QS24_Täuber
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D i e m at e r i e l l e B a s i s e i n e s a n t i k e n b ä u e r l i c h e n H a u s h a lt s a m B e i s p i e l S pa rta s H a n s Ta e u b e r Einleitung Der Gebrauch quantifizierender Methoden ist in die Alte Geschichte erst vor relativ kurzer Zeit vorgedrungen. Dies hängt weniger mit einer methodischen Rückständigkeit der in diesem Fach Forschenden zusammen, sondern hat seinen Grund vor allem darin, dass die lückenhafte Datenbasis seriöse statistische Untersuchungen nur in den wenigsten Fällen zulässt. Ausnahmen sind z. B. das Preisedikt Kaiser Diokletians aus dem Jahre 301 n. Chr., wo für alle gängigen Waren und Dienstleistungen Maximaltarife vorgeschrieben wurden (Lauffer 1971 und Giacchero 1974); spätantike Grabsteine aus Rom, wo aufgrund der genauen Angabe der Sterbetage Analysen der Altersverteilung und der jahreszeitlichen Schwankungen der Sterblichkeitsrate angestellt werden konnten (Scheidel 1996: 139–163); und auf Papyrus erhaltene Zensusdeklarationen und Einwohnerverzeichnisse ägyptischer Dörfer, die Rückschlüsse auf die demographische Zusammensetzung ihrer Bevölkerung zuließen (Bagnall/Frier 1994 und Clarysse/Thompson 2006). Im Allgemeinen sind aber Zahlenangaben – vor allem der antiken Schriftsteller – oft sehr ungenau und fragwürdig. Hinzu kommt, dass im Zuge des im Laufe der Jahrhunderte vielfach wiederholten Abschreibens ihrer Werke die Zahlenzeichen häufig verfälscht wurden, und zwar sicher noch öfter als der eigentliche Text. Wenn im Folgenden (auf der Grundlage neuerer Untersuchungen, vor allem Hodkinson 2000) dennoch der Versuch unternommen werden soll, die materiellen Grundlagen eines bäuerlichen Haushalts zu quantifizieren, so geschieht dies einerseits in der Absicht, wenigstens eine ungefähre Vorstellung über die Lebensbedingungen eines wesentlichen 78 Hans Taeuber Teils der antiken Bevölkerung zu geben (denn nach glaubwürdigen Schätzungen waren 90 % der damaligen Menschen im Agrarsektor tätig oder von diesem abhängig), andererseits aber auch in dem Bewusstsein, dass die genannten Zahlen bestenfalls eine Annäherung an die tatsächlichen Verhältnisse darstellen können. Als Fallbeispiel soll dabei jener Staat dienen, welcher gemeinhin nach seiner Hauptstadt der „spartanische“ genannt wird. Dies war jedoch nie die offizielle Selbstbezeichnung seiner Einwohner; diese nannten sich „Lakedämonier“ (Lakedaimonioi), den Staat demnach Lakedaimonion politeia (Staatswesen der Lakedämonier). Diese Bezeichnung ist wiederum abgeleitet von jener peloponnesischen Landschaft, welche das Zentrum ihres Siedlungsgebietes bildet und den Namen Lakonien trägt. Sie umfasst im Wesentlichen das Einzugsgebiet des Flusses Eurotas mit seiner fruchtbaren Schwemmebene, im Westen und Osten begrenzt von den nur schwer überwindbaren Gebirgszügen des Taygetos und des Parnon; im Norden trennt sie eine niedrigere Schwelle von der Landschaft Arkadien ab. Schon früh angegliedert wurde das Gebiet östlich des Parnon bis zu der mit Argos umkämpften Landschaft Thyreatis. Im Mündungsgebiet des Eurotas, dem so genannten „Helos“ (Sumpf; auch als Ortsname), siedelte jedoch eine nichtdorische Vorgängerbevölkerung, die offenbar in Kämpfen unterworfen und anschließend quasi versklavt wurde. Diese „Heloten“ (Luraghi/Alcock 2003) waren an die Scholle gebundene Leibeigene, die für ihre spartanischen Grundherren (Vollbürger, in der modernen Literatur als „Spartiaten“ bezeichnet) die landwirtschaftliche Arbeit zu leisten und zumindest die Hälfte der Erträge abzuliefern hatten. Zur Unterstreichung des Herrschaftsanspruches erklärte man den Heloten jedes Jahr formell den Krieg und drangsalierte