Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer
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Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer
C 6 Rems-Murr RUNDSCHAU Nummer 86 – RMR3 Mittwoch, 15. April 2009 EXTRA: TELEFON 0 71 51 / 566 -275 FAX 0 71 51 / 566 -402 E-MAIL [email protected] ONLINE www.zvw.de Waffendiskussion, ein seltsamer Spendenaufruf und Trittbrettfahrer Die Faszination für Schusswaffen Suspekter Spendenaufruf Der Stellenwert von Feuerkraft im Rahmen der Inszenierung von Männlichkeit, Macht und Gewalt Von zwei Studentinnen Winnenden. Winnender Bürger haben am Ostermontag einen suspekten Spendenaufruf für die Hinterbliebenen des Amoklaufes in ihren Briefkästen vorgefunden. Offiziellen Helfergruppen und auch bei der Stadt Winnenden war eine derartige Spendenaktion nicht bekannt. Derweil ergaben die polizeilichen Nachforschungen: zwei Studentinnen in Heidelberg, die „nur helfen wollten“, sind die Initiatorinnen. In dem suspekten Spendenaufruf steht unter anderem: „Mit nur einem Anruf helfen sie den Hinterbliebenen, für die Folgekosten aufzukommen. Spenden Sie 5 Euro pro Anruf.“ Die Bürger werden aufgefordert, eine 0900er-Nummer zu wählen, die pro Anruf eben fünf Euro kostet. Dieses Geld solle angeblich an die Betroffenen weitergeleitet werden. Wie die Polizei herausbekommen hat, stecken hinter dem Spendenaufruf zwei Studentinnen in Heidelberg, die nun noch eingehender vernommen werden müssen, so Polizeisprecher Klaus Hinderer. Die beiden hätten nur helfen wollen und dementsprechend einen Telekommunikationsdienstleister beauftragt. Von gespendeten fünf Euro behalte der Dienstleister 1,25 Euro als Bearbeitungsgebühren ein, die restlichen 3,75 Euro wollten die Studentinnen später gesammelt den Betroffenen von Winnenden zukommen lassen, so die Eigenaussagen der beiden Damen. Die „Spenden-Hotline“ wurde derweil abgeschaltet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter. Auffällig bleibt, dass auf dem Schreiben kein Impressum angegeben ist. Falls Bürger dem Aufruf gefolgt sind, werden diese gebeten, sich bei der Polizei zu melden: ) 0 71 95 / 69 40. Mit diesem suspekten Spendenaufruf wollten zwei Studentinnen „nur helfen“. Von unserem Redaktionsmitglied Nils Graefe Was macht die Faszination für Schusswaffen aus? Wie könnte sich womöglich die amerikanische „Waffen-Kultur“ global, im Kopf des Amokläufers des 11. März und in Weiler zum Stein ausgewirkt haben? Hier der Versuch, darauf spekulative Antworten zu geben. Waffen-Kultur in den USA und global Wie auch die öffentliche Diskussion der Briten rund um den Amoklauf von Dunblane 1996 und die darauf folgende drastische Verschärfung des Waffenrechts 1997 zeigte (wir berichteten), wollten die Befürworter des Verbots von Kurzwaffen in privater Hand in Großbritannien dieses auch als ausgesprochene Ablehnung der „WaffenKultur“ amerikanischen Schlags verstanden wissen. Man kann diese „Waffen-Kultur“ getrost charakterisieren als r eine Kultur, in der die Geschichte der mutmaßlich glorreichen Pionierzeit und des Wilden Westens verklärt wird; r eine als solche stilisierte Kultur der Cowboys, Abenteurer und Gewehre; r eine Kultur in einem Land mit urgewaltiger Wildnis, in der man angeblich nur mit Feuerkraft bestehen kann; r eine Kultur, in der alles wehrhaft Patriotische sowie jedwede Selbstjustiz in Superhelden-Manier Faszination ausübt und ein cooler Gangsterkult in den städtischen Ballungszentren Tradition hat; r eine Kultur, in der offenbar viele Männer erst mit