichartige Ausgaben betrifft, die vom Staat, anderen Körperschaften oder
den Europäischen Gemeinschaften bewilligt oder ausgereicht werden."
Mit der Einführung dieser Vorschrift ist eine Verschärfung der Sanktionen
für alle EG-Subventionsbetrügereien - auch für jene, die nicht zum Schaden
des EAGFL begangen werden - verbunden, und zu ihrer Verfolgbarkeit bedarf es nicht mehr des Antrags des Verletzten.
167
Schutz der Finanzinteressen
2131
Diese Gesetzeslage betreffend die Strafbarkeit des Subventionsbetrugs im
italienischen Recht hat Kritik in der Lehre hervorgerufen.651
Durch die Aufhebung von Art. 9 Decreto Legge 1967/1051 finde Art. 2 Legge
1986/898 auf alle "mittels Angabe von falschen Daten und Informationen" begangenen Subventionsbetrügereien Anwendung, also auch auf jene, die sich im Sektor
der Beihilfen für Olivenölproduktion abspielten und die zuvor durch den aufgehobenen Art. 9 Decreto Legge 1967/1051 schärfer sanktioniert waren, während für
alle anderen, durch betrügerische Handlungen begangenen Subventionserschleichungen weiterhin Art. 640 C.p. mit seinen Beschränkungen in Betracht komme.
Diese Kritik wird auch nach der Einführung von Art. 640bis C.p. im Jahre 1990
aufrecht erhalten, weil Art. 2 Legge 1986/898 nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist, so daß diese Vorschrift nach wie vor auf alle "mittels Angabe von falschen
Daten und Informationen" begangenen Subventionsbetrügereien anwendbar sei und
Art. 640bis C.p. alle anderen Betrügereien, die mittels betrügerischer Handlungen
begangen werden, erfasse. Die Privilegierung der Subventionskriminalität im EGBereich zeige sich weiterhin darin, daß nach Art. 2 Legge 1986/898 Frei-heitsstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren verhängt werden können, wohingegen
der Betrug zum Nachteil des Staates gemäß Art. 640 Abs. 2 Nr. 1 C.p. mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden kann.
9.4.3
Orientierung am deutschen Strafrechtsmodell zur Bekämpfung
der Unregelmäßigkeiten
Angesichts der gravierenden Unterschiede bezüglich des strafrechtlichen
Schutzes der EG-Finanzinteressen, wie sie die nationalen Rechtssysteme
gegenwärtig noch aufweisen,652 wird in der Literatur eine Orientierung am
deutschen Strafrechtsmodell empfohlen,653 da dieses für sich in Anspruch
nehmen könne, besonders nachhaltig gegen Unregelmäßigkeiten zu Lasten
der EG vorzugehen. Einschränkend wird jedoch angemerkt, daß eine unbesehene Übernahme der deutschen Rechtslage problematisch wäre, weil das
deutsche Strafrecht die Verkürzung von Einnahmen und diejenige von Ausgaben der Gemeinschaft nicht einheitlich erfasse:654 Während die Einnah-
651 Vgl. dazu Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 158 f.; Lettieri, in: Dannecker (Hrsg.), Die
Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 99 ff., jeweils mit
weiteren Nachweisen.
652 Vgl. dazu bereits oben 9.4.
653 Zur Vorbildfunktion des deutschen Strafrechts Bacigalupo Zapater, in: Dannecker
(Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 151 ff.;
Grasso, in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 250 f.