sie auf nur jede erdenkliche Weise. Die Heloten stellten somit einen wichtigen Teil der ökonomischen Basis des lakedämonischen Staates dar, bewirkten aber auch indirekt seine Transformierung: Von einem „normalen“, kulturell hoch stehenden griechischen Gemeinwesen wurde Sparta zu einem rigiden, von der Außenwelt hermetisch abgeschlossenen Militärstaat, dessen nahezu einziges Ziel die Aufrechterhaltung der Dominanz nach innen und außen darstellte. Diese Ausrichtung verstärkte sich noch nach der Eroberung Messeniens in den zwei Messenischen Kriegen des 7. Jahrhunderts, welche einerseits der spartiatischen Bevölkerung zusätzliche fruchtbare Regionen zur Bewirtschaftung verschaffte (daher war es für Sparta – mit Ausnahme des Sonderfalles Tarent – nicht nötig, eigene Kolonien zur Versorgung des demographischen Überschusses zu gründen), andererseits aber durch die geographische Ausdehnung des Reiches den Sicherheitsapparat Die materielle Basis eines antiken bäuerlichen Haushalts (Sparta) 79 zu äußersten Anstrengungen und Maßnahmen herausforderte. Außer den Heloten gab es innerhalb des lakedämonischen Staates noch die so genannten „Periöken“, persönlich freie Bewohner der Randgebiete ohne politische Mitwirkungsrechte, sowie eine Reihe von Gruppen mit eingeschränkten Bürgerrechten. V e r g l e i ch b a r k e i t zw i s ch e n a n t i k e r u n d n e u z e i t l i ch e r L a n dw i r t s ch a ft Für die Analyse antiker Landwirtschaft wird in letzter Zeit gerne auf ein Hilfsmittel aus dem 18. und der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgegriffen, und zwar auf die gut belegten Ertrags- und Bevölkerungszahlen der vorindustriellen Agrarwirtschaft (überliefert z. B. bei Pouqueville 1805). Die Übertragung dieser Werte auf die Antike geht von mehreren Prämissen aus, deren Stichhaltigkeit wir im Folgenden kurz betrachten wollen. 1.Konstanz der klimatischen Verhältnisse: Die Klimaforscher gehen davon aus, dass das Klima in der Antike (nach einer zwischenzeitlichen Kälteperiode im Mittelalter) im Großen und Ganzen jenem der Gegenwart und auch der jüngeren Vergangenheit entspricht. Diese Feststellung bezieht sich ebenfalls auf mittlere Temperaturen wie auf Niederschlagsmengen. 2.Gleichbleibende Fruchtbarkeit der Böden: Die Fruchtbarkeit der Böden hat sich seit der Antike an bestimmten Orten zweifellos verändert. Insbesondere sind hier die verbreitete Entwaldung und die in weiterer Folge auftretende Erosion in Betracht zu ziehen. Das Holz der Wälder stellte im Altertum die bei weitem wichtigste Energiequelle dar und wurde überdies für die Konstruktion von Gebäuden und zum Schiffbau benötigt. Vor allem höhere Hanglagen waren von Erosion bedroht, während Talsohlen weniger beeinträchtigt waren und teilweise durch die Ansammlung fruchtbaren Schwemmmaterials sogar begünstigt wurden (Lienau 1989: 117–119). Im vorliegenden Fall, nämlich jenem des südlichen Peloponnes, sind negative Einflüsse auf die Fruchtbarkeit der Böden jedoch weniger zu erwarten, da sich die bebauten Flächen hauptsächlich in der Eurotas- und der Pamisos-Ebene (in Messenien) befanden. 3.Gleiche Intensität der landwirtschaftlichen Nutzung: Auf weniger sicherem Boden stehen wir bei der Frage nach der Intensität der Nutzung. Hierfür ist kaum zuverlässiges Quellenmaterial vorhanden, und systematische Begehungen der Oberfläche (z. B. für Lakonien: Cavanagh/Crouwel/Catling/Shipley 2002) lassen zwar Aussagen 80 Hans Taeuber über die Besiedlungsdichte in den jeweiligen Perioden treffen, sind in Bezug auf die Bodennutzungsintensität nur von beschränktem Wert. Hier bleibt uns also nur die Annahme, dass es zwischen der Antike und dem 18./19. Jahrhundert keine allzu großen