Richard Hastik, Marina Fernandez-Delgado Juarez - GW
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Richard Hastik, Marina Fernandez-Delgado Juarez - GW
www.gw-unterricht.at Richard Hastik1, Marina Fernandez-Delgado Juarez2, Laurent Moya3, Nadine Präg2, Maraike Probst2, Carina Rofner3, Andreas Walter2 & Heribert Insam2 Fachwissenschaft Vom stummen Frühling zum langen Winter? 50 Jahre Kontroverse über die Verwendung von Pestiziden und deren Folgen für Mensch und Umwelt [email protected]; [email protected]; [email protected]; [email protected]; [email protected]; [email protected]; [email protected]; [email protected], 1 Institut für Geographie, 2 Institut für Mikrobiologie, 3 Institut für Ökologie, Universität Innsbruck eingereicht am: 27.03.2013, Doubleblind-Review, akzeptiert am: 16.06.2013 Anlass dieses Artikels ist das 50. Erscheinungsjubiläum von Rachel Carsons Buch „Der stumme Frühling“, in welchem die Entwicklung des Pestizideinsatzes kritisiert wird. Dabei betrachten wir Rachel Carsons Metapher eines stummen Frühlings, verursacht vom Verschwinden der Vögel, im Bezug zum Umgang mit Pestiziden. Nach einer kurzen Einleitung zum Thema Pestizide werden die aktuelle Gesetzeslage und die Zulassungsbedingungen von Pestiziden beleuchtet. Im Gegensatz zu den 1960er Jahren werden Pestizide aktuell vor allem im Zusammenhang mit Glyphosat und gentechnisch veränderten Pflanzen betrachtet. Daher werden wir insbesondere deren Folgen für Mensch und Umwelt mit Bezug auf Rachel Carsons Argumente diskutieren. In Anlehnung an Rachel Carsons letztes Buchkapitel „Der andere Weg“, werden darauf folgend Alternativen, wie z. B. die biologische Schädlingsbekämpfung, vorgestellt. Abschließend diskutieren wir die Kontroverse, ob Pestizide und Nachhaltigkeit einander ausschließende Begriffe sind. Keywords: Pestizide, Schädlingsbekämpfung, Gentechnik, Silent Spring, Der Stumme Frühling From silent spring to a long winter? – 50 years of controversy on the use of pesticides and its effect on man and biosphere Fifty years ago, biologist Rachel Carson published the book Silent Spring which criticized the development of pesticide use. On the occasion of this anniversary the authors examine the present relevance of Rachel Carson‘s image of a silent spring caused by the disappearance of birds related to pesticide use. After giving a short introduction on pesticides we continue with current legislative issues and testing methods. In contrast to the 1960s, pesticide use is now often discussed in connection with glyphosate and genetically modified crops. Therefore we will focus our discussion on the effects on humans and the environment with respect to Carson‘s arguments. We will go on to reflect alternatives to pesticides, such as biological control methods, in the context of the last chapter of her book, The other road. Finally, we examine whether ‘pesticides’ and ‘sustainability’ are mutually exclusive terms. Keywords: pesticides, pest control, genetic engineering, Silent Spring, Der Stumme Frühling 1 „Der stumme Frühling“ als erste gesellschaftliche Auseinandersetzung über den Umgang mit Pestiziden Das vor 50 Jahren erschienene Buch „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson führte zu einem Aufschrei in der Gesellschaft der 1960er Jahre und zur Gründung von Umweltbewegungen in den USA. Heute wird es zu Recht als eines der einflussreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts betrachtet. Ausführliche und erbitterte Auseinandersetzungen zwischen der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Industrie und der Politik waren die Folge. Pestizide und Pflanzenschutzmittel (für Definitionen siehe Infobox 1) wurden be- GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 5 Hastik et al. reits zu Beginn des 20. Jahrhunderts ohne Rücksicht auf die menschliche Gesundheit, Tiere und Umwelt sorglos über weite Landstriche ausgebracht, um im Zuge der Grünen Revolution die Agrarindustrie in eine neue Dimension der Wirtschaftlichkeit zu katapultieren. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung wird die intensiv betriebene Landwirtschaft, kombiniert mit einem hohen Einsatz von Spritzmitteln, für viele Staaten als unverzichtbar propagiert, um ihren Bedarf an Nahrungs- und Futtermitteln zu erfüllen. Die von Rachel Carson offen gelegten Probleme, die mit dem Einsatz von Herbiziden oder Pestiziden einhergehen könnten, sind nach wie vor aktuell, wenngleich der Großteil der Problematiken, die sich aus deren Einsatz ergeben können, verschoben ist. Ein unverantwortlicher Einsatz von Pestiziden tötet nicht nur Schad- sondern auch Nutzinsekten, die zur Aufrechterhaltung von Ökosystemen beitragen. Weiters können sich Schadstoffe im Boden oder Grundwasser anhäufen, gelangen so in die Nahrungskette, werden dort oftmals akkumuliert und stellen damit ein erhebliches Risiko auch für den Menschen dar. Rachel Carson erkannte bereits damals diese Zusammenhänge und beschrieb erschreckend detaillierte Beispiele des unverantwortlichen und ungezügelten Einsatzes dieser gefährlichen Chemikalien. Dabei kritisierte sie vor allem auch die unzureichende Evaluierung der verwendeten Spritzmittel seitens der Hersteller und von staatlicher Seite. Zu Rachel Carsons Zeit waren die Kontroversen auf persistente Pestizide wie Dieldrin und DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) fokussiert. Zum Beispiel wurden im Illinois der 1960er Jahre 375 000 USD für ein achtjähriges Maßnahmenprogramm aufgewandt, um den Japankäfer, der damals in den USA wütete, mit Dieldrin zu bekämpfen. Dabei wurden nur 6 000 USD für biologische Feldstudien verwendet, ernstzunehmende toxikologische Studien fehlten vollständig. Die Käferplage konnte nicht eingedämmt werden, dafür starben tausende Vögel und Säugetiere. Von 1950 bis Anfang der 1970er wurde Dieldrin in großem Ausmaß als Pestizid eingesetzt, seine Anwendung in der Landwirtschaft ist heute verboten. DDT, ebenfalls ein Insektizid auf Basis chlororganischer Verbindungen, wurde 1940 das erste Mal eingesetzt (Eskenazi et al. 2009). Zwar ist ein landwirtschaftlicher Einsatz seit 1972 verboten, jedoch kann DDT heute noch zur Malaria-Bekämpfung ausgebracht werden (van den Berg 2009). Heute müssen die Konsequenzen der Pestizidanwendung vor allem mit Bezug auf Glyphosat diskutiert werden, das zum weltweit meistverwendeten Herbizid wurde (Baylis 2000). Der Wirkstoff wurde bereits 1950 von Henri Martin dargestellt, dessen Wirkung als Herbizid aber erst 1971 erkannt und 6 Infobox 1: Was sind Pestizide? Pestizide oder Pflanzenschutzmittel sind generell chemische Verbindungen, die (bestimmte) Organismen daran hindern sollen, Kulturpflanzen zu befallen. Dadurch verstärken sie die Produktivität und das Wachstum der Kulturpflanze. Anwendung finden sie vorrangig in der Landwirtschaft, aber auch im privaten und industriellen Gebrauch. Pestizide werden abhängig von ihrer Zielgruppe in Untergruppen unterteilt. So verhindern Insektizide z. B. das Wachstum von Insekten oder töten diese ab, Fungizide haben dieselbe Wirkung auf Pilze usw. Andere Beispiele sind Molluskizide, Nematozide und Herbizide. vom US Konzern Monsanto patentiert. Gegenwärtig dominiert das Glyphosatprodukt Roundup® den Herbizidmarkt. Aber auch der Einsatz anderer Pestizide steht regelmäßig im Zentrum gesellschaftlicher Kontroversen, wie etwa aktuell der Einsatz von Neonicotinoiden als Insektizid und deren Zusammenhang mit dem Bienensterben. 2 Aktuelle Gesetzgebung und Pestizidzulassung Im Zuge der Diskussion um mögliche Folgeschäden durch Pestizide wurden wirksame rechtliche Rahmenbedingungen zunehmend thematisiert. Heute ist die Anwendung von Pestiziden zum Schutz von Mensch und Umwelt nahezu weltweit gesetzlich geregelt. In Europa wurde die Gesetzgebung 1991 harmonisiert, wobei die Schaffung vergleichbarer Wettbewerbschancen, die Erhöhung der Transparenz und die beschleunigte Zulassung von Pestiziden im Zentrum der Bemühungen standen. Obwohl die endgültige Entscheidung der Pestizidzulassung bei den Mitgliedsstaaten liegt, muss jedes Pestizid von der EU in einer Positivliste erfasst sein. Des Weiteren muss jeder Mitgliedsstaat einen von der EU-Kommission genehmigten Aktionsplan erstellen, welcher die Zulassungen und Anwendungen von Pestiziden festlegt (BMELV 2012). Im Jahr 2011 wurde das Europäische Pestizidgesetz erneuert, um die Sicherheit von Mensch und Umwelt bei Pestizidanwendungen zu gewährleisten (EG 2009a–d). Die wichtigsten Neuerungen sind im Folgenden aufgelistet: GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 Vom stummen Frühling zum langen Winter? Inhaltsstoffe von Pestiziden: • Pestizide dürfen nur noch von der EU positiv gelistete Stoffe enthalten. • Substitutionskandidaten (Verbindungen, welche durch harmlosere ersetzt werden), sind nur mehr in Ausnahmefällen erlaubt. • Sowohl mutagene, karzinogene oder persistente Inhaltsstoffe als auch Stoffe, welche den Reproduktionszyklus beeinflussen, sind verboten. Zulassung: • Zulassungen können entzogen werden, wann immer dies notwendig ist, ungeachtet der verbleibenden Zulassungsdauer des Pestizids. Im Regelfall ist ein Pestizid für 7 Jahre