Maskharat: cover U1 - A-01

Transcription

Maskharat: cover U1 - A-01
Maskharat: cover U1
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Inhaltsverzeichnis
Editorial
I am not myself, Elke aus dem Moore
Masquerade, Antje Majewski
Body Politics: Reconstructing Woman Power in the Celebration of Carnival,
Patricia Tamara Alleyne-Dettmers
Frau Berlin, Sabine Reinfeld
Being Antinova, Eleanor Antin
Black men imitating white men imitating black man, Timo Allemann
Why Jack Smith?, Madeleine Bernstorff
CHEAP, Berlin
Maskerade im Horizont von Geschlecht, Yvonne P. Doderer
Ines Doujak
I wanna be myself, Fender Schrade
Im Gespräch mit Stella Glitter, Andrea Thal
Die exzessive Maske: Mae West und feministischer Camp, Madeleine Bernstorff
It’s okay to crack a few laws as long as you don’t break them, The SET
Alltag, Friedrich Ploch
Der Kopf des Präsidenten, Lili Scholtes & Annette Krauss
Puppet in a Box
Deutschland 2005, Simone Gilges
Come into My Room (of Embarrassments), Tanja Wiedmann
The Grinning Mask – Die clowneske Maske in der Kunst, Monika Hardmeier
Le sourire, Christa Ziegler
Zwiegespräch beim Verkleiden, Volker Schartner
MASKHARAT: Ausstelllungsansichten, Ball der Demaskierung
Impressum, Bildnachweise
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Bitte sag mir noch welche Seiten farbig, welche s/w
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Editorial
Die vorliegende Publikation ist begleitend zur Ausstellung MASKHARAT im Künstlerhaus Stuttgart
entstanden. Die Beiträge stammen von den in der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen und
Künstlern und weiteren Autorinnen und Autoren, die, bis auf einzelne, eigens für das Heft erarbeitet wurden. Die Publikation führt sehr unterschiedliche Formen künstlerischer und theoretischer
Auseinandersetzungen unter dem Thema der Maskerade zusammen. Allen gemeinsam ist der
Fokus auf Maskerade als Handlung. Momente der Transformation, der Überschreitung normativer
Zwänge und die Veränderbarkeit von Identität anhand der Maskerade stehen im Zentrum der
Auseinandersetzung, aber auch das soziale Rollenspiel, das die Maskerade ermöglicht.
Die Darstellung von Geschlecht als Maskerade und verschiedene Denkansätze der Konstruktion
von Identität sind Inhalt der Beiträge von Yvonne P. Doderer, Madeleine Bernstorff, Fender Schrade,
CHEAP, Berlin und Andrea Thal im Gespräch mit Stella Glitter. Yvonne P. Doderer fragt in ihrem
Text (Maskerade im Horizont von Geschlecht), „inwieweit es sich bei der Maskerade um eine Strategie handelt, Geschlecht zu überschreiten bzw. inwieweit es überhaupt möglich ist, Geschlechterzuschreibungen zu entkommen“. Die Performativität von Geschlecht zelebriert die Gruppe
CHEAP, Berlin, die Maskerade im queer Kontext von freiem Theater und Clubkultur als Strategie
einsetzen. Madeleine Bernstorff stellt in dem von ihr kuratierten zweiteiligen Filmprogramm und
dem hier erschienen Beitrag über u.a. Flaming Creatures (1963) von Jack Smith eine „bis heute in
seiner tabubrechenden Subversivität unerreichtes filmisches Szenario von bis dahin im Kino nicht
sichtbaren Vertretern der Subkultur“ vor.
Der Titel des Beitrags von Timo Allemann „Black men imitating white men imitating black man“
steht für ein weiteres „Kapitel“ dieser Publikation. Allemanns Zeichnungen basieren auf der Auseinandersetzung von Spike Lee in dem Film „Bamboozled“. Sie ziehen einen Vergleich zwischen
den rassistischen Minstrel Shows um 1830 und der zeitgenössischen afroamerikanischen Populärkultur. Eleanor Antin untersucht anhand fiktiver Personen in ihren frühen Arbeiten Fragen zu Individualität und Persönlichkeit. In der Ausstellung war die Videoarbeit „The King“ von 1972 zu sehen,
in der Antin ihr ideales männliches Selbst inszeniert. Für die Publikation stellte uns Antin Auszüge
aus dem Text „Being Antinova“ zur Verfügung. Es sind tagebuchartige Aufzeichnungen einer
fiktiven Persona, der schwarzen Ballerina Eleanora Antinova, die Antin einen Monat lang während
der Ausstellungsdauer von „Recollections of my Life with Diaghilev“ in New York verkörperte.
Sabine Reinfeld (ehemals Kuntoff) benutzt ein radikales und agressives Spiel der Maskerade als
Instrument der Aneignung verschiedener Charaktere. In einer Performance in Paris 2005 fährt sie
als „Madame Banlieue“ im offenen Wagen mit dem Ghettoblaster in der Hand zu ihrer eigenen
Ausstellungseröffnung. Die braungefärbte Haut von „Madame Banlieue“, die Goldzähne, der
Trainingsanzug und die mit Slogans wie „Black is beautiful“, „Black to the Future“, „White Negros“ oder „I feel Alien“ angereicherte Musik, verweisen auf die Einverleibung zeitgenössischer
„Black Culture“.
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Ein weiterer zentraler Teil sind die Beiträge von Antje Majweski, Patricia Alleyne-Dettmers und
Simone Gilges, die sich auf sehr unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Karneval als
Ort der Transformation und dessen widerständigem Potential kritisch auseinandersetzen. Patricia
Alleyne-Dettmers führt in ihrem Beitrag den Karneval in Trinidad, anhand der traditionellen Figur
der Dame Lorraine, als Ort der politischen Artikulation und als konstitutionelle Bedeutung von
Geschichtsschreibung vor. Simone Gilges wiederum zeigt Ausschnitte, Bilder aus rheinländischen
Karnevalsprozeduren, die von der Tristesse und Eintönigkeit einer deutschen Kleinstadt sprechen.
Der Versuch, aus den gewohnten Mustern der Alltagsidentität auszusteigen, führt selbst in der
Verkleidung sofort zu neuerlicher Normierung. Bei Antje Majewski ist das zentrale Moment die
Transformation. In ihrer Malerei zeigt sie die Veränderungen, die Maskerade und Ritual bewirken
können. Die auf Kupfer aufgetragene Ölmalerei, die nach einer fotografischen Vorlage entstanden
ist, stellt eine Karnevalsszenerie dar, in der die Beteiligten in einen ekstatischen tranceartigen
Zustand fallen. „Transformation, Karneval, Trance, Theater - das alles hat für mich mit der Freiheit
zu tun, für Momente eine andere, ein anderer zu sein. Wie langweilig und eintönig ist es, immer
man selbst im selben Körper und mit demselben Geschlecht sein zu müssen.“ (A.M.) Durch den
Oxidationsprozess des Kupfers wird das Bild selbst einen Transformationsprozess durchlaufen.
Während der Moment der Ekstase durch die Grundierung präzise und dauerhaft festgehalten
wurde, wird sich der Hintergrund allmählich verändern. Friedrich M. Ploch greift ebenfalls das
Moment der Transformation auf, des Übergangs von einem in einen anderen Zustand. In der
Ausstellung war es ein frei im Raum schwebendes Spionglas, das den Blick nur vage irritierte und
gleichzeitig verschiedene Beobachtungsebenen zuliess, in der Publikation sind es verschiedene,
symbolisch dargestellte Zustandsebenen.
Madeleine Bernstorff fragte in ihrem Vortrag mit Filmbeispielen nach einem möglichen feministischen Campansatz der Schauspielerin, Regisseurin und grossen Ikone Mae West, insbesondere
in dem Film Myra Breckinridge. Die Künstlergruppe The Set beschäftigte sich mit der künstlerischen Rezeption dieser Ikone. Die Gruppe griff auf ein bereits künstlerisch vermitteltes Bild der
Schauspielerin zurück, ein collagiertes Vexierbild von Salvador Dalí und stellte es mittels einer
für die Ausstellung entworfenen Raumskulptur in einen neuen Zusammenhang. Der Schwerpunkt
einer weiteren Künstlergruppe aus Stuttgart, Kinshasa und Pakistan, Puppet in a Box, liegt auf
dem spielerischen und experimentellen Umgang sowohl mit Masken und Figuren als auch in
deren Zusammenarbeit. Für Maskharat wurde vor Ort eine aus Requisite und Mobiliar begehbare
Installation entwickelt, in der eine Adaption von Adalbert Stifters Erzählung „Der Bergkristall“ als
Schattentheaterfilm gezeigt wurde. Zudem waren ältere Videoarbeiten und ein grossformatiges
Filmplakat zu sehen, auf dem sich die Mitglieder der Gruppe als FilmheldInnen inszenieren.
Weitere KünstlerInnen und TheoretikerInnen waren eingeladen ihre bereits vorliegenden Auseinandersetzungen mit Maskerade für das Heft neu zu formulieren bzw. neu zu gestalten.
Tanja Wiedmanns Beitrag basiert auf einer künstlerischen Arbeit, in der sie ihren eigenen Körper
in symbolische Orte der Macht und der Repräsentation einschreibt. Inszenierte fotografische Colla-
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gen wurden exklusiv für diese Publikation von der österreichischen Künstlerin Ines Doujak produziert. Ihre Bilder unterlaufen normative Vorstellungen von Geschlecht und Identität und führen in
eine Welt, in der alles ganz anders sein kann. Die Künstlerinnen Lili Scholtes und Annette Krauss,
die in ihren konzeptuellen Arbeiten die Folgen eines normabweichenden Handelns ausloten, stellen in ihrem Text die Maskerade als Handlung ins Zentrum ihrer Überlegungen. Monika Hardmeier
gibt einen Einblick in die kunstwissenschaftliche Betrachtung von Maskerade in der zeitgenössischen Kunst und stellt insbesondere die Clownsmasken in den Arbeiten Roni Horns vor.
Christa Zieglers Fotografien zeigen den alltäglichen Einsatz von Maskerade in der überzeichneten
Geste des Lächelns. Den Abschluss bildet der humorvolle Cartoon von Volker Schartner.
Grosser Dank gilt allen Künstlerinnen und Künstlern und AutorInnen für ihre Beiträge zu dieser
Publikation. Patricia Alleyne-Dettmers und Eleanor Antin sei besonders gedankt für die freundliche
Genehmigung des Neuabdrucks ihrer Texte und Anna Voswinckel für die Geduld und das schöne
Design der Publikation. Dank an Alle, die das Projekt mitgetragen und unterstützt haben und zur
Realisierung dieser Publikation beigetragen haben, insbesondere Silvio Saxer, Tom Heinzer,
Rolf Cantaluppi und den AkteurInnen im Künstlerhaus.
Alice Cantaluppi & Elke aus dem Moore
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I am not myself
Elke aus dem Moore
Masken sind die ältesten Artefakte der Menschheit, sie spielen in der Konstitution von Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Seit der Frühzeit benutzen Menschen Masken, um die Vorstellung
des Selbst zu überschreiten und in andere Rollen zu schlüpfen. Der ursprüngliche Gebrauch liegt
in rituellen oder kultischen Zeremonien. Während afrikanische Masken die angerufenen Geister
innerhalb eines Rituals verkörpern, wird im europäischen Kontext die Maske in ihrer Oberfläche
des Dargestellten gelesen. Im griechischen Theater steht die Maske für persona, die Rolle der
Schauspielenden, allerdings auch als Rolle auf der Bühne des Lebens.1
Der Einsatz und Gebrauch von Maskeraden ermöglicht die Erweiterung des Selbst sowohl in
gesellschaftlicher, sozialer und geschlechtlicher wie auch spiritueller Hinsicht. Diese Erweiterung
führt zu einer Vervielfältigung der Perspektive. Die Maskerade dient als Mittel zur Transformation;
die erdachte, inszenierte, gelebte Verwandlung trägt ein unbändiges befreiendes Moment.
Maskharat bedeutet Narr, Posse oder Scherz und verweist auf den arabischen Ursprung des
Wortes Maske. Maskhara hebt den Aspekt der Verwandlung hervor und betont den aktiven Teil
und das subversive Potential der Maskerade. Eine Maskerade stellt die Möglichkeit dar, Identität
und soziale Festschreibungen als erdachte und gesellschaftlich konstruierte Inszenierungen zu
entlarven. Vor dem Hintergrund der ständigen Veränderbarkeit von Identität und dem Gedanken
der Performativität von Geschlecht bedeutet Maskerade gerade nicht, dass es ein authentisches
Selbst dahinter gäbe. Die Maskerade kreiert etwas neues, einen neuen Erfahrungs- und damit
auch Handlungsraum. In ihr liegt die Möglichkeit soziale und geschlechtliche Zuschreibungen zu
überschreiten.
Maskeraden gehören zur Bildersprache des politischen Widerstandes. Als Posse oder Narretei
erreicht die Maskerade in ihrer Leichtigkeit durchaus ein wirksames Potential, ohne die Ernsthaftigkeit und Schärfe ihrer Kritik zu verlieren. In den 80er Jahren formulierten Demonstrierende ihren
Protest gegen die Verschärfung des Demonstrationsverbots indem sie Masken mit dem Gesicht
des damaligen Innenministers Zimmermann trugen.2
Im Oktober 2006 findet im spanischen Parlament eine Aktion gegen die Armut statt, die Personen
„maskieren“ sich mit Kapuzenjacken und stehlen den Stuhl des Präsidenten. Sie hinterlassen an
einem Parlamentsplatz die Nachricht: „Zapatero, am 16. Oktober gegen die Armut aufstehen!“.3
(1) Vgl. „Die Paradoxie der Maske. Geschichte einer Form“,
Richard Weihe, München 2004, S. 16 - 40
(2) Vgl. „Entlarvt! Von Masken und Maskeraden.“, Andreas
Seim, Marburg 2004, S.57
(3) Später stellt sich heraus, dass es sich um eine Aktion
einer NGO gegen die Armut handelte, die von einer Werbeagentur mit professionellen Schauspielern durchgeführt
wurde. http://levantatezp.blogspot.com, http://www.
blogger.com/profile/31683235, http://video.google.com/
videoplay?docid=-5450382906775456386
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Wie das Tragen von Masken so ist auch das Tanzen im öffentlichen Raum eine Form des befreienden, solidarischen Protestes. Bewegungen wie Critical Mass, die in ihren Aktionen Reclaim the
street des öfteren zu Mitteln der Maskerade greifen, fordern den öffentlichen Raum als gemeinschaftlichen Raum zurück. Auch Ausformungen von Style sind Ausdruck einer widerständigen
Praxis. In dieser Form politischer Artikulation, die keine andere Formulierung mehr findet liegen
utopische weil befreiende Momente. So tragen die Clowns in the Hood in den Ghettos von Los
Angeles die Maskeraden der Clowns, bemalen sich ihre Gesichter und tanzen Krumpin zu harten
Hiphopbeats. Sie kreieren eine neue Identität, eine andere als die ihr von den Herrschaftsstrukturen zugeschriebene Laufbahn als Gangster.4
Karneval spielt in vielen Kulturen eine bedeutende Rolle als Ort öffentlicher politischer Äusserung. Sowohl die Geschichte des Karnevals wie auch die seiner Verbote macht die politische
Sprengkraft deutlich.5 Heute zeigt sich ein Reglement eher in der Form von Vereinnahmung durch
Kommerzialisierung oder Restriktion, z.B. durch das bewusste Eingrenzen von Paraden, etc.
Was macht das (herrschafts-) bedrohende Moment aus? Karneval spielt als grenzüberschreitendes
Moment der Veräußerung eine besondere Rolle. Gesellschaftliche Regelsysteme und Konventionen werden für eine begrenzte Zeit außer Kraft gesetzt. Die Maskeraden stellen im Karneval
eine Form der Inszenierung und der Einverleibung dar, des Schauspiels und der Kostümierung. Im
Karneval besteht die Möglichkeit sich selbst neu zu erfinden, er birgt sowohl utopische Momente
als auch subversive Formen des Widerstandes. Politische Meinungen können im Schutz der
Maskerade geäußert werden.6
Der Karneval als Verschmelzung von Realem und Fiktivem verbindet künstlerisch historische
Formationen und Transformationen. Er bietet eine Plattform, um mit historischen und gesellschaftlichen Konstellationen umzugehen. Dies gilt sicherlich für jede Art des Karnevals, doch die
konstitutionelle Bedeutung von Geschichtsschreibung spielt in der postkolonialen Gesellschaft
Lateinamerikas oder der Karibik eine bedeutende Rolle. Der karibische Karneval zeigt „neuartige
Formen der Präsentation und Repräsentation innerhalb der Grenzen einer vom Kolonialismus
(4) Vgl. „ResisDance“, Elke aus dem Moore in „Tillandsien.
Projekte 2003 – 2004 im Künstlerhaus Stuttgart“,
Frankfurt 2005, S. 91 - 97
(5) In der Zeit von 1796 bis 1800 herrschte in Köln Karnevalsverbot. Und auch im alemannisch-schwäbischen Bereich
war die Strassenfasnacht im späten 18. und frühen 19. Jh.
wegen ihrer Politisierung verboten. Um 1848/49 war das Tragen von Masken wie gesamt der Karneval verboten. Ebenso
in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. (Vgl. Entlarvt! S.51-55)
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(6) In der Shedhalle in Zürich fand 2004 – 2005 eine
thematische Projektreihe statt „Spektakel, Lustprinzip oder
das Karnevalske. Ein Ausstellungsprojekt in drei Kapiteln“,
Shedhalle Zürich, 2004 - 2005, dass von Sönke Gau & Katharina Schlieben konzipiert wurde und zu dem Publikationen
erschienen, www.shedhalle.ch
traumatisierten Gesellschaft.“ 7. Die Verwandlung geschieht, um fragmentierte Geschichte aufzuspüren, Geschichte wird neu konfiguriert. Auch der Karneval der karibischen Diaspora in London,
der Nottinghill Carnival schreibt seine eigene Geschichte und formuliert den Gegenentwurf einer
migrantischen Gesellschaft und auch hier stellt sich staatliche Repression und Kontrolle dagegen.8
MASKHARAT ist eine Ausstellung mit zeitgenössischen Positionen, die Maskerade als Topos und
Strategie einsetzen und untersuchen. Die Ausstellung zeigte Arbeiten von Eleanor Antin, Simone
Gilges, Sabine Kuntoff, Friedrich M. Ploch, der Gruppen Puppet in a Box und The Set. Das Filmprogramm wurde von Madeleine Bernstorff zusammengestellt. Ein Ball der Demaskierung fand als
Abschluss des Projektes statt. Aus der Gesamtheit des Projektes ist diese Publikation entstanden,
die von Alice Cantaluppi mitherausgeben und redaktionell betreut wurde. Die Beiträge stammen
zum einen von den KünstlerInnen der Ausstellung und von weiteren KünstlerInnen, AutorInnen,
TheoretikerInnen.
