Generative Syntax - Uni-bielefeld

Transcription

Generative Syntax - Uni-bielefeld
Morphologie und Syntax (BA)
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Syntax
PD Dr. Ralf Vogel
Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft
Universität Bielefeld, SoSe 2007
[email protected]
10. Mai 2007
1 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Gliederung
1 Übungsaufgabe 5
2 Generative Grammatik
3 Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
D-Struktur
Syntaktische Bewegung
Sätze: VP, IP, CP
2 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
1
Der folgende Satz ist syntaktisch und auch semantisch mehrdeutig (Wer
hat das Fernglas?):
(1)
Der Förster sah den Jäger mit dem Fernglas
• Verwenden Sie den Voranstellungs-Test, um die beiden Lesarten
zu verdeutlichen!
(2)
a.
b.
Den Jäger mit dem Fernglas sah der Förster
Den Jäger sah der Förster mit dem Fernglas
• In (2-a) hat der Jäger das Fernglas, in (2-b) der Förster.
4 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
1
(3)
Stellen Sie die unterschiedlichen Möglichkeiten in Form verschiedener
syntaktischer Strukturbäume dar!
Der Förster sah den Jäger mit dem Fernglas
IP
NP
V/INFL
NP
PP
der Förster
sah
den Jäger
mit dem
Fernglas
•
•
•
•
Lesart: Der Förster sieht mithilfe des Fernglases den Jäger.
Die PP „mit dem Fernglas“ ist eine adverbiale Beifügung.
Das finite Verb ist hier unter dem INFL-Knoten eingesetzt.
Wir werden heute eine andere Struktur kennenlernen.
5 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
(4)
Der Förster sah den Jäger mit dem Fernglas
IP
NP
V/INFL
der Förster
sah
NP
D
N
den
Jäger
PP
P
NP
mit
dem Fernglas
6 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
(5)
a.
b.
[ IP [ NP Der Förster ] sah [ NP den Jäger ] [ PP mit dem Fernglas ] ]
[ IP [ NP Der Förster ] sah [ NP den Jäger [ PP mit dem Fernglas ] ] ]
• In (4) und (5-b) ist die PP „mit dem Fernglas“ syntaktische Konstituente
der NP „der Jäger mit dem Fernglas“.
• Dies geht einher mit der Interpretation, dass der Jäger das Fernglas hat.
7 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
2
Könnte das Kopf-Prinzip auch in der Morphologie gelten?
• Diskutieren Sie diese Frage anhand des Wortpaares
‘Rotwein—weinrot’!
• Beide Wörter sind Komposita aus dem Adjektiv ‘rot’ und dem Nomen
‘Wein’.
• ‘weinrot’ ist ein Adjektiv, genau wie ‘rot’,
• ‘Rotwein’ ist ein Nomen, genau wie ‘Wein’
• Der jeweils rechte Teil des Kompositums ist von derselben
Wortkategorie wie das gesamte Kompositum.
• Würde man dies als Baum darstellen, sähe es wie folgt aus:
8 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Übungsaufgabe 5
Übungsaufgabe 5
2
Könnte das Kopf-Prinzip auch in der Morphologie gelten?
(6)
N
Adj
Adj
N
N
Adj
rot
wein
wein
rot
Morphologisches Kopf-Prinzip Der rechte Teil eines Kompositums bestimmt
seine syntaktische Kategorie.
• Wir haben dieses Prinzip bereits in der zweiten Sitzung als „Right Hand
Head Rule“ kennengelernt.
• Es gibt verschiedene formale Grammatikmodelle, die aufgrund von
Gemeinsamkeiten, wie wir sie hier beobachten, Syntax und Morphologie
mit einem einheitlichen formalen Beschreibungsmodell behandeln.
9 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Noam Chomsky
• Die Schule der generativen Grammatik ist insbesondere in der Syntax
die einflussreichste grammatiktheoretische Strömung der letzten 50
Jahre.
