Koeckert-Vom Sprachenkonvikt zum Theologischen Konvikt

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Koeckert-Vom Sprachenkonvikt zum Theologischen Konvikt
MATTHIAS KÖCKERT
Vom Sprachenkonvikt zum Theologischen Konvikt1
Ein wenig versteckt hinter der Golgathakirche, einst Berlin N 54, war in
mehreren verwinkelten Gebäuden an drei Hinterhöfen zwischen Borsigstraße 5
und Tieckstraße 17 das „Sprachenkonvikt“ untergebracht.2 Der Name gab
mitunter Anlass zu umständlichen Erklärungen, war aber anfangs durchaus
sachgemäß; denn das Sprachenkonvikt war 1950 als Ableger der Kirchlichen
Hochschule (Berlin-Zehlendorf) gegründet worden, um Studierenden aus den
östlichen Landeskirchen Wohnung und Unterricht vor allem in den drei alten
Sprachen zu ermöglichen. Die endgültige Teilung der Stadt im August 1961
zerriss die organische Verbindung mit der älteren Schwester in Zehlendorf. In
kurzer Zeit musste die bislang vorwiegend propädeutisch ausgerichtete
Ausbildung zu einem vollständigen Theologiestudium ausgebaut werden. Der
Name „Sprachenkonvikt“ blieb, aber er bezeichnete von nun an die Kirchliche
Hochschule in Berlin-Ost, die jedoch diesen Namen nicht führen durfte. Sie hieß
deshalb bis zum 9. März 1990 offiziell „Sprachenkonvikt – Theologische
Ausbildungsstätte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg“. So gab es
in Berlin vor 1989 vier Einrichtungen, an denen man Theologie studieren
konnte: im Westen die Kirchliche Hochschule in Berlin-Zehlendorf (mit dem
Status einer Theologischen Fakultät für Westberlin), im Osten die Theologische
Fakultät (zeitweise: Sektion Theologie3) an der Humboldt-Universität (Unter
den Linden), das Sprachenkonvikt (in der Borsigstraße) und die Predigerschule
Paulinum4 (in der Georgenkirchstraße). Die Vereinigung der Stadt musste zu
einschneidenden Veränderungen führen.
1
Der Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, den ich im März 1995 anlässlich eines Treffens ehemaliger
Studierender am Konvikt gehalten habe. Das Vortragsmanuskript wurde am Anfang und am Schluss gekürzt
sowie an wenigen Stellen geringfügig präzisiert. Außerdem sind die zitierten Akten verifiziert worden. Dafür
danke ich Herrn cand. theol. Dschin-u Oh.
2
Die Geschichte des Sprachenkonvikts hat R. MAU in einem Aufsatz mit der ihm eigenen Mischung von
Präzision und Empathie nachgezeichnet in: BThZ 9, 1992, 107-118, überarbeitet in: M. KÖCKERT (Hg.), Der
Wahrheit Gottes verpflichtet. Theologische Beiträge aus dem Sprachenkonvikt Berlin für Rudolf Mau, Berlin
1993, 11-25). Weitere Beiträge nennt F. WINTER, Die politischen Beziehungen des „Sprachenkonvikts“ in
Berlin. Abhängigkeit und Freiheit, Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 1999, 201-226,
Anm. 1.
3
So die offizielle Bezeichnung seit der 3. Hochschulreform der DDR. Die Reform ließ jedoch das
Promotionsrecht bei den Fakultäten, zu denen mehrere Sektionen zusammengeschlossen wurden. Da es für die
Sektion Theologie in der DDR keine natürlichen Partner gab, waren alle Sektionen Theologie stets auch
Fakultäten, wenngleich nur bei Promotionsverfahren.
4
Das Paulinum war eine kirchliche Ausbildungsstätte, die Absolventen ohne Abitur in vier Jahren (ohne Latein
und Hebräisch) mit anschließendem Vikariat zum Pfarrberuf führte.
2
1. Die Lage des Sprachenkonvikts 1989/90
Das Herbstsemester 1989 begann am 12. September in trügerischer Ruhe. Doch
schon bald überstürzten sich die Ereignisse. Am Anfang standen
„Zuführungen“5 der Studenten und bewegende Mahnwachen in der
Gethsemanekirche. Am Ende hatte die Mauer ihre Schrecken verloren. Die
Opfer lösten den schlimmsten Überwachungsapparat im Lande auf. Die
amputierten Hälften Berlins wurden nach und nach zusammengeflickt. Beinahe
wöchentlich erstanden alte Verkehrsverbindungen neu, schließlich sogar die
vom Nordbahnhof nach Zehlendorf – ein hoffnungsvolles Zeichen. Der Prozess
der Demokratisierung der Gesellschaft in der DDR nahm ungeahnte Formen an.
Es schien nur noch eine Frage von Wochen zu sein, dass das Verhältnis von
Staat und Kirche durch reguläre Staatskirchenverträge auf geordnete Grundlagen
gestellt würde. In Bälde mussten auch die Theologischen Fakultäten wieder als
Orte freier Forschung und Lehre erstehen. Die Universitäten würden sich –
befreit von der alles beherrschenden marxistisch-leninistischen Ideologie – wie
Phoenix aus der Asche erheben. Haben kirchliche Hochschulen angesichts
dieser Aussichten noch eine Zukunft? Muss nicht die Kirche in höchstem Maße
daran interessiert sein, dass die Stimme der Theologie an einer freien und
erneuerten Universität klar und deutlich vernehmbar werde? Ja, ist es unter
diesen neuen Verhältnissen überhaupt noch verantwortbar, dass die Kirche ihre
immer knapper werdenden finanziellen Mittel in Institute steckt, die unter dem
Dach der Universität genauso gut, vielleicht unbevormundeter gedeihen?
