- Gundolf S. Freyermuth

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- Gundolf S. Freyermuth
1992
Reprint
Ein Leben
vor den Spiegeln
Nach Kopf- und Körpergeld die Beste unter den
Schönen. Eine ungewöhnliche Karriere zwischen
Schaum- und Blutbad: Isabella Rossellini
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Von Gundolf S. Freyermuth
vol. 2011.02
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Inhalt
Daten Isabella Rossellini....................................................3
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Daten Isabella Rossellini
Geburtsdaten: 18. Juni 1952 in Rom
Wohnsitz: TriBeCa (New York)
Familie
Vater der Regisseur Roberto Rossellini, Mutter die Schauspielerin Ingrid Bergman. Bruder Robertino ist Makler,
Zwillingsschwester Ingrid (geb.: Isotta) Literaturwissenschaftlerin. Vier weitere Halbgeschwister. - Erste Ehe mit
dem Regisseur Martin Scorcese, zweite Ehe mit Dressman und Regisseur Jon Wiedemann. Eine Tochter Elettra.
Nach Trennung von Jon Wiedemann lange Jahre mit Regisseur David Lynch liiert.
Top-3-Filmrollen
Nachtclubsängerin Dorothy Vallens in David Lynchs “Blue Velvet” (1985) • Italienerin Madeleine in Norman Mailers “Tough Guys Don’t Dance” (“Harte Männer tanzen nicht”, 1987) • Schönheitshexe Lisl in Robert Zemeckis’
“Death Becomes Her” (“Der Tod steht ihr gut”, 1992)
Seltsamste Rolle
Gangsterliebchen Perdita Durango mit extrem unechter Blond-Perücke in David Lynchs “Wild At Heart” (“Wilde
Herzen”, 1990)
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Interview Daten:
Nebentätigkeit
29. und 30. Juni 1992 in Babelsberg
Lancôme-Modell (Honorar & Beteiligungen ca. vier Millionen Dollar pro Jahr)
sowie 13. Juli 1992 in Berlin
Leidenschaften
Roberto Rossellini. Baut in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Museum of Modern Art
eine Rossellini-Sammlung auf.
Top-3-Zitate
“Von Kind an wollte ich wie meine Mutter sein. Nicht unbedingt als Schauspielerin - ich
hätte mir nie träumen lassen, dass ich dazu den Mut finde -, sondern als eine aktive, lebenslustige Frau, wie sie es war.” • “Schönheit ist nichts, für das man lernen kann wie für
den Doktor der Medizin. Man muss auserwählt werden ...” • “Ich bin zu klein, ein bisschen
fett - wie eine richtige italienische Mama.”
Kritische Stimmen
“Die Kosmetikfirmen suchen verstärkt nach Werbebildern, die verschiedene Altersstufen
und ethnische Gruppen anziehen. ... Lancôme, das in den Kaufhäusern einen starken zweiten Platz behauptet, hat in den jährlichen Verkaufszahlen zweistellige Zuwachsraten zu
verzeichnen, seit 1982 die sinnliche italienische Schauspielerin Isabella Rossellini unter
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Vertrag genommen wurde.” (U.S. News & World Report, 1989) • “Wenn wir uns so schnell an ihr beeindruckendes
Gesicht gewöhnt haben, mag das daran liegen, dass Isabella Rossellini auf fast gespenstische Weise ihrer legendären Mutter Ingrid Bergman gleicht.” (Ladies Home Journal) • “Rossellini ist, wie üblich, die schwächste Besetzung
des Films.” (Stanley Kaufmann in The New Republic über “Wild at Heart”) • “Isabella Rossellini ist im ModelBusiness ein ähnliches Phänomen wie Jimmy Connors im Tennis. In einem Alter, wo andere Models in Rente gehen,
ist sie noch absolut top.” (Elle) • “Die Kamera liebt sie, die vollen Lippen, die Satinhaut, die dunklen Augen ...
Rossellini die Schauspielerin hat allerdings noch nicht denselben Erfolg gefunden wie Rossellini die Reporterin, die
in Italien selbst zur Zelebrität wurde, oder wie Rossellini das Modell, das auf den Titelseiten von Vogue, Vanity
Fair und Elle prangte ...” (Daniel Cerone in Los Angeles Times, 1991)
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1
Kapitel
Da hatte ich doch neulich diesen Alptraum. Ich war zu nachtschlafener Zeit in die
“Thomas-Gottschalk-Show” geraten. Nur von meinem üblichen Bettkleid bedeckt, TShirt und Boxershorts, hockte ich vor der Kamera. Gottschalk wollte mich deshalb ein
paar Sendeplätze weiter zu “Tuttifrutti” schicken, da tauchte P.J. O’Rourke auf. Er ist
einer der besten unserer Branche, wenngleich ein wenig exzentrisch. Zu Smoking-Jacke
und Fliege trug er eine tarngrüne Kampfhose. Sein Gesicht schien besorgt.
“Journalisten sollten nichts und niemanden gut finden”, sagte er. “So was ist ein Verstoß gegen die Arbeitsvorschriften, fast so schwerwiegend, wie an der Bar nicht auf
Spesen zu trinken oder die CIA von irgendeiner Schuld freizusprechen.”
P.J. legte mir seine Sudelpranke auf die Schulter, und seine Fresse grinste gemein.
“Wenn ein Journalist die geringste Fähigkeit zum Loben verrät, dann wird ihm unweigerlich ein PR- oder Werbe-Job angeboten, und ehe er sich’s versieht, hat er ein großes
Büro und ein Riesengehalt, lebt in einem wunderbaren Haus mit einer reizenden Frau
und tollen Kindern - eine weitere Karriere, die zur Hölle geht.”
Schweißgebadet wachte ich auf.
Es dauerte eine Weile, aus dieser Vorstellung raus und in meine Klamotten rein zu finden. Für den Anfang musste ich vom Spott in den Schrott, ins Jammertal namens DDR
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- zum Teufel mit dem “ehemaligen”; das Jahrhundert-Elend fing ja auch nicht mit dem
“ehemaligen Dritten Reich” an.
Draußen vor Berlin jedenfalls wieselte die Frau über den Rasen, von der alle Modewelt
behauptet, sie sei die schönste.
Isabella Rossellini steckte in einer Art Wallerhänger, und ihre dunkelblond gefärbten
Haare waren voller kleiner Metalldinger, die wie Papierklammern aussahen. Ihr Englisch
hatte einen absurden italienischen Akzent. Sie trug flache Schuhe der Größe vierzig,
war gerade ebenso viele Jahre alt geworden und, wenn Kopf- und Körpergeld ein Maßstab sind, immer noch die Beste unter den Schönen.
