Autoptisch bestᅢᄂtigte Behandlungsfehler
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Autoptisch bestᅢᄂtigte Behandlungsfehler
ARTICLE IN PRESS www.elsevier.de/zefq Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) 102 (2008) 535–541 Schwerpunkt II Autoptisch bestätigte Behandlungsfehler Burkhard Madea Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn, Bonn Zusammenfassung hen Vorwürfe des Unterlassens medizinisch gebotener Maßnahmen im Vordergrund. Auch wenn überwiegend Klinikärzte von Behandlungsfehlervorwürfen betroffen sind, ist bei ihnen die Quote bestätigter Behandlungsfehler deutlich geringer im Vergleich zu niedergelassenen Ärzten. Chirurgen, denen zwar am häufigsten ein Behandlungsfehlervorwurf gemacht wird, kann nur unterdurchschnittlich häufig ein Behandlungsfehler nachgewiesen werden. Anlass des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens mit Anordnung einer gerichtlichen Obduktion war in der Regel die Qualifikation der Todesart als nicht geklärt bzw. nicht natürlich in der Todesbescheinigung. Der Ärzten häufig gemachte Vorwurf des Pfuschens ’’ und Vertuschens trifft demnach in dieser Stringenz eindeutig nicht zu, sondern in einem hohen Prozentsatz wird bei Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen durch die Qualifikation der Todesart als nicht geklärt oder nicht natürlich eine objektive Todesursachenklärung durch gerichtliche Obduktion ermöglicht. ’’ Die Begutachtung strafrechtlich relevanter Behandlungsfehlervorwürfe, insbesondere in Fällen mit letalem Verlauf, erfolgt nach wie vor konzentriert in der Rechtsmedizin, da bei Todesfällen zunächst durch die Obduktion Grundleiden und Todesursache objektiv abzuklären sind und erst auf dieser Basis differenziert zur Frage eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität für den Todeseintritt Stellung genommen werden kann. Gemessen an der Zahl zivilrechtlicher Ansprüche gegen Ärzte wegen Verdachts eines Behandlungsfehlers oder bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen anhängigen Verfahren spielen strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Ärzte wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung mit ca. 1500 bis 2000 Fällen pro Jahr zwar eine untergeordnete Rolle, sind für den betroffenen Arzt jedoch außerordentlich belastend. Eine retrospektive multizentrische Studie zu Behandlungsfehlervorwürfen mit letalem Verlauf ergab über den Zehnjahreszeitraum von 1990 bis 2000 eine Verdopplung der wegen eines Behandlungsfehlerverdachtes durchgeführten Obduktionen. Hinsichtlich der Behandlungsfehlervorwürfe ste- Schlüsselwörter: Behandlungsfehler, Todesfälle, Leichenschau, gerichtliche Obduktion Autoptically Confirmed Malpractice Cases Summary Claims of lethal medical malpractice cases in penal law are mostly dealt with by experts in forensic medicine since in lethal cases the autopsy is crucial for determining the cause of death. Knowledge of the cause of death, in turn, is the necessary basis of an expert opinion on negligence and the causality between negligence and cause of death. Compared to civil lawsuits filed for malpractice and cases dealt with at the arbitration committees of the medical councils penal lawsuits with 1,500 to 2,000 cases per year are of minor importance. Our own retrospective multicentre study on lawsuits filed for lethal cases of medical malpractice (based on autopsy findings of 4,450 cases) revealed an annual increase in autopsies due to medical negligence from 3 to 6 hundred. Hospital doctors are more frequently affected by medical malpractice claims than privatepractice physicians. However, the rate of confirmed medical malpractice cases is much higher for doctors in private practice. Although surgeons are most