Schöne bunte Schlagerwelt
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Schöne bunte Schlagerwelt
Thema »Pure Lebensfreude!« T U b O Schöne bunte Schlagerwelt O Schlager sind ein Teil unserer Kulturgeschichte – und hinter Schlagern stecken viele Geschichten. Über die Welt der Stars und Sternchen Helene Fischer Andrea Berg Rex Gildo »Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein, und dann nischt wie raus nach Wannsee ...« Gitte 14 Westfalenspiegel 2-2014 S ongtexter Hans Bradtke, im Hauptberuf Karikaturist, muss an einem sonnigen Morgen vor dem heimischen Spiegel gestanden haben, als ihm 1951 beim Rasieren diese Zeilen in den Sinn kamen. In knapp 15 Minuten war der Sommerschlager fertig. Komponist Gerhard Froboess schrieb dazu die passende Melodie, und als Interpretin war mit Froboess’ siebenjähriger Tochter Cornelia eine echte Berliner Göre schnell gefunden. Gemeinsam mit den Schöneberger Sängerknaben nahm sie im Juni 1951 den Song in einer Westberliner Kirche auf. Doch nicht alle reagierten mit Humor auf den kessen Schlager. In der DDR wurde er zum Teil verboten, weil er »von der Erfüllung des Fünfjahresplanes« ablenke; auch die Anklänge an das amerikanische Lebensgefühl verärgerten die Genossen, berichten Ingo Grabowsky und Martin Lücke in ihrem Buch »Die 100 Schlager des Jahrhunderts«. Der kleinen Conny Froboess schadete das nicht. Sie machte als Deutschlands erster Kinderstar Karriere, landete später mit »Zwei kleine Italiener« (1962) einen Millionenhit, wurde im Duett mit Peter Alexander, Rex Gildo, Will Brandes oder Peter Kraus Teenageridol und ab Mitte der 60er Jahre erfolgreiche Theaterschauspielerin. Auch Hans Bradtke schrieb viele weitere Hits, u. a. »Kalkutta liegt am Ganges« (1960/ Vico Torriani), »Pigalle, Pigalle«, »Zuckerpuppe« und »Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett« (1961/62/alle: Bill Ramsey) »Weiße Rosen aus Athen« (1961/Nana Mouskouri), »Er hat ein knallrotes Gummiboot« (1970/Wencke Myhre) oder »Das bisschen Haushalt …« (1977/Johanna von Koczian): Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann. Das bisschen Haushalt kann so schlimm nicht sein, sagt mein Mann, wie eine Frau sich überhaupt beklagen kann, ist unbegreiflich, sagt mein Mann. Der deutsche Schlager war nicht aufzuhalten im Nachkriegsdeutschland. In den Besatzungszonen kontrollierten die Alliierten das öffentliche und damit auch das wieder aufblühende kulturelle Leben. Mit dem Radio kam die bis dato verbotene Swing- und Jazzmusik zurück nach Deutschland, auch Musikclubs und andere Auftrittsorte konnten sich in den zerstörten Städten allmählich wieder etablieren. Mit leicht beschwingtem Sound bediente sich der deutsche Schla- 15 Thema T U b O Stephan Remmler Annette Humpe O Karel Gott Nena »Mein lieber Freund, mein lieber Freund, die alten Zeiten sind vorbei, ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei. Ein kleines Häuflein Diplomaten macht heut’ die große Politik, sie schaffen Zonen, ändern Staaten. Und was ist hier mit uns im Augenblick? Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien...« (Text, Musik u. Gesang: Karl Berbuer, 1948) Seit über 100 Jahren reagiert der Schlager auf politische und gesellschaftliche Strömungen und ist immer auch ein Stück Zeitgeschichte, machen Ingo Grabowsky und Martin Lücke deutlich. Sie müssen es wissen. Seit vielen Jahren schon beschäftigen sich der Dortmunder Historiker und der Bochumer Musikwissenschaftler 16 mit dem deutschen Schlager und haben zu dem Thema schon so manche Ausstellung zusammen kuratiert. Auch für die Sonderausstellung »100 Jahre Deutscher Schlager!