Kardiologische Rehabilitation
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Kardiologische Rehabilitation
Schwerpunkt Herz 2012 DOI 10.1007/s00059-011-3559-8 © Urban & Vogel 2011 H.W. Hahmann Klinik Schwabenland, Isny-Neutrauchburg Kardiologische Rehabilitation Aktueller Stand und zukünftige Anforderungen „Die kardiologische Rehabilitation ist der Prozess, bei dem herzkranke Patienten mit Hilfe eines multidisziplinären Teams darin unterstützt werden, die individuell bestmögliche physische und psychische Gesundheit und die soziale Integration wiederzuerlangen und langfristig aufrechtzuerhalten“ [1, 2]. „Die kardiologische Rehabilitation ist ein integraler Bestandteil einer am langfristigen Erfolg orientierten, umfassenden Versorgung von Herzpatienten“ [1, 3]. „Zu den wichtigsten Aufgaben der kardiologischen Rehabilitation zählen die Verbesserung der Leistungsfähigkeit, der Lebensqualität und die Verbesserung der Prognose der Patienten (Reduktion der Morbidität und Mortalität). Diese Zielsetzungen sind die Grundlage, um die im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) konkretisierte Zielsetzung der ‘Teilhabe’ rehabilitationsbedürftiger Patienten zu erreichen“ [4]. Mit diesem Wortlaut ist die Aufgabe der kardiologischen Rehabilitation in der Deutschen Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen definiert [5]. In Deutschland (und den deutschsprachigen Ländern) besteht die Besonderheit, dass die Entwicklung der Rehabilitation maßgeblich durch die Existenz einer umfassenden und leistungsstarken Rentenversicherung geprägt wurde. Dass es nachweislich gelingt, mittels Reha vorzeitige Erwerbsunfähigkeit durch Krankheit zu verhindern oder herauszuschieben, ist die ökonomische Grundlage einer ganzheitlichen Reha-Strategie, die auch edukativen und psychosozialen Bedürfnissen Rechnung trägt. Dadurch erklärt sich, dass Rehabilitation in Deutschland konzeptionell umfangreicher und bis heute überwiegend in stationären Einrichtungen erfolgt. Derzeit werden seitens der deutschen Rentenversicherung jährlich rund 3,5 Mrd. Euro für medizinische Leistungen der Rehabilitation aufgewendet, etwa 10% davon für Herzkreislauferkrankungen [6]. Das Erfolgsmodell „Reha vor Rente“ wird – nicht zuletzt durch den demographischen Wandel - derzeit teilweise abgelöst durch die Zielvorgabe „Reha vor Pflege“, bei einer zunehmenden Zahl bereits im Rentenalter befindlicher und z. T. hochbetagter Rehabilitanden. Damit ändert sich auch die Kostenträgerschaft von der Rentenversicherung zur Krankenkasse. Obwohl der medizinische Aufwand 40 35 der Reha-Einrichtungen dabei größer ist, werden Pflegesätze oder Fallpauschalen niedriger angesetzt, da die ökonomische Effizienz noch kaum erforscht ist, die einerseits in der frühzeitigen Entlassung Schwerkranker aus der (kostenintensiveren) Akutversorgung und andererseits in der zukünftigen Verminderung von Krankenkosten und Pflegebedürftigkeit zu suchen sein dürfte. Wie hat sich die kardiologische Rehabilitation verändert? Reha-Maßnahmen werden entweder als Heilverfahren in der chronischen Phase einer die Reha begründenden Erkrankung oder als Anschlussheilbehandlung Widmung Herrn Prof. Dr. med. Klaus Held zum 80. Geburtstag gewidmet. 