Nicht nur ein Fall von Risikosozialisierung

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Nicht nur ein Fall von Risikosozialisierung
Albert Fischer
Nicht nur ein Fall von Risikosozialisierung Das „mittelbare“ Kommunalkreditgeschäft privater Banken
nach der Währungsreform
Über die fragwürdige Geschäftspolitik der deutschen Banken in den Jahren der
„relativen Stabilisierung“ nach der Währungsreform des November 1923 wurde viel geschrieben1. Der Ursachen für ihren Zusammenbruch im Sommer des
Jahres 1931 sind viele, um nicht zu sagen: alle, genannt. Stets betont werden
dabei ihre in hohem Maße fristeninkongruenten Finanzierungsgepflogenheiten,
will sagen: die kurzfristige Refinanzierung faktisch langfristiger Kredite, mit
dem daraus resultierenden Liquiditätsrisiko einerseits und ihre umfangreiche
Kreditvergabe an fragwürdige Klienten mit dem sich daraus ergebenden Bonitätsrisiko andererseits. Der Blick konzentrierte und konzentriert sich dabei
vornehmlich auf die Berliner Aktienbanken und ihre Kreditierung großer Industrie- und Handelsunternehmen resp. -konzerne, und dies nicht von ungefähr. Es war bekanntlich der Kollaps der Norddeutschen Wollkämmerei und
Kammgarnspinnerei AG, welcher der Darmstädter und Nationalbank KGaA
den Todesstoß versetzt und damit die Ausrufung der Bankfeiertage am 13. Juli
1
U.a.: Balderston, Theo: German Banking between the Wars, in: Business History Review 65
(1991), S. 554-605; Born, Karl Erich: Die deutsche Bankenkrise 1931. Finanzen und Politik, München 1967; Feldman, Gerald D.: Jakob Goldschmidt, the History of the Banking Crisis of 1931, and
the Problem of Freedom of Manoeuvre in the Weimar Economy, in: Buchheim, Christoph/Michael
Hutter/Harold James (Hrsg.): Zerrissene Zwischenkriegszeit. Wirtschaftshistorische Beiträge. Knut
Borchardt zum 65. Geburtstag, Baden-Baden 1994, S. 307-327; James, Harold: The Causes of the
German Banking Crisis of 1931, in: Economic History Review 37, 1984, S. 68-87; Lüke, Rolf E.: 13.
Juli 1931. Das Geheimnis der deutschen Bankenkrise, Frankfurt am Main 1981; zeitgenössisch u.a.:
Priester, Hans: Das Geheimnis des 13. Juli. Ein Tatsachenbericht von der Bankenkrise, Berlin 1931.
© Scripta Mercaturae. Zeitschr. f. Wirtschafts- u. Sozialgeschichte 33 (1999), S. 46 ff.
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1931 provoziert hatte. Nun gab es aber seinerzeit nicht nur private Kreditnehmer, die das Mißtrauen der Bankbeamten hervorriefen bzw. hätten hervorrufen
müssen. Es gab derer auch öffentliche.
Die Kreditvergabe an Gemeinden und Gemeindeverbände galt seinerzeit
nämlich keineswegs als „sichere Bank“. Im Gegenteil. Deren kritische Haushaltslage und ihre nach der Währungsreform allzu rasant gestiegene Schuldenlast beunruhigten die Öffentlichkeit und schreckten potentielle Geldgeber2. Die
großen Aktienbanken zogen daraus offenbar die richtigen Konsequenzen. Sie
ließen vom Kommunalkreditgeschäft tunlichst die Finger und wiesen kredithungrigen Kämmerern die Türe: Bis Anfang 1929 kamen (dem Betrage nach)
nur 0,76 % ihrer Kreditvergaben öffentlich-rechtlichen Körperschaften zugute3. Demgemäß entfielen von den Bankkrediten, die den Gemeinden bis dato
gewährt wurden, über drei Viertel auf öffentliche Institute, insbesondere auf
Landesbanken und Girozentralen, und nur ein Zehntel auf private Kreditbanken (Darstellung 1). Und selbst dieses Zehntel beruhte maßgeblich auf jener
berühmten Ausnahme, die die Regel bestätigt. In unserem Falle hieß sie Darmstädter und Nationalbank. Die „kleinere“ der großen Aktienbanken hatte sich
nämlich entschieden, doch an Gemeinden auszuleihen, trotz unüberhörbarer
Warnungen. Lohnen sollte sich ihr Wagemut wie gesagt nicht. Just diese DBank kollabierte später als erste Aktienbank, und tatsächlich trugen ihre zahlungsunfähig gewordenen resp. werdenden öffentlichen Schuldner zwar nicht
entscheidend, aber doch mit zu ihrem Zusammenbruch bei4. Ihre privaten
Konkurrenten, die sich solcher Geschäfte enthalten hatten, hatten zumindest
daran offenkundig gut getan. Allein, hatten sich die anderen Häuser, bei2
Caesar, Rolf: Der öffentliche Kredit der Sparkassenorganisation von 1914-1945, in: Mura, Jürgen (Bearb.): Der öffentliche Kredit der Sparkassenorganisation - historische Entwicklung und Zukunftsperspektiven. Sparkassenhistorisches Symposium 1991 (Sparkassen in der Geschichte: Abt. 1,
Dokumentation, Bd. 7), Stuttgart 1992, S. 51-83; hier: S. 52; Hansmeyer, Karl-Heinrich: Der Beitrag
der Kreditwirtschaft zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte, in: Deutscher Sparkassen- und
Giroverband (Hrsg.): Standortbestimmung. Entwicklungslinien der deutschen Kreditwirtschaft,
Stuttgart 1984, S. 217-235, hier: S. 220; James, Harold: Deutschland in der Weltwirtschaftskrise
1924-1936, Stuttgart 1988, S. 101.
3
Ausschuß zur Untersuchung der Erzeugungs- und Absatzbedingungen der deutschen Wirtschaft:
Der Bankkredit (Verhandlungen und Berichte des Unterausschusses für Geld-, Kredit- und Finanzwesen, V. Unterausschuß), Berlin 1930, S. 168. Zum Vergleich: Das Kreditgeschäft der Landesbank
der Rheinprovinz entfiel per 30. September 1928 zu nicht weniger als 84,28 % auf Gemeinden und
Gemeindeverbände (errechnet auf Basis der Daten in: Monatsbilanz der Landesbank der Rheinprovinz für den Verwaltungsrat per 30.09.1928, Stadtarchiv Köln, Abteilung 902, Oberbürgermeister
Konrad Adenauer, Nr. 91, Landesbank der Rheinprovinz, Fasz. 3, F. 231).
4
James 1984, S. 79.
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spielsweise die Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft, tatsächlich in völliger Entsagung geübt, den Verleih an die öffentliche Hand betreffend? Anders
formuliert: Vermitteln die publizierten Daten ein realistisches Bild des Kommunalkreditgeschäfts der Weimarer Ära? Vor dem Hintergrund des rauhen
Wettbewerbes, der seinerzeit in der Finanzsphäre herrschte, macht jene dezidierte Zurückhaltung doch Erstaunen. Zumal sich die Privaten im allgemeinen
keineswegs scheuten, fragwürdige Kandidaten unter ihre Fittiche zu nehmen.
Noch einmal also die Frage: Warum eine derartige Scheu vor dem Kommunalkredit?