«, die das Gronauer Rock’n’Popmuseum jetzt zu seinem zehnjährigen Bestehen zeigt, waren die beiden Schlager-Experten gemeinsam im Einsatz. Vom Kaiserreich über die Goldenen Zwanziger Jahre, die Zeit des Nationalsozialismus, des Wirtschaftswunders, bis in die Gegenwart lässt die Ausstellung die geschichtliche Entwicklung des deutschen Schlagers Revue passieren. Natürlich mit jeder Menge Musik – Mitswingen, -wippen und -singen ist vorprogrammiert! Aber auch mit zahlreichen Exponaten, darunter ein Collier von Zarah Leander, Requisiten von Michael Holm, Bühnenkleidung von Jürgen Drews und Helene Fischer sowie ein schrill-bunter Sessel aus dem Besitz von Dieter Thomas Kuhn. Musiker, Unterhaltungskünstler und Moderator Götz Alsmann begleitet per Audio-Guide den Besucher auf seinem Weg durch die deutsche Schlager-Geschichte, unterhält gut gelaunt und kurzweilig mit wissenswerten Hintergründen, vielen interessanten Fak- ten und so mancher Anekdote aus der Welt der Schlagerstars und Sternchen. Denn der deutsche Schlager ist nicht nur ein Teil unserer Kultur und unserer Geschichte – hinter Schlagern stecken oft auch die besten Geschichten. Wobei der Begriff ursprünglich keine musikalische Gattungsbezeichnung ist, sondern zunächst einmal für erfolgreich »einschlagende« und gut verkäufliche Musikstücke verwendet wurde. Seine Wurzeln hat der Schlager im 19. Jahrhundert in der Operette. Von Anfang an sucht er als Produkt der Industriegesellschaft bewusst das Massenpu blikum, musikalisch richtet er sich meist nach der jeweils herrschenden Tanzform. Einfache Rhythmen und Melodienfolgen, die auf schnelle Wiedererkennung angelegt sind, bestimmen seinen Charakter. Allein seine Schnelllebigkeit zeigt, dass er eher eine Ware als ein auf Dauer setzendes Kunstwerk darstellt. »Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben«, beschrieb später der Philosoph, Soziologe und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno ihre Wirkung. Grammophon und Schellackplatte sowie Rundfunk und Tonfilm trugen zur Verbreitung des Schlagers bei. In den Ballsälen der 20er und frühen 30er Jahre wurde Foxtrott, Charleston, Shimmy und Paso doble getanzt; Schlager wie »Veronika, der Lenz ist da« oder »Mein Onkel Bumba aus Kalumba« ertönten jetzt millionenfach in den Wohnstuben: Mein Onkel Bumba, ohne Sorgen, frisch und froh, lebt in Kalumba, diese Stadt gibts irgendwo. Er ist Gelehrter und hat mit einem langen Bart sogar Familie, Fa-mi-lie-e und langen Boart. Trotz dieser Dinge schwärmt für Fraun, wo er kann. Er tut als ginge seine Frau ihn gar nichts an. Und nach Hause kommt er täglich, erst des morgens, ist es möglich? Ja warum? Was macht er bloß? Der Onkel Bumba aus Kalumba tanzt nur Rumba. Westfalenspiegel 2-2014 ger in den USA, knüpfte gleichzeitig mit seinen Texten voller Wortwitz und Ironie an die Vorbilder aus den 20er und 30er Jahren an und traf so den Zeitgeist. Aufbruchstimmung im westdeutschen, aus drei Besatzungszonen bestehenden Wirtschaftswunderland: Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten war die Zeit ausgelassener Tanzpartys dann vorbei. Die Film- und Schallplattenindustrie fiel unter staatliche Aufsicht, der Schlager Herbert Grönemeyer musste jetzt für Propagandazwecke herhalten. Vor allem jüdische Künstler erhielten Auftrittsverbot, wurden drangsaliert, ins Exil getrieben oder im KZ ermordet Statt Swing und Jazz erklangen Volkslieder und Marschmusik, gegen Ende des Krieges vermehrt Lieder, die der deutschen Bevölkerung wieder Mut machen sollten: »Davon geht die Welt nicht unter« und »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn« prophezeite Zarah Leander mit warmem Timbre; »Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern« animierte Heinz Rühmann gut gelaunt zum Durchhalten. »Wer soll das bezahlen?