MASKHARAT betont das befreiende Moment der Maskerade, das herausführt aus der Starrheit
von Rollenkostüm und gesellschaftlichen Festschreibungen. Es ist das Finale einer Reihe von Ausstellungsprojekten, die von 2003 bis 2006 im Künstlerhaus Stuttgart stattfanden. In diesem Projekt
werden Denkansätze zusammengeführt, die die Konstruktion von Identitäten und deren ständiger
Veränderung thematisieren und weiterführende kulturelle Strategien vorschlagen.9 10
(7) „Freeing Up“ Colonial`s Children – (Post-)Kolonialismus,
Repräsentation und Karneval“ von Patricia Alleyne-Dettmers
in „Spricht die Subalterne Deutsch? Migration und postkoloniale Kritik“ (Hg.) Hito Steyerl, Encarnacion Gutierrez
Rodriguez, Münster 2003)
(8) siehe auch Isaac Juliens Film „Territories“, UK 1984
(9) Das Ausstellungsprojekt ENTRE PINDORAMA (Künstlerhaus Stuttgart, 2004) stellte zeitgenössische Kunst aus
Brasilien vor und deren Bezüge zur Antropofagia. Diese
kulturelle Strömung der brasilianischen Moderne wurde in
Entre Pindorama auf seine Aktualität hin untersucht und diskutiert und versuchte, diese Ideen, die einen konstruktiven,
herzlichen Umgang mit dem anderen vorschlägt, in heutige
postkoloniale Diskurse zu überführen/verorten. In der
Metapher der Einverleibung wird das Erleben des Anderen
möglich, anstatt einer ängstlichen Abwehr Vorrang zu geben.
Vgl. „Entre Pindorama. Zeitgenössische Brasilianische Kunst
und die Antropofagia“ (Hg.) Elke aus dem Moore & Giorgio
Ronna, Nürnberg 2005
(10) Kleidung fungiert als Hülle, doch in seiner erweiterten
Funktion der Selbstdarstellung wird sie zum sichtbaren Träger von Identität. Mit der Kleidung werden Botschaften und
Kodierungen vermittelt. Eignen wir uns die Hülle des Anderen an, bedeutet das gleichzeitig in einen neuen Erfahrungsraum einzutauchen. Diese Idee war Grundlage des Projektes
COUTURE COMMUNE (2006, Künstlerhaus Stuttgart), das
sich mit Mode und Styles und seiner Bedeutung in einer globalisierten Zirkulation beschäftigte. COUTURE COMMUNE
stellt einen Wissens- und Erfahrungsaustausch afrikanischer
und europäischer KünstlerInnen und ModedesignerInnen dar,
der auf der Verflechtung von Theorie und Praxis basierte.
Publikation erscheint voraussichtlich 2007.
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Masquerade
Antje Majewski
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Body Politics: Reconstructing
Woman Power in the
Celebration of Carnival
Patricia Tamara Alleyne-Dettmers
This paper examines Afro-Caribbean Carnival in, Port-of-Spain, Trinidad.
It looks specifically
at women participants in Carnival. These women bodies are marked by the historical inheritance
of colonialism, its resultant rupture, and dispossession. The question is how do these women operate on the interstices of a post-colonial, male-dominated cultural domain? How do they develop,
negotiate and author agency through celebration in Carnival, in a society in which that agency is
denied? “Women‘s agency means women acting as autonomous subjects, being full persons or
owners of themselves. Women‘s agency is an emancipatory project. It entails gains in personal
freedom for women and the de-stabilization of gender systems.” (Babb 2001: p. 9).
The paper consists of two parts. Part one contextualises the concept of “power relations” as it
relates to gender, race and ethnicity what I have termed “body politics” in Carnival. Part two is a
case study of one dramatic, theatrical portrayal in Trinidad’s Carnival namely: the Dame Lloraine
Portrayal, a parody of the upper class, colonial elite, and patriarchal posturing. I have selected this
example to analyse and elucidate even further these “power relations” manifested in gendered
body politics in the celebration of these African-derived Carnivals. Through this novel use of parody both oral and aesthetic, women create those other spaces to resist and deploy, hegemonic rule
manifested in the destructive energies of their male-dominated, cultural domain. Women, thus,
make room for an emergence from the “psychological womb” (Harris 1981: p.11) that tenuous
space in the psyche of the post-colonial victim, which confronts the trauma and turns it back
outside through celebration. This (re) birth produces new spaces, places, communities, and agency
that is authored and anchored not in fixity, roots or essence, but in a continual process of forming
that is forever dawning/ beginning, becoming. This I see as the combined African/Caribbean
experience and a developing black, gendered aesthetic.
In the macro-context, I present a post-colonial reading of the politics of female dispossession.
I highlight how women grapple with the discourse of performance to disempower dominant
colonial, even neo-colonial discourses, to open up those other in between spaces that engender
re-birth and re-creation of destroyed community.
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BODY POLITICS
Reclaiming woman power in Carnival
If history effectively annihilated and erased black women from claiming their space in public
street celebration and incorporated them into colonialist/racist discourse, one might then ask how
these women negotiate agency. How is this agency authored? How do women reclaim power and
female autonomy through carnival celebrations to empower themselves? For home in the slave backyards was a place that carried the burden of history: memories of the Middle Passage, a place
of separation, sexual abuse with no sense of self, confusion and despair. This slave experience
has provided me with a novel form of conceptualization that relates to the body, aesthetics of the
body, and power relations manifested in gendered body politics in the celebration of these African-derived Carnivals. Thus, it has created a framework to examine how this seemingly WesternEuropean interpreted structure – the body – is used to deconstruct these very dominant, Western
social structures and values.
This in turn, generates the other space for a body-art of resistance, liberation and eventually
compensation and (re) creation. This begins with a (re)-claiming of Asche (rhythm) or the raw, unchanneled, African spiritual energy in the African body, what Tavares refers to as “rhythmic ecology – or human communication as a dancing consciousness.” (Tavares 2002: p.3). His conceptualisation fits the conditions for the black female body in its present context. The body is different
to the normative body – the body is black. This body is traumatized, denigrated, even prohibited
–the slaves were not allowed to participate in the French, colonial masters’ carnival celebrations.
The body is also gendered: female body. As such, while Western law and order erased the slave
body from taking part in the French aristocratic Carnival celebrations, the slaves, both men and
women, were actively involved in creating other thresholds, “between spaces” through their slave
yard carnivals. They did this by re-constituting their Asche through other iconic interpretations and
improvisation of the traumatized body – manifested in parody, speech and other forms of orality.
The black enslaved resist yet re-arrange the destructive energies of Western-European culture
– be that colonial, post-colonial or even neo-colonial to use that tenuous space in the “psychological womb” – to make room for the task of embodiment/ power/ power relations/ body politics,
(re) creation that is forever dawning, beginning, becoming. Carnival thus, becomes a powerful
body symbol, filled with diverse, rhythmic physical body modulations, and configurations, which
confront “the Other”, and simultaneously re-celebrate and re-constitute the black body.
The Dame Lloraine Parody
This burlesque was the medium through which the newly freed slaves mocked the French
aristocratic planter class to the point of absurdity. It was a theatrical mas form popular dating
back to the early nineteenth century Carnivals – popular until the late 50’s (almost became extinct
thereafter) – re-vitalized in contemporary Carnival. Generally the performance began at midnight
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on Carnival Sunday and was divided into two acts. It began with an elegant grand march of people
attired in costumes imitating the French aristocratic planter class. A haughty butler announced
the names of the dignitaries as they appeared on stage. In turn, each couple performed a stately
French ballroom dance. A slave bearing an expression of great awe was seen peeping in at the
window.
In the second act the butler is replaced with a schoolmaster who records his pupils’ attendance
in a large book as they assembled before him. He wore a frock coat and carried a long whip. The
pupils now wear ill-assorted, grotesque clothes with exaggerated physical characteristics. These
deformities were further magnified in the French Creole names assigned to each pupil and called
out by the master: e.g. MISI GROS COCO, MADAME GROS TETE, MADAME GROS Derrière, etc.
– (generally speaking: referring to the female attributes: exaggerated large breasts, head, belly,
vagina and buttocks).
These characters, played only by men (at that time) entered in turn walking ludicrously and making
a great show of their physical disabilities. At the crack of the schoolmaster’s whip the pupils
were commanded to dance. They did, daintily at first, but as the rhythm quickened their dance
steps changed to lascivious pelvic movements. The schoolmaster, in turn, asked them questions,
generally with sexual overtones. Failure to supply the correct answer resulted in a whipping
usually directed to the affected body part. Today’s Dame Lloraine, played by both men and women,
maintains the original nineteenth century style. They, however, wear large hats and carry fans.
Their dance still imitates the aristocracy but eventually that is parodied to include the lascivious
dance movements of the traditional Dame Lloraine.
INTERPRETATION OF THE DAME
LLORAINE PARODY
This theatrical portrayal makes numerous statements and carries with it multiple-layers of meaning. I shall analyze and discuss these as follows: the concept of “woman” in this parody, the use
of Creole (indigenous speech), the position of the slave in the backyard, the physical space where
the parody is enacted, the iconography used in the portrayal – the figure of the fat, schoolmaster,
the pupils and their costumes with protruding sexual body parts – and its significance through
kinaesthetic display of the gendered body/the lascivious sexual dancing of the pupils and the
impact of cross-dressing in the parody itself.
In nineteenth century slave society in Trinidad, women, especially white upper class women, were
set apart as idealized figures, models of virtue to be imitated. This is a Western, patriarchal imposed model of womanhood (by extension feminism) that actually annihilates the black woman from
history and society. The Dame Lloraine parody addresses this image of “upper class woman” and
deconstructs it first of all by citing and embracing it with all its accompanying attributes. Initially
the first act of the parody imitates the French aristocratic women in every way.
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The dominant, female elite norm is reiterated
through body adornment and authentic physical
imitation. The performers wear French, aristocratic
clothing and adopt their dances with light dainty
steps. However, when the scene changes to the
second act, this upper-class woman‘s image transcends its elite, white boundaries, to create another space, in which the totally ignored image of
the black women is (re) created and (re) presented.
The first instance of this (re)creation is demonstrated through language. By means of linguistic
innovation, and punning, in French Creole on the
actual, French-retained name of the portrayal
– DAME LLORAINE – their very customs and social
practices are denigrated. In standard French Dame
means Lady. Lloraine is a beautiful French name.
In Creole parlance, Dame is a swear word meaning
dammed. If the word Lloraine were broken down in
its Creole components we would have two words
low (meaning low class low level) and reign
(low level reign).
The use of Creole language here, thus (re) articulates the character of the subaltern, female voice
reiterates its invention, re-celebrates black female culture. By so doing it makes the first call for
black, female group consciousness. The fact too, that the master calls his pupils in French Creole,
further documents the power of the sub-standard to deconstruct the powerful image of the upper
class woman. The schoolmaster – a symbol of the black lower class – re-presents black authority
by his use of the language of oppression rather than the colonial inscribed language. The use of
Creole, the bastardized language, thus offers nurture, healing and provides the vehicle for social
commentary on the oppressor. Moments of betrayal and denigration of the lower class are thus,
transcended, become politicised, generating new points of entry, for negotiating and engendering
new systems of power for the black, lower class, female. Creole speech becomes the instrument
for (re)-creation, preservation and continuity.
The next interesting feature of this parody is the slave in the backyard, peeping in at the window.
Slaves were punished with the whip if they were caught looking at or observing any of their
masters’ activities. The physical, interstitial space in which the parody is first enacted re-constructs the elite, imperialistic, sacred space, that of the plantation landscape/the Big House of the
colonial master and the slave backyards surrounding the powerful house. The second act is the
antithesis of that sacred space. It re-embraces colonial space thereby rendering it ambiguous.
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This disrupts the white colonial, dominant social order and its oppressive, authoritarian structures.
This second space becomes infused with creativity through its innovation on the barrenness and
archaic forms and spaces of the colonial world. This gives it importance in that Western imperialistic control is thus spatially demystified and negated through ridicule and parody executed in that
very Western power space.
The Dame Lloraine parody thus straddles boundaries between subversive orality and colonial
literacy in its articulation of the protest of the voiceless. This provides a release from imperialist
domination in the psychological womb – the liminal, tenuous space of broken boundaries – where
(re) creation and (re) birth can surface, thereby re-asserting the worth of woman folk in the carnival celebratory present. In this way female political autonomy, agency and power are restored.
The next feature is the iconography used in the portrayal. We have – the figure of the fat,
schoolmaster and his role, in relation to the pupils and their costumes with protruding sexual
body parts – and the significance of these through kinaesthetic display of the gendered body: that
is by means of sexual dancing of the pupils. The pupils initially parodied the French, upper class
customs and values. However, their grotesque, sexual amplification of the body depicts oppressed
women’s collective attempts to appropriate a Western form – the sexual organs of the female
body and the space around it – to produce a site of resistance from the sexual horrors of the
enslaving plantation. Lascivious dancing makes over high-class female culture by re-conceptualizing African Asche (rhythm) and re-constituting destroyed African spirituality. This negation of
the standard code through dance and kinaesthetic body display, gives back to African dance its
potency, political power and body empowerment. This is the nature of the process of colonization
through gendered agency.
Finally, the fact that the Dame Lloraine parody
was originally played only by men – the woman’s
body and its predominant sexual features were
used, as a signifier by men – is the most fitting
medium for re-vitalizing Judith Butler also makes
this claim for the significance of drag in Paris Is
Burning as follows: “[…] Drag is subversive to the
extent that it reflects on the imitative structure by
which hegemonic gender is itself produced and
disputes heterosexuality’s claim on naturalness
and originality.” (Butler 1997: p. 384).
The black enslaved, thus resist, yet re-appropriate
the destructive energies of Western European culture, to make room for the tasks of embodiment,
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body politics or a -(re) creation that is forever dawning/ beginning, becoming. In this way the black
body is politically celebrated. This power space is (dis) placed, converted into sacred space, to
reconstitute the values and cultural systems of the Africans to convert the harsh and impoverished
conditions of their milieu, knit fragments of disparity into communal unity. Folk culture, lower class
culture, takes center stage. African cultural fragments of disparity are re-knitted into communal
unity. A Dame Lloraine mas is an act of black agency that transforms negation and cultural paralysis into black political awareness.
CONCLUSION
The example that I have presented here demonstrates how the carnival forum is used as a device
to engender self-liberation for women. This in turn transforms these women’s dislocation into a
new dimension actually re-writing the concept of ‘women’ Therein lies the significance of women
power in the celebration Carnival. I see this, as an evolving gendered Afro-diaspora body politics
achieved through aesthetic and kinesthetic display of the body in the celebration of Carnival.
References Cited:
Babb, Keturah Cecilia “Addressing the World Asocial Forum:
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Harris Wilson, “Interior of the Novel: Amerindian/European/
African Relations” in Explorations: Dangaroo.
(Denmark, 1981).
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Sabine Reinfeld Frau Berlin
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Mme Banlieau Sabine Reinfeld
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Being Antinova
Eleanor Antin
FRIDAY October 24
ANTSY today. Always crazy before a performance, but living alone is also beginning to get me
down. If I‘d been staying with Ida we would have brooded over recent insults and injustices. Till
late into the night we would drink herb tea and one-up each other with tales of woe. I don‘t know
if other professions have such a recurrent need for confession and complaint. Maybe we‘re too
sensitive. Or paranoid. But we carry such a heavy load of wrongs we would collapse if we didn‘t
lay them down sometimes. A few years ago at Alex Smith‘s opening at the Mandeville gallery,
Alex and Chris and I all stood around with gloomy faces while she went on about how nasty Jane
Livingston had been to her the week before during the installation of her piece at the Corcoran. So
I told my Jane Livingston story and Chris told his. I was just getting around to Maurice Tuchman
when we were interrupted. We promised ourselves an all day gripe someday, just the three of us.
„We‘ll have pizza and wine.“ Alex did get down to San Diego again when she taught a painting
class for us and we had two delicious hours over enchiladas and tacos at Fidel‘s. Later, Chris, Ana
and I met in Washington for the sculpture convention and we griped in a bar in Baltimore, while
Max Neuhaus nursed his drink and beamed like Buddha. But the truth is I never feel much better
afterwards. On the other hand, I don‘t feel worse either. And for a short time I can imagine I‘m
taking charge of my life, stamping out the bad guys and showing up their evil ways. But it‘s been
several weeks now since I shared my griefs. They‘re poisoning me. I had planned on rehearsing
at home but couldn‘t stay put, so I rushed off to the gallery. The weather has been turning all
morning. Fierce rains are predicted by tonight. But Ron and Frayda hadn‘t turned the lamps on
in the darkening office where they were working peacefully when I barged in. „Everybody has
pieces of me,“ I shouted. „There isn‘t a single image that can contain me. I‘m doomed by my own
complexity. The art world is too stupid to understand me. I‘m lost. Doomed!“ I liked that word
and repeated it several times. „Doomed! Doomed!“ „Sit down,“ Frayda said. „I‘ll get you a cup
of tea.“ „The show is wonderful,“ Ron said. „Everybody loves it.“ „Who? Tell me who! Name one
important person. I am surrounded by enemies.“ „Ingrid Sischy isn‘t against you,“ Ron protested.
„Has Artforum ever done an article on me?“ I shook my finger accusingly. „Tell me. I dare you to
answer.“ Ron shrugged off Artforum. „Nobody takes them seriously. A fashion magazine.“ „But
Dennis has had five articles already. Vito has been on the cover of Art in America twice. What are
they, fashion plates? Only Eleanor is despised.“ I was just about to prove how it was all Martha
Wilson‘s fault when I read the shock and worry on their kind faces. Why am I doing this to my
friends? They aren‘t artists. They won‘t break in with their own horror story. „Mea culpa,“
I shouted, rushing off into the street. It was only one o‘clock. I had the afternoon to kill. A light
rain was beginning to fall and the wind was coming up. The sky looked mean. An empty cab
stopped at the corner of Madison for a red light. 1 jumped in. „Rains predicted for tomorrow,“ the
cabbie said cheerfully. „I‘m taking the day off. Whenever it rains I take the day off.“ Great!
