Pater Rupert Mayer (1876–1945)

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Pater Rupert Mayer (1876–1945)
Sommerakademie St. Bonifaz 2012
„Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus“
Pater Rupert Mayer (1876–1945):
Rezeption, Verehrung und Kult nach 1945
Von Prof. Dr. Hermann Rumschöttel
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Die Rede ist von Rupert Mayer, einem Jesuitenpater. Der Ort der Rede ist ein Benediktinerkloster. Passt das zusammen? Der junge Weltpriester Mayer war nach einer Beschäftigung
mit dem Dominikanerorden und nach Besuchen und Gesprächen in der Benediktiner-Erzabtei
St. Martin in Beuron davon überzeugt, dass ihm diese Zweige des Ordenswesens nicht entsprächen, dass er vielmehr für die „Gesellschaft Jesu“, den Jesuitenorden bestimmt sei. Sein
Noviziat begann im Jahr 1900. 40 Jahre später, im August 1940, brachte ihn die Gestapo in
das Benediktinerkloster Ettal als Ort der Konfinierung, Isolierung und Verbannung. Trotz der
brüderlichen Aufnahme und liebevoll-fürsorglichen Betreuung durch die dortigen Benediktiner waren die langen, erst im Mai 1945 endenden Ettaler Jahre für Rupert Mayer eine Leidenszeit. „Aufgrund meiner grundsätzlichen Einstellung gegen die kirchlichen Behörden blieb
mir nichts anderes übrig, als mich zu fügen. Seitdem bin ich lebend ein Toter, ja dieser Tod ist
für mich, der ich noch so voll Leben bin, viel schlimmer als der wirkliche Tod, auf den ich
schon so oft gefasst war.“ Dem Theologen Heinrich Schlier kam Rupert Mayer in Ettal vor
wie ein gefangener Löwe, der „ungeduldig an den Gittern streicht.“
Ob das Benediktinerkloster St. Bonifaz der richtige Ort ist, über den Jesuitenpater Mayer
zu sprechen, auf diese Frage werde ich am Schluss meines Vortrags zurückkommen. Immerhin organisierte der Bund der Deutschen Katholischen Jugend im Jahr 1987 zur Vorbereitung
auf die Seligsprechung Mayers hier in St. Bonifaz eine Veranstaltungsreihe mit Luise Rinser,
Carl Amery und dem Jesuitenpater Walter Rupp und dem Generalthema „Auseinandersetzung
der Katholischen Kirche mit dem ‚Dritten Reich‘“. Der richtige Ort? Wir werden sehen.
Hermann Rumschöttel
Der richtige Zeitpunkt, Rupert Mayer wieder einmal zu thematisieren, ist es auf jeden
Fall. 2012 ist ein Rupert-Mayer-Gedächtnisjahr. Vor genau 100 Jahren, zu Beginn des Jahres
1912, die Prinzregentenzeit neigte sich ihrem Ende entgegen, kam er nach München mit dem
Auftrag, sich im Rahmen der Großstadt-Seelsorge um die zahlreichen katholischen Zuwanderer zu kümmern. 1937, vor 75 Jahren, erhielt er von den Nationalsozialisten ein erstes Redeverbot, wurde verhaftet und vom Sondergericht München verurteilt. Vor 50 Jahren, 1962,
begann in München unter Kardinal Julius Döpfner der apostolische Prozess zur Vorbereitung
der Seligsprechung, die schließlich vor 25 Jahren, 1987, durch Papst Johannes Paul II. erfolgte.
100 Jahre Pater Rupert Mayer und München. Heute gehört er untrennbar zur Zeitgeschichte, zur Physiognomie, ja zur Signatur dieser Stadt. Ein aktueller Münchenführer zählt
seine Grabstätte in der Bürgersaal-Unterkirche an der Neuhauser Straße zu den 111 Orten, die
man besuchen muss, wenn man die bayerische Landeshauptstadt wirklich kennenlernen
möchte. Auch das jüngst erschienene, populäre Buch von Fritz Fenzl über „Münchner Kraftorte“ verweist nachdrücklich auf die Bürgersaal-Kirche und Rupert Mayer: „In der Krypta
kommt an der goldbronzenen Brust des Paters keiner vorbei, ohne daran zu reiben. So verhält
es sich immer schon mit der Person dieses Paters: Kein Gläubiger oder stadtgeschichtlich Interessierter kommt an ihm vorbei.“ Und weiter: „Denn dieser Jesuit wurde für sein aufsehenerregendes und größte Hochachtung abringendes Lebenswerk am 19. November 1980 auf der
Münchner Theresienwiese selig gesprochen.“ Das ist natürlich, wie wir alle wissen, ziemlich
falsch, denn die Seligsprechung war erst sieben Jahre später und fand im Olympiastadion
statt. Wir sollten diesen Irrtum aber als Indikator dafür nehmen, dass selbst Kenner der
Münchner Historie der Ansicht sind, Mayer sei eigentlich schon viel, viel länger ein Seliger
oder Heiliger dieser Stadt gewesen.
Dieser Meinung sind sicher auch viele der Menschen, die jenen immer wieder beschriebenen „unablässigen Strom der Besucher“ bilden, den man erleben kann, wenn man sich einige Zeit an Mayers Grabstätte aufhält. Ein katholischer Wallfahrts- und Gebetsort des 20. und
21. Jahrhunderts, vielleicht sogar mit ökumenischen Zügen. Zwar bezeichnete Kreisdekan
Friedrich Kalb im Evangelischen Pressedienst des Jahres 1987 die Seligsprechung als aus
evangelisch-theologischer Sicht nicht nachvollziehbar, hob dabei aber gleichzeitig hervor,
dass Rupert Mayer auch für evangelische Christen ein „Leitbild und Vorbild des Glaubens“
sein könne. Eine evangelische Internetseite unserer Tage zum Widerstand gegen den Natio-
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nalsozialismus – www.evangelischer-widerstand.de – nennt unter der Rubrik „Menschen“
neben Protestanten wie selbstverständlich auch zwei Katholiken, Clemens August Graf von
Galen und Pater Rupert Mayer. Dessen „Widerstand bis zum Letzten“ wird mit sieben Dokumenten ausführlich dargestellt, unter anderen mit Mayers Bürgerbräu-Rede von 1923, die das
kompromisslose Diktum enthielt, dass ein Christ, ein Katholik niemals Nationalsozialist sein
könne.