« fragte man nach dem Krieg beim Anblick der völlig zerstörten Städte, Heimat war nicht mehr selbstverständlich, die Sehnsucht nach unbeschädigter, ländlicher Idylle groß. Heimatfilm und Heimatschlager, aber auch Seemannslieder und Meeresballaden haben Hochkonjunktur. Mit dem Wirtschaftswunder kommt das Fernweh: Rudi Schuricke lässt bei Capri die rote Sonne im Meer versinken, Caterina Valente ruft »Ciao, Ciao Bambina«. 1956 machten sich schon 4,5 Millionen Deutsche mit Heinkel-Roller, VW-Käfer oder Goggomobil auf den Weg über die Alpen in den Süden. »Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein«, sang René Carol und erhielt dafür die erste Goldene Schallplatte der Nachkriegszeit. Im gleichen Jahr läutete Bill Haley mit »Rock around the clock« in Deutschland die Ära des Rock’n’Roll ein. Der Beat bringt einen neuen Rhythmus. »I want to hold your hand« von den Beatles behauptete 1964 knapp zwei Monate die Spitzenstellung in den Charts; die Rolling Stones folgten 1965 mit »Satisfaction«. Drafi Deutscher gelingt es, mit seinem Dauerbrenner »Marmor, Stein und Eisen bricht« hier anzusetzen. Cindy & Bert versuchen sich später gar an einem Cover von Black Sabbaths »Paranoid« (»Der Hund von Baskerville«) – und scheitern. Auch Karel Gott hat mit »Schwarz und Rot«, seiner deutschen Rolling Stones-Version von »Paint it Black«, wenig Erfolg. Deutliche Anleihen aus der Rockmusik nahm der Schlager der 1970er Jahre. Immer mehr Fernsehgeräte flimmerten in den deutschen Wohnzimmern, die »ZDF-Hitparade« mit Dieter Thomas Heck avancierte zur beliebtesten Musiksendung. Udo Jürgens mit seinem gläsernen Flügel war Dauergast (»Griechischer Wein«, »Ein ehrenwer- 17 Klaudia Sluka 18 Foto: Rock’n’Popmuseum Gronau Abendrobe von Helene Fischer Die Sonderausstellung »100 Jahre Deutscher Schlager!« im Gronauer Rock’n’Popmuseum ist zu besichtigen bis 27. April und vom 16. Mai bis 7. September. Geöffnet Mi. bis So. 10 bis 18 Uhr. Infos unter Tel. 0 25 62/8148-0 oder www.rock-popmuseum.com »Die 100 Schlager des Jahrhunderts«, vorgestellt von Ingo Grabowsky und Martin Lücke, EVA: 2008 Die Toten Hosen T O Der Bochumer Musikwissenschaftler Martin Lücke über das Phänomen Schlager Sie sind Jahrgang 74, aufgewachsen mit Rock und Pop, haben über Jazz im Totalitarismus promoviert, wie kommen Sie ausgerechnet zum Schlager? Der deutsche Schlager begeistert genau wie Klassik, Jazz, Rock oder Pop Millionen Menschen. Warum aber hat der deutsche Schlager als Kulturgut, das von so vielen Menschen geliebt wird, auf der anderen Seite ein so schlechtes Image? Das ist die Frage, die mich schon früh während meines Studiums interessiert hat. Aus wissenschaftlicher Sicht, nicht als Schlagerfan – das ist mir persönlich wichtig. Das bedeutet also, dass »Tage wie diese« von den Toten Hosen oder »Sommer, Sonne, Kaktus« von Helge Schneider beides Schlager sind? (atmet tief aus) Sie merken gerade, wie schwierig es ist, da eine genaue Grenze zu ziehen. Ich stelle die Frage mal in die andere Richtung: Macht die deutsche Popband Unheilig Schlager? Selbstverständlich. Obwohl sie sich düster-gothicmäßig gibt. Sind die Toten Hosen Schlagermusiker? In ihrem Ursprung sicherlich nicht, gar keine Frage. Aber einige ihrer Lieder werden heute von Millionen Menschen mitgesungen, die Songs sind damit kommerziell so erfolgreich, dass sie eindeutig zu den Schlagern gehören. Warum? Weil ich nur so den nötigen Abstand habe, um über Schlager zu forschen. Was genau ist denn ein Schlager? Ursprünglich stand der Begriff Schlager für ein kommerziell erfolgreiches deutschsprachiges Stimmungs- und Unterhaltungslied. Das Wort tauchte erstmals in Zusammenhang mit Johann Strauß’ Walzer »An der schönen blauen Donau« auf. In einer Kritik titelte die Presse 1867: »Die Eröffnungsnummer war ein entschiedener Schlager.