38,5 35,6 2000 2009 31,7 32,3 30 25 % Einleitung Abb. 1 7 Änderung der Altersstruktur der herzoperierten Patienten zwischen 2000 und 2009: Der Anteil der über 80-Jährigen hat sich verdoppelt. (Nach [7, 8]) 20 16,1 17 15 10 5 0 8,1 5,4 4,3 40–50 4,3 50–60 60–70 Jahre 70–80 80 u. älter Herz 2011 | 1 Schwerpunkt Tab. 1 Inhalte der kardiologischen Rehabilitation, gegliedert nach 4 Bereichen [10] Somatischer Bereich Körperliches Training Management bei Fettstoffwechselstörungen Management bei arterieller Hypertonie Management bei Diabetes mellitus Management bei metabolischem Syndrom EdukaGesundheitsbildung und Gesundtiver Be- heitstraining reich Beendigung des Rauchens Gesunde Ernährung Umgang mit Übergewicht Psychischer Bereich Psychologische Einzelgespräche Stressgruppe Entspannungstherapie Sozialer Bereich Sozialberatung Stufenweise Wiedereingliederung Schwerbehindertenrecht Rentenfragen – Reha-Berater Berufliche Rehabilitation (MBO) Ggf. Pflegedienst – Pflegestufe Tab. 2 Indikationsspezifische Besonderheiten und besondere Patientengruppen [10] Nach Herzoperation und Thorakotomie Nach Herzklappenersatz Nach Aortenklappenersatz Nach Korrektur von Mitralklappenfehlern Nach interventionellem Klappenersatz Defibrillator- und Resynchronisationstherapie Chronische Herzinsuffizienz Demographischer Wandel: von den Berufstätigen zu den Rentnern Der größte Teil kardiologischer Reha-Patienten hat eine herzchirurgische Intervention hinter sich. Schon die Verschiebung dieser Eingriffe ins immer höhere Lebensalter erklärt die geänderte Altersstruktur in der Rehabilitation [7, 8]. Dabei handelt es sich nicht um eine typisch geriatrische Patientengruppe, also Menschen, die durch eine mehr oder weniger große Zahl alterstypischer Erkrankungen behandlungsbedürftig werden, sondern in der Regel einfach um ältere Herzpatienten, die bei guter Behandlungsmöglichkeit ihrer kardiovaskulären Erkrankung eine gute Lebensqualität zu erwarten haben, auch bei einer erhöhten Anzahl typischer Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz. Die kardiologische Rehabilitation älter Menschen mutiert nicht zur geriatrischen Rehabilitation. Gleichwohl ändern sich die Prioritäten von einer auf Überleben ausgerichteten Sekundärprävention auf Lebensqualität, Selbstbestimmung, Vermeidung von konsekutiven Krankenkausaufenthalten und Pflegebedürftigkeit. Der Beitrag, den die kardiologische Rehabilitation zur Eindämmung der immensen Kostenlawine leistet, die eine älter werdende Bevölkerung nach sich zieht, ist bislang leider nicht wissenschaftlich erfasst (. Abb. 1). Nach Herztransplantation Periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) Kränkere Patienten Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) Es ist nicht zu bezweifeln, dass in den letzten 3 Jahrzehnten zunehmend schwerer Herzkranke chirurgisch oder kardiologisch interventionell behandelt werden und dank der Fortschritte des Fachgebiets überleben. Diese Entwicklung, die sich unmittelbar auch auf die kardiologische Rehabilitation übertragen hat, verstärkt sich derzeit exponentiell durch die interventionellen Klappenimplantationen bei nicht mehr operabelen Patienten. Waren früher frisch Operierte oder Patienten nach kurz zurückliegenden Myokardinfarkten die Risikopatienten, sind es heute die im Hochrisikozustand Intervenierten, wobei Wundheilungsstörungen und lebensbedrohende Infektion, Peri- Schlafapnoe-Syndrom Der ältere Patient in der Rehabilitation (AHB) unmittelbar nach einem Akutereignis durchgeführt. Bei Herz-KreislaufErkrankungen überwiegt inzwischen bei Weitem die AHB. Die darüber hinaus in den letzen 20 Jahren eingetretene Veränderung in der kardiologischen Rehabilitation lässt sich mit den Schlagworten „älter, kränker, früher, schneller“ charakterisieren. 