Diesen grundsätzlichen Fragen um die Zukunft Kirchlicher Hochschulen
in der DDR hat sich das Kollegium des Sprachenkonvikts in einer ganztägigen
Sitzung am 28. Januar 1990 gestellt, in der beide Optionen starke Befürwortung
erfuhren. Das Protokoll vermerkt als Ergebnis der Aussprache:
„Theologie als denkende Verantwortung des Glaubens im Blick auf die Praxis der
Kirche ist eine notwendige Funktion der Kirche, die sie nicht grundsätzlich abgeben
darf. Aus diesem Grunde und aus unseren geschichtlichen Erfahrungen ist das
Kollegium der Überzeugung, daß die Evangelischen Kirchen in der DDR für die
Zukunft auch die Institution ,Kirchliche Hochschule‘ brauchen werden und erhalten
sollen ... Für den Fall, daß die Kirche das Sprachenkonvikt als eigenständiges Institut
nicht halten kann oder will, bieten sich Verhandlungen mit der Theologischen Fakultät
bzw. der Kirchlichen Hochschule an, um zu einer Zuordnung oder Eingliederung zu
gelangen.“6
Die besondere Situation des Sprachenkonvikts wurde freilich noch von anderen
Faktoren bestimmt:
1. Unter den neuen Verhältnissen musste die fehlende äußere Reputation die
Konkurrenz zu den staatlichen Universitäten verzerren; denn das
5
Mitarbeiter der Staatssicherheit pflegten Personen „zur Klärung eines Sachverhalts zuzuführen“, wie eine
Verhaftung im Amtsdeutsch der DDR beschönigend hieß.
6
Vgl. Evangelisches Landeskirchliches Archiv in Berlin (ELAB), Bestand: 46 / 2682.
3
Sprachenkonvikt war so wenig wie die Schwesterinstitute in Naumburg oder
Leipzig als Hochschule staatlich anerkannt und hatte weder Promotions- noch
Habilitationsrecht. Die den staatlichen Promotionen gleichwertigen kirchlichen
Qualifikationsverfahren erkannte der Staat ebenfalls nicht an.
2. Die gewonnene Freiheit, das studieren zu können, was immer man will,
musste die Zahl der Studierenden der Theologie zwangsläufig mindern.
3. Hinzu kam die besondere Berliner Situation eines Überangebots an
theologischer Ausbildung.7 Das würde auf Dauer und noch dazu bei sinkenden
Studentenzahlen nicht zu halten sein.
4. Schließlich standen im Sprachenkonvikt mehrere Vakanzen an, so dass
beispielsweise 1992 das Fach Kirchengeschichte völlig verwaist gewesen wäre.
Diese Vakanzen angemessen zu besetzen, musste aber an der Gehaltsfrage
scheitern; denn ein Dozent des kirchlichen Lehramtes verdiente damals etwa ein
Drittel des Gehalts eines Professors an der Humboldt-Universität. Wie hätte man
zukünftig zu diesen Konditionen erstklassige Fachvertreter für das
Sprachenkonvikt gewinnen können? Die bevorstehenden Vakanzen stellten alle
Zukunftsüberlegungen unter einen gehörigen Termindruck.
Das Sprachenkonvikt befand sich – auf längere Sicht gesehen – in einer
ziemlich bedrohlichen Lage. Es war zwar keineswegs wissenschaftlich, wohl
aber institutionell das schwächste Glied in der Kette Berliner Hochschulen.
Daraus ergab sich zwingend die Notwendigkeit, nach einem institutionell
stärkeren Partner zu suchen.
2. Mögliche Perspektiven
Unter den gegebenen Umständen zeichneten sich zwei Möglichkeiten ab:
entweder eine Fusion mit der Kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf oder
eine Fusion mit der Sektion Theologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Für
eine Fusion mit der Sektion sprachen die äußere Nähe zwischen Burgstraße und
Dom, in dessen Türme das Sprachenkonvikt in Kürze einziehen sollte, und die
gemeinsame, wenn auch höchst unterschiedlich bestandene Vergangenheit in
der DDR. Für eine Fusion mit Zehlendorf sprachen zweifellos die ungleich
größere innere Nähe und die unbelastete Vergangenheit.
In beiden Fällen wurde vorausgesetzt, dass die Kirche auf jeden Fall an einer
Kirchlichen Hochschule neben der Fakultät in Berlin festhalten werde. Es
verwundert nicht, dass das Kollegium – bei grundsätzlicher Offenheit für beide
Optionen – zunächst den Schritt nach Zehlendorf erkundete. Dabei ergaben sich
zwei Überraschungen. Einmal waren die Kollegen dort mehrheitlich, wenn auch
aus unterschiedlichen Gründen, nicht an einer Weiterführung als Kirchlicher
Hochschule, sondern an einer Überführung in eine staatliche Universität
interessiert. Zum anderen drängte die Kirche in Westberlin selber aus
7
Zu den oben schon genannten Ausbildungsstätten kam noch das Institut für Evangelische Theologie an der
Freien Universität im Westteil der Stadt hinzu.
4
finanziellen Erwägungen auf eine Überführung in die Freie Universität.
Verhandlungen hatten bereits stattgefunden. Auf dieser Reise konnte das
Sprachenkonvikt schwerlich als willkommenes Marschgepäck empfunden
werden. Außerdem war nicht einzusehen, warum man den Umweg über
Zehlendorf nehmen sollte, wenn am Ende doch alle in einer staatlichen Fakultät
landen würden. Das Sprachenkonvikt würde in Zehlendorf einen kompletten
dreifach besetzten Lehrkörper, zu dessen Vervollständigung gerade noch
Neuberufungen im Gange waren, nur unnötig vergrößern. Diese Lösung hätte
überdies ein zwar zeitlich begrenztes, aber zunächst doch erhebliches
finanzielles Engagement der Kirche erfordert. Erkundungen in diese Richtung
ergaben sehr schnell, dass sich dazu die Landeskirche nicht in der Lage sah.