• Ihr Begründer und bis heute wichtigster Vertreter ist Noam Chomsky.
• Die wichtigsten Syntax-theoretischen Werke Chomskys, die gleichzeitig
Meilensteine in der Entwicklung dieser Schule darstellen, sind die
folgenden:
1957:
1965:
1981:
1995:
Syntactic Structures
Aspects of the theory of Syntax
Lectures on Government and Binding
The Minimalist Program
11 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik
• Chomskys Kritik an der seinerzeit „herkömmlichen“ Linguistik war, dass
sie rein beschreibend orientiert war.
• Die Grammatikschreibung beschränkte sich darauf, die
Regelhaftigkeiten einzelner Sprachen aufzulisten.
• Zwar existierten verschiedene Strukturbeschreibungs-Formalismen für
natürlichsprachliche Ausdrücke, aber viele über die reine Beschreibung
hinausgehende Fragestellungen wurden systematisch ausgeblendet:
• Warum sind die natürlichen Sprachen so, wie sie sind?
• Was ist eine mögliche Sprache?
• Warum sind kleine Kinder in relativ kurzer Zeit in der Lage, eine
menschliche Sprache zu erlernen, und warum fällt es
Erwachsenen so unheimlich schwer?
• Wie kann man eine Grammatik formulieren, die nicht nur die
bereits existierenden Ausdrücke einer Sprache beschreibt, sondern
alle potentiell möglichen Ausdrücke?
• Wie kann man Grammatiken für einzelne Sprachen formulieren,
aus denen deutlich wird, was alle Sprachen gemeinsam haben und
worin sie sich unterscheiden?
12 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Grundannahmen
• Eine Grammatik ist generativ, wenn sie das Ausdruckspotential einer
Sprache beschreibt, also
• genau alle existierenden und potentiellen Ausdrücke einer Sprache
beschreibt.
• Eine generative Grammatik in Chomskys Sinn besteht aus einem
Lexikon und einer Regelkomponente.
• Die Regelkomponente beschreibt alle möglichen
Kombinationsweisen für die Elemente des Lexikons.
• Gleichzeitig soll eine Grammatik kognitiv plausibel sein, also eine
plausible Hypothese über die menschliche Sprachfähigkeit (Kompetenz)
als kognitive Eigenschaft des Menschen.
13 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Grundannahmen
• Die Art von Grammatiken, die Chomsky als unzureichend kritisierte,
waren einfache Phrasenstruktur-Grammatiken.
• Nehmen wir als Beispiel eine erfundene Sprache, nennen wir sie
Regensprache.
• Das Lexikon der Regensprache hat 200 Wörter, davon 100 Nomen
und 100 Verben.
• Die Grammatik der Regensprache hat eine einzige
Phrasenstrukturregel:
S −→ N V
• Die Menge der möglichen Sätze der Regensprache ergibt sich aus den
Kombinationsmöglichkeiten: 100 Verben können mit 100 Nomen
kombiniert werden, also gibt es 100 × 100 = 10.000 mögliche Sätze.
• Es existiert ein Korpus der Regensprache, eine Sammlung von Texten
mit insgesamt 8.765 verschiedenen Sätzen.
• Die Sätze dieses Korpus sind alle von unserer reinen
Phrasenstruktur-Grammatik generierbar.
• Aber die Grammatik ist nicht auf diese Sätze beschränkt. Sie beschreibt
vielmehr alle Sätze, die in der Sprache möglich sind.
14 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Grundannahmen
• Chomskys Theorie der Syntax ist wesentlich von der Idee geprägt, dass
das System syntaktischer Regeln auch systematische Beziehungen
zwischen Sätzen beschreiben soll.
• Deshalb ist eine reine Phrasenstruktur-Syntax wie in unserer
Regensprache auch seiner Ansicht nach nicht ausreichend.
• Wenn wir bloss die Phrasenstrukturen der folgenden beiden Sätze zur
Verfügung haben, dann können wir nicht darstellen, dass sie dasselbe
bedeuten.