Darstellung 1: Die nach der Währungsstabilisierung von Gemeinden/
Gemeindeverbänden neu aufgenommenen Bankkredite (per 31.03.1929)
Öffentliche Banken:
davon Landesbanken/GZ:
davon Sparkassen:
Hypothekenbanken:
Kreditbanken:
∑
Mio. RM
%
2.904,7
1.915,9
803,3
515,1
390,0
3.809,8
76,24
50,29
21,08
13,52
10,24
100,00
Datenbasis: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 50 (1931), S. 490
Zum einen möglicherweise aufgrund der traditionellen Struktur ihrer Geschäfte. Die Großbanken hatten sich seit ihrer Entstehung im 19. Jahrhundert
auf die freie Wirtschaft, namentlich auf die Finanzierung von Großunternehmen konzentriert. Von der Deutschen Bank bis hin zur Berliner Handelsgesellschaft hatte sich damals hinsichtlich des Portfolios zumindest ein gemeinsamer
Nenner ergeben: Die kommunalen Engagements hatten eine nachgerade marginale Größe verkörpert5. Die Gemeindefinanzierung war zunächst, im Falle
der Metropolen, Sache des organisierten Kapitalmarktes gewesen, genauer:
5
Born, Karl Erich: Geld und Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1977, S. 324 ff.; Pohl,
Manfred: Festigung und Ausdehnung des deutschen Bankwesens zwischen 1870 und 1914, in: Deutsche Bankengeschichte. Hrsg. i.A. des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. von seinem Wissenschaftlichen Beirat, Bd. 2, Frankfurt am Main 1982, S. 223-356, hier: S. 277-287. „Kommunale
Engagements“ meint hier: direkte Kreditausreichungen an Gemeinden oder Gemeindeverbände. Im
Emissionsgeschäft betätigten sich die Großbanken nämlich durchaus. Städtische Anleihen wurden
von ihnen nicht minder emittiert und plaziert als Aktien.
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Die Groß- und Mittelstädte hatten die je erforderlichen Kapitalien per Anleiheemission akquiriert. Sodann, dies galt insbesondere für kleinere Gemeinden,
war sie Sache der Sparkassen und Landesbanken (zuletzt auch der Girozentralen) gewesen6. Es war also, um dies als erstes Moment festzuhalten, eine Pfadabhängigkeit zu beobachten, und dies gleich in zweifacher Hinsicht. Hätten
sich die Großbanken nach der Währungsstabilisierung verstärkt dem Kommunalkreditgeschäft zugewandt, so hätten sie nicht nur geschäftspolitisches Neuland betreten. Sie wären obendrein in eine Sphäre eingedrungen, welche die
öffentlichen Banken ebenso gänzlich für sich beanspruchten wie umgekehrt
die privaten die der Unternehmensfinanzierung7. Nicht von ungefähr wurde in
den zwanziger Jahren gerade seitens der Privaten immer wieder eine traditionelle „Arbeitsteilung“ im Bankensektor beschworen8. Die Sparkassen und
Landesbanken sollten sich demgemäß auf ihre ursprünglichen Aktivfelder, will
sagen: auf den Klein-, den Real- und eben den Kommunalkredit beschränken.
Die Kreditbanken würden sich vorrangig der Privatwirtschaft zuwenden. Wollten sie selbst Vorrechte für angestammte Claims beanspruchen, mußten sie
freilich die der anderen respektieren. Konkret: Suchten sie sich den Firmenkredit vorzubehalten, so hatten sie den Gemeindekredit den öffentlichen Banken zu belassen.
Nun wissen wir heute aber, daß die Geschäftsstrukturen der Vorkriegszeit
nicht konserviert wurden. Es sollte nicht zu der erstrebten „Arbeitsteilung“
kommen. Statt dessen drängten gerade die öffentlichen Kreditinstitute mit aller
Macht in die traditionellen Sphären der privaten9. Der Protest der letzteren gegen das „Eindringen der öffentlichen Hand“10 in das Bankwesen gewann dem6
Most, Otto: Die Schuldenwirtschaft der deutschen Städte, Jena 1909, S. 27 ff., 35 ff.; Zadow,
Fritz: Der außerordentliche Finanzbedarf der Städte, Jena 1909, S. 29 ff., 47 f.
7
Jursch, Hermann: Der Kommunalkredit in der Nachkriegszeit, in: Kommunalfinanzen. Vorträge
und Diskussionen der Kommunalen Woche Essen 1927 (Schriften der Arbeitsgemeinschaft der Niederrheinischen Verwaltungsakademien, Heft 1), Berlin 1928, S. 140-164, hier: S. 156; Bel, Hubert/
August Bernegau: Die Landesbank der Rheinprovinz, in: Horion, Johannes (Hrsg.): Die Rheinische
Provinzial-Verwaltung. Ihre Entwicklung und ihr heutiger Stand, Düsseldorf 1925, S. 617-634, hier:
S. 631; Ashauer, Günter: Entwicklung der Sparkassenorganisation ab 1924, in: Deutsche Bankengeschichte. Hrsg. i.A. des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. von seinem Wissenschaftlichen
Beirat, Bd. 3, Frankfurt am Main 1983, S. 277-348, hier: S. 283.
8
Exemplarisch: Bericht über die Generalversammlung des Centralverbandes des Deutschen Bankund Bankiergewerbes, in: Bankarchiv 25 (1926), Nr. 7, 01.01.1926, S. 132-139, hier: S. 135.
9
Ashauer, Günter: Von der Ersparungscasse zur Sparkassen-Finanzgruppe. Die deutsche Sparkassenorganisation in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1991, S. 228 ff., 233.
10 So der Titel einer zeitgenössischen Publikation: Hobirk, Robert: Das Eindringen der öffentlichen
Hand in das private Bankgewerbe, Diss. München 1929.
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entsprechend an Schärfe, mündete zuletzt in die Grundsatzfrage nach der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand überhaupt11. Erst zum Ende des
Jahrzehnts sollte sich die Atmosphäre wieder entspannen. Die Verbände sollten sich nun in diversen Abkommen auf einen Modus vivendi verständigen12.
Zu einer Rückbesinnung der einzelnen Bankengruppen auf ihre je ursprünglichen Betätigungsfelder kam es aber, wie gesagt, nicht. Ergo wäre einem intensiven Engagement der Privaten im Kommunalkreditgeschäft offenbar doch
nichts entgegengestanden, weder in den frühen Zwanzigern, gleichsam als Reaktion auf das Vorpreschen der öffentlichen Wettbewerber, noch in den späten, als einem solchen Vorgehen angesichts des offenkundigen Nichtzustandekommens der erstrebten „Arbeitsteilung“ nicht einmal mehr strategische Interessen entgegenstanden. Es bleibt also lediglich das Moment des fehlenden
Traditionsstranges, und dieses erscheint kaum als hinreichend, die Frage jener
privaten Abstinenz zu erklären.
Es gibt indes ein weiteres Moment, ein in der Tat schlagendes: die Gesetzgebung zur kommunalen Verschuldung. Es wurde bereits erwähnt, daß letztere
resp. ihr Ausmaß und ihre rasches Ansteigen seinerzeit kritische Reaktionen
provozierte. Die Reichsregierung und namentlich die Reichsbank erachteten
sie als volkswirtschaftlich gefährlich, wenn nicht schädlich, und versuchten ihr
auf diversen Wegen entgegenzutreten13. Vielerlei Normen wurden erlassen,
alle mit dem einen Ziel, die kommunale Kreditaufnahme zu erschweren oder
sie gar ganz abzustoppen. Im groben lassen sie sich in zwei Kategorien fassen,
in solche, welche die Kreditaufnahme an sich reglementierten, und in solche,
welche speziell auf die - unmittelbare oder mittelbare - Verschuldung im Ausland abzielten. Genau die sollte nämlich unter allen Umständen auf ein Minimum reduziert werden14. Und genau hier ergab sich für die Kreditbanken,
wollten sie sich auf das Terrain der Gemeindekreditierung begeben, ein ganz
entscheidendes Hindernis. Just sie finanzierten bzw. refinanzierten sich näm11
Böhret, Carl: Aktionen gegen die "Kalte Sozialisierung" 1926-1930: Ein Beitrag zum Wirken
ökonomischer Einflußverbände in der Weimarer Republik (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3), Berlin 1966, insbesondere: S. 38 ff., 59-66, S. 219 f./Tab. 4.
12 Ashauer 1991, S. 235. Das betreffende Wettbewerbsabkommen ist abgedruckt in: Schmidt, Hans
Ulrich: Banken und Sparkassen im Konkurrenzkampf unter Berücksichtigung des Reichsgesetzes
gegen den unlauteren Wettbewerb vom 7. Juni 1909, Diss. Greifswald 1931, S. 15-20.