Unterschiede gegeben hat. 4.Identität von Nutztieren, Saatgut und Geräten: Zwar existierten in der Antike und im 18. Jahrhundert unterschiedliche Nutztierrassen und Nutzpflanzensorten, innerhalb der jeweiligen Arten dürfte es aber keine allzu großen Schwankungen in den Erträgen gegeben haben. Es ist allerdings zu beachten, dass in der Zwischenzeit neue Arten – wie etwa Zitrusfrüchte, Tomaten, Baumwolle oder Tabak – eingeführt wurden. D i e b e w i r t s ch a ft e t e n F l ä ch e n Wenn wir nun (unter den genannten Einschränkungen) von den historischen Ertragsangaben des 18. und 19. Jahrhunderts ausgehen wollen, so bleibt uns noch die Größe eines spartanischen Bauernhofes zu bestimmen, und zwar sowohl hinsichtlich der bewirtschafteten Fläche als auch der zugehörigen Personenzahl. Bleiben wir zunächst bei der Wirtschaftsfläche. Für die Bestimmung der durchschnittlichen Hofgröße wäre es nötig, die landwirtschaftlich nutzbare Fläche des lakedämonischen Staates zu definieren und sie anschließend durch die Zahl der wirtschaftlichen Einheiten zu dividieren. Einfacher scheint auf den ersten Blick die Festlegung der Gesamtfläche zu sein. In der Literatur findet man jedoch für die bewirtschaftete Fläche von Lakonien Schätzungen, die zwischen 21.000 und 100.000 Hektar (ha), also um fast 400 %, differieren; für Messenien, das ja seit dem 7. Jahrhundert Teil des spartanischen Staates war, schwanken die Angaben gar zwischen 20.000 und 140.000 ha (Hodkinson 2000: 132). Diese Differenzen beruhen auf der unterschiedlichen Einschätzung mehrerer Parameter. Während die älteren, teilweise ohne Autopsie erstellten Untersuchungen wohl zu optimistisch hinsichtlich der Nutzbarkeit sämtlicher tief gelegener und einigermaßen ebener Flächen waren, sind neuere Analysen möglicherweise zu skeptisch, was die geographische Ausdehnung spartanischer Hofwirtschaft anlangt. Die Letzteren gehen von der Annahme aus, dass sich die Höfe auf die ertragreichsten Böden in wenigen Ebenen konzentriert hätten und eine Überschussproduktion für den Handel nicht angestrebt wurde. Die Evidenz der Quellen ([Platon] Alkibiades 1, 122d; Xenophon Lake daimonion politeia 5, 3; Euripides bei Strabon 8, 5, 6) legt jedoch Die materielle Basis eines antiken bäuerlichen Haushalts (Sparta) 81 nahe, dass die Flächen (auch durch Viehhaltung) intensiv genutzt wurden und Erträge über das bloße Subsistenz- (Selbsterhaltungs-) Niveau hinaus verfügbar gewesen sein müssen. Diese Überlegungen, zusammen mit den angenommenen (freilich keineswegs gesicherten) Bevölkerungszahlen, führen zu dem Schluss, dass die bewirtschafteten Flächen deutlich größer gewesen sein müssen, als dies zurückhaltende Annahmen voraussetzen; sie dürften sich in der Größenordnung von ca. 45–50.000 ha für Lakonien und 90.000 ha für Messenien bewegt haben (Hodkinson 2000: 145). Z a h l u n d F l ä ch e n g r ö s s e d e r w i r t s ch a ft l i ch e n E i n h e i t e n Hier können wir auf eine Angabe zurückgreifen, die bei Herodot für das Jahr 480 v. Chr. überliefert ist. Er nennt an dieser Stelle (7, 234) eine Zahl von 8.000 Spartiaten, also Vollbürger, die das Recht auf Grundbesitz hatten. Die Angabe dieser runden Zahl dürfte auf einer Schätzung beruhen, über deren Zulässigkeit man durchaus diskutieren kann; sie dürfte als Richtwert aber nicht allzu weit von der Realität entfernt liegen. Es wäre jedoch voreilig, diese Zahl von 8.000 Bürgern mit der Zahl der Bauernhöfe gleichzusetzen. Es kam nicht selten vor, dass mehrere erwachsene Männer im selben Haushalt wohnten, etwa unverheiratete Söhne oder Brüder mit gemeinsamer Ehefrau (dazu im folgenden Abschnitt). Demographische Berechnungen setzen den Mitbewohneranteil der hier vor