I wish I could take the day off. There won‘t be an audience if it rains. Nonsense! Just a couple of
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years ago several hundred people trudged through a snow storm to watch you perform. But this
performance is not open to the public. Invited guests think a lot of themselves. My fans are only
the rank and file. Why did we keep the performances secret? Why didn‘t we advertise? Because
the gallery is small, because the salon atmosphere would be ruined by crowds, because Antinova
needs an intimate atmosphere. I know, I know, but fuck Antinova. I – Antin - can‘t perform before
a small group. It‘s humiliating. And I blame the ones who come for those who didn‘t. I‘m always
counting the house. „Is something wrong, Miss?“ the cabbie asked. „Why are you holding your
head in your hands and groaning?“
With the storm gathering outside, the apartment is darker than usual. I change to leotards. Maybe
a workout on the parquet floor in the living room will cool me off. There‘s an urban glamour to
this empty room even with the quilt over the window. A good place to do a full barre - my back
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needs one too - I‘ve only been doing perfunctory warm-ups since I got here. But I can‘t keep my
mind on it. Out of class the routine is boring enough, but today it‘s like putting on a straightjacket.
With some nervousness, I try improvising. I never dance anymore. Ever since I became a ballerina
I‘ve been into self-improvement. I won‘t strike a pose or do a temps unless it does me good.
Ballerinas are like that. So now I hum a nocturne from Les Sylphides, and getting a good grip on
my lower back, glide across the floor doing ports de bras in all directions, bending forward, back,
to the sides, my arms floating around my head. The music carries me in little gusts across the
room. A couple of cat hops and grasshopper steps, and with a wink of my leg I spring lightly onto
the couch, where, alas, my feet sink ingloriously into the cushions, so I soar back down to the
floor again and canter away. Beating a stamp with little feet I gambol and preen; but a pirouette
en dehors from a perhaps overly-deep fourth lands me on my butt because I turned my head and
shoulders too quickly. To cover my disgrace I bend languorously over my front leg like the dying
swan and pretend I meant to be thereon the floor all along. I haven‘t danced like this since elementary school, when I would drag my mother in from the kitchen so she could admire me dance
to our worn-out 78 of The Waltz of the Flowers. On Sundays she would show me off to Uncle
Irving and Aunt Goldie, and I „danced ballet“ for them too after my three year old wunderkind
sister played piano. They would sing a melody and she would play it back for them with all the
right notes because she had perfect pitch. Uncle Irving scratched his ass and laughed like a hyena
whenever she played his tunes. He played the guitar and fancied himself something of a folk
singer, and he would try to catch her with unlikely transpositions but her ears didn‘t miss a trick.
It was like magic. She always won. Banking slightly to the left I dipped into an arabesquefondu,
brought the left leg from behind to the side and devant and turned once en pose en dehors on half
toe, ending in fondu on the left foot. The right sur lecou de pied devant continuing smoothly into
a développé devant while still in fondu and stepping smartly into arabesque from the développé.
With a minor inflection of the leg I began to articulate the curve of the finale. Tears sprang into my
voice. My rich dark contralto swings into a sweet upper register as I bound into a set of cabrioles.
Like the birds on the buuganvillea bush back home, as long as I don‘t have to carry a tune I‘m such
a lovely singer. The music and the dance float into each other but I hesitate. There is too much
expressiveness here for an empty room. By tonight I‘ll be wasted. There‘ll be nothing left for the
audience. I‘m a professional. I can‘t throw it away. I hover uncertainly on half toe, like a hummingbird with too many hibiscus blossoms to chose from. But who am I kidding? I can‘t stop now. It‘s
like trying to call off an orgasm that‘s already started. I erupt into the closing fanfare. I spin. I dive.
I lift. I am a snow leopard on an elam or a lynx upon an antelope as I command the stage with a
mighty double pirouette, Fingers strutting above my head and Riabouchinska eyes flashing. Time
freezes. I am a still photo waiting for history. „Brava. Bravissima.“ One man shouts before the
others. He is always the first, this man. His passion cannot be controlled. He is in love with me.
They are all in love with me. I offer myself in an ever deepening set of bows to the cognoscenti on
the couch. „Merci, merci.” The hauteur of the artiste is gone. „Mon ame se pame de tendresse.“
Such adoration is humbling. The egotism of audiences is a terrible thing. They are ravaging me
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with their love. Have mercy. I must escape. I hide in the bathroom. When I dare to emerge they
are gone. There is only the dusty room, very dark now, with an old green couch covered with the
pages of last Sunday‘s Times. I throw myself on the pages. They crackle. I‘m washed out. I think
I sleep but maybe it‘s that half sleep, half waking, when thoughts flit through your head like
silverfish and then they‘re gone.
The phone rings. Mother calling from California. She‘s crying.
„Why did you leave me‘“ she weeps.
I hear her through a veil. It‘s raining on the phone.
„Mother, it‘s a bad connection.“
„All you think about is yourself.“
„Mother, I‘m doing a show.“
„My daughters have deserted me.“
„I‘m doing my job, mother.“
The petulant voice goes on. I have to break into the complaints or there‘ll be no end to them.
„Hey, mother, know who I thought of today? Uncle Irving and Aunt Goldie.“
„He was a cruel man,“ she said. „Didn‘t he die?“
„No. Goldie left him. He lives in Florida with another woman.“
„I thought he was dead.“
„Uncle Willie is dead.“
Her voice is uncertain.
„Willie?“
„Gertie‘s husband. You know, Lorraine‘s father.“
„Poor Lorraine. She died.“
„It was a long time ago, mother.“
„Such a nice girl. Who did you say her father was?“
„Willie. Uncle Willie.“
Her voice is sad and defeated.
„I don‘t remember,“ she says.
Growing old for my mother is the daily erasure of history as her relatives and friends disappear
forever, no longer recoverable by the mention of a name, a relation. Uncle Willie, Aunt Francis,
Butch, Eric, Rissa. If she puts a pot of water up to boil she forgets it‘s there. If she smells the
burning plastic of the handles she‘ll pick it up and throw it into the sink. Her fingers get red from
the burn but she doesn‘t feel it. And even this is not certain. Some days are better than others.
On these days she recognizes more parts of the world. She holds a more or less reasonable
conversation. Doesn’t ask the same question over and over. Soon her eves become suspicious and
shrewd. Mother is finding herself. It is the signal to warn her psychiatrist. An attack of madness
may be on the way.
„I danced to ‚Waltz of the Flowers‘ today, mother.“
„Ah, Tschaikovsky.“ She begins to sing. She still has a sweet pretty soprano like a young girl‘s.
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She used to love Lily Pons. The Russian melody sings through the rain falling through our bad
connection. Some things stay. Maybe they‘re the important ones.
„Good-bye, mother. I have to do my show now.“
„Good-bye, dear. Thank you for calling.“
The private performance this afternoon left me soft and vulnerable for the evening one. My pathos
was stunning. People had tears in their eyes. I thought of Markova. „I would like to share my
Giselle with the young dancers. There is so much I know. But they do not come to me.“ And Alicia
is a legend. Poor Antinova has nobody but me.
At the end when the lights go on I hustle the embarrassed crowd, offering myself for salons and
parties and hawking signed copies of Before the Revolution. This time I actually sold some. While
I was signing a copy Ron came up and asked if Irving Sandler could have a gift copy for his little
daughter. Irving is my friend. His eyes show how moved he has been by the performance.
The child stands at his side thrilled to be so close to a famous ballerina. She devours me with her
serious, little girl eyes.
„I am an artiste,“ I smile politely. „I do not give away my works. The fee is small. I will be pleased
to autograph the book for you.“
I put Irving‘s $10 in my purse and write a pretty dedication for his daughter, assuaging my guilt
by writing Antinova clearly so she can read it instead of my usual scrawl. But I could kill Ron for
insulting me. How could he ask me to do such a thing? Does he think I‘m kidding?
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SATURDAY October 25
RAIN again today. Small crowd for the evening performance. Only about 40 or 50 people show
up—among them Barbara, Lynn, Martina, Joey—and their dates! Waiting around in the back
office for the place to fill up I drank more sherry than 1 should have but it was depressing to work
so hard just to make art for the employees of the Ronald Feldman Gallery. Where was the art
world? I didn‘t see any critics when I spied through the narrow slit in the door. Robert PincusWinen had promised to come but hadn‘t. John Perreault wasn‘t there. Nor Betsy Baker or Ingrid
Sischy. I must not be fashionable anymore. That really spooked me and I poured another glass of
sherry. Have to be careful. A tipsy ballerina is charming but a drunken one is gross. This is real
sherry from Jerez de la Frontera and it has some punch—a fragrant dry wine that sweetens the
spirits when it goes down. It isn‘t working though, as I stare morosely out at the elderly little
people slowly filling up the seats. Who are they? Sean has to put out a lot of chairs tonight. There
are a lot of people who can‘t sit on the floor. They look like Ronald Feldman‘s relatives. They could
be collectors. Collectors look like uncles. When I go into my hustle at the end I‘ll look helplessly at
the plump cheerful gentleman with the neat grey mustache and round glasses who looks like my
father in Florida. He could hire me to give a talk at his grandson‘s bar-mitzvah. But the petite wife
with the carefully drawn fish mouth and the missing forehead covered with sculpted blonde bangs
won‘t let him do it. I‘m in luck. He‘s with that younger man who‘s just arriving, the one removing
the newspaper from the reserved seat. The ring of relatives around the room reminds me of Lita
Hornick‘s annual Park Ave. bash when she invites Morty‘s relatives to slum with the mishugena
poets she publishes. When I finally go on I‘m a quivering wreck. The tears roll down my face threatening my color as I recall the dirty white swans in the Bois de Boulogne when I lived in the small
hotel with the white column off the Font de Saint-Cloud. And when I considered the stupidity and
narrowness of the world of art, I was overcome by a wave of sorrow and loss for the world that
might have been. I choked and had to wait before going on. By the time the house lights came up
and I began hustling my books and offering my services, I couldn‘t distinguish my patron from the
other sweet faced Jewish gentlemen looking so trustfully up at me.
As usual I make myself available in the foyer. People are distressed. Most try not to meet my
eyes and make a quick exit. Some are crying. They look a little afraid of me. An Israeli artist
asks if I will be around in two weeks when his mother flies in from Haifa. She would understand
me, he says. „Alas, I will not be in town then.“ I murmur regrets at not meeting his mother. Ron
introduces me to a young couple. The woman pats my shoulder sympathetically. Later he tells me
they are the architectural group—SITE. „They were shocked that you had to sell yourself to rich
people‘s parties.“ he giggles. „They wanted to know where I found you.“ „Russian War Relief,“
I tell him. Maybe they’ll contribute.“ Pierre Restany kissed my hand and confessed he was falling
in love with me. I protested. „But, Pierre, you are always falling in love.“ A suave Argentinian
artist in an Italian suit gave me his card and invited me to a party. „The important people will be
there. It will be useful.“ „When?“ I asked. „I‘m very tired.“ „Tuesday.“ „I‘ll come.“ „This is the
second night I have been here,“ explains a short, swarthy middle-aged man introducing me to a
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young Italian woman in halting English. „Last time I did not understand. Now I understand.“
They go off smiling.
We left soon after. The rain was letting up but I was cold with only my embroidered shawl for
cover so we went to an Italian place a few blocks east of the gallery. It was dark and expensive,
the tables crowded close together the way they are in chic ethnic restaurants. Ron was in a
meditative mood. He talked a lot about Joseph Beuys. How when he was arranging the Guggenheim show they walked together in Central Park, lunching on frankfurters and knishes, and talked
to the poor sad beasts in the zoo, and watched the evening come up over the rowboats on the
lake. Together with Frayda they sat on the rock promontories hanging over the narrow walk paths
and the three of them talked about things and hoped for rabbits to come by. They fed peanuts to
the squirrels and Ron described the great man squatting comfortably on his haunches, the fedora
flopping over one side of his long melancholy face, as he whispered little German love words to
the squirrels. They darted up to him and ate the peanuts out of his hands. They licked his fingers.
„They didn‘t lick his fingers,“ I protested. „They did. He has a way with animals.“ And all the time
that the people at the Guggenheim and the Modern were wheeling and dealing the great man
walked innocently with Ron and Frayda in the warm Spring sun. „A simple man,“ Ron said. I could
see a tall lanky man in a fedora, suspenders holding up the old-fashioned shapeless trousers,
moving slowly through Central Park, followed by squirrels, rabbits, pigeons, starlings, and sedately
bringing up the rear, all the stray dogs, their tails wagging proudly as they marched several abreast, the alley cats walking with confidence between the legs of the dogs, and the kittens scuttling
under the cats. German shepherds, Dobermans and boxers walking democratically with dachshunds and pugs. A pregnant one-eyed Siamese sits serenely on the noble back of a St. Bernard.
Under the regal flanks of a Great Dane swoop the little swallows and other chirping things.
The man in the fedora slowly rises up on his toes, his arms make a great embracing arc and he
begins to dance. All the creatures, great and small, bound and gambol, imitating his movements
like little children in school. He takes off his shoes and gives them to a shabby old man on Social
Security sitting on a park bench. „Bless you, my son,“ the old man calls out. The man in the fedora
blows kisses to the right and the left, as people on all sides unleash their pets, and the rich dogs
join the poor dogs and the ranks of the little army swell from the wooden trellis of 72nd St. all the
way up to the decaying walls of 110th....
Later, the empty apartment depressed me and I changed into jeans and sneakers and went down
to the all-night newsstand on 57th St. to pick up a copy of the Sunday Times. I felt young and
scrappy in my own clothes again and came on like a dancer out of a chorus line. Not that there
was anyone around to notice. Broadway above 57th was dead as it doornail. But there was a
spicy Spring smell in the still-wet streets. Some trees must have gotten confused and come out
blooming alter the rains. I flirted with some ugly guys with bad complexions in the little all-night
market near the Art Students League. Back home I didn‘t fall asleep for hours and lay around reading the paper. Kansas City lost to the Yankees. The big city boys intimidated them. Too bad. . . .
Excerpt from Being Antinova, by Eleanor Antin. Published by Astro Artz, Los Angeles 1983
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Black men imitating white
men imitating black man
based on „Bamboozled“ by Spike Lee
Timo Allemann
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Flaming Creatures (Jack Smith USA 1963)
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Why Jack Smith?
Madeleine Bernstorff
„Wolltest du durch deinen Film [Flaming Creatures] wirklich etwas Bestimmtes ausdrücken?“
– „Nein, damals nicht. Aber die Bedeutung muß dadurch rauskommen, wie man mit der Kunst
umgeht - ... Was man ökonomisch damit macht, das ist die Bedeutung.“
Jack Smith im Interview mit Sylvère Lothringer, merve-Verlag 1983
Drei Filme im Abstand von jeweils dreißig Jahren. Die Bezüge der Filme untereinander sind
vielfältig. Der autodidaktische Sammler und manische Eigenbrötler Joseph Cornell plünderte in
den 30er-Jahren eine verregnete Kopie des Films EAST OF BORNEO, und montierte daraus seine
Hommage an die Hauptdarstellerin Rose Hobart (Joseph Cornell USA 1936, 18’ 16mm). Die lineare
Erzählweise ist aufgelöst: es ergeben sich falsche Bezüge, Ellipsen und Brüche, eingeleitet von
einer Szene mit einer Sonnenfinsternis. Zudem eliminierte Cornell den ursprünglichen Synchronton
und projizierte den Film mit 16 Bildern pro Sekunde (statt mit 24) durch blaues Glas zur Begleitung
einer Schallplatte mit kommerzieller brasilianischer Musik. Der Filmemacher Ken Jacobs war
seit 1956 mit Jack Smith befreundet. Gemeinsam liehen sie sich Rose Hobart von Cornell. Sie
entdeckten die „im Raum schwebenden Bilder von Rose Hobart, die verzaubert durch eine Welt
von traumhafter Schönheit und alptraumhaftem Schrecken wandelt.“ „Rose Hobart war für mich
eine Offenbarung ... Jedenfalls begannen wir (Jacobs und Jack Smith) uns sehr für diesen Schund
zu interessieren, für die Energie, die hervorbrach, wenn man an die Nahtstellen gelangte. Man
konnte diese Nahtstellen finden, an denen alles aufbrechen würde, und tatsächlich war es wie
eine Art Kernspaltung. Dieses geistlose banale Zeug konnte aufbrechen und eine phantastische
ästhetische Energie freisetzen.“ (Ken Jacobs in einem unveröffentlichten Interview, Anthology
Archives, zit. nach Tom Gunning). Zudem erinnert Jack Smith’ persönliche queere Identifikation
mit der gescheiterten B-movie-Schauspielerin Maria Montez an Joseph Cornells Obsession für
die B-Schauspielerin Rose Hobart, genauso wie für Stars wie Greta Garbo, der er eine seiner
Assemblage-Boxen baute oder Hedy Lamarr, für die er den Text „enchanted wanderer“ schrieb.
Bei Joseph Cornell wie bei Jack Smith gibt es die überbordende Einfühlung in diese tragischen
Hollywood-Heldinnen: „where failure and trash meet despair“ - so beschreibt es der Filmkritiker
Jim Hoberman, der einer derjenigen ist, der zusammen mit Penny Arcade (Plaster Foundation) und
Jerry Tartaglia für die kundige Rettung des Jack Smith-Nachlasses nach dessen Tod 1989 verantwortlich ist. 1992 gab es endlich wieder eine Kopie von Flaming Creatures (Jack Smith USA 1963
43’ 16mm). Birgit Hein nennt den Film „das erste große freie erotische Werk des New American
Cinema“. Ein überbelichtetes Pantheon prachtvoller und geschlechtlich uneindeutiger Kreaturen
in einer lose verbundenen Serie von Tableaus. Der Film hat eine turbulente Geschichte: gedreht
ohne Belichtungsmesser auf dem Dach eines Lower East Side Kinos hatte er Premiere im Bleeker
Street Kino. Der Filmemacher Gregory Markopoulos meint, „diese ersten Zuschauer wurden in
einen Zustand eines kosmischen oder filmischen Schocks katapultiert. Diese Bilder, Szenen und
Sequenzen, die sie sich ausgemalt hatten, und in diesem Film zu sehen hofften, bekamen sie dort
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völlig unerwartet tatsächlich geboten. Das Publikum explodierte, während die Zensur in ihren
Grundfesten erschüttert wurde.“(Film Culture 33, 1964) Die belgische Regierung verbot, den Film
auf dem Experimentalfilmfestival in Knokke-le-Zoute zu zeigen, so gelangte Flaming Creatures auf
die Titelseite von Variety. Im März 1964 unterbrachen zwei Polizeibeamte eine Vorführung im New
Bowery Theater in New York – für die Weltausstellung war man bestrebt, die Stadt zu säubern.