frequently charged with medical malpractice the rate of confirmed medical malpractice cases is comparatively low in surgery. Medico-legal autopsies in cases of alleged medical malpractice are often ordered by the public prosecutor because the manner of death was classified as unnatural Korrespondenzadresse: Burkhard Madea, Institut für Rechtsmedizin der Universität Bonn, Stiftsplatz 12, D-53111 Bonn. Tel.: 02 28/73 83 15; fax: 02 28/73 83 68. E-Mail: [email protected] Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2008.09.012 535 ARTICLE IN PRESS or undetermined. Therefore the often-heard reproach that doctors frequently make mistakes and do their very best to hide them is not true. Thus, it has to be recommended that in a case of unexpected death asso- ciated with medical treatment the doctor in his own interest should classify the manner of death as undetermined. Key words: medical malpractice, autopsy, lethal cases, manner of death 1. Einleitung Unter den Behandlungsfehlervorwürfen ist derjenige, durch Fahrlässigkeit den Tod eines Patienten verursacht zu haben, sicherlich der gravierendste. Ausweislich der bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen geführten Statistiken über die Schwere von Körperverletzungen bei Behandlungsfehlervorwürfen ist ein letaler Ausgang außerordentlich selten Anlass der dort begutachteten Behandlungsfehlervorwürfe [1]. So wurden nach einer Ergebnisstatistik der Gutachterkommission Nordrhein nur in 2,7% der bearbeiteten Fälle Todesfälle verzeichnet, während in einem Großteil der anhängigen Verfahren entweder kein körperlicher Schaden (27,5%), nur ein geringer temporärer Schaden (30,4%) oder ein permanenter leichter bis mittlerer Schaden (23,3%) zu verzeichnen war. Der Begutachtung in den letal verlaufenden Fällen lag nicht einmal regelhaft ein Sektionsbefund zugrunde. Insgesamt liegen für die Bundesrepublik Deutschland jedoch keine genauen statistischen Daten zu Behandlungsfehlervorwürfen in letal verlaufenen Fällen, ihrer Begutachtung und dem Verfahrensausgang vor [2–7]. Dabei kommt dem Problem der möglicherweise iatrogen verursachten Todesfälle eine erhebliche epidemiologische Bedeutung zu. Nach dem jüngsten Review des Aktionsbündnis Patientensicherheit ist bezogen auf 17,5 Millionen hospitalisierte Patienten pro Jahr von 880.000 bis 1.750.000 unerwünschten Ereignissen, 350.000 bis 700.000 vermeidbaren unerwünschten Ereignissen, 175.000 durch Fahrlässigkeit verursachten unerwünschten Ereignissen und 17.500 darauf zurückzuführenden Todesfällen auszugehen [8]. Für die USA hatte das Institute of Medicine in seinem Bericht ‘‘To Err is Human’’ bereits 1999 festgestellt, dass bis zu 98.000 Patienten in US-amerikanischen Krankenhäusern pro Jahr an vermeidbaren medizinischen Irrtümern versterben [9]. Eine jüngere Metaanalyse geht unter schätzungsweise 850.000 Todesfällen in US-Krankenhäusern davon aus, dass eine Hauptdiagnose in mindestens 8,4% der Fälle (71.400 Todesfälle) klinisch nicht erkannt wurde [10]. Als Hauptfehler I bezeichnet man klinisch nicht erkannte Diagnosen, die sich während der Obduktion als Grundleiden und/oder einen Hauptgrund für den Tod des Patienten erweisen [10,11]. Wäre also die Diagnose rechtzeitig erkannt worden, so hätte das Leben des Patienten zumindest zeitweilig verlängert werden können (Tabelle 1). Hauptfehler I werden nach einigen europäischen Studien zur Übereinstimmung zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache in 11 bis 25% der Fälle vermutet (Tabelle 2). Selbstverständlich kommt diesen Fällen potentiell forensische Relevanz zu. Bei fraglich iatrogenen Todesfällen besteht zur unmittelbaren Todesursache in 45,8%, zum Grundleiden in 72,7% keine Übereinstimmung zwischen klinisch angegebener und autoptisch Tabelle 1. Diskrepanzen zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache (nach 11). 