Entwicklungspsychologie

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Entwicklungspsychologie
Einführung in die Fächer der Psychologie
Univ.-Doz. Dr. Christa Neuper
Entwicklungspsychologie
Gegenstand der Entwicklungspsychologie ist die Entstehung und Veränderung psychischer
Funktionen über die gesamte Lebensspanne hinweg (im Säuglings-, Kleinkind-, Schulkind-,
Jugend-, Erwachsenen- und Greisenalter). Dazu gehört die Kenntnis von biologischen,
sozialen, emotionalen und kulturellen Faktoren, die den Entwicklungsprozess fördern oder
hemmen, das Erkennen anormaler Entwicklungsverläufe und die Durchführung
entsprechender Maßnahmen zur Prävention.
Gegenstand der Entwicklungspsychologie sind Veränderungen im Denken, Erleben und
Verhalten im Laufe des Lebens, wobei im Gegensatz zu früheren Konzeptionen nicht nur
mehr das Kindes- und Jugendalter, sondern die gesamte Lebensspanne betrachtet wird.
Folgende Fragestellungen werden untersucht:
-
Welche Veränderungen in der Entwicklung im Verlauf des Lebens gibt es?
Was sind förderliche, was sind eher hemmende Erfahrungen?
Welchen Einfluss üben Anlage und Umwelt auf die Entwicklung aus?
Gegenstand der Entwicklungspsychologie sind dabei weniger kurzfristige oder aktuelle
Veränderungen im Erleben und Verhalten, sondern grundlegende Veränderungen, die einen
Wandel in der Umweltanpassung anzeigen. Ein Schwerpunkt in der Tätigkeit von
EntwicklungspsychologInnen ist die Untersuchung des Lebens von Kindern und
Jugendlichen, des Studiums der familiären Umwelt, wie auch der außerfamiliären Umwelt,
das Verhalten von Kindern und Jugendlichen zuhause und in der Schule. Fragen der
Auswirkungen unterschiedlicher Erziehungsstile, der Arten von Mutter-Kind-Interaktionen
oder Auswirkungen sozialer Erfahrungen, wie etwa einer Scheidung in der Familie stellen
Untersuchungsgegenstände der Entwicklungspsychologie dar.
Mögliche Unterteilung in Entwicklungsabschnitte:
Abschnitt
Säuglingsalter
Alter
< 1. Lbj.
Pubertät u.
13-18. J.
Jugendalter
Erwachsenenalter 18-65 J.
Entwicklungsaufgaben, Veränderungen
Nahrungsaufnahme, Bindung an Eltern, Sitzen,
Krabbeln, etc.
Sauberkeitsentwicklung, Sprechen, Motorik,
Rollenverhalten, kogn. Fähigkeiten
Schulbildung, Wissen, Denken
Beziehung zu Gleichaltrigen
Geschlechtsentwicklung, Identität, Ablösung von
Eltern, Schulabschluß, etc
Berufseintritt, Partnerwahl, Elternschaft, etc
Kleinkind,
Vorschulkind
Schulkind
1-5 J.
Alter
Berufsausstieg, körperlicher und kognitiver Abbau
6-12 J.
> 65 Lbj.
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Die Entwicklung eines Menschen von der Geburt bis zum Erwachsensein benötigt fast zwei
Jahrzehnte, um alle kognitiven und sozial-emotionalen Fähigkeiten zu erwerben, die ein
erwachsener Mensch in der Gesellschaft benötigt. Mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter
endet die Entwicklung des Menschen aber nicht. Ein Mensch kann sein Leben lang neue
Erfahrungen machen, Fähigkeiten erwerben, zu neuen Einstellungen und Werthaltungen
gelangen, oder neue Beziehungsformen finden.
Zusammenfassung zum Entwicklungsbegriff:
Entwicklung bedeutet langfristige Veränderungen im individuellen Verlauf (lebenslanger
Prozess). Es geht dabei um Veränderungen von (psychischen) Personenmerkmalen, die sich
nach dem Alter ordnen lassen und deren Ablauf als geordnet, kumulativ und gerichtet zu
bezeichnen ist.