654 So Tiedemann, NJW 1990, 2227 f.; vgl. auch Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 32.
2132
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
168
men durch den Tatbestand der Steuerhinterziehung und damit durch ein Erfolgsdelikt geschützt würden, kenne das StGB zum Schutz der Ausgaben
mit § 264 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Außerdem stelle § 264
Abs. 3 StGB auch die leichtfertige (grob fahrlässige) Begehensweise unter
Kriminalstrafe und bewerte diese nicht nur als Ordnungswidrigkeit, wie dies
im Steuerstrafrecht der Fall ist (§ 378 AO). Diese Verschärfung beim Subventionsbetrug wird damit gerechtfertigt, daß bei der Inanspruchnahme von
Wirtschaftssubventionen durch Betriebe und Unternehmen eine erhöhte
Pflichtenstellung des Subventionsempfängers im Hinblick auf das Vorliegen
der Subventionsvoraussetzungen bestehe; bei der leichtfertigen Steuerhinterziehung gehe es demgegenüber regelmäßig nicht um die Erlangung von
Vorteilen aus staatlichem Vermögen, sondern um die Nichtabführung eigener Vermögensbestandteile an den Staat.655 Angesichts der Tatsache, daß
Steuervorteile und direkte Subventionen weitgehend austauschbar seien,
könne die deutsche Differenzierung nicht uneingeschränkt zur Nachahmung
empfohlen werden.656
9.4.4
Strafbarkeit juristischer Personen in den EG-Mitgliedstaaten
Die Strafbarkeit juristischer Personen ist in den EG-Mitgliedstaaten ebenfalls völlig uneinheitlich geregelt.657 Während Großbritannien,658 die Niederlande659 und seit dem 1.3.1994 auch Frankreich660 Kriminalstrafen gegen juristische Personen vorsehen,661 kennen die Bundesrepublik Deutschland,662 Italien663 und Portugal664 Geldbußen;665 in Griechenland666 und
655 Vgl. dazu Tiedemann, ZStW 87 (1975), S. 276 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch
Arroyo Zapatero, Delitos contra la Hazienda Pública en materia de subvenciones,
1987, S. 84 f.
656 So Tiedemann, NJW 1990, 2228.
657 Zusammenfassend dazu Fijnaut/Scarlett, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993,
S. 113 ff.; Schroth, Unternehmen als Normadressat und Sanktionssubjekte. Eine
Studie zum Unternehmensstrafrecht, 1993, S. 140 ff.
658 Leigh, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 49.
659 de Doelder, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 93 ff.
660 Marin, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 55.
661 Vgl. die Übersicht bei Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im
Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 27 ff.
662 Rump, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 65.
663 Salazar, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 85 ff.
664 Ferreira Antunes, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 101 f.
665 Vgl. die Übersicht bei Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im
Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 25 ff., 30 f.
169
Schutz der Finanzinteressen
2133
Spanien667 wiederum gibt es Verwaltungssanktionen gegen Unternehmen.668 Deshalb wird in der Literatur - neben der Vereinheitlichung der
Straftatbestände - in Erwägung gezogen, supranationale Geldbußen einzuführen, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen zu vereinheitlichen.669 Im Hinblick darauf, daß die Mitgliedstaaten bei der Übertragung strafrechtlicher Kompetenzen auf die EG äußerst zurückhaltend
sind,670 wird dabei an die Einführung gemeinschaftsrechtlicher Bußgeldtatbestände gedacht,671 wie sie für Wettbewerbsverstöße bereits existieren und
mit Erfolg auf Unternehmen angewandt werden.
9.4.5
Urkundenstrafrecht
Als weitere Straftatbestände, die im Zusammenhang mit Abschöpfungshinterziehungen und Subventionserschleichungen zu Lasten der EG eingreifen
können, sind die Urkundendelikte zu nennen. Auch hier weisen die nationalen Rechtsordnungen ganz erhebliche Unterschiede auf.672 Zwar werden
ganz überwiegend in Fällen mit Auslandsberührung neben den inländischen
öffentlichen Urkunden auch ausländische und supranationale öffentliche Urkunden von den entsprechenden Vorschriften erfaßt.673 Abweichungen be-
666 Spinellis, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 71 f.
667 Gonzales, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 109.
668 Vgl. die Übersicht bei Wagemann, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe im
Bußgeldrecht der Europäischen Gemeinschaften, 1992, S. 29 f. Zur Rechtslage in Belgien vgl. Messinne, in: Tulkens/van den Wyngaert/Verougstraete (eds.), La protection
juridique des intérêts financiers des Communautés européennes, 1992, S. 108 ff.
669 Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 112 ff.; ebenso Dannecker, in: Evangelische Akademie Bad Boll/Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.),
Justiz und Polizei im Europa ohne Grenzen. Bedrohungen durch die Kriminalität,
Bedrohungen durch deren Bekämpfung, 1991, S. 98 ff.