(7)
a.
b.
John kissed Mary.
Mary was kissed by John.
• Um diese semantische Beziehung zwischen den beiden Sätzen
darzustellen, führt Chomsky noch einen zweiten Typ von Regeln ein, die
Transformationsregeln.
• Der Passiv-Satz (7-b) wird aus dem Satz (7-a) durch eine
Transformation erzeugt.
15 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Grundannahmen
(7)
a.
b.
John kissed Mary.
Mary was kissed by John.
• Die Wörter in diesen Sätzen sind im Lexikon aufgeführt.
• Eine Phrasenstrukturregel haben wir aber nur für den Aktiv-Satz (7-a),
bspw.:
S −→ NP V NP
• Um die Passiv-Konstruktion (7-b) abzuleiten, bedarf es jetzt einer
syntaktischen Transformationsregel, nennen wir sie
Passiv-Transformation:
NP1 V NP2 =⇒ NP2 Aux VPARTIZIP by NP1
• Eine Transformationsregel hat folgendes Format:
Eingabesequenz =⇒ Ausgabesequenz
• Man kann dies so interpretieren: „Wenn die Eingabesequenz ein
möglicher Ausdruck in einer Sprache ist, dann ist das die
Ausgabesequenz auch“.
16 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Transformationsgrammatik
• Eine klassische Transformationsgrammatik, wie sie Chomsky 1957 in
‘Syntactic Structures’ beschrieb, hat also drei Komponenten:
• ein Lexikon,
• eine Phrasenstruktur-Komponente,
• eine Transformations-Komponente.
• In den ‘Aspects of the Theory of Syntax’ (1965) wurde die Erzeugung
des Satzes als mehrstufiger Vorgang modelliert:
• Die Phrasenstrukturkomponente erzeugt mit Elementen aus dem
Lexikon die Tiefenstruktur.
• Zentral hierbei sind die Subkategorisierungseigenschaften des
Verbs.
• Die Transformationskomponente erzeugt aus der Tiefenstruktur die
Oberflächenstruktur.
• Die Tiefenstruktur ist die Strukturebene, die semantisch interpretiert
wird.
• Die Oberflächenstruktur ist die Strukturebene, die phonetisch
interpretiert wird.
17 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Transformationsgrammatik
• Die folgenden beiden Sätze sind nun tiefenstrukturell strukturidentisch:
(8)
a.
b.
John love-s Mary
John has loved Mary
S
NP
Aux
John
-s
VP
V
NP
love-
Mary
has
loved
18 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Transformationsgrammatik
• Eine Transformationsregel, die das Affix unter dem Aux-Knoten an das
Verb affigiert, erzeugt aus dieser Tiefenstruktur die Oberflächenstruktur:
S
NP
John
Aux
∅
VP
V
NP
love-s
Mary
has
loved
• Der Vorteil dieser Strukturanalyse ist, dass strukturelle und semantische
Gemeinsamkeiten der beiden Sätze im Baum deutlich werden.
19 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Das GB-Modell
• Der nächste Entwicklungsschritt im Modell der generativen Syntax
bezog sich auf eine Vereinheitlichung und Vereinfachung von Phrasen
und Phrasentypen.
• Die X-bar-Theorie beschreibt ein generelles Format für Phrasen und
Sätze.
• Die Darstellung von Haupt-Sätzen als Inflektions-Phrasen (IP) und
Nebensätzen als Komplementierer-Phrasen (CP) führt zur
Vereinfachung und Vereinheitlichung syntaktischer Strukturen.
IP(=S)
NP
John
INFL
∅
VP
V
NP
love-s
Mary
has
loved
20 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Generative Grammatik
Generative Grammatik – Das GB-Modell
• Am ausführlichsten stellte Chomsky diese Veränderungen in den
„Lectures on Government and Binding“ (1981) dar.
