Alle sind gleich – manche sind gleicher
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Alle sind gleich – manche sind gleicher Sozialwissenschaftliche Argumente, Befunde und Folgerungen zur Anti-/Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung © [email protected], www.econ.jku.at/Bartel, www.hosilinz.at Eine Grundlagenstudie zu „Gleichstellungsgespräche“ der OÖ. Gebietskrankenkasse, Linz, 3. Mai 2010, Fassung vom 10. Mai 2010 Inhalt: Eine kleine Chronologie der Sittlichkeit .......................................................................................... 1 1. Gleichheit, Gerechtigkeit und Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft ................................ 1 1.1. Formelle und faktische Gerechtigkeit in einer Leistungsgesellschaft .................................. 1 1.2. Heteronormativität und Homosexualität .............................................................................. 3 1.3. Lage noch ernst, aber nicht recht hoffnungsfroh............................................................... 10 2. Konsequenzen ......................................................................................................................... 23 2.1. Diversity – Anerkennung und Management ...................................................................... 23 2.2. Auf privater Ebene ............................................................................................................ 25 2.3. Auf öffentlicher, staatlicher Ebene .................................................................................... 29 3. Freiheit verpflichtet, Zukunft auch ............................................................................................ 32 Literatur........................................................................................................................................ 32 Anhang ........................................................................................................................................ 37 A1. Strafrechtsparagrafen einst und jetzt................................................................................. 37 A2. Studien über den Suizid lesBiSchwuler Menschen, insbesondere Jugendlicher ............... 38 A3. Eingetragene Partnerschaft in Österreich ......................................................................... 40 A.4 Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung ............................................. 44 A5. Erklärung der Sexuellen Menschenrechte......................................................................... 45 A6. Ein paar „Schmankerl“ als Nachlese ................................................................................. 46 Eine kleine Chronologie der Sittlichkeit 1787 hebt Österreich unter Joseph II als erstes Land der Welt die Todesstrafe für homosexuelle Kontakte auf und ersetzt sie durch einen Monat Zwangsarbeit. 1789 erfolgt im Zug der Französischen Revolution die Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen erstmalig in der Welt.1 1971 hebt Österreich unter Bundeskanzler Kreisky und Justizminister Broda das Totalverbot homosexueller Betätigung auf und führt dafür speziell einen Mindestalterparagrafen für Schwule ein, welcher Strafhaft von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht (§ 209 StGB). Im Maßnahmenvollzug werden manche solcher Sträflinge zeitlich unbegrenzt in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Nach Verbüßung der Strafe wird den Betreffenden der Führerschein entzogen, da sie das Fahrzeug für einen erneuten Verstoß gegen den Mindestaltersparagrafen verwenden könnten. 2002 wird der § 209 StGB, der ein erhöhtes Mindestalter speziell für schwule Sexualkontakte vorgesehen hat, als verfassungswidrig außer Kraft gesetzt,2 nicht ohne den zwar nicht formell, aber doch potenziell und faktisch diskriminierenden Tatbestand „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ nahtlos anschließen zu lassen (§ 207b StGB). 2010 wird eine „Eingetragene Partnerschaft“ für gleichgeschlechtliche Paare als nicht gleichwertige Ausweichmöglichkeit für Homosexuelle geschaffen, da diesen die heterosexualisierte – staatliche – Ehe verschlossen bleibt. 1. Gleichheit, Gerechtigkeit und Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft 1.1. Formelle und faktische Gerechtigkeit in einer Leistungsgesellschaft Die Ökonomie (Wirtschaftswissenschaft) hat einen speziellen Zugang zum Thema Gerechtigkeit. Andere Real- und Sozialwissenschaften, normative und politische Wissenschaften (wie auch die Ökonomie eine ist) verbinden den Begriff Gerechtigkeit mit dem Begriffsinhalt von Gleichheit.3 Die Ökonomie sieht Ungleichheit der wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse grundsätzlich als förderlich an: • als Anreiz zur Leistungsmaximierung, • als Ausdruck der Leistungsgerechtigkeit und 1 Graupner (2007). 2 http://www.menschenrechte.ac.at/docs/02_3/02_3_13. 3 Guger (2008). 1 • als Vehikel zur wirtschaftlichen und sozialen Verbesserung für alle, auch die Erbringer_innen von weniger Leistung („tricke-down economy“: der Wohlstand sickert durch die Einkommens- und die Vermögenshierarchie von der Spitze zur Basis und trägt so zur Gleichstellung bei – ohne sie aber erreichen zu können und zu sollen). Dabei wird gern „übersehen“, dass im erwünschten Leistungswettbewerb um Wohlstand die Ausgangsbedingungen für die Wettbewerber_innen nicht gleich sind.4 Mit der Fairness sind also auch die Wettbewerbsergebnisse in Zweifel zu ziehen, was ihre Gerechtigkeit betrifft. Mit der scheinbaren Gleichbehandlung ist in der Tat eine verdeckte Ungleichbehandlung verbunden. Vielmehr müsse doch die Gleichheit in den Leistungsbedingungen hergestellt werden, um Fairness des Wettbewerbs und Gerechtigkeit seiner Ergebnisse sicherzustellen. Denn in einer Leistungsgesellschaft wie der unseren werden die Menschen in erster Linie nach ihren Leistungen bewertet und geschätzt. Typisch liberal wäre die Auffassung, wer eine starke Präferenz für eine bestimmte Art weiterer oder höherer Bildung als die Pflichtschule hat, kann sich diese Humankapitalinvestition durch Entsparen (Kreditaufnahme oder Verkauf von Vermögen) finanzieren. Diese Lösung setzt bloß einen perfekten Kreditmarkt und nicht zu hohe Informationskosten sowie eine bestimmte Risikobereitschaft voraus („yes, you can“ statt „yes, we can“). Der vollkommene Markt ist notwendige und hinreichende Bedingung für Gerechtigkeit und ebenso als Schutz gegen Machtfülle und Willkür.5 Wettbewerbspolitik ist also theoretisch das Non plus ultra.6 Jene Menschen, die keine Präferenz für Bildung und Wettbewerb um Einkommen und Vermögen haben, sind dann der Nächstenliebe überantwortet: der individuellen oder kollektiven, privaten oder staatlichen. Auf diese Weise werden Abhängigkeiten geschaffen (Beten und Speisen bei der Heilsarmee u. v. a. m.). Soziale Normenkongruenz bzw. Normerfüllung entscheidet oft über die Hilfegewährung. Dies kann so weit gehen, dass die sozialen Normen derart internalisiert sind, dass in einer Leistungsgesellschaft ein großer Teil der potenziell Hilfe Empfangenden weder um Unterstützung bittet noch Ansprüche geltend macht (niedrige „take-up rate“). Immerhin: Es könnte sein, dass die Nichtbildungs- und Nichtaufstiegsentscheidungen je nach faktischer Bedingungskonstellation nicht wirklich freiwillig, nur scheinbar freiwillig gewesen sind.7 Formale Gleichbehandlung kann also unge4 Vergleichbar ist diese Situation mit einem Wettlauf in einem Stadion, bei dem die Innen- und die Außenbahnläufer_innen von derselben Startlinie weglaufen und dieselbe Ziellinie überqueren. Daher laufen die einen weiter und die anderen weniger weit, werden aber mit derselben Uhr gemessen. Siehe dazu auch Bartel (2007). 5 Booth (2009). 6 „Auch Unternehmen mit öffentlichem Hintergrund seien marktwirtschaftlich zu führen, meint die IV OÖ (Industriellenvereinigung Oberösterreich; Anm.) und fordert den Rückzug von Politikern aus den Aufsichtsräten“, in: iv positionen (8), 2 (2008), S. 10. 7 „Die Entwicklung der Produktivkräfte hat enorme Fortschritte gemacht. Es werden jährlich enorme Vermögenswerte geschaffen, die aber von immer weniger Personen produziert und auf immer weniger Personen verteilt werden. Dieser Prozess wird durch Globalisierung und durch 'qualifikationsgebundene' technische Neuerungen 2 recht sein. Nur die tatsächliche Herstellung von Gleichheit durch Chancengleichheit ist folglich gerecht. a) Sind zunächst die Chancen unterschiedlich, ist positive Diskriminierung die logische Folge. b) Sind die ursprünglichen Chancen nicht annähernd anzugleichen, sind die sozialen Zustände im Sinn einer Ergebnisgerechtigkeit auszugleichen. Was wir denen zugestehen, die sich selbst mit unserer Hilfe nicht selbst helfen können, ist eine ethische und kulturelle Frage. Dazu kann die Ökonomie nichts Genaues sagen. Sie verweist meist nur auf Grenzen der Umverteilung, nämlich wenn der Wohlfahrtsgewinn der Sozialempfänger_innen nicht so groß ausfällt wie der Wohlfahrtsverlust der Sozialleistungsfinanciers (Hicks/Kaldor-Kompensationskriterium).8 1.2. Heteronormativität und Homosexualität In unserer Gesellschaft ist Heterosexualität die Norm. Wir sprechen von Heteronormativität.9 • Nicht nur dass diese Norm an der offenbaren Mehrheit sexueller Verhaltensweisen festgemacht ist. • Die Norm beinhaltet auch die diskursive Botschaft des so sein Sollens oder Müssens, sie scheidet das Sagbare vom Unsagbaren, das Mögliche vom Unmöglichen.10 Denn mit der Normerfüllung doch auch gesellschaftliche Wertschätzung, Integration und soziale Sicherheit verbunden, ins- noch verstärkt. Für die einen bedeutet diese Entwicklung verbesserte Beschäftigungs- und Verdienstchancen, für andere aber Lohndumping und Arbeitslosigkeit. (…) Das zentrale wirtschaftspolitische Problem besteht daher heute nicht in der Produktion, sondern in der Verteilung der Einkommen und Vermögen“ (Guger 2005, S. 23, 24). 