670 Vgl. dazu oben 4.
671 Tiedemann, in: Festschrift für Pfeiffer, 1988, S. 113 ff.; zustimmend Grasso, in:
European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 258.
672 Vgl. den Überblick bei de Sampayo Garrido-Nijgh, in: van der Hulst (ed.), EC
Fraud, 1993, S. 117 f.
673 Für die Bundesrepublik Deutschland vgl. RGSt 68, S. 300 ff.; zustimmend KG, JR 1980,
516 f.; OLG Düsseldorf, NStZ 1983, 221 f.; vgl. auch OLG Frankfurt, wistra 1990, 271 f.,
zur Strafbarkeit des Gebrauchmachens von belgischen T-2-Versandscheinen im Inland,
wenn das Gebrauchmachen zum Zwecke einer Täuschung im Inland geschieht. In diesen Entscheidungen wird von der Rechtsprechung gefordert, daß deutsche Rechtsgüter
bzw. Interessen beeinträchtigt sein müssen. Das ist auch h.M. im Schrifttum, vgl. Eser,
in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 3-7, Rdnr. 22; Lackner, 20. Aufl. 1993, § 271 Rdnr. 5;
Tröndle, in: LK, StGB, 10. Aufl. 1988, § 271 Rdnr. 4a; ders., in: Dreher/Tröndle, Vor
§ 3 Rdnr. 6, § 271 Rdnr. 3; Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 205,
2134
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
170
stehen jedoch insbesondere in bezug auf die Strafbarkeit inhaltlich unrichtiger Angaben und schriftlicher Lügen. Während die Strafgesetze Belgiens,674
Frankreichs,675 Portugals,676 Spaniens677 und der Niederlande678 jegliche
Fälschung oder unrichtige Darstellung erfassen, wenn der Gebrauch der Urkunde zu einem Schaden für Dritte führen kann, ist das Urkundenstrafrecht
Dänemarks,679 Deutschlands,680 Großbritanniens,681 Irlands682 und Griechenlands683 enger gefaßt und bezieht insbesondere schriftliche Lügen nicht
mit ein.684
9.4.6
Schutz der Finanzinteressen der EG-Mitgliedstaaten durch
das deutsche Steuerstrafrecht im besonderen
Von besonderer Bedeutung ist der Schutz der Finanzinteressen der EGMitgliedstaaten durch das deutsche Steuerstrafrecht.
9.4.6.1 § 370 Abs. 6 AO
Nach § 370 Abs. 6 AO sind auch die von einem anderen Mitgliedstaat der
Gemeinschaft zu erhebenden Eingangsabgaben taugliches Tatobjekt des
Straftatbestandes der Steuerhinterziehung, und zwar selbst dann, wenn die
Tat von einem Ausländer im Ausland begangen wird, denn er bestimmt:685
"Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Eingangsabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Ge-
674
675
676
677
678
679
680
681
682
683
684
685
485; ders., JR 1980, 486; Schlüchter, in: Festschrift für Oehler, 1985, S. 314. Weitergehend Schroeder, NJW 1990, 1406 f., der den Rechtsverkehr als staatsunabhängigen Gemeinschaftswert ansieht.
de Nauw, Initiation au droit pénal spécial, 1987, S. 47 Fn. 85; Spreutels, in: van der
Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 31 f.
Marin, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 57.
Ferreira Antunes, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 102.
Gonzales, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 108 f.
de Doelder, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 95 f.
Greve, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 44.
Rump, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 64.
Leigh, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 49 f.
O'Leary, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 76.
Spinellis, in: van der Hulst (ed.), EC Fraud, 1993, S. 72.
Zusammenfassend dazu de Sampayo Garrido-Nijgh, in: van der Hulst (ed.), EC
Fraud, 1993, S. 117 f.
Zu der seit dem 1.9.93 geltenden Neufassung des § 370 Abs. 6 AO siehe weiter
unten im Text.
171
Schutz der Finanzinteressen
2135
meinschaften verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Sie gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die
außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen werden."
