karneval in hannover
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karneval in hannover
s22-26.qxp 21.02.2014 11:34 Seite 22 K A R N E VA L I N H A N N OV E R Immer lustig Auch in Hannover wird Karneval gefeiert. Zwar nicht ganz so exzessiv wie in den Hochburgen am Rhein – aber durchaus ebenfalls lebhaft. Und manchmal auch ein wenig speziell. Eine Spurensuche von Sören Nolte. 22 S C H Ä D E L S P A LT E R s22-26.qxp 21.02.2014 11:34 Seite 23 Titel D ie Schaufenster der Fußgängerzone sind mit Brettern vernagelt, empfindliche Sehenswürdigkeiten der Altstadt verbarrikadiert, in weiten Teilen der City herrscht Glasflaschenverbot. Was nach Krisenstimmung klingt, ist im Grunde das genaue Gegenteil: Die alljährliche Vorbereitung auf die konzentrierte Ausgelassenheit des Kölner Karnevals. In Hannover sind die tollen Tage dagegen kein Anlass zum Ausnahmezustand. Dennoch sind immerhin zwischen 2.000 und 3.000 Hannoveraner in Karnevalsvereinen organisiert. Und es stellt sich die Frage: Hat die norddeutsche Art der Narretei eventuell eine ganz eigene Art, eine ganz eigene Seele? Versuchen wir uns der Angelegenheit einmal zu nähern – und besuchen an einem trüben Februarabend den Fritz-Haake-Saal im Freizeitheim Ricklingen, eine Räumlichkeit aus den 60er Jahren, die man ob ihrer ostalgischen Aura auch „Erich-Honecker-Halle“ nennen könnte. Hier hat die Karnevalsgesellschaft der „Lindener Narren“ zur „Premierenveranstaltung 2014“ geladen. Der Raum ist mit Ballons und Luftschlangen dekoriert, es riecht ein wenig nach Silvester, da vorne auf der Bühne in unregelmäßigen Abständen kleine Kanonen gezündet werden. An den biergedeckten Tischen direkt vor der Bühne versammelt sich lokale und überregionale Prominenz: Dirk Roßmann hat zwar am Folgetag einen seiner wiederkehrenden Termine bei Günther Jauch, ist aber als amtierender Gardeminister der „Lindener“ ein unverzichtbarer Ehrengast. Ebenfalls anwesend: Bundestagsvizepräsidentin Edelgard Bulmahn, Oberbürgermeister Stefan Schostok und Ex-Oberbürgermeisterkandidat Matthias Waldraff. Alle haben sich in Schale geschmissen. Denn anders als bei den rheinischen Karnevalsveranstaltungen verkleidet sich das Publikum in Hannover nicht; hier geht es festlicher zu. Selbst Martin „Raner“ Jürgensmann hat den obligatorischen Trainingsanzug zuhause geMÄRZ 2014 23 s22-26.qxp 21.02.2014 11:35 Seite 24 Nicht nur lustig, sondern auch sportlich - Gardemädchen bei der Prunksitzung der Karnevalsgemeinschaft “Eugenesen Alaaf” “Narren”-Ehrengäste - Edelgard Bulmahn und Dirk Roßmann lassen und erscheint mit Hemd und Krawatte. Lediglich ffn„Morgenmän“ Franky missachtet diese Konvention und kommt als: Müllmann. Wie eine orangefarbene Backbordboje dümpelt er nun weithin sichtbar im Publikum umher. Was Dietmar Wischmeyer hier verloren hat, bleibt hingegen ein wenig unklar. Schließlich hatte der Satiriker mit Blick auf den Kölner Karneval einst verlautbart, dass man sich ob der „grausamen Fröhlichkeit“ der dortigen Jecken mitunter doch sehr schnell zurücksehne „nach der heiteren Gelassenheit niedersächsischer Beerdigungen“. Wie dem auch sei: Es ist ein ganz besonderer Abend. Denn die „Lindener Narren“ ernennen heute Edelgard Bulmahn zur repräsentativen Gardeministerin – und Stefan Schostok zum offiziel24 Feierlich statt bunt - “Eugenesen”-Publikum ohne Kostüme Feierbiest - Oberbürgermeister Stefan Schostok muss kuscheln len Ehrensenator. Man könnte meinen, dass der OB diesen Titel sammelt wie andere Menschen Fußballbildchen. Denn drei Wo- chen zuvor hatte er in selbigem Saal schon vom Verein „Fidele Ricklinger“ die Ehrensenatorenwürde erhalten. Ina