8 Zum Wohlfahrtsbegriff siehe unten. Pommerehne (1987). 9 Bartel u. a. (2008), vgl. darin v. a. Ziegler (2008), S. 13 ff. 10 „Der Mensch kann in der natürlichen Welt nicht leben; er macht sie sich mit seinen Konstruktionen bewohnbar. Diese menschliche Leistung gründet auf den Diskursen, die uns mit ihren Darstellungen nahe legen, wie die Welt der Dinge ‚wirklich’ ist, wie wir sie wahrzunehmen und zu denken haben. Die Überzeugungskraft und Macht der Diskurse beruht auf drei Prinzipien (Foucault 1974): Diskurse arbeiten mit Prozeduren der Ausschließung und des Verbotes – wir hätten nicht das Recht, bei jeder Gelegenheit alles zu sagen. Sie arbeiten zweitens mit dem Prinzip der Grenzziehung und Verwerfung – es gäbe vernünftige und wahnsinnige Redeweisen; was die ‚Verrückten’ uns zu sagen hätten, sei ohne Bedeutung. Und drittens vermitteln uns die Diskurse Vorstellungen darüber, was falsch und was richtig ist, oder vielleicht genauer: was wir als wahr betrachten wollen und welche institutionelle Macht uns verbürgt, dass eine Wahrheit die höchste ist“ (Ziegler 2008, S. 17). Als Diskurse werden sprachliche Muster und Stehsätze, Aphorismen und Floskeln bezeichnet, die vereinfacht eine normative inhaltliche Botschaft gestalten und transportieren, ohne sie überzeugend zu begründen. Ihre Überzeugungskraft liegt im Wiederholen und imitiert Werden, im Ausgesprochen werden durch Meinungsbildner_innen und im internalisiert Werden durch die Rezeptor_inn_en. 3 gesamt so etwas wie Wohlergehen und Lebenszufriedenheit, gesamthaft Wohlfahrt genannt. Soziale Wohlfahrt bedeutet hier das umfassende Wohlergehen der Bevölkerung. Es setzt sich zusammen aus • der Summe der jeweils individuellen Wohlfahrt und • den Annehmlichkeiten von so genannten Gemeinschaftsgütern wie etwa eine ausgewogene Verteilung der individuellen Wohlfahrt. Von solcherart Verteilungsgerechtigkeit erhalten wir – als Motivation und Belohnung für das walten Lassen von Gerechtigkeit – o das gute Gefühl, Gerechtigkeit walten zu lassen („the good feeling of doing it“), o die Erwartung, für die Normerfüllung geschätzt zu werden („ÜberIch-Zufriedenheit“), und o die Hoffnung, vielleicht in anderer Hinsicht, in der wir von dem Gerechtigkeitswalten anderer abhängig sind, einmal ebenso verständig, fair und letztlich gerecht behandelt zu werden („erhoffte Reziprozität).11 Nichtsdestotrotz ist der jeweils individuelle Wohlfahrtsverlust, der durch ein nicht sein und nicht tun Dürfen eintritt, nicht zu übersehen. Das begründet im Zusammenwirken mit der aus Normkonformität entstehenden individuellen Wohlfahrt den Verhaltenskonflikt jener Menschen, die außerhalb der gesellschaftlich definierten Norm liegen. Wohlfahrt ist nicht nachzuempfinden (wir sprechen von der Unmöglichkeit interpersoneller Nutzenvergleiche). Was jemand als Wohlfahrt empfindet, kann nur er oder sie wissen, nicht andere, und kann er oder sie anderen nicht oder für ökonomisch rationale Unverteilungsentscheidungen nicht hinreichend genau) mitteilen. Individuelle Wohlfahrt ist nicht nur bei jenen unvergleichbar, die vom Geben profitiert, sondern auch bei denen, die aus dem Bekommen Nutzen ziehen können. Folglich sei jegliche Wohlfahrtspolitik (privater oder staatlicher Natur) auf die Bedürfnisse und Empfindungen der Zielpersonen abzustellen: keine „wohlwollende Diktatur“!12. Das begründende für eine Person ist die Ich-Empfindung, für eine Persönlichkeit sind es Selbst- und Fremdachtung. Diese sollten sich gegenseitig stärken. Dabei hängt die Fremdachtung ebenso wie auch die Selbstachtung zumindest teilweise von der Normerfüllung ab. 11 Simon (1993). 12 Nowotny (1996), Kapitel 2. 4 Eine Person wird in der Gesellschaft zur Persönlichkeit, wo sie sozialisiert und enkulturiert wird. Eine gesellschaftlich integrierte Person besitzt die Voraussetzung fürs Glücklichsein und die Bereitschaft zur Normerfüllung, aber auch zur gemeinschaftlichen Weiterentwicklung der Normen. Soziale Wohlfahrt hängt deshalb letztlich von den Möglichkeiten ab zu entscheiden und etwas zu erreichen und somit von Freiheit als Möglichkeit, zu sein und zu handeln.13 Befähigung oder Hilfe zur Selbstbefähigung ist die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konsequenz daraus. Doch mit einem Mal, meist an der Schwelle zum Sexualleben, wird für diese unsere beispielhafte Person ein Umstand, der bisher relativ oder absolut belanglos war, zum zentralen eigenen Belang: die spezielle sexuelle Orientierung – homosexuelle Orientierung – in ihrer Gegensätzlichkeit zur Heteronorm. a) Der Wunsch nach Normerfüllung in der heteronormativen Gesellschaft erweist sich nicht nur als schwer bis gar nicht erfüllbar. b) Die Nichterfüllung der heteronormativen Anforderungen der Gesellschaft an diese Person beeinträchtigt die Selbst- und Fremdachtung.14 c) Die Person droht, ohne ihr Zutun, aus der Mitte der Gesellschaft an deren Rand oder aus der Gesellschaft hinaus gestellt zu werden: „soziale Exklusion“. Was fehlt, um die Selbst- und Fremdachtung zu behaupten, sind sowohl objektive Informationen als auch neutrale Beurteilungen und breit akzeptierte Vorbilder: Menschen, die trotz ihrer Nicht-Heterosexualität ihren Platz in der Gesellschaft eingenommen und behalten haben.15 13 “People are the real wealth of nations. Indeed, the basic purpose of development is to enlarge human freedoms. The process of development can expand human capabilities by expanding the choices that people have to live full and creative lives. And people are both the beneficiaries of such development and the agents of the progress and change that bring it about. This process must benefit all individuals equitably and build on the participation of each of them. This approach to development – human development – has been advocated by every Human Development Report since the first in 1990“ (UNDP 2004, p. 127). 14 „In der so schweren, bewegten und erlebnisreichen Phase der Pubertät lebte ich noch immer unter dem Druck eines Minderwertigkeitsgefühls, des stärksten und dauerhaftesten Gefühls, unter dem ich seit meiner Kindheit gelitten und das ich erst allmählich, gleichsam stufenweise verloren habe – des Gefühls, hässlich zu sein. (…) Leicht ironische Bemerkungen, die die Eltern fast achtlos hinwarfen, dürften in mir die ersten Zweifel an mir selbst hervorgerufen haben. Wie absolute Herrscher, die unbedacht Lob und Tadel ausstreuen können, ohne je irgendwelche Folgen befürchten zu müssen, so sprechen Eltern gewöhnlich Werturteile jeder Art über Kinder aus, oft in deren Gegenwart, ohne zu ahnen, wie schwer ihre törichten, halbernsten, spöttelnden Worte das kindliche Gemüt belasten können“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 70 f.). Jeder und jede Homosexuelle bleibt in dieser Hinsicht so lange Kind, solange er oder sie nicht sich selbst angenommen hat. 15 Früher waren Schwule als gruselige Monster gern verwertet worden (z. B. in „Anders als die anderen“). Heute gibt es überwiegend den (eitlen, tuntigen, naiven, lächerlichen oder erbarmungswürdigen, Mitleid haschenden, die Toleranz testenden) Quotenschwulen in jeder zweiten Soap Opera. Immerhin stellt Treiblmayr (2008) eine starke Normalisierung der Schwulendarstellung zumindest im Kunst-, aber auch Unterhaltungskino fest. Doch, ob, wie er meint, die Krise des Männerbilds im späten 20. Jahrhundert zur nachhaltigen und sinnvollen Änderung der Männlichkeit führt, steht zu bezweifeln. 5 Der Platz in der Gesellschaft wird durch mehrerlei bestimmt: a) dieselben faktischen Zugangschancen zu o Institutionen des Erwerbs- und Konsumlebens (Beschäftigung, Arbeitsplatzzufriedenheit, Wahrnehmung von Konsumangeboten), o Institutionen geselligen Privatlebens in Form allgemeiner sozialer Netze (Vereinigungen aller Art, etwa von Bürger_inneninitiativen bis Diskussionsforen u. dgl.), o Institutionen des öffentlichen Lebens (freies und gleiches aktives und passives Wahlrecht, Ehe und Eingetragene Partner_innen_schaft, Ehrenbürger_innen_schaften und Ehrungen u. dgl.), b) dieselben formellen und inhaltlichen Maßstäbe zur Beurteilung o der Leistung auf dem Markt (Einkommensgerechtigkeit: gleicher Lohn für gleiche Arbeit), o der Persönlichkeit in sozialen Netzwerken (fairer Umgang unabhängig von höchst persönlichen Merkmalen), o der grundsätzlichen, allgemeinen Akzeptanz16 (z. B. die Anerkennung nicht einer bestimmten Sexualität, sondern der freien Wahl sexuellen Verhaltens, sofern weder Gewalt gegenüber den Partner_innen noch gegenüber Dritten im Spiel ist), und schließlich o zur Beurteilung dessen, was einem Individuum oder Mitglied einer sozialen Gruppe als legitime Ansprüche an die Gesellschaft zugestanden werden (staatliche Vergünstigungen in jeweils einer bestimmten Hinsicht wie v. a. soziale Sicherung). Homosexualität ist insofern natürlich, als sie in der Natur vorkommt. Das Vorkommen ist über menschliche Kulturen sehr gleichmäßig verteilt. Die gleichgeschlechtliche Neigung ist nicht vererblich und weder erlernbar noch verlernbar. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird männliche Homosexualität in der embryonalen Entwicklung festgelegt, indem das von den Jedenfalls zeichnen sich erste, sporadische Erfolge eines „Marsches durch die Institutionen“ ab, etwa in Gestalt der norwegischen Ministerpräsidentin, des deutsche Bundesaußenministers, der Oberbürgermeister von Berlin, Hamburg und Paris, von Günter Tolar als ehemaliges Mitglied des SPÖ-Bundesparteiausschusses oder von Ulrike Lunacek als der Fraktions-Ko-Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei. Lesben und Schwule kommen auch immer weniger im Zusammenhang mit Skandalen in die Schlagzeilen, sie werden aber als positive Integrationsfiguren (noch) nicht annäherungsweise hinreichend präsentiert. 16 “If life is seen as a set of ’doings and beings’ that are valuable, the exercise of assessing the quality of life takes the form of evaluating these functionings and the capability to function” (Sen 1989, p. 44). Dieser Ansatz – der “capability approach” des Ökonomie-Nobelpreisträgers Amartya Sen – zeigt natürlich auch die Gefahr auf, dass Sein und Tun bestimmter Menschen von anderen nicht geschätzt und nicht akzeptiert, sondern abgelehnt, behindert oder verboten werden. 6 Chromosomen her vorerst weiblich angelegte Gehirn den Wandel zu einem männlichen mehr oder weniger weit vollzieht; weibliche Homosexualität ist in ihrer Entstehung noch nicht überzeugend erforscht (Pfau 2010).17 • Die UNO-Weltgesundheitsorganisation WHO hat Homosexualität 1993 aus dem internationalen Katalog der seelischen Krankheiten gestrichen. • Die Vereinigung US-amerikanischer PsychologInnen empfiehlt, Homosexualität nicht zu therapieren. • Die Ärztekammer Oberösterreich kooperiert mit der Homosexuellen Initiative Linz (HOSI Linz) bei der Verbreitung hilfreicher Informationen. Man weiß eben um die Nichttherapierbarkeit sexueller Orientierung und die Notwendigkeit der Hilfestellung zur Selbstbefähigung (“self-empowerment“) homosexueller Menschen in der Gesellschaft. Weder die „Verführungstheorie“ noch die „Heilungstheorie“ von Homosexualität ist also fundiert haltbar. Die Bezeichnung als abweichendes („deviantes“) Verhalten kann seriös nur in der Hinsicht interpretiert werden, dass ein Unterschied zum Sexualverhalten der Bevölkerungsmehrheit besteht. Doch selbst gegen die Darstellung als Abwegigkeit gibt es drei gewichtige, grundlegende Einwendungen. a) Wir können und sollten überlegen, inwieweit die Durchsetzung der Bevölkerungen mit homosexuellen Menschen Vorteile für die Gesellschaft bringt: etwa als alternatives Modell zur patriarchalischen Organisation der Familie und der darauf fußenden hierarchischen Gliederung der Gesellschaft nach dem biologischen Geschlecht. Nach Kate Millett ist die Familie die effektivste Organisation des Patriarchats im Großteil der Gesellschaft und der Ursprung des sozialen Geschlechts.18 Alternativen dazu bieten 17 Homosexualität kann naturrechtlich nicht als unzweckmäßig, unerwünscht, eindämmens- oder bekämpfenswert oder Ähnliches konstatiert werden. Pechriggl (2008) zeigt aus philosophischer Perspektive das diesbezügliche erkenntnistheoretische und legitimatorische Manko auf, das sowohl bei naturrechtlichen wie bei psychologischen Argumentationsbestrebungen für die Heteronorm und in der Folge für die Heteronormativität entsteht. Sie plädiert für eine demokratische Normsetzung, welche die persönliche Autonomie achten und die politische Partizipationsmöglichkeit gewährleisten. Echte Demokratie ist eben mehr als ein Abstimmungsmechanismus. Denn: „Es gibt Grenzen der politischen Disponibilität. (…) Es gibt Bereiche, über die keine wie immer geartete Mehrheit demokratisch entscheiden kann“ (Gärtner 2010, S. 4). Auch sollte direkte Demokratie keinen Fluchtweg aus der indirekt demokratischen, staats“männischen“ bieten: „Wer (allgemein: etwas; im Original: ein Erstaufnahmezentrum) in seinem Wirkungsbereich nicht haben möchte, sich aber nicht getraut, das so deutlich zu sagen, fordert eine scheinbar unangreifbare direktdemokratische Entscheidung. Dann kann man sich eben darauf hinausreden, dass das ‚Volk’ entschieden habe, und das müsse man so zur Kenntnis nehmen: Der gesunde Hausverstand könne nicht irren“ (Gärtner, 2010, S. 4). 18 „Die Hauptinstitution des Patriarchats ist die (heterosexuelle; Anm. RB) Familie. Sie ist sowohl ein Spiegel als auch die Verbindung mit der Gesellschaft im großen und ganzen; sie ist eine patriarchalische Einheit innerhalb eines patriarchalischen Ganzen. Die Familie stellt die Verbindung zwischen dem einzelnen Menschen und der Sozialstruktur dar und übt Kontrolle und Druck zur Anpassung aus, wo politische und anderweitige Autoritäten 7 offenbar Vorteile und sind deshalb zu beachten und ernsthaft zu erwägen.19 b) Homosexualität ist ein so breit gefächertes Phänomen und deshalb ein so schwammiger Begriffsinhalt, dass die – bisweilen sehr emotional und untergriffig geführte – gesellschaftliche Debatte über sie weit überzogen scheint. Wer ist denn nun homosexuell? Schon jemand, der oder die einmal ein Petting mit einer Person gleichen Geschlechts vollzogen hat? Eine Person, die mit Partner_innen einmal des gleichen und einmal des anderen Geschlechts Verkehr hat? Oder jemand, der oder die Sexualkontakte ausschließlich zum eigenen Geschlecht hat? c) Sexualität ist ein Menschenrecht; d. h., der Mensch besitzt nach herrschender Rechtsphilosophie und Grundrechtsauslegung ein besonders zu schützendes Recht auf ein – sein – Privatleben und seine Sexualität. Seit 1994 wird vom UNO-Ausschuss für Menschenrechte der gleiche Anspruch auf die verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied nach dem Geschlecht umfassend interpretiert, und zwar auch im Hinblick auf die geschlechtliche Orientierung. Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung wird als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention angesehen. Schon 1981 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) festgehalten, ungleiches Mindestalter je nach sexueller Orientierung verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. 1997 schloss sich die Europäische Kommission dieser Auffassung an. Totalverbote homosexueller Kontakte sowie Sonderaltersgrenzen, Ehe-, Elternschafts- und Versammlungsverbote für Homosexuelle widersprechen allesamt der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8, 11, 12, 14). Der EGMR präzisiert: o „zentraler Gedanke der Menschenrechte ist der Respekt vor der menschlichen Würde und Freiheit, sich als zu schwach erweisen. Grundeinheit der patriarchalischen Gesellschaft und als deren fundamentales Instrument ist die Familie und ihre Rolle prototypisch“ (Millett 1970/1985, S. 49). 19 „(…) ein am 9. April von 21 deutschen Grün-Politikern veröffentlichtes ‚Männermanifest’. Unter dem Titel ‚Nicht länger Machos sein müssen’ setzten die Männer dort an, wo es nicht wenigen Geschlechtsgenossen die Nackenhaare aufstellt, bei dem Begriff ‚Gender’, respektive bei dem ‚sozialen Geschlecht’. Denn wenn das biologische mit dem sozialen Geschlecht nicht harmoniert, bekommen auch Männer Ärger. Nicht selten wird ein Ausscheren aus traditionellem männlichem Verhalten mit symbolischer Kastration quittiert, etwa, wenn sie nicht die Besserverdienenden in der heterosexuellen Beziehung sind, sich in die Babypause verabschieden oder schwul und ‚trotzdem’ Fußballspieler sind. ‚Wir brauchen ein neues Bewusstsein für eine neue Männlichkeit. Wir als männliche Feministen sagen: Männer gebt die Macht ab! – es lohnt sich’, heißt es im Manifest“, in: dieStandard.at, 21.4.2010, 07:00 MESZ. 8 o die Anerkennung der persönlichen Autonomie ist ein bedeutendes Auslegungsprinzip in der Anwendung des Rechts auf Achtung des Privatlebens. o Sexualität und Sexualleben gehören zum Kernbereich des Grundrechts auf Schutz des Privatlebens. Staatliche Regulierung sexuellen Verhaltens greift in dieses Recht ein; und solche Eingriffe sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie nachweislich notwendig sind, um von anderen Schaden abzuwenden (dringendes soziales Bedürfnis, Verhältnismäßigkeit). o Ansichten und Werthaltungen einer Mehrheit können Eingriffe in das Recht auf Privatleben (wie auch in andere Grundrechte) jedenfalls nicht rechtfertigen. “20 o Demnach besitzen Menschen obendrein „positive Rechte auf (aktiven) Schutz dieser Rechte, gegenüber dem Staat wie auch gegenüber anderen Individuen. (…) o Daraus abzuleiten ist die „Verpflichtung des Staates zu aktivem Tätigwerden bei Beeinträchtigung des Rechts auf freie Entfaltung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und auf Aufnahme und Führung zwischenmenschlicher Beziehungen.“21 o Opfer legistischer Willkür, die verurteilt und bestraft wurden, sind zu rehabilitieren und zu entschädigen.22 Seit 1. Dezember 2009, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon (2007), ist die Grundrechtecharta der EU (Nizza 2000) im EU-Primärrecht integriert und rechtsverbindlich. In Art. 21 der Grundrechtecharta heißt es: „(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.