Auch die Hoffnung, es könnte unter dem Dach der EKU8 eine ordentlich
ausgestattete konkurrenzfähige Kirchliche Hochschule im Osten für den Osten
erhalten bleiben, wurde mit dem Hinweis auf den Einsatz der EKU für die
Kirchlichen Hochschulen in Bethel und Wuppertal abgewiesen. Die Kirchen der
DDR allein waren ohnehin nicht in der Lage, eine eigene Hochschule zu
erhalten. Sie hatten außerdem nicht das Modell „Kirchliche Hochschule“,
sondern die Predigerausbildung am Paulinum als ihren besonderen Beitrag auf
dem Felde der Ausbildung für die bevorstehende Vereinigung der Berliner
Kirchen stark gemacht.
All diese Faktoren lagen nicht vorab zum sorgsamen Abwägen vor aller
Augen, sondern stellten sich erst nach und nach heraus. Sie verstärkten die
Alternative: den Übergang des Sprachenkonvikts in die Humboldt-Universität.
Für sie sprachen von Anfang an drei starke Gesichtspunkte. Wenn schon ein
großer Teil des kirchlichen Nachwuchses an einer staatlichen Universität
ausgebildet wird, musste es im Interesse der Kirche liegen, dass dies so gut wie
irgend möglich geschieht. Dazu war eine Erneuerung der Fakultät so schnell wie
möglich nötig. Eine Fusion des Sprachenkonvikts mit der Sektion Theologie der
Humboldt-Universität konnte diesem verständlichen Interesse genügen. Eine
stabile Institution im universitären Kontext würde sich mit einer bewährten
Institution im Dienste der Kirche verbinden. Bei der dringend erforderlichen
personellen und qualitativen Erneuerung der Sektion würde nicht nur der
Lehrkörper des Sprachenkonvikts eine gestaltende Kraft sein; das
Sprachenkonvikt würde die Studierendenschaft der Fakultät verdoppeln. Die
neuen Räume im Dom und vor allem die im Osten einmalige Bibliothek würden
die Arbeitsmöglichkeiten der dann fusionierten Fakultät mit einem Schlage
entscheidend verbessern. An all dem musste nicht nur der Kirche gelegen sein,
sondern erst recht der Sektion selbst. Außerdem wäre in der unmittelbaren
räumlichen Nähe von Dom und Burgstraße eine Übergangszeit mit zunächst
mehr konföderativen Strukturen leicht zu realisieren. Schließlich würde der
kurzfristig entstehende Personalüberhang bis 1994 durch sieben Vakanzen an
8
Die Evangelische Kirche der Union (EKU) bildet heute mit den Kirchen der Arnoldshainer Konferenz die
Union der Evangelischen Kirchen (UEK).
5
der Sektion und durch drei am Sprachenkonvikt fast ganz abgebaut, so dass
dann eine normale doppelt besetzte Fakultät voll arbeitsfähig wäre.
Diese Überlegungen gründeten auf der als selbstverständlich
angenommenen Voraussetzung aller Beteiligten, das staatliche Nebeneinander
von gewendeter DDR und Westdeutschland werde längere Zeit währen. In
dieser Zeit müsse aber natürlich die Theologenausbildung im Osten
selbstständig gewährleistet sein. Diese Voraussetzung spielte eine nicht
unerhebliche unterschwellige Rolle bei den Überlegungen für einen Übergang
des Sprachenkonvikts in die Humboldt-Universität. Zur Erinnerung: Noch im
Frühsommer 1990 rechnete kein ernst zu nehmender Politiker mit einer
unmittelbar bevorstehenden Vereinigung beider deutscher Staaten. Auf meine
Fragen erhielt ich damals von mehreren Spitzenpolitikern der neuen
Volkskammer, die ehedem an unserem Haus tätig waren, die Auskunft, es könne
durchaus noch zwei Jahre dauern. Dass mit dem Schritt in Richtung Sektion
selbstverständlich kein Votum gegen eine Kirchliche Hochschule verbunden
war, geht aus einem Positionspapier vom 20. 4. 1990 deutlich genug hervor:
„Bleibt Zehlendorf als selbständiges Institut und damit als gewichtiger Zeuge
kirchlicher Hochschulausbildung erhalten, bietet gerade das Sprachenkonvikt in der
Humboldt-Universität zu Berlin eine Gewähr für ein harmonisches und konstruktives
Nebeneinander von Kirchlicher Hochschule und Humboldt-Universität zu Berlin. Das
hier skizzierte Modell hält aber auch ein weiteres Zusammenwachsen der fusionierten
Humboldt-Universität – Sprachenkonvikt mit Zehlendorf zu einer Großfakultät von
dann über 1000 Studenten mit entsprechend erweitertem Lehrkörper offen.“9
3. Auf dem Wege zu einer erneuerten Theologischen Fakultät
der Humboldt-Universität zu Berlin
Der Weg lässt sich in drei Phasen beschreiben, die sich allerdings überlappten.
3.1. Vom Sprachenkonvikt zur Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg
Mit Beginn des Sommersemesters 1990 erfolgte am 9. März die Umbenennung
des Sprachenkonvikts in „Kirchliche Hochschule Berlin-Brandenburg“ durch
die Kirchenleitung. Anfang März wurde durch einen Brief des damaligen
Ministers Hans-Heinz Emons an die Theologischen Fakultäten und an den
damals noch existierenden Forschungsrat10 die faktische Anerkennung der drei
9
So das Original „Gesichtspunkte für mögliche Perspektiven des SPK“ (im Besitz des Vf.s). Dort werden die
Institutionen immer abgekürzt, also: SPK, HUB, KiHo. In den Akten des Landeskirchlichen Archivs ist das
Dokument nur in einer Vor-Version vom 2. April 1990 erhalten (ELAB, Bestand: 46 / 2682), in der der zitierte
Absatz noch fehlt. Offenbar sind im Zuge der Überführung der Akten in das Archiv nicht alle Fassungen
aufbewahrt worden.
