Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer

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Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer
C
6
Rems-Murr RUNDSCHAU
Nummer 86 – RMR3
Mittwoch, 15. April 2009
EXTRA:
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Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer
Die Faszination für Schusswaffen
Suspekter
Spendenaufruf
Der Stellenwert von Feuerkraft im Rahmen der Inszenierung von Männlichkeit, Macht und Gewalt
Von zwei Studentinnen
Winnenden.
Winnender Bürger haben am Ostermontag einen suspekten Spendenaufruf für die Hinterbliebenen des
Amoklaufes in ihren Briefkästen vorgefunden. Offiziellen Helfergruppen
und auch bei der Stadt Winnenden
war eine derartige Spendenaktion
nicht bekannt. Derweil ergaben die
polizeilichen Nachforschungen: zwei
Studentinnen in Heidelberg, die „nur
helfen wollten“, sind die Initiatorinnen.
In dem suspekten Spendenaufruf steht
unter anderem: „Mit nur einem Anruf
helfen sie den Hinterbliebenen, für die
Folgekosten aufzukommen. Spenden Sie
5 Euro pro Anruf.“ Die Bürger werden
aufgefordert, eine 0900er-Nummer zu
wählen, die pro Anruf eben fünf Euro
kostet. Dieses Geld solle angeblich an die
Betroffenen weitergeleitet werden.
Wie die Polizei herausbekommen hat,
stecken hinter dem Spendenaufruf zwei
Studentinnen in Heidelberg, die nun
noch eingehender vernommen werden
müssen, so Polizeisprecher Klaus Hinderer. Die beiden hätten nur helfen wollen
und dementsprechend einen Telekommunikationsdienstleister
beauftragt.
Von gespendeten fünf Euro behalte der
Dienstleister 1,25 Euro als Bearbeitungsgebühren ein, die restlichen 3,75 Euro
wollten die Studentinnen später gesammelt den Betroffenen von Winnenden zukommen lassen, so die Eigenaussagen der
beiden Damen.
Die „Spenden-Hotline“ wurde derweil
abgeschaltet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Auffällig bleibt, dass auf
dem Schreiben kein Impressum angegeben ist. Falls Bürger dem Aufruf gefolgt
sind, werden diese gebeten, sich bei der
Polizei zu melden: ) 0 71 95 / 69 40.
Mit diesem suspekten Spendenaufruf wollten zwei Studentinnen „nur helfen“.
Von unserem Redaktionsmitglied
Nils Graefe
Was macht die Faszination für Schusswaffen aus? Wie könnte sich womöglich die amerikanische „Waffen-Kultur“
global, im Kopf des Amokläufers des 11.
März und in Weiler zum Stein ausgewirkt haben? Hier der Versuch, darauf
spekulative Antworten zu geben.
Waffen-Kultur
in den USA und global
Wie auch die öffentliche Diskussion der
Briten rund um den Amoklauf von Dunblane 1996 und die darauf folgende drastische
Verschärfung des Waffenrechts 1997 zeigte
(wir berichteten), wollten die Befürworter
des Verbots von Kurzwaffen in privater
Hand in Großbritannien dieses auch als
ausgesprochene Ablehnung der „WaffenKultur“ amerikanischen Schlags verstanden wissen. Man kann diese „Waffen-Kultur“ getrost charakterisieren als
r eine Kultur, in der die Geschichte der
mutmaßlich glorreichen Pionierzeit und
des Wilden Westens verklärt wird;
r eine als solche stilisierte Kultur der
Cowboys, Abenteurer und Gewehre;
r eine Kultur in einem Land mit urgewaltiger Wildnis, in der man angeblich nur mit
Feuerkraft bestehen kann;
r eine Kultur, in der alles wehrhaft Patriotische sowie jedwede Selbstjustiz in Superhelden-Manier Faszination ausübt
und ein cooler Gangsterkult in den städtischen Ballungszentren Tradition hat;
r eine Kultur, in der offenbar viele Männer
erst mit einer schussbereiten Waffe zum
Mann zu werden vermögen;
r eine Kultur, in der auch der Kalte Krieg
noch nachwirkt, und zwecks Abwehrbereitschaft eine private Bewaffnung erforderlich erscheint – gegen den imaginären
Feind hinter dem längst verschwundenen
Eisernen Vorhang, und sei es im amerikanisierten Europa „nur“ noch gegen die
Einbrecherbanden aus dem ehemaligen
Ostblock;
r eine Kultur, von der aus über die Traumfabrik Hollywood eine Waffen-Ästhetik
in die Welt hinausgetragen wird – nicht
zuletzt durch Zeitlupenaufnahmen von
fliegenden Projektilen und von als künstlerische Tänze inszenierten Schießereien.