Jonas Mekas, Jacobs und zwei weitere Beteiligte wurden verhaftet. Und noch einmal Birgit Hein
(in „Film im Underground, 1971): „Wegen der zum Teil in Großaufnahmen gezeigten männlichen
Geschlechtsteile und der Darstellung von leckenden, kauenden, zu mehreren eine Frau vergewaltigenden Transvestiten wurde der Film verboten.“ Die auch als „earthquake-rape-orgy“ bezeichnete
Szene verstört noch heute. Ansonsten hat die Literatur darüber ein vielsagendes Schweigen
gelegt, das mindestens so laut ist wie die Schreie, die diese Szene untermalen, und zur Verstörung
maßgeblich beitragen. Die triviale Intensität, mit der ein Penis jemandem über die Schulter guckt,
mit der Brüste zum Schaukeln gebracht werden, ist hier aufgehoben. Susan Sontag stellt den
Film in die Tradition eines „Cinema of Shock“, das technisch Rohe sei gewollt: „Bei keiner Szene
ist man überzeugt, sie könne nicht auch länger oder kürzer sein. Die Einstellungen sind nicht auf
traditionelle Weise kadriert; Köpfe sind abgeschnitten, Figuren erscheinen manchmal am Rand der
Szene. Meist ist der Film mit Handkamera gedreht und das Bild zittert oft (wo das aber gänzlich
effektiv und zweifellos überlegt wirkt, ist die Orgien-Szene).“ Sontag sieht in dem Film eher Intersexualität als Homosexualität am Werk. (Susan Sontag: Jack Smith’s Flaming Creatures, N.Y. 1964)
Die Rezeption von Jack Smith’ Filmen ist inzwischen mannigfaltig, von dem 2006 erschienenen
Buch GOLDEN YEARS, das die vielfältigen Verbindungslinien zwischen queerer Subkultur und
Avantgarde 1959 – 1974 deutlich macht, bis zu einem neuen Dokumentarfilm, der sich das Material und die Geschichte Jack Smith’ aneignet und „entqueert“. Dieses Filmprogramm begleitend
zur Ausstellung Maskharat, entstand, als die Rechtslage immer unklarer wurde, als verschiedene
Verleihe ihre Verleihkopien von Jack Smith’ Filmen zurückziehen mussten und bösartige Beschimpfungen durch das Netz geisterten.
Stefan Hayn hat mit seinen frühen Filmen Anfang der 90er Jahre die gefährliche Nähe identitätspolitischer Sackgassen und ihrer kulturindustriellen Verwurstung mit eigenwilliger Bilderfülle
thematisiert. Er fragt sich 1994: What to put on top of Jack Smith’s Memorial Christmas Tree? Mit
seinem frühen Super8-Film Tuntenfilm (1989/90), einer Abfolge leuchtend-bunter, glitzer-intensiver und stoffblumen-mustriger Accessoires mit kleinen Schminkbewegungen, Vorhangöffnungen
und der Einblendung des programmatischen Titels „Tuntenfilm“ in ebenso wildheterogenen
Schrifttypen gelingt ihm die spielerische Abwendung von identitären Zuschreibungen. Mit
fließenden Bewegungen gleitet die Kamera durch das theatrale Wunderwerk von Fontvellas Box
(Stefan Hayn D 1992 18’). Zu lasziver Musik sehen wir zwischen die Beine auf den heimlichen
Hauptdarsteller: einen Penis in flauschig zitternder Federboa, der seinen Auftritt vermasselt und
vor dem Publikum in sich zusammensinkt. „Danach war meine Karriere ruiniert.“
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Flaming Creatures (Jack Smith USA 1963)
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Rose Hobart (Joseph Cornell USA 1936)
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Die Büchse der Pandora ist zu einer warholesk vervielfältigten Mineralwasserflasche geworden.
Oder ist sie die mit rosa Fell verkleidete Schachtel vor dem Unterkörper, in die sich eine endlos lange Schleppe stopfen lässt, der flauschige Salon, aus dem heraus es sich auf Pailletten,
Spiral- und Blumenmusterkleider blicken lässt? „Nichts glückt ihr. In eine Kuh verzaubert folgt sie
dem Mann ihrer Träume und stürzt schlafwandelnd ab,“ sagt Stefan Hayn. Penisse erleben mehr
oder weniger anzügliche Situationen, ähnlich hemmungslos spielerisch (un)aufgeladen wie bei
Jack Smith. Assoziationssplitter zu Jean Cocteau, Yves Klein, Jean Genet und zu Valie Exports
„Tapp- und Tastkino“ flirren vorbei. „Stefan Hayn führt mit seinem Film Fontvellas Box (männliche)
Subjektivität, Sexualität und Maskerade in einen „Raum unentwegter Inversionen“ (Manfred
Hermes).“
Fontvellas Box (Stefan Hayn D 1992)
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CHEAP, Berlin
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CHEAP, Berlin
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Maskerade im Horizont von
Geschlecht
Yvonne P. Doderer
Angesichts der Vielfalt an Zugängen zum Begriff der Maskerade, wie sie beispielsweise aus
den Kulturwissenschaften, der Philosophie, Psychoanalyse, Anthropologie, Kunst, Geschlechterforschung und den Queer Studies erfolgen können, werde ich hier nur einige wenige Aspekte
anführen können. Ich werde fragen, inwieweit es sich bei der Maskerade um eine Strategie
handelt, Geschlecht zu überschreiten bzw. inwieweit es überhaupt möglich ist, Geschlechterzuschreibungen zu entkommen.1
Begriffe wie Maskerade, Parodie, Performanz, Cross-Dressing und Drag sind mittlerweile ja fast
gängige Begrifflichkeiten, wobei sich deren konzeptuelle Unterschiede im Gebrauch verwischen.2
Maske kennen wir als Objekt, aber auch als Metapher und bildlichen Ausdruck, die mit Vorstellungen von Täuschung, Verstellung, Heuchelei, aber auch von Andersheit, Identität und Verdoppelung
einhergehen. Der etymologische Ursprung des Wortes Maske ist nicht endgültig geklärt. Ein wohl
nachgewiesener Ursprung von Maske lässt sich im Arabischen Wort mashara finden, das zunächst
in der Bedeutung von Gegenstand des Spotts, dann im Sinne von Spaßmacher, Narr und später zur
Bezeichnung einer maskierten Person, die ihre Identität als Narr verschleiert, gebraucht wurde.3
Nicht zufällig spielt allerdings, sei es im Theater, sei es im gesellschaftlichen Alltag, die Maske
als ein Objekt der Unterscheidung, als eine „Zwei-Seiten-Form“ 4, die zwischen Innen und Außen
trennt, aber auch im Sinne eines ‚sowohl als auch’ verbindet, kaum eine Rolle mehr. Ins Zentrum
rücken vielmehr Dimensionen der Maskerade, denn im Gegensatz zur Maske beschränkt sich die
Maskerade nicht auf das Gesicht allein, sondern eröffnet einen Handlungsraum, der zuallererst
an den Körper geknüpft ist. Der Körper ist, wie Hannelore Bublitz in Bezug auf Michel Foucault
formuliert, das Zentrum des kulturellen Unbewussten, „er konstituiert sich als Norm und Normalität mit dem Effekt der Natürlichkeit“. 5 Diese Körperlichkeit stellt eine psychische Materialität
der Macht dar, die sich „über die Kontrolle des Bewusstseins als innerer Kontrolle, Selbstprüfung
und Gewissenslenkung“ konstituiert, die schließlich „zur inneren Wahrheit des Subjekts“ und
damit zur Identität wird.6 Im Gegensatz zu Foucault, der die Vorgängigkeit des Körpers letztlich
(1) Der Begriff Kategorie Geschlecht ist nicht eindeutig
definiert, wird jedoch vor allem in den Sozialwissenschaften
im Sinne von Strukturkategorie gebraucht: Geschlecht als
eine Gesellschaft strukturierende Unterscheidung.
(2) Der Begriff der Parodie ist vor allem in den Literaturwissenschaften verankert; Performanz steht im Zusammenhang
mit Sprechakttheorien und Fragen von Diskursbildung; Drag
und Cross-Dressing tauchen vor allem im Kontext von Queerund Transgender Bewegungen auf - wohingegen Maske und
Maskerade eher allgemeine Begriffe sind.
(3) Ursprünglich kommt das Wort Maske aus dem Langobardischen und hat keinen griechischen oder lateinischen Ur-
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sprung, denn das griechische Wort für Maske war prósopon,
das zugleich Maske und Gesicht und dem genauen Wortsinn
nach „das, was gegenüber den Augen (eines anderen) ist“
bezeichnete. Im Lateinischen war das gängige Wort für
Maske persona, wie im Griechischen war hier sowohl der
Schauspieler, als auch eine Person des öffentlichen Lebens
gemeint. Vgl. hierzu Richard Weihe: Die Paradoxie der
Maske. Geschichte einer Form, München 2004
(4) ebd., S. 35
(5) Hannelore Bublitz: Foucaults Archäologie des kulturellen
Unbewussten, Frankfurt am Main / New York 1999, S. 199
(6) ebd., S. 206
nicht hinterfragt, sondern ihn als Ort kultureller Einschreibung, Disziplinarmacht und Einverleibung
liest, können, so Judith Butler, diese inkorporierten Wahrheiten mit Strategien der Maskerade im
Sinne der Parodie entlarvt werden.7 In ihrem, für feministisch-dekonstruktivistische Ansätze Weg
weisenden Buch „Gender Trouble / Das Unbehagen der Geschlechter“ setzt sich Judith Butler
unter anderem mit der Maskerade auf der Folie des psychoanalytischen Konzepts von Jacques
Lacan und dem Maskerade-Begriff der Psychoanalytikerin Joan Riviere auseinander, wie sie ihn in
ihrem 1929 erschienenen Aufsatz „Womanliness as a Masquerade“8 darlegte.
Eine zentrale These von Riviere ist, dass gerade Frauen, die sich Männlichkeit aneignen und damit
um den Platz des ‚Vaters’ konkurrieren wollen, Weiblichkeit 9 als Maskerade inszenieren, um sich
vor der drohenden Vergeltung für diese Anmaßung zu schützen. Doch Riviere geht noch einen
Schritt weiter, indem sie postuliert, dass zwischen ‚echter’ und ‚maskierter’ Weiblichkeit letztlich
nicht mehr unterschieden werden kann. Eine quasi ‚natürliche’ Weiblichkeit vor der Maskierung
existiert somit nicht. Wie Butler weiter betont, liegt diesem Konzept von Riviere allerdings ein
heterosexuelles Begehren zugrunde, das weibliche Homosexualität zurückweist. Denn, wie Butler
bemerkt, das Konzept von Riviere geht letztlich nicht von sexuellem Begehren, sondern von der
Aggression und dem Wunsch nach Kastration aus.10 Weiblichkeit könnte hier auf der Folie von
Lacan gelesen, so Butler, als eine Maskierung eines möglichen Begehrens des Phallus selbst
gelesen werden. Um diesem Gedankengang von Butler zu folgen, ist allerdings eine grobe Erläuterung des Begriffs Phallus notwendig. Denn mit Phallus ist bei Lacan nicht ein Objekt gemeint,
das ein männliches Organ repräsentiert, sondern sowohl ein Mangel, als auch phantasmatische
Objekte, die dem Subjekt dazu dienen, diesen Mangel zu verbergen, um sich selbst als vollständig
zu imaginieren. Dieser Mangel gründet sich auf dem Erleben von frühkindlicher Hilflosigkeit und
Abhängigkeit von der Versorgung insbesondere durch die Mutter. Das Kind erlebt die Mutter als
allmächtig und sich selbst in seiner Hilflosigkeit als „zerstückelt“. Mit der im Alter zwischen
6 bis 18 Monate erfolgenden Selbstwahrnehmung des eigenen Spiegelbildes, das als scheinbar
vollkommene Gestalt und Ganzheit erlebt wird, imaginiert das Kind ein Ich-Ideal, das sich nicht nur
an sich selbst, sondern auch an die allmächtige Mutter richtet. Die Mutter wird jetzt auch als abwesend und dem Vater zugewandt erlebt, so dass ein weiterer Mangel entsteht, der sich in einem
unerfüllten Verlangen nach einer Rückkehr zur Symbiose mit der Mutter äußert. Der Phallus wiederum bezeichnet all dasjenige, was die Mutter vom Mann zu bekommen scheint. Das Konzept des
Phallus ist allerdings nicht nur dem Realen, sondern ebenso dem Symbolischen und dem Imaginären
zu zuordnen. Der Phallus ist damit in erster Linie ein Signifikant, ein Zeichen und ein Merkmal, das
Bedeutung und Unterscheidung schafft. (So gesehen gäbe es kein Geschlechterverhältnis bei Lacan,
sondern nur eine Konstituierung von Subjekten, die sich durch die Bezeichnung unterscheiden.)
(7) Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt
am Main 1991 (orig. Gender Trouble, Routledge 1990)
(8) Joan Riviere: „Womanliness as a Masquerade“, in: Victor
Burgin, James Donald, Cora Kaplan: Formations of Fantasy,
London 1986
(9) Wobei hier in der deutschen Übersetzung kein Unterschied gemacht wird zwischen „feminin“ und „weibisch“,
allerdings spricht auch Riviere selbst gleichzeitig von „mask
of womanliness“ und „mask of femininity“.
(10) Butler , a.a.O., S. 88
51
In Hinblick auf das Geschlechterverhältnis gelesen, beruht das Konzept von Lacan gemäß Butler
auf einer asymmetrischen Differenz zwischen „Haben“ und „Sein“: der Mann hat den Phallus, die
Frau ist der Phallus. Beide Positionen sind zwar innerhalb der phantasmatischen Konstruktion des
Mangels verortet, da sich das Versprechen einer ungeteilten, nicht-gespaltenen und vordiskursiven Identität (schon allein aufgrund der Gesetzmäßigkeit von Sprache, die auf Unterscheiden
beruht) nicht erfüllt. Auch werden beide Positionen gemäß Lacan „durch das Symbolische, das
Gesetz des Vaters begründet“11, denn es ist der ‚Vater’, der die symbolische Ordnung der Sprache
vermittelt. Doch das männliche Subjekt, das den Phallus, also die Bezeichnungshoheit hat, braucht
um seine, wenngleich scheinbare Autonomie zu behaupten, eine Reflektion dieser Position: die
Frau, die der Phallus ist und die damit als Repräsentanz des männlichen Begehrens (aber auch
Mangels) erscheint. Doch auch wenn das männliche Subjekt scheinbar die Bezeichnungshoheit
innehat, beruht es auf Verdrängung „der vor-individuellen inzestuösen Lüste, die sich mit dem
(nun verdrängten) Körper der Mutter verbindet.“12 Die Frau wiederum ist ‚das Andere’, diejenige,
die den Phallus markiert und diesen in seiner Existenz fortwährend bestätigt. Letztlich müssen
zwar beide Positionen ihren Mangel, ihr Unvollständig-Sein maskieren, dennoch verschiebt Lacan
die Asymmetrie der Differenz zur Frau hin, da ‚Phallus-Sein’ die Maskerade von Weiblichkeit
beinhaltet. An dieser Stelle verweist Butler auf zwei mögliche Lesarten: „Muss die Frau also eine
vermeintliche Männlichkeit einbüßen, um als Mangel zu erscheinen, der den Phallus bestätigt und
damit der Phallus ist? Oder geht es um eine phallische Möglichkeit, die negiert werden muss, um
jener bestätigende Mangel zu sein?“13 Butler zeigt im Folgenden auf, dass Lacan seine Konzeption
vom Standpunkt des männlich heterosexuellen Beobachters entwickelt, denn er verbindet sein
Maskierungskonzept mit einer Betrachtung weiblicher Homosexualität, die er als entsexualisiert, als doppelte Negation, versteht. Denn die Maskierung des Mangels beruht einerseits auf
der Übernahme von Eigenschaften des verlorenen Anderen im Sinne einer Einverleibung, als
Bewahrung, anderseits maskiert sie diesen, auf einer Liebesverweigerung beruhenden Verlust.
Weibliche Homosexualität beruht nun insofern auf einer doppelten Negation, da sie nicht nur aus
dem Verlust des Anderen, sondern zudem aus einem enttäuschten heterosexuellen Begehren,
also einem zweifachen Liebesverlust, resultiert. Das Konzept des väterlichen Gesetzes, dem alle
Subjekte unterworfen sind und die in diesem Gesetz implizierte Unmöglichkeit, dieses Gesetz
zu erfüllen, macht schließlich das Konzept von Lacan, so Butler, zu einer von Gott gegebenen
„Sklavenmoral“14, die kulturpolitisch betrachtet, keinerlei „alternatives Imaginäres für das Spiel
des Begehrens“15 zulässt.
Beide Konzepte, sowohl von Riviere, als auch von Lacan, folgen damit einer Vorstellung von
Weiblichkeit, die von einer männlich heterosexuellen Position und einer männlich besetzten
Libido ausgehen, die wiederum weibliche Homosexualität ausklammert. Butler geht es in diesem
(11) Butler, a.a.O., S. 77
(14) Butler, a.a.O., S. 93
(12) Butler, a.a.O., S. 76
(15) Butler, a.a.O., S. 92
(13) Butler, a.a.O., S. 81
52
Zusammenhang auch darum zu zeigen, dass Geschlechtsidentitäten als Effekte kultureller
Zuschreibungen, als performative Konstrukte, als letztlich phantasmatische Projektionen, die ihre
Herkunft verbergen, zu verstehen sind. Denn die Herstellung von Geschlechteridentität liest Butler
als eine Wiederholung performativer und auf die Herstellung von Bedeutung gerichteter Akte, die
eine „Illusion eines unvergänglichen, geschlechtlich bestimmten Selbst (gendered self) herstellen.“16 Geschlechtsidentität wird nicht nur laufend mittels performativer Akte produziert, sondern
durch den dadurch erzeugten Anschein einer Natürlichkeit bzw. Wesenhaftigkeit von Geschlecht
wird gerade die Performativität von Geschlecht selbst verschleiert und damit andere Konfigurationen jenseits von maskuliner Herrschaft und Zwangsheterosexualität verhindert. Auf diesem
Hintergrund lässt sich weibliche Homosexualität als Identität und vermeintlich ausgeschlossenes
Drittes nicht nur in ein psychoanalytisches Konzept integrieren, sondern darüber hinaus steht die
Notwendigkeit selbst, sich als Identität zu entwerfen – zumindest theoretisch – zur Disposition.