Eine Erweiterung des Schutzes der Einnahmen der EG bedeutet in diesem
Zusammenhang das am 1.1.1993 in Kraft getretene Gesetz zur Anpassung
des Umsatzsteuergesetzes und anderer Rechtsvorschriften an den EGBinnenmarkt - Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz vom 25.8.1992686, das der
Anpas-sung umsatzsteuerrechtlicher und verbrauchsteuerrechtlicher Regelungen an den Wegfall der Steuergrenzen zwischen den Mitgliedstaaten
dient. Art. 2 Nr. 2-4 dieses Gesetzes enthält folgende Änderungen des Steuerrechts der Abgabenordnung: Durch eine Ergänzung von § 370 Abs. 6 AO
wird das Umsatzsteueraufkommen der Mitgliedstaaten der EG in gleicher
Weise wie das deutsche Umsatzsteueraufkommen strafrechtlich geschützt.
Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die mit dem EGBinnenmarkt einhergehende Freizügigkeit bei unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen neue Möglichkeiten der Steuerhinterziehung bietet. Die Bundesregierung hatte zunächst folgende Ergänzung des Steuerhinterziehungstatbestandes vorgeschlagen: "Das gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Gemeinschaften verwaltet werden" (§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO). Der Bundesrat687 äußerte jedoch Zweifel an der Notwendigkeit und Praktikabilität dieser Ergänzung und machte insbesondere gegen die im Entwurf vorgesehene
Ausdehnung des Strafrechts geltend, daß das neue Recht bei inländischen
Steuerpflichtigen die Kenntnis des Umsatzsteuerrechts anderer EG-Mitgliedstaaten voraussetze, wodurch die Steuerpflichtigen, aber auch die Steuerverwaltung und die Justiz überfordert werden könnten.688 Die Bundesregierung teilte diese Bedenken des Bundesrates zwar nicht689 und hielt an
der Notwendigkeit einer Ergänzung des Steuerstrafrechts fest. Gleichwohl trug sie den Vorbehalten des Bundesrates dadurch Rechnung, daß sie
die Ergänzung des § 370 Abs. 6 AO dem Prinzip der Gegenseitigkeit unterwarf, d.h. daß das Umsatzsteueraufkommen anderer EG-Mitgliedstaaten
nur insoweit geschützt wird, als diese Staaten ihrerseits das deutsche Um-
686
687
688
689
BGBl. 1992 I S. 1548.
BT-Drucks. 12/2691, S. 2.
Vgl. BT-Drucks. 12/2691, S. 2; BT-Drucks. 12/2906, S. 45.
BT-Drucks. 12/2691, S. 5.
2136
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
172
satzsteueraufkommen schützen. Hinzukommen muß - im Interesse der Bestimmtheit - eine Feststellung des Bundesministers der Finanzen in einer
Rechtsverordnung, in welchen EG-Mitgliedstaaten diese Voraussetzungen
erfüllt sind.690 § 370 Abs. 6 Satz 2-4 AO n.F. lautet nunmehr wie folgt: "Das
gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden.
Die in Satz 2 bezeichneten Taten werden nur verfolgt, wenn die Gegenseitigkeit zur Zeit der Tat verbürgt und dies in einer Rechtsverordnung nach
Satz 4 festgestellt ist. Der Bundesminister der Finanzen wird ermächtigt, mit
Zustimmung des Bundesrates in einer Rechtsverordnung festzustellen, im
Hinblick auf welche Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften Taten im Sinne des Satzes 2 wegen Verbürgung der Gegenseitigkeit zu verfolgen sind." § 370 Abs. 7 AO ersetzt den bisherigen Abs. 6 Satz 2: "Die Absätze 1 bis 5 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten,
die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes begangen werden."
9.4.6.2 Sonstige Straf- und Bußgeldnormen des deutschen Steuerstrafrechts
Das Steuerdelikt der Konterbande hat in § 372 AO (Bannbruch) seinen
Niederschlag gefunden. Abs. 1 definiert den Bannbruch - "Bannbruch begeht, wer Gegenstände entgegen einem Verbot einführt, ausführt oder durchführt, ohne sie der zuständigen Zollstelle ordnungsgemäß anzuzeigen" - und
Abs. 2 verweist zur Bestrafung des Täters auf § 370 Abs. 1, 2 AO, wenn die
Tat nicht in anderen Vorschriften als Zuwiderhandlung gegen ein Einfuhr-,
Ausfuhr- oder Durchfuhrverbot mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist.
