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Niedersächsisches
Ministerium für Inneres und Sport
1
Vorwort
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
nachdem die Broschüre des Niedersächsischen Innenministeriums über Skinheads in
7 Auflagen erschienen ist, freue ich mich, Ihnen eine gänzlich überarbeitete und um die
Themen Neonazistische Kameradschaften
erweiterte Broschüre vorstellen zu können.
Im Anhang finden Sie darüber hinaus eine
Aufstellung über Verbote neonazistischer
Organisationen sowie verbotene Symbole
und Kennzeichen. Jeder kann sehen, dass
der demokratische Rechtsstaat auch durch
Verbote gezielt gehandelt und Verstöße
gegen unsere freiheitliche demokratische
Grundordnung nicht hingenommen hat
und auch künftig nicht hinnehmen wird. Ich
hoffe, dass auch die neue Broschüre insbesondere von jungen Menschen gelesen und
auch für schulische Zwecke eingesetzt wird. Informierte Bürgerinnen und Bürger
bieten den besten Schutz vor der extremistischen Skinhead- und Kameradschaftsszene, die in diesem Heft beschrieben wird.
Erstmals in den Jahren 1983/84 wurden in den niedersächsischen Verfassungsschutzberichten Skinheads im Zusammenhang mit der Beobachtung rechtsextremistischer
Bestrebungen erwähnt („Rechtsextremistische Beeinflussung von Skinheads, Fußballfans u.a.“). Niedersachsen gehörte zu den ersten Bundesländern, in denen die
aus Großbritannien stammende Subkultur Anfang der 80er Jahre öffentlich anlässlich der Chaos-Tage in Hannover in Erscheinung trat. In den Folgejahren wuchs die
Skinheadszene kontinuierlich an, insbesondere in den 90er Jahren vollzog sich nach
der Wiedervereinigung ein rapider Anstieg. Im Verlaufe der Jahre beobachteten
die Verfassungsschutzbehörden, dass Teile der zunächst weitgehend unpolitischen,
später diffus rechtsextremistischen Skinhead-Bewegung zunehmend neonazistisch
beeinflusst wurden. In dieser Hinsicht hervorzuheben ist die Verfestigung der neonazistischen Beeinflussung bei den Hammerskins und den Blood & Honour - Skins.
Zu einer besonderen Herausforderung für die Sicherheitsbehörden entwickelten sich
die Skinheads wegen der von ihnen begangenen Gewalttaten gegen Ausländer und
andere Minderheiten, die sie in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung
des Rechtsextremismus rückten. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht die Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte und von türkischen Bürgern bewohnte Häuser sowie Übergriffe auf Angehörige ethnischer Minderheiten, Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Homosexuelle. Die sich in diesen Übergriffen manifestierende
Menschenverachtung wurde unter anderem über die Hassbotschaften der rechtsextremistischen Skinhead-Musik und über Konzertveranstaltungen transportiert. Ge-
2
rade die Konzerte und die Skinhead-Musik bringen häufig Jugendliche erstmals mit
der rechten Szene in Kontakt und wirkten im schlechten Sinne identitätsstiftend. In
zum Teil offener Weise verherrlichen die von den rechtsextremistischen Skinheads
verbreiteten Musik-CDs den Nationalsozialismus. Ungeachtet der bisherigen erfolgreichen Strafverfolgungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden hat sich inzwischen
ein rechtsextremistischer Musikmarkt entwickelt, weil durch das internationale Wirken Zugriffe erheblich erschwert werden.
Ein Charakteristikum der Skinheads ist die fehlende Bereitschaft, sich in feste Organisationen und Strukturen einbinden zu lassen. Abweichend von dieser allgemeinen
Aussage lässt sich festhalten, dass sich ein Teil der rechtsextremistischen Skinheads
auch in Niedersachsen neonazistischen Kameradschaften angeschlossen hat. Mittlerweile kann in Bezug auf die meisten der in Niedersachsen vom Niedersächsischen
Landesamt für Verfassungsschutz beobachteten 20 Kameradschaften von „Mischszenen“ aus Neonazis und Skinheads gesprochen werden.
Die Bildung der neonazistischen Freien Kameradschaften stellte eine Reaktion auf
die Vereinsverbote neonazistischer Organisationen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre dar. Über ihre Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten versuchte
die NPD seit Mitte der neunziger Jahre Einfluss auf die in Kameradschaften organisierten Neonazis und damit auf einen Teil der rechtsextremistischen Skinheadszene
zu gewinnen. Im Zuge dieses wechselseitigen Zusammenspiels haben sowohl die
Kameradschaftsszene als auch teilweise die NPD Veränderungen erfahren. So verlor
die JN im Zuge des NPD-Verbotsverfahrens einerseits an Akzeptanz in der neonazistischen Szene. Andererseits finden immer wieder Veranstaltungen statt, auf denen
sowohl Skinheads und Neonazis als auch NPD-Mitglieder gemeinsam in Erscheinung
treten, wie z.B. auf den Pressefesten des Deutsche Stimme Verlages der NPD, den
Demonstrationen gegen die „Wehrmachtsausstellung“ oder den Rudolf Heß-Gedenkmärschen in Wunsiedel im August.
Die nachfolgenden Ausführungen, die vom Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz erarbeitet worden sind, zeichnen diesen Prozess nach und leiten aus
den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen eine Prognose über künftige Entwicklungstendenzen der Skinhead- und Kameradschaftsszene ab. Sie sollen Jugendlichen helfen, einen wachsamen, kritischen Umgang mit solchen für unsere Demokratie gefährlichen Erscheinungsformen der politischen Subkultur zu ermöglichen.
3
Inhaltsübersicht
Rechtsextremistische Skinheads . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Die Ursprünge der Skinhead-Bewegung in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Die Skinhead-Bewegung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Entwicklung der Skinhead-Szene in Niedersachsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Blood & Honour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Hammerskins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nicht extremistische Strömungen der Skinhead-Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Kontakte der Skinhead-Szene zu anderen gewaltgeneigten
neonazistischen Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
Fanzines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Skinhead-Konzerte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Rechtsextremistische Musikvertriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Skinhead-Musik als Transportmittel verfassungsfeindlicher Botschaften . . . . . .
19
Entwicklung der Skinhead-Bands in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
Nutzung des Internets durch die rechte Skinhead-Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
Radio Wolfsschanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Neonazistische Kameradschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Das Organisationsmodell der Freien Kameradschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kameradschaften in Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Die Kameradschaft Northeim als Beispiel für eine neonazistische
Kameradschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bestrebungen zur Vernetzung von Kameradschaften / „Nationales und
Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Nutzung der Kommunikationsmedien durch die neonazistischen
Kameradschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zum Zusammenspiel zwischen NPD und neonazistischer
Kameradschaftsszene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
Anhang
Verbote neonazistischer Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einschlägige Straftatbestände mit Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
4
Rechtsextremistische Skinheads
Rechtsextremistische Skinheads1
Vielfach werden mit dem Begriff Skinhead die Attribute rechtsextremistisch und gewalttätig assoziiert. Eine solche Sichtweise lässt die verschiedenen Strömungen innerhalb der Skinhead-Bewegung ebenso außer Acht wie die komplexe Entstehungsgeschichte, die die Skinhead-Bewegung als eine zunächst unpolitische Jugend-Subkultur erscheinen lässt. Ohne Zweifel allerdings weist das eher diffuse Wertesystem
der meisten Skinheads, insbesondere der überbetonte Männlichkeitskult, die Fremdenfeindlichkeit und der primitive Nationalstolz, Affinitäten zur Weltanschauung
neonazistischer Rechtsextremisten auf. Nicht zuletzt dies dürfte der Grund dafür
gewesen sein, warum es Neonazis gelang, Teile der Skinhead-Bewegung in ihrem
Sinne zu beeinflussen. Die Fokussierung auf diesen Teil der Skinhead-Bewegung
darf jedoch nicht dazu verleiten, sie in ihrer Gesamtheit als rechtsextremistisch zu
klassifizieren. Die Verfassungsschutzämter haben dem Rechnung getragen, indem
sie die Kategorie „subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten“ zur Kennzeichnung des gewaltbereiten unstrukturierten Rechtsextremismus eingeführt haben. Rechtsextremistische Skinheads bilden eine Teilmenge dieser
Kategorie.
Die folgende Darstellung versucht durch eine differenzierte Schilderung der Geschichte der Skinhead-Bewegung und ihrer verschiedenen Strömungen herauszuarbeiten, wo die Grenze zum Rechtsextremismus innerhalb der Skinhead-Bewegung
verläuft. Im Mittelpunkt der Betrachtung wird jedoch der rechtsextremistische Teil
der Skinhead-Bewegung stehen.
Die Ursprünge der Skinhead-Bewegung in Großbritannien2
Die Bildung der Skinhead-Bewegung als Jugend-Subkultur vollzog sich in zwei
zeitlich aufeinander folgenden Schüben in Großbritannien. Ende der sechziger
Jahre entstand dort aus Teilen von drei Subkulturen - Modernists, Rude-Boys und
Boot-Boys - die erste Skinheadbewegung. Das sich stark ähnelnde Aussehen der Anhänger der drei genannten Gruppierungen - eine „Uniform“ aus Stiefeln, Jeans und
T-Shirts sowie kurze Haare - wurde von den Skinheads übernommen. Wie ihre Vorgänger leiteten auch sie aus ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse einen elitären
Anspruch, einen subkulturellen Stolz ab. Zur Kennzeichnung der neuentstandenen
1
2
Vgl. Zur Geschichte und Ausprägung der Skinhead-Bewegung:
Christian Menhorn: Skinheads: Portrait einer Subkultur. Baden-Baden 2001;
Klaus Farin und Eberhard Seidel-Pielen: Skinheads. München 1993;
Klaus Farin: generation kick.de – Jugendsubkulturen heute. München 2001;
Susanne El-Nawab: Skinheads. Ästhetik und Gewalt. Frankfurt/Main 2001.
George Marshall: Spirit of `69. A Skinhead Bible. Dunoon 1991, schildert die Geschichte der Skinhead Bewegung in Großbritannien aus der Sicht eines Insiders. Marshalls Buch kann als Standard-Werk über den
Skin-Kult bezeichnet werden.
Christiane Tramitz: Unter Glatzen. Meine Begegnungen mit Skinheads. München 2001, vermittelt auf der
Grundlage von intensiven Gesprächen, die sie als Verhaltensforscherin mit Skinheads geführt hat, einen
Einblick in die Lebenswelt der Skinheads.
Einen Überblick über die komplexe Entstehungsgeschichte gibt die „Ahnentafel der Skinheads“ auf der
nächsten Seite, die von Christian Menhorn erstellt wurde.
Rechtsextremistische Skinheads
5
6
Rechtsextremistische Skinheads
Subkultur wurde 1968/69 von britischen Zeitungen erstmals der Begriff Skinhead
verwendet. Diese erste Skinhead-Bewegung war in erster Linie spaßorientiert. Das
Skinhead-Dasein stand für ein Lebensgefühl, Politik spielte nur insoweit eine Rolle,
als die Skinheads der ersten Stunde gegen etablierte bürgerliche Lebensverhältnisse rebellierten, indem sie kontinuierlich provozierten und Unhöflichkeit förmlich
inszenierten. Allerdings waren exzessiver Alkoholkonsum und Gewalt von Anfang
an elementare Bestandteile ihres Lebensstils. Bevorzugte Opfer von gewalttätigen
Übergriffen wurden Homosexuelle, Studenten, Einwanderer, insbesondere aber
so genannte Hippies, die von den sich einem tradierten Arbeiterethos verpflichtet
fühlenden Skinheads wegen ihrer bürgerlichen Herkunft und ihres schmuddeligen
Images abgelehnt wurden. Eine bevorzugte Opfergruppe bildeten daneben die
Einwanderer vom indischen Subkontinent. Jeder vierte Pakistani soll damals Opfer
des so genannten Paki-Bashing3 geworden sein. Die Übergriffe auf Pakistani zeigten
insofern ein widersprüchliches Verhalten, als die Skinheads selbst von jamaikanischen Einwanderern, also Ausländern, Elemente ihrer eigenen Subkultur, z. B. die
Ska-Musik, entlehnt hatten.
Bis Ende 1972 waren die Skinheads der ersten Generation völlig aus den Straßen
Großbritanniens verschwunden. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre formierte
sich eine zweite Generation der Skinhead-Bewegung aus den Reihen enttäuschter
Punks, den so genannten Streetpunks, die Outfit und Selbstverständnis der Skinheads für sich wiederentdeckten, um ihre Abkehr von den gestylten Modepunks
zum Ausdruck zu bringen. Bei dieser zweiten Skinhead-Generation handelte es sich
also ebenfalls um keine neue, sondern um die Transformation einer bestehenden
Subkultur. Schon bald bekam die neue Szene, die neben ehemaligen Punks auch
ehemalige Mods und Rude-Boys umfasste, den Namen Oi!-Bewegung4. Anfangs
noch unpolitisch waren die Skinheads der zweiten Generation bald einer intensiven
Einflussnahme aus dem rechts- und linksextremistischen Bereich ausgesetzt. Ende
der siebziger Jahre schließlich erreichte die Politisierung der Skinheads in Großbritannien ihren Höhepunkt. Große Erfolge bei der Einbindung der Skinheads hatte
zunächst die 1967 gegründete National Front, die beispielsweise der bekannten
Skinhead-Band Skrewdriver Übungsräume zur Verfügung stellte. Anfang der achtziger Jahre wurde die Vorherrschaft der neonazistischen britischen National Front
durch die Einflussnahme rechter Gruppierungen wie British Movement und später
Blood & Honour (B & H) abgelöst. Die rechtsextremistischen Organisationen profitierten bei ihren Einflussversuchen von der verschlechterten wirtschaftlichen Lage
in Großbritannien. Der Versuch rechtsextremistischer Einflussnahme vollzog sich,
ähnlich wie später auch in Deutschland, jedoch nicht widerspruchslos. Zahlreiche
Skinheads sahen die Ideale der Bewegung verraten und wendeten sich von ihr ab.
3
4
Vergleichbar dem so genannten „Fidschi-Klatschen“, d.h. körperlicher Übergriffe von Skinheads auf Vietnamesen im Osten Deutschlands.
Bei dem Begriff Oi! handelt es sich um einen Slang-Ausdruck, der aus dem Londoner Eastend stammt und
soviel wie „Hey!“ bedeutet. Dass Oi! zum Oberbegriff dieser Bewegung geworden ist, ist vermutlich der
Skinhead-Band Cockney Rejects zu verdanken, die ihre Songs bei Live-Konzerten nicht mit dem üblichen
„one, two, three“ anzählte, sondern mit „oi, oi, oi“.