2 | Herz 2011 kardergüsse, Tachyarrhythmien, alle Stadien und Formen der Herzinsuffizienz und Komorbiditäten wie weitere schwere Gefäßmanifestationen, Niereninsuffizienz bis zur Dialysepflichtigkeit und alle diabetischen Spätsyndrome im Vordergrund stehen. Die erfolgreiche Rehabilitation nach Herztransplantation erfordert in diesem Kontext darüber hinaus die optimale Vernetzung mit dem transplantierenden Zentrum und Erfahrung mit typischen Transplantationsfolgen. Frühere Reha, kürzere Verweildauer, beschleunigter Krankheitsverlauf Die „blutige Verlegung“ ist zum Schlagwort geworden, welches Krankenkassen, Rentenversicherer und Betreiber von Reha-Einrichtungen gleichermaßen emotionalisiert. Fallpauschalen sollen für die Akutbehandlung so bemessen sein, dass sie einen ausreichenden Zeitspielraum für die Behandlung im Akuthaus gewährleisten. Werden die Verweildauern in der Akutklinik zu kurz und Aufgaben auf die Reha verlagert (was bei knappem Kalkulationsspielraum de facto heute gar nicht mehr zu vermeiden ist), fürchten Krankenkassen, für die Leistung zweimal zu zahlen – einmal mit der Fallpauschale im Akuthaus und eines zweites Mal in der Reha. Rentenversicherer vermuten, dass originäre Krankenkassenleistungen der Rentenversicherung angelastet werden. Reha-Einrichtungen sind auf die Zuweisung der Akutkliniken angewiesen und übernehmen daher auf jeden Fall. Einem Patienten zuzumuten, erst in die Reha zu kommen, wenn sein Gesundheitszustand sich dem vorgegebenen Leistungsprofil der Einrichtung angepasst habe, ist unärztlich. Diese Konstellation führt aber dazu, dass Reha-Einrichtungen offiziell den Platz nicht einnehmen dürfen, den sie heute längst haben, nämlich den einer Intermediärklinik, die sich gleichermaßen noch mit der Vervollständigung der Akutbehandlung, dem Abschluss der Wundheilung, vom Fädenziehen angefangen, dem Auftitrieren der prognostisch relevanten Medikation, dem Aufdecken und Einstellen der Risikofaktoren befasst wie mit dem Auftrainieren des Patienten, seiner seeli- Zusammenfassung · Abstract Herz 2012 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s00059-011-3559-8 © Urban & Vogel 2011 H.W. Hahmann Kardiologische Rehabilitation. Aktueller Stand und zukünftige Anforderungen Zusammenfassung Herzkranke mit Hilfe eines multidisziplinären Teams darin zu unterstützen, die individuell bestmögliche physische und psychische Gesundheit und die soziale Integration wiederzuerlangen und langfristig aufrechtzuerhalten, ist das Ziel der kardiologischen Reha. Dabei werden durch körperliches Training Leistungsfähigkeit und Selbstvertrauen wiederhergestellt, und wenn nötig wird zur seelischen Krankheitsbewältigung beigetragen und die soziale Reintegration („Teilhabe“) verbessert. Die Ursachen der Erkrankung werden eruiert, dem Patienten verdeutlicht und soweit wie möglich beseitigt, wobei sich medikamentöse und lebensstiländernde Maßnahmen ergänzen. Bei besonderen Krankheitsbildern bietet die Reha die Chance gezielter Schulung, wie beim Diabetiker oder beim Auftitrieren der Medikamente und Erlernen besonderer Trainingsformen beim Herzinsuffizienten. Zur gezielten Nachsorge steht vor allem ein flächendeckendes Netz ambulanter Herzgruppen zur Verfügung. Herzpatienten werden vorwiegend in Anschlussheilbehandlungen (AHB) rehabilitiert, sind älter und kränker als in der Vergangenheit, kommen früher aus der Akutversorgung und werden schneller wieder entlassen. Der zunehmende Anteil bereits nicht mehr erwerbstätiger Rehabilitanden macht neue Zielsetzungen erforderlich. Die häufigere Reha schwerkranker und multimorbider Patienten, die nicht selten mit neuen interventionellen Verfahren behandelt werden, stellt eine zunehmende diagnostische und therapeutische Herausforderung dar, die zwar praktisch zu bewältigen, aber von den Kostenträgern nicht als Reha-Leistung vorgesehen sind. Der Nutzen der kardiologischen Reha ist im Hinblick auf Morbiditäts- und Mortalitätssenkung wissenschaftlich gut belegt. Die Inanspruchnahme von Reha-Maßnahmen ist durch Hürden von Seiten der Patienten, aber auch der Krankenkasse am Beispiel der nicht seltenen Reha-Verweigerung bei Nicht-STHebungs-Infarkten noch suboptimal. Grundsätzlich kann ambulant oder