Weiterhin hat der deutsche Gesetzgeber den Straf- und Bußgeldschutz über
die eigentliche Schädigung der Einnahmen der EG hinaus vorverlagert. So
bestimmt § 379 AO (Steuergefährdung) in Abs. 1 Satz 1, daß das vorsätzliche oder leichtfertige Ausstellen unrichtiger Belege und die unrichtige Verbuchung von Geschäftsvorfällen oder Betriebsvorgängen ordnungswidrig
ist, wenn dadurch ermöglicht wird, Steuern zu verkürzen oder nicht gerechtfer-tigte Steuervorteile zu erlangen, wobei Abs. 1 Satz 2 eine dem § 370
Abs. 6 AO entsprechende Gleichstellungsklausel enthält. Auf diese Weise
wird die Vorbereitungshandlung zur Steuerhinterziehung bußgeldbewehrt.
690 Zur Kritik an dieser neuen Regelung Möhrenschlager, in: Dannecker (Hrsg.), Die
Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 165.
173
Schutz der Finanzinteressen
2137
Schließlich ist auf das Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation (MOG)691 hinzuweisen, demzufolge auf Abgaben zu Marktordnungszwecken, die hinsichtlich Marktordnungswaren erhoben werden,
die Straf- und Bußgeldvorschriften der AO entsprechend anzuwenden sind
und dabei unabhängig von dem Recht des Tatorts auch für Taten gelten, die
außerhalb des Geltungsbereichs des MOG begangen werden (§§ 12 Abs. 1
Satz 1, 35 MOG). Von Bedeutung ist insoweit auch § 36 MOG, der in
Abs. 1 vorsätzlich oder leichtfertig gemachte oder benutzte unrichtige oder
unvoll-ständige Angaben für ordnungswidrig erklärt, wenn der Täter für
sich oder einen anderen eine Lizenz, Erlaubnis, Genehmigung, Zulassung,
Anerkennung, Bewilligung oder Bescheinigung erlangen will, die nach Regelungen i.S. des § 1 Abs. 2 MOG hinsichtlich Marktordnungswaren oder
nach Rechtsverordnungen aufgrund des MOG erforderlich sind; weitere als
Ordnungswidrigkeiten mit Geldbuße zu ahndende Verhaltensweisen sind in
den Absätzen 2 bis 4 normiert.
9.5
Straf- und Bußgeldschutz der EG-Finanzinteressen durch
Gemeinschaftsrecht
Schließlich ist darauf einzugehen, inwieweit ein Straf- und Bußgeldschutz
der EG-Finanzinteressen durch Gemeinschaftsrecht erfolgt, denn eine Erweiterung des - innerstaatlich beschränkten - Anwendungsbereiches nationaler Strafvorschriften kann sich nicht nur aufgrund inländischer Regelungen, sondern auch aus Gemeinschaftsrecht ergeben.692 So haben die Mitgliedstaaten in Verträgen und Akten der Gründungszeit vereinzelt Vorschriften geschaffen, die den Geltungsbereich bestimmter nationaler Straftatbestände auf den Schutz europäischer Rechtsakte ausdehnen.693
Für den Schutz der EG-Finanzinteressen sieht der von der Kommission
dem Rat am 10.8.1976 vorgelegte Entwurf für einen "Vertrag zur Änderung
der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften zwecks Erlaß einer gemeinsamen Regelung zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften sowie zur Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften genannter Verträge"694 eine solche Vor-
691 I.d.F. vom 27.8.1986, BGBl. 1986 I S. 1397.
692 Möhrenschlager, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs
im EG-Bereich, 1993, S. 165 f.