Forschungsmethoden der Entwicklungspsychologie
Um Aussagen über Entwicklungsverläufe des menschlichen Verhaltens treffen zu können,
benötigt der/die Entwicklungspsychologe/in spezielle Methoden, die sich zum Teil deutlich
von denen in anderen Teilbereichen der Psychologie unterscheiden. Verhaltensveränderungen
mit dem Alter können auf zwei grundlegend unterschiedliche Arten untersucht werden:
a) Die Querschnittsuntersuchung:
Zu einem gegebenen Zeitpunkt werden Kinder oder auch Erwachsene unterschiedlichen
Alters beobachtet oder mit bestimmten Testverfahren getestet. Bestehen Unterschiede im
Verhalten, z.B. in bestimmten kognitiven Leistungen, so können wir daraus auf ein
Entwicklungsmerkmal schließen.
Der Nachteil dieser Untersuchungsmethode ist, dass gefundene Unterschiede zwischen älteren
und jüngeren Personen, die zu ein und demselben Zeitpunkt untersucht werden, nicht
unbedingt auf Unterschiede in der Entwicklung zurückführbar sein müssen, sondern auch
einfach durch Generationsunterschiede bedingt sein können:
Ältere Menschen sind unter anderen Umweltbedingungen aufgewachsen als jüngere
Menschen, und hatten daher unter Umständen deutlich unterschiedliche Lerngelegenheiten,
was für Verhaltensunterschiede verantwortlich sein kann. So können unter Umständen
Generationsunterschiede fälschlicherweise als Entwicklungsunterschiede interpretiert werden.
Ein berühmtes Beispiel für eine derartige falsche Schlussfolgerung war das Ergebnis aus
Querschnittsuntersuchungen der Intelligenz, dass die Intelligenz nach dem Erreichen der
Reife (d.h. ab dem 20. Lebensjahr) bereits wieder abnimmt. Reanalysen dieser Daten ergaben,
dass in der Stichprobe Erwachsene mittleren Alters niedrigere IQ-Werte hatten, als jüngere
Erwachsene und Jugendliche. Ein derartiges Absinken der Intelligenz bereits ab dem 20.-25.
Lebensjahr konnte in sogenannten Längsschnittstudien nicht beobachtet werden. Die größeren
Fähigkeiten jüngerer Personen waren im Querschnittsdesign lediglich dadurch bedingt, dass
die jüngeren Personen zu einem späteren Zeitpunkt geboren und unterrichtet worden waren,
wo sie deutlich besseren Anregungsbedingungen für die intellektuelle Entwicklung ausgesetzt
waren, als ältere Personen, die während oder nach dem 2. Weltkrieg aufgewachsen waren.
Aus diesem Grund ist für Fragen der Entwicklung das folgende Design dem
Querschnittsdesign überlegen:
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b) Längsschnittuntersuchung:
Eine Gruppe von Personen wird wiederholt getestet, in Abständen von vielen Jahren, in
manchen Fällen sogar in Abständen von Jahrzehnten. Findet man in derartigen
Untersuchungen Unterschiede im Verhalten zu verschiedenen Alterszeitpunkten, so können
diese leichter und eindeutiger mit Entwicklungsunterschieden erklärt werden. Es ist aber
leicht vorstellbar, dass Längsschnittuntersuchungen auch einige gravierende Nachteile in sich
bergen:
Das wiederholte Testen und Beobachten derselben Versuchspersonen kann den
Entwicklungsverlauf der ProbandInnen selber beeinflussen;
Aufgrund der sogenannten Stichprobenabnützung (ein unter Umständen selektiver
Verlust von ProbandInnen) im Laufe der Zeit müssen anfänglich sehr große
Stichproben untersucht werden, damit nach längeren Zeiträumen von Jahren oder
Jahrzehnten noch genügend Personen übrigbleiben, um noch statistisch sinnvolle
Aussagen treffen zu können.
Gravierender ist allerdings, das erstgenannte Problem, welches zur Entwicklung eines
Kombinationsdesigns geführt hat, dem sogenannten
c) Kreuz-Sequenz-Panel-Design:
Hier werden VersuchsteilnehmerInnen verschiedenen Lebensalters getestet und ihre
Entwicklung über mehrere Jahre hindurch längsschnittlich verfolgt. Damit kann
festgestellt werden, ob wiederholtes Testen einen merklichen Einfluss auf das Verhalten
bzw. das Abschneiden der ProbandInnen im Test hat. Das Kreuz-Sequenz-Panel-Design
erlaubt zudem Generationsunterschiede von Entwicklungsunterschieden zu trennen. Nur
dann wenn die in verschiedenen Altersgruppen beobachteten Unterschiede sich
wiederholen, wenn die ProbandInnen aus den verschiedenen Altersgruppen älter werden,
kann auf einen Einfluss der Entwicklung geschlossen werden.