13 Hansmeyer, Karl-Heinrich (Hrsg.): Kommunale Finanzpolitik in der Weimarer Republik
(Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e.V. Berlin, Bd. 36), Stuttgart/Berlin/Köln
et al. 1973, passim.
14 Upmeier, Gisela: Schachts Kampf gegen die kommunalen Auslandsanleihen, in: L.c., S. 160171.
51
lich in immer höherem Ausmaß in fremden Ländern, im besonderen in den
Vereinigten Staaten. Der Auslandsanteil an ihren Kreditoren belief sich bereits
1928 auf fast 50 %15. Es war mithin kaum denkbar, daß sie neue Engagements
ausschließlich aus inländischen Quellen speisen würden. Hätten sich die Privatbanken in großem Stile zum Kreditgeber der Kommunen aufschwingen
wollen, so hätten sie nahezu zwangsläufig auf ausländische Gelder zurückgreifen müssen. Dann aber wäre ihre Finanzierungspraxis mit den bestehenden
Normen kollidiert.
Darstellung 2: Die öffentliche Neuverschuldung per 31.03.1929 [Mio. RM]
7.000
6.527,60
6.000
5.000
4.000
3.013,20
3.000
2.015,20
2.000
1.000
0
Reich
Länder
Kommunen
Datenbasis: Statistisches Reichsamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs
51 (1932), S. 479. Es handelt sich um die seit der Währungsstabilisierung neu aufgenommenen Schulden. Die Hansestädte wurden hierbei unter die Rubrik „Länder“ subsumiert.
Inwiefern? Insofern, als die Gemeinden seit 1924 nur mehr mit der offiziellen Genehmigung der beim Reichsfinanzministerium angesiedelten Beratungsstelle für Auslandskredite eben solche aufnehmen durften. Und nicht nur die
Gemeinden selbst: Auch (deutsche) Banken, die ihrerseits ausgereichte Kom15
Deutsche Bundesbank (Hrsg.): Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876-1975, Frankfurt
am Main 1976, S. 330/Tab. 2.02; Fischer, Otto Christian: Die fehlerhafte Kreditpolitik, in: Deutsche
Reichsbank (Hrsg.): Untersuchungsausschuß für das Bankwesen 1933, I. Teil, Bd. 1, Berlin 1934, S.
493-538, hier S. 512.
52
munalkredite im Ausland zu refinanzieren trachteten, bedurften jenes Plazets16.
Daß dieses immer seltener und seit 1927 überhaupt nicht mehr gewährt wurde,
verdeutlicht: Das Genehmigungsverfahren verkörperte, aus Sicht der Banken,
nichts anderes als ein faktisches, zuletzt kaum mehr kaschiertes Verbot. Spätestens seit dem 21. September 1927, jenem Mittwoch, an dem die Reichsbank
ihre Mitwirkung in der Beratungsstelle abbrach und sie dadurch schlicht lahmlegte17. Die de facto stets erforderliche Genehmigung für eine unmittelbare
Kreditgewährung deutscher Privatbanken an deutsche Kommunen war nun
nicht mehr zu haben. Diesbezügliche Aktivitäten waren mithin bereits unter
rechtlichen Gesichtspunkten höchst fragwürdig, wenn nicht unmöglich geworden. Eine sich in großem Stile auf internationaler Ebene refinanzierende Kreditbank - und das war nun einmal bei allen namhaften Aktienbanken der Fall konnte sich nicht bedenkenlos in der Gemeindefinanzierung engagieren.
Hinzu kam endlich der eingangs angesprochene ökonomische Aspekt.
Selbst wenn einem solchen Kurs, einer Forcierung des Kommunalkreditgeschäfts, nicht die Gesetzgebung des Reiches entgegengestanden hätte, so wäre
er dennoch mit einem gravierenden Manko behaftet gewesen. Er hätte erhebliche Risiken in sich geborgen, möglicherweise weit höhere als die Kreditierung
privater Unternehmen. Um die Finanzlage der Kommunen stand es nämlich
wie erwähnt nicht zum besten. Sie verschuldeten sich in einem Ausmaß und
einem Tempo, das allgemein als beängstigend empfunden wurde (Darstellung
2); dies vor dem Hintergrund städtischer Haushalte, die schon lange vor dem
Ausbruch der Weltwirtschaftskrise aus den Fugen geraten waren. Die Steuereinnahmen reichten in keiner Weise hin; umgekehrt zehrte der im Gefolge einer umfangreichen Kreditaufnahme stetig steigende Schuldendienst immer
mehr an ihren finanziellen Ressourcen18. Wie gesagt, es fehlte an Warnungen
16
Dietrich-Troeltsch, Hermann: Die Errichtung der Beratungsstelle für Auslandskredite und ihre
Funktionsweise, in: Hansmeyer 1973, S. 174-186; Ott, Rolf: Die Beratungsstelle für Auslandskredite
beim Reichsfinanzministerium, in: Haas, Hermann/Rolf Ott/Wilhelm Holzmann: Auslandsanleihen
und Reparationen (Münchener Volkswirtschaftliche Studien, Neue Folge, Heft 7), Jena 1929, S. 77182, hier: S. 105.
17 Upmeier 1973, S. 165.
18 Der kommunale Schuldendienst belief sich im Haushaltsjahr 1928 auf 573,3 Mio. RM, verzehrte
mithin bereits vor Ausbruch der Wirtschaftskrise ein Drittel der Reichssteuerüberweisungen (1.649,7
Mio. RM). Drei Jahre später summierte er sich auf 998,0 Mio. RM, verschlang die letzteren (jetzt:
1.009,3 Mio. RM) ergo komplett (Fischer, Albert: Die Landesbank der Rheinprovinz. Aufstieg und
Fall zwischen Wirtschaft und Politik (Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Bd. 6), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 541 f./Tab. 14).
53
nicht19. Zudem, es fehlte auch an Warnsignalen nicht, wie z.B. im Sommer des
Jahres 1929, als erstmals eine deutsche Stadt vor den Konkursrichter trat20.
Nun könnte ein heutiger Beobachter einwenden, die finanzielle Schieflage einer Kommune berge keineswegs ein Risiko für die Gläubigerbank in sich.
Schließlich hafte für die kommunalen Schulden die je übergeordnete Körperschaft, letztlich die öffentliche Hand als solche mit ihrer gesamten Steuerkraft21. Allein, zum damaligen Zeitpunkt galt eben das nicht. Im Gegenteil, die
betreffende Stadt meldete seinerzeit Konkurs an und ließ ihren Hauptgläubiger, eine Hypothekenbank, fast aller Forderungen verlustig gehen - während
der Staat klarstellte, weder für die Verbindlichkeiten seiner bankrotten Gemeinden einstehen noch eine Zwangsetatisierung zulassen zu wollen22. Es
bleibt dabei: Die Kommunalkreditgewährung barg ganz erhebliche Risiken in
sich.
Zum Bonitätsrisiko traten zwei weitere Risiken von Belang: das Währungsrisiko und, vor allem, das Liquiditätsrisiko. Das Währungsrisiko erwuchs daraus, daß bzw. dann, wenn sich die deutsche Kreditbank in fremder Währung
verschuldete, anschließend die ihr zufließenden Devisen (in der Regel bei der
Reichsbank) in Reichsmarkguthaben transferierte und sie als solche an ihre
Kunden weiterverlieh. Ihren $-Verbindlichkeiten standen dann RMForderungen gegenüber. Wurden die ersteren fällig, waren entsprechende Valuta vonnöten. Mit Blick auf diesen Zeitpunkt bestand ergo das Risiko, nicht
über die erforderlichen Volumina in fremder Währung verfügen zu können.
Als gefährlicher noch sollte sich später das Liquiditätsrisiko erweisen. Es resultierte aus der Fristentransformation, welche die Bank im Zuge der Kredit19
Namentlich die Spitze des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes warnte frühzeitig und
kontinuierlich vor den Risiken des Kommunalkreditgeschäfts (l.c., S. 219 ff.).