einer schussbereiten Waffe zum Mann zu werden vermögen; r eine Kultur, in der auch der Kalte Krieg noch nachwirkt, und zwecks Abwehrbereitschaft eine private Bewaffnung erforderlich erscheint – gegen den imaginären Feind hinter dem längst verschwundenen Eisernen Vorhang, und sei es im amerikanisierten Europa „nur“ noch gegen die Einbrecherbanden aus dem ehemaligen Ostblock; r eine Kultur, von der aus über die Traumfabrik Hollywood eine Waffen-Ästhetik in die Welt hinausgetragen wird – nicht zuletzt durch Zeitlupenaufnahmen von fliegenden Projektilen und von als künstlerische Tänze inszenierten Schießereien. r eine waffenverherrlichende global gewordene Kultur eben, die insbesondere im Zuge der charakterlichen Entwicklung psychisch nicht gefestigter Hagestolze sowie auf in ihrer Männlichkeit Gekränkte oder schlichtweg Schizophrene fatal wirken kann. „Durch unsere Bereitschaft, den Kauf von Waffen nach Belieben zu erlauben und je nach Laune damit zu schießen; dadurch, dass wir erlauben, dass Filme und Fernsehsendungen unsere Kinder lehren, der Held ist jener, welcher die Kunst des Schießens und die Technik des Tötens meistert. . ., haben wir eine Atmosphäre geschaffen, in der Gewalt und Hass populärer Zeitvertreib geworden sind“, kommentierte 1963 der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther Leserbriefe Freiheit und Verbote Falsche Verdächtigungen? Betr.: Diskussionen um das Waffenrecht nach dem Amoklauf In einem Freiheitsstaat muss die Frage immer heißen, warum nicht? Welche Gefahr geht denn von legalen, erlaubnispflichtigen Schusswaffen aus, denn nur die kann ein Verbot treffen. 2002 gab es mit diesen Waffen zwölf Straftaten mit Todesfolge und drei Körperverletzungen (15 schwere Vergehen). 2007 starben 461 Menschen unter uns an Aids plus 2800 Neuerkrankungen (Todesurteile auf Raten) – verbieten wir deshalb jetzt den Geschlechtsverkehr? Begründung: Sex braucht keiner, künstliche Befruchtungen funktionieren auch, und nur so wäre ein maximaler Schutz der Gesellschaft vor Ansteckung gewährleistet. 2007: Verkehrsunfälle 2,3 Millionen mit 5500 Toten und 408 000 Verletzten; in circa 410 000 Fällen mit Personenschaden ist ein Fehlverhalten ursächlich wie Alkohol, Rasen, Drängeln; Schlussfolgerung: Autos mit 30 PS sind ab jetzt völlig ausreichend, und in Anlehnung an das Waffengesetz gibt es ein Mindestalter von 25 Jahren und einmal im Jahr eine Haarprobe – wenn Drogenkonsum inklusive Alkohol festgestellt wird, erfolgt sofortiger Führerscheinentzug. Wenn 15 schwere Vergehen Einzelner eine Einschränkung des Freiheitsstaates für alle rechtfertigt, was rechtfertigen dann die genannten Tausende von Toden? Niemand wird zum Amokläufer, weil er Zugriff auf Waffen hat, sondern weil er sich von seinem direkten sozialen Umfeld verlassen und verraten fühlt. Wer dies nicht akzeptiert und nur einen Sündenbock sucht oder seine ideologisch geprägte Meinung durchsetzen will, trägt Mitverantwortung, wenn sich das nächste Mal trauernde Eltern fragen „warum?