Das Design der Kreuz-Sequenz-Panel-Untersuchung wird zunehmend häufiger im
Rahmen von sogenannten „Lifespan“-Studien genützt.
Theorien zur Entwicklung des Menschen.
Geschichtlich lassen sich in der Psychologie verschiedene grundlegende Erklärungsmodelle
zur Entwicklung des Erlebens und Verhaltens ausmachen. Diese Modelle unterscheiden sich
vor allem hinsichtlich der Annahme, ob die Entwicklung kontinuierlich oder in Stufen bzw.
Phasen verläuft.
1. Die psychoanalytische Entwicklungstheorie:
Die psychoanalytische Entwicklungstheorie geht vom grundlegenden sogenannten
3-Instanzen-Modell der Psyche aus:
- Es
- Ich
- Über-Ich
Das „Es“ stellt die inneren antisozialen Triebe (Liebestrieb bzw. Libido, Todestrieb bzw.
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Thanatos) dar, das „Über-Ich“ beinhaltet die Normen und Vorstellungen bzw. Zwänge, die
von der Zivilisation vorgegeben sind, und die eine Unterdrückung der Triebe erfordern. Dem
„Ich“ kommt die Aufgabe des Vermittlers zwischen „Es“ und „Über-Ich“ zu. Entwicklung ist
zu wesentlichen Teilen vom Gelingen oder Nicht-Gelingen des „Ich“ zwischen diesen beiden
widerstreitenden Kräften zu vermitteln, abhängig. Entwicklung kann also als das Ergebnis der
Versuche des „Ich“, die Konflikte zwischen „Es“ und „Über-Ich“ zu verringern einerseits,
und andererseits als Ergebnis der Versuche der Vermittlung zwischen Trieb und Ansprüchen
der Kultur zu vermitteln, betrachtet werden.
Folgende sogenannte psychosexuelle Entwicklungsphasen wurden von Freud postuliert; die
Reihenfolge ist dadurch festgelegt, dass sich die sexuelle Energie im Verlaufe der
biologischen Reifung von Körperteil zu Körperteil verlagert.
1. Lebensjahr - orale Phase:
In der oralen Phase (1. Lebensjahr) erfolgt die sexuelle Triebbefriedigung mit Hilfe der
Schleimhäute der Mundzone durch Saugen, Beißen und Kauen. Durch Regression auf diese
oder Fixierung auf dieser Entwicklungsstufe entstehen orale Charakterzüge beim
Erwachsenen, die dem unselbständigen, selbstbezogenen, „narzistischen“, immer nur
(Nahrung) fordernden Kind des 1. Lebensjahres direkt oder symbolisch entsprechen: der orale
Charakter ist passiv und abhängig, immer nur fordernd, nie gebend, sicherheitsbedürftig und
selbstbezogen, aber auch „bissig“ im Sinne von sarkastisch.
Alkohohol, Rauchen, Drogen, Essen als orale Ersatzbefriedigungen.
2.-3. Lebensjahr - anale Phase:
In der analen Phase (2.-3. Lebensjahr) steht die Reinlichkeitserziehung im Vordergrund. Der
Anus wird zur erogenen Zone. Sexueller Lustgewinn erfolgt zunächst durch das Ausscheiden,
später durch Zurückhalten von Kot. Je nach Art der Reinlichkeitserziehung und der Lösung
der ersten Konflikte mit den Eltern, die in dieser Phase entstehen, führt Fixierung oder
Regression zu einem grausamen, destruktiven, ungestümen und unordentlichen oder
(2.Hälfte) einem zwanghaft ordentlichen, pedantischen und geizigem Charakter.