r eine waffenverherrlichende global gewordene Kultur eben, die insbesondere
im Zuge der charakterlichen Entwicklung psychisch nicht gefestigter Hagestolze sowie auf in ihrer Männlichkeit
Gekränkte oder schlichtweg Schizophrene fatal wirken kann.
„Durch unsere Bereitschaft, den Kauf von
Waffen nach Belieben zu erlauben und je
nach Laune damit zu schießen; dadurch,
dass wir erlauben, dass Filme und Fernsehsendungen unsere Kinder lehren, der Held
ist jener, welcher die Kunst des Schießens
und die Technik des Tötens meistert. . ., haben wir eine Atmosphäre geschaffen, in der
Gewalt und Hass populärer Zeitvertreib geworden sind“, kommentierte 1963 der
schwarze Bürgerrechtler Martin Luther
Leserbriefe
Freiheit und Verbote
Falsche Verdächtigungen?
Betr.: Diskussionen um das Waffenrecht
nach dem Amoklauf
In einem Freiheitsstaat muss die Frage
immer heißen, warum nicht? Welche Gefahr
geht denn von legalen, erlaubnispflichtigen
Schusswaffen aus, denn nur die kann ein
Verbot treffen. 2002 gab es mit diesen Waffen zwölf Straftaten mit Todesfolge und
drei Körperverletzungen (15 schwere Vergehen).
2007 starben 461 Menschen unter uns an
Aids plus 2800 Neuerkrankungen (Todesurteile auf Raten) – verbieten wir deshalb jetzt
den Geschlechtsverkehr? Begründung: Sex
braucht keiner, künstliche Befruchtungen
funktionieren auch, und nur so wäre ein
maximaler Schutz der Gesellschaft vor Ansteckung gewährleistet. 2007: Verkehrsunfälle 2,3 Millionen mit 5500 Toten und
408 000 Verletzten; in circa 410 000 Fällen
mit Personenschaden ist ein Fehlverhalten
ursächlich wie Alkohol, Rasen, Drängeln;
Schlussfolgerung: Autos mit 30 PS sind ab
jetzt völlig ausreichend, und in Anlehnung
an das Waffengesetz gibt es ein Mindestalter von 25 Jahren und einmal im Jahr eine
Haarprobe – wenn Drogenkonsum inklusive Alkohol festgestellt wird, erfolgt sofortiger Führerscheinentzug.
Wenn 15 schwere Vergehen Einzelner
eine Einschränkung des Freiheitsstaates für
alle rechtfertigt, was rechtfertigen dann die
genannten Tausende von Toden? Niemand
wird zum Amokläufer, weil er Zugriff auf
Waffen hat, sondern weil er sich von seinem
direkten sozialen Umfeld verlassen und
verraten fühlt. Wer dies nicht akzeptiert
und nur einen Sündenbock sucht oder seine
ideologisch geprägte Meinung durchsetzen
will, trägt Mitverantwortung, wenn sich
das nächste Mal trauernde Eltern fragen
„warum?“.
Bernhard Huschka,
Bei der Zehntscheuer 13, Winterbach
Betr.: Bluttat in Eislingen
Anfangsverdacht ist kein Generalverdacht gegen Schützenbrüder! Ist die Vermutung ausreichend für eine Inhaftierung?
Warum wird der Generalverdacht gegen
alle Schützenvereinsmitglieder in BadenWürttemberg und Deutschland geduldet?
Das gebetsmühlenartige Wiederholen von
Verboten durch Elternvereine, einigen Lehrern, die Kinder nicht schützen können, ist
die falsche Ideologie und kommt allmählich
noch zu einem Verbot der Bundeswehr und
Soldaten, die mit 17 Jahren an allen Waffen
ausgebildet werden, damit die Treue zum
Vaterland ausgeübt werden kann. Den leidvollen betroffenen Familien von Bluttaten –
ich leide mit – kann man nachträglich nicht
helfen. Bedenken Sie, dass ein Schäfer
(Hausherr) verantwortlich ist für seine
Schafe und diese vor reißenden Bestien
schützen muss. Man vertraut nur demjenigen seine Schafe an, der es versteht, Schutz
zu gewähren.