Eins machte mich allerdings sofort nervös: Sie war nicht ein-, sondern zweimal da.
Wir standen unter einem großen Baum und genossen den Schatten. Es war ein heißer
Sommertag im Jahre drei nach der Wende. Der Baum wiederum stand auf dem weiten
verdorrten Rasenplatz der DEFA-Filmstudios. Südliche Lethargie plus östliche Verschlissenheit, das verströmte soviel Charme wie eine Pizzeria im Innenhof staatlicher Verwahranstalten.
An langen Tischen tafelten Beleuchter, Kostümbildnerinnen, Kulissenschieber und Makeup-Malerinnen. Die hohen viereckigen Säulen, die den Wandelgang der “neuen”, von
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den Nazis gebauten Halle säumten, erinnerten an Benito Mussolinis Cinecittà. Vor ihnen
parkte ein Laster. Und auf seiner Laderampe verbrachte Isabellas Double ihre Mittagspause: fast die gleiche vierundachtzig-einundsechzig-neunundachtziger Figur, dasselbe
Fünfziger-Jahre-billig-Haarstyling, allerdings ohne fetischistische Lockenklammern, und
ein identisches Blümchenkleid, eine Mutation der von Ausrottung bedrohten Gattung
Nachthemd.
“Du warst eben vor mir, jetzt bist du auch noch neben mir”, sagte Roland Nitschke.
Der einzige Deutsche unter den Hauptdarstellern dieser sechzehn Millionen Dollar teuren Filmproduktion war ernstlich irritiert und ziemlich blutverschmiert. Nitschke gab
Isabellas ermordeten Ehemann, bis dass der Tod sie schied. Aus seinem blutigen Schädel
ragte das Eisen, mit dem ihn seine Frau gerade erschlagen hatte.
“Ich bin ich, das ist nur sie”, sagte Isabella. “Und das ist mal wieder ein Tag.”
“Noch eine Großaufnahme ...”, Nitschke schaute zwischen den doppelten Flottchen
hin und her, ohne dass sein Eisen im Kopf im geringsten wackelte, “... dann müsste ich
endlich tot sein.”
Erschöpft ging er zurück in die Sonne und zu seiner Zeitung. Isabella machte weiter, wo
wir aufgehört hatten.
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“Die fixe Idee”, sagte sie mit dieser Stimme, die selbst böse unglaublich wohl klingt,
“dass alles eine politische Bedeutung haben muss, ist ein typisch europäischer Wahn.
Und es ist die Idee einer Generation. Nicht unbedingt falsch, aber verstaubt. In Amerika sieht man das viel unschuldiger.”
“Die Achtundsechziger haben’s versaut?”
“Ja. Obwohl das noch ein bisschen meine Generation ist. Ich kenne die Versuchung zum
Politischen also. Aber ich mag sie nicht.”
Wie sie dastand, die Brust rausgedrückt, den langen Hals zurück- und das Kinn vorgeschoben - das entsprach nicht den Gewohnheiten des Jetset. Isabella Rossellini sah
einfach nicht aus wie Isabella Rossellini. Einen eigentümlich bodenständigen, sehr hausfraulichen Anblick bot sie. Eine bitchige Biederfrau.
Keine Ähnlichkeit mit Dorothy Vallens, der gebrochenen, zerstörten Nachtclubsängerin
aus “Blue Velvet” (1985), ihrem bislang größten Kinoerfolg. Nichts zu sehen von der
vernachlässigten, übergewichtigen Gestalt, dem Ergebnis einer gedemütigten und vergeudeten Existenz. Wenig Spuren auch von Lisle, der mysteriös-gestylten Schönheitshexe aus “Death Becomes Her” (“Der Tod steht ihr gut”, 1992), in dem das teuerste
Model aller Zeiten mal halb, mal ganz nackt nichts Geringeres als das Geheimnis ewiger
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Jugend verwaltet. Äußerst vielversprechend sind die Worte, mit denen die zeitloserotische Hexe vom alten Kontinent gleich beim ersten Auftritt einen ihrer muskulösen
US-Lustboys entlässt:
“Aber halte deinen Arsch griffbereit.”
Keine Ahnung also, warum wir uns auf Anhieb stritten, und ausgerechnet über Karl
Marx, die Rezession und die Große-Brust-Frage. Musste irgendwie am Spiritus loci liegen, dem Ungeist dieses Hortes der Hosen-, Wasser- und Informationszuträger.
“In dem Kalte-Kriegs-Film ‘The Innocent’, den Sie gerade drehen, spielen Sie eine Frau
aus Westberlin, die 1955 zusammen mit ihrem Geliebten, einem englischen Laienspion,
den Ehemann in zwei Hälften zersägt. Die Einzelteile sollen dann den Russen untergeschoben werden. Als das nicht klappt, setzt sich die frischgebackene Witwe mit einem
amerikanischen Agenten in die USA ab ... Könnte es nicht sein, dass diese ungemein
romantische Liebesgeschichte eine politische Bedeutung hat?”
“Nein. Es geht nur um meinen Geliebten. Ich führe ihn in die Geheimnisse der Sexualität ein. Und mich selbst auch. Denn ich bin ja eine missbrauchte Frau. Wir sind so
unschuldig ...”
“... dass Sie gemeinsam Ihren Gatten metzgern.”
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“Ach”, sagt Isabella Rossellini, “das Leben ist komplizierter. Davon handelt der Film
und von sonst nichts.”
“Komplizierter könnte sein. Steckt nicht eine klitzekleine Wahrheit hinter dieser so vulgären Achtundsechziger-Version des Marxschen Gedankens, dass ...”
“Vulgarisierung der marxistischen Theorie! Sorry, so kompliziert bin ich nicht. Ich habe
Marx nicht mit dieser Aufmerksamkeit gelesen, um eine Vulgarisierung zu erkennen ...”
“... dass also jedes Stück Kunst etwas über die ökonomische und politische Situation
verrät, in der es entsteht ...”
“Maccheroni! Maccheroni!!!”
Isabella Rossellini ist aufgesprungen und schaut suchend umher. Ihre Hände hat sie fest
in die Hüften gestützt, so dass ihre Finger leicht im Fleisch verschwinden und die dünnen weißen Arme zwei gelähmten Dreiecksflügeln gleichen.
In der Ferne, wo der Kantinenwagen steht, erscheint eine kompakte schwarzweiße
Rolle auf vier Beinen von geringer Höhe.
