Wandel und Kontinuität in der US-amerikanischen
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Wandel und Kontinuität in der US-amerikanischen
I. Faktoren erweiterter Sicherheit 1. Globalisierung und Weltprobleme Patrick Keller W andel und Kontinuität in der US-am erikanischen Außenpolitik Barack Obama wurde Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, weil er so überzeugend wie kein anderer Kandidat für eine Veränderung der amerikanischen Politik stand. Hope und Change waren die zentralen Begriffe seines Wahlkampfes, in dem er in die Rolle des Anti-Establishment-Kandidaten schlüpfte. Dies gelang ihm insbesondere durch eine markante Abgrenzung von den außenpolitischen Positionen seiner Konkurrenten Hillary Clinton und John McCain sowie denen des scheidenden Präsidenten George W. Bush. Dazu gehörte sein Versprechen, als Präsident ohne Vorbedingungen das direkte diplomatische Gespräch mit feindseligen Diktatoren wie Irans Mahmud Ahmadineschad und Venezuelas Hugo Chavez zu suchen und das umstrittene Gefangenenlager Guantanamo zu schließen.1 Kern seiner Glaubwürdigkeit als „Anti-Bush“ war seine frühe Ablehnung des Irak-Krieges und seine Forderung, diesen Krieg so bald wie möglich zu beenden.2 Hohe Erwartungen Die hohen Erwartungen an einen Wandel, die Obama erzeugte und von denen er wahlpolitisch profitierte, riefen im Laufe seiner Präsidentschaft jedoch linke wie rechte Kritiker auf den Plan, die Obamas Außen- und Sicherheitspolitik in großer Kontinuität zu der seines Vorgängers verorteten: Guantanamo wird auch im sechsten Jahr der Präsidentschaft Obamas genutzt; der sogenannte Drohnenkrieg im afghanischpakistanischen Grenzgebiet wurde sogar ausgeweitet; die Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen zu Gegnern wie Iran und schwierigen Partnern wie Russland sind gescheitert. Diese Mischung aus Kontinuität und Wandel ist typisch für die Außenpolitik amerikanischer Präsidenten. Sie ergibt sich aus der Spannung zwischen der individuellen 1 Vgl. Democratic Presidential Debate, 23. Juli 2007, unter http://edition.cnn.com/2007/POLITICS/07/23/debate.transcript/ 2 Obama war zum Zeitpunkt der Abstimmung über den Irak-Krieg allerdings noch nicht Senator in Washington und auch noch nicht Kandidat für einen landesweiten Posten. Seine Ablehnung hatte daher keine unmittelbaren Konsequenzen und er stand nicht unter solchem politischen Druck wie Clinton und andere aktive Senatoren. 1 Agenda der jeweiligen Regierung und den strukturellen Beharrungskräften sowohl des amerikanischen als auch des internationalen Systems. Ohne einen äußeren Katalysator (zum Beispiel die Aggression zwischen Großmächten oder die Terrorangriffe von 9/11) kommt es in der Außenpolitik nicht zu transformativen Präsidentschaften.3 Kontinuität und Wandel Doch wie genau lässt sich die Außenpolitik Obamas erfassen? Ist die Mischung aus Kontinuität und Wandel zufällig, also von unkontrollierten Ereignissen geprägt, oder ist sie das Ergebnis einer konsequent implementierten Strategie? Dieser Essay nähert sich diesen Fragen in drei Schritten: Zunächst werden die Rahmenbedingungen der Außenpolitik Obamas beleuchtet. Dann wird der Versuch unternommen, eine "ObamaDoktrin" zu skizzieren, also die Verschränkung von Prämissen zu benennen, welche das außenpolitische Handeln Obamas bestimmen. In einem dritten Schritt wird schließlich untersucht, was dies nun für die verbleibenden Jahre der Präsidentschaft Obamas – und damit auch für Deutschland – bedeutet. Zusammenarbeit: Afghane mit US-Soldaten in Lash-e Juwayn (Provinz Farah, Afghanistan). Photo: U.S. Navy/Josh Ives Rahmenbedingungen der US-amerikanischen Außenpolitik Mit zwei verfahrenen Kriegen – im Irak und in Afghanistan – sowie der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise hat Obama ein schwieriges Erbe angetreten. Allerdings hat auch er selbst zur Staatsverschuldung erheblich beigetragen: Seinen Konjunkturprogrammen in Gesamthöhe von über 1,8 Billionen US-Dollar und den Kosten seiner Gesundheitsreform von etwa einer weiteren Billion US-Dollar stehen nur 3 Für grundsätzliche Überlegungen zu Kontinuität und Wandel in der amerikanischen Außenpolitik vgl. Christian Hacke, Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von John F. Kennedy bis George W. Bush, München 2005, S. 22-76. 