693 Vgl. hierzu oben 3.
694 ABl. vom 22.9.1976, C 222, S. 2 ff.
2138
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
174
gehensweise vor.695 In der Begründung heißt es, daß im allgemeinen die
einzelstaatlichen Strafvorschriften nicht ausreichen, um den strafrechtlichen
Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu gewährleisten,
und daß keine genügend wirksame Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen
die Vorschriften der Verträge zur Gründung der EG gegen Anordnungen
aufgrund dieser Verträge sowie gegen Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die ihre Durchführung gewährleisten,
möglich ist. Der Vertragsentwurf regelt in Kapitel IV den strafrechtlichen
Schutz der Gemeinschaftsinteressen.696 Dabei bestimmt Art. 14, daß in jedem Mitgliedstaat die Strafvorschriften für Zuwiderhandlungen, die die
rechtswidrige Verringerung staatlicher Einnahmen oder die rechtswidrige
Inanspruchnahme von staatlichen Subventionen, Erstattungen oder öffentlichen Finanzhilfen zum Gegenstand oder zur Folge haben, auch auf die
Handlungen oder Unterlassungen anwendbar sind, die die rechtswidrige
Verringerung der Einnahmen, die die Eigenmittel der Gemeinschaft darstellen, oder die rechtswidrige Inanspruchnahme von Subventionen, Erstattungen, öffentlichen Finanzbeihilfen oder sonstigen Beträgen, die - auch indirekt - aus dem Haushalt der Gemeinschaften finanziert werden, zum Gegenstand oder zur Folge haben. Dieser Vertragsentwurf ist aber nicht in
Kraft gesetzt worden, so daß es insoweit an einem Schutz der EG-Finanzmittel durch Gemeinschaftsrecht mangelt.
9.6
Präventive und repressive Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane zur Bekämpfung der Unregelmäßigkeiten
9.6.1
Europäische Kommission
Die Kommission hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um ihre finanziellen Interessen besser vor Manipulationen zu
schützen.697 So wurde von der Kommission im Zuge der Verstärkung des
695 Zu diesem Entwurf vgl. auch Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl. 1983, S. 553 f.;
ders., in: Festschrift für Baumann, 1992, S. 564 f.; Dieblich, Der strafrechtliche Schutz
der Rechtsgüter der Europäischen Gemeinschaften, 1985, S. 79 ff., 226 ff., 331 f.; Bacigalupo Zapater, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im
EG-Bereich, 1993, S. 146 f.; Möhrenschlager, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung
des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 165 f.
696 ABl. vom 22.9.1976, C 222, S. 6.
697 Vgl. zu den Einzelheiten Dannecker, in: ders. (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EG-Bereich, 1993, S. 28 f., 32 ff. mit weiteren Nachweisen; van Gerven/Wils, in: European Communities Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990, S. 343 f.; Pipkorn, in: European Communities
175
Schutz der Finanzinteressen
2139
Kampfes gegen Betrügereien 1987 die Schaffung eines horizontalen Dienstes zur Koordinierung der Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung
(UCLAF) beschlossen. Diese Koordinierung untersteht der direkten Verantwortung des Präsidenten der Kommission. Seine Hauptaufgabe ist die
konzeptio-nelle Weiterentwicklung, Stimulierung und Koordinierung der
Betrugsbe-kämpfung, während die operationelle Zuständigkeit hierfür in
den einzelnen Bereichen bei den zuständigen Generaldirektionen liegt.698
Im Jahre 1989 stellte die Kommission zur Bekämpfung von betrügerischen
Handlungen zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts ein 45-Punkte-Arbeitsprogramm auf, das in drei Aktionsfelder gegliedert ist:
-
Die Prävention, nach der durch eine Vereinfachung und klarere Fassung der Bestimmungen die Betrugsanfälligkeit des EG-Leistungsrechts verringert werden soll;
-
die Verbesserung der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und
der Gemeinschaft, worunter u.a. ein verbesserter Informationsaustausch
sowie Fortbildungsmaßnahmen für nationale Beamte, die EG-Mittel
verwalten, fallen;
-
die Strafverfolgung selbst, bei der es insbesondere darum geht, wie der
Schutz der Finanzinteressen der Gemeinschaft durch entsprechende
Sanktionen gewährleistet werden kann.699
Weiterhin sollen die Möglichkeiten, die die elektronischen Übertragungsnetze zusammen mit den bestehenden Datenbanken bieten, verstärkt genutzt
und das bereits bestehende computergestützte Informationssystem im Zollund Landwirtschaftsbereich weiter ausgebaut werden. Zu nennen ist außerdem die Neubelebung des Zieles, den rechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft zu verbessern - ein Anliegen, das inzwischen in
Art. 209a Unionsvertrag700 festgeschrieben ist und das auch von den Mitgliedstaaten getragen wird.701
698
699
700
701
Commission (ed.), Legal Protection of the Financial Interests of the Community, 1990,
S. 31; Smeets, in: Dannecker (Hrsg.), Die Bekämpfung des Subventionsbetrugs im EGBereich, 1993, S. 197.
de Moor, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht,
1993, S. 29 ff.; Schmidhuber, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 19.