“23 20 Graupner (2007), S. 6. 21 Graupner (2007), S. 8. Zudem haben Lesben und Schwule sozialphilosophisch nicht die Pflicht zur Zeugung von Leben, weil sie für die Maximierung der Wohlfahrt künftiger Generationen ethisch nicht verantwortlich zu machen und aus diesem Grund legistisch nicht zu diskriminieren sind (Seel 1995). Noch dazu zeugt das Nichteingehen einer heterosexuellen Ehe durch Homosexuelle von Verantwortungsbewusstsein. Hingegen werden adoptionswillige Lesbenund Schwulenpaare von der Realisierung ihres Wunsches in unhaltbarer Weise judikativ ausgeschlossen. Und vielleicht sind Homosexuelle auch ein natürliches Korrektiv zur Überbevölkerung. 22 Graupner (2007), S. 10. 23 http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (27.4.2010). Trotzdem besteht das Erfordernis zum Einklagen jeder einzelnen Diskriminierung: vgl. Punkt 1.3. e). 9 1.3. Lage noch ernst, aber nicht recht hoffnungsfroh Trotz der Schwammigkeit und der Problemlosigkeit von Homosexualität an sich – und, nüchtern betrachtet, der Irrelevanz gesellschaftlicher Debatten darüber – macht die heutige Gesellschaft immer noch die einvernehmliche sexuelle Beziehung zweier Menschen gleichen Geschlechts – eine höchst private und intime Angelegenheit also – zum alleinigen Angriffspunkt für deren gesellschaftliche Deplatzierung nach den zuvor ausgeführten Kriterien, und zwar trotz einschlägiger Grundrechtsnormen: a) Bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, UNO-Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948, war sexuelle Orientierung noch keine explizit schutzwürdige Kategorie gewesen.24 b) Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung ist auf Initiative der EU in Beruf und Beschäftigung verboten. Doch indirekte (verdeckte) Diskriminierung durch Arbeitsnachfrager_innen und Vorgesetzte ist vorhanden. Die Durchsetzung der Rechte scheitert immer wieder o an der mangelnden Beweisbarkeit (Beweislast bei den Kläger_inne_n), o an der fehlenden Bereitschaft, der Diskriminierten, sich der „Schande“ und emotionalen Belastung einer Prozesses und einer (Weiter-)Beschäftigung auszusetzen, und o an dem relativ niedrigen (dem niedrigsten) Schutzniveau von Homosexuellen im Vergleich zu anderen diskriminierten Gruppen. c) Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung ist beim Zugang zu marktwirtschaftlichen Dienstleistungen von der EU – noch – nicht verboten worden. Die neue, umfassendere Antidiskriminierungsrichtlinie (beschlossen durch das Europäische Parlament am 2. April 2009) ist erst in Umsetzung.25 Ausländer_innen dürfen z. B. nicht von einer Anmietung ausgeschlossen, nicht aus Diskos geworfen werden, Lesben und Schwule nach wie vor aber sehr wohl. d) Die Europäische Union ist dem Verlauten nach eine Wertegemeinschaft. In ihr ist grundsätzlich, primär- und grundrechtlich eine ganze Reihe 24 „Artikel 2. Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ www.wienerzeitung.at/ DesktopDefault.aspx?TabID=4383&Alias=dossiers&cob=195993 (26.4.2010). 25 „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ (COM (2008) 426), vgl. unter http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=197196 (27.4.2010). 10 von Diskriminierungstatbeständen verboten, so auch die Diskriminierung auf Grund (homo-)sexueller Orientierung. Doch o verbleibt noch ein nationaler Freiraum in Nicht-Unionsangelegenheiten, wohlgemerkt etwa in der Sozial- und Gesellschaftspolitik oder auf Grund von Kontroll- und Vollziehungsdefiziten26, und, darauf aufbauend, o hält sich dadurch eine Legaldiskriminierung durch den Staat selbst,27 mit der er v. a. signalisiert, dass gesetzliche Benachteiligungen von Homosexuellen auf der Grundlage einer vermeintlich oder vorgeblich gerechtfertigten Diskriminierung zulässig seien. e) Im Allgemeinen sind Grundrechte keine unmittelbaren Ansprüche auf konkrete Rechtsfolgen, sondern müssen im Instanzenzug bis zur obersten gerichtlichen Instanz durchgefochten werden. Damit sind all die Unwägbarkeiten und Hindernisse verbunden, die sich o aus den Verteidigungsbemühungen der immerhin zum Establishment zählenden Vertreter_innen so genannter sachlicher Diskriminierung ebenso ergeben wie o aus der weltanschaulichen Eingenommenheit von Richter_innen und deren Sachverständigen, die im diskretionären Entschei26 Einen Überblick über die rechtliche Lage der Homosexuellen in den europäischen Ländern geben Bauer u. a. (2009) sowie (laufend aktualisiert) das Rechtskomitee Lambda (www.rklambda.at/Rechtsvergleich/index.htm, 29.4.2010). Falkner u. a. (2005) zeigten erhebliche Umsetzungsdefizite in der Europäischen Union auf, die auch im Bereich der EU-Kommission selbst angesiedelt sind. Allerdings muss anerkannt werden, dass 2010 die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft für homosexuelle Paare wohl nur auf den zunehmenden Druck seitens der EU-Kommission erfolgte. 27 „RKL-Präsident Dr. Helmut Graupner war zum dritten Mal als Sachverständiger vor den deutschen Bundestag geladen. In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses ging es diesmal am 21. April 2010 um die Erweiterung des Grundgesetzes um die Schutzkategorie "sexuelle Identität". 4 der 9 gehörten ExpertInnen unterstützten die vorgeschlagene Verfassungsänderung. Sie verwiesen insbesondere darauf, dass homo- und bisexuelle Frauen und Männer die letzte verbliebene Hauptzielgruppe der NS-Gewaltherrschaft ist, die vom Grundgesetz nicht ausdrücklich geschützt wird. Ganz im Gegensatz zur Grundrechte-Charta der Europäischen Union und zu den Verfassungen zahlreicher anderer Staaten in Europa und außerhalb Europas. Die anderen 5 Sachverständigen sprachen sich gegen die Erweiterung des Grundgesetzes aus und äußerten die Befürchtung, sie könnte zur Aufhebung des Ehe- und Adoptionsverbotes für gleichgeschlechtliche Paare führen sowie zur Legalisierung von pädophilen Kontakten mit Kindern und der Polygamie. Auch eine Gefährdung der Integration von Muslimen wurde ins Treffen geführt. Bei Einbürgerung, so die Argumentation, müssten sich Ausländer zum Grundgesetz bekennen, und das würde gläubigen Muslimen viel schwerer fallen, wenn dieses Grundgesetz auch Homosexuelle ausdrücklich vor Diskriminierung schützt. Alle drei weiblichen Sachverständigen sprachen sich für die Verfassungsergänzung aus. Von den sechs männlichen Sachverständigen tat dies nur einer. Dr. Graupner war der einzige von außerhalb Deutschlands geladene Sachverständige. Die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen und demnächst das Protokoll der Anhörung finden sich auf www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/01_Aenderung_Grundgesetz/index.html/. Das 1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer“ (www.RKLambda.at). 11 dungsfreiraum unbestimmter Gesetzesbegriffe und wenig fundierter Gesetzesauslegungen konservativ verzerrt urteilen. f) Wohl kaum eine private Angelegenheit wird von der Gesellschaft so übergriffig und abwertend, diskriminierend und ambivalent, ja scheinheilig behandelt wie Prostitution und Homosexualität. o In hypothetischen Befragungssituationen ergibt sich zwar eine Aufgeschlossenheit gegenüber und Akzeptanz von Homosexualität und sogar Mehrheiten für eine vollständige Antidiskriminierung hinsichtlich sexueller Orientierung.28 o In so mancher konkreten Konfrontation mit Homosexuellen hingegen, v. a. in beruflichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen gibt es diesbezüglich noch immer (meist stillschweigend, aber effektiv) Probleme. g) In gesellschaftlichen Debatten wird insbesondere männliche Homosexualität mit Kriminalität, speziell sexuellem Missbrauch, wie selbstverständlich in Zusammenhang gesetzt. Indirekte Diskriminierung gibt es auf Seiten der Exekutive und Judikative. „Bei der Anwendung der Strafrechtsbestimmung ‚Sexueller Missbrauch von Jugendlichen’ (§ 207b StGB, dem Nachfolgeparagrafen der strafrechtlichen Mindestaltersbestimmung 209 StGB für einvernehmliche schwule Sexualität mit Jugendlichen29) genügt etwa eine Einladung zum Abendessen, um Entgeltlichkeit anzunehmen und Straffälligkeit herbeizuführen. Dabei richten sich die Anzeigen weit überwiegend und die Verurteilungen nahezu ausschließlich gegen Schwule, obwohl der Tatbestand neutral in Bezug auf Geschlecht und sexuelle Orientierung formuliert ist.“30 Das kritisierte selbst das Europäische Parlament schon im Jahr nach der Einführung des § 207b StGB.31 28 2003 waren in der EU-15 57Prozent der 15.074 Befragten für eine rechtliche Verankerung homosexueller Partner_innen_schaften und 47 Prozent für die Genehmigung der Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare (Quelle: www.pride.at). 29 Wortlaut von § 209 und § 207b StGB siehe Anhang A.1. „Noch lange nach der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof hat das Oberlandesgericht Wien das berüchtigte anti-homosexuelle Sonderstrafgesetz § 209 Strafgesetzbuch (StGB) als moralisch einsehbar gerechtfertigt (OLG Wien 13.06.2006, 20 Bs 155/06z). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat nun das Verfahren gegen Österreich eingeleitet (E.B. vs. Austria III, 27783/ 09). In dem konkreten Fall ging es um die Frage, ob Verurteilungen nach § 209 bei der Strafbemessung als Erschwerungsgrund herangezogen werden dürfen. Das Oberlandesgericht bejahte das, weil es § 209 ‚nicht an allgemeiner moralischer Einsehbarkeit, sondern bloß an Gleichbehandlungskriterien gemangelt hat’. (…) Der Europäische Menschenrechtgerichtshof hat Österreich in der Folge wegen der auf § 209 gegründeten strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer wiederholt verurteilt. Insgesamt musste die Republik über eine halbe Million Euro Schadenersatzzahlungen leisten“ (Aussendung Rechtskomitee Lambda, www.rklambda.at/News/index.htm, 23. 9. 2009). 30 Bartel (2009), S. 2. 12 h) Besonders in den Nachfolgestaaten der COMECON-Mitglieder, wo auch das Christentum lange Zeit durch den Real existierenden Sozialismus unterdrückt worden war, existieren und florieren nun einflussreiche fundamentalistisch-christliche Gruppierungen, die gegenüber Lesben und Schwulen weder Toleranz über noch Verständnis zeigen. Vielmehr machen sie aus homosexuellen Subjekten gesellschaftliche „Abjekte“: Ausgestoßene, die staatlich und gar privat zu verfolgen, gerechtfertigt sei (unter stillschweigender Duldung von Politik und Exekutive). Die Auswüchse kulminieren in selbst ernannten Mordkommandos im Namen der Moral im Irak oder in Uganda, demnächst wahrscheinlich auch in Kenia, oder offiziellen und öffentlichen Hinrichtungen im Iran. i) Einerseits geht im katholischen, aber sozialdemokratischen Spanien die Gleichstellung homo- und heterosexueller Menschen besonders weit und anerkennt die römisch-katholische Amtskirche Homosexualität als eine angeborene Neigung. Andererseits fordern Glaubenskongregation und Papst dennoch absolute Keuschheit bei homosexueller Orientierung und dringen illegitim mit ihrem Einfluss auf die weltliche Politik weit auf das Gebiet insbesondere der öffentlichen religiösen Erziehung und der staatlichen Ehe vor. Der gegenwärtige Papst führt einen Kampf für den religiösen Absolutismus und gegen wissenschaftlichen Relativismus – bei aller (privater!) Religionsfreiheit eigentlich ein Anschlag auf sachlich fundierte demokratische Entscheidungsfindung in einer rationalen weltlichen Gesellschaft.32 j) Die durch kirchlich-religiös mit gefärbte Sozialisation und Enkulturation bedingten Umgangsprobleme mit dem zutiefst menschlichen Phänomen Sexualität (als eine eigentliche Kommunikationsform und Facette glücklichen Lebens33) und eine daraus erwachsende Sexualfeindlichkeit und persönliche Frustrationen münden in immer wiederkehrende Aufdeckungen von Übergriffen, Missbrauchs- und Kriminalfällen. Dabei spielt sexuelle Orientierung keine maßgebliche Rolle. Nur ist Homosexualität eben in vielen Köpfen in Verbindung mit Unrecht verankert worden. k) Ganz deutlich ergibt sich die Norm dessen, was als Sexualität für gut befunden wird, aus dem gesellschaftlichen Rollenspiel – „doing gender“ –, mit dem bereits imitativ im Kindergarten begonnen wird. Generell werden heterosexuelle Rollen in Verbindung mit Vater-MutterKind(er)-Familie gleichsam verabsolutiert. Davon abweichendes Verhal§ 207b StGB stellt auf folgende Voraussetzung und Tatbestände ab: die Altersphase vollendetes 16. bis vollendetes 18. Lebensjahr, die (formelle) Geltung für jede sexuelle Orientierung sowie die Missbrauchsmerkmale mangelnde Reife (Abs. 1), Vorliegen einer Zwangslage (Abs. 2) und Verleitung durch Entgelt (Abs. 3). 31 Europäisches Parlament (2003), §. 79. 32 Bartel (2009). 33 Loewit (1999). 13 ten wird als abnormal im herabwürdigenden Sinn empfunden. Diese Empfindung wird mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger subtil, mehr oder weniger verbal kommuniziert. Selbst wer persönlich nicht diese Auffassung teilt, wird verbreitet von der gesellschaftlichen Einstellung dazu veranlasst, sie auch zu bekunden und weiter zu verbreiten, wenn auch zunehmend indirekt unter einem Schein von Toleranz.34 l) Die homosexuelle Person wird auf Grund der Heteronormativität als „anders“ abgestempelt („othering“) und dadurch unwillkürlich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. So wirkt das Prinzip „Schande“ bzw. die schändlich Machung im 21. Jahrhundert als gesellschaftliches Repressions- und Machtinstrument fort. Nicht-heteronormatives Verhalten gefährdet nämlich den – dominanten – Rolleninhalt von „wahrer“ Männlichkeit und den – servilen – Rolleninhalt „echter“ Weiblichkeit (etwa „die Würde der Frau liegt im Dienen“ – wem wohl?). m) So liegt die Last folgender Entscheidung auf homosexuell veranlagten Subjekten. Soll ich mich „verstecken“ (wie in einem Schrank, englisch „closet“), mich als heterosexuell ausgeben („passing“, „passing as a heterosexual“), um mich vor eventuellen Nachteilen zu schützen,35 aber mit der Angst leben zu müssen, in einem überraschenden Moment entdeckt, „geoutet“, zu werden? Oder soll ich „den Angriff als die beste Verteidigung“ wählen, um fortan von der Bedrückung durch Angst und Unsicherheit befreit zu sein, aber mögliche Nachteile aus dem „offenen L(i)eben“ („being out“) zu akzeptieren – oder sie dann sogar offensiv bekämpfen zu können?36 n) Insbesondere ist bei der Entscheidung „Verstecken“ oder „offen Leben“ zu berücksichtigen, dass jemand seine oder ihre sexuelle Orientierung nicht längerfristig glaubhaft und wirksam verbergen kann. Denn obwohl Sex intim ist, findet Sexualität im gewöhnlichen gesellschaftlichen Leben seinen Ausdruck, wo Paarbeziehungen im sozialen Raum dazugehören. Wer glaubt wie lange noch die Mähr von den asexuellen, beziehungslosen Arbeitskolleg_inn_en? Meist ist man selbst der Letzte, der noch glaubt oder glauben will, niemand würde meine homosexuelle Orientierung vermuten oder annehmen. 34 „Der schwule französische Philosoph Michel Foucault (1926-1984) sprach von einer „Psychiatrisierung“ gleichgeschlechtlicher Lust und ihrer und ihrer Analyse als eine abnormale Erscheinungsform; besonders galt und gilt dies für Schwule, die dem gesellschaftlichen Bild eines Mannes nicht entsprechen. Diese Psychiatrisierung koppelte die Lesben und Schwulen von den Fortschritten in der allgemeinen sexuellen Liberalisierung ab (Bartel 2000)“ Bartel (2009), S. 1. 35 Johnson (2002), p. 317: “(…) despite more ostensibly ‘out’ politicians and better anti-discrimination measures, strange forms of ‘passing’ are still taking place in public life. Heterosexual constructions of citizenship are still being privileged.” 36 „Out of the closet and into the streets!“ lautete der Kampfruf der Homosexuellenbewegung der 1970er Jahre in den USA (Bartel 2000). „Schrankschwuler“ oder „Klammschwuler“ ist der gängige Jargon für einen Homosexuellen, der in seinem sexuellen Leben verklemmt ist und sich in seinem „Schrank“ versteckt. 14 o) Ein „Fremd-Outing“ (meist ohne „coming out“37) geht für die Betroffenen meist schief. Ein „Selbst-Outing“ geht oft gut aus, aber wir können darüber eben nicht sicher sein. So liegt ein enormer psychischer Druck auf „versteckten“ Lesben und Schwulen und die Selbstmordrate bei ihnen um ein Vielfaches höher als bei heterosexuellen Menschen (siehe Anhang A.2).38 Obendrein ist immer noch damit zu rechnen, als offen lebende homosexuelle Person in der Karriere beeinträchtigt zu werden.39 p) Selbst in unserer relativ fortschrittlichen Gesellschaft (im Lauf der vergangenen ca. zwei Jahrzehnte hat sich vieles zum Besseren gewandelt40) ist lediglich die sprichwörtliche „Spitze des Eisbergs“ heraußen (eben „out“). An der Johannes Kepler Universität Linz gibt es zirka 1000 Beschäftigte, davon sind zwei Personen offen homosexuell. Von den 183 Abgeordneten zum Nationalrat lebt eine Person offen homosexuell. Wie viele Lesben und Schwule kennen Sie persönlich? Und wie viele sind davon offiziell out? Bei wie vielen vermuten Sie, bei wie vielen wird gemunkelt? Vorsichtig geschätzt leben in Oberösterreich etwa 60.000 bis 70.000 gleichgeschlechtlich orientierte Mitbürger_innen (das sind an die 5 Prozent). Und in diesem Raum? Bin ich der Einzige? Regen sich schon Unmut und Empörung bei Ihnen? Warum wohl? Aus Furcht, persönlich „damit“ in Zusammenhang gebracht zu werden. Warum nicht? Weil dies eine tolerante und verständige, offene und selektive Veranstaltung ist, an deren Teilnahme keine Makel geknüpft werden kann oder mag. So ähnlich, aber noch viel schlimmer geht es „versteckten“ Lesben und Schwulen im Alltag. Welches Klima muss in der Gesellschaft herrschen, dass etwa vier bis 14 Prozent der geschlechtsreifen Bevölkerung meinen, ihre sexuelle Orientierung verstecken zu müssen? 37 „Coming out“ ist vor allem der Prozess, selber zu seiner homosexuellen Orientierung stehen zu wollen und zu können. Unterschieden werden können das damit gemeinte „innere coming out“ und das „äußere coming out“, das „going public“, das offene, selbstbewusste Auftreten in der Gesellschaft. 38 Langer (2008) stellt darüber hinaus ein Selbstaggressionspotenzial schwuler Männer im unsicheren sexuellen Verhalten angesichts des HIV-Infektionsrisikos fest und führt aus, dass diese Autoaggression durch eine Selbstbestrafung für die Verfehlung des standardisierten gesellschaftlichen Männlichkeitsbildes ist. 39 Frohn, Dominic (2007), S. 19: „Die Situation hat sich im Vergleich zu 1997 etwas verbessert. Allerdings ist der aktuelle Stand wesentlich schlechter als unter den veränderten Bedingungen zu erwarten gewesen wäre! 52 % der Befragten gehen am Arbeitspatz verschlossen mit ihrer sexuellen Identität um. Weniger als ein Viertel der Befragten hat keine Diskriminierungserfahrungen gemacht, 10 % der Befragten sind als hoch diskriminiert zu bezeichnen. Diese Situation hat bedeutsame Auswirkungen auf psychosomatische Beschwerden, Ressourcen, Arbeitszufriedenheit und Verbundenheit mit der Organisation.