Tenz, Pro- grammdirektorin von ffn und Schostoks „Amtsvorgängerin“, nutzt das in ihrer Laudatio für einen kleinen Seitenhieb auf die Karnevals-Konkurrenz. In der Lobby erntet sie dafür später Kopfschütteln. Der stille Beobachter erkennt: Die hannoverschen Karnevalisten pflegen einen kollegialen Umgang, auch über die Vereinsgrenzen hinaus. Verbale Fouls gehören nicht dazu. Das ist insofern besonders bemerkenswert, als die „Lindener Narren“ eine gewisse Sonderstellung in der hiesigen Karnevalslandschaft einnehmen, nicht im „Komitee Hannoverscher Karneval“ organisiert sind (siehe Interview) und ein wenig ihr eigenes Ding machen. In der Vergangenheit knirschte es im Verhältnis zu den anderen Vereinen durchaus auch mal. Hier und heute gilt dagegen das kölsche Motto: „Levve un levve losse!“ Hauptsache: Karneval! Für Schostok selbst hat die doppelte Senatorenschaft natürlich den Vorteil, dass er die Rolle schon einmal üben konnte. Routiniert geht der versierte Redner in die Bütt und betont ebenfalls, dass ein fairer Umgang miteinander ungemein wichtig sei. Er bezieht sich dabei allerdings auf den letztjährigen Wahlkampf mit seinem Kontrahenten Waldraff, der daraufhin ein wenig gequält die Mundwinkel nach oben zieht. Spaß muss nun mal sein! Man sieht: Schostok fühlt sich pudelwohl auf der Bühne. Den anderen professionellen Possenreißern des Abends steht er jedenfalls in nichts nach. Locker aus der Hüfte schießt der Stadtvorstand den Witz vom Taxifahrer, den man gefragt habe, wo es in Hannover denn besonders schön sei: Der Taxifahrer habe auf Herrenhausen verwiesen – worauf der Fahrgast aber lieber dorthin gewollt habe, wo die Damen hausen. Prustendes Gelächter. Schenkelklopfen. Stimmung im Saal! Dietmar Wischmeyer macht derweil allerdings den Eindruck, dass er sich jetzt lieber die Live-Übertragung eines Angelwettbewerbs aus Bad Bederkesa anschauen würde. Szenenwechsel. Eine Woche später, Hangar No. 5, Prunksitzung der „Karnevalsgemeinschaft EuS C H Ä D E L S P A LT E R FOTOS: NOLTE (4) Titel s22-26.qxp 21.02.2014 11:35 Seite 25 genesen Alaaf“. Draußen umweht ein Frühjahrssturm die Mehrzweckhalle, drinnen knallt es auf der Bühne. Allerdings nicht durch abgefeuerte Geschütze – es sind die Füße der Gardemädchen, die im Takt krachend auf die Bühnenbretter donnern. Die Tänzerinnen der „Eugenesen“ – wie im Übrigen auch die der „Lindener Narren“ und aller anderen Karnevalsgesellschaften – strafen munter diejenigen Zyniker Lügen, die meinen, dass der einzige sportliche Aspekt des Karnevals das viel beschworene einarmige Reißen in der Halbliterklasse sei. Mehrmals in der Woche wird trainiert; das Ergebnis sind klassische Gardetänze und moderne Show-Aufführungen, deren anspruchsvolle Choreografien beeindruckend präzise getaktet sind. Step, Schwung, Sprung und – rumms! – ab in den Spagat. Kein Wunder, meint ein Zuschauer, dass so was KARNEVALS-GLOSSAR Uniformen und Gardekostüme: Spiegeln die Farben der Vereine wider und sind eine Persiflage auf die Militärkleidung der Franzosen und Preußen während des 19. Jahrhunderts Elferrat: Besteht i.d.R. aus elf bestimmten Würdenträgern eines Vereins und „überwacht“ auf der Bühne den Ablauf der Sitzungen. Der Name bezieht sich allerdings nicht auf die Zahl 11, sondern auf das Motto der Französischen Revolution: „Egalité, Liberté, Fraternité“ Prinz(enpaar): Repräsentiert als „närrischer Herrscher“ den Karneval Tanz- oder Funkenmariechen: Beziehen sich auf die Marketenderinnen der persiflierten Armeen; in der Regel die beste(n) Tänzerin(nen) der Gardemädchen Gardemädchen/Tanzgarden: Tanzgruppen der Vereine Büttenrede: Humoristische Rede, häufig aus einem