Schmidhuber, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 19.
Vgl. zu dieser Vorschrift oben 4.3.3.
Zur Einführung supranationaler Geldbußen zur Vereinheitlichung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen vgl. bereits oben 9.4.4.
2140
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
176
Daneben tendiert die Kommission in neuerer Zeit dazu, bei Mißbrauch supranationale Sanktionen wie den zeitweiligen Ausschluß der betreffenden
Unternehmen von künftigen Subventionen sowie die Erhebung von Zuschlägen auf zu Unrecht erlangte Subventionen und Steuereinsparungen einzuführen.702 Die Kommission beschreibt diese Sanktionen als "Maßnahmen,
die für den Wirtschaftsbeteiligten, der unrechtmäßig einen Vorteil erlangt
oder sich einer vorgeschriebenen Verpflichtung entzogen hat, oder den Zugang zu Unterlagen oder Räumen verweigert, oder die Durchführung von
Kontrollen in sonstiger Weise behindert, negative finanzielle oder wirtschaftliche Auswirkungen mit sich bringen".703
9.6.2
Europäisches Parlament
Eine wichtige Rolle bei der Verbesserung des Schutzes der Finanzinteressen
der Gemeinschaft spielt auch das Europäische Parlament und hier insbesondere der Haushaltskontrollausschuß.704 Hinzuweisen ist dabei auf die Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahre 1992 (Be-richt
"Martin"), die darauf abzielt, der Gemeinschaft die für den Schutz ihrer finanziellen Interessen notwendige Kompetenz zur Vereinheitlichung des
Strafrechts zu übertragen.705
9.7
Schrifttumsverzeichnis
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1987.
702 Der EuGH hat eine entsprechende Kompetenz der Kommission bejaht, vgl. EuGH,
NJW 1993, 47 ff.; siehe zu dieser Entscheidung näher oben 4.3.2.
703 Vorschlag der Kommission einer Verordnung des Rates über Kontrollen und Sanktionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitk vom 21.5.1990,
ABl. 1990, C 137, S. 10.
704 Vgl. zu den Einzelheiten Vervaele, EEG-fraude en Europees economisch strafrecht,
1991, S. 62 ff.
705 Schmidhuber, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 20; Theato, in: Sieber (Hrsg.), Europäische Einigung und Europäisches Strafrecht, 1993, S. 25 f.
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Schutz der Finanzinteressen
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Abkürzungsverzeichnis
2147
Abkürzungsverzeichnis
a.A.
anderer Ansicht
ABl.
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Abs.
Absatz
a.F.
alte Fassung
AG
Die Aktiengesellschaft
AktG
Aktiengesetz
Alt.
Alternative
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
AWD
Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BB
Der Betriebs-Berater
Bd.
Band
BFH
Bundesfinanzhof
BFHE
Entscheidungen des Bundesfinanzhofs
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
in Strafsachen
BKA
Bundeskriminalamt
BR-Drucks.
Bundesrats-Drucksache
BT-Drucks.
Bundestags-Drucksache
Buchst.
Buchstabe
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BYIL
British Yearbook of International Law
2148
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
184
bzw.
beziehungsweise
C.E.
Communautés Européennes; Council of Europe
C.E.E.
Commission économique pour l'Europe; Communauté économique européenne
CLP
Current Legal Problems
C.p.
Code pénal, Codice penale, Código penal
CMLR
Common Market Law Revue
Crim.L.R.
Criminal Law Review
DB
Der Betrieb
DDR
Deutsche Demokratische Republik
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
DM
Deutsche Mark
Dok.
