Das Attentat: Vor fünfzig Jahren starb John F. Kennedy
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Das Attentat: Vor fünfzig Jahren starb John F. Kennedy
1 Das Attentat: Vor fünfzig Jahren starb John F. Kennedy Am 22.11.1963 mittags gingen in weiten Teilen der USA und der westlichen Welt die Lichter aus. Der seit Anfang 1961 im Amt befindliche, erst 46jährige US-Präsident, John Fitzgerald Kennedy, wurde in Dallas Opfer eines Schuss-Attentats. Als sein Konvoi das Texas School Book Depository, ein mehrstöckiges Lagerhaus im Dealey Plaza-Gebäude, passierte, peitschten drei Schüsse von oben herab und trafen den Präsidenten ins Genick und am Hinterkopf. Kennedy, der stets ein Korsett trug und daher nach dem ersten Treffer nicht zusammen sackte, sondern schwer verletzt sitzen blieb, hatte keine Überlebenschance. Sein Kopf war von den Projektilen regelrecht zerfetzt worden, die rasende Fahrt in das Parkland Memorial Hospital konnte sein Ableben nicht verhindern. Der Tod trat gegen 13 Uhr nach aussichtslosen Wiederbelebungsmaßnahmen ein, die nur mehr dazu dienten, dass er die Sterbesakramente von einem katholischen Priester erhalten konnte. Die Nachricht von der Ermordung des beliebten Präsidenten lähmte die Nation wie keine zweite seit dem Angriff der japanischen Luftwaffe auf Pearl Harbour 1941. Anders als in Hawaii, als die Armeeführung förmlich paralysiert erschien, löste sie nach den Schüssen von Dallas sofort den „Red Alert“-Alarm aus. Obwohl kein Krieg erklärt worden war und kein Überfall einer fremden Macht bevor stand, bedeutete dies, dass die US-Atomwaffen aktiviert wurden. Nach der Kubakrise stand die Welt ein zweites Mal an der Kippe zu einem nuklearen Krieg. Doch niemand drückte den Abzug. In dieser kritischen Situation bedurfte der mächtigste Bundesstaat der Welt umgehend einer neuen Führung, so wie es die US-Bundesverfassung von 1787 vorsieht. Im Präsidenten-Flugzeug „Airforce One“ sprach der bisherige Vizepräsident Lyndon B. Johnson, ein gebürtiger Texaner, den Amtseid und schwor mit der Hand auf Kennedys Reisebibel. Sobald die komplizierte Formel ausgesprochen war, über die viele Kandidaten bei öffentlichen Zeremonien stolpern, konnte Johnson als 36. Präsident der USA sein Amt antreten. Von Kennedy, dessen Rivale er im Zuge der Vorwahlen 1960 gewesen war, hatte er nie viel gehalten, denn bei aller Ausstrahlung, die der wenig charismatische Johnson dem viel beliebteren JFK gegenüber konzedieren musste, hielt er ihn nicht für einen „Mann unter Männern“; abgesehen von dieser Macho-Aussage hatte Johnson auch die Addison‘sche Krankheit unter der Kennedy litt, im Zuge der Vorwahlen ins Spiel gebracht. Obwohl JFK diese NebennierenInsuffizienz tatsächlich aufwies, log er eiskalt und behauptete sogar, ein Mann, der diese Krankheit hätte, sei als Präsident ungeeignet. Diese Unaufrichtigkeit warf einen Schatten auf den sympathischen Katholiken aus Brookline, Massachussetts. Aber die Öffentlichkeit wusste weder von den schweren Rückenleiden noch von den hormonellen Problemen ihres strahlenden, 1 Meter 77 großen, „Mittelgewichtsboxers“ an der Staatsspitze. Denn Kennedy hatte den Swimmingpool im Weißen Haus therapeutisch genutzt, war sportlich und diszipliniert, sodass ihn die ganze Welt als dynamischen und gesunden Präsidenten mit großer „Leadership“-Qualität und Charme wahrnahm. Auch sein Gegenüber in Moskau, Nikita Chruschtschow, der sich nach dem Mord bestürzt zeigte, war von Kennedys herzlicher Art beeindruckt. Die unglamouröse Vereidigung Johnsons kurz nach dem offiziellen Kommuniqué über Kennedys Tod wurde photographisch aufgezeichnet. Noch heute wirkt die Szene auf den Zuseher gespenstisch. Neben Johnson stand