1. Hauptfehler I (major mistake, class I): Klinisch nicht erkannte Diagnose, die sich während der Obduktion als Grundleiden und/oder einen Hauptgrund für den Tod des Patienten erweist. Wäre also die Diagnose rechtzeitig erkannt worden, so hätte das Leben des Patienten zumindest zeitweilig verlängert werden können. 2. Hauptfehler II (major mistake, class II): Klinisch nicht erkannte Diagnose, die, wäre sie ante-mortem gestellt worden, keine Auswirkungen auf die Behandlung und den Verlauf gehabt hätte. 3. Nebenfehler (minor mistake): Während der Obduktion erkannte Krankheiten bzw. medizinische Sachverhalte, die mit dem Verlauf der Grunderkrankung bzw. der Todesursache keine direkte kausale Verbindung haben. Tabelle 2. Übereinstimmung zwischen klinisch und autoptisch festgestellter Todesursache Klinische Hauptdiagnose vs. Sektionsbefund (aus 15). Studie Pathologie Berlin Charité 1981–1995 Pathologie Münster 1978–1987 Görlitzer Studie 1978–1987 Englische Studie Mercer und Talbot 1985 Vollständige oder weitgehende Übereinstimmung Unterschiede in Grundleiden und Todesursache Ohne Konsequenzen für Therapie und Überleben (Hauptfehler II) Mit Folgen für Therapie und Überleben (Hauptfehler I) 58% 42% 18% 65% 47% 17% 55% 45% 20% 11% 18% 25% 13% 536 40% Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 102 (2008) 535–541 www.elsevier.de/zefq ARTICLE IN PRESS 2. Retrospektive Studie für das BMGS In einer retrospektiven Studie für das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales wurden Behandlungsfehlervorwürfe mit tödlichem Ausgang in mehreren deutschen Instituten für Rechtsmedizin erfasst und analysiert [12]. Die standardisierte retrospektive multizentrische Analyse basiert auf den Daten von 17 deutschen Instituten für Rechtsmedizin. Im Untersuchungszeitraum 1990 bis 2000 wurden insgesamt 101.358 Obduktionsprotokolle erfasst. 4450 Obduktionen (4,4%) bezogen sich auf Behandlungsfehlervorwürfe. In 2863 Fällen standen nur die Obduktionsberichte, in 1587 Fällen neben den Obduktionsprotokollen auch weiterführende Gutachten zur Verfügung. Aus dem umfangreichen Datenmaterial können hier nur einzelne Aspekte referiert werden. Die Zahl der analysierten Fälle behaupteter letaler Behandlungsfehler hat sich im Untersuchungszeitraum innerhalb der kooperierenden Institute nahezu verdoppelt (von 300 auf 600 Fälle pro Jahr). Diese Entwicklung zeigt sich in allen Bundesländern, etwas verzögert auch in den neuen Bundesländern. Die Rate wegen eines Behandlungsfehlerverdachts durchgeführter Obduktionen variiert zwischen den einzelnen Instituten zwischen 1,4 und 20%, sie schwankt über die Jahre jedoch auch in Tabelle 3. Klassifikation nach der Berufsgruppe. Ermittlungsverfahren richtet sich gegen Fälle Krankenhausarzt Notarzt Niedergelassener Arzt Notdienstarzt AiP Belegarzt Nicht bekannt Pflegepersonal Rettungssanitäter/-assistenten Heilpraktiker 2811 103 901 224 7 14 183 172 23 12 Tabelle 4. Behandlungsfehlervorwurf. Konservative Therapie Operative Therapie Endoskopie Intensivpflege Naturheilkunde/Alternativmedizin 2604 1737 232 88 18 (Tabelle 4). Der eigenen Analyse lag eine Typisierung von Behandlungsfehlervorwürfen hinsichtlich Vorwurf des Unterlassens medizinisch gebotener Maßnahmen, Komplikationen bei bzw. nach operativen Eingriffen, Falschbehandlung, Medikationszwischenfällen sowie Pflegefehlern zugrunde. Die Typisierung mit entsprechenden Beispielen ergibt sich aus Tabelle 5. Vorwürfe des Unterlassen stehen ganz im Vordergrund, gefolgt von Operationskomplikationen, Falschbehandlungen, Medikationsfehlern, Pflegefehlern (Tabelle 6). Anlass