“Alle Hunde rennen zuerst in die Küche, zum Müll”, sagt Isabella beruhigt. “Und Maccheroni immer vorneweg.” Sie lacht ihr lautes, überraschend bäurisches Lachen: “Hah,
HAH, HAAH, HAAAH ...”
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Hinter Maccheroni watschelt, noch kleiner und nicht minder schuldbewusst, Sigi, ein
dünner Dackel. Beide Hunde, der Isabellas und der ihrer siebenjährigen Tochter Elettra,
erwecken den Eindruck, als wären sie nach den Größen- und Gewichtsvorschriften ausgesucht worden, die international fürs Handgepäck gelten.
“Ach, gegen jedes gute Argument”, sagt Isabella Rossellini, “gibt es drei, vier andere,
die genauso gut sind und dem ersten widersprechen. Ich weiß, was ich weiß, nur aus
meiner persönlichen Erfahrung ...”
“Wenn Sie mir ein Beisp...”
“Na, als ich mit David Lynch zusammenlebte, da wurde in seine Werke ständig Politik
hinein geheimnist. Ein Franzose sah in ‘Blue Velvet’ sogar eine Kritik der Reagan-Ära,
wo die Fassade perfekt war, und dahinter versteckte sich dieser Abgrund an Verdorbenheit und Korruption. Dabei hat David Lynch immer Reagan gewählt ...”
“Was kein Widerspruch sein muss. Marx hat beschrieben, wie Balzac das monarchische
System seiner Zeit kritisiert, obwohl er selbst glühender Royalist war. Aber eben zugleich ein ehrlicher Realist, der die Wirklichkeit nicht verfälschte, auch wenn sie seinen
eigenen Ansichten widersprach ...”
“Pah, was ist das schon, Re-A-Li-Tät?”
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Volltreffer. Melde gehorsamst: Angreifenden Gedanken erfolgreich versenkt.
Wenn Isabella Rossellini meint, dass sie recht hat, behält sie jedoch nicht nur einmal
recht, sondern ungefähr eine Viertelstunde lang in jedem zweiten Satz. Ihre Stimme
klang dabei so freundlich, wie die Worte nicht gemeint waren. Dazu warf sie Blicke
von unten nach oben, voller gewohnheitsmäßiger Liebe für niemanden; Augen, die mir
in Erinnerung riefen, was ich seit meiner Entwöhnung von der Mutterbrust weiß: Dass
Frauen die gefährlicheren Menschen sind.
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2
Kapitel
Kein Traum hätte mehr neosozialistischen Surrealismus bieten können: Wie kam ich
dazu, mit einer vom Schicksal vergoldeten Kosmetik-Putte, deren Tagessatz zu Zeiten
bei neuntausend Dollar lag und die bis heute allein für ihre Lancôme-Werbung jedes
Jahr zwei Millionen Dollar Garantie plus Gewinnbeteiligung einstreicht, über Charlie
Marx zu delirieren? Was hatte ich überhaupt an so einem wunderbaren Tag im finstersten Babelsberg bei der DEFA zu suchen?
Stundenlang war ich wie Sigi und Maccheroni um Isabellas Wohnwagen herumgeschlichen. Die meisten der berüchtigten großen “W” des rechtschaffenen “Der-Star-ist-jaso-interessant”-Journalismus hatte ich dabei ins Zwielicht gebracht. “Wo” mag noch
klar sein, “Wann” auch einigermaßen. Bei “Wie” sind die Konturen schon ziemlich
verschwommen. Und “Warum”, “Weshalb” und “Wieso”, falls die überhaupt je dazu
gehörten, haben sich vollständig verflüchtigt.
Ein Kosmetik-Mode-Model mit zunehmendem Faltenwurf im Gesicht und vagen Kunstaspirationen im Kopf sollte nicht die Bohne interessieren. Jedenfalls mich nicht.
Und trotzdem habe ich jede Zeile gelesen, die zahllose Kolleginnen und ein paar männliche Kollegen im Dienste des Glamour während der letzten Jahre über sie gesülzt haben: “Sie verkörpert das neue Selbstverständnis der Frau”; “eine der schönsten Frauen
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ihrer Generation”; “mit Isabella Rossellini kam Licht ins Studio”; “das Schönheitsideal
der intelligenten Frau” und mehr des liebreizenden Irrsinns. Sogar die paar erträglichen
Filme, die Isabella bislang gedreht hat, habe ich mir noch mal angetan; neben David
Lynchs “Blue Velvet” auch Norman Mailers “Harte Männer tanzen nicht” (1987), “Siesta” (1987), “Cousin, Cousine” (1989) und “Wild at Heart” (1990).
Warum?
“Junge, wegen der Brötchen”, höre ich meine Mutter sagen.
Stimmt aber nicht. In unserer Cowboy- und Indianerinnen-Branche, in der die einen
immer zu schnell schießen und die anderen gleich rot anlaufen, gibt es einen Haufen
Häuptlinge, die verdienen sich ihre Überweisungen auf leichtere Art und scheinbar
ehrbarere Weise. Wie ich es auch könnte, wenn ich mich nur an die Ratschläge meiner
Mutter halten würde.
Doch wie stets nach einem Alptraum stellt sich hier nicht die Geld-, sondern die Sinnfrage.
Es ging keineswegs um Isabella. Jedenfalls nicht am Anfang.
Um Vater und Mutter ging es mir.
Um Isabellas Eltern.
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Papa Robertos neorealistische Filme “Rom, offene Stadt” (1945) und “Paisà” (1947) sind
Meisterwerke - weil sie immer noch augenbetäubend anzusehen sind und weil mit ihnen
das europäische Nachkriegskino für eine historische Sekunde der Übermacht Hollywoods
Paroli bieten konnte. Und zwar nicht durch bessere Technik und Effekte, sondern durch
die richtigeren Einblicke; durch Widerstand gegen das Unrecht und die Beleidigungen,
die unsere Zivilisation einer Mehrheit der Menschen zufügt.
Allemal so faszinierend ist auch Isabellas Mutter. Seit “Casablanca” verkörpert Ingrid
Bergman die große Sehnsucht, die verführerische Unschuld mit moralischer Malaise:
in “Wem die Stunde schlägt”, “Gaslight”, “Spellbound”. Und in der Wirklichkeit nicht
minder.
Sie, die spröde Schönheit aus Schweden, hatte im prüden Amerika der Vierziger-Kriegsund-McCarthy-Jahre Affären mit so gut wie jedem ihrer Regisseure und Filmpartner.