Wenn der Historiker nach „Rezeption, Verehrung und Kult“ frägt, dann wird er bei der
Suche nach Antworten einerseits auf die interdisziplinäre Unterstützung durch andere Wissenschaften – Volkskunde, Psychologie, Theologie – nicht verzichten, andererseits und in
erster Linie seinen eigenen Methoden, den Archiven und den bisherigen Forschungsergebnisse der Geschichtswissenschaft vertrauen. Zur persönlichen Biografie unseres Protagonisten
liegen einige sehr solide Darstellungen und Dokumentationen vor. Insbesondere Wilhelm
Sandfuchs, Roman Bleistein und Otto Gritschneder haben auf der Grundlage umfangreicher
Quellen und Zeitzeugenschaft mit Sympathie und Empathie ein präzises Lebens- und Persönlichkeitsbild Rupert Mayers gezeichnet. Eine moderne historische Biografie, die das Leben,
Denken und Wirken dieses außergewöhnlichen Jesuiten kritisch in die politischgesellschaftlichen, kirchengeschichtlichen und theologischen Entwicklungen und Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts einordnet, steht allerdings noch aus. Eine solche Studie müsste
auch der schon zu Lebzeiten Mayers beginnenden Rezeptionsgeschichte nachgehen, die bislang nur wenig wissenschaftliches Interesse gefunden hat. Lediglich eine bei Helge Gerndt in
München 1983 entstandene ethnologische Dissertation von Angelika von Véver macht einen
ersten, aber vertiefungsfähigen Versuch, Rupert Mayer als „modernen Heiligen“ aus der Sicht
der religiösen Volkskunde der Gegenwart zu analysieren. An der Universität Würzburg arbeitet Simone Schmidt bei Wolfgang Altgeld an einer geschichtswissenschaftlichen MayerBiographie, die sicher einige der angesprochenen Wünsche erfüllen wird.
Nach diesen einleitenden Bemerkungen will ich mich meinem Thema von drei Seiten her
nähern. Zunächst sollen Persönlichkeit und Leben Rupert Mayers in den Blick genommen
und dabei Aspekte hervorgehoben werden, die wesentlich auf die Rezeptionsgeschichte einwirkten und einwirken. In einem zweiten Schritt frage ich eher vordergründig und phänomenologisch nach Verehrungs- und Kultentwicklung, nach Seligsprechung und Heiligsprechungsbemühungen bis heute. Schließlich geht es um die Suche nach den Gründen für diese –
nennen wir sie – „Erfolgsgeschichte eines modernen Heiligen“. Im Sinne des Generalthemas
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unserer Sommerakademie soll dabei insbesondere auf Weiter- und Fernwirkungen des Kampfes von Rupert Mayer gegen den Nationalsozialismus geachtet werden.
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Zunächst also Ausführungen zur Biographie.
Geboren 1876 in Stuttgart als Sohn einer begüterten Kaufmannsfamilie, absolvierte Rupert Mayer in Ravensburg das Abitur und studierte anschließend in Freiburg in der Schweiz,
in München und in Tübingen Philosophie und Theologie. Nach dem Besuch des Priesterseminars in Rottenburg erhielt er im Mai 1899 die Priesterweihe und war dann ein knappes Jahr
als Vikar in Spaichingen tätig, ehe er bei seinen Eltern und seinem Bischof Paul Wilhelm von
Keppler den schon länger gehegten Wunsch durchsetzte, in den Jesuitenorden eintreten zu
dürfen. Wegen der noch geltenden Kulturkampfgesetze war für ihn die Ordensausbildung nur
in Niederlassungen der Jesuiten in Österreich und in den Niederlanden möglich. Nach 6 Jahren intensiver Unterrichtung und Vorbereitung durfte er 1906 als Volksmissionar in die praktische Seelsorgetätigkeit einsteigen, die er bis 1911 und meist von der kleinen Vorarlberger
Gemeinde Tisis aus vor allem in Deutschland, Österreich und der Schweiz ausübte. Es war für
Mayer eine Zeit mit ständig neuen Herausforderungen, geradezu ein Crashkurs zur Förderung
der sozialen, geistigen und geistlich-religiösen Beweglichkeit.
Einer Bitte des Münchner Erzbischofs Franz von Bettinger folgend, wurde er Anfang
1912 in die bayerische Haupt- und Residenzstadt geschickt, um dort an der „Rückeroberung
der Arbeiterwelt“ – eine Formulierung des jungen Speyerer Bischofs Michael Faulhaber auf
dem Mainzer Katholikentag 1911 – mitzuwirken. Konkret ging es dabei um eine neue Form
der Großstadt-Seelsorge, um die katholische Betreuung der „Zugereisten“, meist aus unteren
sozialen Schichten, die unablässig und in großer Zahl – jährlich 20 bis 30.000 – auf der Suche
nach Arbeit und Lebensunterhalt vom Land in die Stadt kamen und das Scheinbild der glücklichen Prinzregentenzeit deutlich eintrübten. Rasch knüpfte der 36jährige Pater ein personelles Netzwerk, schulte Mitarbeiter, suchte tausendfach das persönliche Gespräch, erarbeitete
Informationsmaterial und war dabei so erfolgreich, dass er bereits 1913 auf dem Metzer Katholikentag darüber berichten durfte. Sein Name wurde schon vor dem Beginn des Ersten
Weltkrieges zu einem Markenzeichen für erfolgreiche kirchlich-soziale Integrationsarbeit.
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Auch der „Frauenwelt des erwerbstätigen Volkes“ galt seine frühe Aufmerksamkeit, er wirkte
bei der Ordensgründung der „Schwestern der Heiligen Familie“ mit und begleitete deren Arbeit jahrzehntelang als Spiritual.