20 Es handelte sich um die hoffnungslos überschuldete sächsische Kleinstadt Glashütte. Hugo Jost,
Präsident der Thüringischen Staatsbank bezeichnete den Casus als „ein sehr gutes [sic] Warnsignal
für die gesamte öffentliche Kreditwirtschaft“ (Archiv des Verbandes öffentlicher Banken, Bonn,
Verhandlungen der Hauptversammlung des Verbandes deutscher öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten e.V., Baden-Baden, 24./25.06.1929, vertraul. Verhandlungsbericht, F. 42).
21 Tatsächlich stuft die heutige Bankenaufsicht Kommunalkredite als faktisch risikofrei ein und
billigt ihnen eine Grundsatz-I-Anrechnung (den Umfang der risikobehafteten Geschäfte betreffend)
von
0 % zu. Das Kreditwesengesetz enthebt die Banken im Kommunalkreditgeschäft der Verpflichtung, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Schuldner offenlegen zu lassen: Gemäß § 20
Abs. 1 KWG gelten die §§ 13-18 über Groß-, Millionen-, Organkredite etc. für den Gemeindekredit
nicht.
22 Archiv des Verbandes öffentlicher Banken, Bonn, Verhandlungen der Hauptversammlung des
Verbandes deutscher öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten e.V., Baden-Baden, 24./25.06.1929, vertraul. Verhandlungsbericht, passim.
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gewährung vornahm. Die im Ausland aufgenommenen Mittel waren zumeist
nur auf kurze Frist zu haben. Sie konnten also binnen eines Vierteljahres, oft
aber binnen nur eines Monats oder noch schneller zurückgefordert werden23.
Umgekehrt verlieh das (deutsche) Kreditinstitut die Gelder für einen längeren
Zeitraum - entweder „nur“ de facto, wenn es sie seinerseits auf kurze Frist
vergab, wissend, daß die betreffenden Schulder sie längerfristig, z.B. zur Investitionsfinanzierung, verwandten, sie also im Falle des Falles nicht sogleich
würden zurückzahlen können; bisweilen auch de jure, wenn die Bank aus ihnen sogar langfristige Darlehen ausreichte24. Sicher, beide Risiken, das Währungs- wie das Liquditätsrisiko waren auch im Falle des Unternehmenskredits
gegeben. In der Gemeindekreditierung fielen sie jedoch ungleich höher aus. Im
besonderen das Liquiditätsrisiko. Der Grund hierfür ist ein naheliegender. Investitionen der Privatwirtschaft amortisieren sich in der Regel schneller als
solche der öffentlichen Hand. Konkret: Maschinen eines Automobilunternehmens amortisieren sich rascher als Brücken oder Grüngürtel westdeutscher
Großstädte. Dementsprechend war das Ausmaß, in dem die Fristen je zu transfomieren waren, im Kommunalkreditgeschäft ungleich höher, und mit ihm das
Liquiditätsrisiko der jeweiligen Gläubigerbank.
Es war also, um zum Ausgangspunkt unserer Erwägungen zurückzukehren,
für die Kreditbanken aus mehreren Gründen nicht sonderlich attraktiv, sich der
Gemeindekreditierung zuzuwenden. Manch ein Institut, nicht von ungefähr
just das als besonders expansionsfreudig, wenn nicht aggressiv geltende, tat
diesen Schritt wie erwähnt dennoch, mit schwerwiegenden Konsequenzen. Die
Mehrzahl der Privaten tat ihn jedoch augenscheinlich nicht. Deshalb noch
einmal die Frage: Enthielten sich die anderen Aktienbanken tatsächlich dieser
Sphäre? Die hier als These vorzustellende Antwort lautet: Nein. Sie engagierten sich ebenfalls in jenem Metier. Allein, sie engagierten sich auf eine ganz
spezifische Art und Weise. Sie bedienten sich - teils bewußt, teils unbewußt einer bestechend einfachen und doch überaus erfolgreichen Variante des
Kommunalkredits, die sie aller angesprochenen Probleme enthob. Es handelte
23
Untersuchungsausschuß 1930, S. 52. Dies betraf im übrigen nicht nur die Auslandsgelder. Die
fremden Mittel der Berliner Großbanken waren Ende 1929 in ihrer Gesamtheit zu 43,4 % binnen 7
Tagen und zu weiteren 53,3 % binnen 3 Monaten fällig (l.c., S. 53/Tabelle IX).
24 Zum rheinischen Beispiel: Althoff, William: Die Tätigkeit der Landesbank der Rheinprovinz in
und nach dem Kriege, Diss. Köln 1926, S. 46; allgemein: Hentschel, Volker: Die geschichtliche
Entwicklung der Landesbanken/Girozentralen von 1924 bis 1945 in: Mura, Jürgen (Bearb.): Die
Landesbanken/Girozentralen - historische Entwicklung und Zukunftsperspektiven. Sparkassenhistorisches Symposium 1990 (Sparkassen in der Geschichte: Abt. 1, Dokumentation, Bd. 6), Stuttgart
1991, S. 53-69, hier: S. 62.
55
sich um eine Variante, die im folgenden als „mittelbarer“ Kommunalkredit
bezeichnet werden soll. Warum „mittelbarer“ Kommunalkredit? Weil die Privatbanken hierbei überhaupt nicht als Kreditgeber der jeweiligen Stadt in Erscheinung traten. Ein Vertragsverhältnis zwischen Kreditbank und Kommune
kam nie zustande. Statt dessen gab es zwei Vertragsverhältnisse bzw., wird als
Endglied der Kette der ausländische Gläubiger miteinbezogen, sogar derer
drei.
Darstellung 3: Die Auslandsfinanzierung westdeutscher Gemeinden
durch das „mittelbare“ Kommunalkreditgeschäft privater Banken
Auslandsgeldmärkte
Staatliche Instanzen
Beratungsstelle
Gemeinden
Kurzfr .
Mittel
Privatbank
Öffentliche Bank
Die „Problemlösung“ bestand in der Zwischenschaltung eines Dritten (siehe Darstellung 3). Und als Dritter eignete sich naturgemäß niemand besser als
der traditionelle Finanzier der Kommunen: die je ortsansässige öffentliche
Bank. In einer Region, in welcher die beschriebene Variante besonders exzessiv und, notabene, besonders folgenreich praktiziert wurde, in den preußischen
Rheinlanden, handelte es sich beispielsweise um die Landesbank der Rheinprovinz25. Diese agierte als Kreditgeber der Städte26, während sich die Privatbanken, von der Deutschen Bank bis hin zum Bankhaus Louis Hagens, nach
25
Zur deren Geschichte: Pohl, Hans: Von der Hülfskasse von 1832 zur Landesbank, Düsseldorf/Münster 1982. Zu ihrer Rolle im Vorfeld und inmitten der Bankenkrise von 1931: Fischer 1997.
26 Die Landesbank der Rheinprovinz hatte sich schon vor der Währungsreform gänzlich dem Kommunalkreditgeschäft verschrieben. Seit 1926 kamen dann fast neun Zehntel ihrer Engagements städtischen, genauer: rheinischen Kämmerern zugute (Verwaltungsberichte der Landesbank der Rheinprovinz 1914-1930, passim).