10
Der Forschungsrat war ein Gremium des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, um Fragen zu
klären, die die Fakultäten und die Kirchlichen Hochschulen in Berlin, Leipzig und Naumburg gemeinsam
betrafen. Er war paritätisch mit Vertretern beider Seiten unter der Leitung von führenden Kirchenvertretern
besetzt .
6
Kirchlichen Hochschulen der damaligen DDR ausgesprochen.11 Am 1. Mai
erstellten die drei Rektoren mit Dr. Friedrich Winter, dem Präsidenten der
Evangelischen Kirche der Union (Ost) und Vorsitzenden des Kuratoriums des
Sprachenkonvikts, eine Promotions- und Habilitationsordnung. Der Minister für
Bildung und Wissenschaft der aus den Wahlen vom 18. März hervorgegangenen
neuen Regierung, Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer, teilte in einem Brief vom 17.
August mit, dass durch Beschluss des Ministerrates vom 10. August 1990 die
Kirchliche Hochschule Berlin-Brandenburg mit Wirkung vom 1. September
1990 den Status einer staatlich anerkannten Hochschule mit Promotions- und
Habilitationsrecht erhält.12 So konnten nun auch rückwirkend für die in der
Vergangenheit durchgeführten kirchlichen Qualifikationsverfahren die
entsprechenden akademischen Grade verliehen werden. Das geschah am 21.
September in einem kleinen Festakt zu Ehren derer, die diese Würden schon
längst verdient hatten. Schließlich ernannte der Minister im Oktober alle
Lehrstuhlinhaber der drei Kirchlichen Hochschulen zu Professoren. 13 Im
Oktober wurde die Kirchliche Hochschule Berlin-Brandenburg in den
Fakultätentag aufgenommen. Endlich konnte das öffentlich werden, was das
Sprachenkonvikt wie die anderen Kirchlichen Hochschulen der DDR all die
Jahre über gewesen war. Der damalige Rektor14 resümierte in seinem Bericht zur
Eröffnung des Wintersemesters 1990:
„Wir brauchen uns dessen nicht zu schämen. Wir nehmen all die Titel und Ehrenzeichen
mit Freude, aber auch als etwas eigentlich Selbstverständliches in Gebrauch, indem wir
schlicht das weiter tun, was wir all die Jahre zuvor ohne Ehrenspangen auch schon
getan haben: mit Leib und Seele als Lehrer der Kirche zu forschen und zu lehren.“15
3.2. Von der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg zur erneuerten
Theologischen Fakultät
Das Sprachenkonvikt stand mit allen Überlegungen von Anfang an in engem
Kontakt mit dem Kuratorium und mit Vertretern des Konsistoriums und der
Kirchenleitung, die in geradezu vorbildlicher Weise dessen Belange vertreten
haben. Am 2. Mai 1990 beauftragte das Kuratorium den Konsistorialpräsidenten
11
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2674.
Dieser Brief befindet sich als Kopie im Besitz des Vf.s. Im Archiv des Konsistoriums ist nur die auf den 1.
September 1990 datierte Urkunde erhalten (ELAB, Bestand: 46 / 2682).
13
Die Berufungsurkunden wurden an die Berufenen übergeben. Deshalb gibt es dazu keine Unterlagen in den
Akten des Sprachenkonvikts.
14
Das Sprachenkonvikt hatte eine Kuratorialverfassung, um die Unabhängigkeit von der Landeskirche zu
gewährleisten. Der Rektor wurde aus dem Kreis des Kollegiums des Sprachenkonvikts jährlich gewählt. Der
jeweils scheidende Rektor übernahm das Amt des Prorektors. Für das Studienjahr 1989/90 waren das Matthias
Köckert und Jürgen Henkys, für 1990/91 Harald Schultze und Matthias Köckert. Der scheidende Rektor
erstattete bei der Eröffnung des Wintersemesters den Rektoratsbericht.
15
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2737.
12
7
Dr. Manfred Stolpe und andere, Gespräche mit dem Minister für Bildung über
die Zukunft des Sprachenkonvikts zu führen.16
Die noch relativ offene Diskussionslage im Hause und im Kuratorium erhielt
am 30. Mai einen neuen Impuls durch einen Brief der Leitung der Sektion
Theologie der Humboldt-Universität an den Konsistorialpräsidenten. Die
Sektion / die Fakultät17 machte diesen Brief auch uns, selbstverständlich dem
Rektor der Humboldt-Universität, dem Ministerium, aber auch den
entsprechenden Westberliner Behörden18 zugänglich. Dieser Brief war
bemerkenswert, weil er in die noch offene Diskussion eingriff und ein deutliches
Interesse der Sektion an einer Fusion mit dem Sprachenkonvikt bekundete. Das
hatte keiner erwartet. Noch bemerkenswerter war, dass in diesem Brief erstmals
die Vergangenheit angesprochen wurde. Hier sei lediglich aus dem Anfang
zitiert, weil er den entscheidenden Punkt benennt:
„In der konstituierenden Sitzung des Rates der Theologischen Fakultät am 30. 5. 1990
haben wir über die eventuelle Fusion der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg
mit unserer Fakultät gesprochen. Diese Möglichkeit wurde von Lehrenden und
Studierenden sehr begrüßt und befürwortet ... mehrere Kollegen erinnerten auch an die
Schattenseiten in unserer Geschichte und die uns durch die Fusion gebotene Chance,
Fehler zu benennen, Schuld zu bekennen und gemeinsam mit der Kirchlichen
Hochschule Berlin-Brandenburg einen wirklichen Neuanfang zu wagen.“19
Der damalige Dekan20 äußerte in einem Begleitbrief ausdrücklich den Wunsch,
alsbald in konkrete Verhandlungen einzutreten. Er fand ein zurückhaltend
positives Echo im Kollegium des Sprachenkonvikts. Der Rektor antwortete am
20. Juni 1990 unter anderem:
„Beides – Ihre Briefe und unser Echo – ist gewiß nicht selbstverständlich. Sie sprechen
in Ihrem Brief die dunklen Seiten in der jüngeren Vergangenheit Ihres Hauses an. Wir
haben Respekt davor, daß Sie die Schatten nicht einfach vergessen machen wollen,
sondern erinnern. Auch das Verhältnis unserer beider Institute hat eine durchaus
komplizierte Geschichte durchlaufen, die von anfänglicher Ablehnung über
stillschweigende Duldung bis hin zu einem freundlicheren Nebeneinander in der letzten
Zeit geprägt war. Diese Geschichte hat Narben hinterlassen; und es wäre unaufrichtig,
sie einfach zu übersehen. Es hat in der Vergangenheit aber auch nicht an guten
persönlichen Kontakten und Verbindungen einzelner Kollegen gefehlt ... Ich nehme Ihre
Anregung zu einem baldigen Gedankenaustausch über die in Ihrem Brief
angesprochenen Fragen gern auf; denn es liegt in unser aller und auch der Kirche
Interesse, daß theologische Lehre und Forschung in dieser Stadt so gut wie möglich
wahrgenommen werden können. Wir werden unser Gespräch freilich auch in dem
16
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2674.