Es entsprach einem verbreiteten Verhaltensmuster urban-bürgerlicher Kreise, dass er sich
bei Ausbruch des Weltkrieges freiwillig zum Einsatz in der Feldseelsorge meldete. Ab Anfang 1915 Divisionspfarrer der 8. Bayerischen Reserve-Division war er an deren Frontverwendung im Westen und im Osten beteiligt. Der Dichter und Schriftsteller Hans Carossa hat
mit seinen 1933 erschienenen erinnernden Darstellungen und Wertungen in dem Buch „Führung und Geleit“ nachhaltig das Bild des Rupert Mayer im Weltkrieg geprägt und ihn mit Ignatius von Loyola in einen geistig-geistlichen Zusammenhang gebracht. Dem rastlosen und
mutigen Helfer, schnörkellosen Prediger, der „mit treuherziger Stimme ein veredeltes Schwäbisch redete“ (Carossa), und ständigen Begleiter der kämpfenden Truppe wurde als erstem
Geistlichen das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen. Nach einer schweren Verwundung Ende
1916 im rumänischen Sulta-Tal musste sein linkes Bein amputiert werden. Nach langen Monaten der Rehabilitation war für ihn der Krieg beendet und im November 1917 kehrte er an
seine Münchner Wirkungsstätte zurück, wo Kriegsfolgen und Kriegsende eine Vielzahl neuer
Aufgaben mit sich brachten.
Kardinal Faulhaber übertrug ihm 1921 das Amt des Präses der Marianischen Männerkongregation und sein Ordensprovinzial bestimmte die von den Jesuiten wieder übernommene St.
Michaelskirche zu seinem seelsorglichen Wirkungsmittelpunkt. Damit war eine Plattform
geschaffen, von der aus der nunmehr 45jährige Jesuitenpater weit vor allem in jene Kreise der
Gesellschaft hinein agieren konnte, die dem „katholischen Milieu“ zuzurechnen waren. Die
dynamische und expansive Art, mit der er seine Ämter als Präses der Männerkongregation
und als Prediger und Beichtvater in der Michaelskirche sowie als nahezu omnipräsenter Versammlungsredner ausübte, „machte ihn zu einer der volkstümlichsten Priestergestalten“ (Wilhelm Sandfuchs) in der Region München. Um was es ihm ging, erläuterte er 1929 vor dem
Volksverein für das katholische Deutschland: Münchens Gepräge wieder religiös zu machen,
der Gefährdung des Christentums in der Großstadt zu widerstehen. Als Mittel nannte er Aufklärung der Menschen und „mehr Karitas wie bisher, mehr Verständnis und Hilfe für die Notleidenden.“ Dazu sollten auch die von ihm schon 1925 eingeführten Frühgottesdienste am
Hauptbahnhof beitragen, die an Sonn- und Feiertagen den zahlreichen Bahnbenutzern die
Möglichkeit eröffnete, eine Messe zu besuchen und zugleich den arbeitsfreien Tag zu genie-
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ßen. Als im Jahr 1932 Fritz Gerlichs „Gerader Weg“ als Sensationsblatt kritisiert wurde, sagte
Rupert Mayer zu einem Redaktionsvertreter: „Ja, was net gar, das freut mich aber. Ihr seid’s
feine Kerle. Ihr seid’s modern. Grad eure Mischung zwischen der Belehrung und Unterhaltung halte ich für die Lösung der katholischen Presse“, weil dadurch die breite Masse erreicht
werde.
Einige Zahlen sollen die Dimensionen der Arbeit und die überzeugende, Vertrauen schaffende, ja charismatische Ausstrahlung Rupert Mayers veranschaulichen. Innerhalb weniger
Jahre stieg die Mitgliederzahl der Männerkongregation von 2500 auf 8000. An den Frühgottesdienstes im Bürgersaal nahmen 1925/26 rund 13.000 und neun Jahre später, 1934/1935,
75.000 Besucher teil. Die gleiche Entwicklung nahmen die Frühgottesdienste im Hauptbahnhof. Hier vermehrte sich die Teilnehmerzahl von 1925 bis 1935 von 13.700 auf über 75.000
pro Jahr. Kardinal Faulhaber gratulierte Mayer im September 1933 zu seinem Erfolg. Er freue
sich, „dass dieses Segenswerk neuzeitlicher Pastoral auch in den politisch stürmischen Zeiten
aufrecht erhalten werden konnte“. Mayers Initiative könnte Anregung für andere Städte sein.
Auch die Zahl der von Rupert Mayer persönlich und über die Caritas materiell unterstützten
Familien ging regelmäßig in die Tausende. Als Prediger, Männerseelsorger, Caritasapostel,
Identifikationsfigur der Kriegsveteranen und gesuchter Gesprächspartner und Beichtvater
erhielt Mayer bereits vor 1933 den Ehrentitel „15. Nothelfer“. Insgesamt hat er, um noch
einmal die soziologische Begrifflichkeit von Mario Rainer Lepsius kulturgeschichtlich zu
adaptieren, sehr zur Stabilisierung des „katholischen Milieus“ in München beigetragen.
Neben der Predigt- und Seelsorgearbeit im engeren Sinne mischte sich Meyer in die
durch Emotionalität, Radikalität und Ideologisierung gekennzeichnete politische Auseinandersetzung in München ein. Offensiv nahm er, mit schwarzer Soutane bekleidet, an linksradikalen oder völkischen Versammlungen teil, ergriff kämpferisch bei den Diskussionen das
Wort, verteidigte die Rechte und Freiheiten der Kirche, geißelte antikirchliche Propaganda
und übte scharfe Kritik an Kommunismus und Nationalsozialismus. Nach der NSMachtübernahme wurden die Kanzel der wichtigste Ort und die Predigt das wichtigste Mittel
seiner Auseinandersetzung mit der kirchenfeindlichen Ideologie des nationalsozialistischen
Staates und ganz konkret mit den Planungen zur Einführung der Gemeinschaftsschule. Man
hat mit Recht festgestellt, dass seine Predigten in ihrer Breitenwirkung nur noch mit denjenigen Faulhabers zu vergleichen waren.