des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens war in der Regel die Qualifikation der Todesart als nicht geklärt bzw. nicht natürlich in der Todesbescheinigung, Vorwürfe von Angehörigen betrafen nur jeden ca. 5. Fall (Tabelle 7). Der Ärzten häufig gemachte Vorwurf des Pfuschens und Vertuschens trifft ’’ demnach in dieser Stringenz eindeutig nicht zu, sondern in einem hohen Prozentsatz wird bei Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen durch die Qualifikation der Todesart als nicht geklärt oder nicht natürlich eine objektive Todesursachenklärung durch gerichtliche Obduktion ermöglicht. Dies erweist sich letztlich als eine Stärkung der Position des Arztes, da durch die Obduktion häufig klinisch nicht erkannte Befunde aufgedeckt werden, die einen prima facie eindeutigen Sachverhalt in ganz anderem Licht erscheinen lassen. ’’ festgestellter Todesursache [11]. Näheren Aufschluss über Entwicklungen bei Behandlungsfehlervorwürfen in letal verlaufenen Fällen könnte das Obduktionsaufkommen rechtsmedizinischer Institute geben, da in letal verlaufenen Fällen zunächst durch eine Obduktion objektiv Grundleiden und Todesursache abgeklärt werden müssen. Erst auf dieser Basis kann differenziert zur Frage eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität für den Todeseintritt Stellung genommen werden. Zur Begutachtung letal verlaufener Behandlungsfehler im Strafrecht liegt inzwischen eine im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales durchgeführte multizentrische Studie vor [2,6,12]. den einzelnen Instituten, z.B. zwischen 1,6 und 6,1% (München), 8,1 bis 19,7% (Hannover), 4,9 und 45,7% (Köln). Überdurchschnittlich hohe Obduktionsquoten wegen eines Verdachts auf einen letal verlaufenen Behandlungsfehler sind dabei manchmal durch lokale Besonderheiten zu erklären, etwa Fokussierung auf Pflegeschäden (Dekubitusprophylaxe) oder lokal anhängige umfangreiche Ermittlungsverfahren (z.B. sogenannter Diätpillenskandal in Köln Mitte der 90iger Jahre). Das Gros der Behandlungsfehlervorwürfe richtet sich gegen Krankenhausärzte, erst an zweiter Stelle stehen niedergelassene Ärzte und Notdienstärzte (Tabelle 3). Hinsichtlich der betroffenen Fachgebiete stehen in Übereinstimmung mit anderen Statistiken (Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, Haftpflichtversicherer, MDK) die chirurgischen Disziplinen im Vordergrund, gefolgt von Innerer Medizin, Allgemeinmedizin und anderen medizinischen Fachgebieten. Auch wenn operative Disziplinen im Vordergrund von Behandlungsfehlervorwürfen stehen, bezieht sich dieser überwiegend auf eine konservative Therapie, gefolgt von operativer Therapie, Endoskopie und Intensivpflege Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 102 (2008) 535–541 www.elsevier.de/zefq Beispiel Bei einem 65 Jahre alt gewordenen Mann mit einem anamnestisch bekannten Pleuramesotheliom wird – nachdem am Vortag eine Ateminsuffizienz aufgetreten war – wegen eines röntgenologisch und echokardiographisch nachgewiesenen Perikardergusses eine Perikardpunktion vorgenommen. Nach mehrfachen Fehlversuchen entleert sich bei einer erneuten Perikardpunktion aus der Punktionskanüle Blut. Das Punktionsbesteck wird zurückgezogen, auf dem OP-Tisch tritt ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein. Bei der Obduktion findet sich eine Herzbeuteltamponade 537 ARTICLE IN PRESS Tabelle 5. Gruppen von Behandlungsfehlervorwürfen. Gruppe 1 Vorwurf des Unterlassens medizinisch gebotener Maßnahmen – Unzureichende Diagnostik (z.B. unterlassenes Röntgen nach Schädel-Hirn-Trauma, kein EKG bei kardialem Notfall) – Verspätete Reaktion auf postoperative Komplikationen (verspätetes Erkennen einer postoperativen Peritonitis) – Verspätete Einweisung in ein Krankenhaus