Die Polizei und Staatsanwaltschaft hat
gemäß Paragraf 152 II Strafprozessrecht
nach „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, dass
eine Straftat vorliegt, zu ermitteln. Der Begriff des Beschuldigten wird von der Strafprozessordnung unterschiedlich bezeichnet. Beschuldigter heißt der Betroffene
während des Verfahrens. Doch die Stellung
als Beschuldigter darf nicht alleine vom
Willen der Behörde abhängen! Es muss objektiv ein hinreichender Anfangsverdacht
hinzukommen. Ich meine, alles braucht seine Zeit, um keine Schnellschüsse in punkto
Saustaat/Unrechtsstaat, blöde Polizei abzugeben.
Walter Buhl,
Schurwaldstraße 69, Stuttgart
(ehemals Weiler zum Stein)
Über die Traumfabrik Hollywood wird eine Waffen-Ästhetik hinaus in die Welt getragen, die fatal wirken kann (im Bild eine Szene aus einem der Matrix-Filme mit Keanu Reeves, links).
Screenshot: http://whatisthematrix.warnerbros.com/; TM & © 2009 Warner Bros. Entertainment Inc.
King – der fünf Jahre später erschossen
wurde. Freilich hat sich seither einiges in
den USA maßgeblich verändert, viele Bundesstaaten haben ihre Waffengesetze mehrfach verschärft, ein Schwarzer ist Präsident
geworden. Amerikas alte „Waffen-Kultur“
wirkt dennoch weiter und global, insbesondere auch über die neuen „Medien“ Internet
und Computerspiele.
Und darin erscheinen in ihrer Präzision
kaum zu übertreffende Schusswaffen weiterhin als besonders geeignetes Tatwerkzeug für Massaker, weil sich der Täter
durch ihren Gebrauch in einer ganz besonderen Machtposition wiederfindet. Der blutige Massenmord wirkt dann in einer perversen, gefühlskalten Denkart sogar noch
als ästhetischer „Gewalt-Porno“. Glaubt
man der psychologischen und soziologischen Forschung, ist es genau das, worauf
es Amokläufern heutzutage ankommt.
Waffen-Kultur
eines Amokläufers
Man müsse das Skript lesen lernen, das
„Autoren“ wie der Amokläufer Tim K. vor
ihren Taten angefertigt hätten, schrieb am
17. März der Frankfurter Psychologe Martin Altmeyer als Gastautor in dieser Zeitung: „das Skript für ein narzisstisches
Drama, bei dem die Drehbuchschreiber zugleich die Hauptrolle übernehmen, die Nebenrollen besetzen und bis zum großen Finale die Dramaturgie bestimmen“.
Für ihre Dramaturgie, ihren inneren
Film, ihr Machtgefühl, bräuchten die Täter
„einen Dritten, der als Zeuge oder Zuschauer am Tatgeschehen teilhat und dem Täter
seine absolute Verfügung über das Opfer
bescheinigt“, so Altmeyer. Ein erschüttertes Publikum – und sei es nur ein imaginäres Publikum in der Vorstellungswelt des
Tatausführenden – sei unverzichtbar, „um
jenen Spiegel- und Resonanzraum herzustellen, der die Gewaltbotschaft aufnimmt
und dem Täter zurückmeldet, dass sie angekommen ist: Ich habe den anderen vernichtet – und die Welt hat dabei zugesehen“.
Führt man Altmeyers Gedankengänge
weiter, so erscheinen Schusswaffen tatsächlich als besonders geeignet, Machtfantasien auszuleben. Gegen Schusswaffen
sind unbewaffnete Opfer massenweise
machtlos, gegen Messer, eine Axt, ja, selbst
gegen eine Motorsäge oder was auch immer
wäre eine Verteidigung zumindest teilweise
möglich. Und: Die menschliche Hemmschwelle ist mitunter größer, reihenweise
auf Menschen einzustechen, einzuschlagen,
als reihenweise „einfach so“ den Auslöser
einer Schusswaffe zu drücken.