Diese Kritik an vermeintlich abgeschlossenen, da auf normativer Differenz beruhenden Subjektund Identitätskonstruktionen bildet ja einen wesentlichen Kern aktueller Dekonstruktionstheorien.
Mittlerweile richtet die Kritik deshalb nicht nur gegen Hetero-, sondern auch gegen Homonormativität. Praktiken des Performativen im Kontext von Queer und Transgender, wie beispielsweise das
Drag Kinging, erscheinen deshalb viel versprechend, um vorherrschende Identitätskonstruktionen
zu durchkreuzen, zu parodieren und auf zu decken. Denn „Indem die Travestie die Geschlechtsidentität imitiert, offenbart sie implizit die Imitationsstruktur der Geschlechtsidentität als solcher
- wie auch ihre Kontingenz.“17 Selbst bewusst performativ angelegte Strategien sind nicht frei von
internen und externen Asymmetrien. So erfährt Drag Kinging nicht dieselbe Aufmerksamkeit und
Anerkennung wie die Parodisierung von Männlichkeit durch homosexuelle oder heterosexuelle
Männer.18 Auch in subkulturellen Räumen und Praktiken sind hegemoniale symbolische Gewalt
und gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse weiterhin wirkmächtig.
Auch wenn Geschlechterzuschreibungen nicht statisch sind, sondern, wie Untersuchungen in ganz
unterschiedlichen Bereichen zeigen, immer wieder umgeschrieben werden, lässt sich dennoch
eine Beharrlichkeit des vorherrschenden Geschlechterdualismus und damit einhergehender Effekte
beobachten, die sich einer lebensweltlichen Realisierung der von Butler herausgearbeiteten
Performativität von Geschlecht widersetzen. Das Problem besteht wohl zum Einen darin, dass
sich Verflüssigungen realer, symbolischer und imaginär situierter Geschlechterverhältnisse nur
eingeschränkt im und als Gesellschaftliches situieren können. Der Status dieser Verflüssigungen
bleibt bislang sowohl minoritär, als auch temporär und ephemer wie die Performanz selbst. Butler
selbst wirft am Ende von „Das Unbehagen der Geschlechter“ die Frage nach anderen lokalen
Strategien auf, die herrschende Geschlechterordnung durchkreuzen können. Doch sollte es um
mehr gehen als um lokale Strategien: ginge es doch darum, den gesellschaftlichen Raum von der
symbolischen, aber auch strukturellen Herrschaft entlang der Kategorie Geschlecht zu befreien.
(16) Butler, a.a.O., S. 207
(17) Butler, a.a.O., S. 202
(18) vgl. Judith Halberstam: In a Queer Time & Place. Transgender Bodies, Subcultural Lives, New York / London 2005
53
Diese, zugegebenermaßen etwas utopische, Vorstellung ist allerdings auch nicht allein über das
Postulat der Gleichheit zu erreichen, denn Unterscheidungen bleiben solange relevant, so lange
sie dazu dienen können, „Ungleichheiten zu kristallisieren“19 - und es wird wohl noch lange dauern, bis sich das Ideal der Gleichheit, das heißt der Ununterscheidbarkeit, realisieren lässt.
Ebenso scheint kein Weg zurück zu gesellschaftlich-mythologischen Vorstellungen zu führen, wie
sie in indigenen Kulturen und Gesellschaften früher und teilweise heute noch vorzufinden sind.
Eben in jenen Kulturen, die ein Mehrfaches an Geschlechtern kennen, indem sie ganz andere
Praktiken der Nicht-/Unterscheidung situieren. In diesem Zusammenhang könnte gefragt werden,
welche anderen, kulturell-gesellschaftlich situierten Konzepte von Geschlecht denkbar wären.
Möglicherweise wäre (auch im Anschluss an die Konzeption von Riviere)20 eine Voraussetzung für
eine Neufassung, Geschlecht nicht in erster Linie entlang von sexuellem Begehren zu situieren,
sondern stattdessen Aggression als Ausgangspunkt zugrunde zu legen. Diese würde voraus
setzen, dass Aggression nicht als phallische Kastration, sondern in der Tat als produktive Potenz
im Sinne der Aneignung gelesen wird. (Der Phallus wäre dann weder das Gesetz des Vaters,
noch das der Mutter, sondern zum Beispiel das des Hermaphroditos). Hiervon ausgehend könnten
andere gesellschaftlich-symbolische Ordnungen von Geschlecht (erneut) in den Blick genommen
werden. Denn was bei Butler mit dem Begriff der „Intelligibilität“, nämlich dem Zwang zur heterosexualisierten Identitätsbildung bezeichnet wird, ist bei Pierre Bourdieu die „Somatisierung“
von Herrschaftsverhältnissen, also die Ausbildung eines geschlechtlich differenzierten Habitus,
in den die auf Geschlecht beruhenden, strukturellen Herrschaftsverhältnisse und symbolischen
Ordnungen inkorporiert sind.21 Dieser Habitus erfährt eine andere Konfiguration in nicht- bzw.
eingeschränkt androzentristischen Ordnungen. So beruhen Konzepte wie beispielsweise die zapotekischen muxé in Juchitan, die fafafine in Samoa oder insbesondere die indianischen berdache22
bzw. Two-Spirit 23 auf einem Mix an Geschlechterrollen, die sowohl gesellschaftlich, als auch
(19) Niklas Luhmann: Protest. Systemtheorie und soziale
Bewegungen, Frankfurt am Main 1996, S. 131
(20) Gelesen auch auf dem Hintergrund einer Kritik an der
überhistorischen Konzeption von Sprache und Vater-Gesetz
bei Lacan, wie sie ja auch Julia Kristeva formuliert hat, aber
auch an der Überbetonung des Performativen bei Butler.
(21) Zur Analogie zwischen Judith Butler und Pierre Bourdieu
siehe: Paula Irene Villa: „Spürbare Zugehörigkeiten. Klasse
und Geschlecht als zweifache Positionierung des Leibes“,
in: Ute L. Fischer; Marita Kampshoff u.a. (Hg.): Kategorie:
Geschlecht? Empirische Analysen und feministische Theorien, Opladen 1996, S. 140-162
(22) vgl. Sabine Lang: Männer als Frauen - Frauen als
Männer. Geschlechtsrollenwechsel bei den Indianern Nordamerikas, Hamburg 1990. Das Wort bedache ist die französische Umformung des arabischen Worts bardaj bzw. barah
(männliche Prostituierter, Lustknabe) Französische Reisende
des 18. Jahrhunderts bezeichneten damit homosexuelle,
transvestierende und die weibliche Geschlechtsrolle einnehmende Männer indianischer Ethnien. Später wurden auch
54
Transvestition bzw. Cross-Dressing, Annahme weiblicher
bzw. männlicher Tätigkeiten, Homo- und Intersexualität usw.
mit diesem Ausdruck belegt. In ihrer Untersuchung über
berdaches legt Sabine Lang eine Definition zugrunde, die
sowohl den männlichen, als auch weiblichen Geschlechtsrollenwechsel beinhaltet und von einem ambivalenten
Androgynen ausgeht. Geschlechtsrollenwechsel ist hier der
Oberbegriff für verschiedene „Arten der Überschreitung
kulturell definierter Geschlechtsrollen, wozu für gewöhnlich
auch der Wechsel in einen ambivalenten Geschlechtsstatus
gehört.“(S. 9) Wie Lang nachweist, ist die historische
Annahme, berdache bezeichne homosexuelle Beziehungen
in unserem Sinne, nicht richtig, denn „Hauptcharakteristikum männlicher und weiblicher berdaches ist nach wie vor
ihre Neigung zu Tätigkeiten und Gesellschaft des anderen,
nicht der Wunsch nach sexuellen Beziehungen zum eigenen
Geschlecht.“ Dies bedeutet jedoch nicht notwendig den
Wunsch, „den Status dieses Geschlechts anzunehmen, also
ein Mitglied des anderen Geschlechts zu werden.“(S. 405)
(23) Heute anstelle des als diskriminierend empfundenen
Begriffs berdache eingesetzt.
imaginär-symbolisch verankert sind. Gemeinschaften mit solchen Ordnungen unterscheiden sich
damit von traditionalistisch-patriarchalen Gesellschaften, die auf konkurrenzfreien Positionen der
Repräsentation und einem strikten Geschlechterdualismus beruhen, die ein unscharfes Drittes
zurückweisen und verdrängen müssen. Entscheidend ist, dass Überschreitung und Wechsel von
Geschlechterrollen in diesen indigenen Kulturen nicht entlang von Sexualität erfolgen, sondern
auf der Möglichkeit der Aneignung unterschiedlicher Tätigkeits- und Handlungsweisen basieren. Diese Möglichkeiten verbleiben zwar im Horizont von Geschlechterbinarität, dennoch sind
Cross-Dressing, Transvestismus, Inter- und Transsexualität, Cross-Acting, Hermaphrodismus usw.
hier kulturell und gesellschaftlich verankerte Formen, die eine individuelle Wahl des Geschlechtsstatus und, wie im Fall der berdaches, verschiedene alternative Geschlechterrollen zu lassen. In
dieser Hinsicht erscheinen solche indigenen Geschlechterverfassungen in ihrer lebensweltlichen
Dimensionierung und kulturell-sozialen Situierung von Geschlecht sogar fortschrittlicher als
hochmoderne Funktionsgesellschaften.24 Zwar ist in modernen Gesellschaften eine gewisse Vervielfältigung von Identitätsangeboten und Kodierungen, wie sie sich beispielsweise einerseits in
dem Aufkommen von Homosexuellen-, Queer- und Transgender-Bewegungen und ihren vielfältigen
Strategien der reflexiven „Maskerade“, andererseits in einer Krisenanfälligkeit heterosexueller
Männlichkeitskonzepte bemerkbar machen, zu beobachten. Neben vielen weiteren anzuführenden
Gründen führen diese Ausdifferenzierungen allerdings auch nicht dazu, dass Geschlechterdifferenz
als zugrunde liegende asymmetrische Unterscheidung aufgehoben werden kann – obgleich hier
Geschlecht, als quasi theoretische Dimension von Sexualität, reflexiv anzulegen möglich wäre. Auf
dem Hintergrund einer solchen Reflexion (die ja teilweise auch erfolgt und die sowohl soziales, als
auch biologisches Geschlecht als konstruiert begreift) und in konsequenter Weiterführung bisheriger Ausdifferenzierungen wäre zumindest eine tatsächliche, das heißt gesellschaftlich fundierte
Vervielfältigung von Geschlechterrollen zu erwarten.25 Doch bislang verbleiben sowohl heterosexuelle Geschlechteridentitäten, als auch deren subversiven Gegenstrategien im zugewiesenen
Sonderbereich des Sexuellen. Möglicherweise liegt gerade hier das Problem.
(24) Ich schließe hier an Pierre Bourdieu an, der im
Zusammenhang seiner Untersuchungen der kabylischen
Gesellschaft (aus welcher er später seine Theorie des
Habitus entwickelt), feststellt, dass die (psychoanalytische)
Rückbindung der Geschichte der Sexualität an frühe Gesellschaften und deren Philosophien bereits (zwangsläufig)
Entstellungen und Auslassungen enthalten bzw. eben aus
der Jetzt-Perspektive gelesen werden. Bourdieu bezieht
sich auch deshalb, wenngleich er sich der Einschränkungen
bewusst ist, auf die noch existierende kulturelle Tradition
der Kabylen, mit dem Verweis, dass die europäische Kultur
in der Tradition mediterraner Gesellschaften steht. Er stellt
fest: „In einer Welt, wo, wie in der kabylischen Gesellschaft,
der Bereich der Sexualität nicht als solcher konstitutiert ist
und die Geschlechterunterschiede in die den ganzen Kosmos
organisierende Gesamtheit von Gegensätzen eingebettet
bleiben .... verfehlt man notwendigerweise deren tiefere Bedeutung, wenn man sie gemäß der Kategorie des Sexuellen
an sich versteht.“ (S. 17) Bourdieu analysiert die kabylische
Gesellschaft gerade unter dem Aspekt der hier herrschenden
dualistischen Prinzipien, die gleichzeitig Ausdruck und Konstituierung einer androzentristischen Weltsicht sind. Zu fragen ist hier allerdings, ob sich alle Kulturen auf eine solche
Sicht reduzieren lassen. Bourdieu vernachlässigt in seiner
Analyse männlicher Herrschaft allerdings andere, nicht
androzentristische Überzeugungssysteme. Seine Analyse der
aktuellen Verfasstheit von männlicher Herrschaft endet nicht
zuletzt auch deshalb bei der Frage nach Homosexualität und
ihren Bewegungen. siehe: Pierre Bourdieu: Die männliche
Herrschaft, Frankfurt am Main 2005
(25) Und eben nicht nur eine erneute Unterwerfung
unter die Norm. Denn die vermeintliche gesellschaftliche
Anerkennung von Lesben und Schwulen wird ja wiederum
um den Preis ihrer Anpassung - Stichwort eingetragene
Lebenspartnerschaft - erlangt.
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Ines Doujak
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Ines Doujak
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I wanna be myself
„We are all born naked...” 1
Fender Schrade
Ich lese dieses Zitat von RuPaul in einem Buch der queeren Literaturgeschichte. Wenn ich beim
einleitenden Zitat stecken bleibe, liegt es in erster Linie daran, dass dieser Satz die Erinnerung an
meinen ersten Kinderfasching im katholischen Kindergarten in Stuttgart-Stammheim aufblitzen
lässt. Während draussen auf der Strasse schwarz gekleidete Sympathisantinnen für die Freilassung der politischen Gefangenen, oder besser gesagt, die Baader-Meinhof-Bande demonstrierten,
versuchte ich mich mit meinem Indianerkostüm abzufinden, nachdem die Kindergärtnerin meine
Eltern davon überzeugt hatte, dass Cowboy für ein Mädchen doch zu unpassend wäre.
Mit rotgeschminktem Gesicht, einer schwarzen Langhaarperücke und Mokassins von Salamander
erwartete ich den Mittag um endlich nach Hause gehen zu können. Ich musste die Hauptstrasse überqueren, zwischen grünen Polizisten und schwarzen Sympies. Die Grünen sind doof, die
Schwarzen irgendwie ausgeflippt, sympathisch. Wenn Fasching und damit das Indianerkostüm
vorüber ist, dann werde ich mich auch schwarz anziehen.
Zurück zu den Worten von RuPaul. “We are all born naked. The rest is drag.”
Aber was heisst schon “naked”? Ich raufe mir das Haar während ich über den Worten schmökere.
Irgendwie ist die nackte Erscheinung doch schon das erste Kostüm in dem man steckt. Junge,
Mädchen, dazwischen zum Beispiel. Und was ziehe ich wohl diesmal nach Fasching an?
(1) Diane Wood Middlebrook (1998) Suits Me: The Double
Life of Billy Tipton, Original in: Ru Paul (1995) Lettin It All
Hang Out: An autobiography by RuPaul, New York: Hyperion
60
Stella Glitter
Stella Brunner im Gespräch mit Andrea Thal
Stella Glitter war in der Gruppenausstelllung „TRANSFORMER“ im Ausstellungsraum Les Complices in Zürich mit einer
Edition und einer Konzert-Performance vertreten. Die von Andrea Thal kuratierte Ausstellung beschäftigte sich mit der Frage
wie vorübergehend angenommene Rollen und Formen der Verwandlungen in der Popkultur sich auf den Alltag auswirken.
Der Zustand der Verwandlung markiert in der Ausstellung nicht einen klar gekennzeichneten Gegenpol zum Alltag, sondern
zelebriert die Unmöglichkeit derart klarer bipolarer Kategorien. Anders als die Verwandlung im Karneval, die für einen im
Voraus festgelegten Zeitraum erlaubt, in eine andere Rolle zu schlüpfen und Sachen zu sagen und tun, die zu tun oder zu sagen
man sich sonst nicht trauen würde, nahmen die in der Ausstellung gezeigten Werke bewusst keine solch klare Zweiteilung
vor. Stella Glitters Performance im Rahmen von TRANSFORMER war eine „Vorlesung in eigener Sache“, gewürzt mit 70er
Jahre Rock’n’Roll Songs. Songtexte von Patti Smith, David Bowie und Lou Reed wurden in deutscher Übersetzung und in leicht
veränderter Fassung vorgetragen.
Du hattest deine ersten Auftritte als Guitarristin der Punkband Ratz Ende der 1970er Jahre. Danach hast du unter anderem bei den Bands COMPLETE ENCHANTER, STELLA & EYE und MELIOHNEN mitgespielt und gesungen und seit dem vergangenen Jahr bei deinem ersten Solo-Projekt als
STELLA GLITTER. Wie bist du auf den Namen STELLA GLITTER gekommen? Stella wählte ich
1984 als meinen neuen Vornamen, Glitter steht für Glamour und Rock’n’Roll Geschichte, insbesondere die der 1970er Jahre mit David Bowie, New York Dolls, Patti Smith, Iggy Pop und Lydia
Lunch. Die Bühnenfigur Stella Glitter beinhaltet somit beides, das Private wie auch das Künstlerische. Stella Glitter gibt mir die Möglichkeit meine eigene Geschichte mit der Rockgeschichte zu
verknüpfen und jüngeren Generationen etwas näher zu bringen was mittlerweile weiter zurück
liegt. Stella Glitter ist somit auch ein geschichtliches Projekt, bei dem ich aus der Rockgeschichte
jene Songs und InterpretInnen herausgreife, die für mich und meine Geschichte von Bedeutung
waren und noch immer sind in Bezug auf einen offenen Geschlechtsbegriff. Insofern agiert die
Figur Stella Glitter auch aufklärerisch.