Dokument
DÖV
Die Öffentliche Verwaltung
D.P.R.
Decreto del Presidente della Repubblica
D.S., J.
Recueil Dalloz Sirey, Jurisprudence
DVBl.
Deutsches Verwaltungsblatt
EAG
Europäische Atomgemeinschaft
EAGFL
Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds
für die Landwirtschaft
EAGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft
EC
European Community
ECU
European Currency Unit
ed(s).
editor(s)
EEA
Einheitliche Europäische Akte
EEC
European Economic Community
185
Abkürzungsverzeichnis
2149
EFTA
European Free Trade Association,
Europäische Freihandelsassoziation
EG
Europäische Gemeinschaft
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGKSV
Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EGV
Vertrag der Europäischen Gemeinschaft
ELR
European Law Review
EMRK
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
endg.
endgültig
EPZ
Europäische Politische Zusammenarbeit
EU
Europäische Union
EuGEI
Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
EuGH
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
EuGRZ
Europäische Grundrechte-Zeitschrift
EuR
Europarecht
EURATOM
Europäische Atomgemeinschaft
EuZW
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
e.V.
eingetragener Verein
EWA
Europäisches Währungsabkommen
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
EWR
Europäischer Wirtschaftsraum
EWRV
Vertrag über die Schaffung eines Europäischen
Wirtschaftsraums
EWS
Europäisches Wirtschaft- und Steuerrecht
2150
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
186
f., ff.
folgende, fortfolgende
Fn.
Fußnote
G
Gesetz
GA
Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
GG
Grundgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
HFR
Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung
HGB
Handelsgesetzbuch
h.L.
herrschende Lehre
h.M.
herrschende Meinung
Hrsg.
Herausgeber
i.d.F.
in der Fassung
insbes.
insbesondere
i.S.
im Sinne
i.V.m.
in Verbindung mit
JIR
Jahrbuch für Internationales Recht
JöR N.F.
Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart.
Neue Folge
JR
Juristische Rundschau
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
187
Abkürzungsverzeichnis
2151
KG
Kammergericht, Kommanditgesellschaft
KJ
Kritische Justiz
LG
Landgericht
LGP
Ley General Presupuestaria
(Allgemeines Haushaltsgesetz)
LK
Leipziger Kommentar
MBl.
Ministerialblatt
MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
Mio.
Million
MOG
Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation
MschrKrim
Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform
n.
numero
n.F.
neue Fassung
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
Nr(n).
Nummer(n)
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
OLG
Oberlandesgericht
PublG
Publizitätsgesetz
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
Rdnr(n).
Randnummer(n)
Rec.
Recueil de la Jurisprudence de la Cour de Justice
RG
Reichsgericht
2152
Europäische Gemeinschaft und Strafrecht
188
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RIDP
Revue internationale de droit pénal
RIW
Recht der Internationalen Wirtschaft
RMC
Revue du Marché Commun
Rs
Rechtssachen
Rspr.
Rechtsprechung
RTDE
Revue trimestrielle de droit européen
S.
Seite
Schengen I
Rahmenabkommen von Schengen vom 14.6.1985
Schengen II
Durchführungsabkommen von Schengen vom
13.6.1990
scil.
scilice
SIS
Schengener Informationssystem
Slg.
Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Europäischen Gemeinschaften
sog.
sogenannte(r)
StGB
Strafgesetzbuch
u.a.
und andere, unter anderem
UCLAF
Unité de coordination de la lutte anti fraude, Horizontaler Dienst zur Koordinierung der Maßnahmen
zur Betrugsbekämpfung
UN
United Nations, Vereinte Nationen
UnionsV
Unionsvertrag
usw.
und so weiter
Unterabs.
Unterabsatz
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
vol.
volume
Vorbem.
Vorbemerkung
189
Abkürzungsverzeichnis
2153
WBl.
Wirtschaftsrechtliche Blätter
wistra
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht
WuR
Wirtschaft und Recht
WuV
Wirtschaft und Verwaltung
WuW
Wirtschaft und Wettbewerb
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht
und Völkerrecht
z.B.
zum Beispiel
ZGR
Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht
Ziff.
Ziffer
ZLR
Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
zust.
zustimmend
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft