Erfolg s - Neue Zürcher Zeitung

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Naturwunder
Erfolg
im Stress des s
Über den Zielkonflikt
der US-amerikanischen Nationalparks
Text und Aufnahmen Georg Gerster
Yellowstone National Park in den nördlichen Rocky Mountains, in der Nordwestecke des Staates Wyoming, ist in den USA
bis heute «der Park» schlechthin: seit kurzem zwar nicht mehr
der grösste, aber für immer der älteste der älteste Amerikas,
der älteste der Welt.
Fallensteller und Goldsucher erzählten schon im frühen
19. Jahrhundert wunder was von des Teufels Küche in den Bergen. Aber erst 1870 hielten einige beherzte und betuchte Bürger
-
aus dem benachbarten Territorium Montana Nachschau. Sie
mussten an dem Trapperlatein wenig korrigieren. So übcrwälti-
Der im Schnitt alle 65 Minuten springende Old Faithful Geyser wurde zum
Wahrzeichen nicht nur Yellowstone*, sondern der US-amerikanischen
Parks schlechthin.
-
gend war Yellowstones Wunderwelt zehntausend heisse
Quellen und kochende Teiche, Geysire, Dampfaustritte und
Schlammvulkane -, dass die Expedition auf ihr gutes Recht,
Schürf- und Landrechte anzumelden, verachtete und statt dessen die Schaffung eines Nationalparks vorschlug.
Nathaniel Pitt Langford, der später ein Tagebuch über die
Rekognoszierung veröffentlichte, hebt den 19. September als den
Tag hervor, an dem bei einem Gespräch am Lagerfeuer die
Nationalparkidee geboren wurde. Hierin irrt Langford freilich.
Auf fünf Geschossen umlaufen Balkone die Eingangshalle der Old Faithful lnn im Yellowstone National Park. Das Hotel im Blockhausstil, eine der
schönsten und kühnsten Holzbauten nicht nur Amerikas, entstand 1903/04. Da in Yellowstone das Thermometer bis auf -54 "C fallen kann, wurde zuerst
die Küche gebaut um die Konstruktionsnägel, die sonst Erfrierungen verursacht hätten, anwärmen zu können.
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Neue Zürcher Zeitung vom 01.06.1962
Die Idee nationaler Parks hatte damals schon eine jahrhundertealte angelsächsische Tradition, und sogar für Yellowstone war
der Vorschlag schon einige Jahre vorher gemacht worden, als es
kaum mehr als ein Gerücht war.
Immerhin: Yellowstone wurde der erste Nationalpark. Bereits zwei Jahre nach der Rückkehr der Expedition folgte der
Kongress ihren Anträgen und gab damit wenn schon nicht die
Idee>; SO d°ch das Signal für eine weltweite Bewegung. Heute
sind mehr als 1 20 Nationen stolz auf über 2000 Nationalparks
oder Schutzgebiete von vergleichbarem Status. Sie machen aller-
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Links: Death Valley National Monument, Kalifornien. Mitte: Casa Grande National Monument, Arizona. Rechts: Lassen Volcanic National Park, Kalifornien.
Wupatki National Monument, Arizona.
Das Weisse Haus, District
dings den USA die Vorrangstellung, was Zahl und Gesamtfläche
der Parks betrifft, genausowenig streitig wie den zeitlichen Vorsprung. Und unbestritten bleibt zweifellos der Rekorderfolg des
US-amerikanischen Parksystems: es zählte letztes Jahr nicht weniger als 354 Millionen Besuche.
Der Kongress hatte es 1872 verhältnismässig einfach: knapp
9000 Quadratkilometer gegen wirtschaftliche Eingriffe zu schützen war damals angesichts der unermesslichen Landvorräte des
Bundes vielleicht nicht einmal besonders heroisch. Und sicher
machte es sich der Kongress dabei etwas zu einfach: der ehrenamtliche Direktor hatte anfangs weder einen Etat noch Mitarbeiter, der Park bestand eigentlich nur m
d e Namen nach. Die Trapper und Jäger setzten ihre Tätigkeit ungehindert fort und zogen
nun auch noch den ersten Touristen das Fell über die Ohren. Die
Verhältnisse verschlimmerten sich derart, dass 1886 eine Kavallerieeinheit Yellowstone besetzte. Das Heer herrschte in Yellowstone dreissig Jahre lang, sehr zum Nutzen der Natur; auch in
andern, kurz vor und nach der Jahrhundertwende geschaffenen
-
Haleakala National Park, Hawaii.
of Columbia.