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Rasch geriet er ins Visier der neuen Machthaber, insbesondere der Gestapo, die seine
Predigten seit Dezember 1935 systematisch überwachte. Sein Ansehen, die Anfänge einer
persönlichen „Verehrung“ im „katholischen Milieu“ und seine Popularität in breiten Kreisen
der Gesellschaft Münchens und Bayerns hatten zur Folge, dass seine Behandlung durch die
Nationalsozialisten eine Empörung auslöste, für die es bei den Auseinandersetzungen zwischen Katholizismus und Regime nur wenige vergleichbare Beispiele gibt. Rupert Mayer
wurde zu einem Symbol für Glaubenstreue, Kampfgeist, Resistenz und Widerstand. Ein ehemaliger Priester und Sachbearbeiter für Kirchenfragen beim SD-Oberabschnitt Süd berichtete
nach 1945, dass der Gesamteindruck Mayers und sein Bekennermut in Berlin und München
bei der Gestapo viel Verwirrung stiftete. „Man wusste, dass man durch Maßnahmen gegen
ihn der eigenen Sache mehr schadete als nützte.“
Einer ersten Verwarnung im Mai 1936 folgten im April 1937 das erste Redeverbot und
im Juni 1937 die erste Verhaftung.
Auch als Reaktion auf einen aus breiten Kreisen der katholischen Bevölkerung Münchens
kommenden starken Handlungsdruck stellte sich Kardinal Faulhaber, nach einem Besuch
Mayers im Gefängnis, in einer Predigt zum alttestamentlichen Bibelwort „Es gibt eine Zeit
zum Schweigen und eine Zeit zum Reden“ beim Hauptkonvent der Marianischen Männerkongregation am 4.Juli 1937 in der Michaelskirche mit scharfen Worten der Empörung vor
Rupert Mayer und protestierte nachdrücklich gegen das Vorgehen der Gestapo. „Es rauchen
Flammenzeichen, und eines dieser Flammenzeichen ist die Verhaftung unseres Münchner
Männerapostels.“ Dem Urteil des Zeitzeugen und Historiker-Juristen Otto Gritschneder kann
man kaum widersprechen: „Kein anderer Oberhirte hat während der NS-Zeit öffentlich ein
Solidaritätsbekenntnis von solcher Deutlichkeit und Ausführlichkeit für einen seiner Priester
abgelegt.“
Im Gefängnis unterschrieb Rupert Mayer eine Erklärung, nach der er dem Redeverbot
zuwiderhandeln und weiterpredigen werde, „selbst dann, wenn die staatlichen Behörden, die
Polizei und die Gerichte, meine Kanzelreden als strafbare Handlungen […] bewerten sollte.“
Das Sondergericht München verurteilte ihn im gleichen Jahr wegen „Kanzelmißbrauchs“ und
„Verstosses gegen das Heimtückegesetz“ zu sechs Monaten Gefängnis, die er zunächst nicht
absitzen musste. Da er ein striktes Predigtverbot missachtete, wurde er erneut verhaftet. Dreieinhalb Monate war er in Landsberg am Lech inhaftiert, ehe die „Österreich-Amnestie“ im
Frühjahr 1938 seine Haftzeit verkürzte. Aber schon am 3. November 1939 wurde er wieder
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festgenommen und nach mehreren Wochen im Münchner Gestapo-Gefängnis wegen angeblicher Verbindungen zu monarchischen Verschwörern in das KZ Oranienburg-Sachsenhausen
gebracht. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Da man erhebliche negative politische Folgen bei einem Tod Mayers fürchtete, bot man dem Münchner Ordinariat an,
ihn in einem Kloster zu „konfinieren“. Das war die Voraussetzung für den Hausarrest, unter
dem Mayer dann von Anfang August 1940 bis Anfang Mai 1945 in Ettal leben musste.
In seinen dort diktierten autobiographischen Aufzeichnungen schreibt er über diese Jahre:
„Da der Herr Kardinal unter den gegebenen Umständen nicht wünschte, dass ich durch Übertretung des Gestapo Verbotes einen Krach heraufbeschwöre, und auch P. Provinzial es nicht
für richtig hielt, dem ausdrücklichen Wunsch des Kardinals entgegen zu handeln, fügte ich
mich, wenn auch sehr schweren Herzens.“
Am 11. Mai 1945 kehrte der Jesuitenpater in das zerstörte München zurück und machte
dort weiter, wo er 1940 hatte aufhören müssen, mit schwächer gewordener Kraft und vor erheblich größer gewordenen menschlichen, gesellschaftlichen und praktischen Problemen. In
realistischer Einschätzung seiner verbliebenen Möglichkeiten ließ es sich vom Amt des Präses
der Männerkongregation entbinden. Aber schon nach knapp einem halben Jahr, am 1. November 1945, verstarb er an den Folgen eines Gehirnschlags, den er während eines Gottesdienstes in der Kreuzkapelle von St. Michael erlitten hatte, im Josephinum. Die Umstände
seines Todes, nach einer weit verbreiteten Meinung ebenso beim Hl. Benedikt, am Altar und
im Stehen, stärkten rasch seinen latenten „Ruf der Heiligkeit“.
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Wenden wir uns nun der Entwicklung von Verehrung und Kult zu.
Anfänge einer signifikanten Orientierung katholischer Christen aus dem Raum München
an Rupert Meyer lassen sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg feststellen. Es sind Vorstufen
einer Zuwendung und Verehrung, die dann in der Nach- und Zwischenkriegszeit an Tiefe und
Breite ständig weiter zunehmen. In einer Protestnote des Vatikans an den deutschen Botschafter vom November 1937 ist von dem „bekannten, von weitesten Kreisen des Volkes hoch verehrten Münchner Männerapostel Hochwürden R. Rupert Mayer“ die Rede. Wenn Mayers
Aktivitäten in den Quellen beschrieben werden, seine Predigten und öffentlichen Auftritte,
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seine Kontakte mit der Männerkongregation, seine karitativen Maßnahmen, seine persönlichen Gespräche und seine Rolle als Beichtvater, immer ist die Zahl der betroffenen oder angesprochenen Menschen bemerkenswert groß, meist geht es um „Tausende“, von denen gesprochen wird.