• Deshalb nennt man dieses Modell auch das „GB-Modell“, oder die
„GB-Theorie“.
• Ein wesentlicher Aspekt dieses Modells ist das Konzept der
syntaktischen Bewegung, das die Transformationskomponente ersetzt.
• Die Tiefenstruktur heisst nun D-Struktur (von engl. ‘deep structure’) und
ist bloss noch eine auf Grundlage von
Subkategorisierungseigenschaften durch Phrasenstruktur-Regeln
erzeugt Basis- oder Ausgangs-Struktur.
• Die Oberflächenstruktur heisst nun S-Struktur und wird sowhl
semantisch wie phonetisch interpretiert.
• Wir werden uns nun mit den Details dieses Modells beschäftigen, der
X-bar-Theorie, der Arbeitsteilung von Tiefenstruktur und
Oberflächenstruktur, den Kategorien IP und CP, sowie der syntaktischen
Bewegung.
21 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
Die X-bar-Theorie
• Die X-bar-Theorie besagt, dass syntaktische Phrasen Projektionen von
Köpfen sind.
• Jede Projektionsstufe lässt sich dabei individuell kennzeichnen.
• Die Projektionsstufe wurde ursprünglich mit Strichen (engl. ‘bars’) über
oder neben dem Kategoriensymbol gekennzeichnet, deshalb
X-bar-Theorie. Das ‘X’ steht für eine beliebige Kategorie (V,N,A,P etc.).
• Der phrasale Knoten wurde als ‘maximale Projektion’, Xmax , bezeichnet.
(9)
Xmax
...
X000
...
...
X00
...
...
X0
...
...
X0
...
24 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
Die X-bar-Theorie
• Da es sich zeigte, dass Zwischen-Projektionen für syntaktische
Prozesse irrelevant sind, wurde dieses System dahingehend
vereinfacht, dass man nur noch eine minimale Stufe (der Kopf), eine
maximale Stufe (die Phrase) und eine Zwischenstufe (X0 ) hat.
(10)
XP(=Xmax )
...
X0
...
...
...
...
...
X0
...
...
X0
...
25 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
Strukturelle Relationen
(11)
XP
YP
X0
X0
ZP
• XP ist der Wurzelknoten und dominiert alle anderen Knoten im Baum, X0
dominiert X0 und ZP.
• XP ist der Mutterknoten von YP (sowie X0 etc.), YP ist ein Tochterknoten
von XP.
• YP und X0 , sowie X0 und ZP sind Schwesterknoten.
• YP c-kommandiert ZP und X0 (von engl. ‘constituent command’).
C-Kommando Ein Knoten A c-kommandiert einen Knoten B genau dann,
wenn A nicht B dominiert, und alle Knoten, die A dominieren,
auch B dominieren.
• YP und X0 c-kommandieren einander. Gleiches gilt für X0 und ZP.
26 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
Strukturelle Relationen
• XP, X0 , und auch X0 sind iterierbar:
XP
Adjunkt
XP
Spezifikator
X0
Komplement
X0
Kopf-Adjunkt
•
•
•
•
X0
Ein Schwesterknoten von XP ist ein Adjunkt.
Ein Schwesterknoten von X0 ist ein Spezifikator.
Ein Schwesterknoten von X0 ist ein Komplement.
Ein Kopf-Schwesterknoten von X0 ist ein Kopf-Adjunkt.
27 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Die X-bar-Theorie
Adjunktion und Kopf-Adjunktion
• Durch Adjunktion wird ein XP- oder X0 -Knoten in zwei Segmente, ein
oberes und ein unteres, aufgespalten:
(12)
X0
XP
YP
XP
Y0
X0
• Bei Phrasen-Adjunktion wird eine Phrase (YP) an eine andere Phrase
(XP) adjungiert.
• Bei Kopf-Adjunktion wird ein Kopf (Y0 ) an einen anderen Kopf (X0 )
adjungiert.