Die Sektionen der Humboldt-Universität hatten sich inzwischen wieder in Fakultäten verwandelt. Der Brief an
den Konsistorialpräsidenten vom 30. Mai 1990 hat im Kopf nur „Sektion Theologie“ (jedenfalls ist in der Kopie
nichts weiter zu erkennen), im Begleitschreiben an das Sprachenkonvikt vom 31. Mai ist mit Schreibmaschine
hinzugefügt: „ / Theologische Fakultät“.
18
Das geht aus dem Verteiler auf dem Begleitbrief an das Sprachenkonvikt hervor.
19
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2795.
20
Dekan der Fakultät war damals Prof. Dr. Karl-Wolfgang Tröger.
17
8
Bewußtsein führen, daß die Kirchenleitungen unabhängig von uns die theologische
Ausbildung in Berlin bedenken.“21
Die Kirchenleitungen waren nicht untätig. Am 19. Juni kam es zu einem
Gespräch zwischen Kirchenvertretern und dem Ministerium für Bildung und
Wissenschaft. Es galt vornehmlich der Beschleunigung der staatlichen
Anerkennung aller drei Kirchlichen Hochschulen in der DDR. In diesem
Zusammenhang trug der Präsident des Konsistoriums, Dr. Stolpe, den Wunsch
der Kirchenleitung vor, über eine Fusion des Sprachenkonvikts mit der Sektion
Theologie zu verhandeln. Die dadurch in Gang gesetzten Gespräche waren nicht
immer einfach – was bei den Unterschieden beider Häuser, vor allem aber bei
den ausgelösten existentiellen Sorgen nicht verwundern kann. Sie führten am 17.
September 1990 zu einem Vertrag, dessen § 1 lautet:
„Die Kirchliche Hochschule Berlin-Brandenburg wird mit Wirkung vom 1. März 1991
in die Humboldt-Universität zu Berlin übernommen und mit der Theologischen Fakultät
zusammengeführt.“22
Der Vertrag trat am gleichen Tage, dem 17. September 1990, in Kraft. Damit
waren die Weichen gestellt.
Das letzte Semester an der „Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg“
(vormals „Sprachenkonvikt“) war angefüllt mit den „Mühen der Ebene“ und mit
der Klärung unzähliger Einzelprobleme der Fusion. Welch Aufwand und Einsatz
allein die Überführung der Mitarbeiter in den völlig überforderten
Verwaltungsapparat der Humboldt-Universität gekostet hat, kann man sich nur
schwer vorstellen. Ein Glück, dass der letzte Rektor des Sprachenkonvikts ein
Meister des Kleingedruckten war. Am 8. April 1991 begann das erste Semester
der durch das Sprachenkonvikt erneuerten Theologischen Fakultät der
Humboldt-Universität mit einem gemeinsamen Gottesdienst.23
Die nächsten Monate waren überschattet von der Auseinandersetzung mit
der Vergangenheit in Fakultät und Universität, deren Erneuerung durch die
Universitätsleitung und Verwaltung eher blockiert als gefördert wurde. Die
Ereignisse um den damaligen Rektor der Humboldt-Universität, Prof. Dr.
Heinrich Fink, verschärften die Auseinandersetzungen noch.24 Nicht alle
belasteten Mitarbeiter der Fakultät zogen eine stille Lösung vor. An Versuchen,
über die Vergangenheit zu informieren und sie zu diskutieren, hat es nicht
gefehlt. Über zwei Semester fand ein Seminar zur Fakultätsgeschichte statt, das
freilich allzu oft nur die völlige Wahrnehmungs- und Lernunfähigkeit der
geladenen Zeitzeugen offenbarte.
21
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2795.
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2795.
23
Der Gottesdienst zur Fusion fand in der Französischen Friedrichstadtkirche statt. Im Anschluss an den
Gottesdienst wurden mehrere Reden gehalten. Für die Humboldt-Universität sprach ihr damaliger Rektor, Prof.
Dr. Heinrich Fink. Die Rede des Vertreters des ehemaligen Sprachenkonvikts wird im Anhang dokumentiert.
24
Es gab eine länger währende Auseinandersetzung um den Vorwurf, Fink sei IM („Inoffizieller Mitarbeiter der
Staatssicherheit“) gewesen. Sie führte am Ende zu einem Prozess, den Fink verlor.
22
9
Die wider Erwarten schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten
brachte über alle Ostberliner Hochschulen das „Berliner Hochschulgesetz“.