im beengten Passagierraum der „Airforce One“ rechter Hand die zutiefst schockierte Jacqueline Bouvier Kennedy in einem blutverschmierten, rosaroten Kostüm, linker Hand 2 seine eigene Gattin L. Bird Johnson. Dahinter drängten sich Mitarbeiter und der Stab des soeben ermordeten 35. Präsidenten. Der Täter konnte dank genauer Zeugenbeschreibungen bald gefasst werden. Es war Lee Harvey Oswald, ein Angestellter des Lagerhauses. Der psychisch labile Ex-Marine, ein Vertreter des „Versager-Typus“, galt als Sympathisant der Kommunisten. Er hatte in Dallas eine Tochtergesellschaft für das Kuba-Unterstützungskomitee gegründet, der aber außer ihm niemand beitreten wollte, was seine Teamfähigkeit eindrucksvoll dokumentierte. Oswalds Ehe mit seiner weißrussischen Gattin Marina war zerrüttet, sie hatte ihn mehrfach coram publico der Impotenz geziehen; gleichwohl entstammte dieser Ehe eine Tochter, die im ersten Präsidenten-Jahr Kennedys zur Welt gekommen war. Die Beziehung hatte in Minsk begonnen, nachdem Oswald in die UdSSR emigriert war. Mehrere Jahre hatte er dort in einer Radiofabrik gearbeitet, ehe er auf Kosten der USA mit seiner Gattin zurückkehrte. Oswald war der Polizei nicht unbekannt, aber sie verfügte nicht über seine Adresse in Dallas; wem das unverständlich erscheint, der bedenke, dass selbst in der heutigen Zeit mit ihrer Überwachungshysterie Orwell‘scher Dimension Datenfehler passieren, welche einen Ermittlungserfolg gefährden oder verhindern. So etwa im Fall des Boston-Attentäters Tamerlan Tsernaev, der wegen einer unrichtigen Schreibweise seines Namens durch die Einreisebehörde nach seiner Rückkehr aus Tschetschenien durch das Netz der Ermittler ging. Diese waren längst vom russischen Geheimdienst auf die Gefährlichkeit des radikalisierten Einwanderers aufmerksam gemacht worden und hatten ihn auf eine Liste potenzieller Straftäter gesetzt – doch vergebens. Am Rande sei bemerkt, dass ein Korrekturprogramm nach Muster der allen bekannten GoogleSuchergebnisse („Meinten Sie …?“) verhindert hätte, das Tsernaev im Jahr 2012 ohne Probleme wieder einreisen konnte. Auch Kennedy hätte noch einige Jahrzehnte leben können, wenn die Drohungen Oswalds ernst genommen worden wären und sein Deckname entsprechend an lokale Behörden kommuniziert worden wäre. Doch das FBI wusste angeblich nicht, wo er sich aufhielt. Anders als im Fall Tsernaev, wo die Mächte kooperierten, stand 1963 die Sowjetunion am Pranger der amerikanischen Medien. Verdächtig erschien, dass Oswald zu fürstlichen Konditionen für seine Arbeit in Minsk (Hauptstadt der weißrussischen SSR) entlohnt wurde. Der anfänglich mit Misstrauen angesehene Überläufer, der gleich nach seiner Ankunft in Moskau beinahe abgeschoben worden wäre, konnte im kollektiven Arbeiter- und Bauernparadies den „reichen Amerikaner“ spielen. Dass er dem KGB kein Unbekannter war, braucht nicht eigens erwähnt zu werden. „Prawda“ und andere kommunistische Sprachrohre des Ostens sowie eurokommunistische Zeitungen, wie zB die französische „Humanité“, wussten daher von einem Mord „wie im Gangster-Milieu“ bzw nach „Mafia-Manier“ zu berichten. Zweifellos eine gesteuerte, manipulative Meldung, die den Verdacht auf die Personen im Dunstkreis der verflossenen Kennedy-Liebschaft Judith Campbell richten sollte. Diese attraktive Dame unterhielt, wie FBI-Chef Hoover im Frühjahr 1962 dem Präsidenten unverblümt mitgeteilt hatte, gleichzeitig auch intime Beziehungen mit zwei Unterweltsbossen. Durch den abrupten Abbruch der Beziehung verloren die Mafiosi den Draht zum Weißen Haus, wo Campbell aus und ein gegangen war. Sie überlebte JFK nur um ein halbes Jahr, ehe sie selbst einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Das