Rechtsextremistische Skinheads
7
Entscheidend für die rechtsextremistische Neuausrichtung der Skinhead-Szene in
Großbritannien, für das Herausdrängen von Mods, Boot-Boys und Punks aus der
Bewegung, war ein Oi!-Konzert am 3. Juli 1981 im überwiegend von Pakistanis
bewohnten Londoner Stadtteil Southall. Während des Konzertes kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den angereisten Oi!-Skins und pakistanischen
Jugendlichen, in deren Verlauf das Veranstaltungslokal niederbrannte und 110
Menschen schwer verletzt wurden. Die Medien machten allein die Oi!-Skins für die
Ausschreitungen verantwortlich, obwohl die Gewalt von den pakistanischen Jugendlichen ausgegangen war. Seit Southall war Oi! ein Synonym für die rechtsextremistische Skinhead-Szene; erst seit Anfang der neunziger Jahre steht Oi! wieder
für unpolitische Skins.
Die Skinhead-Bewegung in Deutschland
In den Jahren 1977/78 traten die ersten Skinheads in der deutschen Öffentlichkeit
in Erscheinung, von einer Skinhead-Subkultur lässt sich ab 1980/81 sprechen. Die
deutsche Skinhead-Bewegung geht auf den Import der britischen Subkultur zurück.
Zum einen gelangte die Skinhead-Subkultur über die hier stationierten britischen
Streitkräfte nach Deutschland, zum anderen versorgten sich deutsche Punks mit
Szene-Zeitschriften (Fanzines) aus England, in denen ausführlich über die englische
Skinhead-Szene und die Oi!-Bewegung berichtet wurde. Innerhalb der Punk-Bewegung begann ein Differenzierungsprozess. Ähnlich wie in Großbritannien sympathisierten Teile der Punk-Bewegung mit der neuen Subkultur. Anfang der achtziger
Jahre vollzogen sie den Wechsel in die Skinhead-Szene, während sich im Gegenzug
ein anderer Teil der Punk-Bewegung politisch immer stärker nach links entwickelte.
Die so genannten Chaos-Tage in Hannover markierten den Bruch zwischen den beiden Jugend-Subkulturen. Konnten die „Chaos-Tage“ des Jahres 1983 noch als eine
Gemeinschaftsveranstaltung von Punks und Skinheads gelten, brachte die Folgeveranstaltung des Jahres 1984, in deren Verlauf es zu Straßenschlachten aufgrund
gegenseitiger Provokationen durch „Sieg Heil“- und „Nazis raus“-Rufe kam, die
mittlerweile bestehenden unversöhnlichen Differenzen zwischen den beiden Subkulturen zum Ausdruck. War die Skinhead-Szene bis 1984 noch recht überschaubar,
so setzte mit der endgültigen Abspaltung von der Punk-Szene ein enormer Zulauf
ein. Bereits 1986 soll die Szene eine Größenordnung von ein- bis zweitausend Personen gehabt haben, von denen ein Großteil eine ausländerfeindliche Einstellung
hatte5.
Als Ursache für die Politisierung der Skinheads sind mehrere Faktoren anzuführen.
Viele Skinheads dürften durch ihre Sozialisation bereits in diffuser Weise rechtsextremistisch vorgeprägt sein. Diese Grundeinstellung verstärkte sich noch durch
die gezielte Provokation der Öffentlichkeit durch nationalsozialistische Symbole,
deren Verwendung in der deutschen Gesellschaft einen Tabubruch darstellt. Die
Provokation mit nationalsozialistischen Symbolen dient dieser Subkultur zur identitätsstiftenden Abgrenzung. Ein übriges zur Politisierung der deutschen SkinheadBewegung beigetragen haben dürften die Orientierung an der britischen Szene,
5
Der Spiegel, Nr. 26 v. 07.07.1986, S. 86 ff.
8
Rechtsextremistische Skinheads
die sich entwickelnde deutsche Skinhead-Musik-Szene mit Bands wie „Kraft durch
Freude“ (KdF) oder anfangs den „Böhsen Onkelz“ und die Beeinflussung durch neonazistische Organisationen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die von
Michael Kühnen geführte Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten
(ANS/NA) und die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), deren niedersächsischer Landesvorsitzender, der Skinhead Thorsten Heise, die Verbindung beider
Szenen personifizierte. Jedoch erlangten weder diese Organisationen, noch die
rechtsextremistischen Parteien Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)
und Deutsche Volksunion (DVU) innerhalb der deutschen Skinhead-Szene einen
vergleichbaren Einfluss wie die National Front in England. Wenige Skins schlossen
sich neonazistischen Gruppierungen an. „In Wirklichkeit waren es nicht so viele
Skinheads, die Nazis wurden, sondern Nazis, die zu Skinheads wurden.“6
Mit der Wiedervereinigung veränderte sich das Gesamtbild. In der DDR hatte sich
parallel zur Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland eine eigene SkinheadSzene herausgebildet, die nach Angaben des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes
der DDR 1989 1.000 Personen umfasste7. Skinheads aus der ehemaligen DDR, die
sich durch nationalsozialistische Symbolik in demonstrativer Weise vom staatlich
verordneten Antifaschismus abgegrenzt hatten, erwiesen sich im Vergleich mit ihren westlichen „Kameraden“ als wesentlich stärker politisiert. Zählte man lediglich
ein Drittel der westdeutschen Skinheads zu den Neonazis, so traf diese Einschätzung
auf fast jeden Skinhead in Ostdeutschland zu. In Relation zur wesentlich größeren
Bevölkerungszahl des Westens war die Anzahl der Skinheads im Osten überdies
erheblich höher. 1991 bezifferte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Anzahl
der rechtsextremistischen Skinheads in Westdeutschland auf 3.500 Personen und für
Ostdeutschland auf mindestens 3.000 Personen.
Mit der Wiedervereinigung vergrößerte sich nicht nur die Gesamtzahl der Skinheads, sondern es kam auch zu einem dramatischen Anstieg rechtsextremistisch
motivierter Gewalttaten. Waren in den achtziger Jahren bereits erste Todesopfer
in Folge gewalttätiger Übergriffe von Skinheads zu beklagen gewesen, so erlangten die Gewalttaten jetzt eine neue Dimension. Im Jahre 1991 wurden fast 400
Brandanschläge auf Asylbewerberheime verübt; im darauf folgenden Jahr stieg die
Zahl der Anschläge auf über 700. Im September 1991 kam es in Hoyerswerda zu
Ausschreitungen rechtsextremistischer Jugendlicher vor Ausländerwohnheimen, in
deren Verlauf die Jugendlichen versuchten, die Wohnheime mit Molotow-Cocktails
in Brand zu setzen. Im August 1992 eskalierte die rechtsextremistisch motivierte
Gewalt in Rostock-Lichtenhagen. Von Anwohnern unterstützt randalierten vor der
Unterbringungsstelle für Asylbewerber 1.200 Gewalttäter, von denen viele aus anderen Bundesländern angereist waren. Wie bereits in Hoyerswerda versuchten die
rechtsextremistischen Gewalttäter das Asylbewerberheim mit Molotow-Cocktails
anzuzünden.
6
7
Farin und Seidel-Pielen, a.a.O., S. 106.
Zitiert nach Menhorn, a.a.O., S. 159.
Rechtsextremistische Skinheads
9
Die rechtsextremistisch motivierten Brandanschläge blieben jedoch nicht auf den
Osten Deutschlands beschränkt. Im November 1992 zündeten zwei jugendliche
Rechtsextremisten das Wohnhaus einer türkischen Familie in Mölln an. Bei diesem
Anschlag kamen drei Menschen ums Leben. Ein halbes Jahr später, im Mai 1993
unternahmen vier Jugendliche einen Brandanschlag auf das Haus einer türkischen
Familie in Solingen, bei dem fünf Menschen in den Flammen verbrannten und sieben weitere verletzt wurden.
Die öffentliche Empörung auf nationaler und internationaler Ebene über diese
pogromartigen Ausschreitungen veranlasste die Politik zu harten Reaktionen, die
neben dem organisierten Neonazismus vor allem auf Bekämpfung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene zielten. Viele ältere Szeneangehörige und Aktivisten
kehrten unter diesen Umständen der Skinhead-Bewegung den Rücken. Auf der
anderen Seite war der Neuzugang gebremst, so dass sich das Potential der rechtsextremistischen Skinheads 1993 und die Anzahl rechtsextremistisch motivierter
Gewalttaten erstmals seit Jahren rückläufig entwickelten. Von 2.200 Taten im Jahr
1993 ging die Anzahl der Gewalttaten über 1.500 im Jahr 1994 auf ca. 800 Delikte
1995 zurück. Die Zahl der Skinheads reduzierte sich nach den Anschlägen von Mölln
und Solingen von 6.400 Personen im Jahr 1992 auf 5.400 Personen im Jahr 1994.8
Seit 1997 ist jedoch ein erneuter Anstieg der Deliktzahlen und des Personenpotentials im Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus zu verzeichnen. Die Anzahl
gewaltbereiter Rechtsextremisten stieg von 7.600 Personen im Jahr 1997 über 9.700
Personen im Jahr 2000 auf 10.700 Personen im Jahre 2002. Im Jahre 2003 war erstmals seit 1995 kein weiterer Anstieg zu verzeichnen. Die Anzahl verringerte sich bis
Ende des Jahres auf 9.800 Personen.
Machten Anfang der neunziger Jahre die Brandanschläge auf Asylbewerberheime
einen Großteil der Gewalttaten der rechtsextremistischen Skinhead-Szene aus, so
verlagerten sich die Straftaten in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auf Attacken
gegen Einzelpersonen. Bevorzugte Ziele rechtsextremistischer Gewalttaten stellten
Obdachlose und Ausländer dar; es kam zu Übergriffen, die mit dem Tod der Opfer
endeten.
In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre gelang es der NPD, teilweise Einfluss auf
die Skinhead-Szene zu gewinnen, nachdem die Partei unter dem seit 1996 amtierenden Bundesvorsitzenden Udo Voigt einen strategischen Wechsel hin zum „Kampf
um die Straße“ vollzogen hatte. Ohne die Einbindung der Skins wären die beiden
Großdemonstrationen der Partei am 01.03.1997 in München gegen die Ausstellung
über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und am 01.05.1998 in
Leipzig unter dem Motto „Arbeit zuerst für Deutsche“ sowie verschiedene kleinere
Aufmärsche vermutlich ohne größere Resonanz geblieben. Zur Politisierung von
Teilen der Skinhead-Bewegung trugen ferner die Einbindung von Skinheads in lokale neonazistische Kameradschaften und der wachsende Einfluss der neonazistisch
ausgerichteten „Blood & Honour“ - Skinheads bei.
8
Siehe Verfassungsschutzberichte 1992-1994.
10
Rechtsextremistische Skinheads
Entwicklung der Skinhead-Szene in Niedersachsen
Niedersachsen zählte zu den Bundesländern, in denen die neue rechte Subkultur zuerst in der Öffentlichkeit präsent war. Dies war nicht zuletzt auf die hier stationierten britischen Streitkräfte zurückzuführen. Die Entwicklung der Szene wurde bis
Mitte der achtziger Jahre von den Sicherheitsbehörden nicht planmäßig beobachtet, da die Skinheads bis dahin grundsätzlich unpolitisch waren und Versuche der
politischen Einflussnahme durch neonazistische Organisationen durchweg scheiterten. 1986 gehörten nach Schätzungen des niedersächsischen Verfassungsschutzes
rund 200 Personen der Skinhead-Szene in Niedersachsen an, von denen 20 Personen
dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet wurden. Bis 1989 stieg die Szene auf ca. 550 Personen an, von denen 80 rechtsextremistisch ausgerichtet waren.
Nach der Öffnung der Mauer beschleunigte sich auch in Niedersachsen der Anstieg
des rechtsextremistischen Potentials innerhalb der Skinhead-Szene, der Ende 1992
bereits ca. 500 Personen zuzurechnen waren. In der Folge der Anschläge von Mölln
und Solingen ging die Anzahl rechtsextremistischer Skinheads jedoch wieder auf ein
Potential von nur noch 290 Personen zurück, bevor 1995 parallel zur bundesweiten
Entwicklung ein erneuter Anstieg einsetzte, der seinen vorläufigen Höhepunkt
Ende 2001 erreichte, als rund 1.100 gewaltbereite Rechtsextremisten der Szene
zugerechnet wurden. Seitdem ist in Niedersachsen im Gegensatz zum Trend auf
Bundesebene ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Das Potential stagniert mit ca.
1.000 gewaltbereiten Rechtsextremisten Ende 2003 auf einem unverändert hohen
Niveau.
Analog zur Entwicklung im Bundesgebiet veränderten sich auch in Niedersachsen
Quantität und Qualität des Straftatenaufkommens. In den achtziger Jahren fanden
die Auseinandersetzungen hauptsächlich zwischen Skinheads und so genannten
Antifaschisten oder türkischen Jugendlichen statt. Nach dem Anschlag von Hoyerswerda 1991 erreichte die Gewaltwelle gegen Ausländer und Asylbewerber ihren
Höhepunkt: Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte wurden auch in niedersächsischen Gemeinden verübt. In den folgenden Jahren entwickelte sich die statistische Erfassung der Brandanschläge und tätlichen Auseinandersetzungen rückläufig,
wenngleich spektakuläre Einzelfälle immer wieder die öffentliche Aufmerksamkeit
auf diesen unverändert gewaltbereiten Bereich des Rechtsextremismus lenkten.
Beispielhaft sei hier nur eine Gewalttat vom Himmelfahrtstag 2001 beschrieben, als
Angehörige der so genannten Wiesenauer Szene in Hannover-Langenhagen, die
eine Hakenkreuzfahne mit sich führten, in Hannover und Langenhagen gewalttätige Übergriffe verübten, in deren Verlauf mehrere Passanten verletzt wurden. Einem Iraner wurden dabei so schwere Verletzungen zugefügt, dass er fünf Tage lang
stationär behandelt werden musste. Eine Zunahme rechtsextremistisch motivierter
Straftaten war im Bereich der Propagandadelikte wie z.B. Hakenkreuzschmierereien zu beobachten.
In der öffentlichen Wahrnehmung und in zahlreichen Presseartikeln wurden die
verübten Gewalttaten der Skinhead-Szene zugerechnet. Der Begriff Skinhead wurde auf diese Weise zu einem Synonym für rechtsextremistische Gewalttäter, obwohl
Skinheads beispielsweise bei den Ausschreitungen in Rostock, anders als in Mölln
oder Hünxe, nur eine untergeordnete Rolle spielten. Viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten werden von Jugendlichen begangen, die weder der Skinhead-
Rechtsextremistische Skinheads
11
Szene, noch dem organisierten Rechtsextremismus angehörten. Die inzwischen von
den Verfassungsschutzämtern verwendete Kategorie „subkulturell geprägte und
sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten“ bringt dieses Phänomen begrifflich zum
Ausdruck.