2 sehr geringe Sparmaßnahmen und Mehreinnahmen gegenüber.4 Hinzu kommt, dass die Generation der Baby-Boomer nun allmählich in den Ruhestand tritt – mit entsprechenden Folgen für die Rentenkasse. In der Summe beträgt das Haushaltsdefizit der USA im Jahr 2012 daher 1,3 Billionen US-Dollar, bei einem Schuldenberg von derzeit 15,2 Billionen US-Dollar (das entspricht annähernd 100 Prozent des BIP von geschätzten 15,6 Billionen US-Dollar für 2012). Kabinettsmitglieder beobachten Präsident Barack Obamas TV-Statement zum möglichen Government Shutdown. Photo: White House/David Lienemann Damit hat die Verschuldung eine Dimension erreicht, die die Handlungsfähigkeit des amerikanischen Staates, nicht zuletzt durch strategische Abhängigkeit von ausländischen Gläubigern, beeinträchtigt. Diese kritische Lage wird sich nur ändern lassen, indem bei den drei größten Haushaltsposten – Rente (1,4 Billionen US-Dollar), Gesundheit (908 Milliarden US-Dollar) und Verteidigung (700 Milliarden US-Dollar) – gespart wird. Über das richtige Verhältnis von Einsparungen und Steuererhöhungen wird im tief gespaltenen Kongress erbittert gestritten, bislang mit wenig Erfolg. Die haushalterische Überdehnung in Verbindung mit der Kriegsmüdigkeit nach jahrelangen, kostenreichen und im Ergebnis nicht eindeutigen Einsätzen zieht Obamas Außen- und Sicherheitspolitik enge Grenzen. Zwar sind die Unkenrufe von einem machtpolitischen Niedergang Amerikas (wieder einmal) verfehlt5, aber diese Rahmenbedingungen erzwingen einen stärkeren Fokus auf die Grundlagen der amerikanischen Außenpolitik, nämlich die innere Konsolidierung des Landes. In Abgrenzung zu den ehrgeizigen Projekten seiner Vorgänger George W. Bush und Bill 4 Siehe zu diesen und den folgenden Zahlen auch: Patrick Keller, Die neue Verteidigungsstrategie der USA und ihre Auswirkungen auf Europa, Mittler-Brief Nr. 2/2012. 5 Vgl. Robert J. Lieber, Power and Willpower in the American Future. Why the United States is Not Destined to Decline, New York 2012 und Michael Beckley, "China's Century? Why America's 3 Clinton zur Stabilisierung und zum Aufbau anderer Staaten erklärt Obama daher nation-building at home6 zur Priorität. Das führt zu einem Wandel der amerikanischen Außenpolitik, weil das Pendel von einer ambitionierten globalen Führungsrolle zurückschlägt zur Selbstbeschränkung. In Obamas Nationaler Sicherheitsstrategie ist daher von einem moment of transition 7 die Rede. Gemeint ist damit nicht zuletzt der oft konstatierte Wandel der internationalen Ordnung von einem unipolaren zu einem multipolaren System. Der Begriff spiegelt aber auch Obamas außenpolitische Überzeugung wieder, wonach Amerika nicht als exceptional nation 8 nach Vorherrschaft streben soll, sondern es auf multilaterale Diplomatie und die Stärkung internationaler Institutionen ankommt. Die Obama-Doktrin Barack Obama hat seine außenpolitische Gesamtstrategie nie griffig formuliert. Seine außenpolitischen Berater lehnen die Idee einer Doktrin ab, weil die Weltpolitik im 21. Jahrhundert zu komplex sei, um auf eine Formel verkürzt zu werden. Dennoch erfordert Außenpolitik gerade in unübersichtlichen Zeiten Orientierung, und aus den öffentlichen Dokumenten, den Reden des Präsidenten und dem Handeln der Regierung Obama lassen sich drei Prinzipien ableiten, die in ihrer Gesamtheit den Rahmen der gegenwärtigen amerikanischen Außenpolitik beschreiben: Erstens reduziert Obama das bestehende