Chrismon
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Chrismon
Stimme der Stimmlosen Am 24. März 1980 ermordete ein Auftragskiller Erzbischof Oscar Romero in El Salvador. Auch 30 Jahre nach seinem Tod verehrt die arme Bevölkerung den Kirchenmann als Märtyrer und Heiligen c Text: Gaby Herzog Fotos: Martin Steffen 66 chrismon 03 . 2010 cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 66 12.02.2010 9:04:30 Uhr „Wer Jesus folgt, schafft Freiheit und erbaut das Reich“: die Worte des Erzbischofs klingen bis heute nach cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 67 12.02.2010 9:04:44 Uhr Gläubig: Estrella Sánchez wahrt Monseñors Andenken D ie Bilderrahmen sind selbst gebastelt. Estrella del Carmen Sánchez, 35, hat alte Kaugummipapierchen zu dünnen Streifen gefaltet, geknickt und zusammengesteckt. Für Antonios Foto hat sie die grünen Blättchen genommen, für Sandros die weißen und für Leons die gelben. „Hält alles ohne Kleber“, sagt sie und zieht ihr T-Shirt über den kleinen Babybauch. Ihr Cousin Antonio war 13, als er vor sieben Jahren in eine Schießerei geriet. Ihr Bruder Sandro starb mit 25 bei einer Messerstecherei, das war 2005. Und ihr 18-jähriger Sohn Leon ist seit zwei Jahren verschwunden. Er war irgendwie in einen Drogendeal verwickelt. Estrella Sánchez setzt sich an den wackeligen Küchentisch und bastelt einen neuen Rahmen. Dieser ist für das Foto eines Mannes bestimmt, dessen gewaltsamer Tod sich am 24. März zum 30. Mal jährt: schwarze Hornbrille, buschige Augenbrauen, leicht schiefes Kinn. Es ist Erzbischof Oscar Arnulfo Romero. In fast jeder Hütte des Armenviertels La Chacra in San Salvador hängt sein Konterfei. Mit groben Pinselstrichen ist es an viele Hauswände gemalt, neben das des Che Guevara in Kämpferpose. Überall im Land wird er verehrt, von Salvadorianern jeder Konfession. „Monseñor stand auf der Seite der Armen und Rechtlosen“, sagt Estrella Sánchez. „Er hat für uns gesprochen, er ist für uns gestorben. Deshalb werden wir ihn nie vergessen.“ Das Gefälle zwischen Arm und Reich ist in El Salvador noch heute sehr groß. Nur in Brasilien geht die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander. Infolge der Wirtschaftskrise ist die Armut wieder schlimmer geworden. Zyklon Ida verschärfte die Situation weiter. Im November 2009 fegte ein Ausläufer des Wirbelsturms über das Land und zerstörte in erster Linie die Armenviertel. Die Wellblechhütten, die an ungesicherten Hängen gebaut sind, wurden von den Wassermassen weggespült. Estrella reckt den Arm in die Höhe und zieht einen imaginären Strich über ihrem Kopf. „Das Wasser stand bis hier“, sagt sie und schaut einem jungen Mann nach, der zuckend über die Straße stolpert. Seine Nase ist verkrustet von Blut. „Das kommt von den Lösungsmitteln, die er schnüffelt“, erklärt sie. Auch am Kopf hat er eine Platzwunde. „Er ist der Punchingball für frustrierte Jugendliche aus unserem Viertel.“ Zerstört: das Viertel La Chacra nach dem Zyklon Ida Verwandt: Gaspar Romero, Bruder des Ermordeten Schon seit Wochen backt Estrella jeden Mittag die traditionellen Maisfladen. Abends werden sie mit Bohnenpaste gefüllt und heißen dann Pupusas. Es sind billige Sattmacher. Wenn ihr Bruder Paulo gelegentlich etwas anderes Essbares mitbringt, ist sie dankbar und fragt nicht, wie er ohne Geld einkaufen konnte. „Paulo ist ein Mara, ein Bandenmitglied“, sagt sie. Schon mehrmals hat die Polizei ihn festgenommen und einige Tage ohne Anklage in Haft genommen. „Er ist kein schlechter Mensch, er lebt nur in einem schlechten Land. – Wir brauchen einen Anführer, der die Massen auf seine Seite bringt und uns Mut macht, die Verhältnisse wirklich zu verändern.“ Einen wie Oscar Romero. 