Gruppe 2 Komplikationen bei bzw. nach operativen Eingriffen – Intraoperative Komplikationen (z.B. Verletzung umgebender Organe) – Exitus in tabula – Komplikationen bei endoskopischen Eingriffen – Postoperative Komplikationen (chirurgische Nachblutung, Nahtinsuffizienz, postoperative Peritonitis) Gruppe 3 Falschbehandlung – Transfusionszwischenfall (fehlerhafte Kontrolle der Blutkonserve auf ABO-Kompatibilität) – Telefondiagnostik (Diagnostik und Therapieempfehlung allein anhand telefonisch geschilderter Beschwerden) – Sonstige Falschbehandlung (z.B. verbliebener Fremdkörper) Gruppe 4 Pflegefehler – Lagerungsfehler – Mangelnde Thromboseprophylaxe – Unzureichende Dekubitusprophylaxe – Unzureichende Kontrakturprophylaxe Gruppe 5 Vorwürfe fehlerhafter Medikation/Medikationsfehler – Falsches Arzneimittel – Falsche Dosierung – Falsche Applikation – Falsches Intervall – Nichtbeachten einer Arzneimittelallergie – Unleserliche Verordnung Tabelle 6. Häufigkeit unterschiedlicher Arten von Behandlungsfehlervorwürfen. Art des Vorwurfs Häufigkeit Prozentanteil an der Gesamtfallzahl (n ¼ 4450) Vorwurf des Unterlassens Medikationsfehler Komplikation bei bzw. nach operativen Eingriffen Falschbehandlung Pflegefehler Vorwurf nicht näher konkretisiert 2158 557 1472 766 320 153 48.5 12.5 33.1 17.2 7.2 3.4 Tabelle 7. Anlässe der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Anlass des Verfahrens Fallzahl (%) ’’ ’’ Angabe der Todesart in der Todesbescheinigung als ungeklärt bzw. nicht natürlich ’’ ’’ Anlass des Ermittlungsverfahrens nicht zu klären Vorwurf durch Angehörige (einschließlich Freunde, Betreuer etc.) Anzeige eines mit- oder nachbehandelnden Arztes Strafanzeige der Angehörigen und gleichzeitige Angabe einer nicht geklärten oder nicht natürlichen Todesart Kein formelles Ermittlungsverfahren, nur Todesermittlungsverfahren Selbstanzeige des Arztes/der Ärzte Anzeige des Patienten noch zu Lebezeiten Anzeige durch nichtärztliche Mitarbeiter (insbesondere Pflegepersonal) Anonyme Strafanzeige Sonstiges 538 1715 (38,5) 1303 (29,3) 831 (18,7) 271 (6,1) 190 (4,3) 73 (1,6) 21 (0,5) 18 (0,4) 10 (0,2) 9 (0,2) 9 (0,2) Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 102 (2008) 535–541 www.elsevier.de/zefq ARTICLE IN PRESS Tabelle 8. Korrelation zwischen Berufsgruppe und bestätigtem Behandlungsfehler. Berufsgruppe Behandlungsfehlervorwürfe Behandlungsfehler bestätigt (ohne Berücksichtigung der Kausalität) Prozentualer Anteil bestätigter Behandlungsfehler Klinikärzte Niedergelassene Ärzte Pflegepersonal Notdienstarzt Mehrere Ärzte Rettungssanitäter Belegarzt Alternativmediziner AiP Nicht zu klären Einzelner Arzt Andere Student Pharmazeut Total 2809 877 172 253 50 23 14 12 6 58 57 8 1 2 4450 220 129 35 30 6 5 3 3 2 1 1 1 0 0 446 7,8 14,7 20,3 11,9 12,0 21,7 21,4 25,0 33,3 1,7 1,8 12,5 0 0 bei mindestens zweifachem Durchstich der rechten Herzkammervorderwand (230 g locker geronnenes Blut, 150 ml rötlich tingierte Flüssigkeit intraperikardial). Damit wäre nach dem Obduktionsbefund bei diesem Sachverhalt die Kausalität der ärztlichen Maßnahme für den Todeseintritt gegeben, der mindestens zweifache Durchstich der rechten Herzkammervorderwand lässt auch an einen Behandlungsfehler (vorhersehbare und vermeidbare Komplikation) denken. Die Obduktion ergab jedoch als weitere wesentliche Befunde eine zentrale, nahezu lichtungsverschließende Lungenthrombembolie bei Oberschenkelvenenthrombose. Es liegt also eine konkurrierende Todesursache vor. Das fortgeschrittene Pleuramesotheliom links hatte ferner zu einer Beteiligung von Mediastinum, Infiltration von Perikard und Lungengewebe sowie völliger Ummauerung der linken Arteria pulmonalis und der Arteria thoracica ascendens geführt. Der Herzbeutel war im