amerikanische militärische Engagement im Ausland. So hat er sein Wahlversprechen gehalten, den amerikanischen Krieg im Irak zu beenden, und auch den Abzug der US-Kampftruppen aus Afghanistan bis Ende 2014 beschlossen. Man kann darüber streiten, ob dies langfristig den Interessen der USA nützt und ob der Übergang klug gestaltet wurde. Es ist aber unzweifelhaft, dass diese Entscheidungen zumindest mittelfristig den amerikanischen Haushalt entlasten und Obama mehr innenpolitischen Handlungsspielraum geben – sie sind also eine direkte Antwort auf die oben beschriebenen Zwänge. Die Reduzierung des amerikanischen Engagements beschränkt sich im Übrigen nicht nur auf das Militärische. Auch die Edge Will Endure", International Security (Vol. 36, Nr. 3), Winter 2011/12, S. 41-78. 6 Barack Obama, "Remarks by the President on the Way Forward in Afghanistan", 22. Juni 2011, unter http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2011/06/22/remarks-president-way-forwardafghanistan 7 The White House, National Security Strategy, Mai 2010, S. i., unter http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_security_strategy.pdf 8 Vgl. James Kirchick, "Squanderer in Chief", Los Angeles Times, 28. April 2009. 4 ambitionierten Entwicklungshilfeprogramme der Regierung Bush, etwa zur Bekämpfung von HIV in Afrika, werden nicht fortgeführt. Zweitens vermeidet Obama neue kostspielige Verwicklungen in ausländische Krisen. Typisch war seine Zurückhaltung, zur Partei im Libyen-Krieg zu werden. Selbst nach Erteilung eines VN-Mandats zum militärischen Schutz der Bevölkerung vor den Truppen des Machthabers Muammar al-Gaddafi überließ Obama den NATO-Verbündeten Frankreich und Großbritannien die Federführung im Einsatz. Leading from behind9 wurde zum Schlagwort für diese ungewohnte Zurückhaltung der USA, die nur dadurch aufgeweicht wurde, dass die europäischen Verbündeten nicht in der Lage waren, den Einsatz ohne Unterstützung der amerikanischen Streitkräfte (zum Beispiel bei der Munitionsversorgung) durchzuführen. Die Politik der Zurückhaltung wiederholte sich angesichts der Krisen in Mali und Syrien. Generalleutnant Charles Bouchard, Kanadischer Commander der Operation Unified Protector, nannte die abgeschlossene Mission eine Erfolgsstory, sowohl für die NATO, als auch für Libyen. Foto: NATO/Marine Nationale Auffällig ist, dass militärisches Eingreifen unter Obama, so es denn überhaupt stattfindet, stets dem Prinzip der humanitären Intervention oder der internationalen Schutzverantwortung folgt und kaum mit kalkulierter Interessenpolitik begründet wird. Die stärksten Befürworter dieser liberalen Interventionspolitik sind Obamas ehemalige Außenministerin Hillary Clinton, die Professorin und ehemalige Leiterin des Planungsstabes im State Department, Anne-Marie Slaughter, Obamas neue Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice und ihre Nachfolgerin im Amt der VN-Botschafterin, Samantha Power. Sie sind es, die Obama zum Eingreifen drängen. Er selbst neigt eher 9 Ryan Lizza, "The Consequentialist. How the Arab Spring Remade Obama's Foreign Policy", The New Yorker, 2. Mai 2011. 5 zur militärischen Zurückhaltung, wie sein Tanz um die "roten Linien" im syrischen Bürgerkrieg verdeutlicht. Drittens bekämpft Obama Bedrohungen der amerikanischen Sicherheit mit großem Nachdruck – aber aus der Distanz. Obamas Außenpolitik ist nicht neo-isolationistisch oder naiv. Sie bevorzugt allerdings diskretere und weniger kostspielige Mittel gegenüber großangelegten Bodenoffensiven. Typische Beispiele dafür sind der massive Einsatz bewaffneter Drohnen zur gezielten Bekämpfung von Terroristen, insbesondere im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, und die Entwicklung und Verbreitung von Schadsoftware zur Sabotage des iranischen Nuklearprogramms. Beide Maßnahmen wurden schon unter George W. Bush eingeleitet, sind