56
außen hin lediglich als Geldgeber eben jener Landesbank betätigten. Die
Summen, die allein dort in die Schatullen der Kämmerer flossen, waren beträchtlich. Im Frühjahr 1931 handelte es sich bei den in der beschriebenen
Form „durchgeleiteten“ Krediten, nochmals: nur in der Rheinprovinz (!), um
Beträge von über 200 Mio. RM27 insgesamt und über 100 Mio. RM in fremder
Valuta28. Zum Vergleich: Anfang 1929, als die nämliche Landesbank Kommunalkredite im Umfang von 470,1 Mio. RM in ihren Büchern führte29, hatten die
Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Darmstädter und Nationalbank
zusammengenommen im gesamten Deutschen Reich an öffentlich-rechtliche
Körperschaften und deren Betriebsverwaltungen ganze 27,5 Mio. RM (unmittelbar) verliehen30. Mittels dieser Lösung, durch die Kreation des „mittelbaren“
Kommunalkredits, wurden, aus Sicht der Privaten, die sprichwörtlichen zwei
Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
„Fliege“ bzw. Punkt 1: Der oben dargelegte rechtliche Aspekt. Ihm war insoweit Genüge getan, als sie, die Privaten, jetzt bloße Interbankenkredite ausreichten und eben keine Kommunalkredite. Folglich benötigten sie kein Plazet
der Beratungsstelle. Gleiches galt für die je zwischengeschaltete öffentliche
Bank. Sie vergab zwar Mittel an Gemeinden und Gemeindeverbände; sie refinanzierte sich aber, wie in der obigen Graphik veranschaulicht, im Inland. Ergo: Eine Genehmigung war nicht erforderlich. Bleibt der Kämmerer. Auch vor
ihm fiel die nahezu unüberwindliche Hürde in Sachen Auslandskredit. Er verschuldete sich schließlich bei seiner traditionellen Hausbank. Der Sperrmechanismus Beratungsstelle wurde schlicht umgangen31. Punkt 2: Der Risikoaspekt.
Ihm wurde, wiederum: aus Sicht der Privaten, dadurch entsprochen, daß die
Risiken samt und sonders auf die öffentliche Bank abgewälzt wurden (unten,
Darstellung 4). Die letztere erhielt die Mittel nämlich zumeist exakt in der
27
Sonderbericht mit 6 Anlagen der Zentralrevisionsstelle des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes vom 19.08.1931, zur Revision der Landesbank der Rheinprovinz per 30.06.1931, Anl. 3,
Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Nachlaß Johannes Horion, Nr. 134, o.P.
28 L.c., Anl. 6, i.V.m. dem Revisionsbericht Oberbankrat Ziches, Preußisches Innenministerium,
per 31.12.1930, F. 25, Geheimes Staatsarchiv, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Bestand
Preußisches Innenministerium (PIMin.), Repositur 77, Tit. 1130, Nr. 9, Beih. VI, Bd. 1, o.P.
29 Monatsbilanz der Landesbank der Rheinprovinz für den Verwaltungsrat per 31.12.1928 (SAK,
Abt. 902, Nr. 91, LBR, Fasz. 3, P. 297).
30 Untersuchungskommission 1930, S. 168.
31 Die „Richtlinien über die Aufnahme von Auslandskrediten durch Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände“ erstreckten sich zwar auch auf solche Auslandskredite, die von den Gemeinden
„mittelbar beschafft“ wurden. Die „Definition dessen, was unter ‘mittelbar’ ... zu verstehen ist,“ war
„in den RiLi. [jedoch] viel zu eng gefaßt“ (Ott 1929, S. 105 f.): Als „mittelbar“ galten ihnen zufolge
lediglich die Kommunalkredite einer sich selbst im Ausland refinanzierenden Bank (oben, Fn. 16).
57
Form, in der die private sie erhalten hatte: auf kurze Frist, gegebenenfalls sogar in fremder Währung32. Somit lasteten in der Tat alle Risiken auf ihr, das
Bonitätsrisiko ohnehin, obendrein das Währungs- und das Liquiditätsrisiko.
Die Privatbank war, sofern sich ein öffentliches Institut zu solchen Praktiken
bereitfand, mit einem Schlage aller Sorgen ledig. Die beiden wesentlichen
Momente, die sie von einer unmittelbaren Kreditgewährung an Kommunen
hatten absehen lassen, waren hier, im Falle der mittelbaren, absent.
Darstellung 4: Risikoabwälzung im „vermittelten“
Kommunalkreditgeschäft privater Banken
Privatbank
Seltener:
Direktkredit
Sicht- und
Termineinlage
Liquiditätsrisiko
(Fristeninkongruenz)
Währungsrisiko
Bonitätsrisiko
Akzept
Indossament
Öffentliche Bank
De jure kurzfristiger,
de facto langfristiger
Kredit
Kommune
Wohlgemerkt, dieses Konstrukt ergab sich keineswegs zufällig. Die diesbezüglichen Geld- und Kapitalströme wurden - wenigstens in Teilen - bewußt
gesteuert. Die Privaten waren dann über die Weiterleitung der Gelder an die
Kommunen im Bilde. Bisweilen überließen sie ihren öffentlichen Partnern
auch Gelder mit der expliziten Vorgabe, diese nach Erhalt sogleich an eine
32
Zum Beispiel der Rheinischen Landesbank: Revisionsbericht der ZRS per 30.06.1931, Anl. 1,
LVR, NL Horion, Nr. 134, o.P.; zu dem der Provinzialbank Oberschlesien: siehe Fn. 51.
58
bestimmte Kämmerei weiterzureichen33. Aber nicht nur das. Mancherorts gingen sie noch einen Schritt weiter. Insoweit sie, selten genug, selbst und direkt
Kredite an Kommunen vergaben, ließen sie sich ihre Engagements durch Ziehungen einer Landesbank untermauern. So wenigstens im Adenauerschen
Köln geschehen. Die dortige Filiale der Deutschen Bank sicherte ihre Kredite
an die Stadt durch Ziehungen der örtlichen Landesbank34. Aus der Tatsache,
daß ihnen das öffentliche Kreditinstitut als Instrument zur Risikoabwälzung
bzw. zur Risikosozialisierung diente, machten sie mithin überhaupt kein Hehl.
Vermutlich war dieser Risikoabwälzungseffekt auch der letztlich entscheidende hinsichtlich des Ausmaßes, in der die beschriebene Methode in den ausgehenden Zwanzigern angewandt wurde. Ohne die Zwischenschaltung einer öffentlichen Bank hätten die Privaten wohl von erheblichen Teilen des dergestalt
mittelbar betretenen, kommunalen Geschäftsfeldes gänzlich abgelassen (darauf
deutet nicht nur ihr kaum existentes unmittelbares Kommunalkreditgeschäft,
sondern auch die auffallend niedrige Verschuldung solcher Gemeinden hin,
deren öffentliche Hausbanken sich nicht zu solchen Praktiken hinreißen ließen35), ein in Anbetracht der betreffenden Volumina nicht unerheblicher Verzicht.
Wer seinerzeit zu alledem den Anstoß gegeben hatte, wer bei alledem die
treibende Kraft verkörperte, dürfte schwerlich zu klären sein. Die Repräsentanten der Kommunen waren es wohl lediglich insofern, als sie in jenen Jahren
einen drängenden und augenscheinlich unstillbaren Kredithunger an den Tag
legten36. Ihr Bedarf verkörperte das Problem, das einer Lösung, die desolate
Lage des innerdeutschen Kapitalmarktes und der spezifische rechtliche Rahmen kommunaler Kreditaufnahme bildeten die gewandelte Umwelt, die einer
33
So geschehen bei Millionen-Krediten der Deutschen Bank (Schr. Konrad Adenauers an den
Generaldirektor der LBR Hubert Bel vom 30.11.1929, SAK, Abt. 902, Nr. 207, Fasz. 2, F. 771; ferner: Schr. der Deutschen Bank an die Landesbank vom 29.01.1931 und vom 10.03.1931, zit. im
Schr. des Oberpräsidenten der Rheinprovinz an den Preußischen Innenminister vom 04.06.1932,
Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam, 31.01, Reichswirtschaftsministerium, Nr. 16746, F. 7)
34 Mitte 1931 „sicherte“ die Deutsche Bank auf diesem Wege 37,2 Mio. RM ihrer eigenen, direkt
ausgereichten Kommunalkredite. Die Landesbank verbuchte die Beträge dabei nicht als eigene Ziehungen, wie es korrekt gewesen wäre, sondern als „Indossamentsverbindlichkeiten aus sonstigen
Rediskontierungen“, welche in ihren in den Geschäftsberichten veröffentlichten Bilanzen dann gar
nicht aufgeführt wurden (Revisionsbericht der ZRS per 30.06.1931, F. 8 f., LVR, NL Horion, Nr.
134, o.P.).