3.-5. Lebensjahr - phallische Phase:
In der phallischen Phase (3.-5. Lebensjahr) beschäftigt sich das Kind mit seinem Körper,
speziell mit seinem Genitale als erogene Zone. Es entdeckt den anatomischen Unterschied
zwischen den Geschlechtern. Der Ödipuskonflikt, in dem die Beziehung des Knaben zur
Mutter eine sexuelle Komponente bekommt, der Vater als Rivale erlebt wird, was
Schuldgefühle und Angst (Kastrationsangst durch Entdeckung des weiblichen Genitales)
auslöst, beherrscht die phallische Phase (bei Mädchen geringeres Problem). Eine Regression
auf die phallische Phase oder Fixierung in ihr führen beim Mann zum phallischen Charakter
mit seinen übertriebenen Männlichkeitsbedürfnissen, seiner Neigung, sich selbst und anderen
seine Potenz zu demonstrieren (Kompensation der Kastrationsangst), sowie übertriebenem
Erfolgsstreben (Bedürfnis den Vater zu übertreffen). Aber auch Impotenz und Erfolglosigkeit
können aus den Schuldgefühlen gegenüber dem Vater in der Ödipussituation resultieren.
Mit der folgenden Phase der Latenz (6. Lebensjahr bis zur Pubertät) und der genitalen Phase
(Pubertät bis zum reifen Erwachsenenalter) hat Freud sich selbst weniger beschäftigt.
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2.
Lerntheoretische Entwicklungstheorie:
Lerntheoretische Entwicklungsmodelle gehen im Gegensatz zu dem psychoanalytischen und dem
kognitiven Modell (welches nachfolgend besprochen werden wird) von einer kontinuierlichen
Entwicklung, d.h. ohne Annahme von Phasen, aus. Entwicklung wird im Wesentlichen als
Funktion von Lernen durch Umwelteinflüsse gesehen; die Einflüsse von (angeborenen) Trieben
bzw. genetische Einflüsse werden (zumindest in der frühen radikalen Form des Behaviorismus)
negiert. Unterschiede im Verhalten zwischen den Menschen seien daher lediglich das Ergebnis
unterschiedlicher Lerngeschichten:
Menschen haben unterschiedliche Erfahrungen und verarbeiten diese Erfahrungen auch
unterschiedlich; selbst zwei Menschen mit annähernd gleichen Erfahrungen können diese
unterschiedlich verarbeiten bzw. bewerten.
Der grundlegende Mechanismus ist der des Lernens, und dieser bleibt über das gesamte Leben
hindurch gleich. Lernen erfolgt dabei durch die bereits o.a. Mechanismen des klassischen
Konditionierens, des instrumentellen oder operanten Konditionierens, aber auch durch das Lernen
durch Beobachtung bzw. Lernen am Modell.
Kritik: Der lerntheoretische bzw. streng behavioristische Standpunkt ist heute genauso umstritten
wie der psychoanalytische Standpunkt. Lernen wird als gänzlich passiver Vorgang dargestellt;
eine Einwirkung oder Steuerung durch den sich entwickelnden Mechanismus wird nicht
berücksichtigt. Als ein Hauptkritikpunkt muss zudem gesehen werden, dass Verhalten bzw.
interindividuelle Unterschiede im Verhalten ausschließlich als das Ergebnis von Lernvorgängen
betrachtet werden; dies steht in großen Bereichen der Psychologie im Widerspruch zu
Erkenntnissen aus der sogenannten Verhaltensgenetik, einer Teildisziplin, die sich mit der
Klärung des Einflusses von Anlage (Gene) und Umwelt auf die Ausbildung von Verhalten bzw.
von Persönlichkeitsunterschieden beschäftigt.
Obgleich der streng behavioristische Standpunkt heutzutage als nicht mehr vertretbar gilt, haben
behavioristische Techniken nach wie vor einen großen Einfluss vor allem auch im Bereich der
Therapie, z.B. bei der Desensibilisierung von Kindern gegenüber bestimmten Ängsten.
Die kognitive Entwicklungstheorie:
3.