zugelassen. Erneute Zulassungen sind möglich, solange die Zulassungsbedingungen erfüllt sind. • Pestizide mit geringem Risiko und Substitutionsstoffe können ein schnelleres Zulassungsverfahren erhalten (reguläres Zulassungsverfahren: 2 Jahre). Sicherheit: • Eine Pestizidanwendung auf öffentlichen Plätzen, Gewässern und Naturschutzgebieten ist verboten. • Die Ausbringung von Pestiziden unter Verwendung von Fluggeräten ist verboten. • Pestizide dürfen in größeren Mengen nur von autorisierten Personen angewandt und verkauft werden. • Programme, welche den Einfluss von Pestiziden auf den Menschen oder die Umwelt untersuchen, werden von der EU finanziell unterstützt. • Produkte dürfen nur dann innerhalb der EU gehandelt werden, wenn das verwendete Pestizid in beiden Ländern zugelassen ist. Kennzeichnung und Werbung: • Pestizide müssen als solche gekennzeichnet und sicher gelagert werden. • Produktwerbung darf die Toxizität eines Pestizides nicht verharmlosen und muss Warnungen enthalten. Kontrolle: • Die Europäische Kommission überwacht den Handel und die Anwendung von Pestiziden. Im Verlauf der Jahre hat sich die Gesetzgebung bezüglich Pestiziden in der Europäischen Union verschärft. International unterscheidet sich die Gesetzgebung für Pestizide hingegen stark (BASF 2009). Insbesondere Agrarexportländer (z. B. Brasilien) haben eine Gesetzgebung, die zwar am Standard der EU oder USA orientiert ist, jedoch nicht deren Effizienz oder Sicherheit erreicht. Auch in Südostasien ist die Gesetzgebung zwar ebenso am Modell der EU oder USA orientiert, allerdings bezieht sich diese nur auf importierte Pestizide, während national hergestellte Pestizide unkontrolliert produziert, gehandelt und ausgebracht werden können. In einigen dieser Länder geht die Gesetzgebung davon aus, dass Pestizide, welche in mindestens einem Industrieland zugelassen sind, automatisch sicher seien und daher eingesetzt werden dürfen. Aus diesen Gründen werden viele Pestizide trotz zahlreicher Verbote in bestimmten Ländern hergestellt und angewendet. So ist Indien weltweit der größte Produzent von DDT (van den Berg 2009). 3 Erforderliche toxikologische Tests damals und heute Die Toxikologie befasst sich mit der Belastung, den biochemischen Reaktionen und den Auswirkungen eines Giftstoffes auf die lebenden Zellen eines Organismus. Die giftige Substanz reagiert dabei mit den Biomolekülen im Körper und kann ab einer bestimmten Dosis beträchtlichen Schaden anrichten. Zur Zeit Rachel Carsons wurden kaum Umweltanalysen oder toxikologische Studien an Lebewesen durchgeführt. Seither haben die OECD und andere Organisationen Testvorschriften für Pestizide erstellt. Die Richtlinien unterscheiden sich je nach Land und Organisation, doch die Hauptmerkmale bleiben dieselben (OECD o.J.). Bevor ein Pestizid am Markt gehandelt werden darf, müssen mehrere Testkriterien erfüllt sein, wie in Infobox 2 dargestellt. Das Ausmaß der durchgeführten Studien hängt vom a priori Wissen über die Substanz ab. Allerdings müssen neu entwickelte Pestizide ebenso wie alte Produkte nach den heutigen Standards evaluiert und untersucht werden (OECD o.J.). Durch die moderne analytische Chemie können Spuren giftiger Substanzen in Lebensmitteln und Umwelt nachgewiesen werden. Für eine Zulassung müssen die (re-)aktiven Pestizide und ihre Stoffwechselprodukte unter einem gewissen Konzentrationsbereich liegen (EFSA 2012). Für den Hersteller sind die Aufbereitung der Proben und deren Analyse zwar komplex und teuer, allerdings unabdingbar für einen sicheren Einsatz. 4 Pestizidanwendung im Zeitalter der Gentechnik Zur Zeit Rachel Carsons wurde vor allem über die Anwendung und Auswirkung von persistenten organischen Pestiziden (POPs) wie Dieldrin und DDT diskutiert. Heute dominiert das weltweit am häufigsten verwendete Herbizid Glyphosat diese Debatte GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 7 Hastik et al. Infobox 2: Testkriterien zur Zulassung von Pestiziden (Hodgson 2004) In vivo Tests: • Akut orale, dermale und Inhalationsstudien an Nagetieren; Augenreizungstests an Albinohasen. • Hautirritations- und Sensibilisierungstests an Meerschweinchen oder Hasen, um allergische Reaktionen nach Kontakt aufzuzeigen. • Subchronische Tests an Ratten und Hunden über einen Zeitraum von bis zu 90 Tagen, um die Auswirkung auf Organe zu untersuchen. • Tests bezüglich der Fortpflanzungsfähigkeit an Ratten und Hasen in Einzel- und Mehrgenerationsstudien. In vitro und in vivo Tests: • Mutagenitätstests an Bakterien (Ames Test). • Mutagenitäts- und Chromosomenstudien an eukaryotischen Zellen (höhere Zellen mit Zellkern), um abnorme Mutationen, Chromosomenschäden sowie krebserregende Effekte nachzuweisen. • Umweltrisikobeurteilung für die Tierwelt und Gewässer, um Bioakkumulation, Transport und Toxizität von Stoffwechselprodukten zu untersuchen. Studien, die nur in besonderen Fällen benötigt werden: • Neurotoxizitätstests. • Potenzierungs- und Synergismuseffekte von Giftstoffen und nicht giftigen Stoffen. (Baylis 2000). In der Landwirtschaft wird Glyphosat als Unkrautbekämpfungsmittel vor der Aussaat eingesetzt und im alltäglichen Gebrauch, um Straßenränder und Bewässerungskanäle unkrautfrei zu halten. Glyphosat-basierte Herbizidpräparate enthalten oft Tenside, welche die Benetzbarkeit der hydrophoben Oberfläche von Pflanzen für eine verbesserte Aufnahme des Herbizides erhöhen. Weltweit ist Roundup® das bekannteste und meist genutzte Herbizid, das auf Basis von Glyphosat und dem Tensid Talgfettaminoxethylat wirkt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass eine solche Kombination gesundheitliche Auswirkungen auf Mensch und Tier haben kann (Wan et al. 1989; Powell et al. 1991; Tsui & Chu 2003; Benachour & Séralini 2009). Allerdings erreichte Glyphosat erst mit der Einführung von gentechnisch veränderten Pflanzen (GV-Pflanzen, siehe auch Infobox 3) seinen Durchbruch. 8 Monsanto, Weltmarktführer für gentechnisch hergestellte Pflanzen, entdeckte u. a. in dem Bakterium Agrobacterium sp. ein Resistenzgen gegen Glyphosat. Mittels Transformationen gelang es, dieses Resistenzgen in Soja, Mais, Raps und Baumwolle zu integrieren. Diese Art der Bewirtschaftung erleichtert die Unkrautbekämpfung deutlich, da bei „Roundup Ready“® Kulturpflanzen Herbizide ausgebracht werden können, ohne die Kulturpflanze zu schädigen und so der Konkurrenzkampf gegenüber anderen Pflanzen vermindert wird. Neben der Herbizidresistenz bieten einige Anbauprodukte auch eine erhöhte Resistenz gegenüber Schädlingen, welche vom Genom des Bakteriums Bacillus thuringiensis transferiert wurde. Während der Sporulation produziert Bacillus thuringiensis toxische Proteine (cry-Proteine), die eine insektizide Wirkung besitzen. Rachel Carson berichtete in den 1960ern über den Einsatz von Bacillus thuringiensis als alternatives Schädlingsbekämpfungsmittel. Spritzmittel mit diesen Toxinen wurden damals schon in der Forst- und Landwirtschaft eingesetzt (Carson 1962). Denn sobald Larven von Schadinsekten diese Proteine verdauen, wird das vorher inaktive Protein gespalten und das Toxin aktiviert. Dieses bindet an spezifische Rezeptoren in der Darmwand und zerstört diese. Die Bakterien erreichen die Körperhöhle und die Raupenlarve stirbt innerhalb von zwei Tagen (Höfte & Whiteley 1989; Schnepf et al. 1998). Heute wird das cry-Gen mittels Gentechnik in das Pflanzengenom eingefügt, um sogenannte Bt-Pflanzen zu erhalten. Bt-Pflanzen produzieren die insektiziden Toxine selbst und können auf diese Weise Fressfeinde abwehren. Im Jahr 2011 wurden Bt-Produkte, wie Bt-Mais und BtBaumwolle, auf 66 Millionen Hektar weltweit (James 2011) angebaut. Der Anbau von GV-Pflanzen veränderte die Landwirtschaft enorm. Produktionseffizienz und Flexibilität, effektive Unkrautkontrolle und ökonomische Vorteile führten zu einer raschen Verbreitung von GV-Pflanzen (Dill 2005). Firmen werben mit günstigeren Produktionskosten und einem verminderten Bedarf an Pestiziden (Marvier 2002). Präventive Pestizidausbringung ist somit nicht mehr nötig, und der Anbau kann ohne Pflugbearbeitung des Bodens erfolgen. Dies reduziert die Bodenerosion, erhält die Bodenfeuchtigkeit und unterstützt eine stabile Mikrofauna und -flora. Trotz all dieser Vorteile wurde eines der angestrebten Ziele durch den Einsatz von GV-Pflanzen, die Reduzierung des Pestzidideinsatzes, nicht erreicht (Benbrook 2012). Zudem hat die massive Anwendung von Glyphosat zu Resistenzen von Unkraut und anderen Pflanzen geführt (Nandula et al. 2005), was Auswirkungen auf gesamte Ökosysteme, aber vor allem auf die Biodiversität haben kann. GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 Vom stummen Frühling zum langen Winter? Infobox 3: Begriffe und Definitionen zur Gentechnik Gentechnik: Die Nutzung von in vitro-Techniken für die Isolierung, Manipulation, Veränderung und Expression von DNS, und die Entwicklung von GVO. Mithilfe von Gentechnik erfolgt eine Veränderung der genetischen Information von Organismen durch Veränderung der Basenabfolge im Genom. Gentechnisch veränderte Organismen (GVO): Organismen, deren Genom (genetische Information) durch molekularbiologische Techniken verändert wurde. „Roundup