Auf welchen pophistorischen Referenzen beruht STELLA GLITTER? Die Musik der 1970er Jahre
ist für meine Auftritte als Stella Glitter von grosser Bedeutung. Denn dort fand ich abweichende
Rollenbilder die mir mehr entsprachen. Die Figur Stella Glitter erlaubt mir meine Geschichte
aufzurollen, die in den 70er Jahren ihren Anfang nahm. Ich konnte mit den gesellschaftlich
zugewiesenen fixen Geschlechterrollen männlich/weiblich nichts anfangen und begann mich
davon zu emanzipieren indem ich zwischen männlichen und weiblichen Erscheinungen und Rollen
zu wechseln begann. David Bowie war eines meiner Vorbilder weil er sehr vielseitig ist. Ich hatte
seine Biographie gelesen und war sehr beeindruckt, dass er auch Pantomime gemacht hatte und
Theater. Ich besuchte dann mit bereits 27 Jahren selbst einen Pantomimekurs und lernte Jazztanz.
Ich fing an Bands wie die New York Dolls, Jane County, Television, Richard Hell, Talking Heads,
Velvet Underground, Warhol Factory und all diese Bands zu hören, die sich in irgendeiner Form mit
transgender Themen und Glamour auseinandersetzten und fing auch selbst an Gitarre zu spielen.
Du hast es nicht beim spielerisch-performativen Annehmen von Geschlechterrollen bleiben lassen,
sondern hast dich für eine geschlechtsangleichende Operation entschieden. in deinen Auftritten
nimmst du aber wieder verschiedene Geschlechterrollen an. Wie verhalten sich vorübergehende
61
und „definitive“ Transformation zueinander? Verschiedene Geschlecherrollen anzunehmen
und mich mit meinen Kostümen zu kleiden ist eine künstlerische Umsetzung der Möglichkeiten
verschiedene Rollen anzunehmen und diese somit sowohl zu zelebrieren wie auch zu hinterfragen.
Im Alltag beschränke ich mich auf ein realistisches Erscheinen und Dasein als Frau. Es gab eine
Zeit da bin ich mit Jupes und mit Pumps herumgelaufen. Aber da musste ich realisieren, dass mich
die Leute oft in die Ecke der Travestie schoben. Die Ernsthaftigkeit mit der ich meine Frauenrolle
zu leben versuchte, konnte ich in der Öffentlichkeit kaum durchbringen. Ich wollte als Frau und
nicht als Transvestit wahrgenommen werden. Darum hab ich das immer mehr zurückgestuft. Aber
dabei beschränke ich mich natürlich auf etwas. Dank Stella Glitter kann ich die Sachen machen
die ich auch noch gerne machen möchte. Ich kleide mich gerne in schönen Kleidern. Als Stella
Glitter kann ich meine Erfahrungen mit Humor und Ironie umsetzen. Ich hab herausgefunden was
mein Frausein ist und wie ich sein will im Leben, mitsamt den sozialen Schwierigkeiten die es
immer noch mit sich bringt. Umso mehr macht es mir dann Freude die Stella Glitter-Kostüme zu
entwerfen.
Hast du dich als Kind auch schon als Frau verkleidet? Ja, natürlich. Heimlich habe ich im Kleiderschrank von meiner Mutter herumgestöbert und die Sachen herausgegriffen die mir gefallen haben und mich damit gekleidet. Aber ich hab das nur immer heimlich gemacht. Das ist ja eigentlich
das schlimme an der Geschichte: all das schlechte Gewissen das du als Kind hast weil du denkst
du kannst es den Andern nicht zeigen, es ist streng verboten.
Hättest du dich gerne immer als Mädchen gekleidet? Das kann ich so nicht sagen. Der Druck der
Anpassung war enorm. Ich habe gegen Aussen versucht möglichst immer zu bestätigen, dass ich
ein Junge bin. Deshalb habe ich schwere körperliche Arbeit verrichtet. Die beiden Seiten klafften
immer mehr auseinander.
Deine Performance damals war, so zu tun, als ob du ein Junge bist? Genau.
... und in den paar heimlichen Momente warst du, was du eigentlich sein wolltest. Diese unglaubliche Anpassungsfähigkeit findest du in vielen Biographien von Transsexuellen. Was ich alles
gemacht hab um möglichst männlich zu erscheinen!
Ist dieser Anpassungsdruck heute noch so gross? Was an mir an „männlichem“ geblieben ist kann
ich heute akzeptieren. Ich hab mir mittlerweile eine Identität ausserhalb der Zuordnungen weiblichmännlich geschaffen. Die Anpassung an die „Norm“ wird nach wie vor gefordert. Mir wird nach
wie vor vorgeworfen nicht „vollkommen“ Frau zu sein. In der Schweiz gab es, in den späten 1980er
Jahren keine gesetzlichen Bestimmungen wie genau der Verlauf einer Geschlechtsangleichung von
statten gehen soll. „Alltagstests“, wie es sie heute in Deutschland gibt bei denen man über zwei
Jahre beweisen muss, dass man sich in der Rolle des jeweils anderen Geschlechts behaupten kann,
hätte ich nie bestanden. Und ich hätte es auch verweigert. Meiner Ansicht nach kann und darf
die traditionelle Frauenrolle nicht die Vorgabe sein, diese ist ja nur eine von vielen Möglichkeiten
Frau zu sein. Nach der jahrelangen Anpassung an ein männliches Geschlecht machte es für mich
überhaupt keinen Sinn nun einer anderen fixen Geschlechtsvorstellung entsprechen zu müssen.
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Die exzessive Maske: Mae West
und feministischer Camp
Madeleine Bernstorff
Myra Breckinridge (Michael Sarne USA 1970)
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„Between two evils, I always pick the one I never tried before“
(Mae West)
Es geht um sexuellen Appetit. „Sex“ hieß das Theater-Stück, für das Mae West 1927 nach 375 Vorstellungen ins Gefängnis kam. Ihre ganze Karriere ist von der Nobilitierung und Verprüdung des Kinos
durch die Regeln des Hays Code bestimmt, der ab 1930 galt. Die Zensurbehörde, die die Szenarios
las, bestimmte was guter Geschmack und was vulgär sei. Mae West kam 1932 nach Hollywood, und
fing als Vierzigjährige an zu filmen. Von Kindesbeinen an war sie in Vaudeville-Theatern aufgetreten.
Ihr Stück über Frauendarsteller „The Pleasure Man“(1928), „The Drag“ (1927) über schwule Männer
und ein Stück über einen Sexsüchtigen, sowie „Diamond Lil“, mit dem West 260 mal am Broadway
aufgetreten war, begründeten ihren Ruhm. In ihren Theaterstücken assoziiert Mae West „campin“
mit der Priorität von Stil: „Wait until you see the creation I’m wearing, dearie. Virginal White, no
back, with oceans of this and oceans of that, trimmed with exitement in front.“ Die Filme entstanden
nach ihren Drehbüchern. Wenn das nicht möglich war, schrieb sie sich zumindest ihre Dialoge selbst.
Kampflos ging das nicht. Die Durchsichtigkeit ihrer Roben nimmt von Film zu Film ab, nicht aber die
Anzüglichkeit ihrer legendären Sprüche, die vor allem durch ihre Intonation zu dem „ist das eine
Knarre in deiner Tasche oder freust du dich so, mich zu sehen?“ werden, vieles mag sich auf dem Papier unverfänglicher gelesen haben. Das konkursbedrohte Paramount- Studio wurde durch ihre Filme
vor dem Ruin gerettet. Sex sells. Transgressive weibliche Sexualität funktionierte natürlich auch als
Ware. Das konnte nicht lange gut gehen. Die gratwandernde Industrie auf ihrem Gentrifizierungsweg
sah in Mae West schon bald eine Bedrohung und die Hearst-Presse rührte kräftig mit. Schon 1934
wird sie in vanity fair „der größte Frauendarsteller aller Zeiten“ genannt. Und das publicity departement der Paramount nennt sie „The Queen“, was schon damals die Konnotation eines Mannes hatte,
der übertriebene Weiblichkeit zu Schau stellt.
Oft spielte sie die ironische Prostituierte: Eine unabhängige Frau aus der Unterklasse, die
„Goldgräberin“ / golddigger, die wohlüberlegt ihre Sexualität ausübt, um Genuß, Reichtum und
soziale Vorteile zu erlangen, ohne sich den moralischen Zwängen der Mittelklasse anzugleichen
und zu beugen. Es gibt die tausendfach kopierten Mae West-Gesten und -Bewegungen: dieser
füllige, sich in die Blicke schiebende Zeitlupengang, der permanent behauptet: hier bin ich, ich
bin ein sexuelles Wesen. Sich verdrehende Augen, denen das Ekstase-Versprechen zum Klischee
geronnen ist. Ein „hm“, das die Zweideutigkeiten ihrer selbst geschriebenen Dialoge verstärkt.
Ohne den Tonfilm gäbe es keine Mae West Filme. Ihre erfolgreichsten Filme und ihre wichtigsten
Theatererfolge spielen in den neunziger Jahren, den „gay nineties“ des vorletzten Jahrhunderts.
Sie benutzte dieses Setting des Staubigen, der Sofakissenatmosphäre bewusst, um die damaligen
ideologischen Widersprüche zu den Frauenrollen der dreißiger Jahre vorzuführen. Parodistische
Wiederaneignungen der damaligen Unterhaltungsformen wie Burleske und Vaudeville stellten
ironische Distanz her zu zeitgenössischen Geschlechterstereotypen. Sie hat von den Frauendarstellern der Jahrhundertwende gelernt; Anachronismen und Altmodisches, auch in der Musik,
referieren auf etwas Unauthentisches, in dem eher Fragen des Stils, des Geschmacks verfangen
als des Realismus. Wobei man Ihre Bezüge auf Klassenverhältnisse nicht unterschätzen sollte.
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Über die Reichen, das Bürgertum macht sie sich lustig, ist auch nicht immer „in Stimmung für
Zylinderhüte“ oder benutzt diese als „Goldmine“.
1971 definierte Mae West Camp folgendermaßen: „Camp ist eine Art von Komödie, in der sie
mich imitieren.“ Dass das im Swinging-Hetero-magazin Playboy geschrieben stand, lag natürlich
an dem einflussreichen Aufsatz Susan Sontags „Notes on Camp“ von 1964.
In den 70er Jahren handelten feministische Filmkritikerinnen wie Joan Mellen, Claire Johnston
und Molly Haskell an ihr die Frage der phallischen Frau als Fetisch des patriarchalen Kinos ab. In
den 80er Jahren bemerkte die englische Star-Kolumnistin Julie Burchill in ihrem Buch „Girls on
Film“, dass Mae West die einzige Schauspielerin war, die sich immer ihres homosexuellen Publikums bewusst war. Inzwischen wägt sie Mae West’s genüssliche Schlechtigkeit „When I’m good,
I’m really good, but when I’m bad I’m better“ ab gegen die zeitgenössischen Hollywood-Bad-Girls
Christina Ricci und Angelina Jolie, die diese „badness“ entweder nicht durchhalten oder es dann
nur mit einer gehörigen Portion Masochismus schaffen. Erst 1996 erschien das Buch „Guilty
Pleasures- Feminist Camp from Mae West to Madonna“ von Pamela Robertson. Die Autorin wehrt
sich gegen Camp „als exklusive Provinz schwuler Männer“, in der Frauen als „Objekte für die
(Ein)Übung der Camp-Sensibilität fungieren, aber nie als Produzentinnen oder Konsumentinnen.“
Aber es geht bei Mae West, wie bei Madonna, wie bei Britney Spears natürlich auch um Kontrolle. Und um die Gratwanderung: Die Ambivalenz ihrer Darstellungen, das Poröse des Genusses,
wie sich Passivität und Aktivität, Affirmation und Kritik überlagern.
In „Belle of the Nineties“ (1934) posiert Mae West auf der Bühne zuerst als riesiger Schmetterling, dann als Fledermaus, als Rose, als Spinne und schließlich als Freiheitsstatue. „Sie zeigt sich
nicht bloß, sie zeigt, wie sie sich zeigt, und sie zeigt den Effekt in den Blicken und Reaktionen ihrer
Opfer... Sie ist die inszenierte Feststellung, dass auf dem Gebiet erotischer Beziehung eine Fiktion
auf die andere antwortet. Ihre übertriebene Anpassung an Weiblichkeit ist Mimikry,“ schreibt
Frieda Grafe in ihrem wunderbaren Text „Showlust“ (Süddeutsche Zeitung 10.10. 1973). „Belle of
the Nineties“ stand ununterbrochen unter der Aufsicht eines Zensors. Selbst eine Serie von elliptischen Schnitten mußte als „zu suggestiv“ geschnitten werden. Die Freiheitsstatue als Mae West
taucht dann wieder auf in dem fulminant-trashigen „Myra Breckinridge“ (1970), nach dem Roman
von Gore Vidal: ein Film mit der über siebzigjährigen Mae West, der bei seinem Start ein X-rate
bekam und dessen sich die Produktionsgesellschaft Fox schämte. Der Filmjournalist Myron (Rex
Reed) unterzieht sich einer martialischen Geschlechtsumwandlung und wird zu Myra Breckinridge
(Raquel Welch), die nun in die Entertainmentschule von Buck Rogers (John Huston) stürmt, um alle
Reste machistischer, patriotischer Männlichkeit zu beseitigen. So vergewaltigt sie in einem starsand-stripes-Bikini den homophoben, misogynen Rusty. Mae West tritt als die Casting-Agentin
Leticia van Allen auf und bezieht sich ironisch auf ihre eigene Verwertung. Der Film ist angefüllt
mit Found-Footage-Belegen, die die Handlung kommentieren: eine singende Shirley Temple, ein
Carmen-Miranda-Musical mit einer Bananen-Chorus-Line und kalauernde Laurel&Hardy-Ausschnitten. Die Fox wurde nach dem Start des Films mit Copyright-Klagen überrannt.
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Myra Breckinridge (Michael Sarne USA 1970)
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The SET
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„It’s ok to crack a few laws as
long as you don’t break them.“
Reasonable discussions are rarely the most appropriate during times of crisis nor do they speak
directly to the conditions that sparked the crisis. Rather reason speaks to mediation and a “best
we can do“ refinement of conditions.
As Clinton is famous for saying he thanks the protesters at Seattle, Genoa and Davos for bringing
to our attention the frustration felt towards inequality and poverty, while maintaining that “...
open based markets are the best engine we know to lift living standards.“ A line is often drawn
between the fractions of radical change and those who propose a slow working through of
existing models of progress. However this dichotomy can be misleading when we bring into the
equation the divergent forces forged by passive militancy, dandyism, African- American music, and
the generations of queer and feminist debate that now seem inextricably linked to the desires of
normative behavior.
“I live in fear of not being misunderstood“.
Mae West vs. The Legion of Decency exemplifies this conflict in which a moral battle is acted
out in double speak through the available media of the depression era. Double speak, that most
unreasonable and unwieldy of instruments becomes both the problem and the potential answer.
Mae West’s commentary on material attachment is always coupled with a twist towards its
inversion. “Goodness what lovely diamonds“ is countered by “Goodness had nothing to do with it“
or more provocatively “I believe in censorship after all I made a fortune out of it“, a complicitous
and critical position is simultaneously maintained, defying sexual norms, embracing materialism,
and just generally turning conventional expressions onto themselves.
What’s conventional about modern art? How did it become so puritanical? When did post- modernism become so mild? How did difference become so correct? Is puritanical always bad?
Was Mae West always funny or poignant? Does the joke occasionally falter and get old? Whats
with Dali can he still be interesting or is his bankrupt project resigned to the dustbin of history
also known as the wall of a teenagers bedroom.
We don’t want the dream. It`s something we could all agree on. Conventions of abstraction have
allowed us to change a plastic fire place nose with a gold clock into a red neon light hung from cut
up window shades. Without abandoning theatricality we managed to at least maybe break down
two more of the walls.
“The only thing worse then being exploited is never being exploited“
THE SET is a group of artists from Los Angeles, Wien, Frankfurt, Hamburg and Stuttgart.
They collaborated for the exhibition „Maskharat“.
Adelaida Cue-Bär, Malte Urbschat, Gülsüm Güler, Inci Güler, Lucie Stahl, Will Benedict, Yps Roth Daniel von Bernstorff
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Friedrich Ploch Alltag
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Reflektionen im Nebel
Magische Hände, Magischer Spiegel
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Übergang, Saal in Scherben
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Spiegelteleskop
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Kassiopeia
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Dunkelheit
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Der Kopf des Präsidenten
Annette Krauss und Lili Scholtes
Automaten, die Geldscheine wechseln, überprüfen diese zuvor auf Echtheit. Der eingegebene
Schein muss bestimmte Identifikationsmerkmale und Kennzeichen erfüllen, damit er z.B. als
20Euro-Schein erkannt werden kann. Diese angelegten Koordinatenpunkte, die bei den Herstellern
der Prüfautomaten erhebliche Unterschiede aufweisen, werden dann vermessen, verglichen und
überprüft. Dabei arbeiten die Automaten mit der Wiedererkennung von wenigen Bezugspunkten.
Umgekehrt arbeitet das System im Falle von Dollarnoten: Aufgrund deren schlechter Umlaufqualität wird mit einer negativen Identifizierung gearbeitet. Das heißt, der Automat vergleicht den eingegebenen Dollarschein mit einem angelegten Katalog von Dollarblüten, denn die eigenen Standards zeigen sich hier als überholt und nicht überprüfbar. Doch egal, ob sich das Bezugssystem
auf den idealen Euroschein hin ausrichtet oder sich auf den Katalog von gefälschten Dollarnoten
bezieht, das Wettrüsten zwischen legalen und illegalen Geldscheinindustrien spielt sich natürlich
im Detail ab. Ein Spiel von Zeigen und Erkennen entfaltet sich. Blütenhersteller wissen genau,
was der Geldscheinautomat prüft, um eine Fälschung zu erkennen. So kann es zu den aberwitzigsten Fälschungen kommen, die der menschlichen Wahrnehmung nicht entgehen würden. Bei einer
Aktion der Mafia in den 90-er Jahren wurden in Deutschland Geldscheinautomaten erfolgreich
mit Tausenden von 50-Dollar-Fälschungen gespeist, Dollarnoten mit sehr bizarrem Aussehen. Die
Geldscheine waren nicht grünlich sondern gelb, der Präsidentenkopf fehlte völlig, ebenso alle anderen figürlichen Elemente. Der Automat hat die Koordinaten, die er zur Bestätigung der Scheine
braucht, wieder erkannt, für alles andere ist er blind. Es ist daher anzunehmen, dass sich auf
Grund diverser Identifizierungsprobleme immer ein bestimmter Anteil Blüten im Umlauf befindet.