Dennoch ist unübersehbar, dass eine Durchdringung von Teilen der Skinhead-Bewegung mit rechtsextremistischem, insbesondere neonazistischem Gedankengut
stattgefunden hat. Wie bereits angedeutet, handelt es sich hierbei primär um
einen Prozess, der von der Neonazi-Szene ausgehend, in die Skinhead-Bewegung
hineinwirkte. Inzwischen haben sich neonazistische Skinheads (Neoskins) mit politischem Anspruch und eigener Symbolik fest in der Szene etabliert. Sie verwenden
nationalsozialistische Symbole, Keltenkreuze oder „White-Power“-Schriftzüge als
Zeichen ihrer Gesinnung. Wegen des polizeilichen Verfolgungsdrucks befinden sich
äußerliche Erkennungsmerkmale wie Kahlschädel und Springerstiefel inzwischen
allerdings auf dem Rückzug. Musikalisch orientieren sich die Neoskins an Bands, die
den Nationalsozialismus und die Wehrmacht in Ton und Wort offen verherrlichen.
Die Skinhead-Szene ist insgesamt nach wie vor differenziert zu betrachten. Teile der
Skinhead-Szene, die für sich das Erbe der „Urskins“ reklamieren, stehen in Opposition zur neonazistischen Strömung in der Skinhead-Bewegung.
12
Rechtsextremistische Skinheads
Blood & Honour
Die Organisation Blood & Honour (B & H) wurde 1987 von Ian Stuart Donaldson,
dem am 24. September 1993 verstorbenen Frontmann der englischen SkinheadBand Skrewdriver9, gegründet. Den Namen wählte der in der Szene überwiegend als Ian Stuart
bekannte Donaldson aufgrund eines nationalsozialistischen Filmes über die Hitler-Jugend mit
dem Titel „Blut und Ehre“10, um die strikt neonazistische Ausrichtung der Organisation deutlich
zu machen. Blood & Honour verschrieb sich unter seiner Führung dem Ziel, dem
rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene eine organisatorische Basis zu geben,
den Zusammenhalt durch Konzerte zu stärken und über die Musiktexte ideologische Agitation zu betreiben. Schon bald sammelten sich unter dem Dach der neuen
Organisation einige Skinhead-Bands. Ihre Einnahmen sollten in einen gemeinsamen
Topf fließen, aus dem dann die Konzerte und die Ausstattung der Bands bezahlt
werden sollten. Im gleichen Jahr entstand auch das gleichnamige Magazin, das bis
heute existiert und vierteljährlich hauptsächlich über die nationalistische und neonazistische Skinhead-Musikszene berichtet.
Aufgrund des Erfolges der britischen Mutterorganisation begannen Skinheads zu
Beginn der neunziger Jahre in anderen Ländern Blood & Honour-Divisionen zu
gründen. Die Bezeichnung „Division“ kennzeichnet die landesweiten Organisationen und der Begriff „Sektion“ ist regionalen Gruppierungen vorbehalten. B &H
operiert als eine weltweite Bewegung; Ableger existieren heute auf fast jedem
Kontinent, auch in Australien und Südafrika.
Nach dem Unfalltod Ian Stuarts entstand in der Führung von B & H zunächst ein
Vakuum. Schließlich übernahmen Vertreter der Hooligan- und Schlägertruppe
Combat 1811 die Kontrolle über Blood & Honour. Combat 18 war 1992 von der British National Party (BNP) zur Abwehr von Angriffen linker Gewalttäter gegründet
worden und beherrschte bereits die National Socialist Alliance (NSA), die Dachorganisation der britischen Neonazi-Szene. Die Übernahme von B & H durch Combat 18
konterkarierte die Intentionen Ian Stuarts, der verhindern wollte, dass die von ihm
geschaffene Organisation lediglich als musikalischer Arm einer politischen Gruppierung fungiert, die die im Musikgeschäft erzielten Gewinne der rechtsextremistischen Skinhead-Szene abschöpft.
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11
1977 gründete Ian Stuart die Gruppe „Tumbling Dice“ in Blackpool, die schon bald auf Betreiben der
Plattenfirma in „Skrewdriver“ umbenannt wurde. Obwohl anfangs als Vorgruppe so bekannter Bands
wie „The Police“ oder „Boomtown Rats“ eingesetzt, stellte sich kein Erfolg ein, weshalb Stuart die Band
1978 zunächst auflöste. Bereits ein Jahr später gründete er „Skrewdriver“ als reine Skinhead-Band in
Manchester neu. Wegen des erneut ausbleibenden Erfolges wurde die Band 1980 ein zweites Mal aufgelöst. 1981 erfolgte in London eine weitere Neugründung der Gruppe und diesmal sicherte sie sich in der
rechtsextremistischen Skinhead-Szene eine feste Fan-Gemeinde.
„Blut und Ehre“ war der Leitspruch der Hitler-Jugend.
Bedeutet im Deutschen „Kampf Adolf Hitler“, wobei die Ziffern 1 und 8 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet stehen.
Rechtsextremistische Skinheads
13
Die deutsche Division von Blood & Honour wurde 1994 in Berlin gegründet. In der
Folgezeit entstanden in allen Bundesländern Sektionen. Der Organisation gehörten
bis zum Verbot am 14. September 2000 durch das Bundesministerium des Innern
(BMI) ca. 200 Personen an. Das Verbot ist seit dem 13.06.2001 rechtskräftig geworden. In Niedersachsen hatten drei Sektionen bestanden: die Sektion „Niedersachsen“ mit Sitz in Hildesheim, die Sektion „Nordmark“ im nordöstlichen Niedersachsen und die Sektion „Weser-Ems“, die sich von Bremen bis ins Emsland erstreckte.
Seit dem Verbot von B & H werden Konzerte der nach wie vor international operierenden Organisation nur noch im benachbarten Ausland, vornehmlich in Frankreich, Belgien und Österreich, durchgeführt. Ein besonderer Anziehungspunkt für
Blood & Honour-Skinheads aus aller Welt sind die Ian-Stuart-Memorial-Konzerte,
die alljährlich am Todestag des Gründers der Bewegung in England durchgeführt
werden. Deutsche B & H-Skins sind bei diesen Konzerten zahlreich vertreten.
Hammerskins
Eine weitere rechtsextremistische Skinhead-Gruppierung
stellt die 1986 in den USA gegründete Hammerskin-Bewegung dar, die sich zum Ziel gesetzt hat, alle weißen Skinheads
auf der ganzen Welt in einer so genannten Hammerskin Nation zu vereinigen. Als Symbol der rassistischen Organisation,
die einen elitären Anspruch erhebt, fungieren zwei gekreuzte
Zimmermannshämmer, die bereits in den zwanziger Jahren
des vorigen Jahrhunderts das Symbol einer amerikanischen
Organisation12 weißer Arbeiter waren.
In der Bundesrepublik traten die Hammerskins erstmalig 1991 in Brandenburg in
Erscheinung. Wie die Organisation Blood & Honour sind auch die Hammerskins in
so genannte Chapters untergliedert. Ein Teil der niedersächsischen Hammerskins ist
im Chapter Bremen organisiert, das auch Mitglieder im benachbarten niedersächsischen Umland erfasst.
Bei den Hammerskins gibt es keine durch Ausweise dokumentierten Mitgliedschaften, so dass jeder Skinhead „Mitglied“ werden könnte. Tatsächlich akzeptieren die
Hammerskins in der Regel jedoch nur langjährige Szene-Aktivisten als Neumitglieder. Ihren elitären Habitus unterstreichen die Hammerskins durch strikte Disziplin,
Einschränkung des Alkoholkonsums sowie die Ablehnung von Drogen.
Nicht extremistische Strömungen der Skinhead-Bewegung
Innerhalb der Skinhead-Szene gibt es neben den neonazistischen Gruppierungen
Blood & Honour und Hammerskins mit einem verfestigten rechtsextremistischen
Weltbild Strömungen, die nicht dem Rechtsextremismus zuzurechnen sind. Anzu12
Die Arbeiterorganisation machte unter dem Motto „Jobs for Whites“ mit Streiks und Demonstrationen
in den USA Front gegen die Einstellung Schwarzer zu Billiglöhnen auf Kosten weißer Arbeiter.
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Rechtsextremistische Skinheads
führen ist in dieser Hinsicht insbesondere die in den siebziger Jahren in Großbritannien entstandene Oi!-Bewegung, der mindestens ein Drittel, vielleicht sogar die
Hälfte der deutschen Skinhead-Szene - mit Schwerpunkt in den alten Bundesländern
- anhängen dürfte. Oi! steht für den spaß- und erlebnisorientierten Teil der Skinhead-Bewegung. Die Konzerte sind weitgehend frei von politischen Botschaften.
Soweit keine Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vorliegen, richtet sich der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes nicht gegen diese Teile
der Skinhead-Bewegung. Gleiches gilt für die linksorientierten, in Deutschland allerdings inzwischen nur schwach vertretenen Skinhead-Richtungen Skinheads Against
Racial Prejudice (SHARP) und Redskins. Die SHARP-Skins traten erstmals im Jahre
1986 in New York in Erscheinung. Mit einer Flugblattaktion wollten sie deutlich machen, dass es eine große Anzahl nichtrassistischer und unpolitischer Skinheads gibt.
Kurze Zeit später gelangte die neue Strömung auch nach Deutschland. Durch das
Wiederaufleben der Oi!-Szene ist sie inzwischen nahezu bedeutungslos geworden.
Bei den Redskins handelt es sich um Skinheads, die durch eine sozialistische Grundeinstellung geprägt sind. Der organisatorische Arm der Redskins wurde 1993 in den
USA unter der Bezeichnung „RASH“ (Red & Anarchist Skinheads) gegründet. Seit
1995 existieren RASH-Sektionen auch in Europa, u.a. in Deutschland. Die Anzahl der
deutschen Redskins dürfte sich auf 150 – 200 Personen belaufen.
Kontakte der Skinhead-Szene zu anderen gewaltgeneigten neonazistischen Gruppierungen
In erster Linie ist hier Combat 18 zu nennen, die 1993
in England Blood & Honour „übernommen“ haben
und somit einen direkten Einfluss auf die SkinheadSzene ausüben. Combat 18 wurde durch Gewalttaten, in deren Folge Menschen zu Tode kamen, einer
breiteren Öffentlichkeit bekannt. Mitte der neunziger
Jahre in Dänemark und Südschweden verübte Briefbombenattentate stehen im Zusammenhang mit der
Organisation. Anfang Mai 2003 bezichtigte sich eine
deutsche Gruppierung mit der Bezeichnung C 18 in
einem Schreiben, einen Anschlag auf den jüdischen
Friedhof von Neustadt (Schleswig-Holstein) begangen
zu haben.
Einzelne Skinheads bzw. Skin-Gruppen unterhalten Kontakt zu Hooligans und zu Rockern. Hierbei dürfte die
gemeinsame Affinität zu körperlichen Auseinandersetzungen bzw. zu Waffen eine Rolle spielen. Hinweise auf
ein gezieltes politisches Zusammenwirken dieser Gruppen
gibt es derzeit nicht. Angesichts des eher unpolitischen
Charakters der gewalttätigen Hooligan- und RockerSzene erscheint eine solche Entwicklung auch als eher
unwahrscheinlich.
Rechtsextremistische Skinheads
15
Fanzines
Der Begriff Fanzine ist der englischen Sprache entlehnt und setzt sich aus den Worten „Fan“ und „Magazine“ zusammen. Er bezeichnet Info-Hefte, wie
sie in vielen Subkulturen typisch sind. Fanzines sind
also weder eine Erfindung der Skinhead-Szene, noch
ausschließlich in ihr zu finden. Zu den Inhalten dieser
Fanzines gehören Informationen über Musikgruppen
und Tonträger-Neuerscheinungen, Verlaufsberichte
von Konzerten und Partys und nicht zuletzt Interviews mit Szeneangehörigen. Die Auflagenhöhe der
Fanzines hat in Einzelfällen bis zu 15.000 Hefte pro
Ausgabe betragen. Diese Größenordnung ist jedoch
die Ausnahme. In der Regel dürfte die Auflagenhöhe
einige hundert Exemplare nicht überschreiten. Die Erscheinungsform reicht von einem wenige Seiten umfassenden, kopierten Heft bis hin zur hundertseitigen
Hochglanzbroschüre.
Bundesweit wurden in den Jahren 2002/2003 etwa 30 Fanzines registriert. In Niedersachsen sind in diesem Zeitraum die Fanzines „Violence“ (Braunschweig), „Final
Destination“ (Emden) und „Outlaws - Whites in Jail“ erschienen.
16
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Die Weltanschauung der rechtsextremistischen Skinheads ist gekennzeichnet von
Nationalismus, rassistischer Ausländerfeindlichkeit und einer diffusen Bezugnahme
auf das nationalsozialistische 3. Reich. Ihren Hass auf bestimmte Menschengruppen
leben rechtsextremistische Skinheads offen aus. Opfer ihrer Feindseligkeit sind von
ihnen verachtete soziale Gruppen: Ausländer, Obdachlose, Behinderte, Homosexuelle und als „Zecken“ titulierte Linke. Diese Minderheiten gelten den Skinheads als
minderwertig und damit im Extremfall als vernichtenswert. Kennzeichnend für die
von Männern dominierte Bewegung sind darüber hinaus ein martialischer Männlichkeitskult sowie eine latente bis offene Feindlichkeit gegenüber Frauen.
Rechte Skinhead-Musiktexte bringen diesen Hass gegen alles als fremdartig Empfundene in krasser Form zum Ausdruck. Diese Texte sind die wichtigste ideologische
Klammer der Szene. Skinhead-Konzertveranstaltungen bieten den Angehörigen
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
17
der Skinhead-Szene die Möglichkeit, ihre Weltanschauung gemeinsam zu artikulieren und das subkulturelle Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Einen zentralen
Stellenwert bei den Skinhead-Konzerten hat dabei der übermäßige gemeinsame
Alkohol-Konsum. Die Wirkung der Musik mit ihren dumpfen, schlichten Melodien
und harten Rhythmen und ihren menschenverachtenden Texten darf als Mittel der
Indoktrination nicht verkannt werden. Bereits die Namen der Bands sind Ausdruck
dieses Hasses gegen verachtete Minderheiten. Martialisch und gewalttätig klingende Bandnamen, die sich an nationalsozialistischen Begriffen und insbesondere eine
militaristische Sprache anlehnen, sind für die Skinhead-Szene von hohem symbolischen Wert: „Reichssturm“, „Stahlgewitter“, „Rassenhass“, „Race War“, „Weisse Jäger“, „Radikaler Hass“, „Kraftschlag“, „Macht & Ehre“, „Landser“, „Arisches Blut“,
„Zillertaler Türkenjäger“, „Nahkampf“, „Oithanasie“, „Triebtäter“, „Volkszorn“,
„Volksverhetzer“, „Spreegeschwader“ sowie „Endlöser“. In gleicher Weise dient die
martialische, gewaltverherrlichende Illustration der CD-Cover diesem Bekenntnis.
Als Cover-Illustrationen werden Abbildungen nationalsozialistischer Symbole sowie
Kampfszenen der Wehrmacht oder der SS verwendet.
Skinhead-Konzerte
Konzerte bzw. CDs mit rechtsextremistischer Musik sind nach wie vor ein wichtiges
Bindeglied innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Häufig kommen Jugendliche
über diese Medien erstmals mit der Szene in Berührung und werden nicht selten
anschließend von ihr vereinnahmt. Maßnahmen gegen rechtsextremistische Skinhead-Konzerte in den vergangenen Jahren haben zu Verhaltensänderungen der
Szene geführt. Konzerte werden unter immer konspirativeren Umständen, häufig
auf Privatgelände oder in kleineren Orten, veranstaltet. Raumanmietungen werden
zunehmend als größere Geburtstagsfeier mit Musik deklariert. Die Mobilisierung
von Konzertteilnehmern erfolgt in den meisten Fällen über Telefonketten, per SMS
über das Handy oder per E-Mail. In der Regel wird dabei lediglich ein Treffpunkt
bekannt gegeben, von dem aus die Teilnehmer dann zum eigentlichen Veranstaltungsort weiter geleitet werden. Oft nehmen die Teilnehmer für das Konzert lange
Anreisen in Kauf. In der Regel zahlen sie Eintrittspreise von bis zu 15 Euro.
Als Reaktion auf die behördliche Repression zeichnet sich darüber hinaus ein Trend
zur Verlagerung größerer Konzerte ins Ausland ab. Zu nennen sind neben Großbritannien, wo alljährlich im September unter Teilnahme zahlreicher niedersächsischer
Rechtsextremisten Ian-Stuart-Memorial-Konzerte veranstaltet werden, Belgien, Elsaß-Lothringen und Österreich (Vorarlberg). Insgesamt ist bundesweit eine Zunahme von Skinhead-Konzerten zu verzeichnen. Bereits im ersten Halbjahr 2003 fanden
ca. 70 Konzerte statt, die bisherige Höchstzahl des Jahres 1998 – damals gab es 128
Konzerte - dürfte somit wieder erreicht werden.
Konzerte mit größerer Besucherbeteiligung sind zuletzt überwiegend im europäischen Ausland durchgeführt worden. So besuchten am 20. April 2003 in Beveren /
Belgien ca. 180 Personen ein Skinhead-Konzert mit den Bands „Kompetenz für die
Zukunft“ (KfZ), „Oidoxie“, „Endlöser“, „Thekenschlag“ und „Spreegeschwader“.
Die Auslandskonzerte, zu denen aus vielen Ländern Europas Teilnehmer anreisen,
verstärken die internationale Verflechtung der Szene.
18
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Ein wichtiger Faktor bei der Entstehung
und Verfestigung von Gruppen innerhalb
der Skinhead-Szene ist das Gemeinschaftserlebnis bei Konzerten. Auf Konzerten
werden Kontakte geknüpft, Informationen
ausgetauscht, einschlägige CDs und Skinhead-Utensilien zum Kauf angeboten. Nicht
selten hat die laute Musik mit ihren dumpfen, harten Rhythmen eine aufputschende
und aggressive Wirkung auf die Konzertbesucher. Bei dem für die Skinhead-Subkultur
typischen Pogo-Tanz wird ein wirklicher
oder imaginärer Gegner durch anrempeln
körperlich angegriffen. Unter dem unmittelbaren Eindruck von Skinhead-Konzerten
werden häufig strafbare Handlungen begangen. Überwiegend handelt es sich
dabei um Propagandadelikte. Konzertbesucher und Bandmitglieder skandieren
neonazistische Parolen wie „Sieg Heil“ oder zeigen den „Hitler-Gruß“.
Rechtsextremistische Musikvertriebe
Insgesamt ist in der rechten Musik-Szene eine fortschreitende Kommerzialisierung
feststellbar. Viele Tonträger werden im Ausland, insbesondere in Tschechien und
Taiwan produziert. Der Handel mit Skinhead-Musik ermöglicht nach wie vor relativ
hohe Gewinne. In Deutschland vertrieben in den letzten 10 Jahren mehr als 100
deutsche Bands ca. 500 unterschiedliche CDs. Die Auflagen variieren sehr, erreichen
aber im Durchschnitt etwa 3.000 Stück. Die Anzahl der rechtsextremistischen Skinhead-Musikvertriebe, die - meist über das Ausland gesteuert - in nennenswertem
Umfang rechtsextremistische Musik anbieten, liegt bei ca. 50. Zusätzlich werden
die Tonträger über zahlreiche regionale Szeneläden und mobile Händler verkauft.
Rechtsextremistische CDs mit strafrechtlich relevanten Inhalten werden überwiegend über ausländische Vertriebe bezogen. Hierzu zählen insbesondere der dänische Vertrieb „Celtic Moon“ sowie die amerikanischen Vertriebe „Panzerfaust
Records“ und „Micetrap Records“.
„Celtic Moon“ ist seit August 2001
der Nachfolgevertrieb von „Blood &
Honour Scandinavia“, der im März
1999 aus dem Skinhead-Versand
„NS 88“ des deutschen Neonazis
Marcel Schilf hervorgegangen war.
Die Kataloge von „Celtic Moon“, die
überwiegend strafrechtlich relevante
Tonträger in deutscher und englischer Sprache enthalten, richten sich
insbesondere an einen Kundenkreis
in Deutschland. CDs deutscher rechtsextremistischer Bands stellen ein Drittel bis zur Hälfte des Angebots dar.
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
19
Skinhead-Musik als Transportmittel verfassungsfeindlicher Botschaften
Rechtsextremistischen Musik-CDs kommt eine besondere Bedeutung bei der
Verbreitung menschenverachtender und verfassungsfeindlicher Inhalte zu. Die
Internationalität bei der Produktion und beim Vertrieb verfassungsfeindlicher
CDs erschwert Behörden die strafrechtliche Bekämpfung. Die Möglichkeiten, sich
entsprechende Musiktitel aus dem Internet herunterzuladen, sind vielfältig. Auf
diese Weise erreicht die rechtsextremistische Musik einen Interessentenkreis, der
weit über das von den Verfassungsschutzbehörden registrierte rechtsextremistische
Personenpotential hinausreicht.
Die Skinhead-Musik hat bei der Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie
eine zentrale Funktion. Ian Stuart Donaldson formulierte für die in Deutschland
verbotene Blood & Honour Bewegung eines ihrer Ziele wie folgt:
„Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann
damit Ideologie transportiert werden.“
(Broschüre des LfV Baden-Württemberg „Rechtsextremistische Skinheads“, 2001)
Die Blood & Honour Bewegung nimmt bei der Verbreitung rechtsextremistischer
Ideologie über die Skinhead-Musik eine wichtige Funktion wahr. Schwerpunkt der
Aktivitäten bildet die Organisation von Konzerten und damit die Beeinflussung der
Szene über die rechtsextremistische Musik. Musik dient als Transportmedium für die
neonazistische und rassistische Ideologie.
Die von aggressiver Menschenverachtung und Feindbildprojektionen geprägten
Texte wirken zunächst unterschwellig und stellen ein Mittel der Indoktrination
mit rechtsextremistischen Inhalten dar. Die Liedtexte enthalten rassistische, antisemitische und gewaltverherrlichende Aussagen, die in Verbindung mit der Musik
über die gefühlsmäßige Ansprache aufgenommen werden. Zentrales Merkmal der
inhaltlichen Ausrichtung ist die Verherrlichung des Nationalsozialismus. Nordische
Mythologien sind ebenso Thema wie antisemitische Verschwörungstheorien - wie
z.B. bei der Band „Landser“ - Rock gegen ZOG13.
In 20 Jahren rechtsextremer Musikproduktion haben sich die Themen gewandelt.
Waren die Liedtexte anfangs von den Themen Alkohol, Spaß und Gewalt („Skinhead – A Way of Life“) geprägt, bekamen die Songs im Laufe der Jahre zunehmend
politischere Akzente. Heute lassen sich die Skinmusik-Produktionen grob in zwei
Segmente aufteilen. Auf der einen Seite die Produktionen mit zwar z.T. rechtsextremistischen, aber nicht strafbaren Inhalten, auf der anderen Seite die illegalen
Produktionen mit gewaltfixierten und volksverhetzenden strafbaren Inhalten.
13
ZOG = Zionist occupied government; Antisemiten verwenden ZOG als Code für eine jüdische Weltverschwörung.
20
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Entwicklung der Skinhead-Bands in Deutschland
Die Anzahl der aktiven deutschen rechtsextremistischen Skinhead-Bands ist seit
geraumer Zeit leicht rückläufig. Von den 90 Bands, die in letzter Zeit bei Konzerten
auftraten oder Tonträger veröffentlichten, sind nur 30 Bands seit Jahren in der Szene durchgängig aktiv. Viele Bands der stark fluktuierenden Szene bestehen nur für
einen kurzen Zeitraum. Ausländische Bands aus der „White Power“ Bewegung wie
„Celtic Warrior“, „Youngland“, „Max Resist“, „Brutal Attack“, „Intimidation One“
und „Final War“ finden in der deutschen Szene Resonanz und erweisen sich als
Publikumsmagneten. Sie stellen für viele Sympathisanten einen zusätzlichen Anreiz
dar. Das gleiche gilt für viele deutsche Skinhead-Bands, die aufgrund ihres musikalischen Niveaus attraktiv sind, wie z.B. „Endlöser“ aus Bremen und „Stahlgewitter“
aus Meppen.
In Niedersachsen sind zur Zeit sechs Skinhead-Bands bekannt, von denen die Band
„Saccara“ (Meppen), bereits seit dem letzten Jahr eher inaktiv ist. Die Band „Leitwolf“ (Wischhafen), die in letzter Zeit nicht öffentlich in Erscheinung getreten ist,
kündigt auf ihrer Homepage die Rückkehr ins „Musikgeschäft“ für das Jahr 2004
an. In den zurückliegenden Jahren hatte die Band „Leitwolf“ drei, die Band „Saccara“ vier CDs veröffentlicht. Die 1986 gegründete Band „Saccara“ verfügt über
eine eigene Homepage im Internet. Zu den aktiven Bands zählen „Stahlgewitter“
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
21
(Meppen), „Endstufe“ (Lilienthal), „Nordfront“ und „Terrortorium“ (beide Raum
Hannover). Die aus drei Personen bestehende
Gruppe „Nordfront“ aus Hannover trat im
Jahr 2002 auf mehreren Skinhead-Konzerten
auf und veröffentlichte über den WikingerVersand im Frühjahr die zweite CD mit dem
Titel „Argonnerwald“. Laut Beschluss des
AG Pinneberg vom 13. Februar 2002 erfüllt
das bereits auf der Debüt-CD veröffentlichte
Lied „Werft sie raus“ den Straftatbestand der
Volksverhetzung. Der menschenverachtende
Text des Liedes stachelt zum Hass gegen Teile
der Bevölkerung auf:
„ ... Autonome, Zecken und Kanaken – Ich
wünsche mir, dass sie die Koffer packen ...
Das Land in dem wir leben, ist von Feinden
umgeben - Eingenistet und vermehrt, aber
Deutschland nicht verehrt ... Werft alle aus
dem Land, die unsere Heimat zerstören
– Werft alle raus, werft alle raus ... “.
Die Band „Endstufe“ aus Lilienthal hat insgesamt acht CDs veröffentlicht. Im Jahr 2002
wurde die Neuaufnahme „Adrenalin“ mit 10
Titeln angeboten. Die Band „Boots Brothers“
aus Delmenhorst feierte nach eigenen Angaben im Jahr 2002 zehnjähriges Bestehen.
Nach einer inaktiven Phase hat sie eine neue
CD mit dem Titel „Die Brüder sind zurück“
produziert. Erschienen ist die CD bei BackstreetNoise in Chemnitz.
Die im Mai 2002 erschienene dritte CD der
Gruppe „Stahlgewitter“ aus Meppen mit
dem Titel „Politischer Soldat“ lag mit ihren
rechtsextremistischen Inhalten auf der Linie der vorangegangenen Produktionen.
Auch diese CD bietet Anhaltspunkte für den
Straftatbestand der Volksverhetzung nach
§ 130 StGB, ein Ermittlungsverfahren ist eingeleitet. Die CD ist bislang in einer Auflage
von 9.000 Exemplaren erschienen. Der Titel
„Zurück zu unseren Traditionen“ enthält folgende Passagen:
22
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
„Ich bin stolz auf meine weiße Haut
und wisst ihr was ich hasse
eine bunte Republik
und die völlig verdummte Masse
ich mag sie nicht die Süßmuth
und ihre Überfremdungskommission
ich bin und bleib ein Länderfreund
und ich liebe die Nation
Refrain
Muslime, Mullahs Muezzin
es tönt vom Minarett
sie preisen und sie künden
den Propheten Mohammed
ist das die neue Leitkultur
um unser Volk zu spalten
für uns gibt es nur das eine
deutsche Kultur erhalten“
In einer CD-Besprechung im Szeneheft
„RockNORD“ (Nr. 80/81) heißt es:
„ ... Musikalisch bleiben die Jungs ihrem Stil treu. Wieder einmal ist Stahlgewitter
eingezielter Tritt in den Arsch der etablierten Politik gelungen, ... !“
CDs wie „Ran an den Feind“ der Gruppe „Landser“ oder „Noten des Hasses“ von
den „White Aryan Rebels“14 haben nicht zuletzt aufgrund der aggressiven fremdenfeindlichen Texte einen Kultstatus in der Szene:
„Nur die Starken haben das Recht zu überleben ...
diese Untermenschen, der Jude, der Nigger,
dieses schwule Pack
sie alle graben sich ihr eigenes Grab.“
(„White Aryan Rebels“, „Noten des Hasses“)
Die den Hammerskins zuzurechnende Skinhead-Band „Landser“ ruft auf ihrer CD „Ran
an den Feind“ zum Mord an den Abgeordneten des deutschen Bundestages auf:
“Stürmt den Reichstag, räuchert sie aus,
macht der Rattenbande den Garaus“.
14
Die am 28. April 2001 indizierte CD ist die bisher einzige Veröffentlichung der Band. Im Text werden Menschen
aufgrund ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit verächtlich gemacht, wodurch der Tatbestand von
§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist. Ein Berliner Neonazi, der an der Erstellung und Verbreitung der CD „Noten des Hasses“ beteiligt war, wurde zu einer 22-monatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
23
Die 1992 um Mitglieder der rechtsextremistischen Organisation „Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft“ ursprünglich unter dem Namen „Endlösung“
gegründete Band „Landser“ propagiert in ihren Liedern nationalsozialistisches,
rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Die von der Band als Feindbilder
gezeichneten Minderheiten werden pauschal als dekadent, minderwertig und verbrecherisch dargestellt. Ganz offen wünscht man Angehörigen ethnischer Minderheiten den Tod, wie der Titel des Liedes „Kanacke verrecke“ verdeutlicht. Gleiches
gilt für das „Afrika-Lied“:
„Afrika für Affen, Europa für Weiße ... steckt die Affen in ein Klo und spült sie weg
wie Scheiße.“
Damit ruft die Band „Landser“ offen zur Gewalt auf.