35 Siehe unten, Darstellung 5, Fn. 46.
36 Zeitgenossen sprachen von einem „horror vacui des Entschuldungszustandes“ (Wagemann,
Ernst: Zinshöhe und Kapitalverteilung in Deutschland seit 1924, in: Harms, Bernhard (Hrsg.): Kapital und Kapitalismus, Bd. 1, Berlin 1931, S. 356-373, hier: S. S. 360).
59
„kreativen“ Anpassung geharrt hatte. Sofern die „Kreativität“ in unserem Falle
irgendwo lokalisiert werden kann, dann wohl am ehesten bei den kreditgebenden Protagonisten. Es entwickelte sich augenscheinlich eine nicht nur stillschweigende Interessenkoalition zwischen den je involvierten Privatbanken
einerseits und den öffentlichen Banken andererseits. Die letzteren konnten
durch die Einschaltung der privaten Häuser vergleichsweise problemlos ausländische Gelder akquirieren und, ihre eigentliche Zielsetzung, durch deren
Weiterleitung an ihre kommunalen Kunden ihre diesbezüglich marktbeherrschende Stellung behaupten. Den Kreditbanken bot sich ein die rechtlichen
Probleme umgehender und obendrein risikoloser Weg ins Gemeindekreditgeschäft. Sie konnten nunmehr, wie dargelegt, daran partizipieren, ohne die ihm
üblicherweise innewohnenden Risiken tragen zu müssen. Diese übernahm ihr
öffentlich-rechtlicher Geschäftspartner. Und daß für dessen Verbindlichkeiten
der jeweilige Gewährträger haftete, das stand außer Frage37.
In der Tat, letztlich verkörperten die beteiligten Privatbanken die wahren
Nutznießer des Verfahrens. Zwar hatten sie aufgrund der Einschaltung eines
„Mittlers“ einen gewissen „Zinsabschlag“ hinzunehmen. Ihre Zinsspanne verminderte sich um die - nun der öffentlichen Bank zufallende - Spanne zwischen Interbanken- und Kommunalkredit. Der Abschlag fiel indes ungleich
geringer aus, als ein wie auch immer gearteter Risikoabschlag hätte ausfallen
müssen38. Angesichts dessen, daß sie ihren Partnern sämtliche Risiken aufbürdeten, erscheint er sogar ganz erstaunlich niedrig. Später, in der Bankenkrise,
sollte er sich jedenfalls mehr als „bezahlt machen“. Die direkten Gläubiger
zahlungsunfähiger Gemeinden, und derer gab es bekanntlich nicht wenige,
sollten dann erhebliche Verluste verzeichnen39. Dies betraf, notabene, alle
37
Exemplarisch wiederum die Landesbank der Rheinprovinz. Sie wurde auf Rechnung des Provinzialverbandes der Rheinprovinz „geführt“ und „verwaltet“, d.h. letzterem standen Anteile an den erhofften Gewinnen des Institutes zu, ihm oblag aber zugleich die Gewährleistung für mögliche, selbstverständlich nicht erwartete Minus-Geschäfte (§ 2 der Satzung der Landesbank der Rheinprovinz
von 1923, abgedruckt in: Amtsblatt der Regierung zu Düsseldorf 1923, Stück 50, S. 498-502).
38 Die Landesbank stellte ihren kommunalen Kunden Ende 1930 für Dreimonatsgelder einen Zinssatz von 8,5 % in Rechnung, legte sie die Mittel statt dessen bei anderen Kreditinstituten an, erhielt
sie damals zwischen 6,5 und 7,75 % (Revisionsbericht Ziches per 31.12.1930, F. 4 und 9, GSA,
PIMin., Rep. 77, Tit. 1130, Nr. 9, Beih. VI, Bd. 1, o.P.).
39 Sie erhielten zwar an Stelle ihrer eingefrorenen Forderungen Obligationen des eigens hierfür geschaffenen Umschuldungsverbandes deutscher Gemeinden e.V. - zum Nennwert („Gesetz über die
Umwandlung kurzfristiger Inlandsschulden der Gemeinden“ vom 21. September 1933, RGBl. 1933
I, S. 647). Nach ihrer Emission notierten die Papiere indes unter pari, zu ca. 80 %. Die Gläubiger
verloren de facto ein Fünftel ihrer Forderungen. Zu diesem Verlust gesellten sich weitere. Sie hatten
nämlich bis zu jener Umschuldungsaktion weder Zins noch Tilgung erhalten, geschweige denn auf
60
Banken, die sich im „unmittelbaren“ Kommunalkreditgeschäft engagiert hatten, auch die privaten. Nicht betraf es aber jene Banken, die in der Sphäre der
„mittelbaren“ Kreditgewährung verblieben waren. Sie erhielten ihre Forderungen an die je involvierte „Mittlerbank“ in voller Höhe zurückerstattet40. Die
von ihnen praktizierte Technik erwies sich mithin für sie, für die betreffenden
privaten Kreditbanken, als wirklicher Glücksgriff.
Sie bescherte ihnen überdies dort, wo sie in nennenswertem Umfang realisiert werden konnte, wo sich also, wie eben in der Rheinprovinz, eine willige
Landesbank fand, neben dem unmittelbaren, materiellen auch anderen Nutzen.
Indem sich die letztere in zunehmendem Ausmaß bei ihnen kurzfristig verschuldete, begab sie sich zum einem Gutteil ihrer Unabhängigkeit. Die Möglichkeit, jederzeit beispielsweise mehr als ein Fünftel des Kapitales der Rheinischen Landesbank abrufen zu können, garantierte den Herren Wassermann41
& Co. deren Willfährigkeit. Daß just diese Landesbank sich samt und sonders
aus den Geschäftsfeldern zurückzog, welche die Privatbanken für sich reklamierten, macht insofern ebensowenig Erstaunen wie ihr Engagement im Deutschen Sparkassen- und Giroverband. Dort verfochten die Rheinländer in
grundlegenden Fragen nämlich exakt die Positionen des privaten Bankgewerbes. Sie stritten konsequent für das „Arbeitsteilungs“-Konzept42, mühten sich
dementsprechend, ihre Schwesterinstitute zur Eliminierung des Privatkreditgeschäftes zu bewegen43, ja, sie plädierten sogar dafür, daß der Sparkassensektor
sich aus dem bargeldlosen Giroverkehr zurückzöge44 (!).
die längst fälligen Gelder zurückgreifen können. Ergo hatten sie sich, um ihre eigenen Kapitalgeber
bedienen zu können, anderweitig liquide Mittel beschaffen müssen - zu hohen Kosten.
40 Vgl. das rheinische Beispiel: Vergleich zwischen der Landesbank der Rheinprovinz und ihren
Bankengäubigern vom 17.08.1931, BAP, 31.01, Nr. 18690, F. 67; Protokoll der Versammlung derselben am 25. Juli 1934, l.c., Nr. 18692, F. 393 ff.
41 Oscar Wassermann: 1923 bis 1933 Sprecher des Vorstandes der Deutschen Bank bzw. der Deutschen Bank und Disconto-Gesellschaft.
42 Sie mahnten, „alles zu unterlassen, was als gegenseitiger Einbruch in die angestammte Sphäre
gedeutet werden“ könne, und benannten in einer internen Denkschrift ganz offen das Motiv für ihr
Gebaren: „Die Landesbank steht mit den Grossbanken im Geldleihverkehr; z. Zt. [1928] haben wir
von ihnen rund 130 Millionen Mark, die wir den rheinischen Kommunen kurz- und längerfristig zur
Verfügung stellen konnten.“ Im Falle der Realisierung der „eines Tages auf offene Fehde hinauslaufenden Gedanken Eberles [des Begründers des Giroverkehrs im Sparkassensektor; A.F.] ... würden
uns die eben erwähnten Gelder entzogen ... werden“ (Bel, Stellung, S. 59).