Wie bereits erwähnt, bestand ein wesentlicher Kritikpunkt sowohl an der psychoanalytischen, als
auch an der lerntheoretischen Entwicklungstheorie, die Annahme einer weitestgehend passiven
Rolle des Individuums. Im Gegensatz zu diesen Modellen nimmt die kognitive
Entwicklungstheorie eine weitaus aktivere Rolle des Individuums in der Gestaltung seiner
Entwicklungserfahrungen an. Der Mensch würde dementsprechend im Verlauf seiner
Entwicklung sein eigenes Weltverständnis aktiv mitbestimmen. Das selbst aufgebaute Weltbild
legt fest, in welcher Form und inwieweit ein Kind fähig ist, von anderen zu lernen bzw. generell
sein soziales und kognitives Verhalten zu entwickeln. Zu Entwicklungssprüngen kommt es immer
dann, wenn das eigene Weltbild mit dem äußeren Weltbild nicht übereinstimmt, d.h. in „Stadien
des Disäquilibriums“ zwischen dem gegenwärtigen Wissen und der durch soziale und materielle
Umwelt repräsentierten Wirklichkeit. Wenn ein Individuum entdeckt, dass seine Vorstellung von
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der Welt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist das Individuum gezwungen, die
Vorstellung zu verändern bzw. zu revidieren.
Augenfällig sind solche Veränderungen vor allem im Bereich der kognitiven Entwicklung.
Beispiel: Bis zu einem gewissen Alter glaubt ein Kind, dass zehn Gegenstände mehr sind, wenn
man sie übereinander stapelt. Wenn das Kind in der Lage ist die Gegenstände abzuzählen, wird
diese falsche Weltsicht korrigiert. Die Sichtweise, dass die Anordnung der Gegenstände ihre
Anzahl bestimmt, wird aufgegeben zugunsten einer neuen Ansicht, nämlich dass die Anzahl
unabhängig von der räumlichen Lokation ist.
Dies ist ein Beispiel für die kognitive Entwicklungstheorie, die im Wesentlichen auf den
Begründer Jean Piaget, einem Schweizer Psychologen, zurückgeht. Piaget hat vor allem für den
Bereich der kognitiven Entwicklung verschiedene Stadien vorgeschlagen, die sich allerdings nicht
auf das Primat der Lustbefriedigung (Libido) wie bei Freud beziehen, sondern primär auf die
Veränderungen in den Denkvorgängen. Gemeinsam ist dem psychoanalytischen und dem
kognitiven Entwicklungsansatz allerdings die Annahme einer fixen Abfolge von qualitativ
unterschiedlichen Phasen. Ein Kind oder ein Jugendlicher kann dementsprechend nicht einfach
als ein „kleiner Erwachsener“ betrachtet werden, dem einfach noch bestimmte Lernerfahrungen
fehlen, sondern die Art der Wahrnehmung der Umwelt bzw. des kognitiven Begreifens der
Umwelt kann in verschiedenen Phasen auf grundlegend, d.h. qualitativ unterschiedliche Weise
funktionieren.
Das Modell der Informationsverarbeitung:
4.
Moderne Ansätze verwenden Computermodelle zur Simulation auch der kognitiven Entwicklung
von Menschen bzw. der Entwicklung der menschlichen Intelligenz. Das Modell der
Informationsverarbeitung berücksichtigt auch Kenntnisse der Neuro-Wissenschaften über die
Entwicklung des Gehirns, und damit der „Hardware“ des Verhaltens, welches einerseits erst im
Verlaufe der Gehirnreifung überhaupt erst bestimmte Verhaltensweisen ermöglicht, und
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andererseits auch verantwortlich ist für Veränderungen des Verhaltens im hohen Alter. Um die
Computeranalogie fortzuführen: kurzfristigere Anpassungen (Lernvorgänge) können auch als
„Software“ betrachtet werden; die Veränderungen in der Software sind primärer Gegenstand des/r
am Informationsverarbeitungsansatz orientierten Entwicklungspsychologen/in. Im Rahmen der
sogenannten kognitiven Wissenschaften (cognitive science) werden detaillierte Beobachtungen
des Verhaltens von Kindern durchgeführt, beispielsweise wie sich das Blickverhalten bei der
Bearbeitung von kognitiven Aufgaben verändert; wie lange es dauert bis bestimmte Antworten
gezeigt oder produziert werden; an welche Teile eines Problems sich ein Kind besser oder
schlechter erinnert etc.