Da Geld als universales Tauschmittel die gesamte wirtschaftliche Kommunikation einer Gesellschaft regelt, spielt jedoch die Kommunikation der Echtheit von Banknoten eine zentrale Rolle.
Der Wechselautomat gleicht in gewisser Weise unserem Wahrnehmungsapparat, der genauso
wie der Automat ein bestimmtes Prüfinstrumentarium erlernt hat, um Dinge zu benennen und abzugleichen. Er entspricht sozusagen der kulturellen Eichung auf bestimmte Sachverhalte hin. Hier
ein bestimmter Farbbereich, ein Wasserzeichen oder ..., dort Normen und Werte. Für das “Überleben“ ist die Gesamtheit, die ganze Wahrheit irrelevant. Hypothesen, Aspekte und Ausschnitte
genügen völlig. (vgl. Roth, 1996, S.85). Diese Ausschnitte sind, versteht man Wahrnehmung als
einen Prozess des Auswählens und des Konstruierens, systemspezifisch ausgeschnitten. Dabei
wird nicht eine „vorgefundene oder gewusste Komplexität“ reduziert, sondern mit den jeweils
eigenen Konstruktionsmittel erzeugt. (vgl. Schmidt, 2003, S.63, 93 ff) Für den Wechselautomaten
lässt sich das ganz problemlos vorstellen.
Darüber hinaus weist unser Kommunikationsapparat Kompetenzen auf, die sich durchaus mit den
Fähigkeiten eines Blütenherstellers messen lassen. Denn in welchem gesellschaftlichen Bereich
wir uns auch bewegen, um darin zu überleben, wir bieten bewusst oder unbewusst Äußerungen
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an, die in unterschiedlicher Weise die Spielregeln und damit die Bezugspunkte des gesellschaftlichen Bereichs bedienen. Die Normen und Werte, eingebettet in gemeinsame Geschichten,
bilden die Koordinaten und Bezugspunkte für Wiedererkennung. Was nicht diesen Koordinaten
entspricht, wird als Unsicherheitsfaktor und als gefährlich fürs System erachtet und wieder
ausgespukt.
Oder es wird, im Falle erfolgreichen Tarnverhaltens, gar nichts entdeckt. Dazu müssen die
Unterschiede zur Umgebung in der Wahrnehmung des Anderen so gering wie möglich sein. In der
Absicht vom Gegenüber nicht entdeckt zu werden, müssen dessen geleistete Koordinaten genau
eingehalten werden. Der Andere und seine Art der Wahrnehmung müssen also Teil der eigenen
Wahrnehmung werden. Spion und Spion entwickeln ein Spiel von List und Gegenlist, denn der andere schaut ja auch. Die Natur produziert zu diesem Zweck meist gefleckte Muster. Im kulturellen
Kontext dagegen verliert das gefleckte Muster die Bedeutung der visuellen Tarnung. Geflecktes
wird einerseits in seiner unkontrollierten Form meist mit gesellschaftlich oder körperlich Unreinem
assoziiert. Andererseits wird es in Form von Mustern, Zuchtkennzeichen oder Schönheitsflecken
absichtsvoll eingegliedert und positiv herausgestellt. Durch Verschiebungen können dann aus
unliebsamen Eindringlingen Träger herausragender Zuchtmerkmale werden, und umgekehrt.
So ist in britischen Pubs das Tragen von Fußballfarben verboten. Es handelt sich um eine Deeskalationsmaßnahme gegen aggressives Verhalten von Fußballfans. Um diese Schutzmaßnahme
zu unterlaufen, tarnen sich nun manche Hooligans vorzugsweise durch das Tragen von teuren
exklusiven Modeartikeln und entwickeln so legale Erkennungsmuster. Die Pubbesitzer behelfen
sich mit dem Hinweis „Sorry, no Burberry“. Ein Schlag ins Kontor für den Modekonzern, denn
wachsende Beliebtheit der Modeartikel bei bestimmten Gangs, lässt den Hersteller um seine
exklusive Klientel fürchten. (FAZ 14.10.2005)
Hier kommt wie beim Wechselautomaten, auf der Suche nach Wahrheit und/oder Falschheit,
plötzlich das Unterscheidungsmanagement ins Trudeln. Der Gebrauch sowohl der Dollarfälschungen als auch der Modeartikel bringen das jeweilige Gleichgewicht in eine Schieflage. Bei
gelungener Tarnung hingegen wird das Gleichgewicht nicht gestört. Denn auf Grund mangelnder
Unterscheidung kann keine Information ermittelt werden. Entdeckt der Fressfeind nichts, gibt es
eben kein Frühstück. Gelingt jedoch die Tarnung nicht, wird das Frühstück entdeckt. Lässt sich das
Frühstück aber nicht eindeutig als Frühstück identifizieren, entsteht ein Spannungszustand. Dieses
undefinierbare „Zwischen“ wird im Allgemeinen als unangenehm erfahren. Als Maßnahme,
um die Spannweite der Deutungsmöglichkeiten zu reduzieren und zu einem mehr oder weniger
stabilen Gleichgewicht zu gelangen, bieten sich klassischerweise die Erfindung von Kriterienkatalogen, Verschiebung von Entscheidungskompetenzen, sowie die Entwicklung von Expertentum an.
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Wie beim oben erwähnten Echtgeld stellt dabei die Einbindung dieser Konstrukte in die soziokulturellen Wirklichkeiten einen zentralen Teil der Strategie dar. Dies gilt für existentielle wie banale
Dinge gleichermaßen. Nach welchen Kriterien beispielsweise ein Mensch als tot oder lebendig
beschrieben wird oder wann ein Würstchen, trotz eines gewissen Anteils von Schweinefleisch
„Kalbsleberwürstchen“ heißen darf, kann für den Einzelnen, aber auch für ganze gesellschaftliche
Handlungsbereiche, für religiöse und soziale Folgehandlungen weit reichende Konsequenzen
haben.
Doch nicht alle Grauzonen werden dem Urteil der Expertise überlassen. Manche bleiben verborgen, andere wiederum werden bis zu einem gewissen Grad toleriert. Eine Möglichkeit Wechselautomaten zu manipulieren besteht z.B. darin die Plastikklappe des Ausgabeslots für das Münzgeld
mit Kaugummi zuzukleben, so dass bei Rückgabe des Wechselgeldes für den Kunden nur die
Geldscheine erscheinen. Das Hartgeld wird zurückgehalten und kann zu einem späteren Zeitpunkt
entnommen werden. Der Verlust wird von den Kunden in den meisten Fällen toleriert. Es handelt
sich, verglichen mit den Wechselscheinen, um einen geringen Betrag. Den Betreiber wegen der
fehlenden Münzen zu kontaktieren ist für den Kunden oftmals zu Zeit aufwändig.
Eine vierundachtzigjährige Dame lebt allein. An den Fensterecken ihrer Wohnung hängen oder
kleben kleine, in Aluminiumfolie gewickelte Pappstücke, die durch orangefarbenes Baumwollgarn
mit den Fensterrahmen verbunden sind. Auf diese Weise bastelt sie kleine Alarmanlagen, die Einbrecher von ihrer Wohnung fern halten sollen. Bisher war sie damit erfolgreich, versichert sie uns.
Ob man nun Komplexität als gegeben annimmt oder als systemspezifische Produktion beschreibt,
Differenzmanagement wird betrieben, um zu Ergebnissen zu gelangen. Es lassen sich aber auch
andere Strategien und Formen der Präzision entwickeln. Mehrdeutiges lässt sich beispielsweise durch eine Strategie der “Komplexitätssteigerung“ produzieren und nutzen. Dazu werden
verschiedene Kommunikationsebenen ineinander verschränkt. Wie bei jeder Kommunikation sind
dazu bestimmte Regeln erforderlich. Es geht um das Setzen eines „paradoxen Rahmens“. Das Phänomen Spiel kann beispielsweise nur auftreten, wenn Signale ausgetauscht werden können, mit
denen die Mitteilung „Dies ist ein Spiel“ übertragen werden kann. Für spielende Hunde bedeutet
das spielerische Zwicken den Biss, aber „es bezeichnet nicht, was durch den Biss als solchen
bezeichnet würde“, nämlich der Kampf. (vgl. Bateson, 2001, S. 241ff)
Genauso wie das Phänomen des Spiels arbeitet auch die Parodie mit paradoxen Denkräumen, in
denen sich präzise Ergebnisse und Argumentationen entwickeln lassen. Judith Butler z.B. argumentiert in ihrer Kritik an der Vorstellung einer weiblichen Identität mit der paradoxen Strategie
der Parodie bzw. Travestie. Angelegt als Imitation eines einzigartigen Stils, erlaubt die Parodie
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das Vorbild in Frage zu stellen. Und schließt damit ein, dass Nachahmung zwar per Definition
eine Vorlage braucht, jedoch auch die bloße Vorstellung einer Vorlage genügen würde. Auf diese
Weise stellt Butler in ihrer Kritik nicht nur die Bedeutung des Originals, sondern auch den Mythos
von dessen Ursprünglichkeit in Frage. Eine „Ursache“, wie z.B. weibliche Identität stellt sich in
Folge als „Effekt“ dar. (vgl. Butler, 2003, S. 202f)
Unterschiedlichste Aufrufe an Flughäfen und Bahnhöfen erinnern die Reisenden an ihr Gepäck:
Don’t leave your luggage unattended at any time. If you see unattended luggage, please contact
the staff. (Amsterdam Schiphol 10.7.06). This is a security announcement: Keep a close watch
on your own belongings. (Flughafen Frankfurt Main 25.8.06). Watch your luggage carefully, don’t
leave your luggage unattended, not even in trains ready to depart. (Utrecht Main Station, 14.9.06).
We would like to remind you, that it is compulsory to label your luggage with your name, first
name, departure time and destination (Paris, Gare du Nord, 5.10.06).
Literatur:
Gregory Bateson (2001), Ökologie des Geistes, Frankfurt
Judith Butler (2003), Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt
Gerhard Roth (2002), Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt
Siegfried J. Schmidt (2003), Geschichten & Diskurse, Abschied vom Konstruktivismus, Hamburg
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Puppet in a Box
Seit 1997 arbeiten die Bildenden KünstlerInnen Peter Haury, Julia Lenzmann und Monika Nuber
in Projekten zusammen. Sie nehmen sich dabei verschiedener künstlerischen Techniken an - dem
Zeichnen, Malen, der Flashanimation, dem Puppenspiel und dem Film – die sie sich über die
Arbeit daran aneignen. Sie beziehen sich ergänzend aufeinander ohne dabei ihre künstlerische
Eigenart aufzugeben. 2005 entstand dabei das Projekt „Puppet in a box“, bei dem die Bühnenbildnerin Steffi Oberhoff, der Puppenspieler Lambert Mousseka, die Videokünstlerin Bani Abidi und
die Autorin Nici Halschke eingeladen wurden. Damit wurde die Gruppe grösser, international und
zu einem Schmelztiegel verschiedenster SpezialistInnen die sich fortan Puppet in a Box nannte.
2006 stand das Thema Schattenspiel im Mittelpunkt, welches anhand der Erzählung „der Bergkristall“ von Adalbert Stifter erarbeitet wurde. Daran beteiligt waren der Filmemacher Andreas
Geiger, der Musiker Dietmar Köhle, die Autorin Nici Halschke und die Darstellerinnen Lina und
Flora Lenzmann. Die Projekte der Gruppen finden in einem abgesteckten zeitlichen Rahmen statt,
bei dem die entstandenen Materialien zum größten Teil unzensiert übernommen und ausgestellt
werden. Dabei entstehen Kleinstfilme, in denen handgezeichnete Animationen auf billige Effekte
treffen oder gefundene Bilder neben graphisch abstrakten Bildwelten zu stehen kommen.
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Puppet in a Box
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Soki mbula ebeti, ebetaka pona moto nionso
Soki neige ekueyi, ekueyaka pona moto nionso.
Kasi pona mabina bokomi kokabola batu ya
minene na ya mike
Kasi biso batu ya minene, soki tolobi totomboka
sikoyo na mabina
Toko tomboka tomboki tomboki ti bino nionso
bokokueya na se
Tokende sikoyo
Fällt Regen, fällt er für alle Menschen,Rieselt
Schnee, rieselt auch er für alle Menschen,
Beim Tanzen aber, da wollt ihr unterscheiden
zwischen den Dicken und den Dünnen,
Wenn aber wir, die Dicken übernehmen,
werden wir tanzen, bis euch vor Lachen die
Tränen fliessen werden.
Also lasst uns tanzen.
Raka katshu katshu katshu
Raka katshu katshu katshu
Eh eh elali ya yo.
Eh eh elali ya yo.
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„Die Bewohner sind sehr stetig. Alles bleibt
stets beim Alten. Wenn ein Stein aus einer
Mauer fällt, wird er wieder hineingesetzt,
die neuen Häuser werden wie die alten
gebaut, die schadhaften Dächer werden
mit gleichen Schindeln ausgebessert, und
wenn in einem Hause scheckige Kühe sind,
so werden immer solche Kälber aufgezogen, auch die Farbe des Hauses bleibt
immer diesselbe.“
Bei dem Projekt „der Bergkristall“ wurde
die Gleichheit der verfeindeten Gesellschaften (Dörfer) herausgestellt, die über
die Trennung eines Hindernisses, hier der
Berg Gars, in ihrer Kleinbürgerlichkeit
verhaftet bleiben und ihren Hass gegeneinander unbeobachtet schüren können.
Erst über die gemeinsame Sorge, hier der
Verlust der Kinder, wird es ihnen ermöglicht über ihren eingeschränkten Horizont
herüber zu gucken und zu agieren.
Puppet in a Box
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Deutschland 2005
Simone Gilges
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Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da,
die Nacht ist da, das was gescheh‘!
Ein Schiff ist nicht nur für den Hafen da,
es muß hinaus, hinaus auf hohe See!
Berauscht Euch, Freunde, trinkt und liebt und lacht
und lebt den schönsten Augenblick!
Die Nacht, die man im Rausch verbracht,
bedeutet Seeligkeit und Glück!
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Ist dein Job ein Hexenkessel,
macht dein Hund dir innen Sessel,
ist dein IQ auch bei minus 10,
mußt du nicht gleich ins Wasser gehn.
Ich sage dir es gibt ein Mittel,
da brauch es keinen Doktortitel,
denn jeder braucht in dieser Zeit,
ein kleines wenig Witzigkeit.
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Wenn im Glase perlt der Sekt
unter roten Ampeln,
und die Mädchen süß erschreckt
auf dem Schoß uns strampeln,
küssen wir die Prüderie
von den roten Mündern.
Amnestie, Amnestie
allen braven Sündern.
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Witzigkeit kennt keine Grenzen
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Come into My Room
(of Embarrassments)
Tanja Wiedmann
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Abb. 1 Element einer Installation: First Lady of Embarrassment (1 von 6): Jim Carrey, Siebdruck
Abb. 2 Vermeil Room, in: http://www.whitehouse.gov/history/whtour/vermeil.html
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Abb.3 Frontseite der Webpage Come into my Room (of Embarrassments):
„www.comeintomyroom.at” (standing idle), nach: http://www.whitehouse.gov/history/life
Tanja Wiedmann
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Come into my room
Abb.4 Performance (1von 4): The President (Me) as George W. Bush as a Blonde doing,
Detail der Webpage Come into my Room (of Embarrassments):
„www.comeintomyroom.at” (standing idle), nach: http://www.whitehouse.gov/history/life
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Abb.5 Ansicht einer Installation: der Raum Come into my Room (of Embarrassments),
Version 1, „Vermeil Room“, nach: Vermeil Room Art and Furnishings,
http://www.whitehouse.gov/history/whtour/vermeil.html
Tanja Wiedmann
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Come into my room
Abb.6 Element einer Installation: gelbe Farbe.
Nach: „Die Peinlichkeit hat (...) eine Farbe bekommen.“
In: „www.comeintomyroom.at” (standing idle), nach: http://www.whitehouse.gov/history/life
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The Grinning Mask
Die clowneske Maske in der Kunst
Monika Hardmeier
Die clowneske Maske zeigt auf, indem sie versteckt. Sie wurde seit jeher benutzt um gesellschaftskritisches Denken auszudrücken und bestehende Kategorien aller Art zu hinterfragen.
Urfiguren des Clowns finden sich in verschiedensten Kulturen; Vom Clown des Balinesischen
Tanztheaters, über den chinesischen Cin-Clown, frühe Narrenfiguren und clowneske Figuren der
Commedia dell’Arte bis zu Clowns in indianischen Kulturen. Gerade die clownesken Figuren der
indianischen Kultur sind interessant um aufzuzeigen wieso die Maske in ihrer Aussagekraft bis
heute aktuell geblieben ist. In der rituellen Zeremonie treffen zwei unterschiedliche und doch
verwandte Formen von Maskenträgern aufeinander – die clowneske Figur und die Figur des Schamanen. Des Clowns Rolle ist es, durch Possen Gelächter zu provozieren. Er bewirkt damit eine
Ironisierung, welche dem Schutz des Schamanen1 dient. Sie hilft dem Schamanen zu verhindern,
dass er der schwer kontrollierbaren, spirituellen Macht, die er über sein Dasein als Maskenträger
verkörpert, verfällt oder an ihr irr wird. Die Verwandlung des Maskenträgers in ein mächtiges
Wesen bedarf gleichzeitig einer Hinterfragung des menschlichen Wesens und seines Strebens
nach Macht und Wissen durch die clowneske Figur. Diese Funktion der Hinterfragung prägt die
Maske, auch wenn sie je nach Kulturkreis und Epoche und je nachdem ob sie in Popkultur oder in
Kunst auftaucht anders umgesetzt werden muss.
In der Bildenden Kunst ist die Figur des Clowns ein häufig verwendetes Sujet. Sie wird immer
wieder neu inszeniert und ist im Kunstbereich genauso vielfältig wie in der Popkultur. Die in der
Kulturgeschichte immer wieder auftauchende Interpretation der Künstlerin als «Clown» oder Narr
ist ein Beispiel dafür. Der Clown kritisiert Missstände, macht aufmerksam auf Mehrdeutigkeiten
und thematisiert die Wahrnehmung des Alltäglichen. In all dem steht er dem Künstler sehr nah.