Ready“® Kulturpflanzen: Gentechnisch veränderte Pflanzen, welche gegen das Herbizid Roundup® zur Unkrautbekämpfung resistent sind. Bt-Kulturpflanzen: Gentechnisch veränderte Pflanzen, welche die Toxine des Bakteriums Bacillus thuringiensis produzieren und dadurch weniger schädlingsanfällig sind. Grüne Biotechnologie: Biotechnologie im landwirtschaftlichen Bereich. Das Auftreten dieser Resistenzen erfordert eine weitere Erhöhung des Herbizideinsatzes (Pengue 2005). Mit zunehmendem Einsatz wird es schwieriger, gentechnisch freies Saatgut zu gewährleisten, da das Risiko eines horizontalen Gentransfers auf verwandte Arten besteht. Globale Chemiekonzerne wie Monsanto investieren in die Entwicklung und Forschung von gentechnisch veränderten Pflanzen, da deren Einführung Patentgebühren bringt und den Absatz von Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln fördert. Monsanto verkauft das gentechnisch veränderte Saatgut mit den dazugehörigen Spritzmitteln als Paket, wodurch Bauern gezwungen werden, beide Produkte vom selben Hersteller zu beziehen. Dies kann als ökonomischer Vorteil betrachtet werden, führt aber insbesondere bei Landwirten mit geringem Kapital in vielen Fällen, insbesondere im Zusammenspiel mit Ernteausfällen, zu einer Schuldenspirale. Letztendlich setzt der Einsatz von GV-Pflanzen weiterhin auf ein Agrarmodell, das auf chemischen Spritzmitteln basiert (Benbrook 2012). Bewusstseinsbildung im sicheren Umgang mit gentechnisch verändertem Saatgut ist unerlässlich, auch müssen die negativen Auswirkungen von GV-Pflanzen auf den Menschen verstärkt untersucht werden. 5 Gentechnik und ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit Ein wichtiger Grund für die breite Resonanz auf „Der stumme Frühling“ waren Rachel Carsons Schilderungen über mögliche Folgen von Pestiziden auf die menschliche Gesundheit. Auch hier wurden Rachel Carsons Ausführungen als „unwissenschaftlich“ diffamiert. Daher möchten wir in einem nächsten Schritt die möglichen Auswirkungen von Gentechnik auf die menschliche Gesundheit behandeln, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Rezeption derartiger wissenschaftlicher Studien gelegt wird. Prinzipiell sind beim Anbau von GV-Pflanzen die direkten und indirekten / langzeitlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit zu bedenken. Die meisten Studien über die Bedenklichkeit von GVPflanzen wurden mit Ratten über einen Zeitraum von weniger als 90 Tagen (!) durchgeführt und bestätigten die Unschädlichkeit von GV-Pflanzen (Domingo & Giné Bordonaba 2011; Hammond et al. 2006a, b). Jedoch kann keine dieser Studien Aussagen zu Langzeiteffekte und Folgeschäden auf die Gesundheit tätigen. Aktuell sind nur drei Studien bekannt, welche die gesundheitlichen Folgen über die gesamte Lebensspanne von Ratten erfassen. Die ersten beiden untersuchen die Auswirkungen einer Kost bestehend aus 14 % bzw. 30 % gentechnisch verändertem Soja und gentechnisch freiem Futter (Malatesta et al. 2008; Sakamoto et al. 2008). In den Studien fand man zwar einige Veränderungen physiologischer Parameter, aber keine Auswirkungen auf die Gesundheit der Ratten. Die dritte und aktuellste Studie (Seralini et al. 2012) wurde mit GV-Mais in drei verschiedenen Konzentrationen (11 %, 22 %, 33 %) und dem assoziierten Herbizid Roundup® (Monsanto) an 200 Ratten durchgeführt. Die deutlichsten Unterschiede zwischen Kontroll- und Testgruppen wurden nach einem Jahr sichtbar. So erkrankten männliche Ratten fünfmal häufiger an Lebernekrose als die Kontrollgruppe. Nierenerkrankungen nahmen sowohl bei männlichen als auch weiblichen Ratten zu. Folglich war die Mortalität auch bei GV-Mais gefütterten Ratten höher. In der Kontrollgruppe starben 30 % der männlichen und 20 % der weiblichen Ratten frühzeitig, während in der GV Gruppe 50 % bzw. 70 % starben. Der Herausgeber der Zeitschrift „Food and Chemical Toxicology“, der für die Veröffentlichung der Studie verantwortlich war, erhielt zahlreiche Beschwerdebriefe von Monsanto und auch unabhängigen Wissenschaftern, die zumeist die unzulängliche statistische Auswertung der Studie kritisierten (Panchin 2012). Der Hauptautor der Studie, Gilles-Eric Seralini, erhielt aber auch zahlreiche Unterstützungsschreiben. So stellt sich die Frage, ist Seralinis Studie GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 9 Hastik et al. wirklich so nichtaussagekräftig oder ist er Opfer der Chemielobby wie Rachel Carson vor 50 Jahren? Zu dieser Kontroverse ist an dieser Stelle keine endgültige Schlussfolgerung möglich, da Kritiker nach weiteren Beweisen verlangen, während Seralinis Unterstützer die bestehenden Ergebnisse propagieren. 