« Das Lied hatte also regelrecht eingeschlagen. Im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich der Erfolgsbegriff Schlager allmählich zu einem Gattungsbegriff. Wenn wir aber von der ursprünglichen Bedeutung ausgehen, dann singt Herbert Grönemeyer – auch wenn er das sicherlich nicht gerne hört – genauso Schlager im positiven Sinne wie Andrea Berg oder DJ Ötzi. Sie fassen den Begriff ja ganz schön weit. Gibt es eine Grenze? Ja, im Kopf. Das ist sicherlich die wichtigste Grenze. Alles, was für den Massengeschmack produziert und dann auch massenhaft konsumiert wird, kann man als Schlager bezeichnen. Mit jeweils unterschiedlichen Zielgruppen. Der Heino-Fan geht mit Sicherheit nicht zu Udo Lindenberg ins Konzert. Genauso wenig lässt sich der Florian Silbereisen-Zuschauer wohl von den Sportfreunden Stiller wirklich begeistern. Was Campino & Co wahrscheinlich weit von sich weisen würden. Bestimmt. Sie würden mich für diese Aussage wahrscheinlich am liebsten steinigen. Da Schlager mittlerweile ein Gattungsbegriff geworden ist, versuchen andere, sich ganz bewusst davon abzugrenzen. Sie wollen nicht mit Pur oder Helene Fotos: PR »Die Grenze ist im Kopf« Foto: privat b »Deine blauen Augen machen mich so sentimental«, schwärmte Ideal-Frontfrau Annette Humpe, »Hurra, hurra, die Schule brennt«, freute sich Extrabreit, »Da, Da, Da« sang Stephan Remmler von Trio, und Nena erklomm mit »99 Luftballons« gleich international die Spitzenplätze der Charts. Warum gerade Hagen eine so wichtige Rolle in der Musikgeschichte gespielt hat, ist derzeit Untersuchungsgegenstand eines groß angelegten Forschungsprojekts der Fern-Uni Hagen. Einer der Gründe: Das Jugendzentrum Kultopia, 1963 als Jugendheim am Buschey eröffnet, wo sich schon früh eine eigene Musikszene entwickeln konnte. Und heute? Nach den 90er Jahren mit volkstümlichen Schlagern à la »Herzilein« (Wildecker Herzbuben), der Retrowelle mit Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn, mischen nach der Jahrtausendwende so unterschiedliche Interpreten wie DJ Ötzi (»Ein Stern ... der deinen Namen trägt«), Rosenstolz (»Ich bin ich«) oder Annett Louisan (»Das Spiel«) die Szene neu auf. Hunderttausende Fans singen und tanzen zu Klassikern des deutschen Schlagers beim alljährlichen Schlager move in Hamburg; große SchlagerPartys versprechen – Hossa! – sechs Stunden gute Stimmung non stop. Deutschlands Schlagerköniginnen aber sind seit Jahren schon unangefochten Andrea Berg und Helene Fischer. Bei ihren Konzerten füllen sie locker die ganz großen Hallen und Arenen. Und mit »Deutschland sucht den Superstar«-Gewinnerin Beatrice Egli ist der Schlager jetzt auch bei den Jüngeren wieder angekommen – »Pure Lebensfreude«! Westfalenspiegel 2-2014 Thema tes Haus«), aber auch Michael Holm (»Mendocino«, »Barfuß im Regen«), Peter Maffay (»Du«), Chris Roberts (»Du kannst nicht immer 17 sein«), Bernd Clüver (»Der Junge mit der Mundharmonika«), Marianne Rosenberg (»Er gehört zu mir«), Jürgen Marcus (»Ein Lied zieht hinaus in die Welt«) oder Katja Ebstein (»Wunder gibt es immer wieder«) waren regelmäßig dabei. Doch die Beatmusik, der Rock und der Pop hatten den deutschen Schlagermarkt längst erobert. Wurden 1962 noch fast alle Nummer-1-Hits auf Deutsch gesungen, sank der Anteil 1966 bereits auf 50 Prozent; Anfang der 70er lag er bei gerade mal fünf bis zehn Prozent. Bis im Zeitalter von NATO-Doppelbeschluss und Startbahn West Anfang der 80er die Neue Deutsche Welle (NDW) über Deutschland hereinbricht. Angesteckt von der PunkBewegung war plötzlich alles möglich. Nur tanzbar sollte es sein, und der Text bitte schön auf Deutsch. Reimen war erlaubt, aber nicht vorgeschrieben; Satzbau und Grammatik waren zwar bekannt, aber es ging dann auch mal ganz gut ohne. »Eisbär’n müssen nie weinen ...