Parks übernahmen es die Militärs, dem Auftrag des Kongresses
und dem Parkreglement Achtung zu verschaffen.
Es bleibe also dahingestellt, wieviel Mut es brauchte, den
ersten Park zu schaffen. Aber weitsichtig war die Tat. Und folgenreich. Auf m
d e Grundstein «Yellowstone» entstand in einem
guten Jahrhundert ein wunderbares und wohl mitunter auch
etwas wunderlich anmutendes e
G e b ä u d von National Parks,
National Monuments, National Preserves, plus assortierten Küsten, Seeufern und Flüssen von nationaler Bedeutung, von National Historic Sites, National Memorials und National Historical Parks kurz: das National Park System. Der National Park
Service, ein Amt des Innenministeriums, der es seit 1916 verwaltet, kümmert sich um die verwirrende Klassifikations- und Namensvielfalt seiner Mündel herzlich wenig für seine Beamten,
namentlich für die Rangers im Feld, sind das alles ganz einfach
«Parks»: zurzeit 53 3 an der Zahl, mit einer Fläche von zusammengerechnet etwa 324 000 Quadratkilometern. Der entfernteste
liegt auf Guam im Südpazifik. Der grösste, mit über einem
-
-
Zehntel der Totalfläche, ist der Wrangell-St. Elias National Park
in Alaska; der kleinste, mit weniger als hundert Quadratmetern,
ist die Gedenkstätte (in Philadelphia) für Thaddeus Kosciuszko,
einen geborenen Polen und Helden der Amerikanischen Revolution. Überhaupt gehören viele patriotische, kriegs- oder sonstwie
nationalgeschichtliche Denkwürdigkeiten zum
Parkbestand. Unter den historischen Stätten zeichnet sich das USS Arizona Memorial in Pearl Harbor dadurch aus, dass dieser Park, der an die
Versenkung des Schlachtschiffes «Arizona» durch die Japaner
erinnert, als einziger keine Oberfläche hat; und das Weisse
Haus, ebenfalls ein Pflegling des Park Service, dadurch, dass es
als einziger Park m
d e Publikum nur beschränkt zugänglich ist,
weil dort Geschichte nicht nur stattfand, sondern noch immer
gemacht wird.
Lange nicht alle Natur-Superlative der USA sind unter dem
Dach des Park Service versammelt. Im Verzeichnis seiner
Schutzgebiete fehlen zum Beispiel die Niagara-Fälle,
Monument
Valley und Meteor Crater. Eigentliche Weltbestleistungen der
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Grand Canyon National Park, Arizona. Er gehört wie Yellowstone zu den «Kronjuwelen-Parks» westlich der Rocky Mountains, die den Ruhm des US-amerikanischen Parksystems begründeten.
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Golden Gate National Recreation Area, Kalifornien.
Natur wie Hells Canyon, die tiefste Schlucht der Erde, oder die
Grannenkiefern in den White Mountains, die ältesten Bäume
der Erde, stehen zwar im Guinness-Buch der Rekorde, nicht
aber auf der Liste der Parks. Ihr Fehlen hängt zuweile
n
mit
behördlichen Querelen zusammen, meist aber mit dem Umstand, dass das betreffende Land nicht dem Bund gehört. Dem
Kongress allein steht es zu, Nationalparks
zu schaffen; notfalls
kann er einen Park mit nichtbundeseigenem Land arrondieren.