Das gilt auch für die öffentliche Aufbahrung des, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb,
„weltbekannten Münchner Predigers“ am 2. und 3. November 1945 in der Fürstenkapelle von
St. Michael, die Beisetzung mit Kardinal Faulhaber am darauf folgenden Tag und den vom
Kardinal zelebrierten Seelengottesdienst am 16. November 1945 in der Ludwigskirche. Sein
Grab auf dem Jesuitenfriedhof in Pullach war von Anfang an eine Münchner Pilgerstätte in
den Nöten der Nachkriegszeit, man suchte seine vermittelnde Hilfe bei Gott. Schon kurz nach
der Beerdigung wurde in der Hauschronik von St. Michael notiert, dass verschiedenste Gebetserhörungen auf Anrufung von P. Mayer gemeldet werden. Auch im Kardinal-FaulhaberArchiv finden sich hierzu frühe Hinweise, so in einer Vorlage vom 15. April 1947: „Es mehren sich die Mitteilungen von Gebetserhörungen, die in den verschiedensten Angelegenheiten
auf Anrufung von P. Rupert Mayer sich ereigneten. Krankheitsfälle, Heimkehr von Vermissten und Gefangenen, Versorgung in schwerster Not und ähnliches mehr in oft wunderbarer
und auffälliger Weise. Zwei Fälle, die den Charakter des Wunders an sich tragen, möchten
wir zur Orientierung seiner Eminenz zur Vorlage bringen.“
Eine erste, spontane „Seligsprechung“ kraft autochthonen Rechts der Gläubigen und in
Form einer „Abstimmung mit den Füssen“ begann also schon unmittelbar nach seinem Tod.
Es wurde an Sonn- und Feiertagen – nur dann konnte man das Grab besuchen – eng in
Pullach, was – „auf vielfachen Wunsch“, wie es offiziell hieß – Überlegungen bei der Männerkongregation, bei den Jesuiten und im Ordinariat beförderte, Rupert Mayer an einen besser
zugänglichen Ort umzubetten. Im Zusammenhang mit dem Seligsprechungsprozess schrieb
der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 1983 an den Papst: „Die Bevölkerung von
München, für die P. Rupert Mayer so viel gearbeitet hatte, wollte, dass seine sterblichen
Überreste in die Stadt zurückgebracht werden.“
Man entschied sich für die Unterkirche des wieder hergestellten Bürgersaals. Die Überführungsfeier am Hauptfest der Marianischen Männerkongregation, dem 23. Mai 1948, wurde
als Massenereignis vorbereitet und durchgeführt. Etwa 25.000 Männer aus ganz Bayern –
Frauen war die Begleitung verwehrt – folgten dem Sarg von der Wallfahrtskirche St. Maria
Thalkirchen in die Münchner Innenstadt, mehr als 100.000 Menschen säumten die Straßen.
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Diese Translation erinnert den Historiker an die „pompes funèbres“ singulärer Münchner
Trauerfeierlichkeiten des 20. Jahrhunderts, etwa 1921 für König Ludwig III., 1955 für Kronprinz Rupprecht oder 1988 für Franz Josef Strauß.
Weihbischof Johannes Neuhäusler, in dem man einen der nachhaltigsten Förderer der
Mayer-Verehrung nach 1945 sehen darf, bezeichnete in seiner Predigt bei der Überführung
das neue Grab des „Männerapostels Pater Rupert Mayer ein Gegenstück […] zum Grab des
Gesellenvaters Adolf Kolping.“ und Mayer selbst „fast“ einen „Märtyrer der Wahrheit“. „Aus
nah und fern wird eine Wanderung, beinahe möchte man schon sagen, eine ‚Wallfahrt‘, zu
diesem neuen Grabe einsetzen. Vielleicht schon in wenigen Monaten werden die Einzelbeter
an dieser Gruft mehr sein als die Zehntausende, die heute diesem lieben Toten das Geleit gegeben haben.“ Und dann verwies Neuhäusler gleichsam auf die „Allzuständigkeit“ Rupert
Mayers bei Gott: „Sieh, die Zehntausende, die hier um Deine letzten irdischen Überreste stehen, sie haben neben Dankbarkeit und Verehrung auch so viel Sorgen und Anliegen auf dem
Herzen: Sorgen ums tägliche Brot, Wohnung, Gesundheit, Berufswahl, Ehenot, Kinderleid,
Rückkehr von Gefangenen und Vermißten, Rückkehr in die verlorene Heimat, Regen und
Wachstum, Frieden unter den Völkern, im eigenen Volk und im eigenen Haus, um tausenderlei anderes: nimm alles hinein in Dein weites, gutes Herz! Trag’s hinaus vor Gottes Thron und
empfiel es dem Lenker alles Geschehens und dem Geber alles Guten.“ Im Münchner Merkur
las man am nächsten Tag: „Die Gruft des ‚Apostels von München‘ wurde […] zur allgemeinen Wallfahrtsstätte erhoben.“
Mit der Veröffentlichung von Gebetserhörungen begann der Jesuitenorden bereits vor
Beginn des Seligsprechungsverfahrens. Das erste Heft der bis Ende 2011 auf 213 Folgen angewachsenen Publikationsreihe erschien im Juni 1949. Als Begründung wurde auf den wachsenden Glauben an die Vermittlungskraft Mayers bei Gott und auf zahlreiche Bitten um Veröffentlichung verwiesen. Das verband man mit einem allgemeinen Aufruf, Gebetserhörungen
zu melden.
1949 beantragte die Männerkongregation bei Kardinal Faulhaber und dem General des
Jesuitenordens wegen des Rufs der Heiligkeit, der Tugend und des Wunders die Einleitung
des Seligsprechungsverfahrens, am 4. Juni 1950 kündigt Faulhaber die Eröffnung des Informativprozesses an. Es ist hier nicht der Ort, den vergleichsweise rasch aufeinander folgenden
Schritten des Seligsprechungsprozesses im Einzelnen nachzugehen. Das müsste einmal unter
Auswertung aller einschlägigen Akten in Rom, in München und bei den Jesuiten geschehen.
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Jedenfalls gab die Ritenkongregation in Rom unmittelbar vor dem Eucharistischen Weltkongress 1960 grünes Licht und zwei Jahre später, genau vor einem halben Jahrhundert, begann
das apostolische Erhebungsverfahren in München.
Wenn wir an dieser Stelle einen kurzen Blick auf die Kultformen werfen, so sind zunächst die Besuche von Grab und Kirche anzusprechen. Ihre Zahl ist von Anfang an sehr
hoch. Am 11. Juli 1950 wurden 8.514, am 3. Oktober 1959 9.045 Gläubige gezählt. Grundsätzlich darf man sicher feststellen, dass die Unterkirche des Bürgersaals bis heute zu keiner
Zeit leer gewesen ist. Auch der signifikante Rückgang der Bindungskraft des „katholischen
Milieus“ in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhundert hat eine weit verbreitete Selbstverständlichkeit, beim Gang durch die Neuhauser Straße Pater Rupert Mayer einen Besuch abzustatten und mit ihm bittend in Verbindung zu treten, lange Zeit kaum erreicht.