stationär rehabilitiert werden. Spezifische Zuweisungskriterien haben sich bisher nicht etabliert. Struktur- und Prozessqualität der ambulanten Reha entsprechen der stationären. Die Auswahl zwischen den Settings erfolgt anhand pragmatischer Kriterien. Der komplementäre Einsatz eines ambulanten und stationären Settings muss genutzt werden, damit die Inanspruchnahme kardiologischer Reha zukünftig verbessert wird. Die Reha muss sich auf die Versorgung risikoreicherer Patientengruppen einstellen. Zu den Zielen der Rehabilitation älterer Herzpatienten besteht noch Forschungsbedarf. Schlüsselwörter Kardiologische Rehabilitation · Koronare Herzkrankheit · Myokardinfarkt · Lebensstil · Prognose Cardiac rehabilitation. Current status and future challenges Abstract The goal of cardiac rehabilitation is to support heart patients using a multidisciplinary team in order to obtain the best possible physical and mental health and achieve longterm social reintegration. In addition to improving physical fitness, cardiac rehabilitation restores self-confidence, thus better equipping patients to deal with mental illness and improving their social reintegration (“participation”). Once the causes of disease have been identified and treated as effectively as possible, drug and lifestyle changes form the focus of cardiac rehabilitation measures. In particular diseases, rehabilitation offers the opportunity for targeted educational courses for diabetics or drug dose escalation, as well as special training for heart failure patients. A nationwide network of outpatient heart groups is available for targeted follow-up. schen Krankheitsbewältigung, der sozialen Wiedereingliederung und der Motivation zur Lebensstiländerung. Die Auswirkung der DRG-Einführung in den Akutkrankenhäusern auf Verlegungszeitpunkt und Behandlungsaufwand der kardiologischen Reha wurde in der REDIAStudie [9] untersucht. Cardiac patients predominantly rehabilitated in follow-up rehabilitation are older and have greater morbidity than in the past; moreover, they generally come out of acute clinical care earlier and are discharged from hospital more quickly. The proportion of severely ill and multimorbid patients presents a diagnostic and therapeutic challenge in cardiac rehabilitation, although cardiac rehabilitation was not initially conceived for this patient group. The benefit of cardiac rehabilitation has been a well documented reduction in morbidity and mortality. However, hurdles remain, partly due to the patients themselves, partly due to the health insurers. Some insurance providers still refuse rehabilitation for non-ST-segment elevation infarction. In principle rehabilitation can be Aufgaben und Ziele der kardiologischen Rehabilitation Aufgaben und Vorgehensweise der kardiologischen Rehabilitation sind gut definiert und in der Deutschen Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit HerzKreislauf-Erkrankungen festgeschrieben. carried out in an inpatient or an outpatient setting. Specific allocation criteria have not yet been established, but the structure and process quality of outpatient rehabilitation should correspond to that of the inpatient setting. The choice between the two settings should be based on pragmatic criteria. Both settings should be possible for an individual patient. Cardiac rehabilitation is already focusing on older, sicker and polymorbid patients; this will become ever more the case in the future. There is still a need for future clinical research for these patients. Keywords Cardiac rehabilitation · Coronary disease · Myocardial infarction · Lifestyle · Prognosis [5]. Die Inhalte der Rehabilitation unterteilen sich in den somatischen, den edukativen, den psychischen und den