Immerhin räumt aber ein Gesetz dem Präsidenten das Recht ein,
auf Bundesland ein National Monument zu dekretieren, ohne
den Kongress zu fragen. Präsidenten haben dieses Prärogativ
gelegentlich benützt, um dem Kongress, der
zu sehr auf die Einflüsterungen kommerzieller Interessen hörte, Beine zu
.
machen
Roosevelt rief in den Tetons ein National Monument aus, nachdem der Kongress dort einen Nationalpark abgelehnt hatte. Verärgert machten die Parlamentarier mit einem speziellen
Gesetz
das sogenannte Jackson Hole National Monument rückgängig,
aber Roosevelt legte gegen das Gesetz sein Veto ein, worauf der
Kongress jahrelang dem Park Service für
diesen missliebigen
Haushaltsposten die Mittel verweigerte. (Der heutige GrandTeton-Nationalpark entstand erst, als sich sowohl in Jackson
Hole wie in Washington die Gemüter beruhigt hatten.) Als Ende
1978 für riesige Areale in Alaska die Schutzfrist ablief, aber der
Kongress, im Wiederstreit wirtschaftlicher
Petrified Forest National Park, Arizona
Saguaro National Monument, Arizona.
9.
Jefferson National Expansion Memorial National Historic Site, Missouri (I.); Dinosaur N. M., Colorado/Utah (r.)
und naturschützeri-
scher Anliegen, sich trotzdem zu keinem Beschluss durchringen
konnte, dekretierte Präsident Carter kurzerhand elf neue National Monuments; damit rettete er 200 000 Quadratkilometer
Land im Urzustand vor jeglicher Kommerzialisierung. In diesem
Fall honorierte der Kongress die Entschlusskraft des Präsidenten und beförderte 1980 die meisten der Monuments zu Nationalparks.
Die Alaska Lands Bill hat die Gesamtfläche der Parks mehr
als verdoppelt. e
S i verdrängte Yellowstone, den bis dahin grössten Park, auf den zehnten Platz. Nach ähnlich stürmischer Expansion in der nahen Zukunft gelüstet es den Park Service indessen nicht. Im Gespräch sind zwar noch zwei grössere Naturparks
im Grossen Becken von Nevada und in der Langgrasprärie
von Kansas und Oklahoma -, aber die Diskussion über sie wird
vorläufig bestenfalls im Vorzimmer der Politik geführt. Statt Expansion steht zurzeit Konsolidierung im Vordergrund. Der Park
Service mit einem jährlichen Haushalt von 840 Millionen Dollar
hat alle Hände voll zu tun, das bewundernswerte Gebäude der
Parks zu festigen und zu verteidigen.
-
-
So weiträumig viele der Naturparks sind
Inseln sind sie
nicht. Bei ihrer Schaffung wusste man wenig über Ökologie.
Daher wirken heute ihre Grenzen oft willkürlich, mit dem administrativen Lineal gezogen, und fast immer fehlen Pufferzonen.
Entsprechend wachsen jetzt die Gefahren. Der Bericht über den
Zustand der Parks zuhanden des Kongresses zählte 1980 allein
für Glacier National Park in Montana 56 Bedrohungen von aussen auf. Namentlich bedroht die Entwaldung im Einzugsgebiet
seiner Bäche und Flüsse jenseits der Parkgrenzen den Wasserhaushalt des Parks. In Florida beeinträchtigen zunehmend die
wuchernde Urbanisierung sowie die Trockenlegung von Sumpf
und Moor für den Plantagenbau die Wasserversorgung der Everglades. Kummer hat man sogar in Yellowstone dem Park, den
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Navajo National Monument, Arizona.
Sequoia National Park,
Kalifornien.
einst nur schon seine Abgelegenheit genügend zu schützen
schien: die Zahl der Grizzlybären nimmt dort alarmierend ab.
Der Holzeinschlag und die öl- und Gasbohrungen (nebst anderen bergbaulichen Eingriffen) in den Yellowstone umgebenden
Wäldern beengen den Lebensraum der Grizzlies, die sich auf
ihren Wanderungen nicht an die Parkgrenzen halten. Parkgrenzen missachtet natürlich auch die Luftverschmutzung, die für die
Zukunft der Parks bedrohlichste Veränderung der Umwelt. Saurer Regen schädigt alle Forste. Die Gründergeneration begriff
die Parks als «a great breathing place for the national lüngs».