Anders als bei der Praxis in den neuen Bundesländern sonst wollte der
Wissenschaftssenator der besonderen Lage Berlins Rechung tragen und eine
Zwei-Klassen-Professorenschaft vermeiden. Dazu mussten allerdings alle
Professorenstellen in Ostberlin auf dem Wege von Neuberufungen besetzt
werden. So wurde an der Theologischen Fakultät eine Struktur- und
Berufungskommission eingesetzt, der Mitglieder der Fakultät, aber auch
namhafte auswärtige Wissenschaftler angehörten. Der Kommission oblag die
Feststellung eines verbindlichen Stellenplanes und die Evaluierung 25 aller
Kollegen zum Zwecke von Berufungen. Die vollzog im Laufe des
Wintersemesters 1992 der Senator, so dass nun ein dem Berliner
Hochschulgesetz entsprechend geordneter „Fachbereich Theologie“ an der
Humboldt-Universität bestand.
3.3. Von der erneuerten Theologischen Fakultät zur Fusion mit der Kirchlichen
Hochschule Berlin-Zehlendorf
Anfang Juni 1990 lag der Kirchenleitung der West-Region ein
Diskussionspapier zur Zukunft der Theologischen Hochschulen in Berlin vor, in
dem verschiedene Modelle in ihrem Für und Wider durchgespielt wurden. 26 Ein
Modell sah die Zusammenführung beider Kirchlicher Hochschulen in die
Fakultät der Humboldt-Universität vor. Den Interessen Zehlendorfs trug die
Gemeinsame Kirchenleitung am 28. August 1990 in einer Zusatzvereinbarung
zum Fusionsvertrag Rechnung, in der ausdrücklich die „Möglichkeit einer
Integration auch der Kirchlichen Hochschule Berlin in die Fakultät der
Humboldt-Universität Berlin ... offengehalten wird“.27 Am 18. Dezember 1990
beschloss die Kirchenleitung der West-Region, die Verhandlungen mit dem
Lande Berlin wieder aufzunehmen mit dem Ziel, die Kirchliche Hochschule
Berlin (Zehlendorf), „in eine (!) Berliner Universität“ zu integrieren. 28 Offenbar
wollte man jetzt, ein halbes Jahr später, eine Fusion mit der Freien Universität
nicht
ausschließen.
Im Zuge der
Neuordnung der
gesamten
Universitätslandschaft in beiden Teilen des nun geeinten Berlin wurde aber sehr
schnell deutlich, dass das Land nur eine Theologische Fakultät würde
unterhalten können, und die sollte – schon in Anknüpfung an die Tradition – die
der Humboldt-Universität bleiben. So war es nur noch eine Frage der Zeit, dass
auch auf diesem Felde die Vereinigung von West und Ost stattfand, diesmal
allerdings in umgekehrter Richtung – ein seltener Fall. Die Kirchliche
Hochschule Berlin (Zehlendorf) wurde von der Humboldt-Universität
übernommen. Das war allein schon wegen der Bibliothek eine große
25
Die Evaluierung betraf allein die fachliche Qualifikation.
Vgl. ELAB, Bestand: 46 / 2795.
27
Das Dokument wird hier aus einer Kopie (im Besitz des Vf.s) zitiert.
28
So die damalige Pressemitteilung der Kirchenleitung, hier ebenfalls aus einer Kopie (im Besitz des Vf.s)
zitiert.
26
10
Bereicherung der Fakultät. Zwar zogen sich die Verhandlungen in die Länge,
doch war die Kirchliche Hochschule noch vor der Fusion schon in der Strukturund Berufungskommission bei allen die Zukunft der Fakultät betreffenden
Fragen vertreten.
Neben unendlich vielen kleinen Problemen – von allen drei ehemals
selbstständigen Institutionen hörte man ständig: „Bei uns war das aber so ...“ –
gab es eine wirklich gravierende Frage: Wo würde in Zukunft der Standort der
Fakultät sein, in Zehlendorf oder in Berlin-Mitte? Weil alle guten Gründe für
Berlins Mitte sprachen, nicht zuletzt sollte die Fakultät ja der HumboldtUniversität angehören, und weil schließlich auch eine feudale Heimat für die
Bibliothek in der Waisenstraße schneller bereitstand als gedacht, entschloss man
sich am Ende doch, vom Dorf in die Stadt zu ziehen. Schon bald war man froh,
in Berlin-Mitte angekommen zu sein. Für die vereinte Fakultät reichte allerdings
der Platz dort nicht, so dass die Fakultät viele Jahre lang über mehrere Standorte
verstreut war: das Dekanat in der Burgstraße gegenüber dem Dom, die
Bibliothek in der Waisenstraße, einige Büros und Vorlesungsräume am
Hausvogteiplatz. Es dauerte 15 Jahre, bis im Dezember 2006 die Theologische
Fakultät mit ihrer Bibliothek nach vielen Zwischenlösungen endlich den
vollkommen umgebauten Gebäudekomplex an der Ecke Burgstraße / AnnaLouisa-Karsch-Straße beziehen konnte.
4. Das „Theologische Konvikt“
Noch vor allen Überlegungen zur Zukunft des Sprachenkonvikts spielte die
Frage eine Rolle, was aus diesem Hause ohne Lehrbetrieb werden könnte. Denn
schon zu alten DDR-Zeiten, als an eine Vereinigung Berlins noch keiner dachte,
wurde der Umzug des Sprachenkonvikts in den Dom geplant. In ihm sollte dann
aller Lehrbetrieb stattfinden. Er sollte dann auch die Bibliothek aufnehmen. So
wäre also auch damals schon mit dem Umzug in den Dom vom alten
Sprachenkonvikt nur noch das Wohnheim geblieben. Mitte der achtziger Jahre
wurde eigens eine Kommission gebildet, die für die künftige Nutzung des
Hauses Vorschläge machte. Von Anfang an war an einen großzügigen Ausbau
als Studentenwohnheim gedacht, das mit einer Präsenzbibliothek und einem
eigenen Andachtsraum ausgestattet werden, ja sogar mehrere Kleinwohnungen
für Familien mit Kind beherbergen sollte. Die Nötigung, Vorstellungen für das
Konvikt in der Borsigstraße zu entwickeln, bekam durch die Fusion noch
größere Dringlichkeit. Dieses Haus konnte mehr sein als eine preiswerte Wohnund Schlafstätte für ungefähr 60 Studierende. Es musste mehr werden, sollte es
eine Einrichtung der Kirche bleiben.