Punktionsbereich durch das infiltrativ wachsende Pleuramesotheliom auf nahezu 1 cm verdickt. Dieser erhöhte Gewebswiderstand mag die iatrogene Herzperforation begünstigt haben, so dass bei diesen abweichenden anatomischen Verhältnissen auch bei zweifachem Durchstich des rechten Ventrikels ein Verstoß gegen anerkannte Regeln der ärztlichen Sorgfalt nicht eindeutig bejaht werden konnte (War die Komplikation tatsächlich zu vermeiden?). Der unerwartete und klinisch nicht vorherzusehende pathologisch-anatomische Befund führte zu einer ganz anderen Einordnung des Todesfalles, als man es allein nach dem klinischen Verlauf erwartet hätte. Im Ergebnis der Obduktion war ein Ursachenzusammenhang zwischen iatrogener Herzbeuteltamponade und Todeseintritt bei konkurrierender Todesursache (massive Lungenthrombembolie) nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Auch wenn überwiegend Klinikärzte von Behandlungsfehlervorwürfen betroffen sind, ist bei ihnen die Quote bestätigter Behandlungsfehler deutlich geringer im Vergleich zu niedergelassenen Ärzten (Tabelle 8). Berücksichtigt man neben dem Nachweis des Behandlungsfehlers auch die Kausalität für den Todeseintritt, beträgt die Quote für den Todeseintritt kausaler Behandlungsfehler bei Klinikärzten 3,5%, bei niedergelassenen Ärzten 5,2%, bei Pflegepersonal 9,3%, bei Notdienstärzten 4,7%. Korreliert man den Anlass des Ermittlungsverfahrens mit dem Ergebnis der rechtsmedizinischen Begutachtung, zeigt sich für verschiedene Verfahrensanlässe eine unterschiedlich hohe Frequenz bestätigter Behandlungsfehler. Bei reinen Todesermittlungsverfahren Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 102 (2008) 535–541 www.elsevier.de/zefq beträgt die Quote bejahter Behandlungsfehler z.B. nur 4,1%, bei Anzeigen durch die Angehörigen 10,8%, bei Anzeigen durch einen mitbehandelnden oder nachbehandelnden Arzt 14%. Zwar sind Chirurgen die am häufigsten von Behandlungsfehlervorwürfen betroffene Facharztdisziplin, sie weisen jedoch mit 3,1% eine unterdurchschnittliche Quote für den Todeseintritt kausaler Behandlungsfehler auf. Die retrospektive Analyse ergab, dass in 2873 Fällen ein Behandlungsfehler verneint werden konnte, davon in 1971 Fällen bereits direkt nach der Obduktion. Gerade hierin zeigt sich die Effizienz der gerichtlichen Obduktion nicht nur für das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, sondern auch für von einem Behandlungsfehlerverdacht betroffene Ärzte, da ein entsprechender Vorwurf durch die Obduktion unmittelbar ausgeräumt werden konnte. Dies erspart dem Arzt Belastungen durch langwierige Ermittlungen und unter Umständen negative Berichterstattung in der Presse. Die in epidemiologischen Untersuchungen zu Unerwünschten Ereignissen ganz im Vordergrund stehenden Medikationszwischenfälle finden sich in der eigenen retrospektiven Analyse in Analogie auch zu anderen Datenquellen (Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen, Krankenkassen, Versicherer) kaum. Nur in 70 Fällen des 539 ARTICLE IN PRESS Verwechslung von Elektrolytlösungen (KCl statt NaCl), allergische Reaktionen bei der Gabe individuell kontraindizierter Medikamente bei vorbestehender Allergie, relative Überdosierung bei individuell nicht angepasster Chemotherapie, inadäquate Substitutionstherapie Betäubungsmittelabhängiger, versehentliche intrathekale Gabe von Vincristin bei gleichzeitiger Applikation verschiedener Chemotherapeutika. Erwartungsgemäß ist die Quote nachgewiesener Behandlungsfehler mit eindeutiger Kausalität für den Todeseintritt deutlich geringer als die der festgestellten Behandlungsfehler. Denn neben dem Nachweis der Fahrlässigkeit ist die Kausalität der Pflichtwidrigkeit für den Schadenseintritt zu prüfen, wobei im Strafrecht