Heute ringen die Lungen der Nation selbst in den Parks manchmal nach Luft; und die Augen tränen. Die Besucher des Grand
Canyon sehen an hundert Tagen des Jahres nicht einmal mehr
von einem Rand der Schlucht zum andern; ein nahes Kraftwerk
verpestet die Luft. Und oft schwappt aus dem Becken von Los
Angeles der Smog bis in das vormals garantiert kristallklare
dar. So einfach in Gedanken entsprechende Säuberungsaktionen
sind, so episch kann die Kontroverse um ihre Durchführung
werden, etwa um die Befreiung des Grand Canyon von vielen
Tausenden von Eseln, ökologische Rechtgläubigkeit goutiert
das Publikum wenig.
Gezielte Angriffe auf das Parkgebiet oder seine Lebewesen
sind leichter abzuwehren als die Bedrohungen, die aus Veränderungen jenseits der Parkgrenzen entstehen. Parkvorschriften erlauben die Sportfischerei, untersagen aber die Jagd mit Ausnahme einiger Alaska-Parks, die den einheimischen Eskimos
und Aleuten das Recht auf Subsistenzjagd verbriefen. Übergriffe
von Jägern in Parks ausserhalb Alaskas kommen vor, in Yellowstone etwa werden jedes Jahr einige Dickhornschafe gewildert;
alles in allem hält aber der Park Service das Wildern, auch in
Yellowstone, nicht mehr für ein Existenzproblem wie früher.
Und dann gibt es da die alte Forderung, auf Parkgebiet eine
begrenzte wirtschaftliche Nutzung zu erlauben. Sie
erhebt ihr
Haupt neu in jeder Krisenzeit, «im nationalen Interesse»; die
Befugnis des Präsidenten, bei einem Notstand die Parks für
Todestal über.
Einen Spezialfall der Verseuchung aus der Umwelt stellen
eingewanderte, verwilderte Haustiere und ihre Nachkommen
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/
\Crater Lake National Park, Oregon.
Glen Canyon National Recreation Area, Utah/Arizona.
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Mesa Verde National Park, Colorado.
f/Tigy Mounds National Monument, Iowa.
Mount Rainier National Park, Washington.
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kutschen, zum Old Faithful. Ihr Quartier
die Inn, die den
Namen des Geysirs trägt ist heute selber eine Sehenswürdigkeit. Die Eisenbahngesellschaft und die Unternehmer, die in
Kutschen und Pferde investiert hatten, wehrten sich gegen die
Zulassung des Automobils. Und als es sich nicht mehr aussperren liess, versuchten sie wenigstens den Verkehr so zu lenken,
dass den Reisenden in den Pferdekutschen der Anblick der
selbstbewegten Plebs erspart bleibe.
-
Bandelier N. M., Neu-Mexiko
(l);
Yosemite N. P., Kalifornien (M.); Boston National Historical Park, Massachusetts (r.)
bergbauliche Nutzung zu öffnen, ist ja
auch im Gesetz ausdrücklich verankert. Die Immunität gegenüber diesen periodischen
Anfechtungen nimmt freilich zu. Noch
in der Zeit des Ersten
Weltkriegs ergatterten Viehbarone in einigen
westlichen Parks
(bescheidene) Weiderechte für Rinder und
Schafe. Während des
Zweiten Weltkriegs jedoch blitzte die Flugzeugindustrie ab, als
sie Bestände von Sitka-Fichten im Olympic National Park für
den Bomberbau fällen wollte. Die Energiehysterie der siebziger
Jahre brachte zwar wie Fieberblasen zahlreiche Vorschläge hervor, wie man die Erdwärmevorkommen westlich des Yellowstone Parks erschliessen könnte; aber die Befürchtung, dass
Bohrungen, selbst solche ausserhalb des Parks,
die Geysirs gefährden würden, brachte zuletzt den Kongress dazu, die Vorhaben (wohl für immer) zu blockieren. Die Öffentlichkeit liess Old
Faithful nichts geschehen; der Welt regelmässigster und am häufigsten springender grosser Geysir ist längst
so etwas wie das
Markenzeichen der Parkidee geworden. Aus der Sorge um Yellowstone sprach die Popularität, deren sich das Parksystem als
Ganzes erfreut.
