JF 39 Hoffmann Samples

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JF 39 Hoffmann Samples
Bernd Hoffmann, Köln/Deutschland
UND DER DUKE WEINTE
AFRO-AMERIKANISCHE MUSIK IM FILM
ZU ARBEITEN DES REGISSEURS DUDLEY MURPHY AUS DEM JAHRE 1929
Einleitung
Mit dem Aufkommen des US-amerikanischen Tonfilms entsteht gegen Ende der 1920er
Jahre ein neues, schnell wachsendes Massenmedium neben der Welt der mechanischen Instrumente und den elektro-akustischen Produktionswegen von Schallplatte und Rundfunk.
Wie in der Entwicklungsgeschichte des Radios zu sehen, bildet auch der Tonfilm vor allem
eine Plattform für die populäre Musik jener Zeit. Hierzu vollzieht sich in den Filmstudios
ein bedeutender technischer Umbruch, dem aufwendige Produktionsverfahren folgen, die
den Stummfilm in eine klingende Leinwand verwandeln. Mit diesem technischen Durchbruch verändert sich zwangsläufig auch die Rezeption der Filmbetrachtung. Hier verlagert
sich speziell die Funktion der Musik: Die begleitende Untermalung der Stummfilm-Vorführung tritt zugunsten einer neu gestalteten Einheit von Bild und Ton zurück, die nicht nur
eine andere akustische Erlebniswelt eröffnet, sondern auch das Thema populäre Musik zum
facettenreichen Filmsujet erhebt. Sowohl Formen der afro-amerikanischen Musik als auch
der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie lassen sich als zentrales Reservoire für den
entstehenden Tonfilm beschreiben. Erfahrbar wird dabei vor allem ein Reichtum afroamerikanischer Bühnenpräsenz, deren Musik- und Tanzformen ein Kontinuum aufeinander
beziehbarer Stile und Genres bilden, die sich durch transformatorische Eigenschaften auszeichnen. Mit der Fokussierung auf die ersten Jahre des Tonfilms (1927–1930) rücken zwei
kurze Spielfilme des weißen Regisseurs Dudley Murphy (1897–1968) in den Mittelpunkt:
St. Louis Blues, entstanden im Frühjahr und Black and Tan im Spätsommer 1929 in New
York.1 Beide Filme stellen jeweils populäre afro-amerikanische Künstler ins Zentrum: Black
1 S. die Filme St. Louis Blues (USA 1929) und Black and Tan (USA 1929).
St. Louis Blues (USA 1929): Regisseur und Director: Dudley Murphy – Musikarrangements: W. C. Handy und
J. Rosamond Johnson, 17 Minuten, Quelle: Bessie Smith Music Film Collection UFGL 12201 (2005);
Storyville Records SV 6032 (1993). – Darsteller: Bessie Smith, Isabel Washington Powell, Jimmy Mordecai;
Jazzband directed by James P. Johnson: Joe Smith – Cornet, Russell Smith – Trumpet oder Thomas Morris
– Cornet, Buster Bailey – Clarinet, Charlie Green – Trombone, Happy Caldwell – Tenorsaxophon, James
P. Johnson – Piano, Charlie Dixon – Banjo, Harry Hull – Bass, Kaiser Marshall – Drums, Sidney de Paris –
Trumpet? Bernard Addison – Guitar ? – Chor: Hall Johnson Choir (Arrangements von W. C. Handy and
Rosamund Johnson).
Die Beziehung zwischen Bessie und Jimmy wird belastet durch die Liaison des Lebemanns mit einer anderen Frau. Bessie überrascht das Paar in ihrer eigenen Wohnung. Nach einer Auseinandersetzung vertreibt
sie die Nebenbuhlerin, doch auch Jimmy verläßt sie nun. In einer Bar betrinkt sich Bessie, dort begegnet ihr
Jimmy erneut. Während eines gemeinsamen Tanzes stiehlt Jimmy ihr einige Geldscheine und verschwindet
dann. Bessie bleibt allein zurück. [Fortsetzung nächste Seite]
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and Tan porträtiert das Wirken des Pianisten und Bandleaders Duke Ellington sowie seines
Orchesters; St. Louis Blues bildet den filmischen Rahmen für die Bluessängerin Bessie Smith,
begleitet von der Band des Pianisten James P. Johnson. Ausnahmslos schwarze Schauspielerinnen und Schauspieler, Musikerinnen und Musiker sowie Tänzerinnen und Tänzer wirken
in beiden US-amerikanischen RKO-Filmproduktionen vor der Kamera mit. Es sind somit
Dokumente einer spezifisch urbanen schwarzen Musikkultur, vor allem entstanden durch
die Suche innovativer US-amerikanischer Firmen, die die neue technische Erfindung des
Tonfilms mit aktuellen, »authentischen« Klängen und Bühnenauftritten populär bebildern
möchten. Der afro-amerikanische Film bietet hier neben dem populären Jazz-Klang weitere
bühnenerprobte, visuelle Konzepte: die eigenständigen afro-amerikanischen Performances
oder choreographierte Tänze, die eingebunden sind in den Kanon schwarzer Repräsentations-Stereotypen.2 Deren spezifische Darstellungsformen können als bildsprachlicher Reflex
einiger in den USA entstandener Theatertraditionen in Minstrel- und Vaudeville-Shows
verstanden werden, die nun im jungen Tonfilm fortgeführt werden.