43 Schr. Bels vom 24.12.1925, SAK, Abt. 902, Nr. 91, Fasz. 2, F. 331 ff., hier: F. 333. Mit der Aufgabe des Privatkreditgeschäfts entsprachen sie ganz und gar den Intentionen des privaten Bankgewerbes, nicht denen ihres eigenen Verbandes, des DSGV. Im Gegenteil, dessen Präsident Ernst
Kleiner hatte dringend gemahnt, das Privatkreditgeschäft beizubehalten, „denn, wenn die Girozentralen nur ausschließlich und einseitig sich auf dem Gebiet des Kommunalkredits betätigen wollten,
61
Es bleibt festzuhalten: Das Engagement privater Banken in der Kreditierung von Gemeinden und Gemeindeverbänden war höher, als bislang angenommen. Es beschränkte sich keineswegs auf die in der Tat niedrige unmittelbare Kreditgewährung an Kommunen. Statt dessen erstreckte es sich in erheblichem Umfang auf die neu kreierte Variante eines „mittelbaren“ Gemeindekredits. Letzterer unterschied sich vom klassischen Kommunalkreditgeschäft
durch die Zwischenschaltung eines öffentlichen Bankhauses, durch dessen
Bücher sich nun der Mittelstrom in die städtischen Kassen ergoß. Als Kreditgeber der betreffenden Gemeinden trat folglich ausschließlich das öffentlichrechtliche Institut in Erscheinung. Demgemäß schulterte es allein die hohen,
mit dem Kommunalkreditgeschäft jener Jahre verbunden Risiken, vom Bonitäts- über das Währungs- bis hin zum Liquditätsrisiko. Die Technik der „mittelbaren“ Kreditgewährung war nichts anderes als eine simple, aber wirkungsvolle Antwort auf die überaus diffizile Situation jener Jahre. Vermeintlich
diente sie allen beteiligten Protagonisten, Kämmerern, denen dergestalt neue,
ausländische Mittel erschlossen wurden, Landesbanken, die ihre marktbeherrschende Position im Kommunalkreditgeschäft behaupten konnten, und Privatbanken, welche nun ebenfalls, wenngleich, wie mehrfach betont, „mittelbar“,
am Kommunalkreditgeschäft partizipieren konnten. In Wirklichkeit erwiesen
sich, wie schon angedeutet, allein die letzteren als Nutznießer.
Den Gemeinden wurde ihre - nicht zuletzt aufgrund dieser Praktiken überhaupt erst realisierbar gewordene - Überschuldung zum Verhängnis. Der
Schuldendienst sollte ihnen in der Wirtschaftskrise ihr finanzielles Rückgrat
brechen. Das zeigt insbesondere der Vergleich solcher Regionen, in denen die
beschriebene Variante besonders ausgiebig praktiziert wurde, mit anderen, in
denen sie nicht oder nur in geringem Umfang zum Tragen kam. Die Landesbank der Rheinprovinz dürfte, wie erwähnt, das eine Ende der Skala verkörpern, die Mitteldeutsche Landesbank das andere. Sie, die Mitteldeutsche, sah
von solchen Praktiken nämlich gänzlich ab45. Dementsprechend zurückhaltend
wären sie ... leicht der Gefahr einer Illiquidität ausgesetzt“ (Kleiner, Ernst: Das Problem der Kreditverteilung, in: Sparkasse 45 (1925), Nr. 12/13, 09.07.1925, S. 215-221, hier: S. 218)!
44 Memorandum der Generaldirektoren der Rheinischen Landesbank, Hubert Bel und August Bernegau vom 22.11.1928, LVR, NL Horion, Nr. 128, o.P.
45 Die Mitteldeutsche Landesbank (re-)finanzierte sich bewußt nicht mittels kurzfristiger oder gar
auf fremde Währung lautender Gelder privater Banken. Ende 1930 standen ihren 196,6 Mio. RM
langfristigen Ausleihungen 147,5 Mio. RM eigene und Sammelobligationen, 27,3 Mio. RM sonstige
langfristigen Fremdkapitalien, ein Eigenkapital von 15 Mio. RM und offene Reserven in Höhe von
7,7 Mio. RM (sowie ein Reingewinn von 1,3 Mio. RM) gegenüber (Geschäftsbericht der Mitteldeutschen Landesbank 1930, S. 20 f.). Sie hatte ihre Ausleihungen dergestalt auf das solide refinanzier-
62
Darstellung 5: Die Neuverschuldung der größten städtischen Kunden der
Rheinischen und der Mitteldeutschen Landesbank Ende 1931 (RM pro EW)46
297,4
300
250
Mitteldeutschland
Rheinland
200
159,94
150
100,99
100
50
13,1
0
Gesamt
Kurzfristig
Errechnet auf Basis der Daten in: Deutscher Städtetag (Hrsg.):
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 27 (1932), S. 426-429.
agierten dort die privaten Banken. Als direkte Kreditgeber wollten sie sich
schließlich aus den genannten Gründen nicht exponieren. Den mitteldeutschen
Kommunen blieb infolgedessen der Zugriff auf die (vornehmlich ausländi-
bare Maß limitiert und von einer Expansion per „mittelbarem“ Kommunalkredit, welche ihr Rheinisches Pendant realisiert hatte und die auch ihr möglich gewesen wäre, abgesehen.
46 Es handelt sich dabei um die seit 1924 via Kreditmarkt im Inland oder im Ausland aufgenommenen Schulden (inclus. aller Schuldverschreibungen) pro Einwohner. Die kurzfristige pro-KopfVerschuldung der mitteldeutschen Städte unterschritt die der rheinischen demnach um nicht weniger
als neun Zehntel, ihre gesamte lag immerhin um die Hälfte niedriger. In Anbetracht dessen, daß die
Kreditnachfrage in Mitteldeutschland derjenigen im Westen keineswegs nachstand (Verm. des Thüringischen Ministeriums für Inneres und Wirtschaft vom 05.12.1929, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Thüringisches Ministerium für Inneres und Wirtschaft, Abt. D/3.4, Nr. 2227-2, F.
261), das Verschuldungsvolumen ergo maßgeblich von der Vergabepolitik der Banken beeinflußt
wurde, dürfte jene Differenz in der Tat das Maß bezeichnen, in dem der „mittelbare“ Kommunalkredit zum Tragen kam bzw., in Mitteldeutschland, zum Tragen gekommen wäre, so sich die
Mitteldeutsche Landesbank zu einem „Mittlerdasein“ bereitgefunden hätte. Da sich die letztere aber
wie gesagt einer solchen Politik verweigerte und die Aktienbanken ganz offenkundig nicht bereit
waren, sich - ohne Zwischenschaltung eines öffentlich-rechtlichen Risikoträgers - direkt zu engagieren, wurde die Kreditnachfrage der dortigen Kämmerer nicht bzw. nur „unzureichend“ befriedigt.
63
schen) Fonds, den ihnen eine willige Landesbank in Kooperation mit den Privaten durchaus hätte ermöglichen können, verwehrt. Ihre Neuverschuldung
blieb auf das Maß beschränkt, das ihnen der „reguläre“ Kapitalmarkt offerierte. Die diesbezüglichen Zahlen sprechen für sich. Ihre Pro-Kopf-Verschuldung
rangierte weit unter dem Reichsdurchschnitt und eklatant unter dem westdeutschen (Darstellung 5). Um ihre Haushaltslage sollte es dementsprechend in
den Krisenjahren vergleichsweise gut stehen47, ungeachtet dessen, daß die Depression sie nicht minder stark traf als z.B. ihre westdeutschen Pendants48.
Der interregionale Vergleich führt ein weiteres vor Augen: Daß das Ausmaß, in der jene Variante umgesetzt wurde, eben nicht nur Konsequenzen für
die betreffenden Städte zeitigte, sondern zunächst und vor allem für die je involvierte öffentliche Bank. Der letzteren wurde es nämlich gleich doppelt zum
Verhängnis, wenn sie sich dazu hatte verleiten lassen, an ihre städtischen Kunden in großem Umfang Interbankengelder weiterzuleiten. Zunächst, als die
privaten „Partner“ im Sommer 1931 plötzlich ihre ja in der Tat kurzfristigen
Einlagen zurückverlangten, die Städte aber naturgemäß nicht tilgen konnten49.