Nun gibt allerdings auch gerade diese Popularität Anlass zur
Sorge. Es ist manchmal, als ob
sie den Gegenstand ihrer Wertschätzung in der Umarmung ersticken
wolle. «Die Amerikaner
lieben ihre Parks zu Tode.» Diese Diagnose wird oft zitiert; ganz
neuen Datums ist sie aber offenbar nicht. Angeblich verlautete
sie schon 1915 vom Bock einer Postkutsche herunter, als der
Postillion in Yellowstone seinem ersten Motorwagen begegnete,
einem Winton des Baujahrs 1911 auf Drahtspeichenrädern, der
mit einem Hebel gesteuert wurde. Der Weitblick des Kutschers
war zweifellos bemerkenswert. Und es ist zu vermuten, dass die
Wirklichkeit seine Horrorträume schon bald übertraf. Die Zahl
der jährlichen Besucher hat sich seither verhundertfacht dank
Winton und Nachfolgevehikeln. Trotzdem muss die Frage, ob
die Massen Yellowstone seit der Postkutschenzeit zu Tode geliebt haben, in aller Fairness verneint werden.
-
In seinen ersten Jahrzehnten war der Yellowstone Park ein
Reiseziel für die Wohlhabenden. Per Eisenbahn erreichten sie
Gardiner; von dort fuhren sie sechsspännig, in Doppeldecker-
Das Auto erzwang die Demokratisierung der Parks; es
brachte mit ihr den Zielkonflikt, der der Geburtsfehler des Nationalpark-Konzeptes ist, an den Tag. Der Kongress wollte 1872
Yellowstones Naturwunder vor «Schaden oder Plünderung» bewahren und gleichzeitig mit dem Nationalpark «einen Tummelplatz (pleasuring ground) zum Nutzen und zur Freude der Bevölkerung» schaffen. Die Charta des Park Service schrieb 1916
diese letztlich unvereinbaren Zielvorstellungen fest, immerhin
mit der durch erste Erfahrungen nahegelegten Einschränkung,
dass das Vergnügen der jeweils lebenden Generation auf den
Plausch zukünftiger Geschlechter Rücksicht zu nehmen habe.
Mit dem Widerspruch zwischen Naturschutz und Publikumsgebrauch müssen die Park-Planer bis heute leben. Beim Ausgleich
der Interessen weichen die Leiter des Park Service^ traditionsgemäss lieber zugunsten der Natur vom Mittelweg ab. Lediglich
James Watt, Präsident Reagans erster Innenminister - kraft seines Amts oberster Parkherr -, bekannte sich zum Gegenteil : im
Zweifelsfall werde er zugunsten des Publikums irren. Der Zorn
der Naturschützer war ihm sicher.
Als um die Jahrhundertwende der Bisonbestand von ehemals
60 Millionen (1870) auf nur 541 bekannte Tiere herunter massakriert worden war, wurde die in Yellowstone verbliebene
Herde von 25 Häuptern mit importierten Kühen und Bullen verstärkt - naturschützerisch vielleicht nicht ganz orthodox, aber im
Ergebnis erfolgreich; Naturschutz als intelligente
Zusammenarbeit mit der Natur. Seinen Auftrag, von Menschenhand unberührte Natur in die Zukunft zu retten, legt der Park Service heute
womöglich noch beweglicher aus. Nationalparks sind jetzt
verwaltete Wildnis. Nicht einmal die Brände, etwa in den Everglades oder im Sequoia-Wald, überlässt die Parkverwaltung mehr
der Natur. Absichtlich gelegtes und ständig überwachtes Feuer
soll die Anhäufung von entzündlichem Material verhindern, damit Brandstiftung durch Blitzschlag nicht zerstörerische Flächenbrände auslösen kann. Und in Yellowstone prüft man Vorschläge, wie man möglicherweise mit
Hirschkadavern als Köder
die letzten zweihundert Grizzlies, deren Überleben jenseits der
Parkgrenzen gefährdet ist, zu ihrem Vorteil
dauernd an den Park
fesseln kann. Der Park Service greift also Mutter Natur gelegentlich ganz undogmatisch unter die Arme. Noch weniger Purismus
beweisen seine Vorkehrungen für das Publikum; unmissverständlich hatte der Kongress «a pleasuring ground» gefordert.