Die ganzheitliche Ästhetik afro-amerikanischer Musikkultur, angedeutet in Repertoirefeldern wie Sacred Singing3 oder Blues4, wie sie in den beiden Filmen des weißen amerikanischen Regisseurs Dudley Murphy vorzufinden ist, hat bei ihrer musikwissenschaftlichen
Aufarbeitung stets eine Fokussierung auf die Analyse des klingenden Materialfundus erhalten. Der jazzwissenschaftliche Diskurs akzentuiert gerne musikimmanente und sozialgeschichtliche Fragestellungen, wobei die Überlegungen zur afro-amerikanischen Tanzforschung nur ansatzweise mit einbezogen werden,5 d. h. die Aufarbeitung der visuellen
Komponenten scheint eher vernachlässigbar. Eine entsprechende Materialbasis visueller
Dokumente aber mag im Zeitalter der Digitalisierung der Jazzwissenschaft ein neues
Forschungsfeld anbieten. Bei der Suche nach frühen historischen Film-Dokumenten des Jazz
ist der quantitativ noch geringe Bestand entweder (aufwendig) restauriert oder nur noch
fragmentiert vor allem in US-amerikanischen Archiven vorhanden. Ein Blick in die jazzwissenschaftliche Literatur bestätigt diesen lückenhaften Eindruck, da diese Materie eigentlich nie zentral in das Visier eines musikwissenschaftlichen Diskurses geraten ist. Einen
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Black and Tan (USA 1929): Regisseur und Director: Dudley Murphy – Duke Ellington and his Cotton Club
Orchestra – Quelle: Duke Ellington in Hollywood Swing Era Idem IDVD 1029 NT – Darsteller: Fredi Washington, Edgar Connor, Alec Lovejoy, The Five Hotshots – The Hall Johnson Choir (Arrangements von
Rosamund Johnson).
Duke Ellington schreibt gerade an seinem Stück »Black and Tan Fantasy«, als zwei Männer unaufgefordert sein Zimmer betreten, um sein Klavier zu pfänden. Doch seine Partnerin, die Tänzerin Fredi Washington, kann dies abwenden, indem sie die beiden Männer mit einer Flasche Gin besticht. Auch hat sie an jenem
Tag ein Engagement für Duke und sich in einem Club organisiert. Jedoch ist sie so herzkrank, daß ihr die
Ärzte weitere Auftritte verbieten. Sie tanzt trotzdem und bricht während der Vorstellung zusammen. Während sie stirbt, spielt Dukes Band die Trauerversion der »Black and Tan Fantasy«.
S. hierzu Sterling Brown, Negro Poetry an Drama / The Negro in American Fiction: Studies in American Negro Life
(New York: Atheneum, 1969 [1937]); Donald Bogle, Toms, Coons, Mulatoes, Mammies & Bucks: An Interpretive
History of Blacks in American Film (New York: A Bantam Book, 1974).
S. Bernd Hoffmann, »Sacred Singing« (Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. neu bearbeitete Auflage, Sachteil Bd. 8, Kassel [u. a]: Bärenreiter, 1998),
Sp. 793–830.
S. Bernd Hoffmann, »Blues und Rap im Umfeld afro-amerikanischer Musik« (Jürgen Terhag (Hg.), Populäre
Musik und Pädagogik, Bd. 2 (Oldershausen: Lugert, 1996), S. 65–87.