Vor diesem Hintergrund scheint auch folgender Satz des Waiblinger Polizeichefs
Ralf Michelfelder während eines Gesprächs
mit dieser Zeitung verständlicher: „Es ist
einfacher, eine Schusswaffe auszulösen, als
unmittelbare Gewalt gegen einen Menschen
auszuüben.“
Vor allem ist es wohl aber die vollkommene Machtlosigkeit der Opfer gegen Schusswaffen, worauf es Tätern ankommen könnte – kann doch jeder Schuss unmittelbar
und präzise vernichtend wirken. Nicht zuletzt deshalb sind auch Schulen als soziale
Orte der wehrlosen und unbewaffneten Zivilgesellschaft bevorzugte Ziele jugendlicher Amokläufer.
„Wenn unschuldige Kinder und Jugendliche ums Leben kommen, dann schockt und
empört dies die Öffentlichkeit umso mehr.
Die Tat bekommt umso größere öffentliche
Aufmerksamkeit“, sagt Landesjustizminister Ulrich Goll.
Waffen-Kultur
in Weiler zum Stein
Was wäre also wenn – wenn Tim K. in Weiler zum Stein nicht umgeben gewesen wäre
vom Einfluss einer „Waffen-Kultur“, sei es
einer globalen via Film, Internet, Computerspiele und So-tun-als-ob-Spielchen mit
Softair-Waffen oder einer gutbürgerlichen
„Waffen-Kultur“ im Rahmen der Aktivitäten des Vaters als Sportschütze und Waffensammler beim SSV Leutenbach?
Für den Waiblinger SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer ist zumindest
eine Sache gewiss: Mit tatauslösend sei die
Gelegenheit gewesen, „dass der Vater Waffen zu Hause hatte“, „der leichte Zugang“
zu den Waffen und „die ständige Assoziation, der unmittelbare Kontakt“ des 17-jährigen Täters damit.
Bei den Amokläufen von Winnenden, Erfurt, Bad Reichenhall ebenso wie in Branneburg (Bayern), wo im Jahr 2000 ein 16jähriger Schüler einen Internatsleiter erschoss, benutzten die Täter legale Waffen
(in Erfurt zumindest eine), so Scheer. Damit
sei klar, dass das Waffenrecht eben doch ein
Ansatz sei, um solche Amoktaten in Zukunft zu verhindern. In England habe Tony
Blair das Verbot privater Handfeuerwaffen
nach einem schlimmen Amoklauf 1997
durchgesetzt (wir berichteten). Das sollte
nun auch in Deutschland möglich sein, sagt
Scheer. 1,5 bis zwei Millionen Sportschützen hierzulande werden ihm widersprechen. Das sind 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Folgenschwere Dummheiten
Anzeige, Schulverweis, Ausbildungsplatzverlust: Nachahmungstätern vergeht das Lachen
Von unserem Redaktionsmitglied
Anne-Katrin Schneider
Waiblingen.
45 Hinweise auf mögliche Amokläufe
hat die Polizeidirektion Waiblingen seit
dem schrecklichen 11. März erhalten.
Acht davon waren ernstzunehmen. Die
Täter wurden gefasst. „Nach Äußerungen im Internet ist es leicht, die Täter
über die IP-Adresse aufzuspüren“, sagt
Polizeisprecher Klaus Hinderer.
Sein Kollege, Kriminaloberkommissar Uwe
Belz, hat häufig mit solchen Fällen zu tun.
Seine Einschätzung: „Die meisten wissen
nicht, dass sie mit so einem Blödsinn eine
Straftat begehen.“
Belz berichtet von einem Auszubildenden, den sein Chef nach einer Drohung per
E-Mail sofort entlassen wollte. Durchsuchung und Gespräch mit dem Verfasser und
dessen Eltern ergaben: ehrliche Reue und
keine Hinweise auf eine Tatplanung. „Wir
konnten den Firmenleiter nur schwer beruhigen. Er wollte ihn sofort entlassen. Nun
darf der Auszubildende zumindest noch
seine Lehrzeit beenden.“ Eigentlich, so
Belz, war ihm der Anschlussvertrag versprochen worden. Nun sitzt der junge Mann
vermutlich bald auf der Straße. In Zeiten
der Wirtschaftskrise ein Drama.