Starring: Victor Fleming, Spencer Tracy, Gary Cooper, Anthony Quinn u.v.a.
Sie müsse sich in die Männer verlieben, mit denen sie arbeitet, sonst könne sie nicht
spielen, gesteht sie ihrem damaligen Gatten. Dem fällt die unglückliche Rolle zu, zwischen den manchmal zwei, drei Liebhabern zur Zeit zu vermitteln - bis Ingrid Bergman
“Rom, offene Stadt” sieht und dem unbekannten Regisseur einen Brief schreibt:
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“Wenn Sie Verwendung für eine schwedische Schauspielerin haben, die auf Italienisch
nur ‘ti amo’ sagen kann, dann bin ich jederzeit bereit, zu Ihnen zu kommen und mit
Ihnen einen Film zu drehen.”
Was folgt, beschert der internationalen Klatschpresse, die im Weltkriegstrümmerhaufen
verzweifelt Glamour mit süßem Sündenhäubchen sucht, jahrelang Auflage.
“Stromboli” (1949), der erste von sechs Filmen, die Rossellini der Ältere mit Ingrid
Bergman dreht, zeigt allerdings die Abwendung vom Neorealismus, die Flucht in die
Arme der überholten Traditionen von Kino und Kirche. Das einzige Ergebnis der stürmischen Beziehung, das bis heute Bestand hat, sind daher die drei Kinder - Robertino
sowie Isabella und ihre Zwillingsschwester Isotta, die sich derweil Ingrid nennt, promovierte Mediävistin ist und wie Isabella in New York lebt.
Vom Nachwuchs abgesehen, bringt die Liebe den beiden ungleichen Künstlern nervlichen und finanziellen Zusammenbruch. Rettung naht erst in Gestalt der Scheidung.
Rossellini überlässt zwar die Kinder der Mutter, stellt jedoch als charmanter Chauvinist
die Bedingung, dass sie nicht in die Kulturwüste namens USA verschleppt werden.
So kam es, dass Isabella Rossellini, die jetzt im DEFA-Studio neben zwei Männern und
einer Frau auf einem schäbigen Bett liegt, in der Obhut von Ingrid Bergman aufwuchs;
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aber in Rom und zwar schräg gegenüber von dem Haus, in dem ihr Vater mit seiner
neuen Frau und ihren Kindern lebte.
Klar, dass die kleine Rossellini sich, kaum dass sie volljährig war, ins Flugzeug nach
Amerika setzte. Vater Roberto hat so auf lange Sicht nicht mehr bewirkt, als dass seine
Tochter bis ans Ende ihres Lebens in Hollywood keine ordentlichen Rollen bekommen
kann, weil sie Englisch mit Akzent spricht.
Andererseits aber hat Isabella auf diese Art eine glänzende Vorbereitung fürs Leben
erhalten - von Kinderschühchen auf an schräge Situationen gewöhnt.
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Kapitel
Das Schlafzimmer, in dem es vor Hitze dampft, strahlt die feuchte Kühle einer Kreuzberger Ofenheizungs-Hinterhof-Butze aus. Im Wohnzimmer geschieht ein Mord; erstickte Schreie, ein Stuhl fällt zu Boden, lautes Würgen.
Um Isabellas Augen schimmert unter der schmelzenden Schminke ein dichtes Gitternetz
von Fältchen durch und lässt die Frau hinter dem Mädchengesicht erkennen. Sie schaut
mütterlich-besorgt auf die Szene im Nebenraum.
“Was machen wir bloß mit den Nachbarn? Die müssen sich doch beschweren. Vielleicht
sollte ich nachher nicht schreien, sondern ‘Pschscht’ machen, während die Männer versuchen, sich gegenseitig umzubringen?”
“Mehr Blut, mehr Blut”, ruft der britische Regisseur John Schlesinger auf Deutsch, und
irgendwie erinnert er dabei an einen faustischen Goethe, der es durch miese Tricks geschafft hat, andere an seiner Stelle gen Himmel fahren zu lassen.
Isabellas mörderischer Film-Liebhaber zeigt seinen guten Willen.
“Ich könnte Kunstblut aus dem Mund spucken.”
“Bitte nicht”, sagt Isabella, “ich will das Zeug nicht abkriegen.”
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Sie springt abrupt auf, wobei viel weißes Fleisch aus dem Straps-Spalt zwischen Perlonstrümpfen und Korselett blitzt und ihr ebenso weißer wie voluminöser Fifties-BH
gefährlich aus dem Ausschnitt des Hängekleids rutscht.
“Kommen Sie, wir reden draußen.”
Schon als Teenager hat Isabella Rossellini bei mehreren Filmen ihres Vaters als Kostümbildnerin gearbeitet. Aber nachdem sie ihre Lehre an der römischen Akademie mit einer
Studie über die Geschichte der Unterwäsche abgeschlossen hatte, machte sie keinen
weiteren Gebrauch davon. Stattdessen geriet sie unter die Räder und in die Medien.
Ihre Akkumulation von Rollen, ihre Karriere als Puppe in der Puppe begann.
“Ich war sieben Jahre Journalistin. Die letzten zwei waren die Hölle, aber die ersten
fünf haben mir Spaß gemacht. Da arbeitete ich in New York für eine Unterhaltungssendung des italienischen Fernsehens und führte Interviews mit Künstlern und Showgrößen.”
Sie traf Muhammad Ali, Woody Allen - und Martin Scorcese, den Kultregisseur, der sich
schon Ende der siebziger Jahre mit “Mean Streets” und “Taxi Driver” für immer in die
Filmgeschichte eingeschrieben hatte.
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“Wenn ich jemanden kennenlernen wollte, habe ich um ein Interview gebeten, und
schwupps kannte ich ihn.”
Die RAI-Society-Journalistin und der US-Regisseur italienischer Abstammung heiraten
am 30. September 1979, während Scorcese gerade mit Robert De Niro an “Raging Bull”
dreht.
“Ich war erfolgreich.” Isabella Rossellini lächelt dieses Lächeln, das für sie leere Routine ist und bei dem jedem Mann das Herz stillsteht, bis die Strümpfe in den Stiefeln
krumpeln. “Und ich war zufrieden. Bei meiner Arbeit ging es um amüsante Situationen,
um Witze. Nichts Schwergewichtiges, keine tiefen Einsichten.”
“Was passierte Schreckliches, das die Idylle beendete?”
“Ich sollte seriösen Journalismus machen. Das fand ich fürchterlich. Langweilig und
falsch.”