fassähnlichen Pult („Bütt“) heraus vorgetragen Narrenruf: In der Stadt Hannover heißt es „Helau“, die hannoverschen Karnevalsvereine rufen allerdings „Alaaf“ – lediglich die „Leinespatzen“ rufen „Piep piep“ MÄRZ 2014 keine Männer machen. Insgesamt geht es bei den „Eugenesen“ ein wenig legerer zu als bei den „Lindener Narren“ – auch wenn der Verein aus Mittelfeld gemeinsam mit besagten „Narren“ und der „Funkenartillerie Blau-Weiß Hannover-Döhren“ zu den drei größten Karnevalsgesellschaften der Stadt gehört: Es gibt mehr bunt flackernde Lichter und mehr laute Stimmungshits, dafür aber deutlich weniger Pressevertreter und Prominente. Nur Stefan Schostok, der ist selbstverständlich auch wieder mit dabei. Nach einer Weile heißt es plötzlich: „De Prinz kütt!“ Das hannoversche Prinzenpaar der Session 2013/14 zieht ein. Es handelt sich um „Seine Tollität“ Prinz Jens-Fiete I. (62) und „Ihre Lieblichkeit“ Prinzessin Angela I. (55). Die beiden singen ein mitreißendes Medley festlicher Karnevals-Klassiker: „Einmal am Rhein (beim Gläschen Wein bei Mondenschein)“ von Willi Ostermann (1931), „Trink, trink, Brüderlein trink“ (Harry Steier, 1927) und „Wenn das Wasser im Rhein gold’ner Wein wär’ (ja dann möcht’ ich so gern ein Fischlein sein!)“ von Willy Schneider (1951). Stefan Schostok dokumentiert den Auftritt mit seinem Handy für die Ewigkeit. Derweil halten sich die Tanzmädchen warm und geschmeidig – und zwar ohne jedwede Allüren mitten im Foyer zwischen Haupteingang und Fingerfood-Büffet. Backstage? Fehlanzeige! Draußen ist es ja ohnehin viel unterhaltsamer! Sobald es aber auf die Bühne geht, ist die Konzentration wieder mit Händen zu greifen. Humorvoll-handfeste Büttenreden, schunkelnd-schmissige Schlager und vergnügt-anspruchsvolle Tanzvorführungen – die Programmpunkte wechseln rasant. Und es wird klar: Hier sind Menschen am Werk, die ungemein viel Energie, Enthusiasmus und Zeit in ihr Hobby stecken. Das Hobby heißt Karneval. Und es beschäftigt die Narren nicht nur die sieben Tage von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch. Es ist ein Full-Time-Hobby. Ein Hobby mit dem Ziel, gemeinsam eine schöne Zeit zu verbringen, selbst Eine meine ersten Begegnungen keln, fremdgehen und rumgrömit den Jecken war die nicht len. Das Schöne dabei ist, wenn grade sehr karnevalskompatible man erstmal dabei ist, kann es Idee, an einem Rosenmontag wirklich lustig sein, so bemerkte gegen 17 Uhr gänzlich unalko- ein aus Hannover angereister holisiert in der Südstadt vorbei- Freund, nachdem er sich sein zuschauen und das Phänomen Frühstück über der Schüssel ganz nüchtern und niedersäch- noch mal durch den Kopf gehen sisch zurückhaltend zu analysie- lassen hatte: „Alter, dieses Karren. Der Kulturschock begann neval hab ich unterschätzt.“ Mir bereits in der U-Bahn, überfüllt hingegen kam es etwas spanisch mit verkleideten und kölsches vor, als ich mich eines KarneLiedgut schmetternden Men- valsdienstag morgens unter der schen, löschte Dusche schunder U-Bahnpikelnd wieder lot komplett fand (in meidas Licht und nem Kopf lief funkte durch immer noch die Bahn „Mir „In unserem sinn der JeisterVeedel“ auf zoch, mir sinn Dauerrotatider Jeisterzoch, on), aber egal, Jeisterzoch dienstags sind alaaf“, was von die „Veedelsder Menge mit zöch“, da war begeisterten Jues gute Sitte belschreien nach Kalk in quittiert wurde. die WG meiNach gefühlten ner damaligen KO LU M N E Stunden am Band Yeti Girls Chlodwigplatz zu pilgern. angekommen, Dort war eine erinnerte die PA-Anlage im Szenerie mit Wohnzimmer Scherben überauf die Straße säten Straßen gerichtet und und torkelnden die PunkMenschen doch eher