aber unter Obama erheblich ausgeweitet worden.10 Gerade im Kampf gegen den internationalen Terrorismus lässt Obama große Härte walten. So hat er die Operation befohlen, die zur Tötung Osama bin Ladens führte, am Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten und die weitreichenden Überwachungsprogramme der NSA angeordnet. Chinas Präsident Xi Jinping begrüßt US-Präsident Barack Obama auf dem G20 Treffen in St. Petersburg. Photo: White House/Pete Souza Auf anderen außenpolitischen Feldern dominiert jedoch der Eindruck der Selbstbeschränkung, wenn nicht sogar der Schwäche. So muss Obamas vielbeschworene "Politik der ausgestreckten Hand" als gescheitert angesehen werden: Die Beziehungen zu Russland, China, Iran und anderen problematischen Akteuren sind keineswegs besser als zu Beginn der Präsidentschaft Obamas. Im Gegensatz zum angekündigten "Neustart" der Beziehungen mit Russland scheint im Zuge der Snowden-Affäre und der 10 Siehe dazu ausführlich: David E. Sanger, Confront and Conceal. Obama's Secret Wars and Surprising Use of American Power, New York 2012. 6 Absage eines Gipfeltreffens durch Obama sowie der anhaltenden Uneinigkeit bezüglich des Syrien-Konflikts inzwischen ein neuer Tiefpunkt erreicht zu sein. Neuausrichtung: Blick nach Asien Auch ein anderer vielbesprochener Baustein der Außenpolitik der Regierung Obama, die Neuausrichtung nach Asien ("Asia Pivot")11, hat bislang kaum substantielle Wirkung entfaltet. So richtig die Einschätzung ist, dass die Region Asien-Pazifik an sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Bedeutung gewinnt, so wenig hat Obama die Ankündigung bislang mit Inhalten gefüllt.12 Zudem ist auch hier eher von Kontinuität als von Wandel zu sprechen, schließlich hat die Regierung Bush intensive Diplomatie in der Region betrieben und beispielsweise zu Japan, Australien und Indien ein besonders enges Verhältnis aufgebaut.13 US-Vizepräsident Joe Biden besucht Tara Gandhi Bhattacharjee, die ein Bild ihres Großvaters Mahatma Ghandi signiert. Photo: White House/David Lienemann 11 Vgl. Hillary Clinton, "America's Pacific Century", Foreign Policy, November 2011, S. 56-63 und Barack Obama's Defense Strategic Guidance ("Sustaining U.S. Global Leadership: Priorities for st 21 Century Defense") aus dem Januar 2012, unter http://www.defense.gov/news/defense_strategic_guidance.pdf 12 Zur mangelhaften Ausgestaltung des "Pivot" am Beispiel der Sicherheitspolitik siehe Charles Morrison, "The Asia Pivot in Theory and Practice", in Focus Quarterly (Vol. 7, Nr. 2), Sommer 2013, unter http://www.jewishpolicycenter.org/4406/asia-pivot 13 Vgl. Patrick Keller / Dustin Dehez, "Bush Got The Big Things Right. History Will Be Kind to the Forty-Third President", Weekly Standard, 16. Januar 2009, unter 7 Die große Lücke zwischen rhetorischem Anspruch und tatsächlich Erreichtem lässt sich auch bei anderen Initiativen Obamas konstatieren, zum Beispiel beim arabischisraelischen Friedensprozess oder der Kampagne zur Abschaffung aller Nuklearwaffen ("Global Zero"). In der Gesamtschau offenbart sich daher – mit der wichtigen Ausnahme der Terrorismusbekämpfung – ein Ungleichgewicht in der Obama-Doktrin: Während die Motive Rückzug und Zurückhaltung akzentuiert werden, kommen Führung und Gestaltungsanspruch zu kurz. Es bleibt strittig, ob dies allein eine Folge der haushalterischen und innenpolitischen Rahmenbedingungen ist, oder ob es das Ergebnis der politischen Überzeugungen des Nobelpreisträgers ist.14 US-General Martin E. Dempsey, (li.) Vorsitzender des Joint Chiefs of Staff, mit dem chinesischen General Fang Enghui, Chef des Generalstabes, in Peking. Photo: DOD/D. Myles Cullen Schlussfolgerungen für Deutschland und Europa Abgesehen von seiner harten Linie in der Bekämpfung des Terrorismus steht Obama für eine außenpolitische Trendwende in den USA, die durch militärische