• Es ist nicht möglich, einen Kopf an eine Phrase zu adjungieren, oder
eine Phrase an einen Kopf.
28 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Kasus-Zuweisung
• Im Deutschen wie im Englischen ist das Vorkommen eines Subjekts im
Nominativ an das Vorhandensein eines finiten Verbs gekoppelt:
(13)
a.
b
(14)
a.
b.
Maria fragt, ob der Arzt sie besuchen kommt
3.P ERS .S G.
*Maria will der Arzt sie besuchen
INFINITIV
Mary asks if the doctor visits
her.
Mary fragt ob der Arzt besucht-3S G P RS sie
*Mary wants the doctor visit
her
Mary will der Arzt besuchen-INF sie
• Da der Nominativ an das Vorkommen eines finiten Verbs gebunden ist,
nehmen wir an, dass der Nominativ von einem INFL mit finiter
Merkmalsspezifikation zugewiesen wird.
• Objekt-Kasus — im Deutschen: Akkusativ, Dativ, Genitiv — werden von
lexikalischen Kasuszuweisern zugewiesen, nämlich Verben,
Präpositionen, Adjektiven und Nomen.
30 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Kasus-Zuweisung
• Kasus kann auf zwei Weisen zugewiesen werden:
1 durch einen lexikalischen Kopf an sein Komplement.
2 durch ein finites INFL an seinen Spezifikator.
(15)
Kasuszuweisung durch einen lexikalischen Kopf an sein
Komplement:
a. den Specht erblicken
b. zu dem Haus
VP
NP
+ AKK
PP
V0
c. der Frau treu
P0
+ DAT
NP
d. Bücher Chomskys
NP
VP
NP
+ DAT
Adj0
N0
+ GEN
NP
31 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Kasus-Zuweisung
(16)
Kasus-Zuweisung durch finites INFL (=I0 ): „Maria hat gelacht“
IP
NP
Maria
KONGR
I0
NOM
I0FINIT
hat
VP
V0
gelacht
• Im Gegenzug zur Kasuszuweisung erhält I0 vom Subjekt die
Merkmalsspezifizierung für die Kongruenzflexion.
• Dieser Austausch von Merkmalen zwischen Kopf und Spezifikator wird
als Spezifikator-Kopf-Kongruenz bezeichnet.
32 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Die VP
• Die Selektionseigenschaften oder Subkategorisierungseigenschaften
von lexikalischen Einheiten beziehen sich auf die von diesem Element
projizierte Phrase und die Elemente, die sie enthalten muss.
• Ein Beispiel:
• Neben dem Subjekt (das wir erst einmal aussen vor lassen)
verlangt das Verb ‘erblicken’ ein Akkusativ-Objekt.
• Dieses Objekt muss nun zusammen mit dem Verb in der Verb-Phrase
basis-generiert werden, um Kasus zu erhalten:
(17)
VP
NP
+ AKK
V0
33 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Die VP
• Da die folgenden Sätze alle das lexikalische Verb ‘erblicken’ und das
Akkusativ-Objekt ‘den Specht’ beinhalten, müssen die VPn ihrer
D-Strukturen übereinstimmen:
(18)
a.
b.
c.
Maria hat den Specht erblickt.
Maria erblickte den Specht.
Den Specht erblickte Maria.
34 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Die VP
(19)
D-Struktur für (18):
IP
NP
Maria
I0
NOM
I0
VP
KONGR
hat
NP
AKK
V0
-te
den Specht
erblickt
erblick-
• Die Kasus Nominativ und Akusativ werden durch V0 und I0 zugewiesen.
• Im zweiten Fall wird dies durch die morphologische Aufspaltung des
Verbs und die Besetzung von I0 durch das verbale Flexionsaffix ‘-te’
ermöglicht.
35 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
D-Struktur
Die VP
• Der nächste Schritt ist eine Transformation, die für ‘erblickte’ Affix und
Stamm zusammenbringt:
(20)
[ IP Maria [ I0 erblick-te [ VP den Specht ø ]]]
• Wie hat diese Transformation auszusehen?