“Was mochten Sie denn daran nicht?”
“Ich hasse die Tradition, dass Journalisten stets Experten sein müssen und alles besser
zu wissen haben als die Leute, über deren Leben sie berichten. Meine beiden Eltern
haben so darunter gelitten. Und es war mir peinlich, dass ich nun dasselbe tun musste,
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weil mein Boss mich zwang, diese Fragen zu stellen und neunmalkluge Kommentare
abzugeben.”
Dass in diesem Augenblick meine heile Welt zusammenbrach, will ich nicht behaupten.
Ich ahnte schon eine Weile, dass ich keinem Beruf nachgehe, dem Schuhverkäufer, Verleger oder die Sachbearbeiter von Kreditanträgen Respekt entgegenbringen. Was mich
verblüffte, war lediglich Isabellas Umwertung der Werte.
Schwerblütige Politik-Hengste und tiefschürfende Feuilletongold-Sucher, hatte ich geglaubt, seien die Lichtgestalten unserer Branche. Während Celebrity-Geier, wie Isabella
Rossellini einer war und ich einer bin, die mit Abstand größte Verachtung verdienten zusammen mit dem meisten Geld. Schmerzensgeld.
Isabellas wissender Ex-Kolleginnen-Augenaufschlag weckte dennoch den Drang, meine
hohen moralischen Standards unter Beweis zu stellen. Einsicht ist der erste Weg zur
Besserung, und ich wollte deshalb das Geständnis eines berühmten Kollegen zitieren:
“Mein halbes Leben habe ich damit verloren, vom Journalismus loszukommen, aber ich
bin immer noch abhängig von ihm - eine miese Art, seinen Lebensunterhalt zu verdienen; eine schlechte Angewohnheit, schlechter als Heroin; eine kleine schmutzige Welt,
bevölkert von Außenseitern und Säufern und Gescheiterten.”
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Doch wie alle, die mal als Journalist (oder Politiker) gearbeitet haben, duldete Isabella
Rossellini keinen Redner neben sich. Ich schaltete also das Tonband an und selbst ab.
Und während ich mich in der unfassbaren Schönheit ihres Antlitzes verlor, dozierte sie
ein Viertelstündchen porentiefsinnig.
Über Eyeliner: “Damit verbinde ich die fünfziger Jahre, Nacht, Glamour, eine leicht
dekadente Stimmung.”
Über Haare als Ware: “Haar ist heute immer gefärbt, in allen möglichen Farben. Man
verstärkt die Kontraste. Die Haare werden heute nicht mehr als ein Teil des Körpers,
ein Stück Natur angesehen, sondern als ein Mode-Accessoire.”
Über Augenbrauen-Design: “In den siebziger Jahren hatten wir ganz natürliche, gebürstete Augenbrauen. Dicht zusammengewachsen, buschig. Heute sind sie rund, bogenförmig. Es ist nicht soweit wie zu Marlene Dietrichs Zeiten, als die Augenbrauen nur noch
eine gemalte Linie waren. Wer weiß, ob wir da wieder hinkommen?”
Isabella Rossellini, gefeiert als das teuerste kosmetische Kunstprodukt der Gegenwart,
wusste es augenscheinlich nicht, und ich hatte ebenfalls keine Ahnung. Meine Gedanken waren woanders, weit weg, verloren in so abschweifenden Überlegungen wie:
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Kann Schönheit wirklich das Ergebnis diverser Tunken und Schmiermittel sein? Was Isabella Rossellinis Abbilder so faszinierend machte, ihre Traurigkeit und ihre stille Melancholie, kam das aus der Tube?
Nein, hätte ich gestern noch gesagt. Doch nun tendierte ich zu einem klaren Vielleicht.
Denn keines der Versprechen auf Erkenntnis, intellektuelle wie emotionale, das des
Lancôme-Modells verschleierte Augen millionenfach abgegeben hatten, bestand die
Realitäts-Prüfung. Wie ihre Schönheit schien Isabella Rossellinis Psyche zweidimensional
- was sie natürlich nicht nur ideal für ein Leben vor den Spiegeln machte, sondern auch
zur perfekten Magazin-Persönlichkeit.
Kein Wunder also, dass die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen, die sie getroffen
hatten, in den wärmsten beziehungsweise aufgewärmtesten Worten von ihr schrieben.
Gleich und gleich gefällt sich gern.
Schlagartig erinnerte mich dieser letzte Gedanke daran, dass ich nicht zur Introspektion, sondern zwecks Ausfragerei hierher entsandt worden war. Weshalb ich ihren Redefluss ein wenig rüde unterbrach.
“Ich kannte Ihr Gesicht lange, bevor ich einen Film mit Ihnen gesehen habe, und deshalb ...”
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In Isabella Rossellinis Gesicht trat Misstrauen: “Weil ich ein Model bin?”
“Gewiss.” (Sicher, sicher, bloß keine Aufregung. Selbstverständlich nicht, weil du haargenau aussiehst wie deine Mutter, was dir bekanntermaßen auf den wohlriechenden
Keks geht.)
Vorsichtig fragte ich weiter: “Ihre Schönheit hat sie berühmt und reich gemacht. Rätseln Sie manchmal: Warum ich und nicht eine andere mit anderen wohlgestalteten
Zügen?”
“Nein, so denke ich nicht.”
“Glauben Sie, man hätte Ihnen zwei Millionen Dollar pro Jahr nur für Ihr schönes Gesicht gegeben, wenn Sie ein halbes Jahrhundert früher oder später geboren worden
wären?”
“Sicher, das ist faszinierend, wie verschieden die Schönheitsideale zu verschiedenen
Zeiten sind ...”
“Und worin besteht Ihre besondere Schönheit?”
“Wenn ich das wüsste ...” Isabella Rossellini runzelte die Stirn: “Ich kann nicht über
mein eigenes Leben nachdenken, als wäre es ein anderes. Zum Theoretisieren muss
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man geboren sein, und das bin ich nicht. Ich glaube, alles war Zufall. Ich habe einfach
Glück gehabt.”
“Die Gesichter der Models sahen in den sechziger und siebziger Jahren vollkommen anders aus ...”
“Das liegt nur am Make-up. Gesichter lassen sich der Mode anpassen. Falsche Augenbrauen, große gemalte Lippen. Darunter sehen wir alle anders aus.”
“Vom ersten Tag an waren Sie älter, als für Modelschönheiten damals üblich. Sie sind
nicht blond wie die meisten. Und Sie sind nicht sonnengebräunt, sondern neonbleich.