S. Helmut Günther, Die Tänze und Riten der Afro-Amerikaner: Vom Kongo bis Samba und Soul (Bonn: Dance
Motion, 1982).
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ähnlichen Befund erhebt die Filmforscherin Lisa Gotto für das Gebiet der Filmwissenschaft:
Die präzise Darstellung und Analyse der Entstehungsgeschichte eines unabhängigen
schwarzen Kinos stellt bis heute ein Forschungsdesiderat dar. Innerhalb der gängigen
Hollywood-Filmgeschichtsschreibung wird die Entwicklung und Ästhetik einer afroamerikanischen Filmpraxis kaum thematisiert; zumeist werden vereinzelte Hinweise
oder Nebenbemerkun-gen eingefügt, die jedoch weniger auf eine eigenständige filmische Ausdruckweise, sondern vielmehr auf individuelle Regisseure oder Schauspieler verweisen. Häufig wird der Filmkorpus schwarzer Künstler lediglich als eine kuriose Fußnote der afroamerikanischen Kulturgeschichte abgehandelt.6
Während die Filmwissenschaft vor allem die Fragestellung einer eigenständigen afro-amerikanischen Ästhetik im Schnittpunkt einer rassistischen wie exotischen Rezeption diskutiert
und dabei die Oeuvres schwarzer wie weißer Filmregisseure betrachtet, ergeben sich in der
afro-amerikanischen Musikforschung nur wenige Ansätze, die ein klingendes Repertoire
aufgrund einer visuellen Thematik analysieren. Als Beispiel soll hier ein Aspekt der Bluesforschung genannt werden, konkret die Ausformung der Hautfarbenskala mit ihrem Niederschlag in Bluestexten der 1920er bis 1940er Jahre.7
Jazz à la minute: die Music Shorts
Die sich auffächernde, interdisziplinäre Aufarbeitung aktueller Videoclip-Formate8 kann als
Arbeitsansatz auch für die Thematik Jazz und Film entwickelt werden, zumal ein spezielles
Format der Jazzfilm-Thematik eine faszinierende Ähnlichkeit mit aktuellen populären Formen aufweist. Nicht nur die zeitliche Dimensionierung läßt bei der Betrachtung von visualisierten Musikdokumenten der frühen Tonfilm-Zeit an die Clipästhetik der späten 1980er
Jahre denken.
Eine erste Systematisierung zum Thema Jazz im Film9 kategorisiert filmische Formtypen,
die sich aufgrund des zu untersuchenden Zeitraums (1927–1930) auf einzelne Spielfilmszenen mit Jazz-Milieu-Schilderungen und auf Jazz-Kurzfilme reduzieren. Damit steht jener Kanon an Formtypen fest, der dank der technischen Innovation des Tonfilms für erste
US-amerikanische Filmproduktionen ausschlaggebend ist. Einerseits erscheinen Spielfilme10, in denen episodenhaft das »Jazz-Milieu« erkennbar wird, andererseits planen Firmen
6 S. Lisa Gotto, Traum und Trauma in Schwarz-Weiß: Ethnische Grenzgänge im amerikanischen Film (kommunikation audiovisuell, Beiträge aus der Hochschule für Fernsehen und Film München, Bd. 38, Konstanz:
UVK Verlagsgesellschaft, 2006), S. 62.
7 S. Bernd Hoffmann, »›Welche Farbe hat mein Heftpflaster?‹ – Zur Wertung der Hautfarbe in der afroamerikanischen Gesellschaft« (Musik und Unterricht 8. H. 46, Mainz: Schott, 1997), S. 43–52.
8 S. Laura Frahm, Bewegte Räume: Zur Konstruktion von Raum in Videoclips von Jonathan Glazer, Chris
Cunningham, Mark Romanek und Michel Gondry (Studien zum Theater, Film und Fernsehen, Bd. 44, Frankfurt/M: Peter Lang, 2006), S. 124.
9 Alfons M. Dauer, »Jazz und Film: Ein historisch-thematischer Überblick« ( Jazzforschung / Jazz Research 12,
1982), S. 41–58.
10 S. die Spielfilme Jazz Singer (USA 1927), Singing Fool (USA 1928), Hallelujah (USA 1929), Broadway (USA
1929), Hollywood Revue of 1929 (USA 1929); s. hierzu auch David Meeker, Jazz in the Movies (London: Talisman Books, 1981).
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Notenbeispiel 1
ST. LOUIS BLUES
Transkription Bessie Smith & The Hall Johnson Choir
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