“. Bernhard Huschka, Bei der Zehntscheuer 13, Winterbach Betr.: Bluttat in Eislingen Anfangsverdacht ist kein Generalverdacht gegen Schützenbrüder! Ist die Vermutung ausreichend für eine Inhaftierung? Warum wird der Generalverdacht gegen alle Schützenvereinsmitglieder in BadenWürttemberg und Deutschland geduldet? Das gebetsmühlenartige Wiederholen von Verboten durch Elternvereine, einigen Lehrern, die Kinder nicht schützen können, ist die falsche Ideologie und kommt allmählich noch zu einem Verbot der Bundeswehr und Soldaten, die mit 17 Jahren an allen Waffen ausgebildet werden, damit die Treue zum Vaterland ausgeübt werden kann. Den leidvollen betroffenen Familien von Bluttaten – ich leide mit – kann man nachträglich nicht helfen. Bedenken Sie, dass ein Schäfer (Hausherr) verantwortlich ist für seine Schafe und diese vor reißenden Bestien schützen muss. Man vertraut nur demjenigen seine Schafe an, der es versteht, Schutz zu gewähren. Die Polizei und Staatsanwaltschaft hat gemäß Paragraf 152 II Strafprozessrecht nach „zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten“, die es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, dass eine Straftat vorliegt, zu ermitteln. Der Begriff des Beschuldigten wird von der Strafprozessordnung unterschiedlich bezeichnet. Beschuldigter heißt der Betroffene während des Verfahrens. Doch die Stellung als Beschuldigter darf nicht alleine vom Willen der Behörde abhängen! Es muss objektiv ein hinreichender Anfangsverdacht hinzukommen. Ich meine, alles braucht seine Zeit, um keine Schnellschüsse in punkto Saustaat/Unrechtsstaat, blöde Polizei abzugeben. Walter Buhl, Schurwaldstraße 69, Stuttgart (ehemals Weiler zum Stein) Über die Traumfabrik Hollywood wird eine Waffen-Ästhetik hinaus in die Welt getragen, die fatal wirken kann (im Bild eine Szene aus einem der Matrix-Filme mit Keanu Reeves, links). Screenshot: http://whatisthematrix.warnerbros.com/; TM & © 2009 Warner Bros. Entertainment Inc. King – der fünf Jahre später erschossen wurde. Freilich hat sich seither einiges in den USA maßgeblich verändert, viele Bundesstaaten haben ihre Waffengesetze mehrfach verschärft, ein Schwarzer ist Präsident geworden. Amerikas alte „Waffen-Kultur“ wirkt dennoch weiter und global, insbesondere auch über die neuen „Medien“ Internet und Computerspiele. Und darin erscheinen in ihrer Präzision kaum zu übertreffende Schusswaffen weiterhin als besonders geeignetes Tatwerkzeug für Massaker, weil sich der Täter durch ihren Gebrauch in einer ganz besonderen Machtposition wiederfindet. Der blutige Massenmord wirkt dann in einer perversen, gefühlskalten Denkart sogar noch als ästhetischer „Gewalt-Porno“. Glaubt man der psychologischen und soziologischen Forschung, ist es genau das, worauf es Amokläufern heutzutage ankommt. Waffen-Kultur eines Amokläufers Man müsse das Skript lesen lernen, das „Autoren“ wie der Amokläufer Tim K. vor ihren Taten angefertigt hätten, schrieb am 17. März der Frankfurter Psychologe Martin Altmeyer als Gastautor in dieser Zeitung: „das Skript für ein narzisstisches Drama, bei dem die Drehbuchschreiber zugleich die Hauptrolle übernehmen, die Nebenrollen besetzen und bis zum großen Finale die Dramaturgie bestimmen“. Für ihre Dramaturgie, ihren inneren Film, ihr Machtgefühl, bräuchten die Täter „einen Dritten, der als Zeuge oder Zuschauer am Tatgeschehen teilhat und dem Täter seine absolute Verfügung über das Opfer bescheinigt“, so Altmeyer. Ein erschüttertes Publikum – und sei es nur ein imaginäres Publikum in der Vorstellungswelt des Tatausführenden – sei unverzichtbar, „um jenen Spiegel- und Resonanzraum herzustellen, der die Gewaltbotschaft aufnimmt und dem Täter zurückmeldet, dass sie angekommen ist: Ich habe den anderen vernichtet – und die Welt hat dabei zugesehen“. Führt man Altmeyers Gedankengänge weiter, so erscheinen Schusswaffen tatsächlich als besonders geeignet, Machtfantasien auszuleben. Gegen Schusswaffen sind unbewaffnete Opfer massenweise machtlos, gegen Messer, eine Axt, ja, selbst