Könnte Ihr Erfolg also nicht mit veränderten Massenbedürfnissen der achtziger und
neunziger Jahre zu tun haben?”
“Ach, Massenbedürfnisse ... Welche zum Beispiel?”
“Der Wunsch nach einer neuen, erfahreneren und weniger unreifen Schönheit ...”
Isabella Rossellini schüttelte den Kopf. “Den macht die Mode.”
“Und nicht die Gesellschaft?”
Der Blick, mit dem Isabella meine Worte bedachte, ließ keinen Zweifel daran, dass sie
mich für einen Ignoranten erster Güte hielt: “Wie stellen Sie sich das vor?”
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Ich holte tief Luft: “Mit dem Ergrauen der zahlenstarken Baby-Boomer-Generation in
den USA beziehungsweise der Achtundsechziger bei uns in Europa wird die Käuferschaft
insgesamt älter. Alter geht plötzlich vor Schönheit. Teenie-Models, deren naturbelassenem Baby-Teint man ansieht, dass sie den Windeln kaum entwachsen sind, entsprechen
weniger den Bedürfnissen des zahlenden Publikums. Das will erwachsene Schönheit. Die
allerdings nicht so ältlich, wie’s bei den Eltern üblich war, sondern möglichst zeit- und
faltenlos. Zeit für den Auftritt von Isabella Rossellini ...”
Isabella Rossellini schaute amüsiert: “Ich denke praktischer”, sagte sie. “Ich glaube,
die Veränderungen folgen den Schwerpunktverlagerungen in der Modeindustrie. Nehmen Sie zum Beispiel die neue Bra-Fashion, die Mieder. Da braucht man Figuren, bei
denen die Brüste größer sind, damit das nach was aussieht. Und plötzlich macht eine
üppigere Frau, die vor ein paar Jahren noch nichts geworden wäre, eine steile Karriere ...”
“Am Anfang war also das Design, dann kam der BH und schließlich die Suche nach der
großen Brust?”
“Ich sehe das aus der Perspektive einer Frau, deren Beruf das Modeln ist. Ich denke
nicht soziologisch: Brüste sind ein Ernährungssymbol, es gab eine Rezession, alle hatten
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Hunger und schauten auf die großen Brüste und dachten: ‘Was für eine tolle Mahlzeit.’”
Isabella Rossellini lacht böse, laut und erdig. “Wenn die recht hätten, ginge es in der
Mode nicht um BHs, sondern um die Rezession. Aber bitte, Sie sehen, ich hätte auch
eine bedeutende Soziologin werden können.”
“Statt dessen haben Sie, von den Visagen der Staatsoberhäupter abgesehen, das weltweit am häufigsten gedruckte Gesicht ...”
“Gewiss. Ich habe eine unglaubliche Karriere gemacht. Solange wie ich hat sich kaum
ein anderes Topmodel auf den Covern der großen Magazine gehalten. Fast ebenso lange
stehe ich im Mittelpunkt einer der weltweit bedeutendsten Werbekampagnen. Das ist
einzigartig.”
“Und wie fing es an?”
“Ganz einfach: Bruce Weber hat mich gefragt. Das war in meinem letzten Jahr als
Journalistin. Ich war reif für eine Veränderung und habe ja gesagt. Ein Bild ist auf dem
Cover der amerikanischen ‘Vogue’ erschienen, es wurde die erfolgreichste Ausgabe des
ganzen Jahrzehnts.”
“Waren Sie überrascht, als Bruce Weber Sie bat, für ihn Modell zu stehen?”
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“Überrascht? Warum? Ich kannte ihn gesellschaftlich, und er fotografierte praktisch alle
Frauen, die er kannte. Eine Marotte. Ich wäre überrascht gewesen, wenn er mich nicht
irgendwann gefragt hätte. Überraschend war allein, was hinterher passierte.”
Für Isabella Rossellini begann ein neuer Lebensabschnitt, und in dem war für Martin
Scorcese kein Platz mehr. Bei einem Fototermin verliebte sie sich in den Dressman und
Kleinfilm-Regisseur Jon Wiedemann.
“Marty hat mich unglaublich inspiriert”, sagte sie kurz nach der Trennung von Scorcese:
“Aber ich war ihm zu viel unterwegs, er war mir zu viel Rock’n’Roll, sehr exzentrisch ...”
Und sehr eifersüchtig.
“Ich kann es nicht ertragen”, gestand der Star-Regisseur einem Filmkritiker, “wenn andere Männer Isabella bewundern.” Die Ehe brach auseinander, als Scorcese gerade den
Film “The King of Comedy” beendete.
Isabella heiratete Jon Wiedeman und wurde mit Elettra schwanger. Die Zeit, in der sie
nicht modeln konnte, nutzte sie, um Schauspielunterricht zu nehmen.
“Ist Modeln”, frage ich sie, “weniger Selbstdarstellung als Rollenspiel?”
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“Ja, denn was man auf den Fotos sieht, bin niemals ich. Wie fiktiv die Bilder sind,
hängt natürlich vom Fotografen ab - und vom Auftraggeber. Wenn man einen neuen
Eyeliner lancieren will, produziert man ein Foto, bei dem es weniger auf dessen emotionale Wirkung als darauf ankommt, die Augen so zu zeigen, dass man den Eyeliner
sieht. Im Mittelpunkt steht nicht die Kunst, sondern die Technik, vor allem perfektes
Licht. Obwohl ich da Entwicklung sehe. Ich glaube nicht, dass es die technischen Fotos
sind, die das Produkt verkaufen. Den Erfolg erzielt mehr der allgemeine Appeal.”
“Sie haben mit vielen großen Fotografen gearbeitet ...”
“Mit praktisch allen, die in den siebziger und achtziger Jahren wichtig waren. Nur mit
ein paar jüngeren nicht, weil meine Karriere als Model allmählich ihrem Ende entgegengeht und ich durch die Filmarbeit nicht mehr soviel Zeit dafür habe.”
“Wer hat Sie besonders beeindruckt?”
Isabella Rossellini zögert keine Sekunde: “Richard Avedon. Bei ihm hat mich fasziniert,
wie genau er arbeitet und wie wenig Aufnahmen er macht. Die meisten Fotografen
schießen und schießen und schießen. Avedon konzentriert sich vollkommen auf das Model, er hat seine Bilder alle im Kopf, und erst wenn die Realität dem entspricht, drückt
er ab. Ich werde nie vergessen, wie er mich einmal ansah und sagte: ‘Ich mag nicht,
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woran du gerade denkst. Mach dir andere Gedanken!’ Ich habe natürlich getan, was er
verlangte. Aber nach einer Weile bin ich zu meinen alten Gedanken zurückgekehrt, um
zu sehen, ob er etwas merkt. Und das hat er. Der Gesichtsausdruck, der zu diesen Gedanken gehörte, gefiel ihm einfach nicht ...”