Als die Deutsche Bischofskonferenz im September 1983 den Papst mit Blick auf den bevorstehenden Katholikentag in München um eine Beschleunigung des Seligsprechungsverfahrens bat, wird vor allem der alles Gewöhnliche übersteigende Besuch der Grabstätte angesprochen: „Wir sind sicher, dass der seit dem Tod von P. Rupert Mayer ununterbrochen anhaltende tägliche Zustrom von Betern zu seinem Grab ein außerordentlicher Beweis für die
Causa dieses Dieners Gottes ist, ein Phänomen, das in seiner Art einmalig ist und natürlicherweise nicht erklärt werden kann. Wir erkennen darin ein Zeichen dafür, dass Gott in den
Herzen der Gläubigen die Verehrung von P. Rupert Mayer weckt und bewirkt, seinem Beispiel zu folgen.“ Als zweites „Zeichen“ werden die Gebetserhörungen genannt.
Zum Devotionsverhalten beim Besuch der Grabstätte gehörten von Anfang an das Mitbringen von Blumengaben und Votivkerzen (die bis zum Abschluss des Beatifikationsprozesses nicht angezündet werden durften) sowie das Berühren der Kalckreuth-Büste Rupert Mayers. Wichtigstes Instrument aber wurde rasch das Schreiben von Briefen, insbesondere die
Mitteilung von Gebetserhörungen, also eine Art bürokratische Modernisierung der Heiligenverehrung, die von Seiten der Kirche auch wegen des Seligsprechungsprozesses stark gefördert wurde. Von 1949 bis Dezember 1980 wurden beispielsweise 45.000 Gebetserhörungen
veröffentlicht. Einen quantitativen Schwerpunkt bilden dabei die frühen 1950er Jahren. Hinzuweisen ist auch auf den amulettartigen Gebrauch von Pater-Rupert-Mayer-Bildern und
-Medaillen mit Reliquiencharakter oder das Abhalten von persönlichen Novenen-Andachten
und die Stiftung von Messen. Zentrale Bedeutung kam immer dem Spenden von Geld zur
Verwendung im Sinne Pater Rupert Mayers zu. Insgesamt gesehen traten in der Unterkirche
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des Bürgersaals traditionelle Kultformen gegenüber modernen, nachkonziliaren Frömmigkeitsformen zurück.
Der Seligsprechungsprozess wurde in München ständig von inner- und außerkirchlichen
Aktivitäten zur Erinnerung an Rupert Mayer begleitet. Einige davon seien genannt: Über Mayers Grab fand (und findet) in der Oberkirche des Bürgersaals täglich um 12 Uhr eine Heilige
Messe statt. Die erste Auflage des Rupert-Mayer-Buches von Jesuitenpater Anton Koerbling,
Nachfolger Mayers als Präses der Männerkongregation, erschien 1949 und ist bis heute vielfach wieder aufgelegt worden. In der Unterkirche wurde ein rasch stark frequentierter Schriftenstand eingerichtet, bei dem auch die Visualisierung Rupert Mayers eine große Rolle spielte. Angehörige der ehemaligen Bayerischen Armee enthüllten 1960 eine Gedenktafel. Auch
außerhalb des Bürgersaals und Münchens entwickelten sich Verehrungs- und Gedächtnisstätten. 1974 sammelte der damalige Präses, Pater Karl B. Sieben, zugleich Vizepostulator für die
Seligsprechung, 375.000 Unterschriften für einen Aufruf zur Seligsprechung. Erwähnen muss
man das Rupert-Mayer-Hilfswerk und das seit 1954 bestehende „Cartell Rupert Mayer“. Ein
Festgottesdienst zum 100. Geburtstag 1976 mit Kardinal Döpfner in St. Michael war begleitet
von Anregungen an die gesamte Diözese, an den Männerapostel zu erinnern.
Bei seinem München-Besuch im Jahr 1980 beendete Papst Johannes Paul II. seine Predigt
auf der Theresienwiese mit den Worten: „Abschließend möchte ich auf einen Mann hinweisen, den manche unter Euch oder Eure Eltern noch persönlich gekannt haben, den Jesuitenpater Rupert Mayer, an dessen Grab im Zentrum von München in der Krypta des Bürgersaales,
täglich viele Hunderte von Menschen kurze Gebetseinkehr halten. Ungeachtet der Folgen
einer schweren Verwundung, die er im 1. Weltkrieg bei einem Versehgang erlitt, trat er in
schwerster Zeit öffentlich und ganz unerschrocken für die Rechte der Kirche und die Freiheit
ein und hat deswegen die Härte des Konzentrationslagers und der Verbannung erleiden müssen.“ Zum Münchner Katholikentag 1984 öffnete im Bürgersaal eine ständige Ausstellung „In
Memoriam P. Rupert Mayer SJ“ und die gleichzeitige Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs über „Kirche in Bayern […] im Wandel der Jahrhunderte“ ging ausführlich auf
Rupert Mayers Widerstand gegen den Nationalsozialismus ein.
Einen eigenen Abschnitt müsste man an dieser Stelle eigentlich den Aktivitäten des
Münchner Rechtsanwalt Otto Gritschneder widmen, der als Zeitzeuge des Sondergerichtsprozesses und als geschichtswissenschaftlich arbeitender Jurist in Wort und Schrift immer wieder
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Pater Rupert Mayer
auf Rupert Mayer hingewiesen hat. 1985 veröffentlichte Herbert Rosendorfer sein Drama
„Zeit zu reden, Zeit zu schweigen. Szenen aus den letzten Jahren des Pater Rupert Mayer“.
Am 3. Mai 1987 erfolgte schließlich im Münchner Olympiastadion vor über 80,000 Teilnehmern die Seligsprechung, mit der die Verehrung Rupert Mayers kirchlich sanktioniert
worden ist.