Der Park Service erstellte Strassen, Wanderwege, Gehsteige,
Übersichtsplattformen, er organisierte geführte Begehungen
und
beschilderte Aussichtspunkte. Überhaupt zog er einen wirksamen, nachahmenswerten Naturvermittlungsdienst auf, beginnend im Visitors Center mit der Ausstellung, mit dem Dia- oder
Filmvortrag und dem Informationsbeauftragten an der Theke,
endend bei der Plauderei am Lagerfeuer. Wenn sich auch der
Park Service gegenüber dem Konsumstreben des Publikums Zurückhaltung auferlegt, zeigen sich seine Konzessionäre,
die den
Besuchern Nahrung, Unterkunft und Andenken verkaufen, weniger zart besaitet; für sie gibt die Natur oft lediglich
das Stichwort zum Kommerz. Einzelne Parks sind eigentliche «Spielwiesen», komplett mit Swimmingpool, Golfplatz und, in einem
Fall, Eisbahn.
Das Motto «Parks for People», das die Parkverwaltung in
den sechziger Jahren etwas unbedacht in Umlauf setzte, provozierte die Naturschützer. «People»: das waren für sie Bären und
Erdhörnchen fütternde Besucher mit einem durchs Fernsehen
verkitschten Naturverständnis. «People»: das waren Automenschen mit Rädern statt Füssen und gesäugt mit der Muttermilch
aus der Zapfsäule. Die wenigsten Naturschützer überlegten sich
bei ihren Attacken («die Verwaltung der Parks ist amtlicher Vandalismus»), was es für die Parks bedeuten würde,
wenn plötzlich
all die Millionen, statt solidarisch mit ihren Blechkutschen auf
Parkplatz
Backpacks
verharren,
dem
zu
mit
ins Hinterland aufbrechen wollten.
Seit 1960 hat sich die Zahl der Besuche mehr als vervierfacht.
Die Zunahme hat natürlich auch mit dem Wachstum des Parksystems an sich zu tun. Namentlich in den sechziger Jahren kamen,
mehr aus sozialen als aus naturschützerischen Überlegungen,
grossstadtnahe und daher besonders besucherträchtige
Parks
dazu. Trotzdem bleibt der Anstieg der Besucher eine Masszahl
für den Erfolg des Systems und für den Stress, den ihm der
Erfolg beschert. Kilometerlange Autoschlangen,
Verkehrszusammenbrüche zu Stosszeiten, Balgereien um Campingplätze, Anstehen vor den Naturwundern, parkgemachte Luftverschmutzung, Lärm, Vandalismus
die Besucher brachten von jeher
nicht nur das Picknick mit, sondern auch schlechte Gewohnheiten. Jüngst wurden in abgelegenen Ecken einiger Parks sogar
heimliche Hanfpflanzungen entdeckt; dann und wann lieferten
allzu bewegte Jugendliche den Parkhütern hitzige Gefechte. Der
Park Service sieht sich neuerdings gezwungen, die Rangers auch
in Karate und zu Polizisten auszubilden und sie mit Schusswaf-
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Mount Rushmore National Memorial. Süd-Dakota.
Neue Zürcher Zeitung vom 01.06.1962
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Canyon de Chelly National Monument, Arizona.
fen auszurüsten. Er hält überdies eine Eliteeinheit bereit, zum
Einsatz jederzeit und überall; sie wird nach Bedarf eingeflogen.
Und mindestens in einem Park, Yosemite, gibt es nun auch ein
Gefängnis, das keineswegs wie Alcatraz in der Golden
Gate
National Recreation Area
- eine der Attraktionen ist.