“Sie haben auch viel mit Steven Meisel gearbeitet, Madonnas Leib-Fotografen ...”
“Steven ist ganz anders. Er hat eine enorme Kenntnis von der Geschichte der Fotografie
als Kunst. Wenn man mit ihm arbeitet, bewegt man sich weniger in einem Studio als
in der Kulturgeschichte. Wir stellen Bilder nach, die in unseren Köpfen sind. Ihre Komposition, ihre Stimmung: Anita Ekberg auf einer römischen Straße, auf der Suche nach
Schuhen; oder Maria Callas, die vor den Fotografen flüchtet.”
“Besteht für Sie eine wesentliche Differenz zwischen der Arbeit als Model und der als
Schauspielerin?”
“Beim Modeln”, sagt Isabella Rossellini, “ist es mehr ein meditativer, reflexiver Zustand, weniger ein Wechselspiel zwischen Menschen. Aber es gibt viele Ähnlichkeiten.
In beiden Fällen will man ja einen Charakter ausdrücken; dadurch, wie man sich kleidet, sich schminkt, durch die Körperhaltung. Der große Unterschied ist, dass man als
Model immer allein ist. Man hat keinen Partner und deshalb nichts zu sagen - keinen
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Dialog. Manchmal denke ich mir solche Sätze selbst aus, um in Stimmung zu kommen.
Und manchmal übernimmt der Fotograf die Rolle des Gegenspielers, der ja beim Film
alles ist. Da ist es am wichtigsten, sich auf den jeweiligen Partner einzustellen. Nicht
nur zu agieren, sondern vor allem zu reagieren.”
“Zur Schauspielerei haben Sie sehr spät gefunden. Im Grunde erst mit dreiunddreißig
Jahren, als Sie zum höchstbezahlten Model der Welt geworden waren. Hatten Sie vorher keine Gelegenheit ...”
“Was heißt hier Gelegenheit?” Isabella Rossellini schaut schuldbewusst und trotzig zugleich: “Eine Gelegenheit bietet sich erst, wenn man sie sucht. Ich wollte vorher nicht.
Ich hatte meinem Vater versprochen, keine Schauspielerin zu werden. Und als ich nach
seinem Tod bei den Brüdern Taviani in eine erste Hauptrolle spielte, hatte ich regelrecht ein schlechtes Gewissen. Als würde ich ihn betrügen.”
Nicht nur Vater Rossellini, Ehemann Scorcese war ebenfalls dagegen, dass Isabella vor
eine Filmkamera geriet. David Lynch dachte da ganz anders. Der “Meister des Abartigen”, wie das Magazin Time den dritten Kult-Regisseur in Isabella Rossellinis Leben
nannte, traf sie in einem Lokal und machte sie mit den genial-einfachen Worten an:
“Sie könnten die Tochter von Ingrid Bergman sein.”
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Umstandslos begann Lynch, der geschmacklose Wanderer am Abgrund zwischen Humor
und Horror, die glatte Schönheit zu schänden. Er engagierte sie für “Blue Velvet” und
“Wild at Heart” und auch fürs Privatleben. Fünf Jahre lang, bis 1990, pendelte Isabella
Rossellini zwischen Lancôme und Lynch und damit zwischen Schaum- und Blutbad. Dann
trennten sich die beiden - nachdem Isabella bei einem unangemeldeten Besuch in Los
Angeles Teile von toten Tieren in Lynchs Kühlschrank gefunden hatte.
“Merkwürdige Reagenzgläser. In Spiritus eingelegte Ratten, Köpfe von kleinen Krokodilen. Ich hatte Angst.”
Heute, sagt sie, brauche sie keinen Mann um jeden Preis.
“Ich bin, was Männer angeht, gelassener. Zu heiraten besitzt für mich keine Priorität
mehr. Wenn es geschieht, geschieht es. Aber wenn es nicht geschieht, weiß ich, dass
ich mit mir alleine glücklich sein kann. Vieles, was so wichtig ist, wenn man zwanzig
oder dreißig ist, ist nicht mehr so wichtig, wenn man erst einmal vierzig wird.”
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Kapitel
4
Ein paar Tage später geht eine großbürgerlich gewandete Dame von siebzig Jahren
durch die Berliner City, vorbei am Kaufhaus Schrill und den Straßencafés der mittleren
Bleibtreustraße, in denen die Frührentner und Frührentnerinnen der West-Szene die
Sonne anbeten. Wie Fluchtfahrzeuge haben sie vor den Bistrotischen ein halbes Dutzend Kinderwagen in Bereitschaft gestellt. Der alten Frau schenken sie keinen Blick.
In stundenlanger Maskenbildnerei hat man Isabella Rossellini in dem Schminktrailer,
der wie der Rest des Filmkonvois auf einem nahen Schulhof parkt, um drei Jahrzehnte
altern lassen. Und das ist ihrer Laune gar nicht bekommen. Jetzt ist sie missmutig auf
ihrem Weg zum Set. Wie eine Kinderzeichnung einem kubistischen Picasso gleicht ihr
Gesicht den letzten Bildern, die wir von Ingrid Bergman kennen.
Gedreht werden soll das Wiedersehen der Kalte-Kriegs-Mörderin mit ihrem Ex-Liebhaber, ein Zeitsprung von 1955 ins Jahr 1989. Stattfinden wird er im “Zillemarkt” unter
den S-Bahn-Bögen, der Edel-Version einer Berliner Eckkneipe.
In ihr ist die Luft so dick, wie in unterentwickelten Ländern üblich. Die Begeisterungsorgien der Woche nach dem Mauerfall werden nachempfunden. Alkoholiker aus beiden
Teilen Deutschlands plus ein Haufen eigens angereister Gäste vereinigen sich. Das Bier,
das ausgeschenkt wird, ist echt, die Stimmung halbwegs auch.
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Als Isabella Rossellini hereinkommt, erzählt mir gerade ihre amerikanische Freundin,
eine Hysterikerin der New Yorker Modepresse, von dem Roman, an dem sie schreibt. Er
handelt von einer Frau, die es lediglich auf Leuchttürmen treiben will, dort allerdings
umso öfter und wilder.