der Kausalzusammenhang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hergestellt werden muss. An dieser hohen Hürde scheitern viele strafrechtliche Vorwürfe gegen Ärzte, da z.B. konkurrierende Todesursachen vorliegen. Dokumentationsmängel, die im Zivilrecht zu einer Beweislastumkehr führen, können sich bei strafrechtlicher Beurteilung vorteilhaft für den Arzt auswirken, da ein Sachverhalt nicht mehr hinreichend aufgeklärt werden kann. Bei für den Todeseintritt kausalen Behandlungsfehlern stehen immer wiederkehrende ganz grobe Sorgfaltspflichtverstöße im Vordergrund, etwa: Seitenverwechslung mit Entfernung eines gesunden Organs bei im Operationssaal nicht präsenten Befunden bildgebender Verfahren, verspätetes Erkennen einer postoperativen Infektion (z.B. Peritonitis), unkontrollierte Fortsetzung von Therapieempfehlungen obwohl bereits Überdosierungen vorliegen, übersehene Myokardinfarkte trotz hinweisgebender Symptomatik. Weitere typische Risikokonstellationen sind unterlassene Hausbesuche und Telefondiagnostik sowie Fehlinterpre’’tation von Befunden bildgebender Verfahren, die nicht am klinischen Bild orientiert interpretiert werden. In derartigen Fällen gestaltet sich die Kausalitätsbegutachtung relativ einfach, weiterhin in Fällen, in denen durch die Obduktion morphologisch eindeutige Fehler nachweisbar sind (Punktion der Arteria carotis statt Vena jugularis mit Verbluten in die Halsweichteile; intraösophageale Lage eines Beatmungstubus; intraabdominale Lage eines Bülau-Drainage; Perforation der Trachealwand bei Intubation). Auf die Gefahr von Behandlungsfehlern aus anatomischer Unkenntnis wurde bereits vor Jahren von Anatomen hingewiesen, sie finden sich inzwischen im Gutachtenbestand rechtsmedizinischer Institute. ’’ Gesamtkollektives (n ¼ 4450) lagen eindeutige Medikationsfehler vor, am häufigsten war die Gabe eines kontraindizierten Medikamentes, gefolgt von einer relativen Überdosierung sowie einer falschen Applikation. Bei fehlerhafter Arzneimitteltherapie immer wieder zu beobachtende Behandlungsfehlersachverhalte sind: 3. Verfahrensausgang Zum Verfahrensausgang strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen Ärzte wegen Verdachts eines Behandlungsfehlers liegen nur wenige rechtstatsächliche Untersuchungen vor [13]. Eine eigene retrospektive Analyse, die überwiegend staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fahrlässigen Tötung umfasste ergab, dass es in 87,1% der Fälle zu einer Einstellung des Verfahrens oder Freispruch kam, lediglich in 7,6% erfolgte eine Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens nach y 153a StPO gegen Zahlung einer Geldbuße [14]. Dies deckt sich mit Erfahrungen anderer rechtsmedizinischer Institute (Tabelle 9). Im Material der Staatsanwaltschaften ist die Quote nach y 170 Abs. 2 StPO eingestellter Verfahren oder der mit Freispruch endenden Verfahren sogar noch größer (ca. 90%), die der Verurteilungen oder Einstellungen des Verfahrens nach y 153 a StPO geringer. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Ärzte wegen Verdachts eines Behandlungsfehlers in Fällen mit letalem Verlauf haben zwar zugenommen – im untersuchten Zeitraum fand sich sogar eine Verdopplung der Fälle – es gibt jedoch keinen ‘‘Boom’’ wie bei zivilrechtlichen Auseinandersetzungen oder der Zunahme der Verfahren bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen. Betroffene Kollegen sollten bei unklaren Todesfällen oder Todesfällen im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen immer auf Tabelle 9. Ausgang von Behandlungsfehlerverfahren (nach 14). Ulsenheimer Althoff/Solbach 1984 (Aachen) Mallach et al., 1993 (Tübingen) Peters 2000 (Düsseldorf) Orben 2004 Bonn 2005 Gesamt 245 90 410 194 (mit 297 Beschuldigten) 601 (mit 751 Beschuldigten) 210 Beschuldigte Einstellung des Verfahrens oder Freispruch 162 (66,1%) 80 (88,9%) 358 (87,3%) 89% 709 (94,4%) 183 (87,1%) Verurteilung oder Einstellung des Verfahrens nach y 153 a StPO 66 (26,9%) 10 (11,1%) 52 (12,7%) 6% 42 (5,6%) 16 (7,6%) Teilweise wurden die Verfahren anderweitig erledigt bzw. waren zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht abgeschlossen. 