Keine Frage, dass die Theologische Fakultät den Erhalt dieses Hauses
nachdrücklich wünschen und fördern musste. Denn angesichts der
unüberschaubar gewordenen Fakultät von ungefähr 800 Studierenden bedarf es
überschaubarer Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, um die zentrifugalen Kräfte
11
der Großstadt auszubalancieren und der Gefahr der Unverbindlichkeit – einem
Giftkraut im Studium der Theologie – zu wehren. Erst recht durfte es der Kirche
nicht gleichgültig sein, ob die künftigen Mitarbeiter es mit ihr erst nach
mehrjährigem Einzelkämpfer- und Schreibtischtäterdasein zu tun bekommen
oder ob sich schon das Studium in gemeinschaftlichen Strukturen vollzieht und
die geistliche Dimension nicht ausgeblendet wird, von anderen Möglichkeiten
eines kirchlichen Studentenwohnheims ganz zu schweigen.
Dem Kollegium schwebte damals ein künftiges „Theologisches Konvikt“
als Kristallisationskern theologischer Arbeit und gemeinsamen Lebens vor,
gleichsam ein preußisches „Tübinger Stift“, ausgestattet mit mehreren
Assistenturen, mit Konviktsübungen, gemeinsamen Andachten und
Gottesdiensten.
Seit 1991 ist viel Wasser die Spree hinabgeflossen. Viele Hoffnungen
mussten begraben werden. Das „preußische“ Tübinger Stift wurde schnell
preußischer, als gehofft. Als erstes wurde die Küche geschlossen, dann strich
man die Assistentenstellen. Seit zwanzig Jahren hängt das Damoklesschwert der
Schließung über dem Konvikt. Angesichts der Sparzwänge, unter denen die
Kirche steht, verwundert das nicht. Umso mehr ist es zu würdigen, dass es das
Theologische Konvikt noch gibt. Es besteht heute als Einrichtung der
Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und hat etwa 70 Plätze, um die
sich Studierende der Theologie in Berlin aus allen Landeskirchen Deutschlands
bewerben können. Einige Plätze stehen ausdrücklich für Studierende aus dem
Ausland zur Verfügung. Die Leitung liegt beim Konviktsrat, dem außer
Vertretern des Hauses ein Mitglied der Theologischen Fakultät, ein Vertreter der
Berliner Pfarrerschaft und ein Mitglied des Konsistoriums angehören. Es wird
verwaltet von einem Ephorus oder einer Ephorin. Den Konviktualen steht eine
kleine, aber brauchbare Präsenzbibliothek aus den Beständen des
Sprachenkonvikts zur Verfügung. Übungen29, tägliche Andachten, regelmäßige
Gottesdienste, offene Abende und Rüstzeiten machen das Konvikt zu mehr als
einer Schlaf- und Wohnstätte.
Jedes Semester erfüllen neue Konviktuale das Haus mit Leben. Mit ihnen
gemeinsam entwickeln der Ephorus und der Konviktsrat mit seinem
Vorsitzenden30 unverdrossen Ideen zur Erhaltung des Hauses und zur Gestaltung
des Lebens in ihm.
Anhang:
29
Es handelt sich vor allem um die Lektüre von hebräischen, griechischen und lateinischen Texten. Damit
kommen die ursprünglichen Traditionen des alten Sprachenkonvikts wieder zu Ehren.
30
Zur Zeit sind Pfr. i. E. Michael Kösling als Ephorus und Prof. Dr. Heinz Ohme als Vorsitzender des
Konviktsrates tätig.
12
Rede anlässlich der Fusion von Theologischer Fakultät und
Kirchlicher Hochschule Berlin-Brandenburg
zur Eröffnung des Sommersemesters am 8. April 199131
Magnifizenz, Spectabilität, meine Damen und Herren!
Die Eröffnung des Sommersemesters 1991 macht öffentlich, dass die Kirchliche
Hochschule Berlin-Brandenburg und die Theologische Fakultät der HumboldtUniversität in ihrer bisherigen Gestalt an ihr Ende gekommen sind. Der heutige
Tag macht zugleich öffentlich, dass die Theologische Fakultät durch die Fusion
mit der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg einen Neuanfang gesetzt
hat. Dass alles neu geworden sei, wird man indes nicht sagen können; denn wir
Menschen sind ja die alten geblieben, und insofern gilt: „... der alte Lump ist
auch dabei.“ Gleichwohl beginnen wir heute gemeinsam ein Neues und beenden
damit unsere je eigene Geschichte. Ich möchte deshalb von der Kunst des
Abschiednehmens und von der Gnade des Neuanfangs sprechen.
Hinter uns, der ehemaligen Kirchlichen Hochschule, liegen zahlreiche
Abschiede: die letzte Lehrveranstaltung, der letzte Gottesdienst, der letzte
gemeinsame Semesterschluss, die letzte Sitzung des Kollegiums und des
Kuratoriums im altvertrauten Kreise, ein letztes gemeinsames Essen aller
Mitarbeiter. Jedes für sich ein schmerzliches letztes Mal. Schmerzlich nicht
deshalb, weil Sitzungen so angenehm wären, sondern weil mit jedem Abschied
ein Teil einer Ausbildung zu Grabe getragen wurde, die sich in guten und vor
allem in schlimmen Tagen bewährt hatte. Hier, an der Kirchlichen Hochschule,
dem ehemaligen Sprachenkonvikt, hatte die Evangelische Kirche in BerlinBrandenburg unter großen finanziellen und personellen Opfern ein Studium der
evangelischen Theologie ermöglicht, das das Prädikat „frei“ verdiente, wo
anderwärts der Ungeist der Indoktrination regierte. Wo sonst in der DDR sind
Lehrstühle durch öffentliche Auswahl aus mehreren Bewerbern besetzt worden?