Motiv der Unterweltler erscheint nicht als überzeugend, da sie unter Kennedys Nachfolgern auch keine Vorteile zu erwarten hatten. Oswald konnte präzise schießen, da er eine „Sniper“-Ausbildung vom US-Militär erhalten hatte. So war es theoretisch möglich, dass es ihm allein gelang, mit einem Gewehr drei Schüsse auf Kennedy im soeben vorbei fahrenden Lincoln-Cabriolet abzugeben und den Hals und Kopf des Präsidenten zu treffen. Der Mann, der mit dem postalisch gelieferten, italienischen Gewehr im Lagerhaus hantierte, wurde von Zeugen präzise beschrieben, die Fahndung konnte umgehend nach den Todesschüssen starten. Als präventive Maßnahme wäre es ein Leichtes gewesen, die Sendung, die auch eine Pistole 3 enthielt, abzufangen, denn der fiktive Adressat „A. J. Hidell“ war dem Secret Service bekannt, Oswald hatte den Decknahmen zu oft verwendet. Außerdem hatte er gedroht, die Polizeistation in Dallas in die Luft zu jagen, wenn das FBI noch einmal seine Frau Marina über ihn befragen sollte. Aber weder FBI noch Geheimdienst hielten es für nötig, „Hidell“ auszuforschen, oder wenigstens die lokale Polizei zu verständigen, wer hinter diesem Pseudonym steckte; das büßte ein Sicherheitsbeamter namens C. J. Tippitt mit dem Leben, der den flüchtenden Oswald vor einem Kino ansprach. Der Attentäter zückte sofort seine Pistole und erschoss den Polizisten kaltblütig. Die Todesstrafe schien bereits bei seiner Verhaftung als sicher, doch sie sollte von einem privaten Rächer vollstreckt werden. Dass Oswald, den die US-Marines auch zum Radar- und Funkexperten ausgebildet hatten, ein Polizisten-Mörder war, steht außer Zweifel; dass er auch Kennedys Mörder war, ist sehr wahrscheinlich, aber nicht gesichert. Theoretisch hätte auch jemand anderer die Schüsse vom Eckzimmer des Lagerhauses abgeben können; im fünften Stock fand die Polizei drei Patronenhülsen. Lange Zeit hielten sich Gerüchte von Mittätern und Komplizen. Dass noch jemand anderer geschossen hatte, wurde in einer ballistisch-akustischen Auswertung einer Tonbandaufzeichnung erst in den 1980er-Jahren widerlegt. Die Aufnahme stammte von einem Motorradpolizisten, der Kennedys Tross begleitet und sein Funkgerät versehentlich nicht ausgeschaltet hatte. Der „vierte Schuss“ führt zu jahrzehntelangen Spekulationen, aber nach der genauen, erst 1982 erfolgten Analyse des Harvard-Physikers Norman Ramsey war es nur eine atmosphärische Störung, welche das Funkgerät als Explosion übertrug. Die letzten Worte, die Kennedy, der am Höhepunkt seiner Popularität angelangt war, vernahm, stammten von einer Frau und waren wie so oft schmeichelhafter Natur. „Sie können nicht sagen, dass sie in Dallas nicht geliebt werden“, meinte die Frau des texanischen Gouverneurs, die mit ihm im offenen Lincoln-Cabrio fuhr. Die Gastgeber saßen in der zweiten, John F. und Jacqueline Kennedy in der dritten Reihe des von der Firma Ford in Detroit hergestellten Repräsentationsfahrzeugs. Präsidentengattin „Jackie“ Bouvier Kennedy, die sonst nie auf Inlandsreisen mit von der Partie war, hatte sich nicht zuletzt wegen der ausufernden Affären JFKs und des Todes ihres neugeborenen Sohns Patrick im Sommer überreden lassen, ihren Gatten zu begleiten. Sie geriet in Panik, als sein Kopf regelrecht zerfetzt wurde, und schrie „Jetzt haben sie ihn ermordet“!, wobei das unpersönliche Pronomen „sie“ von allen Biographen mit dem Hinweis auf ein Kollektiv feindseliger, zu allem bereiter, rechtsradikaler Rassenfanatiker übersetzt wurde. Das FBI hatte schon vor Kennedys Ankunft Dutzende Morddrohungen erhalten. Die John-Birch-Society hatte sogar einen Steckbrief veröffentlicht, der Kennedy als Kommunisten-Freund denunzierte. Ein anderes