In einem anderen Fall schrieb ein Abiturient eine E-Mail an einen Kumpel. Er hätte
auch mal „Lust, in seiner Schule ein paar
umzuknallen“, stand darin. Die Polizei
durchsuchte sein Zimmer, fand keine Waffen. Auch dieser Schüler sprach von „einem
Scherz“ und bereute „seine Dummheit“ zutiefst. Weil der junge Mann vielleicht kurz
vor seinem Abi von der Schule geflogen
wäre, behandelte die Polizei die Anzeige
diskret. Ausnahmsweise.
In Fällen, in denen eine bestimmte Schule
als Ziel der Drohung genannt wird, geht das
nicht: Eine 21-Jährige erzählt: Per Durchsage wurden alle Lehrer zu einer Besprechung beordert. Kurz darauf, nach der großen Pause, waren dann alle Türen von außen verriegelt. Keiner wusste, warum. Als
Polizeiautos und ein Krankenwagen vorfuhren, waren die Schüler irritiert. Später
sahen sie, wie eine 16-Jährige abgeführt
wurde. Sie soll, so eine weitere Durchsage
am Nachmittag, eine Amokdrohung gegenüber dem Direktor gestanden haben. Folge:
Schulverweis.
Die Polizei steht vor einer schwierigen
Aufgabe: Sie muss entscheiden, welcher
Fall ernstzunehmen ist und welcher nicht.
Sie darf nicht überreagieren, aber auch
nichts verharmlosen. „Wir erhalten viele
Hinweise, von denen wir vor dem 11. März
vermutlich nie Kenntnis erlangt hätten.
Das ist verständlich, die Bevölkerung ist
sensibilisiert, die Alarmglocken läuten
schnell“, sagt Uwe Belz.
Während er spricht, sitzt ein Schüler vor
der Tür seines Büros. Er soll, so hatte eine
Mitschülerin ausgesagt, mit einem Amoklauf gedroht haben. Zeugen gibt es nicht.
Der Junge und seine Lehrer bewerten den
Vorfall anders: Der Junge sei von der ganzen Klasse gemobbt, vermutlich regelrecht
dazu gedrängt worden, eine entsprechende
Aussage zu machen. „Er war, wie sich erst
im Nachhinein herausstellte, ein Opfer“, so
Hinderer. Es gebe eben auch Fälle, in denen
Jugendliche gezielte Falschaussagen ma-
chen, um anderen eins auszuwischen.
„Wenn so etwas herauskommt, werden sie
wegen einer Falschaussage angezeigt.“ In
den meisten Fällen gehe es um männliche
Täter, aber durchaus nicht nur um Schüler:
Ein 42-Jähriger und ein 24-Jähriger sind
bereits verurteilt worden. Auch Kinder, die
das Geschehen offensichtlich schwer verarbeiten könnten, würden manchmal mit
Amoklaufen drohen, weil, so Hinderer,
„ihre kindliche Fantasie mit ihnen durchgeht“.
Einiges ist nicht bedrohlich
Einige Hinweise seien nicht als bedrohlich
einzustufen. Sie entsprängen der Angst, die
seit dem 11. März grassiert. Ein Mittelstufenschüler beispielsweise habe die Schweigeminute zum Gedenken der Opfer nicht
eingehalten und wurde deswegen der Polizei gemeldet. Ein anderer, so die Lehrer,
gelte als „Außenseiter“ und sei möglicherweise gefährdet. Ein Mädchen, das mit einem Opfer befreundet war, habe in einer
Diskussion weinend geäußert, dass man angesichts des Mobbings durchaus die Nerven
verlieren könne und dass sie den Täter verstehen könne. Auch sie wurde polizeilich
vernommen. „Egal, ob ernst oder nicht
ernst, wir gehen allen Hinweisen nach“,
sagt Hinderer. Und bislang habe man alle
Täter und Verdächtige sehr schnell aufgespürt. Hinderer: „Die meisten, die schnell
mal was in ein Forum tippen, rechnen sicherlich nicht damit, dass wir am nächsten
Tag vor der Tür stehen.“
Und den Scherz, den sich die meisten hätten erlauben wollen, den würde vermutlich
keiner wiederholen.