gegen eine Motorsäge oder was auch immer wäre eine Verteidigung zumindest teilweise möglich. Und: Die menschliche Hemmschwelle ist mitunter größer, reihenweise auf Menschen einzustechen, einzuschlagen, als reihenweise „einfach so“ den Auslöser einer Schusswaffe zu drücken. Vor diesem Hintergrund scheint auch folgender Satz des Waiblinger Polizeichefs Ralf Michelfelder während eines Gesprächs mit dieser Zeitung verständlicher: „Es ist einfacher, eine Schusswaffe auszulösen, als unmittelbare Gewalt gegen einen Menschen auszuüben.“ Vor allem ist es wohl aber die vollkommene Machtlosigkeit der Opfer gegen Schusswaffen, worauf es Tätern ankommen könnte – kann doch jeder Schuss unmittelbar und präzise vernichtend wirken. Nicht zuletzt deshalb sind auch Schulen als soziale Orte der wehrlosen und unbewaffneten Zivilgesellschaft bevorzugte Ziele jugendlicher Amokläufer. „Wenn unschuldige Kinder und Jugendliche ums Leben kommen, dann schockt und empört dies die Öffentlichkeit umso mehr. Die Tat bekommt umso größere öffentliche Aufmerksamkeit“, sagt Landesjustizminister Ulrich Goll. Waffen-Kultur in Weiler zum Stein Was wäre also wenn – wenn Tim K. in Weiler zum Stein nicht umgeben gewesen wäre vom Einfluss einer „Waffen-Kultur“, sei es einer globalen via Film, Internet, Computerspiele und So-tun-als-ob-Spielchen mit Softair-Waffen oder einer gutbürgerlichen „Waffen-Kultur“ im Rahmen der Aktivitäten des Vaters als Sportschütze und Waffensammler beim SSV Leutenbach? Für den Waiblinger SPD-Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer ist zumindest eine Sache gewiss: Mit tatauslösend sei die Gelegenheit gewesen, „dass der Vater Waffen zu Hause hatte“, „der leichte Zugang“ zu den Waffen und „die ständige Assoziation, der unmittelbare Kontakt“ des 17-jährigen Täters damit. Bei den Amokläufen von Winnenden, Erfurt, Bad Reichenhall ebenso wie in Branneburg (Bayern), wo im Jahr 2000 ein 16jähriger Schüler einen Internatsleiter erschoss, benutzten die Täter legale Waffen (in Erfurt zumindest eine), so Scheer. Damit sei klar, dass das Waffenrecht eben doch ein Ansatz sei, um solche Amoktaten in Zukunft zu verhindern. In England habe Tony Blair das Verbot privater Handfeuerwaffen nach einem schlimmen Amoklauf 1997 durchgesetzt (wir berichteten). Das sollte nun auch in Deutschland möglich sein, sagt Scheer. 1,5 bis zwei Millionen Sportschützen hierzulande werden ihm widersprechen. Das sind 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Folgenschwere Dummheiten Anzeige, Schulverweis, Ausbildungsplatzverlust: Nachahmungstätern vergeht das Lachen Von unserem Redaktionsmitglied Anne-Katrin Schneider Waiblingen. 45 Hinweise auf mögliche Amokläufe hat die Polizeidirektion Waiblingen seit dem schrecklichen 11. März erhalten. Acht davon waren ernstzunehmen. Die Täter wurden gefasst. „Nach Äußerungen im Internet ist es leicht, die Täter über die IP-Adresse aufzuspüren“, sagt Polizeisprecher Klaus Hinderer. Sein Kollege, Kriminaloberkommissar Uwe Belz, hat häufig mit solchen Fällen zu tun. Seine Einschätzung: „Die meisten wissen nicht, dass sie mit so einem Blödsinn eine Straftat begehen.“ Belz berichtet von einem Auszubildenden, den sein Chef nach einer Drohung per E-Mail sofort entlassen wollte. Durchsuchung und Gespräch mit dem Verfasser und dessen Eltern ergaben: ehrliche Reue und keine Hinweise auf eine Tatplanung. „Wir konnten den Firmenleiter nur schwer beruhigen. Er wollte ihn sofort entlassen. Nun darf der Auszubildende zumindest noch seine Lehrzeit beenden.