Das Jahr 1987 brachte nicht nur eine Springflut bei den Rupert Mayer gewidmeten Veröffentlichungen, sondern auch eine Vielzahl von Veranstaltungen, Ausstellungen, künstlerischen und sozialen Aktivitäten sowie öffentlichen Würdigungen, Filmen, Diareihen sowie
Tonträgern und auch historisch-politische Auseinandersetzungen, vor allem zur Frage, wie
Rupert Mayers Widerstand unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten einzuordnen ist. Der
Caritasverband München und Freising gründete seine Rupert-Mayer-Stiftung für behinderte
Menschen und der Katholikenrat der Region München schuf eine Pater-Rupert-MayerMedaille für bürgerschaftliches Engagement in christlicher Verantwortung. Eine Sonderbriefmarke zur Seligsprechung trägt die Porträts von Mayer und von Edith Stein, deren Seligsprechung am 1. Mai 1987 in Köln erfolgt war. 200.000 Nachdrucke des Sterbebildes waren
rasch vergriffen. Die Männerkongregation gab ein Rupert-Mayer-Lied in Auftrag, die Katholische Akademie einen Rupert-Mayer-Wandteppich und nach St. Bonifaz wurde zu einem
Caritas-Tag eingeladen. Der Jesuitenpater Walter Rupp verfasste das Bühnenstück „Ich
schweige nicht“, das mit dem Wiener Burgtheater-Schauspieler und Iffland-Ring-Träger Josef
Meinrad in der Hauptrolle in der Bürgersaalkirche aufgeführt wurde. Die durchweg positiven
Berichte und Kommentare in den Printmedien – die Abendzeitung nannte Mayer den „Werktags-Heiligen für die Münchner“ – füllen Archivmappen. Da es hier nicht um Vollständigkeit,
sondern lediglich um ein Gesamtbild geht, kann ich mit gutem Gewissen abbrechen.
Nach der Seligsprechung verstärkte sich die Tendenz, durch eine entsprechende Benennung von Einrichtungen und Institutionen eine Verbindung zu Pater Rupert Mayer und dem
von ihm repräsentierten Geist herzustellen. Kapellen und Schulen, Heime und Kliniken, Vereine und Caritashäuser, Straßen und Wege erhielten seinen Namen. Geographisches Zentrum
dieser Denominationen ist München und Bayern, sie lassen sich aber auch, zahlenmäßig deutlich geringer, deutschlandweit und – eher punktuell – global beobachten, in Indonesien, Simbabwe oder Colorado.
Sowohl beim Kult, also den Handlungen und Haltungen der Gläubigen gegenüber ihrem
Seligen und seiner Grabstätte, wie bei den einschlägigen erinnerungspolitischen, liturgischen
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Hermann Rumschöttel
und pastoralen Aktivitäten der Kirche, des Ordens, der Männerkongregation, aber auch bei
dem nach wie vor eher örtlichen und regionalen Verehrungs-Schwerpunkt kennzeichnet nach
1987 und bis in unsere Tage Kontinuität das Bild. In dem 2008 eröffneten Museum der Marianischen Männerkongregation in den der Unterkirche benachbarten Räumlichkeiten bilden
Leben und Werk Rupert Mayers einen deutlichen Schwerpunkt. Im offiziellen Museumshandbuch Bayern wird der Pater bei der Vorstellung dieses Museums als der Münchner
Stadtpatron bezeichnet.
Andererseits machen die gesellschaftlich-geistigen Säkularisierungsvorgänge vor Rupert
Mayer nicht Halt, wenngleich sich seine Verehrung quantitativ gesehen gegen manchen die
Kirchen betreffenden Trend gut behauptete. Vielleicht kommt darin eine Erwartungshaltung
der Gläubigen gegenüber der Kirche zum Ausdruck, Rupert Mayer geistlich und sozial zeitgemäß zu adaptieren.
Freilich, die Marianische Männerkongregation hatte 1978 nur mehr 1.600 Sodalen, und
hat heute gerade noch knapp 400 Mitglieder, die Zahl der schriftlich mitgeteilten Erhörungen
sinkt, die Zunahme touristischer Besucher des Bürgersaals ist unübersehbar und das jährliche
Spendenaufkommen in der Unterkirche lag 2011 noch bei 125.000 Euro (ein Betrag, an dem
im Übrigen auch St. Bonifaz mit der Obdachlosenhilfe und dem Haneberghaus partizipiert).
Dennoch bleibt das Heiligsprechungsverfahren ein „work in progress“, ein laufender Prozess,
den ein Wunder entscheidend beschleunigen würde.
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Stellen wir in einem letzten Abschnitt die Frage nach in der Person Mayers, in seiner Biografie und in der Geschichte liegenden Gründen für seine Verehrung. Es geht dabei also nicht um
die theologischen Aspekte, den Glauben der Menschen, sondern um eine Analyse der förderlichen Bedingungen und Rahmenbedingungen.
Wenn man in seiner Popularität zu Lebzeiten, seiner Bekanntheit und Beliebtheit die entscheidende Grundlage für die Entwicklung seiner Verehrung sieht, wie das mehrfach geschehen ist, dann greift man meines Erachtens zu kurz. Das hohe persönliche Ansehen selbst ist
nämlich bereits eine Folge der eigentlichen Voraussetzungen und Ursachen der Hochschätzung dieses Paters.
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Pater Rupert Mayer
Da ist zunächst die persönliche Präsenz eines charismatischen Kirchenmannes, der, aus
der Volksmission kommend, unterschiedliche Formen der direkten Begegnung mit den Menschen sucht, findet und dadurch Tausende und Abertausende anspricht. Der Bogen reicht hier
von der urbanen Integrationsarbeit vor 1914 über einen opferbereiten Kriegseinsatz, der durch
die künstlerische Stilisierung in Hans Carossas 1933 erschienenen und bis 1943 60.000 mal
gedruckten Lebensgedenkbuchs „Führung und Geleit“ geradezu heroisiert wurde, dann die
Arbeiterinnen- und Familienfürsorge in Verbindung mit den Schwestern von der Hl. Familie,
die Unmittelbarkeit seiner kirchlichen Aktivitäten in Wort und Tat – insbesondere als Präses
der Männerkongregation – in der Zwischenkriegszeit, in der er zum 15. Nothelfer wird, bis
zur Besiegelung seiner Glaubwürdigkeit in den Jahren der nationalsozialistischen Verfolgung.
Für eine sehr große Zahl von Menschen wurden in Rupert Mayer Kirche und Glaube konkret
und überzeugend.