allem in Betracht kommenden männlichen Altersgruppe von 20 bis 29 Jahren mit etwa 20% an; dieser Wert ist von der Gesamtzahl der Bürger abzuziehen. Die Zahl wirtschaftlicher Einheiten ließe sich damit mit annähernd 6.500 beziffern (Hodkinson 2000: 383). Wenn man die oben erschlossene bewirtschaftete Gesamtfläche Lakoniens und Messeniens von ca. 135.000 ha durch die Zahl der Einheiten (6.500) dividiert, gelangt man zu einer errechneten Durchschnittsgröße eines Hofes von etwas über 20 ha. Allerdings muss man voraussetzen, dass die Hofgrößen sehr unterschiedlich waren. Untersuchungen in Attika haben ergeben, dass 9 % der reichsten Bürger 40 % der Agrarfläche besessen haben (Foxhall 1992). Umgelegt auf die spartanischen Verhältnisse und unter der Voraussetzung, dass der Boden im neu gewonnenen Messenien anfangs gleichmäßig unter den Bürgern verteilt worden war, hätte ein wohlhabender Bürger über durchschnittlich 45 ha, ein ärmerer über rund 18 ha verfügt. Dies liegt deutlich über der Fläche von ca. 4–5 ha, die für einen antiken Selbstversorgungsbetrieb 82 Hans Taeuber errechnet wurde (Gallant 1991: 86–87); hierbei gilt es jedoch zu bedenken, dass einerseits die Hälfte der Fläche zur Selbstversorgung der Heloten diente, andererseits die Größe der spartanischen Höfe den zeitgenössischen Quellen zufolge ([Platon] Alkibiades 1, 122d) sogar jene reicher athenischer Landgüter übertraf. G r ö s s e d e s b ä u e r l i ch e n H a u s h a l t s u n d F a m i l i e n s t r u kt u r Weitaus schwieriger gestaltet sich die Bestimmung, wie viele Personen damals einem bäuerlichen Haushalt angehörten. Auch im lakedämonischen Staat bestand der Großteil der bäuerlichen Haushalte zweifellos aus der so genannten Kernfamilie, d. h. aus einem Elternpaar und deren Kindern. Außerdem konnten noch weitere Familienmitglieder, wie Großeltern, unverheiratete Geschwister oder verwaiste Cousins, hinzutreten. Wie viele Personen der Hof tatsächlich ernähren musste, hängt auch von Faktoren wie Heiratsalter, Sterblichkeitsrate unter Kindern und mittlere Lebenserwartung von Erwachsenen ab. Männer waren in Sparta gesetzlich verpflichtet, bis zum Alter von 30 Jahren zu heiraten, Frauen wurden etwa mit 16 bis 19 Jahren verehelicht. Für jene, die nicht der hohen Kindersterblichkeit zum Opfer gefallen waren, wurde eine durchschnittliche Lebenserwartung von 44 Jahren für Männer und 36 für Frauen ermittelt. Daraus ergibt sich, dass die Eltern in vielen Fällen die Volljährigkeit ihrer Kinder gar nicht mehr erlebten. Unter Heranziehung vergleichender Studien kann man davon ausgehen, dass die mittlere Haushaltsgröße im antiken Griechenland bei etwa vier bis fünf Personen lag, in Sparta angesichts der staatlichen Anreize zur Anhebung der Kinderzahl hingegen wohl etwas höher ausfiel (Aristoteles, politica 1270 a39–b6; Hodkinson 2000: 370–373). Neben dem im antiken Griechenland üblichen Modell der erweiterten Kernfamilie wies Sparta aber noch spezielle Haushaltsformen auf. Um diese näher kennen zu lernen, ist ein Exkurs in die Sozialstruktur des lakedämonischen Staates nötig, welche sich von jener der anderen griechischen Staaten zum Teil erheblich unterschied. Auch dieser Bereich war nämlich der Doktrin der militärischen Überlegenheit unterworfen; das hieß in der Praxis, dass – wenn man von der überlieferten Staatsideologie ausgeht – eine möglichst hohe Zahl an wehrfähigen Bürgern bzw. gebärfähigen Bürgerinnen hervorgebracht, erzogen und erhalten werden sollte. Ziel war demnach einerseits die Optimierung der Reproduktionsrate, andererseits die Sicherstellung, dass die vorhandenen Höfe dauerhaft und ohne Unterbrechung bewirtschaftet Die materielle Basis eines antiken bäuerlichen