“ 40 http://www.rklambda.at/Erfolge/index.htm, http://www.rklambda.at/Rechtsvergleich/index.htm. 15 Sichtbarkeit und konsequentes Pochen auf gleiche Rechte sind zwar notwendige Voraussetzungen für gesellschaftspolitischen Erfolg,41 aber auch leichter gesagt als getan. q) Homophobie – die Angst vor gleichgeschlechtlicher Orientierung – kann nicht aus dem Menschen, dem potenzieller oder tatsächlichen Träger einer höchst persönlichen sexuellen Orientierung entstanden sein. Homophobie ist gesellschaftlich gemacht. Sie zu erzeugen ist eine Strategie, um das „othering“, die gesellschaftliche Exklusion zu bewirken und damit in der Folge die Heteronormativität und das Patriarchat zu festigen und abzusichern. Als flankierende Strategien dienen dazu o die Verabsolutierung des Schutzes und der Privilegierung der heterosexuellen Familie, o assistiert durch die Norm, der einzige Platz für Sexualität sei in der Ehe zwischen Mann und Frau, mit Blick auf die Weitergabe des Lebens, und o die Schürung von Vorurteilen gegen Homosexuelle (Lesben gebe es eigentlich gar nicht, sie brauchen nur einmal sexuell einem richtigen Mann begegnen; Schwule seien weibisch und frauenfeindlich, promisk und bindungsunfähig, …). Nachsatz: Braucht man nicht immer Sündenböcke, um im Gesellschaftssystem von etwas abzulenken? r) Homophobie, also die vorurteilsbedingte Furcht vor gleichgeschlechtlicher Orientierung und gleichgeschlechtlich Orientierten – schlägt tendenziell in Abneigung und letztlich Hass um.42 Immer wieder gesche41 Zur Sichtbarkeit vgl. Mesquita (2008), zur selbstverständlichen Einforderung von Gleichberechtigung siehe Klapeer (2008). 42 „Die ‚Assimilanten’, die durch Taufe oder durch äußere Selbstverleugnung ihre Identität verwischen wollten, flohen damals – im zweiten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts – nicht so sehr die Nachteile des Judeseins als die Verachtung der Judenhasser. Sie unterlagen schließlich dem Zwang, ihre Stammesgenossen und insgeheim sich selbst mit der hemmungslosesten Entwertungstendenz zu beurteilen.“ (So erklärt sich die Aggression heteronormativ „assimilierter“ Homo- oder Bisexueller; Anmerkung.) „Zu jener gleichen Zeit kam unter den Juden vor allem Mittel- und Osteuropas ein neues Identitätsbewußtsein und mit ihm ein erneuertes Selbstwertgefühl auf. Es genügte nicht mehr, die Verächter zu ignorieren, es galt, sie entschieden abzuweisen, sie zu bekämpfen, wie es schon hie und da jüdische Selbstschutztruppen taten, die sich den Pogromisten und ihren zaristischen Anführern mit der Waffe in der Hand entgegenstellten“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 89 f.). „Tränengas trübte ein wenig die Sicht auf die erste ‚Gay Pride’ -Parade in der Geschichte Litauens. Den 500 Aktivisten für die Rechte von Schwulen und Lesben standen am Samstag in der Hauptstadt Vilnius rund doppelt so viele Gegendemonstranten gegenüber. Viele davon mit ‚Kreuzen oder Hakenkreuzen’ ausstaffiert, sagte die grüne EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek dem Standard. Sie und andere EU-Politiker, darunter die schwedische EU-Ministerin Birgitta Ohlson, nahmen als Ehrenschutz und als ‚politisches Signal’ an der Parade teil. Über 600 Polizisten, darunter berittene Einheiten, beschützten den halben Kilometer Marschroute der Demo. ‚Wir wa- 16 hen Hassverbrechen („hate crimes“), sogar auch in so genannten „zivilisierten“ Ländern, und sie passieren nicht zufällig, auch sie werden gemacht: durch Agitation wie durch duldende Passivität. s) Also: Wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich demnächst schon auffliege und „geoutet“ werde? Bis dahin muss ich nämlich meine Position beruflich und sozial so sehr gefestigt haben, dass selbst eine Kategorisierung als „Abjekt“ oder „Warmer“ oder „Schwuchtel“ oder „Tunte“ oder „Hinterlader“ (Letzteres schon selbst gehört) nichts Wesentliches mehr anhaben können dürfte. Lesben und Schwule sind – potenziell oder vermeintlich – zu einer Über-/Kompensation ihres gesellschaftlichen Makels durch außergewöhnliches Engagement in Beruf und Sozialbeziehungen am Arbeitsplatz wie in anderen gesellschaftlichen Kontakten gezwungen – zumindest fühlen sich viele solcherart genötigt.43 t) Die Produktivität von Lesben und Schwulen durch heteronormativen Druck zu steigern, klingt gut. Dieser Zusammenhang birgt aber Probleme. o Aus der vermehrten Selbstforderung (Selbstdisziplinierungsdruck) wird – aus Angst – leicht eine Überforderung mit Produktivitätseinbußen i. w. S. (inklusive Qualitätsaspekt); weniger ist oft mehr (selbst die Japaner längst sind längst wieder von diesem Weg zurückgekehrt, während Österreich allerdings in Richtung Volkskrankheit Burnout marschiert). Angstbedingt kann ökonomische Ineffizienz auf individueller und betrieblicher Ebene entstehen. o Unter dem Blickpunkt der Gerechtigkeit muss hinterfragt werden, warum Menschen wegen ihrer veranlagungsbedingten sexuellen Neigung (selbst wenn oder gerade wenn diese nicht einmal offen gelebt wird) mehr Anstrengung investieren müssen als andere, um den ganz normalen, allgemeinen Status in Beruf und Gesellschaft für den Fall zu behalten, dass sie „geoutet“ werden oder sich „outen“. Die Parallele zur Problematik der Frauen ist merklich. ren völlig eingekesselt und durften uns nicht frei bewegen’, berichtete ein Teilnehmer. Rechtsradikale Gegendemonstranten versuchten, sich mit Gewalt Zutritt an den Ort der Parade zu verschaffen, und warfen eine Tränengasgranate in die Menge. Sie wurden verhaftet. Die Polizei setzte ihrerseits Tränengas ein, um das Vordringen der Rechtsradikalen zur Parade zu verhindern. Petras Gražulis, ein litauischer Parlamentarier, überwand die Absperrung, und ohrfeigte einen Schwulen-Aktivisten. Aufgrund seiner Abgeordneten-Immunität konnte er nicht verhaftet werden. Nach zwei Stunden Laufzeit wurde die ‚Pride’ -Parade von der Polizei aufgelöst, die Teilnehmer wurden mit Bussen vom Demo-Gelände weggebracht“ (derStandard.at, 9.5.2010, 21:42 MESZ, http://derstandard.at/1271376285128/Homophobe-Krawalle-in-Vilnius). 43 „Häßlich zu sein, schien dem Kind ein unverdientes und zugleich unabwendbares Schicksal; man konnte jedoch trotzdem unter Umständen erträglich, vielleicht sogar anziehend werden – allerdings nicht wie die Schönen durch das Sein, sondern durch das Tun“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 78). 17 o Aus dieser Sicht ist es sicher zu kurz gegriffen und wohl auch unredlich, wenn Homophobe behaupten, sie seien gegen Antidiskriminierung gegenüber Lesben und Schwulen, weil diese tatsächlich privilegiert statt diskriminiert seien: keine Kinderkosten, keine Unterhaltsverpflichtungen, gute berufliche Positionen, überhöhte Einkommen, Ungebundenheit und Flexibilität. Diese Sicht wurde auch wissenschaftlich entwickelt,44 ist aber auch vielfach widerlegt.45 u) Die britische Soziologin Jane Lewis betrachtet Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung als rational unerklärlich und somit als reine Intoleranz.46 Der Ökonom Gary Becker bezeichnet dieses Phänomen als Geschmack auf Diskriminierung (“taste for discrimination“). Anhand der Entlohnungskluft zu Ungunsten der Frauen (ein Phänomen, das wesentlich besser zu erfassen ist als Diskriminierung von Homosexuellen) konnte gezeigt werden, dass schärferer Wettbewerb zu geringerer Lohndiskriminierung von Frauen führt, also die Vorliebe fürs Diskriminieren einschränkt.47 v) In Zeiten des wirtschaftlichen Liberalismus und gesellschaftlichen Konservatismus – einer politisch erfolgreichen Allianz – erhalten Menschen, die außerhalb der konservativen Normen stehen, implizit eine nicht unwesentliche Möglichkeit. Die Übernahme wirtschaftsliberaler Verhaltensweisen (nahezu bedingungsloses Leistungsstreben, berufliche Selbstaufopferung durch weitestgehende Anpassung an die Erfordernisse des deregulierten und flexibilisierten Arbeitsmarktes und der “new governance“-Unternehmensphilosophie)48 ermöglicht die Aufnahme in die gehobene Gesellschaft von Heute (die der „Fleißigen und Tüchtigen“). Die Adaption des neoliberalen Wirtschafts- und Berufslebens-Stils und die Assimilation in dieser Ideologie erlaubt auch die Inklusion in diese Gesellschaft, selbst als homosexuelle Person, sogar als eine in einer Beziehung lebende. Dies trifft sich mit den Über-/Kompensationsbestrebungen von Lesben und Schwule, wie oben beschrieben. Allerdings kann der dafür zu entrichtende Preis dereinst als sehr hoch empfunden werden. Außerdem gehen von dieser Anpassungs- und Assimilationsstrategie negative Nebenwirkungen (so genannte „externe Effekte“, vergleichbar mit Kollateralschäden) auf die nicht angepassten Homose- 44 Becker (1981), zit. n. Patterson (1989). 45 Vgl. in: Bartel (1999), zusätzlich Heineck (2009). 46 Lewis (2001). 47 Weichselbaumer und Winter-Ebmer (2007) zeigen in einer internationalen Metastudie empirisch, dass zunehmender Wettbewerbsdruck (v. a. durch außenwirtschaftliche Öffnung) den „gender wage-gap“ verringert, so dass auf eine durch geringeren Wettbewerbsdruck erlaubte Vorliebe fürs Diskriminieren von Frauen geschlossen werden kann. Gleichbehandlungsgesetze in Folge von internationalen Abkommen wirken sich übrigens tatsächlich dämpfend auf die Geschlechterlohndifferenz aus. 48 Engel (2008). 