an Bürger- rocker moderierten den Zug, in krieg als an Frohsinn. Zwei dem sie fast jeden MitwirkenStürzbiere und Jägermeister spä- den per vorher beim Amt beter kam ich zu der Erkenntnis, sorgter Liste namentlich mit dass man sich an einem solchen „dreimal Punkrock Alaaf“ erTag auch mit literweise Alkohol staunten. Wenn der Zug durch nicht jeck saufen kann und ging und genügend Strüßje und Kazu Fuß heim. In den folgenden melle eingesammelt waren, Jahren wurde ich von meinem mischte man das kölsche FeierBekanntenkreis vom Karnevals- liedgut von Black Föös, Höhmuffel zum Feierbiest umge- nern, Brings und Co mit wohlkrempelt - man lernt Pegeltrin- tuenden Ramones, Sex Pistols, ken von Altweiber-Donnerstag Motörhead und Clash. Zum bis Aschermittwoch, ebenso wie Runterkommen. Denn heute das Ausschalten von morali- Abend wird der Nubbel verschen, kulinarischen und gefe- brannt und damit sind alle Karstigten musikgeschmacklichen nevalssünden vergeben. Der Grundsätzen. Sprich, warum Rheinländer macht sich’s halt (Straßen)-Karneval im Rhein- nicht unnötig schwer. J Ü RG E N S TA H L land funktioniert, ist ganz simpel: Man bekommt für ganze Unser Autor schrieb 1988 fünf Tage die Lizenz zum seine erste Plattenkritik für den lebt seit 1995 in Köln und Durchdrehen; darf unsanktio- SPALTER, betreibt dort eine Konzertagentur niert knutschen, saufen, schun- (www.stahl-entertainment.de) Ein Niedersachse in Köln 25 s22-26.qxp 21.02.2014 11:35 Seite 26 Titel KARNEVALSTERMINE 1. März 13.11 Großer Karnevalsumzug, Innenstadt 19.31 Prunksitzung der Lindener Narren, Freizeitheim Ricklingen Galasitzung der Funkenartillerie Blau-Weiß, Freizeitheim Döhren (ausverkauft) 2. März 15.31 Kinderkarneval der Lindener Narren, Freizeitheim Ricklingen 15.11 Kinderkarneval der Funkenartillerie Blau-Weiß, Freizeitheim Döhren 15.11 Kinderkarneval des hannoverschen carneval clubs, LSV Alexandria 3. März 14.11 Tierkostümparade der Lindener Narren, Maharadscha-Palast (Zoo) 5. März 17.00 Portmoneewäsche, Maschsee (Nordufer) 26 Spalter: Wie ist der Stellenwert des hannoverschen Karnevals? Behrens: Was die Anzahl der Sitzungen angeht, liegt Hannover in Niedersachsen vorne. Was allerdings die Größe der Veranstaltungen angeht, hat Braunschweig die Nase vorn – auch wenn es dort nur drei Vereine gibt. Ich staune aber immer wieder, was die für einen Umzug auf die Beine stellen. INTERVIEW Hauptsache Spaß Zu den Eigenheiten der Narretei in Hannover: Ein SPALTER-Gespräch mit Rainer Behrens, Sprecher des „Komitees Hannoverscher Karneval“, Mitglied bei der „Funkenartillerie Blau-Weiß Hannover-Döhren e.V.“, im „richtigen“ Leben Ausbildungsleiter der üstra – und auf der Bühne beschlagener Büttenredner mit amüsanten Anekdoten aus dem bewegten Busfahrerleben. Spalter: Seit wann wird in Hannover Karneval gefeiert? Behrens: Der heutige hannoversche Karneval orientiert sich am Kölner Karneval. Der traditionelle hannoversche Karneval ist jedoch wesentlich älter als der rheinische Karneval. Hier haben sich die Menschen schon im 15. Jahrhundert kostümiert. Das ging aber eher in Richtung Mummenschanz, so wie man es heute in der alemannischen Fastnacht noch sehen kann. Spalter: Und seit wann gibt es das Komitee Hannoverscher Karneval? Behrens: Das Komitee gibt es seit rund 50 Jahren. Damals gab es schon einige Karnevalsvereine in Hannover. Aber die haben alle ihr eigenes Süppchen gekocht. Wenn heutzutage etwas geplant wird, tritt stattdessen das Komitee an die Stadt heran – und nicht jeder Präsident einzeln. Momentan sind 13 Karnevalsvereine und zwei Spielmannszüge im Komitee organisiert. Spalter: Heißt es in Hannover Karneval oder