1977 wurde der damals 60-Jährige zum Erzbischof ernannt. In den drei Jahren, in denen er das Amt bekleidete, wandelte er sich von einem eher konservativen Kirchenmann zum Kämpfer für die Armen und zog den Zorn der Mächtigen auf sich. Er prangerte Ungerechtigkeit und Korruption an, benannte diejenigen, die sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatten, und verlangte im Namen Gottes, die Repressionen zu stoppen. In einem offenen Brief an den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter forderte er, die Militärhilfe an die Junta in El Salvador einzustellen, da mit den US-Waffen Massaker an Hunderten Unschuldiger begangen würden. Carter ignorierte den Appell. Am Ende seiner Predigten verlas Romero lange Listen mit den Namen von Menschen, die ermordet worden waren. Die Messe wurde jeden Sonntag im Kirchenradio übertragen. Mittwochs hatte er eine eigene Talksendung. Wer ein Rundfunkgerät besaß, stellte es ans Fenster und drehte auf volle Lautstärke. Je mehr die arme Bevölkerung ihn verehrte, je mehr die Ideen der Befreiungstheologen in der Kirche an Einfluss gewannen, desto mehr wuchs der Hass der Machthaber. „Sei ein Patriot – töte einen Priester“, solche Botschaften kursierten in dieser Zeit in rechtskonservativen Kreisen. „Er hat damit gerechnet, dass er sterben würde“, erinnert sich Gaspar Romero, Bruder des ermordeten Erzbischofs, heute 80 Jahre alt. „Wir haben oft darüber gesprochen. Am Anfang hatte er Angst vor dem Tod, hat mit dem Schicksal gehadert. Doch irgendwann war ihm klar, dass er seinen Weg gehen musste, und er wurde ganz ruhig. Seine einzige wirkliche Sorge war, dass man ihn entführen und foltern könnte.“ In den 68 chrismon 03 . 2010 cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 68 12.02.2010 9:04:56 Uhr Ort des Martyriums: Der Killer fuhr bis vor die geöffnete Tür der Kapelle des Krankenhauses „Göttliche Vorsehung“ und schoss cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 69 12.02.2010 9:05:37 Uhr Sanctuarium: Aurora Bárcenas zeigt seine Wohnung letzten Monaten seines Lebens schickte Oscar Romero seinen Fahrer weg. Er bestand darauf, sein Auto selbst zu fahren und unbewacht in seinem Haus zu schlafen. „Er wollte niemanden in Gefahr bringen.“ Eine Haltung, der er auch im Tod treu geblieben sei. Gaspar Romero wohnt nur wenige Minuten vom Hospital „Divina Providencia“ entfernt, wo sein Bruder zuletzt lebte. In der kleinen Krankenhauskapelle wurde der Erzbischof am 24. März 1980 ermordet. Ein Auftragskiller fuhr mit seinem Wagen bis vor das weit geöffnete Kirchenportal und zielte mit seinem Hochgeschwindigkeitsgewehr Kaliber 22. „Wir wussten, dass das passieren würde“, sagt Gaspar Romero noch einmal. „Monseñor auch. Sogar im Vatikan waren Morddrohungen gegen ihn eingetroffen.“ Oscar Romero habe seinen Mörder Sekunden vor dem Schuss gesehen und dennoch nicht versucht, sich zu schützen, heißt es. Er stand oben am Altar, habe nur den Kopf leicht nach hinten weggedreht. „Die Kirche war schließlich voll besetzt“, sagt Gaspar Romero. „Er wollte vermeiden, dass andere Menschen mit ihm sterben.“ An Romeros Beerdigung erinnert sich der Taxifahrer Alfonso Zapatero noch genau. Er war damals 30 Jahre alt und begleitete seine Großmutter zur Trauerfeier. Hunderttausende hatten sich vor der Kathedrale in der Hauptstadt eingefunden. Romeros Sarg war vor dem Hauptportal aufgebaut. „Immer mehr Menschen strömten auf den Platz. Es war wahnsinnig eng. Mir war, als würde ich Menschen sehen, die geduckt hinter der Balustrade auf den Dächern der umliegenden Gebäude hin und her liefen. Plötzlich wurde geschossen. Mitten in die Menge, Panik brach aus, alle rannten los.