sozialen Bereich (. Tab. 1). Dabei sind spezifische Vorgehensweisen für besondere Patientengruppen vorgesehen (. Tab. 2). Auf der Basis eines biopsychosozialen Modells, das aus sozialmedizinischer Herz 2011 | 3 Schwerpunkt ... auf die „Teilhabe“ • körperliches Training • Krankheitsbewältigung • berufliche/soziale Reintegration • ... auf „Funktionsstörungen“ • "Prognose/Medikamente" • Hypertoniebehandlung • Fettstoffwechseltherapie • Diabeteseinstellung • Herzinsuffizienztherapie ... auf „Kontextfaktoren“ • Lebensstiländerung • Therapietreue • Nachsorge/AHG Sicht die Denkweise in der Rehabilitation bestimmt, beschreibt der Internationale Code der Funktionseinschränkungen (ICF) Krankheitsauswirkungen mit den Begriffen „Schädigung“, „Beeinträchtigung der Aktivitäten“ und „Teilhabe“ [10]. Die Aufgaben der kardiologischen Rehabilitation unter dieser Sichtweise des ICF, auf den im Folgenden nicht weiter eingegangen werden soll, sind in . Abb. 2 annäherungsweise darstellt. Ist der Nutzen der kardiologischen Rehabilitation wissenschaftlich belegt? Bislang lagen nur begrenzte Daten aus einer retrospektiven [11] und einer kleineren prospektiven Studie [12] vor. Der Kenntnisstand wurde entscheidend erweitert durch eine gerade veröffentlichte Auswertung der OMEGA-Studie [13], einer randomisierten, placebokontrollierten doppelblinden Studie mit 3.851 Patienten nach perkutaner Koronarintervention (PCI) bei akutem Koronarsyndrom (STEMI oder NSTEMI) von denen 70,6% an einer kardiologischen Anschlussrehabilitation teilgenommen haben. Die Ereignisraten, unterschieden danach, ob Reha-Maßnahmen stattgefunden haben oder nicht, zeigen einen signifikanten Vorteil der Rehabilitation hinsichtlich Gesamtmortalität, überlebtem Myokardinfarkt und Auftreten von Herzinsuffizienz ([14]; . Tab. 3). 4 | Herz 2011 Abb. 2 9 Themen, auf die sich die kardiologische Reha richtet und die dem ICF entstammen. (Nach [10]) Indikationen und Inanspruchnahme der kardiologischen Rehabilitation Der Rehabilitationsbedarf z. B. nach akutem Koronarsyndrom (ACS) ergibt sich aus dem überstandenen, vital bedrohlichen Akutereignis und der zugrunde liegenden Arteriosklerose mit den vielfach bestehenden klassischen Risikofaktoren [15]. Daher ist es notwendig, unter dem Schutz einer medizinischen Überwachung die bestehenden Funktionseinschränkungen zu erkennen und adäquat zu behandeln. Dies umfasst die Versorgung mit prognostisch relevanten Medikamenten, die Aufdeckung und möglichst weitreichende und nachhaltige Modifikation aller kardiovaskulären Risikofaktoren und die Motivation zur Lebensstiländerung. Letztere betrifft v. a. Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion, Aufnahme eines körperlichen Trainings, Rauchverzicht und Stressabbau. Darüber hinaus sollen die Patienten lernen, mit der Erkrankung zu leben und die seelischen Folgen des Krankheitserlebens zu überwinden [15, 16]. Unter der Erwartung, dass bei der Kürze der Akutbehandlung und den geringen zeitlichen und wirtschaftlichen Spielräumen der Hausärzte eine gezielte Sekundärprävention häufiger unterbleibt und der Patient oft unzureichend und zeitlich verzögert die Sicherheit bekommt, seinen verbliebenen oder wiedergewonnenen körperlichen Leistungsspielraum in Besitz zu nehmen, ist es nachteilig, dass die kardiologische Rehabilitation nur in einem Teil der indizierten Fälle in Anspruch genommen wird – in der Mehrzahl nach Herzoperationen. Die oben erwähnte OMEGA-Studie, die realistisch die aktuellen Gepflogenheiten in Deutschland wiedergeben könnte, hat eine Reha-Inanspruchnahme von 70% ermittelt [14]. Bei der heutigen Behandlung des ACS mittels sofortiger PCI sind bei unspektakulärem Verlauf oft gerade junge Koronarpatienten schwer von der Sinnhaftigkeit