Der Generalbundesanwalt hatte mit Anklageschrift vom 9. September 2002, wie in
einer Presseinformation mitgeteilt wird,
„Anklage wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und anderer Straftaten erhoben. Den Angeschuldigten wird zur Last gelegt,
als Mitglieder der kriminellen Vereinigung Musikband ‚Landser‘ durch Verbreiten
von Tonträgern in volksverhetzender Weise zu Hass und Gewalt gegen Teile der
Bevölkerung aufgestachelt, die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen, zu
rechtswidrigen Taten aufgefordert und die Bundesrepublik Deutschland und ihre
verfassungsmäßige Ordnung beschimpft und verächtlich gemacht zu haben. Der
Angeschuldigte Michael R. steht in dem dringenden Verdacht, als Sänger, Textverfasser und Bandleader Rädelsführer der kriminellen Vereinigung gewesen zu sein.
Die Angeschuldigten Michael R. und André M. sowie der gesondert verfolgte Horst
S. waren Mitglieder der im Jahr 1992 gegründeten Berliner Skinhead Gruppe ‚Landser‘. Ziel der Gruppe war es, über Musik-CD‘s rechtsradikales Gedankengut in der
Jugendszene zu verbreiten; finanzielle Gewinnerwartung stand im Hintergrund.
Unter Verzicht auf öffentliche Auftritte schufen die Bandmitglieder spätestens 1993
eine auf Heimlichkeit und Konspiration aufbauende Organisationsstruktur. Der Vertrieb der im Ausland produzierten CD’s erfolgte über ein abgetarntes Verteilernetz
in der Bundesrepublik Deutschland. Auftakt der politisch ausgerichteten Aktivitäten der Band war die CD ‚Republik der Strolche‘. Die Liedtexte dieses Albums waren
geprägt von rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Hasstiraden. Sie
riefen zu Gewalt gegen Ausländer, Juden und politisch Andersdenkende auf, und
waren darauf angelegt, den Staat Bundesrepublik Deutschland sowie seine pluralistische Ordnung als untragbar zu diffamieren.“
Nach dem Selbstverständnis der Band-Mitglieder ist es ihr Ziel, den „Soundtrack
zur arischen Revolution“ zu liefern. Dem Strafverfahren kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als es sich um das erste Verfahren gegen Mitglieder einer
rechtsextremistischen Musikgruppe wegen des Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung handelt.
Ein weiterer Liedtext der 2000 bekannt gewordenen Band - „Die Kugel ist für dich“
- ist ein vertonter Aufruf zum Mord an Personen des öffentlichen Lebens wie Rita
Süssmuth, Stefan Heym, Lilo Wanders, Alfred Biolek u. a..
24
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Als beispielhaft für die menschenverachtende und fremdenfeindliche Ausrichtung der Skinhead-Musik sind die
seit Frühjahr 2003 in der rechtsextremistischen Szene verbreiteten drei neuen
volksverhetzenden CDs zu nennen. Mehrere der auf der seit Mai kursierenden
CD „Lasst sie ruhig kommen“ einer Band
„Rassenhass“ veröffentlichten Lieder enthalten antisemitische, fremdenfeindliche
und volksverhetzende Texte. Darüber
hinaus ruft die Band auf der CD zum
Aufstand gegen das bestehende System
mit dem Ziel der Errichtung eines „Vierten Reiches“ auf. Auf dem Cover wird
die Synagoge in Berlin-Mitte im Visier
einer Waffe abgebildet, Booklet und CD
sind mit Hakenkreuzen gestaltet. Das
Lied „Volk steh auf“ dokumentiert auf
besonders perfide Weise menschenverachtende, fremdenfeindliche, rassistische
und antisemitische Aussagen:
„Jeder Neger ist dann zu Haus in Afrika
oder hängt an einem Baum,
und Europa ist dann wieder weiss, denn
für Affen ist hier kein Raum.
...
Wir brennen alle Judaskirchen ab, denn
wir brauchen hier kein Christentum.
Jedes Krummnasengrab wird exhumiert,
denn mit Antimenschen ham wir nix zu
tun.
...
Schwarz-rot-gold wird abgeschafft und
das Hakenkreuz wird wieder wehen.
Die Bundesregierung stürzen wir und das
Kanzleramt wird in Flammen stehen.“
(Schreibweise aus dem Original übernommen)
Der seit März 2003 durch den rechtsextremistischen Vertrieb „Celtic Moon“ (Dänemark) angebotene Sampler „Blood & Honour Deutschland - Trotz Verbot nicht tot“
findet auch in der deutschen Skinhead-Szene Verbreitung. Auf der CD sind Reden
Adolf Hitlers eingespielt. In einigen der insgesamt 19 Lieder wird u. a. gegen Farbige, Homosexuelle und Behinderte gehetzt. Die CD selbst trägt den Aufdruck: „Pro-
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
25
duziert in Skandinavien für den dortigen Vertrieb ... Die Bands auf diesem Sampler
kommen nur aus einem bestimmten Teil des besetzten Reiches.“ Diese CD ist wegen
ihres volksverhetzenden Inhalts und wegen Verstoßes gegen das Vereinsverbot
strafrechtlich relevant.
Seit kurzem wird in der rechtsextremistischen Szene eine CD der bislang unbekannten Skinhead-Musikgruppe „Weisse Jäger“ mit dem Titel „Gaskammer“ angeboten,
vertrieben vom dänischen „Celtic Moon“-Versand, sowie vom US-amerikanischen
Vertrieb „Panzerfaust Records“. Der Tonträger enthält Lieder mit volksverhetzenden, antisemitischen und fremdenfeindlichen Texten. Zu der Melodie des
Weihnachtsliedes „Leise rieselt der Schnee“ wird ein Lied mit dem zynischen Titel
„Reichskristallnacht“ gesungen. Auffällig bei dieser CD ist die - im Vergleich zur
sonstigen Skinhead-Musik - andere gesangliche und musikalische Gestaltung. Die
revisionistische15 Ausrichtung dokumentiert bereits das Booklet der CD. Hier wird
der Nationalsozialismus verherrlicht und der Holocaust16 geleugnet:
„In einer Zeit, wo wir Nationalsozialisten so dermaßen verfolgt, verurteilt und eingesperrt werden. Wo es niemandem mehr erlaubt ist, seine Meinung über die Überfremdung unseres Deutschlands oder die sogenannte 6 Millionenlüge zu äußern. In
dieser Zeit entstehen immer härtere Lieder und Gedichte.“
Während die Ermordung der Juden durch Giftgas in der Zeit des Nationalsozialismus
im Booklet unter Berufung auf bekannte Revisionisten wie Fred Leuchter und Ro15
16
Mit dem Begriff Revisionismus werden solche Positionen innerhalb des Rechtsextremismus bezeichnet,
die die Leugnung bzw. Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen zum Inhalt haben.
Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = „völlig verbrannt“). Das Wort
stammt (wie der offizielle Begriff des Staates Israel für die europäische Judenvernichtung - schoa = Katastrophe, Unheil) ursprünglich aus dem Alten Testament. Er bezeichnete „was ganz im Rauch aufsteigt“.
Luther übersetzte den Begriff mit Brandopfer, die englische Bibelübersetzung mit holocaust. Die deutschen Herausgeber der „Enzyklopädie des Holocaust“ haben das Wort Holocaust mit großen Bedenken
in ihrem Titel beibehalten, weil kein kennzeichnenderer Begriff im Deutschen verfügbar sei und der Untertitel „Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden“ den begrifflichen Gegenstand genau
umschreibt.
26
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
bert Faurisson ausdrücklich geleugnet wird, enthält das Lied „Reichskristallnacht“
Passagen, in denen nach der schrittweisen Entrechtung der Juden deren physische
Vernichtung durch Gas besungen wird. Gleiches gilt für das menschenverachtende
Lied „Judensau“ mit den Textstellen:
„In Auschwitz ist noch ein Plätzchen frei ... Dort wirst Du hungern, dort wirst Du
frieren und wirst elendig krepieren“.
Nutzung des Internets durch die rechte Skinhead-Szene
Das Internet hat als Kommunikationsmittel für Rechtsextremisten zunehmend an
Bedeutung gewonnen, wenn auch die Anzahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Homepages 2003 erneut auf aktuell 950 Seiten17 sank. Dies dürfte
insbesondere auf die Sperrung deutscher Homepages bei amerikanischen Providern
zurückzuführen sein, die in ihren Geschäftsbedingungen Hasspropaganda verbieten. Im Internet werden exzessiv fremdenfeindliche und antisemitische Positionen
verbreitet. Chat-Rooms und Diskussionsforen, wie das „Wikinger-Forum“ oder das
„Nationale Forum“, haben für den Zusammenhalt der Szene einen immer größeren
Stellenwert erlangt. Das Internet bietet Rechtsextremisten die Möglichkeit, in abgeschotteten, durch Passwort geschützten Bereichen miteinander zu kommunizieren.
Zum Teil gelingt es Rechtsextremisten auf diese Weise, Organisationsverbote zu
unterlaufen und internationale Kontakte zu knüpfen.
17
Gesamtzahl rechtsextremistischer Seiten im Internet; Bands, Parteien, Kameradschaften und sonstige
rechtsextremistische Organisationen zusammen gerechnet.
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
27
Auch die Skinhead-Musikszene nutzt das Internet verstärkt zur Selbstdarstellung
und zur Verbreitung ihrer Produkte. Die meisten der bekannten Skinhead-Bands
betreiben eine eigene Homepage, über die Liedtexte und Musikstücke herunterzuladen sind. Insbesondere ausländische Bands und Musiktauschbörsen bieten über
das Internet Lieder und Texte mit strafrechtlich relevanten Inhalten an.
Internet-Foren sind für die Skinhead-Szene von zunehmender Bedeutung. Die
verschiedenen Foren fördern den Zusammenhalt durch den Austausch von Informationen und dienen der szeneinternen Kommunikation. Von den ca. 25 Foren
sind als bedeutendste das “Wikinger Forum”, das “Hatecore-Forum” sowie das
“Unserforum” zu nennen. Die 500 Mitglieder des für die Szene meinungsbildenden “Wikinger Forums” äußern sich derzeit zu etwa 800 Themen mit rund 17.000
Beiträgen. Das verbindende Element der Kommunikation in diesen Foren ist die
rechtsextremistische Grundhaltung.
Neben vielen allgemeinen politischen Rubriken behandeln alle größeren Foren vor
allem Musikthemen. Auf diese Weise kann sich der Fan rechtsextremistischer Musik
in den Foren einen umfassenden Überblick über die rechte Musikszene verschaffen
und sich virtuell über bevorstehende Ereignisse informieren. Der “Forengott”18
”thombvinyl” berichtete von einem Mitgliedertreffen von “Unserforum” im März
2003 im Raum Hannover:
“War auf jeden Fall ein Hammerwochenende!!!! ... Hut ab vor unseren Kameraden/
innen aus Östereich. Trotz des langen Anfahrtsweges dabei gewesen ... Insgesamt
ne tolle Gemeinschaft, die sich nur über das Forum kennengelernt hat ...”
(Fehler aus dem Original übernommen.)
18
Je nach Bedeutung hat ein Mitglied eine weitere Bezeichnung. Anfänger sind z.B. „Grünschnabel“, während „Vielposter“ z.B. „Haudegen“, „Forengott“ oder auch „Kaiser“ sein können.
28
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
Neben den Diskussionsforen gewinnt auch das IRC19 an Bedeutung. In diesem
Medium können sich die Nutzer in Echtzeit mit einer speziellen Software mittels
Texteingabe “unterhalten”. Für die rechtsextremistische Szene hat der IRC-Channel “#nationalersturm” die größte Bedeutung. Nutzer des “Nationalen Forums”
werben für die Teilnahme im ”beliebtesten deutschen Sprechraum” der nationalen
Bewegung, um eine Bündelung der in Kleinst-Chatrooms versprengten Kameraden
zu erreichen.
Auf Jugendliche üben diese interaktiven Dienste eine besondere Faszination aus.
Der Einstieg in rechtsextremistische Zusammenhänge ist leicht möglich, Gleichgesinnte sind schnell gefunden. Der rechtsextremistischen Szene wird durch diese
Kommunikation ein neues Wir-Gefühl vermittelt. Die Nutzung des Internets mit der
ganzen Bandbreite der beschriebenen Möglichkeiten setzt beim Anwender eine
gewisse Grundkenntnis und kommunikative Fähigkeit voraus. Der Umgang mit Musiktauschbörsen (Downloads von MP3-Dateien), Foren, Chats (IRC, Messenger) und
im Mailversand mit der Verschlüsselungssoftware PGP20 gehört heute zum Standard
der rechtsextremistischen Skinhead-Szene.
Radio Wolfsschanze
Auf der anonym über anfangs US-amerikanische, später russische Provider betriebenen Homepage „Rastenburg“ wurden seit August 1999 in unregelmäßigen Abständen insgesamt vier Sendungen eines Internet-Radios „Großdeutscher Rundfunk
- Radio Wolfsschanze“ verbreitet. Die Betreiber des „Radio Wolfsschanze“ verschleierten Hinweise auf ihre Identität.
Die Inhalte dieser Sendungen waren volksverhetzend und gewaltverherrlichend. In
fiktiven Reportagen, z. B. aus dem Erdbebengebiet in der Türkei, wurden volksverhetzende und rassistische Aussagen verbreitet, wie:
„Zehntausend von leblosen Kanaken auf den Straßen - ich kann mich vor Freude
kaum halten. ... Wenn das der Führer noch hätte erleben dürfen!“
Darüber hinaus wurden auf der Homepage „Rastenburg“ zeitweise MP3-Dateien
mit zum Teil strafrechtlich relevanten Musiktiteln zum Download angeboten. Titel eines namentlich unbekannten „DJ Adolf“ waren abrufbar. Diese Musikstücke
hatten Reden Hitlers zur Grundlage, welche durch Hinterlegen von Techno-Musik
vertont wurden. Die einzelnen Sendungen waren jeweils nur vorübergehend im
Internet abrufbar. Die antisemitischen und fremdenfeindlichen Sendungen von
„Radio Wolfsschanze“ erfreuten sich innerhalb der rechtsextremistischen (Internet-)
Szene großer Beliebtheit.
19
20
Internet Relay Chat, wörtlich: Internet - Übertragung - Unterhaltung.
Abk. für Pretty Good Privacy, ein im Internet für die geschützte Übermittlung von Datensätzen verwendetes Datenverschlüsselungssystem im Public-Key-Verfahren. Es werden zwei Schlüssel benutzt, wobei der
eine öffentlich zugänglich ist und der andere ein privater Code ist. Die Verschlüsselung ist damit so sicher,
dass es selbst Computerexperten der US-Geheimdienste vor unlösbare Probleme stellte.