politisches Umfeld des Mörders konnten sich Jackie und Johns Bruder Robert nicht vorstellen, doch hier irrten sie. Während Kennedy im Juni eine triumphale Auslandsreise in das Vereinigte Königreich, nach Irland und nach Berlin unternommen hatte, war der spätere Dallas-Attentäter Oswald nach Mexiko gefahren, wo er Kontakt zum kubanischen Geheimdienst aufnahm. Dieses seltsame Urlaubsvergnügen brachte das prosowjetische Castro-Regime in Verdacht, das Attentat angestiftet zu haben. Oswald hätte bei den Verhören noch Genaueres über seine Motive und Anstifter aussagen können, wäre er nicht seinerseits knapp nach dem Mord einem Anschlag zum Opfer gefallen. Kennedy war noch nicht einmal begraben, – die militärisch-feierliche Zeremonie fand am 24.11. a, Heldenfriedhof in Arlington statt – als der vorbestrafte Kriminelle Jack Ruby den mutmaßlichen Präsidenten-Mörder erschoss, sodass dieser nichts mehr über seine Auftraggeber oder Hintermänner berichten konnte. Rubys Rechtfertigung für den Mord klang abenteuerlich. Der Nachtlokalbetreiber, der aus Chicago stammte und seinen Namen Rubinstein zu Ruby verkürzt hatte, gab vor, die 4 Schmach von den jüdischen Amerikanern abwaschen zu wollen; denn einer der hasserfüllten „Steckbriefe“ und eine der „Anklagen“ gegen Kennedy war von einem Mann namens Bernard Weissman unterzeichnet worden, der aber nicht im Telefonbuch aufschien. Ruby witterte eine Intrige, dass der Mord seinen Glaubensgenossen in die Schuhe geschoben werden sollte und sagte allen Ernstes aus, dass er Oswald deshalb erschossen hatte, um Jackie Kennedy eine Zeugenaussage in Dallas zu ersparen. „Ich tat es für die Juden Amerikas“, soll Ruby zudem gesagt haben, womit er die Geschworenen nicht von seinen lauteren Motiven für die Tat überzeugte. Zu unglaubwürdig erschien ihnen diese Rechtfertigung, Ruby wurde daher zum Tod verurteilt, doch entging er der Vollstreckung und starb im selben Spital, das Kennedy 1963 behandelt hatte, einige Jahre später eines natürlichen Todes. Die Nachlässigkeit des FBI dessen Beamte den Täter Oswald regelrecht exponierten, und dann schreckerfüllt in die Mündung von Rubys gezückter Pistole starrten, ist aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar. Die Rolle Rubys, dessen Vita auffällige Parallelen zu Oswald aufwies (Schulabbruch in der Jugend; psychische Probleme, Gewaltbereitschaft und narzisstische Persönlichkeitsstruktur, Scharfschützenausbildung) warf viele Fragen auf, die von der Warren-Kommission nicht beantwortet werden konnten. Vor allem blieb unklar, ob er jene Mafiosi gekannt hatte, die Judith Campbell ins Weiße Haus eingeschleust hatten. Kennengelernt hatte JFK seine vorletzte Liebschaft über Frank Sinatra, der nach seiner Ermordung eine Zeitlang zur Unperson im Weißen Haus mutierte. Justizminister Robert Kennedy hatte sodann eine härtere Gangart gegenüber der Mafia angekündigt. Er selbst starb in Kalifornien fünf Jahre später durch einen Attentäter. Auch wenn die 2013 neu aufgelegten Biographien von Alan Posener und Robert Dallek die Ereignisse und Untersuchungsberichte von Richter Warren (1964) und der 1979 von Vizepräsident Nelson Rockefeller geleiteten Kommission minutiös ausleuchten, bleibt Kennedys Tod letztlich im Nebel der Spekulationen; die Unterlassungen der FBI- und der Secret-Service-Spitze führten nicht zu personellen Konsequenzen. Kein Wunder, dass sich bis heute Verschwörungstheorien halten. Gerhard Strejcek Literatur: Robert Dallek, John F. Kennedy. Ein unvollendetes Leben, Pantheon Verlag 2013 (deutsche Erstauflage bei der DVA 2003 bzw als S. Fischer TB, Frankfurt 2005/07) . Alan Posener, John F. Kennedy. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013.