Wo sonst hat es in der DDR die Möglichkeit zu philosophischen Studien
gegeben, die nicht vom kurzen Gängelband der allbeherrschenden marxistischleninistischen Überzeugungserzeugung abhängig gewesen wären? Wo sonst in
der DDR hat es mit der DDR-Ideologie eine ständige theologische
Auseinandersetzung gegeben, die den Namen Kritik wirklich verdient? Hier, in
den Kirchlichen Hochschulen, hat die Kirche exemplarisch Verantwortung für
die Ausbildung wahrgenommen und damit Maßstäbe gesetzt, auf die die
Fakultäten im Hochschul-Ministerium verweisen konnten. Das Engagement der
Kirche für ihre Ausbildung hat zugleich den Staat zu einer angemesseneren
Haltung gegenüber den eigenen Fakultäten genötigt. Kein Wunder, dass ein
31
Die Rede zur Fusion sollte der letzte Rektor des Sprachenkonvikts, nachmals Kirchliche Hochschule BerlinBrandenburg, halten. Da aber der Rektor des Jahres 1990/91, Prof. Dr. Harald Schultze, auf Bitten seiner
Landeskirche bereits ans Konsistorium nach Magdeburg gewechselt war, musste sein Vorgänger und damaliger
Prorektor die Aufgabe übernehmen. Die Rede wird hier aus dem bei mir befindlichen Manuskript abgedruckt.
Dabei habe ich lediglich die Abkürzungen aufgelöst und die Hervorhebungen getilgt.
13
Abschied von der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg uns Studenten
und Kollegen schwer fällt!
Auch für die Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin
bedeutet der heutige Tag einen endgültigen Abschied. Begonnen hatte er mit der
Einsicht, dass die Theologische Fakultät dringlich der Erneuerung bedarf und
dass dies durch eine Fusion mit der Kirchlichen Hochschule Berlin-Brandenburg
am überzeugendsten Gestalt finden könne. Diese Einsicht führte dann zu jenem
Brief der Fakultätsleitung vom 30. Mai 1990 an den damaligen
Konsistorialpräsidenten Dr. Stolpe. Die dann folgenden komplizierten
Verhandlungen und Prozesse des Aufeinanderzugehens haben heute ein erstes
Zwischenergebnis erreicht. Darüber können wir alle uns gemeinsam freuen.
Wenn ich jedoch die Stimmung recht wahrgenommen habe, dann ist –
jedenfalls die nun vereinte Studentenschaft – nicht auf den Grundton der Freude
gestimmt. Ängste, Sorgen, der Schmerz des Abschieds beherrschen das Feld. Sie
werden uns lähmen. Schon jetzt sind einzelne Gruppen der Sorge um den
Verlust der eigenen Identität erlegen. Aber wissen wir es denn nicht mehr, dass
es den Sünder als Sünder auszeichnet, in der Sorge um seine Identität gefangen
zu sein? Der mit sich identische Mensch – das ist der homo incurvatus in
seipsum. Unsere wahre Identität liegt nicht in unserer mehr oder meist weniger
respektablen oder gar beschämenden Vergangenheit, die ängstlich festzuhalten
wir verdammt wären. An dieser Identität müssten wir ersticken. Identität, die
uns leben lässt, gewinnen wir allein dadurch, dass Gott zwischen uns und unsere
Vergangenheit tritt und uns so neu anfangen lässt. Keiner kann das von sich aus.
Keiner von uns kann das verfügen. Keiner hat darauf ein Recht. Deshalb ist es
eine Gnade, neu anfangen zu dürfen.
Liebe Kommilitonen und Kollegen, die Kunst des Abschiednehmens besteht
darin, im Abschied die Gnade des Neuanfangs zu entdecken und dann auch zu
ergreifen! Wir ergreifen sie, indem wir in Lehre und Studium beim Ursprung,
Anfang und Hauptstück aller theologischen Weisheit einkehren und also, statt
allerlei Allotria zu treiben, bei der Sache bleiben. Ich nenne jenes Herzstück
aller Gottesgelehrtheit mit zwei Worten aus der Weisheit Israels. In Proverbia
9,10 heißt es:
Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn;
den Heiligen erkennen – das ist Verstand.
Und in der Sapientia Salomonis 14,27 findet sich ein Spruch, der sich chiastisch
darauf zurückbeziehen lässt:
Götzen dienen, ist alles Bösen Anfang.
Es ist das erste Gebot, an dem sich Anfang und Ende entscheiden, an dem sich
entscheidet, ob wir in unsere Vergangenheit vergehen oder ob wir in die uns
gnädig zugewandte Zukunft erstehen. Blicken wir auf die vergangenen vierzig
Jahre zurück, dann sehen wir in aller Deutlichkeit: Nur wo wir als Kirchliche
14
Hochschule und als Theologische Fakultät diesen einen Herrn gefürchtet, geliebt
und ihm vertraut haben, brauchen wir uns heute nicht zu schämen. Die
Verbeugungen an die falschen Adressen haben die Menschenseelen verbogen
und am Ende ein ganzes Land zu Grunde gerichtet. Es gibt mehr als einen
Grund, Gott zu fürchten. Wir können ihn gar nicht genug fürchten, weil wir
immer wieder Neuanfänge nötig haben. Wir dürfen ihn aber noch viel mehr
lieben, weil er uns trotz allem neu anfangen lässt.
Nur wenn wir dabei bleiben und stets neu mit diesem elementaren Anfang
anfangen, werden wir zu einer wahrhaft erneuerten Fakultät werden. Im Hören
auf diesen Herrn werden wir das Wort finden, das verbindet, das befreit und das
verpflichtet. Dieses Wort hat Gewicht in der Kirche, in der Universität und in
der Öffentlichkeit einer entchristlichten Umwelt. Um die Zukunft einer
solchermaßen erneuerten Fakultät braucht keinem bange zu sein.