Hier rächte sich also die Übernahme des Liquiditätsrisikos. Sodann, als die
nicht zuletzt wegen des „Mittlergebarens“ ihrer Landesbank überschuldeten
Städte nicht mehr nur ihre fälligen Kredite nicht tilgen, sondern sie obendrein
nicht einmal mehr verzinsen konnten50. Jetzt rächte sich die Übernahme des
47
Der Schuldendienst verschlang in den mitteldeutschen Städten 24 % der Steuereinnahmen, in
den westdeutschen 42 %, der kumulierte Fehlbetrag belief sich auf derer 8 % resp. 46 % (errechnet
auf Basis der Daten in: Deutscher Städtetag (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 27
(1932), S. 426-429, 28 (1933), S. 4 f., 29 (1934), S. 222-226, 241 f.; ferner die in Fn. 18 genannten
Quellen).
48 Werner, Kurt: Die deutschen Wirtschaftsgebiete in der Krise. Statistische Studie zur regional
vergleichenden Konjunkturbetrachtung, Jena 1932, S. 44; ferner: S. 33 ff., 41-47. Die städtischen
Haushaltsdaten unterstreichen dies. Der Zuschußbedarf des Fürsorgeetats fiel im Westen, bezogen
auf die Steuereinnahmen, mit 54,5 % niedriger aus als in der Mitte Deutschlands: 57,5 % (Fn. 47).
49 Fischer, Albert: Der Kollaps vor dem Kollaps. Zwei Akzentverschiebungen in Sachen Bankenkrise, erscheint 1999 in: Bankhistorisches Archiv. Zeitschrift für Bankengeschichte.
50 Im letzten Quartal des Jahres 1932 sanken - im Fall der Rheinischen Landesbank - die Bareingänge auf die fälligen Zinsen auf ein prozentuales Minimum von 6 % (errechnet auf Basis der Daten
in: Schr. des Staatskommissars Hans Weltzien an Ministerialrat Sperl, PIMin., vom 14.01.1933,
GSA, PIMin., Rep. 77, Tit. 1130, Nr. 9, Beih. IV c, o.P.). Wiederum der Gegensatz zu Mitteldeutschland: Die dortigen, maßgeblich dank der vorsichtigen Politik der Mitteldeutschen Landesbank wesentlich niedriger verschuldeten Gemeinden entrichteten pünktlich Zins und Tilgung (Prot.
der Sitzung des Hauptausschusses der MLB am 08.02.1933 in Jena, Landeshauptarchiv SachsenAnhalt, Magdeburg, Rep. C 20 I b, Nr. 846, Bd. II, o.P.; Verm. des Oberpräsidenten der Provinz
Sachsen vom 12.12.1933, l.c., Nr. 848, Bd. 1, o.P.; Geschäftsbericht der MLB 1931, S. 9; 1932, S.
9; 1933, S. 7 ff.).
64
Bonitätsrisikos. Die Landesbanken in Oberschlesien und im Rheinland wurden
dergestalt in die Knie gezwungen51. Die nämliche Mitteldeutsche hingegen
überstand die Krise unversehrt. Weder geriet sie in den beschrieben Liquiditätsengpaß, noch wurde ihre Rentabilität durch kollabierende Städte in Mitleidenschaft gezogen52.
Mancher öffentlichen Bank war ergo ihre mittels ausländischer Gelder erfolgte Überdehnung des Kommunalkreditgeschäfts zum Verhängnis geworden.
Und: Sie hatte die im Gefolge des Kollapses bankrotter Kommunen eintretenden Verluste alleine zu tragen, der Preis für die Übernahme aller Risiken. Unbehelligt kamen lediglich die Privaten davon. Sie hatten, als Gläubiger nicht
der Kommunen, sondern der Landesbanken, keinerlei Verluste, allenfalls gewisse Verzögerungen zu erdulden. Sie hatten ihre Risiken rechtzeitig, will sagen: bereits im Ansatz sozialisiert53 - ganz im Gegensatz zu jenen Konkurrenten, die direkt, ohne die Zwischenschaltung einer Landesbank, Kredite an Gemeinden vergeben hatten. Schließlich hatten die Privaten dergestalt potentielle
öffentliche Konkurrenten in ihre Abhängigkeit gebracht. Nicht von ungefähr
war gerade im Einzugsgebiet jener Landesbank, welche sich am stärksten auf
die Variante der „mittelbaren“ Kommunalkreditgewährung eingelassen hatte,
die seitens der Privaten angestrebte „Arbeitsteilung“ doch noch Realität geworden. Das „mittelbare“ Kommunalkreditgeschäft privater Banken erwies
sich mithin als ein in jeder Hinsicht erfolgreiches Konzept.
51
Die erst seit dem 16. März 1926 bestehende Provinzialbank Oberschlesien war schon 1929 dem
„mittelbaren“ Kommunalkreditgeschäft der Kreditbanken zum Opfer gefallen. Im Revisionsbericht
des Preußischen Innenministeriums wurde unumwunden die „völlige Illiquidität der Bankanstalt“
konstatiert und auch deren Ursache benannt: Die Bank hatte „aus der Hereinnahme von Banken-Termingeldern die kurzfristigen Kommunalkredite gewährt“ (Revisionsbericht Ziches, per 31.12.1928,
F. 30 f., 34, BAP, 31.01, Nr. 16762, o.P.).
52 Kord-Ruwisch, Wilhelm: Die Liquiditätslage des öffentlichen Bankwesens, in: Plutus-Briefe
1932, Brief 11, S. 144-158, hier: S. 153. Die beiden Schlagzeilen der Deutschen Bergwerks-Zeitung
vom 18. März 1932 (Nr. 66), lauteten sinnigerweise: „Die Landesbank der Rheinprovinz wieder
festgefahren“ und: „Die Mitteldeutsche Landesbank von der Krise unberührt“.
53 Der Terminus „sozialisiert“ war hier im übrigen durchaus wörtlich zu nehmen, hatten die westdeutschen Steuerzahler doch ganz unmittelbar für die Verluste „ihrer“ Landesbank aufzukommen.
Das Preußische Innenministerium verfügte eine diesbezügliche Erhöhung der Provinzialumlage, die
sogenannte „Landesbankumlage“, welche entsprechende Erhöhungen von Kreisumlagen und Bürgersteuern nach sich zog (Erlaß des Preußischen Innenministers Severing an den Oberpräsidenten
der Rheinprovinz vom 22.10.1931, BAP, 31.01, Nr. 18690, F. 174). Die Abwicklung des „mittelbaren“ Kommunalkredits spiegelte sich mithin auf der Lohnsteuerkarte eines jeden Rheinländers wider.
65
Not only a case of risk socialisation The “indirect” granting of credit facilities to local authorities
by private banks after the currency reform
Summary
In the course of the bank crisis in 1931, in addition to the large joint-stock
banks, well-known Land (publicly owned) banks also collapsed. Whereas,
however, the former had got into trouble to a decisive extent because of a
questionable award of loans to trade and industry, the latters’ crisis had its
roots in the credit facilities granted to local authorities. The municipalities had
already been a rather doubtful clientele in the twenties and when they then
gradually became insolvent in the world economic crisis, they brought down
their financiers with them. The latter, so the prevalent teaching, did not include
private banks or only to a marginal extent and precisely therefore they remained unaffected by the bankruptcy of the cities. This present article proves
that this was only partly the case. The joint-stock banks had quite certainly
become involved in the granting of credit facilities to local authorities in the
previous years. But they had made use of a specific variant of this, that of “indirect” credit facilities for municipalities. They had lent the funds intended for
the local authority borrowers to a public bank, only the latter - as the official
lender - had then passed them on to the municipalities. The public-sector
banks were thus able to circumvent the statutory provisions which would have
strictly limited their granting of credit facilities to local authorities, the private
ones were able to pass on their banking policy risks to the former, i.e. ultimately to the tax payer. In regions in which such a policy was practised on a
large scale, the cities got themselves into undue debt. As a result, it was precisely there that they first became insolvent, and with them their public-law
financiers. By contrast, the private banks involved, being officially just the
creditors of the (public-sector) banks did indeed remain virtually unaffected,
but this not on account of their supposed abstinence, but rather on account of
their consistent limitation to this “indirect” granting of credit facilities to local
authorities.