Skinhead-Musik und Skinhead-Konzerte
29
Aufgrund von Hinweisen des niedersächsischen Verfassungsschutzes durchsuchte
das LKA Niedersachsen im Mai 2001 die Wohnungen von acht Verdächtigen im Alter von damals zwischen 19 und 35 Jahren, die an der Erstellung und Verbreitung
der Internet-Sendungen von „Radio Wolfsschanze“ beteiligt gewesen sein sollen.
Durch die Maßnahme konnte die kurz bevorstehende Internet-Veröffentlichung der
bereits produzierten fünften Sendung verhindert werden. Gegen vier Beschuldigte
wurde wegen Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung Anklage erhoben. Am
26.11.2003 verurteilte das Gifhorner Amtsgericht einen der beiden Hauptangeklagten zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung, ein weiterer
Mitangeklagter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt.
30
Neonazistische Kameradschaften
Neonazistische Kameradschaften
Das Organisationsmodell der Freien Kameradschaften
Neonazis treten als Einzelpersonen, in unstrukturierten lokalen Szenen oder organisiert in neonazistischen Freien Kameradschaften in Erscheinung. Die Herausbildung
und der Bedeutungszuwachs der neonazistischen Kameradschaften stehen in einem
engen Zusammenhang mit den Organisationsverboten, den die Verbotsbehörden
in der ersten Hälfte der neunziger Jahre in Reaktion auf mehrere gegen türkische
Bürger und Asylbewerber gerichtete Brandanschläge anordneten. Um weitere
Verbotsmaßnahmen zu unterlaufen, entwickelten führende Neonazis eine Organisationsform ohne verbotsfähige formale Vereinsstrukturen und ohne formale
Mitgliedschaften. Es entstand das Organisationsmodell der so genannten Freien
Kameradschaften. Einer Kameradschaft gehören zwischen 5 bis 20 Personen an. Die
Fähigkeit zur Durchführung gemeinsamer Aktionen sollte dem Konzept zufolge
durch die „Vernetzung“ der Kameradschaften, d. h. durch den Einsatz technischer
Kommunikationsmittel wie Mobiltelefone, Mailboxen, Infotelefone oder das Internet sichergestellt werden. Die Protagonisten der organisatorischen Umstrukturierung des neonazistischen Lagers waren zuvor in zwischenzeitlich verbotenen neonazistischen Zusammenschlüssen aktiv gewesen. Hervorzuheben sind die Neonazis
Thorsten Heise, der ehemalige Landesvorsitzender der FAP, sowie der Vorsitzende
bzw. stellvertretende Vorsitzende der verbotenen Nationalen Liste Thomas Wulff
und Christian Worch. In einer Internetdarstellung wird der „Kameradschaftsgedanke“ in idealtypischer Weise dargestellt:
“Wir ‚Freien Nationalisten‘21 sind meist junge Kameraden und Kameradinnen aus
ganz Deutschland. Es bestehen bei uns keine festen Organisationsformen, trotzdem
sind wir im gesamten Nationalen Widerstand der aktivste Teil. Aufgrund unserer
nur losen Kontakte kann der Staat uns mit Verboten nur wenig anhaben. Die einzelnen voneinander unabhängigen Gruppen führen selbständig oder mit Hilfe anderer
Gruppen jede Menge Aktionen durch, zum Teil auch in Zusammenarbeit mit der
NPD“.22
In der 2. Ausgabe der seit April 2002 im Großraum Hannover-Hildesheim verbreiteten neonazistischen Publikation „Nationaler Beobachter“ führen die Autoren über
den Zweck einer Kameradschaft aus, sie solle den Rahmen dafür bieten, sich für
seine Ziele gemeinsam einzusetzen und dafür zu kämpfen. Außerdem diene eine
Kameradschaft der Schulung von Kameraden, denn nur mit dem nötigen Wissen
könne man seine Ziele verwirklichen. Ohne diese Kenntnisse sei man seinen Gegnern ausgeliefert und werde nicht ernst genommen.
21
22
Die Kameradschaftsmitglieder bezeichnen sich in Anspielung auf ihre Parteiunabhängigkeit auch als
Freie Nationalisten oder freie Kräfte.
Internet-Seite der Freien Kameradschaft Langeoog. Strukturen dieser Kameradschaft sind nicht nachgewiesen. Bei dem Gestalter der Internet-Seite handelt es sich um einen Kenner der Kameradschaftsszene.
Neonazistische Kameradschaften
31
Die Verfassungsschutzbehörden sprechen von einer Kameradschaft, wenn die folgenden vier Kriterien vorliegen:
– ein abgegrenzter Aktivistenstamm mit geringer Fluktuation;
– eine lokale oder regionale Ausdehnung;
– eine zumindest minimale Struktur;
– die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung.
Mit dem Entstehen der neonazistischen Kameradschaften bewegten sich die beiden
Lager des Rechtsextremismus, die subkulturell geprägten Skinheads und die Neonazis, aufeinander zu. Diesem Annäherungsprozess war eine Politisierung von Teilen
der Skinhead-Szene vorausgegangen. Inzwischen existieren neben reinen neonazistischen Kameradschaften so genannte Mischkameradschaften, die neben Neonazis
auch politisierte Skinheads umfassen. Die Konzeption der Freien Kameradschaften
ist also aufgeweicht worden. Die Zielvorstellung eines festgefügten Netzes jederzeit
aktivierbarer und zu koordiniertem Handeln fähiger Kameradschaften deckt sich
nicht mit den Realitäten. Neben größeren Kameradschaften mit politischem Anspruch besteht inzwischen eine Vielzahl von Kameradschaften, die allenfalls fähig
sind, kleinere Aktionen auf lokaler Ebene durchzuführen.
Heutzutage rekrutieren Kameradschaften ihre Anhänger hauptsächlich aus den örtlichen rechten Jugendszenen. Die Kontaktaufnahme erfolgt aufgrund persönlicher
Bekanntschaft oder im Rahmen von Skinhead-Konzerten. Während das Einstiegsalter bei etwa 16 Jahren liegt, dürfte sich das Durchschnittsalter der Mitglieder einer
Kameradschaft zwischen 20 und 25 Jahren bewegen. Der überwiegende Teil der
Kameradschaftsmitglieder ist männlich. Der Anteil von Frauen, die sich an Kameradschaftsabenden beteiligen, beträgt in Niedersachsen ca. 18 %, wobei Frauen in der
Regel keine Führungsfunktionen wahrnehmen.
Kameradschaften in Niedersachsen
Im Jahr 2003 wurden vom Verfassungsschutz in Niedersachsen rund 20 neonazistische Kameradschaften beobachtet. Ihnen gehörten ca. 350 Rechtsextremisten
an. Bundesweit gab es 160 Kameradschaften mit ca. 2.600 Mitgliedern. Die Aktivitäten der meisten Kameradschaften beschränkten sich auf die Durchführung
regelmäßiger Kameradschaftsabende, die oft nur Stammtischcharakter besaßen.
So genannte politische Schulungsarbeit trat demgegenüber oftmals in
den Hintergrund. Gleichwohl wurde
in diesen Veranstaltungen durch
das Einschwören auf gemeinsame
Feindbilder
rechtsextremistisches
Gedankengut transportiert. Die Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen
Veranstaltungen wie Demonstrationen stellte bei den meisten Kameradschaftsangehörigen eher die
Ausnahme dar.
32
Neonazistische Kameradschaften
Auf verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgerichtet sind die Aktivitäten derjenigen Kameradschaften, die sich regelmäßig an Demonstrationen beteiligen und/oder
eine eigene Homepage im Internet betreiben wie die Kameradschaften Northeim,
Weserbergland, Göttingen, Salzgitter oder die Nationalen Kräfte Barsinghausen.
Im Mittelpunkt der regelmäßigen Zusammenkünfte dieser Kameradschaften steht
neben der politischen Schulungsarbeit die Vorbereitung auf Demonstrationen. Über
das verfassungsfeindliche Selbstverständnis gibt folgende Internet-Darstellung der
Kameradschaft 84 Aufschluss:
„Wir wollen die nationale und völkische Identität Deutschlands erhalten und fördern, ebenso ist die geschichtliche wie politische Bildung innerhalb der Kameradschaft ein wichtiger Aspekt. Ebenfalls ist die Teilnahme an politischen Veranstaltungen und Demonstrationen ein aktivistischer Punkt.“
Ihre Zusammengehörigkeit dokumentieren die Kameradschaftsangehörigen auf Demonstrationen durch
das Mitführen von Spruchbändern
oder das Tragen von T-Shirts mit
aufgedrucktem
Kameradschaftsnamen. Derartige Veranstaltungen
gehören zum Hauptbetätigungsfeld
der in Kameradschaften organisierten rechtsextremistischen Skinheads
und Neonazis. Einige Kameradschaften treten dabei als geschlossener Verband auf.
Sowohl die Anzahl der Kameradschaften in Niedersachsen als auch das in ihnen
„organisierte“ Personenpotential sind seit 1998 nahezu konstant geblieben. Allerdings haben sich inzwischen die regionalen Schwerpunkte verschoben. Galt im Jahr
1998 noch der Regierungsbezirk Lüneburg als eine Hochburg neonazistischer Kameradschaften, so sind die aktivsten Kameradschaften mittlerweile in den südlichen
bzw. südwestlichen Landesteilen ansässig. Diese Entwicklung ist einmal als ein Indiz
für die Fluktuation im Kameradschaftsbereich zu werten, sie lässt auch Rückschlüsse
auf die Bedeutung von Führungsfiguren zu, derer es bedarf, um das nach wie vor
bedeutende Potential rechtsextremistischer Mitläufer zu mobilisieren.
Die Kameradschaft Northeim als Beispiel für eine neonazistische Kameradschaft
Die Entstehungsgeschichte der Kameradschaft Northeim zeigt exemplarisch auf,
unter welchen Umständen und mit welcher Zielrichtung sich das neue neonazistische Organisationsmodell herausgebildet hat. Ausgangspunkt der Entstehungsgeschichte war das Verbot der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) als
sonstige Vereinigung durch das Bundesministerium des Innern am 24.02.1995.
Unmittelbar nach Vollzug des Verbotes gründete der niedersächsische Landesvorsitzende der FAP und Skinhead Thorsten Heise an seinem damaligen Wohnort die
Kameradschaft Northeim, die sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zur be-
Neonazistische Kameradschaften
33
deutendsten Kameradschaft Niedersachsens entwickelte. Die Gründungsmitglieder
der Kameradschaft Northeim entstammten wie Heise mehrheitlich dem ehemaligen
FAP-Landesverband. Die Gründung der Kameradschaft war eine Reaktion auf die
vorangegangene Verbotsmaßnahme.
Der „seine“ Kameradschaft autoritär leitende Neonazi Heise veranschaulicht
beispielhaft die Bedeutung von Anführern innerhalb der neonazistischen Kameradschafts-Szene. An den unter seiner Leitung wöchentlich durchgeführten
Kameradschaftsabenden nahmen bis zu 30 Personen teil. Im Mittelpunkt der Kameradschaftsabende, auf denen ein striktes Alkohol- und Rauchverbot herrschte,
stand die „politische“ Schulung. Wie bei allen größeren Kameradschaften ist in
unterschiedlicher Ausprägung zwischen dem festen Aktivistenstamm und einem
Mobilisierungspotential zu unterscheiden. Das Mobilisierungspotential rekrutiert
sich aus meist jüngeren Personen der jeweiligen örtlichen rechtsextremistischen
Szene und weist in der Regel eine beachtliche Fluktuationsrate auf, weil die von den
Kameradschaftsführern erhobene Forderung nach Disziplin vor allem auf den jüngeren, aktionsorientierten Personenkreis eher ebenso abschreckend wirkt wie die
„politische“ Ausrichtung der Aktivitäten. Zumindest bis zu seinem Umzug im September 2002 nach Fretterode/Thüringen hat Heise mit seiner Kameradschaft immer
wieder die Öffentlichkeit gesucht. Der Einzugsbereich der Kameradschaft Northeim
erstreckte sich auf den gesamten südniedersächsischen Bereich. Die Kameradschaft
nahm unter seiner Leitung auf Bundesebene an zahlreichen Demonstrationen des
rechtsextremistischen Spektrums teil. Darüber hinaus organisierte sie SkinheadKonzerte. Aufgrund dieser vielfältigen Aktivitäten wurde Heise zu einer festen
Bezugsgröße innerhalb des neonazistischen Spektrums. Der Umzug von Northeim
nach Fretterode hat allerdings zu einem Bedeutungsverlust der Kameradschaft geführt, die sich nach wie vor nach ihrem Gründungsort nennt. Überdies hat Thorsten
Heises Ansehen in der Szene wegen seiner Geschäfte mit rechtsextremistischen
Musik-CDs gelitten.
34
Neonazistische Kameradschaften
Bestrebungen zur Vernetzung von Kameradschaften / „Nationales und Soziales
Aktionsbündnis Norddeutschland“
Die aktiven Kameradschaften aus Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben sich seit März 1997 zusammengeschlossen unter der Bezeichnung „Nationales
und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland“. Die Gründung dieses so genannten
Aktionsbündnisses war Ausfluss eines von dem führenden Hamburger Neonazi
Thomas Wulff entwickelten Vernetzungskonzepts, das ein Zusammenwirken von
Kameradschaften und einzelnen Neonazis in jederzeit mobilisierbaren, „nicht organisierten Einheiten“ verwirklichen sollte. Die Zielsetzung beschrieb ein „reichsweit bekannter, langjähriger Mitkämpfer“ der Freien Nationalisten im Internet wie
folgt:
„Es ist eine Bündnisstruktur, die immer dann zum Tragen kommt, wenn im norddeutschen Raum verschiedenste Aktionsgruppen und Parteien zu nationalen und
sozialen Fragen aktiv werden. Der Name soll vor allem deutlich machen, dass unter
diesem Aktionsnamen alle anderen nationalen Kräfte ein Bündnis eingehen können, ohne dass sie ihre Selbständigkeit aufgeben müssen. ... Ich persönlich sehe in
den Strukturen Freier Nationalisten eine notwendige Ergänzung zu bestehenden
nationalen Gruppierungen. Zum einen, um die Radikalität innerhalb der Szene zu
steigern und zum anderen, um den Druck auf Spalter und Provokateure erhöhen zu
können. Für viele wird es wohl auch eine organisatorische Alternative sein.“
(„Wir sind Freie Nationalisten“, Internet-Beitrag, Version vom 07.04.2000)
Für die Koordination der gemeinsamen Aktivitäten des Aktionsbündnisses der
Freien Nationalisten wurde ein so genanntes „Aktionsbüro Norddeutschland“ gegründet. Neben der Mobilisierung für Demonstrationen sollten der Informationsaustausch innerhalb des Aktionsbündnisses sowie die Öffentlichkeitsarbeit zu den
wichtigsten Aufgaben des Aktionsbüros gehören. Zur Aufgabenerfüllung bedient
sich das Aktionsbüro hauptsächlich des Internets.