Dieser kann – integriert er den Clown in einem Werk – in seinem eigenen Werk auftreten. Er ist
sich selbst und geht doch über sich hinaus. Subjektive Erkenntnisse werden figurativ, der Betrachter kann sich in dieser Figur wieder erkennen.
Die Maske besitzt die spezifische Eigenschaft, Gegensätze wie natürlich – künstlich, echt – falsch,
tot – lebendig oder weiblich – männlich zu thematisieren und in Frage zu stellen. Ihre Form vereint
ein Innen und Aussen, sie ist Trennung und Verbindung. Ihr gerecht zu werden, heisst sie nicht nur
als Zeichen der Differenz zu lesen, sondern als Sinnbild, welche Paradoxien nicht ausschliesst. Sie
kann – wie im oben genannten Beispiel – subjektives Empfinden mit dem objektiven Blick auf die
Gesellschaft vereinen, sie kann Gegensätze vereinen.
(1) Eine bekannte indianischen Form des Clowns ist zum
Beispiel der sogenannte “Trickster“, vgl.: Barloewen,
Constantin von: Clown – zur Phänomenologie des Stolperns,
Königstein/TS 1981, S.9-11
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Die Wirkung der clownesken Maske
Obwohl die Maske nur ein Teil der Clownfigur ist, konzentriert sich dennoch unser Blick, ähnlich
wie beim Anblick eines Mitmenschen, auf das Gesicht. Dieses steht als Ort der kommunikativen
Mitteilung für die Identität eines Menschen. Ein gesichtsloses Wesen wird als charakterlos wahrgenommen.2 Die körperliche Geste wird dadurch nicht unwichtig, im Gegenteil kann sie dadurch
paradoxerweise an Bedeutung gewinnen. Das Gewahrwerden der Täuschung der Maske lenkt den
Blick auch auf die Gesten, die Körpersprache, der man als schwer kontrollierbarer Instanz zutraut
das Authentische zu verraten. Unser Alltagsblick auf das Gesicht wird beim Anblick einer Maske
ver-rückt. Die Maske, die das Gesicht vortäuscht wird zur positiven Täuschung, denn sie deckt die
Täuschungen der Wahrnehmung auf. Bei der clownesken Maske setzt diese Wahrnehmungsverschiebung oft an dem Punkt ein, an dem das Lachen Unbehagen hervorruft, beschämt oder entgegen der Erwartung ganz ausbleibt. Subtile Irritationen vermögen eine Tragik-Komik zu vermitteln,
welche die Zerrissenheit im menschlichen Dasein und Handeln offenbart.
Die Maske ermöglicht die Verwandlung des Clowndarstellers vom Menschen zur Figur, wenn
auch zu einer Figur, die menschliche Eigenschaften thematisiert. Dadurch wird er – ähnlich der
Puppe, die sich das Kind lebendig vorstellt – zu einem Wesen mit menschlichen Eigenschaften,
das unheimlich wirken und Angst auslösen kann. Die Darstellung des Clowns beschränkt sich auch
in Darstellungen der Popkultur keineswegs auf die Varianten des kinderfreundlichen SlapstickClowns oder des melancholischen Pierrots. Er erscheint in Comics 3, in Filmen 4 sowie in Detektivoder Horrorgeschichten als maskierter Bösewicht, hinterlistiger Mörder oder Psychopath. Der
gutmütige, neckisch parodierende Clown kann sowohl in der Popkultur als auch in der Bildenden
Kunst monströse, groteske Züge annehmen. Zum Beispiel indem er die negativen menschlichen
Seiten die er darstellt nicht mehr liebevoll karikiert, sondern schonungslos blossstellt. Dies kann
so weit gehen, dass gerade die unmenschliche Figur des Clowns – ähnlich der technoiden Figur
des Androids – das Humane des Menschlichen per se in Frage stellt.
Die Tragik der „Conditio Humana“ wird im Symbol des Clowns bestätigt: Die Vorhersehbarkeit
der gespielten Farcen und Slapstick-Einlagen zeigt ein Gefangen-Sein in (alltäglichen) Verhaltensmustern und rückt den Clown in die Nähe der Marionette. Sein in diesem Sinne mechanisches
Verhalten und seine stereotyp geschminkte Mimik machen seine Verwandtschaft zur mechanischen Puppe aus.
(2) Je nach Werk können natürlich clowneske Gesten vermehrt ins Zentrum rücken. Ein typisches Beispiel wäre der
stolpernde Clown. Die Gesten werden jedoch immer noch in
Bezug auf das Gesicht wahrgenommen. Passen die Gesten
nicht zum Gesicht steigert sich die Irritation, die an sich jede
Maske per se schon hervorruft.
(3) Beispiele: Der “Joker“ in Batman, “The Clown“ in Spawn,
“Krusty the Clown“ in der TV-Serie “The Simpsons“.
(4) Pennywise in “Es“ von Stephen King, TV-Version 1990 /
Homy D. Clown in Damon Wayans “The Living Colours“ /
“Shakes the Clown“ von Bob Goldthwait,1992 / (Clockwork
Orange, von Stanley Kubrick, 1971)
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Menschliches Unbehagen
Bruce Nauman führt uns den in einem endlosen Ablauf sinnloser Handlungen festgefahrenen
Mensch vor. Er kreiert Clowns, die den Betrachtenden mit verstümmelter Sprache oder in eindeutiger Körpersprache das Entsetzen der Wiederholung entgegenschreien. 1987 inszeniert er in der
Videoinstallation «Torture Clown» eine Clownfigur, die ängstlich und verzweifelt auf die sich endlos wiederholende, scheinbar sinnentleerte Gewaltspirale in der Welt aufmerksam macht. 1988
folgt wieder eine Videoinstallation namens «Double No», in der man auf zwei Videomonitoren
Clowns sieht, die trotzig wie kleine Kinder mit den Füssen stampfen und immer wieder die Worte
«no» schreien. Das physische Erleben des Unbehagens spielt dabei eine wichtige Rolle. Bruce
Naumans Clowns haben eines gemeinsam; seien es Clowns in Videosequenzen, Neonröhren-Installationen oder die mit Clownschminke inszenierte Selbstverwandlung im frühen Werk «Make
up» (1967/68), die Clowns sind aktiv, sie handeln. Das englische Verb «act», dass die Doppelbedeutung von handeln und eine Rolle spielen deutlich macht, beschreibt es noch präziser. Hier lässt
Nauman Maskerade-Szenen vor unseren Augen ablaufen, die das absurde Rollenhafte menschlichen
Verhaltens, beim Einzelnen sowie bei der grossen Masse sichtbar werden lassen. In der NeonröhrenInstallation «Mean Clown Welcome» (1985) benutzt er das Klischee des Slapstick-Humors, indem er
diesen ad absurdum führt. Zwei «fiese» Clowns aus Neonröhren, stehen sich gegenüber und es sieht
aus, als würden sie sich die Hand schütteln. Doch nicht nur die Hände der mechanischen Clowns
schnellen nach vorne, ihre nun erigierten Geschlechtsglieder ebenfalls. Die Geste des Händeschüttelns, die wie kaum eine andere für Begegnung, Annäherung und Auftakt zur Kommunikation steht,
wird zur grotesken Aggression. Die Kommunikation scheint nicht mehr möglich, das Verhalten
verstört, die Körper visualisieren Zwiespalt von Lust und Zwang, von Kontrolle und Trieb.
Ballerina Clown – Königin der Gegensätze
Jonathan Borofskys «Ballerina Clown» (1990), eine riesige Ballerina-Figur mit dem Kopf eines
Clowns, ist weder völlig maschinell noch völlig menschlich. Sie ist weder definitiv weiblich noch
männlich – sie ist eine groteske Mischung aus klischierten Charakteristiken. Gerade das Aufeinandertreffen der als typisch weiblich gedeuteten Merkmale wie das Ballettröckchen und der grazil
weibliche Körper mit den schwerfälligen und plumpen Armen, dem groben Clowngesicht und dem
Hut, die als männlich interpretiert werden, betont das Zweigeschlechtliche. Der Künstler stellt
sich selber als Zwitterwesen dar. Solche Zwitterwesen – irgendwo zwischen Mensch, maskiertem
Mensch und Puppe – sind oft im Bereich der clownesken Maske anzutreffen. Der Clown präsentiert sich in einer stark typisierten Form, die als solche geschlechtslos ist und gerade dadurch
starre Zuordnungen von Geschlechtsmerkmalen thematisiert.
Das Undogmatische, das die Maske sich in ihrer Wirkung bewahrt, ist einer der Charakterzüge,
die sie für die Kunst wertvoll machen. Die clowneske Maske macht den Träger zur Figur. Trotz ihrer
Stilisierung zur Figur 5 verkörpert sie paradoxerweise gerade die typisch menschlichen Eigenschaften.
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Inszenierte Oberflächen
Roni Horn geht in ihrem Werk «Clowd and Cloun (Blue)» aus dem Jahr 2001 auf bildlicher,
sprachlicher und symbolischer Ebene auf das Spiel der Maske mit sich vereinenden Gegensätzen
ein. Die Installation besteht aus 32 Fotografien, welche in einer Reihe entlang den vier Wänden
im quadratischen Ausstellungsraum hängen. Bild an Bild reihen sich Wolken und Clowngesichter.
Die piktogrammartigen Schäfchenwolken auf dem himmelblauen Hintergrund werden vom Rot der
verzerrten Clowngesichter übertönt. Die verschmierte Farbspur weckt Assoziationen an verwischte
Schminke, vielleicht auch an Blut. Es ist jedoch nicht die Schminke, die verwischt ist, sondern das
Gesamtbild ist verzerrt. Die Unschärfe der Fotografie enthält eine Bewegung, welche die Oberfläche und den im Foto fixierten Moment durchbricht. Wenn der Blick der Betrachterin den zahlreichen Clown-Doppelgängern folgt, so beginnen die Bilder sie mit in den Sog der Bewegung zu
reissen. Die Installation ist so inszeniert, dass der Betrachter sich automatisch beginnt im Kreise
zu drehen. In dieser narrativen Bildfolge gibt es weder Chronologie noch finale Schlussfolgerung.
Durch die Erzählung gewinnt die Oberfläche Tiefe, Bilder werden zu Ereignissen, eingefrorene Momente werden wieder zu einem Ablauf. Die clownesken Masken in Roni Horns Werk sind von der
Künstlerin inszenierte Oberflächen. Sie dürfen – ähnlich wie bei einem Ready-Made von Marcel
Duchamp – nicht mit dem Alltagsobjekt verwechselt werden.
Was man unter einer inszenierten Oberfläche zu verstehen hat, ist wohl am besten anhand
von Andy Warhol zu illustrieren. Er wies darauf hin, dass in seinem Werk die Oberfläche das
entscheidende Kriterium für die Wahrnehmung und Deutung sei: „If you want to know all about
Andy Warhol, just look at the surface of my paintings and films and me, and there I am.“ 6 Indem
Warhol die Oberfläche eines Alltagsobjekts, zum Beispiel einer Suppendose, inszeniert, schafft
er paradoxerweise eine Oberfläche mit symbolischem “Tiefgang“. Roni Horn arbeitet in «Clowd
and Cloun (Blue)» ähnlich. Sie inszeniert das stereotype Clowngesicht als Oberfläche. Durch die
fratzenhafte Verzerrung, die Vervielfachung und die Gegenüberstellung mit dem Bild der Wolke
auf einer Bild- sowie auf einer Sprachebene schafft sie eine Oberfläche, die charakteristisch ist
für das Paradoxon der Maske. Denn die Maske ist nicht nur Innen und Aussen, sondern auch das
Trennende. Sie vereint Widersprüche in sich, ohne sie auflösen zu müssen.
Roni Horn visualisiert diese symbolische Ebene, indem sie Oberfläche und Tiefe ineinander
übergehen lässt – die Maske bestätigt und auflöst. Bestätigt wird die starre, vertraute Mimik des
Clowns, das Stereotype. Gleichzeitig löst sich das typische Bild Clowns auf. Der frontale Blick,
der die Maske kennzeichnet, geht in der Unschärfe unter. Das starre Clown-Lachen wird durch den
Eindruck von Bewegung wieder belebt und wird zum stummen Schrei. Das schmerzhaft Menschliche an der Figur des Clowns tritt hervor.
(5) Das starre, eingefrorene Lachen, die teilweise durch die
Schminke reduzierte Mimik, lässt das Gesicht puppenhaft
wirken und die stereotypen Verhaltensmuster tragen das
Ihre dazu bei, dass der Mensch, der Maskenträger hinter der
Maske in den Augen der Betrachter zur Figur wird.
(6) Gretchen Berg, Andy. My true story, in: Los Angeles Free
Press, Kunkin Art (Hrsg.), 17.3.1967, S.3
101
Die Interaktion des Betrachters mit dem Werk
In Roni Horns Werk durchläuft der Betrachter verschiedene Wahrnehmungsphasen, er wird zum
handelnden Betrachter, dem eine Veränderung «widerfährt». Die Subjektivität der Wahrnehmung
wird offensichtlich. Wenn die Betrachterin sich den Wolkenbildern zuwendet, kann sie den blauen
Himmel und die Wolken, denen Farbe und Kontur «materielle Dichte» verleihen, als beständig
wahrnehmen. Doch sobald die Betrachterin sich im Raum bewegt, beginnen sich die Konturen der
piktogrammartigen Wolken in der Bewegung aufzulösen. Die Wolke ist wieder Sinnbild für fragile
Unbeständigkeit. Die Infragestellung des Piktogrammcharakters der Wolke ist vergleichbar mit
der des stereotypen Schemas der clownesken Maske. Das Werk zeigt einen «Ort» der Übergänge.
Die Auflösung, die dem Betrachter widerfährt negiert die gewohnte Wahrnehmung nicht nur im
Bild, sondern auch in der Sprache. «Clowd and Cloun» – der Titel ist eine Alliteration, die an einen
absurden Kinderreim erinnert. Zur Irritation agiert Roni Horn auf lautmalerischer Ebene, indem Sie
zwei ähnlich klingende Wörter einander angleicht, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben.
Die Worte klingen jedoch nicht nur gleich, sie werden durch die veränderte Schreibweise auch als
Zeichen auf irrationale Art austauschbar. Der Übergang von Sprache zu Bild verwischt: Die Worte
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Roni Horn, 4 von 32 C-Prints aus der Installation «Clowd and Cloun (Blue)» 2001, 68,5 × 68,5 und 68,5 × 89 cm
sind lesbar, irritieren aber durch Verfremdung. Sehe ich die «Magritte-Wolke» in Horns Werk, lese
ich das Bild ebenso schnell und normiert als «Wolke», als hätte ich das Wort «Wolke» vor mir.
Doch die Wolke löst sich auf, wird zum ephemeren Wasserdampf, betrachte ich das Gesamtbild
der Serie. Ebenso löst sich die fixierte Bedeutung des Wortes «clowd» in seiner Verfremdung auf.
Die Zeichen treten zurück. Das Bild als Symbol wird zur Kontaktfläche zwischen der äusseren,
sinnlichen und der Welt der Gedanken. So wird auch die Schminkmaske im Bild zur Kontaktfläche,
die trennt und verbindet.
Diese drei Beispiele deuten das breite Spektrum der unterschiedlichen Annäherungen an und
Bearbeitungen der Clown-Figur in der Bildenden Kunst an. Die Figur des Clowns wird unter dem
Aspekt der Maske und ihren spezifischen Eigenschaften betrachtet. Damit werden sowohl die Paradoxien die aus der speziellen Form und Wirkung der Maske resultieren als auch die Wichtigkeit
des performativen Charakters im Zusammenhang mit der Maske sichtbar.
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Christa Ziegler
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Zwiegespräch beim Verkleiden
Volker Schartner
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Ausstellungsansichten MASKHARAT, Künstlerhaus Stuttgart 2006
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110
Ball der Demaskierung, Künstlerhaus Stuttgart
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Impressum
Maskharat - Strategien der Maskerade in der zeitgenössischen Kunst
Herausgegeben von Alice Cantaluppi & Elke aus dem Moore, Künstlerhaus Stuttgart
Redaktion: Alice Cantaluppi, Elke aus dem Moore
Lektorat: Alice Cantaluppi
Korrektorat: Silvio Saxer
Konzept und Gestaltung: Anna Voswinckel
Cover: Kulturzentrum Espace Masolo, Kinshasa
Druck: copy print, Berlin
ISBN: 3-00-020679-5
ISBN: 978-3-00-020679-5
© Künstlerhaus Stuttgart und die KünstlerInnen und Autorinnen. Alle Rechte vorbehalten.
Abdruck (auch auszugsweise) nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch das Künstlerhaus Stuttgart
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg
und dem Kulturamt der Stadt Stuttgart
Diese Logos habe ich noch nicht
Künstlerhaus Stuttgart
Reuchlinstrasse 4B
D-70178 Stuttgart
Tel: +49 711 617 652
Fax: +49 711 613 165
www.kuenstlerhaus.de
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Bildnachweise
Umschlag
Seite 9
Seite 15,16
Seite 25, 31
Seite 46 - 49
Seite 68
Seite 80
Seite 88/89
Seite 108/109
Seite 110/111
Kulturzentrum Espace Masolo, Kinshasa, Videostill: Steffi Oberhoff
Antje Majewski „Masquerade“, 168 x 100 cm, Öl auf Kupferblech auf Holz, 2006
Dame Lorraine: Bilder von Dr. med. Christoph Dettmers
Fotos: Mary Swift
CHEAP, Berlin, Fotos: Annette Frick
The SET: Installation/Kulisse, 3 m x 3,70 m, Holz, Lack, Spiegelfolie, Stoff, Erde, Leuchtstoffdiode,
Fotos: Marijan Murat
Foto: Marijan Murat
Roni Horn, 4 von 32 C-Prints aus der Installation «Clowd and Cloun (Blue)» 2001, 68,5 × 68,5 und 68,5 × 89 cm
Ausstellungsansichten: Marijan Murat
Ball der Demaskierung: Marijan Murat
Textnachweise
Umschlag
Seite 30
Seite 69
Text: Elke aus dem Moore / Übersetzung: Emily Bono
Textauszug aus „Being Antinova“ von Eleanor Antin. Herausgegeben von Astro Artz, Los Angeles 1983
The SET, Text: Will Benedict
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