6 Biologische Schädlingskontrolle – die Lösung? In ihrem letzten Kapitel („Der andere Weg“) beschreibt Rachel Carson Strategien, in welchen Organismen oder deren Produkte zur Bekämpfung von Schädlingen eingesetzt werden, als nachhaltige und zukunftsträchtige Maßnahmen. Dementsprechend groß waren und sind die Erwartungen an die biologische Schädlingskontrolle. Idealerweise sollen diese neben hoher Effizienz gegenüber Schädlingen keinerlei Belastung für Mensch, Tier und Umwelt darstellen, gleichzeitig jedoch ökonomisch betrieben werden können (McEvoy 1996). Die Anwendungsstrategien sind ebenso mannigfaltig wie deren Einsatzgebiete. An vorderster Front werden natürliche Antagonisten eingesetzt, um Schadorganismen zu bekämpfen. Neben Fressfeinden (Wirbeltiere und Wirbellose, hauptsächlich Insekten) werden hierbei Parasiten (Protozoen, Nematoden) sowie Pathogene (Bakterien, Pilze, Viren) zum Einsatz gebracht (vgl. Tabelle 1, Abb. 1). Wenn möglich, werden natürlich vorkommende Populationen gefördert, etwa durch die Optimierung ihrer Lebensbedingungen oder durch gezielte Besiedelungsstrategien. Derartige Maßnahmen können zwar nur langfristig geplant werden, jedoch ist ein nachhaltiger Effekt bei geringen Projektkosten zu erwarten (Barbosa 2003). Natürliche Antagonisten können auch in ein fremdes Habitat oder Ökosystem freigesetzt werden, um gegen exotische Schadorganismen vorzugehen. Weitere Strategien der biologischen Schädlingsbekämpfung basieren auf dem Einsatz von Lockstoffen (Gerüche, Flügelgeräusche, Lichtsignale), Sterilisation durch Chemikalien oder Bestrahlung oder der Verwendung von Hormon- und Pheromonfallen (Walker 1988; Hoffmann & Lorenz 1998). Neuartige Methoden basieren auf der Freisetzung gentechnisch veränderter Insektenmännchen, deren Nachkommen nicht lebensfähig sind (Alphey & Andreasen 2002; Alphey 2002). Tabelle 1: Überblick bekannter Handelsprodukte der biologischen Schadkontrolle und deren Zielorganismen. Viren Bakterien Pilze Nematoden Insekten Nutzorganismus Zielorganismen Handelsprodukte Spodoptera NPV* Zuckerrübeneule Spodex1 Mamestra NPV* Kohleule Mamestrin1 Lymantria NPV* Schwammspinner Gypchek1 Bacillus thuringiensis Schadschmetterlinge Bactospeine FC, BIOBIT, Delfin, Turex1 Bacillus thuringiensis var. israelensis Trauermücken, Stechmücken Gnatrol, Teknar1 Bacillus thuringiensis var. Tenebrionis Kartoffelkäfer Novodor FC1 Metarhizium anisopliae Zecken, Mailkäfer, Mehlwürmer, Gartenlaubkäfer BIPESCO 52 Beauveria bassiana Weiße Fliegen, Blattläuse, Rüsselkäfer, Wanzen Mycotrol, BotaniGard1 Verticillium lecanii Blattläuse, Schildläuse, Wanzen Vertalec, Mycotal2 Heterorhabditis sp. Rüsselkäfer, Gartenlaubkäfer Nematop3 Phasmarhabditis hermaphrodita Nacktschnecken Phasmarhabditis3 Steinernema feltiae Trauermücke Steinernema3 Aphelinus sp. Blattläuse, Minierfliegen, Wollläuse, Schmierläuse VERDAPROTECT, FRESAPROTECT3 Feltiella acarisuga Spinnmilben Feltiella3 Amblyseius cucumeris Fransenflügler Amblyseius3 * Kern-Polyeder-Viren (nuclear polyhedrosis viruses: NPV); 1 Albert (2001); 2 European Commission (2008); 3 Renatur Gmbh (o.J.) 10 GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 Vom stummen Frühling zum langen Winter? Dennoch birgt auch die biologische Schädlingsbekämpfung Risiken, welche in der Vergangenheit oft unterschätzt wurden. So wirken Maßnahmen oft wenig selektiv, führen zu ungewollten Nebeneffekten bei Nichtzielarten oder verwandeln vormals effektive Antagonisten in gefährliche Schädlinge (McEvoy 1996). Der Fokus zukünftiger Evaluierungen sollte somit nicht ausschließlich auf Laboruntersuchungen gerichtet sein, sondern auch Langzeitstudien und Feldversuche einschließen. Dabei müssen die phylogenetische Geschichte, potentiell auftretende genetische Variationen sowie die natürliche Selektion der betreffenden Organismen mit berücksichtigt werden, um negative Interaktionen mit anderen nicht schädlichen Organismen sowie dem gesamten Ökosystem ausschließen zu können. 7 Pestizide und Nachhaltigkeit – Zwei unvereinbare Begriffe? Sowohl Vertreter der biologischen Schädlingsbekämpfung als auch Befürworter der Gentechnik betonen, dass beide Methoden den Pestizideinsatz verringern könnten. Bei einer radikalen, provokanten Auslegung Rachel Carsons Gedanken könnte sogar der Einsatz von Gentechnik in ihrem Sinn propagiert werden, da auch sie schon die Verwendung und Adaption bestehender, biologischer Lösungen forderte. Bei näherer Betrachtung der Argumente erscheinen jedoch bei beiden Methoden umweltschädliche Aspekte. Zum Verständnis dieser Widersprüche möchten wir den Umgang mit Pestiziden in Bezug auf vorherrschende Paradigmen betrachten, die unser Verhalten der Umwelt gegenüber beeinflussen. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts galt die „Grüne Revolution“ als Garant für die Sicherung und Erhöhung der globalen Nahrungsmittelproduktion. Diese Revolution markierte den Übergang von einer subsistenzorien- Abbildung 1: Beispiele biologischer Schädlingsbekämpfung: Durch Pilz (Metarhizium anisopliae) befallene Gartenlaubkäferlarve (Phyllopertha horticola, links) und befallener Mehlwurm (Tenebrio mollitor, rechts) (Fotos: Dr. H. Strasser, Inst. f. Mikrobiologie) tierten hin zu einer marktorientierten Landwirtschaft durch den Einsatz von Pestiziden, Hochertragssorten, Mineraldünger, zunehmender Mechanisierung und großflächigen Landschaftsveränderungen (vgl. Tabelle 2 links). Die Entwicklung der Gentechnik kann als letzter Schritt dieser Auffassungsweise gesehen werden. In den letzten Jahrzehnten, insbesondere seit dem Weltgipfel 1992 in Rio de Janeiro, wird diese jedoch zunehmend in Frage gestellt. Hierbei spielen insbesondere die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen, der hohe Energieaufwand, die geringe Berücksichtigung ökologischer Folgeschäden und die hohe Abhängigkeit der Landwirte von Unternehmen sowie Gesundheitsrisiken eine große Rolle. Daher werden zunehmend nachhaltigere Lösungen in der Landwirtschaft gefordert, welche neben ökonomischen vermehrt ökologische und soziale Aspekte einbeziehen (vgl. Tabelle 2 rechts). Dabei steht insbesondere der Erhalt der Biodiversität im Zentrum, welche als Grundlage für Ökosystemdienstleistungen (z. B. sauberes Wasser, Schutz vor Naturgefahren) gesehen wird und die Resilienz von Ökosystemen stärkt. Der ökologischen Landwirtschaft werden oft niedrige Erträge nachgesagt, welche im Gegensatz zur konventionellen Landwirtschaft nicht zur Ernährung der Weltbevölkerung beitragen können. Wissenschaftlich werden diese Argumente in hoch angesehenen Zeitschriften (Nature, Science) regelmäßig aus beiden Blickwinkeln durchleuchtet, wobei kein Konsens erzielt werden konnte (z. B. Seufert et al. 2012; Rosegrant & Cline 2003; Tilman et al. 2002). Als Grundkonsens kann jedoch immerhin die Forderung nach einer Intensivierung der Forschung zugunsten ökologischer Modelle gesehen werden. Vertreter einer integrierten Schädlingsbekämpfung versuchen, Schädlinge quantitativ unter einer wirtschaftlichen Schadschwelle zu halten, ohne sie auszurotten. Hierfür können sowohl Methoden der biologischen Schädlingsbekämpfung, als auch Pestizide eingesetzt werden. Nichtsdestotrotz ist die globale Relevanz derartiger Ansätze im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft gering. Bereits Rachel Carson wies auf die Gefahren hin, welche entstehen können, wenn die Industrie eine führende Rolle in Wissenschaft und Forschung einnimmt. Dies trifft insbesondere bei der Abschätzung ökologischer Folgeschäden von Pestiziden zu. Auf die dabei resultierenden Ungleichheiten verweisen auch Vanloqueren & Baret (2009) am Beispiel des Vergleichs zwischen ökologischer Landwirtschaft und Gentechnik. Die Autoren betonen, dass aktuelle Forschungsstrukturen aufgrund mehrerer Faktoren stark zugunsten der Gentechnik ausgelegt sind, etwa durch (1) die Bevorzugung von Forschungsprojekten, welche vermarktbare Produkte generieren (auf Grund einer Zunahme von GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 11 Hastik et al. Tabelle 2: Konventionelle und ökologische Landwirtschaft (basierend auf Tilman et al. 2002; Rigby & Cáceres 2000; Conway & Barbier 1990) „Konventionelle“ Landwirtschaft im Sinn der grünen Revolution Ökologische / biologische Landwirtschaft Paradigma: Entwicklung spezieller technischer Lösung mit einem Fokus auf die Erzielung hoher Erträge Paradigma: Abwägung ökologischer, ökonomischer und sozialer Faktoren im Sinn der Nachhaltigkeit Hauptcharakteristika: • Abhängigkeit von Mineraldünger, Pestiziden, Energie, kapitalintensiv, • Geringe genetische Vielfalt, homogene Landschaft, • Große Einwirkung auf Umwelt und Beeinträchtigung von Umweltdienstleistungen, • Betonung privater Güter (z. B. in Form von Patenten oder Hybridsorten), • Top down-Ansatz. Hauptcharakteristika: • Verringerung des Schädlingsbefalles durch Mischkulturen und Erhaltung einer Landschaftsvielfalt, • Erhaltung / Steigerung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit, • Schwerpunkt zugunsten lokaler, erneuerbarer Ressourcen und selbsterhaltender Systeme, • Vermeidung externer Kosten durch Erhaltung der Biodiversität und Ökosystemdienstleistung, • Bottom up-Ansatz. Public-Private Partnerships), (2) strukturelle Hürden in der Forschung, welche kurzlebige, reduktionistische Ansätze anstelle von Langzeitprojekten auf einer Landschaftsskala bevorzugen, (3) die geringe Wertschätzung von „low-tech“-Lösungen oder traditionellen Wissensformen und (4) die allgemeine Aufteilung in Wissenschaftsdisziplinen, was interdisziplinäre Forschung erschwert. 