18 xuellen aus, die dadurch markanter abgegrenzt und verstärkt angefeindet werden, auch aus „eigenen Reihen“.49 w) Die Inklusion in die Leistungsgesellschaft durch Anpassung ist aber nicht mit perfekter Integration verbunden. Die homosexuelle Facette wird stillschweigend ausgeblendet, höchstenfalls als ein Vorteil im Wettbewerb um Wohlstand und Macht angesehen, aber nicht als an sich angesehenes Persönlichkeitsmerkmal in der Gesellschaft.50 Das passt zu der durch die Assimilation übernommenen konservativen Grundeinstellung „Wir diskriminieren nicht, wir stellen aber nicht gleich, was nicht gleich ist“. Das gilt auch, wenn Institutionen (rechtliche Konstruktionen) speziell für Homosexuelle geschaffen werden, und zwar nach dem Muster der bürgerlichen Gesellschaft. So kreieren wir „gute, normale“ (bürgerliche) im Unterschied zu den übrigen Homosexuellen.51 x) Nun hat Österreich nun doch endlich ein Partnerschaftsinstitut (siehe Anhang A3.), wohl auf Druck der EU-Kommission. Es stellt eine weitgehende inhaltliche Angleichung an den Status heterosexueller Eheleute dar (mit vereinzelten Verbesserungen gegenüber dem Eherecht). Es ist im Vergleich zum vorigen, rechtlosen Zustand eine Besserstellung für verpartnerungswillige Lesben und Schwuler. Prominenteste Ausnahmen sind das Verbot der Adoption des Kindes oder der Kinder des Partner oder der Partnerin („Stiefkindadoption“ ausdrücklich ausgeschlossen) und die Nichtbegründung von Verwandtschaftsverhältnissen. Formell kommt in Nicht-Statutarstädten das Zeremonieverbot am Standesamt 49 Engel (2008). „Der Neoliberalismus brachte eine bestimmte Psychodynamik des Kollektivs hervor: Es werden Eliten und Individualisierung gefördert, jeder ist nur noch für sich selbst verantwortlich. Die Folge der zunehmenden Individualisierung ist ein kollektiver Verrohungsprozess, der alles abspaltet und verachtet, was schwach macht. Dieser Prozess geht auch mit einem Werteverlust einher“ (Eva Mückstein, Psychotherapeutin, in derStandard.at, 29.11.2009, 19:27 MEZ, Printausgabe vom 30.11.2009). 50 Thomas H. Marshall, britischer Soziologe, prägte den Begriff der „social citizenship“, die sich über die „political and civil citizenship“ hinaus entwickelt (Breiner 2006) oder es sollte. Politische Rechte stehen Lesben und Schwulen in unseren Breiten freilich zu, auch Bürger_innen_rechte sind ihnen schon weitgehend erschlossen. Doch mit der „gesellschaftlichen Staatsbürger_innen_schaft“, einem freien, undifferenzierten Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe, hapert es noch mehr oder weniger. Der von Marshall unterstrichene Kampf zwischen dem Markt und seinen Klassenunterschieden einerseits und der faktischen politischen und sozialen Gleichheit andererseits scheint durch den Neoliberalismus aufgehoben zu werden. Doch kann „gesellschaftliche Staatsbürger_innen_schaft“ nicht gelingen, wenn Personen primär über ihre Marktleistungen definiert werden und ihr Gewicht in gesellschaftspolitischen Entscheidungen und Auswirkungen marginal bleibt. Das Sexuelle erhält nicht jenen Stellenwert, den es für die effektive Gestaltung der Gesellschaft besitzt. Die sexuelle Orientierung wird gleichsam auf dem Markt erkauft, bleibt aber gesellschaftlich irrelevant: im Interesse der wirtschaftlichen und folglich gesellschaftlichen Hierarchisierung, die freilich entlang der Linie der biologischen Geschlechter konstruiert wird. Die „sexual citizenship“, die „sexuelle Staatsbürger_innen_schaft“, ein Konzept von Evans (1993), wird unvollkommen zugestanden und eingeräumt. 51 “The argument that the ‘normal citizen’ has largely been constituted as heterosexual (e.g. Duggan, 1995; Richardson, 1998; Bell and Binnie, 2000), would appear to be queried by the emergence of the ‘normal lesbian/gay’” (Richardson 2004, p. 407). 19 hinzu. Im Grenzbereich zwischen formell und inhaltlich findet sich die Möglichkeit zur Annahme eines gemeinsamen Nachnamens (kenntlich gemacht durch ein Bindestrichverbot zwischen den einzelnen Namen) im Gegensatz zum Familiennamen (erkennbar am Bindestrich im Doppelnamen); so wird auf allen Formularen und allen Urkunden und Ausweisen deutlich gemacht: hier handelt es sich um eine homosexuelle, weil verpartnerte, nicht verheiratete, Person. Als am meisten gravierend stellt sich der Umstand dar, dass für Homosexuelle eine Sonderinstitution geschaffen wurde, die von Heterosexuellen gar nicht in Anspruch genommen werden kann. Eine Art Reservat wurde für Lesben und Schwule geschaffen, wo Diskriminierung weiterhin festgeschrieben, aber diese politische Agenda realistischer Weise bis auf weiteres als abgehakt zu betrachten ist. y) Das Europäische Parlament fordert hingegen den „Zugang zur ‚Ehe oder vergleichbaren rechtlichen Regelungen’, die ‚die vollen Rechte und Vorteile der Ehe garantieren’ (und die) Gleichbehandlung im Pflegschafts- und Adoptionsrecht (erstmals: Entschließung A3-0028/94, 8.2.1994)“.52 Eine Familie ist o eine Gruppe Angehöriger aus wenigstens zwei Generationen mit der Trage von Sorge und Verantwortung für die jüngsten, o eine nachhaltige Einrichtung zu Gunsten von Kindern, o ein Glücksfall, da Kinder bei ihren sie und einander liebenden Eltern sind, o eine charmante Fügung der Natur, indem bei der Sexualität Kinder entstehen können, und o ein flexibles System auf Grund unterschiedlicher Definitionsmöglichkeiten in dem Sinn, dass eine „zusammengesetzte“ Familie gelingen kann.53 Regenbogenfamilien 54 sind o insofern zusammengesetzte Familien („patchwork families“), als sind Paare auch nicht selbst gezeugte Kinder aufziehen, und o dadurch bunt, dass die Außergewöhnlichkeit der Familie, die aus einem gleichgeschlechtlichen Paar und biologisch nicht gemeinsamen Kindern besteht, die Buntheit sozialen Lebens ausdrückt. 52 Graupner (2007), S. 15. 53 Sauer (2010). 54 Bartel (2005). 20 Regenbogenfamilien sind, theoretisch gesehen, tatsächlich Familien – und, empirisch betrachtet, sie existieren sehr wohl55 –, aber sie können unter den meisten nationalen oder regionalen Regelungen nicht gemeinsam Angehörige zu ihren nicht biologischen Kindern werden.56 Es ist oft ein wesentliches Zeichen des Staates, dass er den Familienbegriff enger auslegt, freilich im Zeichen der Heteronormativität. Die restriktive Auslegung von Familie gereicht wahrscheinlich nicht zur maximalen sozialen Wohlfahrt in dieser Hinsicht. Denn dem Faktum der Existenz von Regenbogenfamilien steht das Faktum gegenüber, dass es für sie keine volle Akzeptanz, Gleichstellung und Absicherung gibt,57 nur weil sie einer willkürlichen Norm nicht entsprechen können oder wollen.58 Dabei zeigen Untersuchungen Folgendes: o In Regenbogenfamilien werden die Rollen der sozialen Geschlechter weniger gespielt,59 o Die Regenbogenkinder müssen nicht in der Kernfamilie von der Verschiedengeschlechtlichkeit der primären Bezugspersonen profitieren können, sondern diese können auch aus dem sozialen Umfeld kommen. Denn in der Kernfamilie entscheidet die Qualität der Gestaltung des Miteinanders, während die Familie i. w. S. – „patchwork“-artig – selbst gewählt ist, sein kann oder sein soll.60 o Regenbogenkinder entwickeln sich nicht signifikant besser oder schlechter als andere Familienkinder, es sei denn, dass sie tole- 55 In Deutschland schätzte man für das Jahr 2000 die Zahl der Regenbogenfamilien auf 6000 oder 12,5 Prozent der gleichgeschlechtlichen Haushalte (PRIDE – Das lesbisch/schwule Bundesländermagazin, 2, April 2002, S. 42). Umgelegt auf die österreichische Bevölkerungszahl wären dies 800 Regenbogenfamilien bzw. rund 140 in Oberösterreich. 56 In Österreich kann einer oder eine der Lebensgefährten bzw. Lebensgefährtinnen zwar a) ein fremdes Kind adoptieren („Fremdkindadoption“), doch der bzw. die andere kann es nicht auch, da gemeinsame Adoptionen als Paar Eheleuten vorbehalten sind, und b) kann der Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin das leibliche Kind seines Partners bzw. ihrer Partnerin adoptieren („Stiefkindadoption“), doch verliert dadurch der leibliche Elternteil seine Elternschaft mit all ihren Rechtern und Pflichten. Zudem sorgt unser Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG 2010) dafür, dass durch die Verpartnerung keine Verwandtschaftsverhältnisse (außer dem zwischen den beiden Verpartnerten) entstehen. Zu schlechter Letzt sieht das EPG ein ausdrückliches Verbot der Stiefkindadoption vor. D. h., der nicht elterliche Teil der EP kann als Einzelperson zwar jedes fremde Kind adoptieren, aber nur das Kind oder die Kinder des Partners bzw. der Partnerin nicht, selbst falls dieser oder diese verstirbt. 57 Hequembourg/Farrell (1999). 58 "Die mit sexueller Orientierung bewaffneten Homos (und Singles und Kinderlosen) geben sich ohne ethischsoziale Perspektive hemmungslos ihrer Triebbefriedigung hin. Völlig richtig, Ehe und Familie mit besonderen Privilegien auszustatten, ordentliche Leut tun sowas nur zu Zeugungszwecken! Dr. Susanne Presinger, Graz“, in: Der Standard, Meinung, 10./11. Oktober 1998, S. 37. Dies wird treffend mit Gary Beckers Konzept „taste for discrimination“ oder Jane Lewis’ Begriff „blanke Intoleranz“ beschrieben. 59 Vgl. in: Bartel (1999). 60 Schmutzer (2001). 