“ Doch die Militärs hatten die Zugangsstraßen abgeriegelt. Viele Menschen starben. „Für uns ist er ‚San Romero de las Américas‘“, sagt Zapatero und küsst seinen Schmuck mit dem Konterfei des Erzbischofs. Romeros Wohnhaus ist ein schlichtes Gebäude mit zwei kleinen Zimmern und einem Unterstand für den Toyota Corona, den er fuhr. Es liegt im Stadtteil Sisimiles am Fuße des Vulkans San Salvador. Heute ist es Museum und Pilgerstätte: ein Schaukelstuhl, ein Bett, eine Schreibmaschine, das Tonbandgerät, auf das er jeden Abend seine Erlebnisse und Eindrücke des Tages diktierte. Am Kleiderschrank lehnt der Reliquiar: blutiges Hemd und Albe vom Erzbischof Märtyrerakten: Fotos bezeugen die Morde an Jesuiten Hirtenstab, das Rasierzeug im Bad ist unberührt. Man habe seit dem 24. März 1980 so gut wie nichts verändert, sagt Aurora Bárcenas, eine grauhaarige gebückte Frau, die jeden Tag Besucher durchs Haus führt. Romero selbst habe seine Sachen so penibel aufgeräumt. In einer Glasvitrine im Wohnzimmer seines Hauses hängen die Kleider, die der katholische Kirchenmann am Tag seiner Ermordung trug. Die weiße Albe unter dem lilafarbenen Messgewand und das hellgraue Hemd sind vom Blut durchtränkt. Drastisch ist diese Art des Gedenkens, doch in El Salvador schreckt man vor grausigen Darstellungen nicht zurück. Wenige Stunden nach Romeros Ermordung stockten die USA aus Furcht vor der Ausbreitung des Kommunismus die Militärhilfe für El Salvador auf. Die fünf bis dahin getrennt operierenden Guerillabewegungen schlossen sich zusammen. Ein zwölfjähriger Bürgerkrieg begann, 70 000 Menschen wurden in dessen Verlauf getötet, ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Auch sechs Jesuiten der katholischen Universität UCA fielen den wütenden Militärs zum Opfer. Heute liegen in ihrem früheren Haus Fotos der Exekutierten aus. Die Nahaufnahmen zeigen zerfetzte Schädel, Stücke von Hirn auf dem Rasen, von Kugeln durchlöcherte Bücher und blutverkrustete Unterwäsche. Es ist ein Versuch, die Wahrheit möglichst objektiv und unmissverständlich zu dokumentieren – in einem Land, in dem es keine unabhängige Presse gibt. Konservative Gruppen steuern die Verlage, bis heute ist es für kritische Journalisten fast unmöglich, Artikel in den großen Tageszeitungen wie „El Diario de Hoy“ oder „La Prensa Grafica“ zu platzieren. Möglicherweise stumpft aber auch die Gewalt, die seit Jahrzehnten den Alltag in El Salvador prägt, die Menschen ab. Noch heute findet die Polizei Leichen mit zusammengebundenen Daumen – eine Fesselmethode der Todesschwadronen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Tutela Legal sind sie immer noch aktiv. Wer es sich leisten kann, versucht sich zu schützen. Vor der Pizzabude, dem Copyshop und vor jeder Apotheke stehen Sicherheitsmänner mit geschulterten Pumpguns. Selbst die Häuser der unteren Mittelschicht sind zu Stacheldrahtburgen ausgebaut. Polizei und Militär patrouillieren in den Straßen, machen rücksichtslos Jagd auf die Maras, jene 30 000 Jugendlichen, die sich 70 chrismon 03 . 2010 cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 70 12.02.2010 9:05:45 Uhr Wohnung des Heiligen: Erzbischof Romero hatte im Stadtteil Sisimiles zwei kleine Zimmer angemietet, dazu einen Carport cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 71 12.02.2010 9:06:24 Uhr Pater: „Ein Heiliger“, sagt Befreiungstheologe Sobrino zu den gefürchteten Banden zusammengeschlossen haben. In Brennpunkten wie La Chacra, wo sie zu Hause sind, fahren schon seit Jahrzehnten weder Busse noch Taxis. „Wir leben immer im Moment“, sagt Estrella Sánchez. „Ich weiß nie, ob ich abends wieder nach Hause komme.