Wesentlich dazu beigetragen hat, zweitens, Mayers pastorale Modernität, mit der er sich
ganz auf die gesellschaftlich-ökonomischen Bedingungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Großraum München eingelassen hat. Neuhäuslers Kolping-Assoziation knüpft hier
an. Großstadtseelsorge mit einem klaren Blick für die Nöte der Menschen, mit einem klaren
Verstand und mit klaren Worten bei gleichzeitiger theologisch-kirchlicher, der Tradition verpflichteter Grundsatztreue. Die eine Seite hierbei ist der von der Basis der mitgliederstarken
Marianischen Männerkongregation aus agierende „Caritasapostel“, der das in der Zwischenkriegszeit aktuelle Modell der demonstrativen Gemeinschaftsbildung als Teil des „katholischen Milieus“ praktizierte, die andere Seite der scheinbar unpolitische Pater, der sich mit
verständlichen Worten in das Wirrwarr der politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
einmischte und dabei vielen vor Augen führte, worauf es eigentlich ankommt.
Schließlich seine verbale und existentielle Konsequenz bei der Auseinandersetzung mit
dem Nationalsozialismus. Er wird wahrgenommen als das was er war, ein mutiger Glaubenszeuge, und er stärkte dadurch nicht nur die positive Beurteilung seiner Person in breiten Kreisen der Kirchenmitglieder, sondern auch deren katholisches Selbstbewusstsein. Das lässt sich
insbesondere auch nach 1945 beobachten, wo er als Mann des kirchlichen Widerstands mit
weißer Weste zu einem Identifikationsangebot für viele wird, die mit dem Verhalten der katholischen Kirche und auch ihrem eigenen Verhalten in der NS-Zeit wenig zufrieden gewesen
sind. Man war ja schließlich kein Heiliger, aber dafür offensichtlich Rupert Mayer. Die amerikanische Militärregierung hatte ihn 1945 den Münchner „Linkskatholiken“ zugerechnet.
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Hermann Rumschöttel
Die jesuitische Spiritualität Mayers hat die Entwicklung der Verehrung wenig beeinflusst.
Das hängt entscheidend damit zusammen, dass sich dieser Aspekt der religiösen Persönlichkeit Rupert Mayers recht eigentlich erst in den Verbannungsjahren in Kloster Ettal ausbildete
und deshalb in der konkreten priesterlichen Arbeit kaum mehr zum Tragen kommen konnte.
Die Religionssoziologie spricht bei der Analyse von Verehrungserscheinungen von „Initiativpersonen“, die Beginn und Entwicklung eines Kults entscheidend bestimmen. Im Fall
von Rupert Mayer scheint mir das als alleiniges Erklärungsmuster nicht geeignet zu sein, aber
übersehen darf man diesen Aspekt nicht. Johannes Neuhäusler, Franziska Boesmiller, Otto
Gritschneder, Anton Koerbling, Wilhelm Sandfuchs oder Roman Bleistein, um nur sechs
Namen zu nennen, haben mit ihren Publikationen und Aktivitäten natürlich auf die Entwicklung eingewirkt, aber sie haben die Prozesse in erster Linie verstärkt, vertieft, kanalisiert,
nicht so sehr verursacht.
Die Entwicklung der Verehrung Rupert Mayers trägt in großem Umfang die Züge einer
modernen Volkskanonisation, die selbstverständlich in Wechselwirkung zu fördernden Aktivitäten des Jesuitenordens, der Männerkongregation, des Ordinariats und anderer Organisationen und Personen stand und steht. Trotz eines virulenten Spannungsfeldes zwischen Volksfrömmigkeit und kirchlicher Lenkung wäre es aber falsch, von einer kirchlichen Heiligenpräsentation zu sprechen, die von den Gläubigen im Laufe der Zeit akzeptiert worden ist. Fast
alles deutet darauf hin, dass es umgekehrt war.
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Ich komme zum Schluss.
Mayers ständig gewachsenes Ansehen, die Verehrung des Jesuitenpaters, der Glaube an
seine Vermittlungsmöglichkeiten bei Gott, die unübersehbaren Elemente der Volkskanonisation, all dies hat viele Gründe. Neben Charisma, Glaubensstärke, Standhaftigkeit und Mut
scheint mir ein wesentlicher Punkt zu sein, dass er sich mit seiner sozialen und karitativen
Arbeit, aber auch kirchenpolitisch und theologisch ganz an der Gesellschaft seiner Zeitgenossen orientiert und sich dieser Gesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber
weit geöffnet hat. Deshalb gehen breite katholischen Kreise der Gesellschaft, aber nicht nur
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Pater Rupert Mayer
diese, so stark auf Rupert Mayer zu, deshalb wird er bis heute, im übertragenen Sinne, eine
viel begangene Brücke zwischen Gesellschaft und Kirche, jedenfalls im Münchner Raum.
Wenn wir über diesen Jesuitenpater in der Benediktinerabtei St. Bonifaz reden, dann tun
wir es in einem Münchner Kloster, das Mayers breite Öffnung hin zur Gesellschaft selbst seit
Jahrzehnten praktiziert. Insofern sind wir, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, mit
unserer analysierenden Erinnerung an Rupert Mayer in St. Bonifaz genau am richtigen Ort.
Und diese Öffnung der Kirche in die Gesellschaft, moderne Großstadtseelsorge mit ihrer
karitativen Solidarität der Tat im Sinne Rupert Mayers, verbunden mit einer auf kulturelle
Breitenwirkung zielenden benediktinischen Intellektualität können sie – wenn Sie mir diese
abschließende Werbeeinblendung erlauben – durch eine Förderung des Vereins der Freunde
der Benediktinerabtei St. Bonifaz unterstützen.
Ich danke Ihnen, Sie waren sehr aufmerksam, obwohl ich so lange gesprochen habe.
Bemerkung
Das Manuskript gibt den Wortlaut des Vortrages wider, der am 31. Juli 2012 im Rahmen der zweiten
Sommerakademie der Abtei St. Bonifaz in München gehalten wurde; er wurde für die Präsentation im
Netz nicht eigens überarbeitet; die Angabe von Belegen und Literatur lag im Ermessen der Referenten,
ebenso die Verwendung von alter oder neuer Rechtschreibung. Das Manuskript ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
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