einer AHB zu überzeugen, insbesondere wenn keine eingehende Aufklärung darüber erfolgt, dass mit der PCI nur die unmittelbare Auswirkung, aber keinesfalls die Grundkrankheit behandelt wird und die Wahrscheinlichkeit neuer Ereignisse hoch ist, wenn nicht die Ursachen des Geschehens aufgedeckt und eingehend behandelt werden. Dies gilt sowohl für metabolische als auch für Lebensstilfaktoren. Selbst primär nicht behandelbare, aber klar identifizierbare genetische Risikofaktoren sollten – insbesondere bei Frühmanifestation eines Gefäßleidens – aufgedeckt und in die Risikostratifikation einbezogen werden. Die Reha bietet zudem die Chance, Hilfestellung bei der seelischen Verarbeitung solcher Erkenntnisse zu geben. Hürden seitens der Krankenkassen (und des MDK), z. B. bei NSTEMI Von Seiten der Krankenkassen bzw. des Medizinischen Dienstes wurde in letzter Zeit teilweise die Indikation zur kardiologischen Anschlussrehabilitation nach Nicht-ST-Hebungs-Infarkt (NSTEMI) negiert und die Kostenübernahme abgelehnt. Die kardiologische Rehabilitation reduziert aber Mortalität und Morbidität bei Patienten mit ST-Hebungs-Infarkt (STEMI) und NSTEMI in gleicher Größenordnung. Eine Studie zur Effektivität der kardiologischen Rehabilitation in Deutschland hat an 4.547 konsekutiven Patienten (2.432 mit STEMI und 2.115 mit NSTEMI) eindeutig gezeigt, dass beide Patientengruppen sowohl bezüglich Mortalität und Morbidität von der kardiologischen Anschlussrehabilitation profitieren [16]. Sowohl die Gesamtmortalität (STEMI: OR 0,41; 95%-CI 0,28–0,60, p<0,001; NSTEMI: OR 0,53; 95%-CI 0,38– 0,76, p<0,0001) als auch die kardiovaskuläre Morbidität (MACCE: Tod, Reinfarkt oder apoplektischer Insult; STEMI: OR 0,66; 95%-CI 0,49–0,89, p<0,0001; Tab. 3 Klinische Endpunkte während der Nachbeobachtung innerhalb 4 bis 12 Monaten nach dem Akutereignis bei Patienten mit und ohne Reha [14] Ereignis Mit Reha, % (n) Ohne Reha, % (n) p-Wert OR±95%-CI Gesamtmortalität 1,4% (35/2.506) 4,6% (48/1.045) <0,0001 0,29 (0,19–0,46) Überlebter Myokardinfarkt 3,3% (78/2.348) 4.9% (46/931) <0,05 0,66 (0,46–0,96) Überlebter Schlaganfall 1,4% (32/2.345) 1,9 (18/929) 0,23 0,70 (0,39–1,25) Auftreten von Herzinsuffizienz 23,3% (553/2.370) 27,0% (256/947) <0,05 0,82 (0,69–0,98) Reanimation/Defibrillation 0,4% 0,5% 0,67 0,79 (0,27–2,32) Prozentuale (%) und absolute Häufigkeit (n). Multivariate Analyse: OR „odds ratio“, CI „confidence interval“. STEMI: OR 0,73; 95%-CI 0,55–098, N p<0,0001) wurden durch die kardiologische Rehabilitation bei Patienten mit STEMI und NSTEMI auf gleichem Niveau positiv beeinflusst. Daher wird die kardiologische Rehabilitation bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom unabhängig davon empfohlen, ob es sich um einen STEMI oder NSTEMI handelt [17, 18, 19], und die Strategie, den Patienten nach NSTEMI eine kardiologischen Anschlussrehabilitation zu verweigern, erscheint nicht gerechtfertigt. Die kardio logische Rehabilitation sollte integraler Bestandteil jeder Versorgung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom sein, die sich am dauerhaften Therapieerfolg orientiert [20]. Hürden seitens privater Krankenkassen Von Seiten privater Krankenkassen wird die Kostenzusage für eine Anschlussrehabilitation nicht selten mit dem Hinweis abgelehnt, es handele sich um Behandlungsstätten, die Sanatoriumsbehandlungen durchführten, auf die der Patient laut Vertrag keinen oder nur auf eine geringe Zuzahlung Anspruch habe. Es sind Fälle bekannt, in denen die Indikation selbst bei schwerwiegenden kardialen Akutkrankheiten negiert wurde. Dies ist besonders problematisch, da in solchen Fällen häufig aus Unkenntnis seitens der Patienten von dringend gebotenen Reha-Maßnahmen Abstand genommen