Fasching? Behrens: In Hannover bezeichnet Fasching eher den klassischen Kostümball, bei dem sich alle verkleiden. Karneval bezieht sich dagegen auf die Sitzungen, mit Gardemädchen und allem drum und dran. Spalter: Wie läuft ein karnevalistisches Jahr ab? Behrens: Im Grunde beginnt die Planung für den nächsten Karneval schon am Tag nach Aschermittwoch. Dann fangen die Trainerinnen der Garden schon wieder an, sich Gedanken über neue Tänze zu machen. Und auch die Planungen für die Sitzungen des nächsten Jahres werden bereits wieder aufgenommen – inklusive Budgetierung, Saalmiete, Kartenverkauf und Catering. Spätestens im Sommer beginnen auch die Büttenredner, sich vorzubereiten. Zur Karnevalseröffnung am Samstag nach dem 11.11. wird dann schon viel davon aufgeführt. Im Frühjahr kommt dann die heiße Phase. Da macht jeder Verein seine Hauptsitzung – und in der Regel noch ein paar Zusatzveranstaltungen. Am Karnevalssamstag steht dann der Umzug an. Spalter: Kann man den Karneval verändern? Behrens: Einige traditionelle Grundfesten dürfen nicht erschüttert werden. Dazu gehören bestimmte Gebote, etwa, dass Religion auf der Bühne nicht verächtlich gemacht werden darf oder dass es keinen Sommerkarneval geben darf. Auf der anderen Seite findet aber durchaus eine Modernisierung statt. Die derzeit aufgeführten Show-Tänze sind beispielsweise ein neues Element, früher gab es ja nur die klassischen Gardetänze. In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch mal, einen Blick in Richtung HipHop-Tanz zu werfen. Denn viele Mädchen wandern dahin ab. Die finden das im Alter von 14 oder 15 einfach cooler. Spalter: Können Sie sich vorstellen, Karneval mal in einer anderen Stadt zu verbringen? Behrens: Ja, durchaus. Schon allein um die anderen Karneval-Kulturen kennen zu lernen. Nur das Hauptwochenende, das ist natürlich tabu, da bin ich in Hannover. Der südamerikanische Karneval ist auch reizvoll. Vielleicht könnte man ja unseren Karneval mal in den Sommer legen! Jaja, ich weiß, das ist verboten! Spalter: Ist Karneval eigentlich eher Spaß oder Ernst? Behrens: Eine Mischung aus beidem. Die Vorbereitung der Sitzungen ist schon sehr ernst. Da steckt immerhin auch viel Geld hinter. Und natürlich auch ein gewisser Anspruch. Aber das alles hat ja einen Grund: Unser Bestreben ist es, anderen Menschen Spaß zu bereiten. Und wenn die Leute Spaß haben, haben wir auch Spaß. Spalter: Vielen Dank für das Gespräch. S C H Ä D E L S P A LT E R FOTO: NOLTE wenn das außerhalb der Vereine einer breiten Öffentlichkeit bisweilen verborgen bleibt. So einfach kann das sein. So entspannt, so relaxt, so norddeutsch. Haben wir sie damit gefunden, die Seele des niedersächsischen Karnevals? Ja. Zumindest zum Teil. Noch einmal zurück zu den „Lindener Narren“. Es ist kurz nach Mitternacht und Bundestagsvizepräsidentin Bulmahn wurde gerade erfolgreich zur Gardeministerin befördert. Ein Jahr lang steht sie jetzt symbolisch den Tänzerinnen des Vereins vor. Die haben gerade ihre Kostüme gegen zivile Kleidung getauscht und holen jetzt ein wenig Rio nach Ricklingen: Auf der Aftershow-Party pogen sie zu „Ai Se Eu Te Pego!” des brasilianischen Latin-Pop-Sängers Michel Teló. Im Erdgeschoss lässt sich Frau Bulmahn derweil ihren Mantel zurückgeben. Die Garderobiere verabschiedet die Repräsentantin im Vorbeigehen winkend mit: „Tschüss Edelgard“. Und da liegt er dann frei, des Karnevals Kern. Die tollen Tage von Hannover? Die sind eine familiäre Feieratmosphäre, in der selbst eine ehrwürdige Politikerin, die stellvertretend das zweithöchste Amt der Bundesrepublik bekleidet, einfach mal nur ist, was sie ist: die Edelgard.