« oder »Im Tretboot in Seenot ...« – Selbst DJs, die bisher nicht im Traum daran gedacht hatten, deutschsprachige Produktionen aufzulegen, spielten 1981 Grauzone, Frl. Menke, Fehlfarben, Rheingold, DAF und Hubert Kah. In Hagen und Umgebung war die Szene in den 70er und 80er Jahren so aktiv, dass die Stadt heute als Sprungbrett für Musiker und als Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle gilt. Helene Fischer, Herbert Grönemeyer oder Campino von den Toten Hosen Fischer in einen Topf geworfen werfen. Das ist aber reines Marketing. Seit wann genau hat denn der Schlager seinen schlechten Ruf? Erst seit den 60er Jahren. Davor war eigentlich alles Schlager, da wurden keine großen Unterschiede gemacht. Mit der Beat-Revolution verschlechterte sich das Image des deutschen Schlagers dann rapide. Roy Black, Rex Gildo oder Manuela waren für die Studenten der 68er völlig inakzeptabel, sie hörten die Beatles oder Rolling Stones. Die Abgrenzung zur Elterngeneration war wichtig – »Die Alten«, das waren die, die Schlager hörten. Auch in der Presse distanzierte man sich immer mehr vom deutschen Schlager, den »Tranquilizern auf schwarzen Scheiben«, wie es hieß. Hinzu kam, dass viele Schlager der 70er und 80er Jahre musikalisch tatsächlich richtig schlecht waren. Einfach und billig produziert. Und heute? Spätestens seit Mitte der 90er Jahre kann man von einer neuen Lust am Schlager sprechen. Dieter Thomas Kuhn und Guildo Horn, die die Schlager der 70er in ein neues Gewand gepackt haben, begeisterten das Publikum. Plötzlich war es auch wieder für unter 30-Jährige legitim, Schlager zu hören. Man versammelte sich vor Großleinwänden und feierte gemeinsam den Eurovision Song Contest; beim Schlagermove in Hamburg treffen sich alljährlich 500 000 Menschen zwischen 18 und Mitte 40 und tanzen in grellen Kostümen zu Schlagern der 70er Jahre. Helene Fischer Können Sie das nachvollziehen? Absolut! Ich hatte einmal das große Glück, in Hamburg auf einem dieser LKWs mitzufahren. Das war grandios, man wird in der Masse einfach mitgenommen. Auch wenn Sie kein Fan sind, haben Sie einen Lieblingsschlager? Also, Lieblingsschlager ist vielleicht etwas übertrieben, aber die Lieder von Alexandra aus den 60ern wie »Mein Freund, der Baum« gefallen mir gut. Und was ich wirklich mag, sind die Schlager der 20er/30er Jahre. Aber privat höre ich doch eher Jazz, Klassik, Rock und World Music. Haben Sie eigentlich schon einmal daran gedacht, selbst einen Schlager zu schreiben? Mit ihrem Knowhow müsste das doch auf jeden Fall ein Hit werden. Offen gesagt, wenn ich wüsste, wie man einen Hit schreibt, hätte ich das längst gemacht. Letztendlich weiß man es nämlich nicht. Der Komponist Ralph Benatzky listete 1927 auf, was alles zu einem Hit gehört – die richtige Länge, die eingängige Melodie, die Übereinstimmung von Text und Musik, der psychologisch richtige Moment des Erscheinens, eine irgendwie überraschende Wendung, um die Aufmerksamkeit des Hörers gefangen zu halten etc. – und am Ende sagt er: »Und tausend andere Imponderabilien, die sich nicht erklären lassen«. Interview: Klaudia Sluka 19