Die Internetseiten der Freien Nationalisten beinhalten Berichte über rechtsextremistische Demonstrationen und Veranstaltungen, szenespezifische Informationen,
Dokumentationen und herunterladbare Flugblätter. Ende der neunziger Jahre sind
vom Aktionsbüro Demonstrationen - immer wieder auch im Zusammenspiel mit der
NPD - koordiniert worden, so z.B. am 13.06.1998 in Lüneburg eine Protestveranstaltung unter dem Motto „Arbeitsplätze statt Sozialalmosen“, an der sich 70 Neonazis
Neonazistische Kameradschaften
35
aus Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Westfalen beteiligten. Eine
führende Rolle spielte das Aktionsbüro ferner bei den von der NPD angemeldeten
Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung am 30.01.1999 in Kiel und am
10.07.1999 in Hamburg.
Seitdem zeichnet sich eine gewisse Demonstrationsmüdigkeit ab. Die relativ große
Anzahl neonazistischer Demonstrationen - 60 bis 70 Veranstaltungen jährlich auf
Bundesebene - hat dazu geführt, dass sich immer weniger Kameradschaftsangehörige zur Teilnahme an Demonstrationen bereit finden. Teilnehmerzahlen von
durchschnittlich 70 bis 150 Teilnehmern spiegeln diese Entwicklung wieder. In Reaktion hierauf veröffentlichte das Aktionsbüro Norddeutschland, das bereits 2002 den
„Demotourismus“ der freien Kräfte kritisiert hatte, im März 2003 einen Leitfaden
für Freie Nationalisten mit folgenden Maximen für die künftige Arbeit: revolutionäre Politik unabhängig von Organisationsstrukturen, Herstellung von Politikfähigkeit
durch verbindliches und kontinuierliches Arbeiten, informelle Vernetzung von Aktivisten zur Koordinierung gemeinsamer Aktivitäten, Initiative und Selbstdisziplin
jedes Aktivisten.
Ausgenommen von der „Demonstrationsmüdigkeit“ sind die alljährlich im August
durchgeführten Rudolf-Heß-Gedenkaktionen, die für den Zusammenhalt der Freien Nationalisten auf Bundesebene eine zentrale Bedeutung erlangt haben. Die
Aktionen konzentrieren sich inzwischen auf Wunsiedel, wo der 1987 verstorbene
ehemalige Hitler-Stellvertreter seit 1987 begraben ist. An der vom Hamburger
Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen Rieger angemeldeten Gedenkveranstaltung des
Jahres 2003 beteiligten sich 2.600 Rechtsextremisten, darunter auch niedersächsische Neonazis.
Nutzung der Kommunikationsmedien durch die neonazistischen Kameradschaften
Die Freien Nationalisten messen der modernen Kommunikationstechnik eine große
Bedeutung zu. Die Selbstdefinition der Informationsplattform für Freie Nationalisten im Internet WiderstandNord verdeutlicht dies:
„WiderstandNord ist eine unabhängige informelle Netzstruktur für die Berichterstattung über nationale und soziale Bewegungen an der Basis des Widerstandes.
WiderstandNord bietet freien politischen Projekten die Möglichkeit, diese Netzstruktur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten als Plattform für kontinuierliche,
verbindliche und revolutionäre Berichterstattung zu nutzen.“
Neben dem Aktionsbündnis haben auch einzelne Kameradschaften eigene Homepages ins Internet eingestellt. Aus Niedersachsen sind dies die Kameradschaft
Weserbergland, die Kameradschaft 84, die Freie Jugend Ostfriesland und die Freien
Nationalisten Niedersachsen/Weser.
36
Neonazistische Kameradschaften
Die Internetseiten der Kameradschaften ähneln einander sehr stark. Neben Beiträgen über politische Themen werden Berichte über eigene Aktivitäten und Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene veröffentlicht. Alle Homepages bieten
unter der Rubrik „Gästebuch“ ein Diskussionsforum.
Neonazistische Kameradschaften
37
Als weiteres Medium zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts nutzen
neonazistische Kameradschaften selbst erstellte Informationsschriften. Die Kameradschaft Weserbergland beispielsweise veröffentlichte die Broschüre „Widerstand
im Weserland“. Die Informationsschrift enthält Berichte über Aktionen der Kameradschaft, Presseberichte sowie Artikel über Demonstrationen und rechtsextremistische Musikveranstaltungen.
Eine andere Publikation der niedersächsischen Neonaziszene mit der Bezeichnung
„Das Sturmsignal“ erscheint im Raum Hildesheim. Das Deckblatt zeigt zwei Jungen
in der Uniform der Hitlerjugend unter einer schwarz-weiß-roten Fahne. Die Herausgeber schreiben dazu:
“Die Farben schwarz, weiß, rot stehen für die Reichsfarben und auch für die Idee
welche dahinter steckt.“
An neonazistische Leser im Großraum Hannover/Hildesheim wendet sich auch die
Broschüre „Nationaler Beobachter - Informationsblatt für die Region Südniedersachsen“. Ziel dieser neonazistischen Publikation ist es,
„dem geneigten Leser zu zeigen, wie man sich als revolutionäre Opposition zur
Wehr setzen kann und welche Wege es gibt, unsere verblendeten Volksgenossen
zum Erwachen zu bringen, um ein neues Deutschland erblühen zu lassen“.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass Printerzeugnisse in ihrer Bedeutung für die neonazistische Szene wegen des für die Erstellung einer Publikation erforderlichen relativ hohen Kosten- und Zeitaufwandes inzwischen hinter Internetveröffentlichungen
zurückgetreten sind.
38
Neonazistische Kameradschaften
Zum Zusammenspiel zwischen NPD und neonazistischer Kameradschaftsszene
Nachdem der langjährige NPD-Funktionär Udo Voigt im Jahre 1996 an die Spitze
der NPD getreten war, forcierte die Partei im Rahmen einer Drei-Säulen-Strategie
den „Kampf um die Straße“23, d. h. die NPD versuchte sich über Demonstrationen
ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Um für diese Demonstrationen ein ausreichendes Personenpotential mobilisieren zu können, suchte die NPD-Führung das
gezielte Zusammenspiel mit den Freien Nationalisten der Kameradschaftsszene.
Dabei handelte es sich um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Die freien Kräfte profitierten davon, dass ihnen die NPD unter dem Schutzmantel des Parteienprivilegs
einen öffentlichen Freiraum eröffnete und sie lieferten der NPD das Fußvolk für die
öffentlichen Auftritte.
Über das Aktionsbüro Norddeutschland wurde bis zum Jahr 2000 im Internet nahezu uneingeschränkt zur Teilnahme an NPD-Veranstaltungen aufgerufen. In aller
Deutlichkeit zeigte sich das Zusammenspiel anlässlich der Demonstration gegen
die so genannte Wehrmachtsausstellung am 19.12.1998 in Hannover, zu der der
örtliche NPD-Kreisverband aufgerufen hatte. Unter den ca. 150 Demonstranten
befanden sich hauptsächlich Neonazis der Kameradschaftsszene. Zu ihnen sprachen
der niedersächsische NPD-Vorsitzende Ulrich Eigenfeld und der Hamburger Neonazi
Christian Worch. Thorsten Heise, der Führer der Kameradschaft Northeim, war an
der Durchführung des Demonstrationszuges beteiligt.
Persönliche Auseinandersetzungen zwischen führenden Kräften der Freien Nationalisten und dem NPD-Parteivorstand führten im Sommer 2000 zu einer Abkühlung
des Verhältnisses. Die Distanz verstärkte sich noch, als die NPD-Führung der Partei
im August 2000 im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion über das Parteiverbotsverfahren einen Demonstrationsverzicht auferlegte. Angesichts erheblicher
Kritik aus dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum sowie auch aus den eigenen Reihen wurde der Verzicht auf Demonstrationen im Oktober 2000 von der
NPD-Führung wieder zurückgenommen. Die NPD-Führung hatte erkennen müssen,
dass sie öffentlichkeitswirksame Aktionen ohne Unterstützung durch die demonstrationsbewährten Freien Nationalisten nur in eingeschränktem Maße durchführen
kann. Sie war wieder bereit, parteiunabhängigen Neonazis ein Rederecht und damit
eine Selbstdarstellungsmöglichkeit auf Demonstrationen einzuräumen. Vorübergehend verbesserte sich das Verhältnis wieder und es kam erneut zum Schulterschluss
23
Zur Drei-Säulen-Strategie gehören neben dem „Kampf um die Straße“ der „Kampf um die Köpfe“ und
der „Kampf um die Parlamente“.
Neonazistische Kameradschaften
39
bei Demonstrationen. Führende Neonazis wie Christian Worch allerdings gingen
auf Distanz zur „systemangepassten Politik der NPD“ und haben eine Diskussion
darüber entfacht, ob Angehörige der neonazistischen Kameradschaftsszene Demonstrationen der NPD überhaupt noch unterstützen oder ob sie nicht gleich eigene Kundgebungen veranstalten sollten. Die Differenzen wurden erstmals öffentlich
zum Ausdruck gebracht, als die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ im Frühjahr 2002 in Bielefeld gezeigt wurde und die NPD am 02.02. und die freien Kräfte
unter Führung von Worch am 02.03.2003 getrennt voneinander demonstrierten.
Das Werben der NPD um Unterstützung der Freien Nationalisten ist aber dennoch
unverkennbar. So sind die vom NPD-Verlag Deutsche Stimme ausgerichteten Pressefeste vom Programm her insbesondere auf die Teilnahme von Freien Nationalisten
ausgerichtet. Die Auftritte bekannter rechtsextremistischer Bands und Liedermacher
zielten auf dieses Publikum. Das Musikprogramm des NPD-Pressefestes in Königslutter am 03.08.2002 beispielsweise wurde von den Skinhead-Bands Sleipnir und Spreegeschwader und den rechtsextremistischen Liedermachern Frank Rennicke und Lars
Hellmich bestritten. Ein Jahr später, am 09.08.2003 in Meerane/Sachsen, sorgten die
Skinhead-Bands Saga aus Schweden und Nordfront aus Hannover und der Rechtsextremist Frank Rennicke für die musikalische Unterhaltung. Beide Veranstaltungen
fanden mit 1.500 bzw. 2.500 Teilnehmern, darunter zahlreichen Skinheads und Freie
Nationalisten, starken Zuspruch sowohl in der rechten Skinheadszene als auch bei
Angehörigen der Kameradschaften.
Gute persönliche Beziehungen dürften der Hauptgrund dafür sein, dass Demonstrationen der NPD in Niedersachsen nach wie vor von zahlreichen Angehörigen Freier
Kameradschaften aus Niedersachsen und aus benachbarten Bundesländern unterstützt werden. Kameradschaftsmitglieder beteiligen sich darüber hinaus an lokalen
Flugblattaktionen und an Infotischen der NPD. Das auf persönlichen Loyalitäten
basierende Verhältnis
könnte sich durch die
Einbindung von freien
Kräften in NPD-Funktionen weiter festigen.
Dem
gegenwärtigen
NPD-Landesvorstand
gehören drei Beisitzer
an, die als Anführer der
Kameradschafts-Szene
zu betrachten sind.
Die Verflechtung wird
sich noch verfestigen,
wenn weitere Kameradschaftsangehörige
aufgrund altersbedingter Rücktritte von NPDFunktionären Führungsaufgaben in der NPD übernehmen. In besonders deutlicher
Form ist diese enge Verknüpfung bereits in Göttingen zu beobachten. Die dortige
Kameradschaft bildet auf ihrem Spruchband auch die Internetadresse der NPD ab.
40
Fazit und Ausblick
Fazit und Ausblick
Die Beobachtungsfelder der rechtsextremistischen Skinhead-Szene und der neonazistischen Kameradschaften haben sich in den letzten 15 Jahren als die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus erwiesen, die sich am stärksten verändert hat.
Der traditionelle parteigebundene Rechtsextremismus, der wegen der Wahlerfolge
der Partei Die Republikaner in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich gezogen hatte, ist demgegenüber in den
Hintergrund getreten. Eine gewisse Ausnahme bildet die NPD, bezeichnenderweise
aber deshalb, weil sie den Versuch einer Öffnung gegenüber der neonazistischen
Kameradschafts-Szene unternommen hat.
Innerhalb der niedersächsischen Kameradschafts-Szene, in der Skinheads eine
wichtige Rolle spielen, ist eine starke Fluktuation zu beobachten. Trotz ihrer unstrukturierten Gesamterscheinung birgt diese rechtsextremistische Szene ein nicht
unerhebliches Gefahrenpotential, wie die über die Skinhead-Musiktexte und über
das Internet verbreitete menschenverachtende Ideologie belegt. Aus dem Mangel
an anerkannten Führungspersönlichkeiten, die mit politischer Zielsetzung auf die
Szene einwirken, resultiert auch eine gewisse Unberechenbarkeit des Handelns.
Andererseits erklärt sich aus dem Mangel an Anführern der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene auch, dass den Vernetzungsbestrebungen im wesentlichen
nicht der Erfolg beschieden ist, der den Protagonisten des Modells Freier Kameradschaften vorschwebte.
Erkenntnisse darüber, dass sich niedersächsische Rechtsextremisten für den „politischen Kampf“ gezielt Waffen beschaffen, liegen gegenwärtig den Sicherheitsbehörden nicht vor, auch wenn festgestellt werden muss, dass Rechtsextremisten
generell eine überdurchschnittliche Affinität zu Waffen und Sprengstoff haben.
Die Herausbildung eines rechtsextremistischen Terrornetzes, einer „Braunen Armee Fraktion“, ist angesichts der derzeitigen Struktur der Kameradschafts-Szene
in Niedersachsen unwahrscheinlich. Es fehlt gegenwärtig nach den Beobachtungen
der Sicherheitsbehörden an Protagonisten und am nachhaltigen Willen, den „bewaffneten Kampf“ gegen das „System“ aufzunehmen. Die im Herbst 2003 bekannt
gewordenen Anschlagspläne von Mitgliedern der so genannten Kameradschaft
Süd in München stießen bei niedersächsischen Kameradschaftsangehörigen auf
einhellige Ablehnung. Es handelte sich um Vorbereitungen von Neonazis der Kameradschaftsszene, wie sie auch für Niedersachsen zukünftig nicht ausgeschlossen
werden können. Deshalb ist die intensive Beobachtung der neonazistischen Kameradschafts-Szene weiterhin eine vordringliche Aufgabe der Sicherheitsbehörden,
um vergleichbare Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.