Seit 1981 wendete der Park Service zusätzlich zu dem regulären Haushalt fast eine Milliarde Dollar für Verbesserungen der
Infrastruktur auf, aber fast nichts für den Erwerb von Pufferzonen für gefährdete Parks. Harsche Kritik blieb nicht aus: Naturschützer, die am Ende des «Parks for People»-Wegs den Wildnisslum vermuten, halten die Infrastrukturverbesserungen für
kontraproduktiv. Sie werden noch mehr Menschen anziehen und
sich, bestenfalls, auf diese Weise selber wieder aufheben.
Der Park Service sieht indes mit grösserer Zuversicht in die
Zukunft, als er das nach Meinung der Unglückspropheten tun
dürfte. Schliesslich hat sich nicht nur der Postillion von Yellowstone geirrt. Auch weniger weit zurückliegende pessimistische
Voraussagen
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bei Anlass des goldenen Jubiläums des Park Ser-
Statue
of Liberty National
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Everglades National Park, Florida.
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gingen nicht in Erfüllung: Die Parks erstickten weder
vice
unter einer Menschenlawine noch an dem mit ihr hereingespülten Zivilisationsunrat. Jedoch: Werden die Parktore vielleicht
schon morgen nur für Vorangemeldete aufgehen? Werden Besucher innerhalb der Parks auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen müssen? Auch davon mag vorläufig niemand etwas hören.
Zur Hauptreisezeit verhängt allerdings schon jetzt das beschränkte Angebot an Campingplätzen und Hotelbetten einen
Numerus clausus. «Sorry. No vacancy.»
Das Urteil über den Istzustand der Parks muss Negatives und
Positives gewichten; das Positive überwiegt bei weitem. Der Photograph Ansei Adams gab nicht lange vor seinem Tod im April
1984 für den Yosemite Park zu Protokoll: «Er ist jetzt schöner
als jemals zuvor.» Adams, der das Yosemite-Tal aus sechzigjährigem Umgang kannte und sich zur Naturschutzpolitik der Regierung Reagan ebenso hemdsärmlig wie abfällig vernehmen
liess, ist gewiss ein unverdächtiger Zeuge und Yosemite hat in
der Umarmung naturhungriger Grossstädter, um nicht zu sagen:
unter ihrer Belagerung, mehr gelitten als jeder andere der westli-
-
chen Kronjuwelenparks. Und wenn sich auch ein Nicht-Amerikaner auf Grund von immerhin fünfundzwanzigjähriger Vertrautheit mit vielen amerikanischen Parks äussern darf: Sie bleiben, was sie vor einem Vierteljahrhundert waren unvergleichliche Quellen des Naturerlebnisses, zumindest für jeden, der dafür
einen kleinen Eigenbeitrag zu leisten willens ist. Wer Old Faithful im Morgengrauen aufsucht, wird das Erlebnis seines Ausbruchs auch heute mit keiner Handvoll anderer Besucher teilen
müssen. Der Lemminginstinkt vieler Reisender schützt offenbar
die Natur, jedenfalls zur Vorzeit, das heisst vor dem Frühstück,
und im Abseits, das heisst neben der asphaltierten Strasse, wirksamer, als das je amtlich verordnete Zulassungsbeschränkungen
für Parkbesucher vermöchten. Freilich, das sei zugegeben,
-
schützt sein Lemminginstinkt den Touristen gelegentlich auch
vor der Natur. Ein Mann, der sich nebenaus gewagt hatte, wurde
im Sommer 1978 in Yellowstone von einem Grizzly malträtiert,
keine zweihundert Meter von Old Faithful entfernt. Verwaltete
Wildnis: Bei den amerikanischen Nationalparks liegt der Akzent
noch nicht auf verwaltet.
Monument. New York. Zum gleichen Park gehört auch Ellis Island, einst die berühmt-berüchtigte Anlaufstelle fiir USA-Einwanaerer, in New Jersey.
Neue Zürcher Zeitung vom 01.06.1962