Haushalts (Sparta) 83 wurden. So war Männern zum einen die Bigamie erlaubt, wobei die Frauen in getrennten Haushalten lebten (Herodotos 5, 40), zum anderen konnten sich auch zwei oder mehrere Brüder eine einzige Ehefrau teilen (Polybios 12, 6b, 8; Xenophon, Lakedaimonion politeia 1, 9; die angelsächsische Literatur gebraucht dafür den Terminus „wife-sharing“. Hodkinson 2000: 371). Nahrungsbedarf Wenn man nach dem eben Gesagten weiters in Betracht zieht, dass zu den Familienmitgliedern noch eine schwer zu beziffernde Anzahl von Haussklaven trat, erkennt man die Probleme, die sich bei der Ermittlung des Nahrungsbedarfs stellen. Hierbei ist nicht nur die bloße Zahl an Köpfen von Bedeutung, es sind auch Alter, Geschlecht sowie allfällige Phasen der Schwangerschaft und Stillzeit in Betracht zu ziehen. Als Berechnungseinheit wird der tägliche Kalorienbedarf herangezogen. Aufgrund vergleichender Studien (Gallant 1991: 62–75) wird im Hinblick auf die antiken Verhältnisse für einen erwachsenen Mann ein Bedarf von 2.600 kcal veranschlagt, für eine Frau normalerweise 2.300 kcal, in der Schwangerschafts- und Stillzeit 2.500 kcal. Kinder und ältere Personen hatten einen entsprechend niedrigeren Kalorienbedarf. Diese Werte sind über einen Generationszyklus von 30 Jahren zu kalkulieren, da sich die Größe des Haushalts (einerseits durch Geburten, Heirat von Söhnen und sonstige Zuwächse, andererseits durch Todesfälle und Heirat von Töchtern) und der altersgemäße Nahrungsbedarf im Lauf der Jahre ständig änderten. Bei der Berechnung ist weiters zu berücksichtigen, dass in Sparta jeder Erwachsene im Militärdienst (d. h. alle im Besitz des Vollbürgerrechts stehenden Männer vom 20. bis zum 30. Lebensjahr) Naturalbeiträge für die Gemeinschaftsmähler (Syssitiai) beizusteuern hatte. Diese Beiträge waren insofern von essenzieller Bedeutung, als von ihrer Erbringung das Bürgerrecht abhängig war. Sie beliefen sich nach antiker Überlieferung, welche nicht ganz einheitlich ist (Dikaiarchos FHG 242 fr. 23 und Plutarchos, Lykurgos 12, 2; Hodkinson 2000: 190–199), monatlich umgerechnet auf ca. 100 l Gerste, 50 l Wein, 2 kg Käse und 1 kg Feigen, dazu kam ein zusätzlicher Geldbetrag für Zukäufe. Auf Tagesbasis umgerechnet bedeutet dies, dass jeder erwachsene Mann etwa 4.000 kcal zusätzlich zu seinem Eigenbedarf pro Tag abliefern musste. Unter Berücksichtigung verschiedener Haushaltsmodelle ergibt sich für eine Familie daraus ein täglicher Durchschnittskalorienbedarf von ca. 22.000–35.000 kcal; stellt man weiters den Bedarf der Haushaltssklaven 84 Hans Taeuber sowie jene Überschüsse in Rechnung, mit denen der Ankauf von Gütern finanziert werden musste, die nicht im Haus produziert wurden, so betrug der Bedarf insgesamt zwischen 25.000 und 40.000 kcal. L a n dw i r t s ch a ft l i ch e E r t r ä g e Für die Aufteilung der pflanzlichen Nahrungsmittelproduktion wurde (wiederum aufgrund vergleichender Studien) ein Schlüssel von 65 % Getreide, 25 % Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst und 10 % Öl und Wein zugrunde gelegt (Gallant 1991: 62–68; Hodkinson 2000: 390–392). Das Hauptgetreide der antiken Lakedämonier war Gerste; historische Ertragswerte für diese Sorte betragen rund 640 kg/ha. Bei einem Nährwert von 2.650 kcal/kg ergibt dies eine Produktion von etwa 1.700.000 kcal/ha. Bei Gemüse liegt der entsprechende Wert um 800.000 kcal/ha, bei Wein und Öl um 2.500.000 kcal/ha, wobei diese Erträge bei intensiver Bewirtschaftung noch um ein Drittel gesteigert werden konnten. Unter Zugrundelegung einer einfachen Hofgröße von 18 ha (s.o.) ergibt sich daraus, je nach Intensität der Bewirtschaftung, ein Gesamtertrag von 25–33 Millionen kcal pro Jahr oder