Spracherwerb und Gehirnentwicklung
Entwicklungspsychologie ist nicht nur durch besondere Methoden gekennzeichnet, eine
wesentliche Funktion der Entwicklungspsychologie besteht auch in der Vermittlung von
Wissen und Kenntnissen darüber, wie sich psychologische Phänomene mit dem Alter
entwickeln. Dieses Wissen ist beispielsweise unabdingbar für die Beurteilung von
Entwicklungsvorsprüngen bzw. –rückständen von Kindern. Im folgenden soll die
Entwicklung der Sprache bzw. des Spracherwerbs (unter Berücksichtigung biologischer
Grundlagen der Gehirnentwicklung) beispielhaft dargelegt werden.
Im ersten Lebensjahr ist noch keine Sprache an sich, sondern nur Vorformen der
Sprachentwicklung zu beobachten. Bei diesen Vorformen lassen sich insgesamt vier Phasen
unterscheiden. Die Lautäußerungen beginnen mit schreien und behaglichem Gurgeln bzw.
Juchzen bis hin zum Lallen oder Brabbeln und erst von da gelangt das Baby zum Sprechen
von Worten. Erste vokalartige Laute ergeben sich beiläufig aus dem Atmen, aus verdauen und
schreien. „Sprachliche Reaktionen“ auf Dinge oder Reize aus der Umwelt sind mit etwa zwölf
Wochen zu beobachten, zumeist in Form von „Juchzen“.
Im Bereich zwischen zwölf Wochen und sechs Monaten tauchen dann erste Konsonanten
auf, und mit sechs Monaten beginnt das Brabbeln oder Lallen. Ab diesem Alter werden
einfache Kombinationen aus Konsonanten und Vokalen dargeboten (Na), mit etwa acht
Monaten beginnen Kinder das eigene Sprechen, und das anderer nachzumachen und
erzeugen hierzu mehrmals die selbe Silbe. Gelegentlich werden Plappersilben mit Objekten
oder Ereignissen verbunden und dies stellt den Übergang in die Entwicklung erster
Vorformen der Sprache dar (mit etwa einem Jahr). Zwar handelt es sich noch nicht um
Worte im eigentlichen Sinn, die Äußerungen haben aber bereits die Funktion von Worten,
weil sie eindeutige Kennzeichnungen von Objekten darstellen.
Generell haben Untersuchungen des ersten Lebensjahres gezeigt, dass das Sprechen dem
Sprachverstehen hinterherhinkt; Kinder können Unterschiede zwischen ähnlichen
Konsonanten hören, auch wenn sie noch nicht in der Lage sind, diese entsprechend zu
produzieren.
Im Zeitraum zwischen acht und achtzehn Monaten können Kinder ein Vokabular von
einigen hundert Wörtern erwerben; in dieser Zeit dominieren aber noch sogenannte Ein-WortSätze bzw. Holophrasen.
Während des zweiten Lebensjahres werden dann gehäuft zwei Wörter zu sogenannten Duos
verbunden, die verschieden Funktionen haben können, wie beispielsweise benennen („ein
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Haus“), Nicht-Vorhandensein („Milch tschüß“) und Handlung („Susi läuft“) und
Wiederauftreten („noch Katze“). Derartige Duos stellen die erste Form von grammatischen
Konstruktionen dar; sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie bereits bemerkenswert
fehlerfrei produziert werden. Zunehmend kommt es zur Ausbildung auch von längeren
Sätzen, die aber noch immer im „Telegrammstil“ verfasst werden, was darauf hinweist, dass
noch nicht Erwachsenensätze nachgebildet werden, da die formalen Relationen von
Substantiv und Verb oder Substantiv und Adjektiv zumeist nicht gegeben sind; die Sätze
folgen zumeist eigenen sprachlichen Regeln, vermitteln aber dennoch einen meist eindeutig
zu identifizierenden Sinn. Von Zwei-Wort-Sätzen schreitet das Kind bald voran zu einfachen
Aussagesätzen.
Schließlich werden während des dritten Jahres Umformungen von Aussagesätzen, z.B. in
Form von Fragen oder Verneinungen gezeigt. In diesem Bereich (2-3 Jahre) werden die
elementaren grammatischen Umformungsregeln erworben. Mit drei Jahren haben Kinder
zumeist ein Vokabular von über 1000 Wörtern und sind in der Lage immer kompliziertere
Sätze zusammenzufügen, Fragen zu stellen, verneinende Aussagen zu treffen. Mit Eintritt in
die Schule ist die Sprache in der Regel in Satzbau und Grammatik von der
Erwachsenensprache nicht mehr zu unterscheiden.
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