• Das Verb ‘erblickte’ weist an zwei verschiedenen syntaktischen
Positionen Kasus zu.
• Bleibt diese Relation erhalten, wenn das Verb aus einer der Positionen
verschwindet?
• Im GB-Modell bleiben einmal etablierte strukturelle Relationen bei
Transformationen erhalten.
• Die Transformation, die dies ermöglicht, ist die syntaktische Bewegung.
36 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Syntaktische Bewegung
Move α
• Die einzige Transformation, die im GB-Modell übriggeblieben ist, ist die
Transformation ‘Move α’.
Move α Bewege einen Knoten an eine andere Position in der
syntaktischen Struktur.
• Bei Bewegung wird eine ‘Bewegungs-Spur’ zurückgelassen. Diese wird
mit einem ‘t’ dargestellt und behält alle Eigenschaften des bewegten
Elements. Ein Subskript („i“) denotiert die Zusammengehörigkeit von
Spur und bewegtem Element.
(21)
Ein Beispiel für syntaktische Bewegung:
XP
YPi
X0
X0
ZP
ti
Z0
38 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Syntaktische Bewegung
Move α — Bewegungsmöglichkeiten
• Es können nur minimale (Köpfe) und maximale (Phrasen) Knoten
bewegt werden.
• Als Landepositionen von Bewegung kommen in Frage . . .
• für Köpfe eine Kopf-Adjunkt-Position (22-a).
• für Phrasen eine Spezifikator- (21) oder Adjunkt-Position (22-b).
(22)
a. Kopf-Adjunktion:
b. Phrasen-Adjunktion:
XP
X0
Y0i
XP
YP
X0
ti
YPi
XP
X0
ZP
ti
Z0
39 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
IP und VP
• Unser Beispielsatz stellt sich damit auf der S-Struktur wie folgt dar:
(23)
S-Struktur für „Maria erblickte den Specht“:
IP
NP
I0
NOM
Maria
I0
V0i
I0
NP
erblick-
-te
den Specht
VP
KONGR
AKK
ti
41 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
IP und VP
• Für Adverbien wird generell angenommen, dass sie adjungiert werden.
• Adverbien der Art und Weise sind an VP adjungiert.
• Diese Adverbien sind deshalb ein guter Indikator für die VP-Grenze.
• Wir können sie benutzen, um einen Unterschied zwischen Deutsch und
Englisch deutlich zu machen:
(24)
a.
b.
[ IP Mary [ I0 has ] [ VP quickly [ VP run to Peter ]]]
[ IP Mary [ I0 ti ] [ VP quickly [ VP run-si to Peter ]]]
(25)
a.
b.
[ IP Maria [ I0 ist] [ VP schnell [ VP zu Peter gerannt ]]]
[ IP Maria [ I0 ranni -te] [ VP schnell [ VP zu Peter ti ]]]
• Bei synthetischen Zeitformen wird
• im Englischen das Affix von I0 abwärts nach V0 bewegt, aber
• im Deutschen der Verb-Stamm von V0 aufwärts nach I0 .
42 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
IP und VP
• Im ‘minimalistischen Programm’ (Chomsky 1995) wurde die Theorie der
Spur durch die Kopiertheorie ersetzt.
• Hier ist eine Spur eine Kopie des bewegten Elements, der lediglich
dessen phonetischer Gehalt fehlt.
• Statt Spuren wird dementsprechend das bewegte Element dargestellt,
und durch Durchstreichen als Kopie gekennzeichnet.
• Damit ist es möglich, auf die syntaktische Aufspaltung eines Verbs in
Stamm und Affix zu verzichten, was bspw. bei Ablautflexion sowieso nur
in einem abstrakten Sinne möglich wäre.
(26)
a.
b.