“ Eigentlich, so Belz, war ihm der Anschlussvertrag versprochen worden. Nun sitzt der junge Mann vermutlich bald auf der Straße. In Zeiten der Wirtschaftskrise ein Drama. In einem anderen Fall schrieb ein Abiturient eine E-Mail an einen Kumpel. Er hätte auch mal „Lust, in seiner Schule ein paar umzuknallen“, stand darin. Die Polizei durchsuchte sein Zimmer, fand keine Waffen. Auch dieser Schüler sprach von „einem Scherz“ und bereute „seine Dummheit“ zutiefst. Weil der junge Mann vielleicht kurz vor seinem Abi von der Schule geflogen wäre, behandelte die Polizei die Anzeige diskret. Ausnahmsweise. In Fällen, in denen eine bestimmte Schule als Ziel der Drohung genannt wird, geht das nicht: Eine 21-Jährige erzählt: Per Durchsage wurden alle Lehrer zu einer Besprechung beordert. Kurz darauf, nach der großen Pause, waren dann alle Türen von außen verriegelt. Keiner wusste, warum. Als Polizeiautos und ein Krankenwagen vorfuhren, waren die Schüler irritiert. Später sahen sie, wie eine 16-Jährige abgeführt wurde. Sie soll, so eine weitere Durchsage am Nachmittag, eine Amokdrohung gegenüber dem Direktor gestanden haben. Folge: Schulverweis. Die Polizei steht vor einer schwierigen Aufgabe: Sie muss entscheiden, welcher Fall ernstzunehmen ist und welcher nicht. Sie darf nicht überreagieren, aber auch nichts verharmlosen. „Wir erhalten viele Hinweise, von denen wir vor dem 11. März vermutlich nie Kenntnis erlangt hätten. Das ist verständlich, die Bevölkerung ist sensibilisiert, die Alarmglocken läuten schnell“, sagt Uwe Belz. Während er spricht, sitzt ein Schüler vor der Tür seines Büros. Er soll, so hatte eine Mitschülerin ausgesagt, mit einem Amoklauf gedroht haben. Zeugen gibt es nicht. Der Junge und seine Lehrer bewerten den Vorfall anders: Der Junge sei von der ganzen Klasse gemobbt, vermutlich regelrecht dazu gedrängt worden, eine entsprechende Aussage zu machen. „Er war, wie sich erst im Nachhinein herausstellte, ein Opfer“, so Hinderer. Es gebe eben auch Fälle, in denen Jugendliche gezielte Falschaussagen ma- chen, um anderen eins auszuwischen. „Wenn so etwas herauskommt, werden sie wegen einer Falschaussage angezeigt.“ In den meisten Fällen gehe es um männliche Täter, aber durchaus nicht nur um Schüler: Ein 42-Jähriger und ein 24-Jähriger sind bereits verurteilt worden. Auch Kinder, die das Geschehen offensichtlich schwer verarbeiten könnten, würden manchmal mit Amoklaufen drohen, weil, so Hinderer, „ihre kindliche Fantasie mit ihnen durchgeht“. Einiges ist nicht bedrohlich Einige Hinweise seien nicht als bedrohlich einzustufen. Sie entsprängen der Angst, die seit dem 11. März grassiert. Ein Mittelstufenschüler beispielsweise habe die Schweigeminute zum Gedenken der Opfer nicht eingehalten und wurde deswegen der Polizei gemeldet. Ein anderer, so die Lehrer, gelte als „Außenseiter“ und sei möglicherweise gefährdet. Ein Mädchen, das mit einem Opfer befreundet war, habe in einer Diskussion weinend geäußert, dass man angesichts des Mobbings durchaus die Nerven verlieren könne und dass sie den Täter verstehen könne. Auch sie wurde polizeilich vernommen. „Egal, ob ernst oder nicht ernst, wir gehen allen Hinweisen nach“, sagt Hinderer. Und bislang habe man alle Täter und Verdächtige sehr schnell aufgespürt. Hinderer: „Die meisten, die schnell mal was in ein Forum tippen, rechnen sicherlich nicht damit, dass wir am nächsten Tag vor der Tür stehen.“ Und den Scherz, den sich die meisten hätten erlauben wollen, den würde vermutlich keiner wiederholen.