wird. Nachsorge Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass der initiale Rehabilitationserfolg (Phase II nach WHO) hinsichtlich lebensstilabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktoren über Jahresfrist ohne gezielte Nachsorge nicht aufrechtzuerhalten ist [21, 22]. Einen wesentlichen und ergänzenden Bestandteil in der kardiologischen Rehabilitation der Phase III stellen die Herzgruppen in Deutschland dar. Unter dem Dachverband der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen e. V. (DGPR) sind die Herzgruppen-Träger in 16 Landesorganisationen organisiert, die die Vertretung der Herzgruppen auf Landesebene übernehmen. . Abb. 3 zeigt die flächendeckende sowie zahlenmäßige Entwicklung der Herzgruppen in Deutschland im Vergleich der Jahre von 1977 bis 2010. Die Herzgruppen in Deutschland bilden einen festen Bestandteil einer am langfristigen Erfolg orientierten umfassenden Versorgung von kardiologischen Patienten. Ziel ist es, durch die strukturierte Langzeitbetreuung den erreichten Gesundheitszustand der Phase II zu erhalten. Um die Verstetigung des primären Rehabilitationserfolgs zu erreichen, muss sich die ambulante Herzgruppe neben dem körperlichen Training zukünftig vermehrt auch edukativen Aufgaben widmen und sich dabei mit kardiovaskulären Risikofaktoren, Ernährung und im weitesten Sinne psychosozialen Aspekten der Erkrankung befassen ([23]; . Abb. 3, 4). Ambulant oder stationär? Die ambulante kardiologische Reha spielt derzeit zahlenmäßig noch eine geringere Rolle, wird aber von Seiten der Kostenträger, namentlich der Deutschen Rentenversicherung, favorisiert. Dabei gilt als Bedingung, dass sie in Struktur- und Prozessqualität der stationären Reha nicht nachsteht. Das wirkt sich auch dahingehend aus, dass Pflegesätze höchstens um die Hotelleriekosten niedriger angesetzt werden dürfen und ambulante Maßnahmen damit insgesamt nur unwesentlich kostengünstiger sind als stationäre. Derzeit existieren keine klaren Kriterien, ob bei bestimmten Krankheitsbildern oder Schweregraden bevorzugt ambulant oder stationär rehabilitiert werden sollte. Eine pragmatische Favorisierung ergibt sich gelegentlich bei hohem Lebensalter, eingeschränkter Mobilität und problematischem häuslichen Umfeld zugunsten des stationären Settings. Andererseits wählen freiberuflich Tätige, Menschen mit betreuungsbedürftigen Angehörigen oder unversorgten Haustieren bevorzugt ambulante Maßnahmen. Das wichtigste Kriterium ist aber die Verfügbarkeit einer wohnortnahen ambulanten Einrichtung, was in der Regel nur bei einem zentrumsnahen Wohnsitz gegeben ist. Im ambulanten Setting sind zukünftig Zuwachsraten zu erwarten. Die Entwicklung neuer ambulanter Reha-Modelle, z. B. berufsbegleitend oder mit noch gezielterer Einbindung von Familienangehörigen, ist vorstellbar. Spezifische Zuweisungskriterien wären wünschenswert. Durch eine optimale, komplementäre Nutzung beider Settings könnte die Inanspruchnahme kardiologischer Reha-Maßnahmen noch deutlich verbessert werden. Zukünftige Anforderungen an die kardiologische Rehabilitation Kardiologische Rehabilitation ist ein unverzichtbares Glied in der Versorgungskette bei akuten kardiovaskulären Erkrankungen. Dementsprechend muss das Ziel die möglichst lückenlose Inanspruchnahme stationärer oder ambulanter RehaMaßnahmen sein. Dem intermediären Charakter der Rehabilitationseinrichtung Herz 2011 | 5 Schwerpunkt 7.000 5.741 6.000 6.156 6.248 6.189 5.999 5.323 4.741 5.000 3.634 4.000 3.000 2.000 2.000 995 1.000 336 77 0 1977 1981 1985 1990 1994 1997 1999 2001 2003 2006 2008 2010 Abb. 3 8 Entwicklung der Herzgruppen in Deutschland seit 1977. (Nach [23]; mit freundlicher Genehmigung von P. Ritter, DGPR) Herzgruppen in Deutschland 2010 Anzahl