[ IP Mary [ I0 rani ] [ VP quickly [ VP rani to Peter ]]]
[ IP Maria [ I0 ranntei ] [ VP schnell [ VP zu Peter ranntei ]]]
• Das bewegte Element und seine Spur oder Kopie bilden eine
Bewegungs-Kette.
• Das im Baum höchste Glied einer Kette ist der Kopf der Kette.
• Normalerweise wird der Kopf einer Kette, und nur er, auch phonetisch
realisiert, aber das englische Beispiel (26-a) ist eine Ausnahme hierzu.
43 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
CP und IP
• Nebensätze werden zumeist von Komplementierern eingeleitet:
(27)
Ich glaube, dass es regnet.
• Der X-bar-Theorie folgend werden solche Nebensätze als Phrasen
analysiert, mit dem Komplementierer als Kopf (CP bzw. C0 , von engl.
Complementizer).
(28)
CP
C0
IP
dass
es regnet
44 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
CP und IP
• Einer der Sätze, die wir eingangs besprachen, ist noch nicht komplett in
seiner Struktur abgeleitet:
(29)
Den Specht erblickte Maria.
• Hier ist das Akkusativ-Objekt in satzinitialer Position.
• Bislang haben wir Haupt-Sätze als IP dargestellt, und gesagt, dass das
Subjekt im Spezifikator von IP stehen muss, um Kasus zu bekommen.
• Da die IP-Spezifikator-Position diejenige ist, die am weitesten links steht,
müssten also alle deutschen Haupt-Sätze mit dem Subjekt anfangen.
• Dem ist nicht so, wie (29) illustriert.
• Die Lösung besteht darin, dass es oberhalb von IP noch eine weitere
Projektion gibt.
• In Analogie zu den Nebensätzen wird diese Projektion als CP
bezeichnet.
• Damit sind alle deutschen Sätze CPn.
45 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
CP und IP
(30)
CP
NPi
den
C0
C0k
IP
Specht
erblickte NP
Maria
I0
tk
VP
ti
tk
• Der Kopf ‘C0k ’ steht abkürzend für den durch Kopf-Adjunktion
entstandenen komplexen Kopf aus V0 , I0 und C0 .
46 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
CP und IP
• Das CP-IP-VP-Schema soll auf alle Sprachen der Welt anwendbar sein.
• Damit hat die GB-Theorie einen Rahmen entwickelt, mit dem sich
systematisch syntaktische Typologie betreiben lässt.
• Unterschiede zwischen Sprachen beziehen sich auf die
unterschiedlichen Erscheinungsformen derselben zugrundeliegenden
Struktur.
• Die generative Syntax versteht sich deshalb als eine allgemeine Theorie
der Syntax natürlicher Sprachen.
• Wir werden uns nächste Woche vor allem dem Sprachvergleich anhand
einiger syntaktischer Problembereiche widmen.
47 / 48
Morphologie und Syntax (BA)
Das GB-Modell
Sätze: VP, IP, CP
Übungsaufgabe 6
1
Wir haben Sätze, die mit dem Subjekt beginnen, bislang als IP
analysiert, und Nebensätze als CP, die eine IP einbettet. Welches
Problem tritt dabei auf, wenn Sie Hauptsatz und Nebensatz in folgenden
Beispielen vergleichen und wie könnte man es lösen?
(31)
2
a.
b.
Der Lehrer hat die Frage nicht verstanden.
Ich glaube, dass der Lehrer die Frage nicht verstanden
hat.
Das ursprüngliche Modell der generativen Syntax sah vor, dass die
Tiefenstruktur die Bedeutung kodiert. Ein Grund, warum dies
aufgegeben wurde, lag in Satzpaaren wie dem folgenden:
(32)
a.
b.
Alle Studentinnen sprechen zwei Sprachen.
Zwei Sprachen werden von allen Studentinnen
gesprochen.
Was vermuten Sie, worin das Problem liegt, und warum kann es nicht
alleine über die Tiefenstruktur gelöst werden?
48 / 48