540 Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 102 (2008) 535–541 www.elsevier.de/zefq ARTICLE IN PRESS eine objektive Todesursachenklärung durch gerichtliche Obduktion drängen und daher die Todesart zumindest als nicht geklärt qualifizieren [15,16]. Selbst bei eindeutigem Behandlungsfehler ist manchmal die Kausalität für den Todeseintritt aufgrund von Multimorbidität des Patienten nicht nachweisbar. Auch in diesen Fällen dient die Obduktion den Interessen des Arztes. Eine retrospektive Analyse von Obduktionsbefunden unter haftungsrechtlichen Aspekten ergab, dass selbst in Fällen, in denen die Obduktionsbefunde sich nach Meinung des Obduzenten positiv für den Kläger auswirkten, in der Mehrzahl der Fälle gerichtlich kein Behandlungsfehler festgestellt wurde [17]. Auch wenn die Obduktion einen Hauptfehler I (klinisch nicht erkannte Diagnose, die sich während der Obduktion als Grundleiden und/oder einen Hauptgrund für den Tod des Patienten erweist) aufdeckte, erfolgte mehrheitlich eine Einstellung des Verfahrens. Ursache hierfür ist, dass bei Behandlungsfehlervorwürfen und ihrer Begutachtung Sorgfaltspflichtverletzungen im Vordergrund stehen, nicht medizinische Perfektion, die ohnehin unerreichbar ist [17]. Die Furcht, durch eine Obduktion erst einen Behandlungsfehlerverdacht zu begründen oder zu untermauern ist also völlig unbegründet. 4. Schlussfolgerungen In der epidemiologischen- und Versorgungsforschung durchgeführte Untersuchungen zu unerwünschten Ereignissen beziehen sich nahezu ausschließlich auf hospitalisierte Patienten [6]. Daher sind die erhobenen Daten zu einer deutlich höheren bejahten Behandlungsfehlerquote bei niedergelassenen Ärzten sowie bei Pflegepersonal alarmierend. Soweit niedergelassene Ärzte als Bereitschaftsdienstärzte tätig waren, betrug die Quote bejahter Behandlungsfehler sogar 12,6%. Dies wirft die Frage nach der Qualifikation der Bereitschaftsdienstärzte ebenso auf, wie die Überlegung, ob tatsächlich alle Facharztgebietsgruppen in den ärztlichen Notdienst einbezogen werden müssen. Viele Behandlungsfehler ereignen sich auch heute noch, da gegen ganz elementare Regeln verstoßen wird (etwa Seitenverwechslung in Folge fehlender Präsenz von Befunden bildgebender Verfahren im OP, Telefondiagnostik, Unterlassen dringend gebotener Kontrolluntersuchungen, etc.). Durch die Implementierung klassischer Komplikationen und Fehler des jeweils eigenen Faches in Lehrbüchern, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sollte die Sensibilität für Fehler geweckt werden, gleichzeitig dient dies auch der Vermeidung von Fehlern. Über die Begutachtung von Fehlern hinaus zur Fehlervermeidung beizutragen, ist im Übrigen auch eine Aufgabe der Rechtsmedizin. So wurden selbst bearbeitete Fälle einer versehentlichen intrathekalen Applikation von Vincristin bei gleichzeitiger Gabe zweier Chemotherapeutika von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zum Anlass für besondere Warnhinweise genommen [18]. Damit trägt auch die retrospektive Aufarbeitung von Medizinschadensfällen über die Identifizierung von Fehlerquellen zur Fehlerprophylaxe bei, wie dies jüngst auch von einer Empfehlung des Europarates zur Erhöhung der Patientensicherheit gefordert wurde [19]. Literatur [1] Laum HD, Beck L. 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