Herzgruppen 2010 nach DGPR-Landesorganisationen Baden-Württemberg* 753 Bayern 685 Berlin 449 Brandenburg 115 Bremen 167 Hessen* 423 Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Saarland 101 Sachsen* 407 Sachsen-Anhalt 168 Schleswig-Holstein 153 Thüringen © Tabelle: P.Ritter,DGPR 6,9 5.999 SachsenAnhalt NordrheinWestfalen Brandenburg 4,6 7,2 8,0 Hessen 7,0 3,9 Thüringen Rheinland Pfalz 8,0 Bayern 9,9 Saarland BadenWürttemberg Sachsen 9,8 Herzgruppen pro 100.000 EW Ø DL 7,3 9,4 bis 13,0 (4) 9,1 bis 9,4 (1) 7,2 bis 9,1 (4) 6,9 bis 7,2 (3) 3,9 bis 6,9 (4) 5,5 7,0 88 * inklusive der nicht in den DGPR-LOs organisierten Herzgruppen Berlin 13,0 Niedersachsen 547 1.420 322 MecklenburgVorpommern 9,1 Hamburg 9,4 Bremen 7,9 149 Rheinland-Pfalz Deutschland gesamt SchleswigHolstein 5,4 52 Hamburg Mecklenburg-Vorpommern pro 100.000 Einwohner / nach Bundesländern Basis: StBA, vorläufige EW-Zahlen 30.09.2010 Bestandserhebungen DGPR-LOs 31.12.2010 © Grafik: P. Ritter, DGPR Abb. 4 8 Herzgruppendichte in den deutschen Bundesländern. (Nach [23]) muss in Zukunft vermehrt Rechnung getragen werden, damit die hinzugekommenen Aufgaben als originäre Reha-Leistungen anerkannt werden. Entsprechend der Entwicklung des Fachgebiets müssen kardiologische Reha-Einrichtungen zukünftig in der Lage sein, sich auf die Versorgung risikoreicherer Patientengruppen einzurichten. Das führt zwangsläufig zu einer Steigerung diagnostischer und pflegerischer Ansprüche. Auch das Eingehen auf die spezifischen Bedürfnisse älterer 6 | Herz 2011 Menschen bedarf eines Adaptationsvorgangs. Unter dem Gebot eines wirtschaftlichen Umgangs mit den Ressourcen medizinischer (und sozialer) Betreuung ist eine wissenschaftliche und vielleicht auch sozialphilosophische Beschäftigung mit der Frage notwendig, welche Ziele die Rehabilitation älterer Menschen hat. Dabei verlagern sich die Schwerpunkte zwangsläufig von der Lebensverlängerung zur Lebensqualität und vom Erhalt der Erwerbsfähigkeit zum Erhalt der Selbstständigkeit. Offen ist dabei noch, welche Faktoren in der Nutzungsbewertung rehabilitativer Maßnahmen ganz oben stehen und welche sich vielleicht als unnötig erweisen; sie werden sich möglicherweise jenseits des kardiovaskulären Risikomodells bewegen. In dieser Diskussion stehen wir noch ganz am Anfang. Auch hierzu besteht weiterhin Forschungsbedarf – einerseits im Sinne klassischer Therapieüberprüfung (welcher Ansatz führt am sichersten, schnellsten, kostengünstigsten zum Ziel?), andererseits mit den Mitteln der Versorgungsforschung mit der Frage, wo die Ressourcen in der Versorgungskette am sinnvollsten eingesetzt werden müssen. Rehabilitation muss in der kardiovaskulären Versorgungskette zukünftig systematischer in Anspruch genommen werden. Dies ergibt sich schon aus der Erkenntnis, dass wir es uns nicht leisten können, uns bei einer häufigen Erkrankung mit hohen Folgekosten, aber inzwischen mittelfristig guten Überlebensraten nur auf die (aufwendige und zudem für die Leistungserbringer lukrative) Reparatur zu begrenzen, anstatt der multifaktoriell entstandenen Krankheit die verfügbare, kausal ausgerichtete multimodale Therapie entgegenzusetzen. Die primäre Herausforderung besteht darin, dass die Reha dies leisten muss, und zwar mit der gebotenen Nachhaltigkeit und in optimaler Vernetzung mit den weiterbehandelnden Instanzen. Die kardiologische Rehabilitation wird sich dieser Herausforderung stellen. Es ist zu wünschen, dass in naher Zukunft entsprechende Forschungsschwerpunkte gefördert werden. Korrespondenzadresse Prof. Dr. H.W. Hahmann Klinik Schwabenland 88316 Isny-Neutrauchburg [email protected] Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. 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