“ 5,7 Millionen Menschen leben in El Salvador, zwischen zwölf und 15 Menschen sterben jeden Tag eines gewaltsamen Todes. Die Mordrate ist mehr als 75-mal so hoch wie in Deutschland, es ist die höchste in ganz Lateinamerika. Nur jedes zehnte Kapitalverbrechen wird bei der Polizei angezeigt, nur jedes 25. überhaupt juristisch verfolgt. Die Justiz ist korrupt und finanziell wie personell schlecht ausgestattet. Auch Oscar Romeros Mörder wurden nie zur Verantwortung gezogen. Ein Major namens Roberto D’Aubuisson hatte den Mord in Auftrag gegeben. Der amerikanische Geheimdienst CIA hatte ihn ausgebildet. Weil er skrupellos gegen seine politischen Gegner vorging, hatte D’Aubuisson schon früh in El Salvador von sich reden gemacht. Von Priestern sprach er als von verkleideten Kommunisten. Schon wenige Monate nach der Tat wurde er gefasst, aber gleich wieder freigelassen. Anderthalb Jahre nach Romeros Tod gründete D’Aubuisson die rechtsgerichtete Partei ARENA, die von 1989 bis 2009 die Präsidenten des Landes stellte. Romeros Worte klingen bis heute nach. „Die Kirche würde ihre Liebe zu Gott und ihre Treue zum Evangelium verraten, wenn sie aufhörte, die Stimme der Stimmlosen zu sein“, hatte der Erzbischof gesagt. Und: „Jener Egoismus muss bekämpft werden, der sich in denen versteckt, die von ihrem Besitz nichts abgeben wollen, damit es für alle reicht.“ Den Soldaten rief er zu: „Kein Soldat ist gezwungen, einem Befehl zu folgen, der gegen das Gesetz Gottes verstößt.“ Heute verliert die katholische Kirche in El Salvador an Einfluss. 1978 waren über 80 Prozent der Einwohner katholisch, inzwischen sind es nur noch 50,5 Prozent. Noch immer kämpfen in ihren Gemeinden viele für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Doch die Pfingstkirchen haben großen Zulauf. Die katholische Befreiungstheologie werde oft noch mit Kommunismus gleichgesetzt, so erklärt sich Magdalena Holztrattner, El-Salvador-Expertin beim katholischen Hilfswerk Adveniat das Phänomen. Die US-Regierung unterstütze deshalb freikirchliche Votiv: Danktafeln für Romeros Hilfe an seinem Haus Ikone: Erzbischof mit Hornbrille und Heiligenschein Missionare. Außerdem erhofften sich während des Bürgerkriegs viele Christen Schutz in Pfingstkirchen, da diese nicht im Fokus der Mordkommandos standen. Industriell ist El Salvador das am weitesten entwickelte Land Zentralamerikas, der US-amerikanische Lebensstil mit Fastfoodketten und Einkaufspalästen hat hier Einzug gehalten. Aber der Reichtum ist ungleich verteilt. 40 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar am Tag. In die Regierung von Mauricio Funes, 50, setzen viele Salvadorianer nun große Hoffnungen. Mit dem neuen Präsidenten hat im März 2009 erstmals nach zwanzig Jahren die FMLN, die Partei der ehemaligen Guerilla, die Macht übernommen. Trotz massiver Einschüchterungsversuche der konservativen ARENA-Partei haben sich 51,3 Prozent der Wähler für Funes entschieden. Er stehe – ganz wie damals Oscar Romero – auf der Seite der Armen und Ausgeschlossenen, erklärte er noch in der Wahlnacht. Jetzt will Präsident Funes den Mord an Romero und andere Massaker untersuchen lassen. Dass der Papst Oscar Romero noch immer nicht heiliggesprochen habe, können viele arme El Salvadorianer nicht nachvollziehen. Sie protestieren auf ihre Art: In kaum einem Haushalt und nur in wenigen Kirchen hängt ein Foto des Pontifex aus Rom. „Es ist für jedermann ersichtlich, dass Oscar Romero ein Heiliger war“, sagt auch Jesuitenpater Jon Sobrino. Der 71-jährige Spanier lehrt an der Katholischen Universität UCA in San Salvador und zählt heute zu den bekanntesten Vertretern der Befreiungstheologie. „Papst Benedikt sagte, für die Heiligsprechung sei vielleicht noch nicht der richtige Zeitpunkt.“ Auf dem Regal neben Sobrinos Schreibtisch sind ein Kreuz und ein Foto von Romero zu sehen. In aller Welt werde Romero verehrt, sagt Sobrino und lächelt: „An der Westminster Abbey in London steht die Statue von Romero zwischen Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer. Im Kongo nennt man einen 1996 ermordeten Erzbischof den Romero von Afrika.“ Der US-amerikanische Globalisierungskritiker Noam Chomsky habe ein Foto von Romero in seinem Arbeitszimmer stehen. Er nenne ihn sein Vorbild und bezeichne ihn als Motivation für seinen Kampf. „Aus meiner Sicht ist auch das eine Art der Heiligsprechung.“ e 72 chrismon 03 . 2010 cp_S.66-72 Oskar Romero.indd 72 12.02.2010 9:06:35 Uhr