Eine dauerhafte Vernetzung des neonazistischen Rechtsextremismus über die nationalen Grenzen hinweg zeichnet sich ebenfalls nicht ab, auch wenn es zahlreiche
Kontakte zwischen rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis auf internationaler Ebene gibt, etwa bei der Durchführung größerer Konzerte. Blood & Honour
ist ohnehin eine internationale Bewegung mit Divisionen auf verschiedenen Kontinenten. Ein abgestimmtes zielgerichtetes politisches Zusammenwirken indes findet
gegenwärtig nicht statt. Dies wäre auch schon deshalb schwierig, weil die jeweils
eigene Nation für Neonazis nach wie vor eine feste Bezugsgröße darstellt. Die bis-
Fazit und Ausblick
41
lang registrierten Kontakte auf internationaler Ebene, z.B. im Zusammenhang mit
den Ermittlungen gegen Combat 18, konzentrieren sich auch weniger auf ein ideologisches Zusammenspiel als auf kommerzielle Interessen.
In einer Gesamtbetrachtung über den Rechtsextremismus in Deutschland gilt es zu
berücksichtigen, dass sich die Entwicklung in den verschiedenen Bundesländern
unterschiedlich vollzieht. Im Gegensatz zu Niedersachsen, wo es zahlreiche Kameradschaften gibt, in denen rechtsextremistische Skinheads und Neonazis vereint
sind, ist in anderen Regionen Deutschlands eine Verfestigung des neonazistischen
Einflusses innerhalb der Kameradschafts-Szene zu beobachten. In Niedersachsen
wiederum hat die NPD nicht im gleichen Ausmaß ihren Einfluss auf die Kameradschafts-Szene verloren wie in anderen Bundesländern. Der von der NPD-Führung
angestrebte Erneuerungsprozess vollzieht sich in Niedersachsen unter Einbeziehung
von Kameradschaftsangehörigen. Die weitere Beobachtung und Bewertung der neonazistischen Kameradschafts- und Skinhead-Szene lässt bisher zu einem großen
Teil länderspezifische Entwicklungen erkennen. Eine einheitliche Entwicklung für
das gesamte Bundesgebiet ist nicht feststellbar.
42
Anhang
Anhang
Verbote neonazistischer Vereinigungen
Verbotsverfüg.
Vereinigung
Verbotsbehörde
26.11.1992
Nationalistische Front (NF)
Bundesministerium
des Innern
08.12. 1992
Deutsche Alternative (DA)
Bundesministerium
des Innern
18.12.1992
Deutscher Kameradschaftsbund
(DKB)
Niedersächsisches
Innenministerium
21.12.1992
Nationale Offensive (NO)
Bundesministerium
des Innern
07.06.1993
Nationaler Block (NB)
Bayerisches Staatsministerium des Innern
08.07.1993
Heimattreue Vereinigung
Deutschlands (HVD)
Innenministerium
des Landes BadenWürttemberg
25.08.1993
Freundeskreis Freiheit für
Deutschland (FFD)
Innenministerium des
Landes
Nordrhein-Westfalen
10. 11.1994
Wiking Jugend e.V. (WJ)
24.02.1995
Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)
Bundesministerium
des Innern
(auf Initiative des
Niedersächsischen
Innenministeriums)
Bundesministerium
des Innern
(auf Initiative des
Niedersächsischen
Innenministeriums)
Anhang
43
22.02.1995
Nationale Liste (NL)
Behörde für Inneres
Hamburg
12.05.1995
Direkte Aktion/
Mitteldeutschland (JF)
Innenministerium des
Landes Brandenburg
22.07.1996
Skinheads Allgäu
Bayerisches Staatsministerium des Innern
14.08.1997
Kameradschaft Oberhavel
Innenministerium des
Landes Brandenburg
09.02.1998
Heide-Heim e.V. und
Heideheim e.V.
Niedersächsisches
Innenministerium
10.08.2000
Hamburger Sturm
Behörde für Inneres
Hamburg
12.09.2000
Blood & Honour -Division
Deutschland
mit Jugendorganisation White
Youth
Bundesministerium
des Innern
03.04.2001
07.03.2003
Skinheads Sächsische Schweiz
(SSS) mit Skinheads Sächsische
Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand
Pirna
Bündnis nationaler Sozialisten
für Lübeck
(www.fuer-luebeck.com)
Sächsisches Staatsministerium des Innern
Innenministerium des
Landes
Schleswig-Holstein
44
Anhang
Einschlägige Straftatbestände des Strafgesetzbuches (StGB)
Die nachfolgende Darstellung dient ausschließlich der staatsbürgerlichen Aufklärung im Sinne von § 86 Abs. 3 StGB. Es handelt sich dabei um einen Abdruck aus der
Broschüre Musik - Mode - Markenzeichen mit freundlicher Zustimmung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen.
1.
§84StGB:
Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei
(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses
Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt
1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei
oder
2. einer Partei, von der das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass
sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, aufrechterhält, wird mit
Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch
ist strafbar.
(2) Wer sich in einer Partei der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt
oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) [...]
2.
§ 85 StGB:
Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot
(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses
Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt
1. einer Partei oder Vereinigung, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des
Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt worden ist, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, aufrechterhält,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der
Versuch ist strafbar.
(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als
Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) [...]
Anhang
3.
45
§ 86 StGB:
Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
(1) Wer Propagandamittel
1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei
oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt ist,
dass sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist,
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen
die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, das sie
Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,
3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen
Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen tätig ist, oder
4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen,
im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich
macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften (§ 11 Abs.
3), deren Inhalte gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den
Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind.
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der
Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder Lehre, der Berichterstattung
über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken
dient.
(4) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
4.
§ 86 a StGB:
Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten
Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften (§ 11 Abs. 3) verwendet oder
2. Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur
Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1
46
Anhang
bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen
stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
(3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
Nach § 86 a StGB verboten sind insbesondere folgende Symbole, Kennzeichen,
Parolen, Lieder und Fahnen:
Strafbar
Hitler-Bild und Hitler-Gruß
Strafbar
Hakenkreuz – Symbol der NSDAP, wird
in zahlreichen Variationen verwendet
(Beispiele nachfolgend)
Strafbar
Hakenkreuz – seitenverkehrt
Anhang
47
Strafbar
Abzeichen der ’Hitler-Jugend’
Strafbar
Fahne der ‘Deutschen Arbeitsfront’
Strafbar
Armbinde mit Adler und Hakenkreuz
Anhang
48
Strafbar
Hakenkreuz – negativ
Symbol der verbotenen ‘Aktionsfront
Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten’
Strafbar
Hakenkreuz – leicht verändert
(Swastika-Kreuz).
Wurde in ähnlicher Form von den
Nationalsozialisten in Symbolen des
‘Deutschen Frauenwerkes’ und der
‘NS-Frauenschaft’ verwendet.
Strafbar
Sigrune (germanisches S)
Zeichen des ‘Deutschen Jungvolkes’
Strafbar
Doppel-Sigrune/SS-Rune
Zeichen der ‘Schutzstaffeln’ (SS) der
NSDAP
Anhang
49
Strafbar
Abgeänderte Sigrune mit waagerechten Spitzen
Kennzeichen der verbotenen ‘Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale
Aktivisten’
Strafbar
Wolfsangel
Strafbar als Symbol der verbotenen
‘Jungen Front’
Strafbar nur in Verbindung
mit verbotenen
Organisationen
Odalrune; strafbar als Kennzeichen
des verbotenen ‘Bundes Nationaler
Studenten’ (BNS) und der verbotenen
‘Wiking-Jugend’ (WJ)
Strafbar
Abzeichen der ‘Sturmabteilung’ (SA)
Anhang
50
Strafbar
Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz
(1935–1945)
Nicht strafbar
Reichskriegsflagge (1867–1921)
Das Zeigen der Flagge ist zwar nicht
strafbar, die Polizei kann sie aber unter bestimmten Umständen wegen
Störung der öffentlichen Ordnung
einziehen.
Nicht strafbar
Reichskriegsflagge (1922–1933)
Nicht strafbar
Reichskriegsflagge (1933–1935)
51
Anhang
Strafbar nur in Verbindung
mit verbotenen
Organisationen
Als Kennzeichen der ‘Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei
der Arbeit’. Das Keltenkreuz steht
im rechtsextremistischen Kontext vor
allem für das »kulturelle Erbe der arischen Herrenrasse«; insbesondere in
der Skinhead-Szene weit verbreitet.
Nicht strafbar
Sonnensymbol (Sonnenrad) ‘Triskele’
Wird unter anderem von White -Power-Skins und vom ‘Ku Klux Klan’
(KKK) benutzt sowie bis zu ihrem Verbot am 14. September 2000 von der
‘Blood & Honour’-Organisation
(B & H).
Strafbar
Logo der verbotenen Skinhead-Organisation ‘Blood & Honour’. In der
Skin-Szene wird seit dem Verbot für B
& H das Kürzel 28 (B=2, H=8) verwendet.
Strafbar
Symbol der verbotenen’Nationalen
Sammlung’ (NS)
52
Anhang
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Nationalen
Liste’
Strafbar
Symbol NF der verbotenen ‘Nationalistischen Front’ (NF)
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Deutschen
Alternative’ (DA)
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Nationalen
Offensive’ (NO)
53
Anhang
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei
der Arbeit’ (VSBD/PdA)
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei
der Arbeit’ (VSBD/PdA)
Strafbar
Symbol der verbotenen ‘Freiheitlichen
Deutschen Arbeiterpartei’ (FAP). Der
Zahnkranz als Umrahmung eines Hakenkreuzes fand auch in dem Symbol
der nationalsozialistischen ‘Deutschen
Arbeitsfront’ Verwendung.
Strafbar
Erkennungszeichen der verbotenen
‘Direkten Aktion/Mitteldeutschland’
(JF)
54
Anhang
Nicht strafbar
Symbol der Hammer-Skins. Zum Zahnkranz: siehe Erläuterung zum FAPSymbol
Nicht strafbar
Aufnäher von Rechtsextremisten mit
der »White-Power-Faust« und ZahlenCodes für die rassistischen »14 words«
sowie für die Grußformel »Heil Hitler«(88)
Nicht strafbar
Die Zahlen stehen für den 8. Buchstaben im Alphabet = H.H. Mit dieser synonym für die verbotene Grußformel
»Heil Hitler« verwandten Abkürzung
signalisieren Rechtsextremisten ihre
Gesinnung.
Nicht strafbar
Die Zahl signalisiert rassistische Gesinnung. Sie steht für die 14 Worte: »Wir
müssen die Existenz unseres Volkes
sichern und eine Zukunft für unsere
weißen Kinder.«
Nicht strafbar
Die Zahl steht für den 1. und 8. Buchstaben im Alphabet = A.H. Die Abkürzung steht für »Adolf Hitler«.
55
Anhang
Nicht strafbar
Die Zahl steht für die Buchstaben B und
H. Sie wird als Umschreibung der in
Deutschland verbotenen Skinhead-Strömung ‘Blood & Honour’ verwandt.
»Sieg Heil«
Strafbar
Parteitags- und Massenparole der
NSDAP
»Heil Hitler«, »Deutscher Gruß«
oder »Hitler-Gruß«
Strafbar
Grußform mit ausgestrecktem rechten
Arm – auch ohne Worte
»Mit deutschem Gruß«
Strafbar
Briefliche Grußform – BGH, Az. 3 StR
280/76
»Meine Ehre heißt Treue« bzw.
»Unsere Ehre heißt Treue«
Strafbar
Losung der SS
»Alles für Deutschland«
Strafbar
Losung der SA
»Blut und Ehre«
Strafbar
Losung der ‘Hitler Jugend’
»Deutschland erwache«
Strafbar
Losung der NSDAP (SA, SS)
56
»Ein Volk, ein Reich, ein Führer«
Anhang
Strafbar
Allgemeine Parteilosung
»Rotfront verrecke«
Strafbar
BGH, Az. 3 StR 575/86
Die folgenden Lieder gehörten zum offiziellen Liedgut der NSDAP und waren während des Dritten Reiches sehr bekannt.
»Die Fahne hoch! Die Reihen dicht
geschlossen!
SA marschiert mit ruhig festem
Schritt.
Kameraden, die Rotfront und
Reaktion erschossen,
marschiern im Geist in unsern
Reihen mit.«
Strafbar
»Vorwärts! Vorwärts!
schmettern die hellen Fanfaren.
Vorwärts! Vorwärts!
Jugend kennt keine Gefahren.
Deutschland, du wirst leuchtend
stehn, mögen wir auch untergehn.«
Strafbar
Horst-Wessel-Lied
(Kampflied der SA)
Vorwärts! Vorwärts
(Lied der Hitler Jugend)
Dieses Lied wurde neben dem HorstWessel-Lied bei offiziellen Anlässen
gesungen.
57
Anhang
»Brüder in Zechen und Gruben,
Brüder, ihr hinter dem Pflug,
aus den Fabriken und Stuben:
Folgt unsres Banners Zug!
Strafbar
[...]
Dieses Lied ist auch unter der hier ausgelassenen Textzeile »Einst kommt der
Tag der Rache« bekannt.
Hitler treu ergeben,
treu bis in den Tod.
Hitler wird uns führen
Einst aus dieser Not.«
»Kampfgenossen schließt
zusammen
fest der Staffel schwarze Reihn.
Hoch das Banner, lichtumflossen
in dem Kampf um Deutschlands
Sein.
Hakenkreuz, du heilges Zeichen,
Runensiegel deutscher Art,
Deutschlands Feinde müssen
weichen,
Leitstern unsrer Siegesfahrt.«
Brüder in Zechen und Gruben
(Kampflied der NSDAP)
Strafbar
Lied der SS und SA
Anhang
58
5.
§ 129 StGB:
Bildung krimineller Vereinigungen
(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, oder wer sich an einer solchen kriminellen
Vereinigung als Mitglied beteiligt, für sie wirbt oder sie unterstützt, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von
untergeordneter Bedeutung ist oder
3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den
§§ 84 bis 87 betreffen.
(2) Der Versuch, eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.
(3) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder liegt sonst ein
besonders schwerer Fall vor, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu
fünf Jahren zu erkennen.
(4) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung
von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1
und 3 absehen.
(5) [...]
6.
§ 130 StGB:
Volksverhetzung
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder
Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. Schriften (§ 11 Abs. 3), die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte
59
Anhang
Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, dass Teile
der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig
verächtlich gemacht oder verleumdet werden,
a) verbreitet,
b) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,
c) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich
macht oder
d) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist,
einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder
einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
2. eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk
verbreitet.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in
§ 220 a Abs. 1 (Völkermord) bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist,
den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt,
leugnet oder verharmlost.
(4) [...]
(5) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit Absatz 4, und in den Fällen
des Absatzes 3 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.
Herausgeber:
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Lavesallee 6, 30169 Hannover
Telefon: (05 11) 1 20 - 62 55
Telefax:
(05 11) 1 20 - 65 55
E-Mail:
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Internet: www.mi.niedersachsen.de
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