8 Zusammenfassung und Vorschläge zur fachdidaktischen Implementierung Bei der Aufarbeitung der Pestizidthematik im Kontext von „Der stumme Frühling“ ist eine vom Umfeld losgelöste Betrachtung und Beurteilung kaum möglich. In diesem Zusammenhang spielt vielmehr das generelle Verständnis zum Umgang mit der Natur eine bedeutende Rolle. Die aufgezeigte Dichotomie zwischen zwei Paradigmen lässt erkennen, dass mit der Thematik des Pestizideinsatzes nicht nur ökologisch / ökonomische Dimensionen, sondern vielmehr auch soziale, politische und ethische Dimensionen verbunden sind. Es erscheint, dass gerade diese Dimensionen seit Rachel Carsons Zeit an Bedeutung gewonnen haben. So muss die Frage aufgeworfen werden, ob die heutigen Probleme in Bezug auf den Pestizideinsatz nicht vielmehr eine Folge unseres modernen Lebensstils geworden sind, etwa durch den drastischen Anstieg des Fleischkonsums oder unseren unersättlichen Bedarf an (Bio-)Treibstoffen. Auch aus ethischer Sicht kann eine starke Dichotomie festgestellt werden: Stellen wir den Anspruch der Überlegenheit des Menschen gegenüber der Natur und wollen wir diese nach unseren Wünschen umgestalten? Oder suchen wir nach alternativen Ansätzen, welche eine Adaption des Men12 schen an die Komplexität der Umwelt über Raum und Zeit zwangsweise mit sich bringt? Rachel Carson versuchte bereits 1962 diese Dimensionen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Konsequenzen aufzuzeigen. Die resultierenden Abwägungen ethischer Fragestellungen können nicht von der Wissenschaft vorgegeben werden, vielmehr müssen wir darauf hinweisen, dass dies nur in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess erfolgen kann. Das steigende Bewusstsein von Konsument/innen im Bezug auf die Pestizidproblematik, etwa in Zusammenhang mit dem Bienensterben, und die steigende Nachfrage nach ökologischer Landwirtschaft können als gutes Zeichen für die Zukunft gesehen werden. Als möglicher Einstieg zur fachdidaktischen Implementierung in den Unterricht könnte ein Zeitungsartikel zur Pestizidproblematik dienen. Unter den Stichworten „Pestizide“ und „Zeitung“ konnten die Autoren zahlreiche geeignete Artikel im Internet finden, welche als Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten stehen könnten: • Gruppendiskussion über den Einsatz von Pestiziden: Eine Gruppe befürwortet ökologische Landwirtschaft, eine andere konventionelle Landwirtschaft. Eine dritte Gruppe könnte den Einsatz von Gentechnik befürworten. Als Diskussionsgrundlage könnten eine Internetrecherche der Schüler/ innen und aktuelle Medienberichte über die ökologische Landwirtschaft dienen. Hierbei könnte die im Frühjahr 2013 aktuelle Diskussion um das Bienensterben im Zuge der Verwendung von Neonicotinoide in der Landwirtschaft im Zentrum stehen. Ebenso könnten Pressemeldungen zur Studie der Forschungsgruppe um Dena Bravata (Universität Stanford) als Anlass dienen, Forschungsergebnisse kritisch zu hinterfragen. Diese GW-Unterricht 130, 2013, 5–14 Vom stummen Frühling zum langen Winter? versucht den Bio-Mythos zu entlarven. Suchbegriffe für Zeitungsartikel hierzu: „Zeitung“, „ökologische Landwirtschaft“, „Dena Bravata“. • Untersuchung von Pestizidprodukten im Handel: Welche Pflanzenschutzmittel, Unkrautvernichter oder Schädlingsbekämpfungsmittel sind im lokalen Baumarkt / Supermarkt erhältlich? Welche Pestizide werden an Lebensmitteln (z. B. Früchte) gekennzeichnet? Informationen über Inhaltsstoffe und deren Folgewirkungen können im Rahmen einer Internetrecherche durch die Schüler/innen eingeholt werden. 9 Literaturverzeichnis Albert, R. (2001): Mikroorganismen zur Schäd lingsregulierung im Gartenbau. http://www.ltz-bw.de/ pb/,Lde/Startseite/Pflanzengesundheit+_+Pflanzenschu tz/Mikroorganismen+zur+Schaedlingsbekaempfung+_+ Einsatzmoeglichkeiten+im+Gartenbau (16.06.2013) Alphey, L.S. (2002): Reengineering the sterile insect technique. In: Insect Biochemistry and Molecular Biology 32, 1243–1247. Alphey, L.S. & M. Andreasen (2002): Dominant letality and insect population control. 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