Zurückhaltung, liberalidealistische Rhetorik sowie geringeren und stärker priorisierten Einsatz von Ressourcen gekennzeichnet ist. In der Kombination lässt diese Politik Zweifel entstehen, inwieweit die USA auch in Zukunft ihre Rolle als globale Ordnungsmacht wahrnehmen können und wollen. Herausforderer und states of concern15 werden sich ermutigt fühlen, bestehende rote Linien auszutesten – mit gefährlichen Folgen für die Stabilität des liberalen internationalen Systems, von dem beipielsweise Deutschland als Exportnation mit seiner "Kultur der militärischen http://www.weeklystandard.com/Content/Public/Articles/000/000/016/014byqxz.asp?page=1 14 Ein ebenso starkes wie kritisches Argument für die letztere Sichtweise ist Elliott Abrams, "The Citizen of the World Presidency. And Why It's a Disaster", Commentary Magazine, September 2013, S. 12-20. 15 Den Begriff etablierte Außenministerin Madeleine Albright im Jahr 2000 als Beschreibung für die bisher so genannten "Schurkenstaaten". 8 Zurückhaltung"16 überproportional profitiert. Vor diesem Hintergrund drängen sich drei Schlussfolgerungen zur Bedeutung der Außenpolitik Obamas für Deutschland und Europa auf. Vitale Transatlantische Partnerschaft Obama ist kein instinktiver Transatlantiker, der in Europa geradezu reflexhaft den naheliegendsten und nützlichsten Partner für Amerikas Politik sieht. Das unterscheidet ihn von seinem Außenminister John Kerry und anderen Figuren des amerikanischen außenpolitischen Establishments, deren Weltbild durch den Kalten Krieg geprägt wurde. Damit repräsentiert Obama ein neues Zeitalter, in dem Verbündete nicht nur aufgrund gemeinsamer Erfahrungen und Werte ausgesucht werden, sondern vor allem ihre Nützlichkeit beweisen müssen. Zugleich kann auf europäischer Seite kein Zweifel daran bestehen, dass das Bündnis mit den USA immer noch von existentieller Bedeutung für Zusammenhalt und Sicherheit auf dem Kontinent ist. Gerade in Mittel- und Osteuropa wird die Schutzgarantie der USA weiterhin als maßgebliche Versicherung gegen Krieg und Knechtschaft gesehen. Deswegen ist es wichtig, dass die Europäer den USA deutlich machen, welch großen Nutzen beide Seiten aus einer vitalen Partnerschaft ziehen. Das ist so herausfordernd nicht, schließlich erfahren die USA gerade in diesen Tagen, wie schwierig es ist, anderswo in der Welt effektive, verlässliche und dauerhafte Partner zu finden. Eine lebendige transatlantische Partnerschaft geht weit über enge sicherheitspolitische Kooperation hinaus. Daher ist auch das Projekt einer transatlantischen Freihandelszone von solch überragender politischer Bedeutung. Pressekonferenz des USVerteidigungsministers Robert M. Gates im Juni 2011 in Brüssel. Photo: Nato Multimedia 16 Guido Westerwelle im Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, 30. März 2012, unter http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Interviews/2012/120330BM_WAZ.html 9 Allerdings wird die Partnerschaft ohne eine gerechtere Lastenteilung im militärischen Bereich auch nicht funktionieren. In seiner Abschiedsrede in Brüssel hat Obamas Verteidigungsminister Robert Gates den Europäern sehr deutlich gemacht, dass Sparzwänge und neue geopolitische Prioritäten den Willen der amerikanischen Politik untergraben, weiterhin übermäßig Ressourcen für die Sicherheit Europas bereitzustellen. In der Tat ist es kaum vermittelbar, dass die USA derzeit ca. 75 Prozent des NATO-Budgets bestreiten, während es im Kalten Krieg nur durchschnittlich 50 Prozent waren.17 Europa muss finanziell, politisch und militärisch mehr Verantwortung übernehmen, wenn verhindert werden soll, dass die Amerikaner den transatlantic bargain schleichend aufkündigen. Europa muss selbst für Stabilität sorgen Die Staaten Europas werden zumindest in ihrer Nachbarschaft häufiger selbst für Stabilität sorgen müssen, ohne sich hinter der amerikanischen Führungsrolle