Isabella verzieht das alte Gesicht. Als die Freundin dann noch sagt: “Du siehst keinen
Tag älter als fünfundvierzig aus”, dreht sie sich brüsk um.
“Was fühlen Sie beim Blick in den Spiegel?” frage ich sie mit dem Taktgefühl, nach dem
unser Beruf verlangt
“Ich weiß nicht. Als Schauspieler muss man sich ständig verändern.”
“Jetzt, wo die Rolle Sie zwingt, plötzlich eine alte Frau zu sein, denken Sie da über Ihr
eigenes Leben ...”
“Nein! Es ist alles nur Make-up. Manchmal habe ich keine Arme, und keiner fragt, was
ich da denke. Manchmal bin ich voller Blut, und keiner fragt mich danach. Aber sobald
es ums Alter geht, wittern alle etwas, nur weil ich eine Frau bin, ein Model ...”
“Ich habe vor einer Viertelstunde Ihren Filmpartner dasselbe gefragt.”
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“Trotzdem, diese Sorte Fragen langweilt mich. Damit wird man als Frau ständig verfolgt: ‘Haben Sie Angst alt zu werden? Haben Sie Angst alt zu werden?’ Ich kann es nicht
mehr hören. Nein, habe ich nicht. Oder habe ich doch. Egal. Ist doch nur normal.”
“Aber Sie sind keine normale Frau. Sie sind ein Schönheits-Idol. Ihr Altern ist nicht
allein Ihre Privatangelegenheit, es betrifft Ihren Marktwert, mal abgesehen davon, dass
ich nicht darüber, sondern über Lebensfreude und Sterblichkeit mit Ihnen reden
wollte ...”
“Ich weiß nicht ... Es ist nur Make-up. Wir wollen, dass die Szene gut wird”, sagt
Isabella Rossellini aus einer Ufo-Ferne, die Lichtjahre jenseits aller bekannten Denksysteme liegt: “Gott, vielleicht sehe ich später noch viel schlechter aus. Es gibt in der
Natur viele Dinge, die wir nicht nachmachen können. Da hängt zum Beispiel nichts. Ich
habe keinen Muskelverfall. Das echte Alter wird schlimmer. Was soll ich sagen ... Ich
weiß wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll ... Lassen Sie uns nachher weiterreden.”
Eine Viertelstunde später verlangt Isabella Rossellini, dass alle Journalisten vom Set
geschmissen werden.
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Kapitel
5
Der Glaube ans Gute in jedem Menschen ist eben ein Köhlerglaube, was ich weiß, seit
mich ein feiger Hund namens Köhler mal ziemlich aufs Kreuz gelegt hat. Isabella Rossellinis Forderung macht angesichts der versammelten Menge von betrunkenen und nikotinabhängigen Extras, in deren Mitte jedermann sich hervorragend verstecken kann,
wenig Sinn und ist auch nicht durchzusetzen. Aber sie zeigt, wie recht P.J. hatte:
Die Wirklichkeit übertrifft jeden GAA, den “Größten Anzunehmenden Alptraum”.
Vielleicht plagen Sie, liebe Leser, jetzt dieselben offenen Fragen wie mich: Hat diese
Geschichte ein Happy-End? Gibt es vielleicht doch intelligentes Leben auf der Erde?
Oder wenigstens funktionierenden Room Service und pünktliche Honorarabrechnungen?
Wäre ich eine ehrliche Haut, müsste ich sagen: Nein. Aber ich will nicht, dass diese
Geschichte traurig aufhört. (Und ich halte es für sicherer, in aller Öffentlichkeit einen
Hinweis darauf zu platzieren, wer mich auf dem Gewissen haben dürfte, falls ich mit
einer Kugel im Kopf und einem Betonklotz an den Füßen in einer Tiefkühltruhe aufgefunden werde.)
Deshalb zum traurigen Schluss noch schnell die schönste Rossellini-Geschichte, die mir
in all den Monaten, die ich mich mit ihr beschäftigte, untergekommen ist. Sie stammt
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von Norman Mailer, handelt natürlich nicht von Isabella, sondern von der Rolle, die sie
spielt, und hat dafür mehr Wahrheit als jede Rossellinische “Re-A-Li-Tät”:
In den letzten Minuten, wenn es mit Mailers Späthippies-in-Gefahr-Film “Harte Männer
tanzen nicht” zu Ende geht, steht die Italienerin Madeleine alias Isabella Rossellini am
Lager ihres durch Gehirnschlag gerade halbseitig paralysierten US-Ehemannes.
“Ich habe es dir sechzehnmal besorgt. In einer Nacht”, prahlt der stotternd und mit
schiefem Mund.
Die Schöne schaut voller Verachtung auf den Gelähmten herab.
“Es war kein einziges Mal gut.”
“Weil du keine Gebärmutter mehr hast.”
Während auf dem Flur ein Ex-Liebhaber und sein krebskranker Vater darüber nachdenken, wer von beiden den Gaga-Gatten liquidieren soll, spuckt der endlich aus, was er
schon lange wusste, bislang nur nicht zu sagen wagte.
“Ich dachte, du wärst Klasse. Aber du bist eine graue Maus. Mit einer schönen Fassade.
Dahinter steckt nichts.”
Isabellas haselnussbraune Augen blicken unergründlich tief in die Kamera.
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Draußen auf dem Flur schauen sich Vater und Sohn ratlos an.
Ein Schuss zerreißt die Stille.
“Er wusste das nicht”, sagt der Vater kopfschüttelnd: “Nenne eine Italienerin nie
‘graue Maus’!”
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Impressum
Namensnennung-Keine
Druckgeschichte
kommerzielle Nutzung-
Hoch zu Rossellini. (Porträt Isabella Rossellini). In: TEMPO, Dezember 1992,
Keine Bearbeitung 2.0
S. 20-30.
Deutschland Lizenzver-
Überarbeitete Fassung nachgedruckt unter dem Titel: Ein Leben vor den
trag lizenziert. Um die
Spiegeln. In: Spion unter Sternen (Berlin: Links, 1994), S. 118-139.
Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu http://
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Dieses Dokument wurde von Leon und Gundolf S. Freyermuth in Adobe InDesign und Adobe Acrobat erstellt und
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am 4. Februar 2011 auf www.freyermuth.com unter der Creative Commons License veröffentlicht (siehe Kasten
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einen Brief an Creative
Commons, 171 Second
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Gundolf S. Freyermuth ist Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der ifs Internationale Filmschule
Francisco, California
Köln (www.filmschule.de). Weitere Angaben finden sich auf www.freyermuth.com.
den
Autor
94105, USA.
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