eine tägliche Nahrungsration von 70.000–90.000 kcal, welche aber zur Hälfte zur Selbstversorgung der Heloten diente. Mit dem Rest von 35.000–45.000 kcal mussten die Familienangehörigen und Haussklaven ernährt sowie die Beiträge für Syssitien, sonstige Käufe und Aufwendungen bestritten werden. Dafür wurde oben ein Wert von 25.000–40.000 kcal errechnet. Man sieht daraus, dass in Durchschnittsjahren die Erträge knapp zur Deckung der Bedürfnisse ausreichten oder sogar ein kleiner Überschuss erzielt werden konnte; bei Missernten wurde jedoch sehr rasch der Punkt erreicht, an dem die Ernährung der Familie nicht mehr gesichert war (wenngleich sich Mangelsituationen zweifellos zuerst an den Heloten auswirkten) und der soziale Status (abhängig von der Teilnahme an den Gemeinschaftsmählern) in Gefahr geriet. A u s w i r k u n g e n a u f d i e s oz i a l e S i t u a t i o n Die oben angeführten Berechnungen liefern einen Ansatz zur Erklärung, warum es im lakedämonischen Staat im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. immer wieder zu sozialen Spannungen, am Ende sogar zu Umsturzbewegungen kam. Der Militärstaat forderte von seinen Bürgern eine bestimmte, streng reglementierte Lebensweise; andererseits reichten aber die materiellen Voraussetzungen (Größe der durchschnittlichen Bauernhöfe) nicht aus, um die für diesen Status erforderlichen Verpflichtungen Die materielle Basis eines antiken bäuerlichen Haushalts (Sparta) 85 auch unter ungünstigeren Bedingungen zu erfüllen. Dies führte zu einer sozialen Deklassierung eines Teils der Bürger und somit (zusammen mit einem – wohl auch dadurch bedingten – Bevölkerungsrückgang) zur allmählichen Verschmälerung der demographischen Basis für die jahrhundertelange militärische Überlegenheit der Spartaner. Nach den beiden Niederlagen gegen die Thebaner (Leuktra, 371 und Mantinea, 362) konnte die frühere Dominanz nie wieder zurückgewonnen werden. L i t e r at u r Bagnall, Roger S./Frier, Bruce W. (1994): The demography of Roman Egypt. Cambridge Cavanagh, William G./Crouwel, J. G./Catling, R. W. V./Shipley, G., Hg. (2002): Continuity and Change in a Greek Rural Landscape. The Laconia Survey Bd. 1. London Clarysse, Willy/Thompson, Dorothy J. (2006): Counting the People in Hellenistic Egypt. Cambridge Foxhall, Lin (1992): The Control of the Attic Landscape. In: Wells, Berit (Hg.): Agriculture in Ancient Greece. Stockholm: 155–160 Gallant, Thomas W. (1991): Risk and Survival in Ancient Greece. Cambridge Giacchero, Marta (1974): Edictum Diocletiani et collegarum de pretiis rerum venalium. Genova Hodkinson, Stephen (2000): Property and Wealth in Classical Sparta. London Lauffer, Siegfried (1971): Diokletians Preisedikt. Berlin Lienau, Cay (1989): Griechenland: Geographie eines Staates der europäischen Südperipherie. Darmstadt Luraghi, Nino/Alcock, Susan, Hg. (2003): Helots and their masters in Laconia and Messenia. Cambridge/Mass. Pouqueville, François (1805): Voyage en Morée, à Constantinople, en Albanie et dans plusieurs autres parties de l’empire Othoman. Paris Scheidel, Walter (1996): Measuring Sex, Age, and Death in the Roman Empire. Explorations in Ancient Demography. Ann Arbor Weiterführende Literatur zu Sparta Baltrusch, Ernst (1998): Sparta. Geschichte, Gesellschaft, Kultur. München Cartledge, Paul (1979): Sparta and Laconia. A Regional History 1300–362 B.C. London Link, Stefan (1994): Der Kosmos Sparta. Darmstadt Luther, Andreas/Meier, Mischa/Thommen, Lukas, Hg. (2006): Das frühe Sparta. Stuttgart Thommen, Lukas (2003): Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis. Stuttgart [u.a.] Welwei, Karl Wilhelm (2004): Sparta. Aufstieg und Niedergang einer antiken Großmacht. Stuttgart