verstecken zu können. Es ist eine der Lehren aus dem Libyen-Konflikt, dass aus der Selbstbeschränkung und proklamierten neuen Prioritätensetzung der USA eine Art geographische Arbeitsteilung erwächst. Europa muss sich darauf einstellen, im Mittelmeerraum, aber auch anderswo an seiner Peripherie, zum Beispiel im Kaukasus, handeln zu müssen, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln. Das erfordert sowohl eine verbesserte politische Koordination innerhalb der EU als auch wirksamere militärische Fähigkeiten auf Seiten der einzelnen europäischen Staaten. Nur in äußerster Not oder sofern amerikanische Interessen direkt betroffen sind, kann Europa fest mit der militärischen Unterstützung der USA rechnen. Angesichts der Prognosen einer schwindenden Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von den Energieimporten aus dem Nahen und Mittleren Osten – vor allem aufgrund von Fracking – ist allerdings davon auszugehen, dass Konflikte in der Region amerikanische Interessen seltener berühren werden. Europas eigene strategische Haltung Um dieser neuen Situation gerecht werden zu können, muss Europa eine eigene strategische Haltung zu den weltpolitischen Problemen entwickeln. Bislang ist das in einem zu geringem Maße der Fall. Insbesondere die Bundesrepublik, der aufgrund ihrer 17 Vgl. Robert M. Gates, "The Security and Defense Agenda (Future of NATO)", Rede in Brüssel, Belgien, 10. Juni 2011, unter http://www.defense.gov/speeches/speech.aspx?speechid=1581. 10 Größe, Wirtschaftskraft und geographischen Lage dabei eine herausgehobene Verantwortung zukommt, hat bislang nicht ausreichend erkennen lassen, wie sie die strategischen Herausforderungen bewältigen will. o Wie soll Europa mit dem verwelkenden Arabischen Frühling umgehen? o Welche Rolle soll Europa in der weltpolitischen Schlüsselregion Asien-Pazifik, jenseits seiner Handelsinteressen, spielen? o Wie sieht gegenüber dem schwierigen Partner Russland die richtige Mischung aus Einbindung und Abgrenzung aus? Solche Fragen sind nicht aus der Tagespolitik heraus zu beantworten, sondern bedürfen eines tiefschürfenden Abwägungsprozesses, aus dem dann klare Positionen und konkretes Handeln erwachsen. Es liegt auf der Hand, dass dies auch eine Stärkung der außenpolitischen Instrumente der Europäischen Union – also zunächst eine engere Abstimmung ihrer Mitglieder untereinander – verlangt. Im Zeitalter der globalen Machtverschiebung und Machtdiffusion, also sowohl der veränderten Verteilung von Macht zwischen Staaten als auch des zunehmenden Einflusses nicht-staatlicher Akteure, werden die Europäer ihre Interessen und Werte nur durchsetzen und schützen können, wenn sie diesen Aufgaben geschlossener und mit mehr Ernsthaftigkeit begegnen.18 Denn ungeachtet der ständigen Spannung zwischen Kontinuität und Wandel in der amerikanischen Außenpolitik werden die hier skizzierten Herausforderungen an die europäische Außenpolitik auf absehbare Zeit bestehen bleiben.1 9 Autor Dr. Patrick Keller, Jahrgang 1978, ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Zuvor war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politik und Zeitgeschichte sowie am Nordamerikastudienprogramm der Universität Bonn tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der USamerikanischen Außenpolitik und internationaler wie transatlantischer Sicherheitspolitik. 18 19 Vgl. Joseph S. Nye, Jr., The Future of Power, New York 2011. Ich danke Stefan Krümpelmann für seine Unterstützung bei der Recherche für diesen Beitrag. 11 Hinweise https://dgap.org/de/think-tank/schwerpunkte/usa-transatlantische-beziehungen Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Schwerpunkt USA/Transatlantische Beziehungen http://www.swp-berlin.org/de/swp-themendossiers/die-usa-weltmacht-im-wandel.html Stiftung Wissenschaft und Politik, Themendossier Die USA: Weltmacht im Wandel 12