21 ranter, aufgeschlossener, weltoffener werden und Diskriminierung selbst oder in ihrem unmittelbaren Umfeld erleben.61 Es darf wohl nicht sein, was nicht sein soll. Das Schädliche daran ist, dass Recht Realitäten schafft. Doch längst hinkt in dieser Hinsicht das Recht den Realitäten nach.62 In den Niederlanden erzielte die Öffnung der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare im Nachhinein höhere Zustimmungswerte in der Bevölkerung als im Vorhinein.63 Wer wie wovor geschützt wird, wenn homosexuelle Beziehungen nicht genauso anerkannt werden wie heterosexuelle, muss erst gezeigt werden, selbst wenn der „Schutz von Ehe und Familie“ durch Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und Eingetragenen Partner_innen_schaften immer wieder diskursiv kommuniziert wird. Letztlich dürfte die Gefährdung des patriarchalen, heteronormativen Systems und seiner Verteilungswirkungen dahinter stehen, doch das darf wohl nicht eingestanden werden64, noch dazu, wenn dies (wie Lust an Diskriminierung überhaupt) der ökonomischen Effizienz entgegenstehen kann.65 z) Zurzeit wird die Ausdehnung des strafgesetzlichen Verhetzungsparagrafen auf Hasstiraden über Lesben und Schwule debattiert. Dem offenbaren Regierungsvorhaben stehen ablehnende Positionen entge- 61 Hastings u. a. (2006), S. 49 ff.: “Given the currently available literature, an objective evaluation of empirical research supports only one conclusion: Whether a child’s two parents are heterosexual or lesbian or gay has no significant discernable impact on that child's social competence. (…) More robust differences in socialization and social competence were found in the comparisons of lone-parent families and two-parent families. Lone mothers are at increased likelihood of providing less positive and effective socialization than mothers in twoparent families, and it is also more likely that their children will appear less socially competent. (…)From the perspective of doing what will most benefit the well-being of children, it appears that governments and nongovernmental organizations should focus on ensuring that children are living in well-functioning families. Families function well when parents function well. Parents are most successful in raising well-functioning children when they have the social and economic resources to cope with the normal stresses of life. Building support for the establishment and maintenance of these resources will help to improve the quality of life, quality of socialization, and quality of children's social competence in all families.” 62 Beham-Rabanser (2010). 63 Nichtakzeptanz von und Wunsch nach Wiederabschaffung der Ehe für homosexuelle Paare werden – auch zwei Jahre nach der Eheöffnung – durch Eltern, Religion, niedrigere Bildung und orientalische Herkunft begünstigt (Lubbers u. a. 2009). 64 Dalton/Bielby (2000), Dunne (2000). 65 Rainer (2008), p. 305: “marital bargaining power is determined endogenously. We show that: (1) the efficiency of household decisions is sometimes inversely related to the prevailing degree of gender discrimination in labor markets; (2) women who are discriminated against have difficulty enforcing cooperative household outcomes because they may be extremely limited to credibly punish opportunistic behavior by their male partners; (3) the likelihood that sharing rules such as “equal sharing” are maintained throughout a marriage relationship is highest when men and women face equal opportunities in labor markets.” Im übertragenen Sinn gilt dieses Ergebnis über ökonomische Ineffizienz auch für Diskriminierung von Homosexuellen auf dem Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz (vgl. in Bartel 1999). 22 gen, die die Tragweite Gewalt fördernder Verbalattacken und Verunglimpfungen unterschätzen dürften.66 2. Konsequenzen 2.1. Diversity – Anerkennung und Management „Freiheit im privaten Tun und Lassen galt als eine – heute kaum mehr vorstellbare – Selbstverständlichkeit; man sah auf die Duldsamkeit nicht wie heute als eine Weichlichkeit oder Schwächlichkeit herab, sondern rühmte sie als eine ethische Kraft.“67 Sehen wir von der ethischen Perspektive ab, so stellen sich Toleranz und Akzeptanz, Integration und Vielfalt als rational begründbar dar. Wir können dabei auch auf die eingangs getroffenen Feststellungen zurückgreifen (Kapitel 1.). a) Wer formell gleich behandelt, ohne die der betreffenden Regelung zu Grunde liegenden faktischen Ungleichheiten gebührend zu beachten, begeht eine inhaltliche Ungleichbehandlung und verlässt den Anspruchsbereich von Gerechtigkeit. Lesben und Schwule unterscheiden sich einzig und unabänderlich in einem einzigen Punkt von der übrigen Bevölkerung: in ihrer sexuellen Orientierung und entsprechenden Wahl ihrer Partnerin bzw. ihres Partners. Dieser faktischen Ungleichheit ist inhaltlich Rechnung zu tragen, und zwar mit der Zielsetzung, gleiche Möglichkeiten auf „ein gutes Leben“ einzuräumen. Das bedeutet je nach Lage gleiche Rechte oder ggf. positive Diskriminierung. b) Selbst wenn Homosexualität nicht Veranlagung wäre, sondern auf freier Entscheidung beruhte, würde dies nichts an dem Gerechtigkeitsanspruch von Lesben und Schwulen auf inhaltliche Gleichberechtigung und Gleichstellung mit Heterosexuellen im Möglichkeitsraum ändern. Denn, ökonomisch gesprochen, gehen von einem homosexuellen Leben keine beachtlichen negativen externen Effekte auf die heterosexuelle Umwelt aus; diese wird dadurch nicht beeinträchtigt. Würde allein der Anblick eines offensichtlich zusammengehörigen Frauen- oder Männerpaares, dessen Auftreten den allgemeinen Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit entspricht, Anlass nicht nur zu Ablehnung, sondern auch zu Verboten oder Einschränkungen führen, wäre die Norm 66 http://www.profil.at/articles/1016/572/267273/georg-hoffmann-ostenhof-recht-infamie-dummheit. 67 Stefan Zweig (1942), Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Roman 43. Aufl., Frankfurt a.M. 2003, S. 41. Zweig meinte damit die Liberalität bis zur und um die Wende des 19. und 20 Jahrhunderts. 23 in einem gesellschaftlich nahezu unerheblichen Belang diktatorisch.68 Wir wären in einem Apartheidregime angelangt. Und das wird wohl anerkanntermaßen abgelehnt. Auch unter den Umständen freier Entscheidungsmöglichkeit über die sexuelle Orientierung ergibt sich keine Rechtfertigung für Diskriminierung. So gesehen ist die Ursachenforschung über Homosexualität – außer der Befriedigung der typisch wissenschaftlichen Neugier – insofern problematisch, als aus den Ergebnissen eine Möglichkeit pränatale Diagnostik ergeben könnte. Schwangerschaftsabbruch aus diesem Grund wäre eine mögliche Folgewirkung, ebenso die Entwicklung gentechnischer Manipulation der sexuellen Orientierung. Dies träte mit sehr generellen grundrechtsphilosophischen und ethischen Überlegungen, wie oben angestellt, in Konflikt. c) Grundrechte sind zu akzeptieren und zu schützen. Grundrechte wie die auf Privatleben, Partner_innen_wahl und Eheschließung können aus rechtsphilosophischen Überlegungen nicht eingeschränkt werden, sofern jene die Gesellschaft nicht grob schädigen. Räumt man der Vorliebe zu diskriminieren, der reinen Intoleranz, der ideologischen Blindheit oder dem religiösen Absolutismus keinen Platz ein, kann und darf Homosexualität nicht rechtlich behindert, sondern muss ein dementsprechendes Leben staatlich ermöglicht werden. Hierbei ist Konsequenz gefragt, nicht Schielen auf Mehrheiten. d) Gender, das soziale Geschlecht, ist keine natur- oder gottesgesetzliche Gegebenheit, sondern wird gesellschaftlich gemacht, ist also gemeinschaftlich nach Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu gestalten. Homosexualität wäre eigentlich eine gesellschaftlich keine negativ zu beurteilende, sondern eine entweder gutzuheißende oder marginale bis irrelevante Materie, würde sie nicht durch die etablierte Heteronormativität zu einem Zentralen Streitpunkt gemacht: ideologisch und praktisch. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, vornehmlich Ziel des Staates, Homosexualität gesellschaftspolitisch letzten Endes zu einem Nichtthema („non-issue“) zu machen. Bis dahin darf es per se keine Grenzen der Umverteilung in der sozialen Wohlfahrt geben. e) Wohlfahrt ist nur persönlich zu erfahren, ist nicht interpersonell erfahrbar. Lesben und Schwulen die gerechte inhaltliche Gleichstellung mit den Heterosexuellen mit dem Hinweis zu verweigern, diese wäre nicht nötig, widerspricht sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und Normativität grundle68 „Doch diesmal erfuhr ich genau, was Demütigung ist und wie grausam und verächtlich jene sind, die sie an Wehrlosen verüben. Ich entdeckte damals die Niedertracht der Majorität. Sie ist keineswegs die einzige, das ist wahr“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 67). 24 gend. Homosexuelle wissen allein, wie sie die Gesellschaft berdückt und was sie zu ihrer inhaltlichen Gleichstellung auf Grund ihrer speziellen und legitimen sexuellen Orientierung alles brauchen. Eine ganze Palette wird sich auftun. Wir sollten diesbezüglich keine „wohlwollende (moralische) Diktatur wollen. f) In den Sozialwissenschaften wird die Meinung geteilt, dass Diversität im Zunehmen ist (steigende Frauenpartizipation, Immigration und Pluralität der Lebensentwürfe). Diversität lenkt sich aber nicht selber in Wohlfahrt maximierende gesellschaftliche Bahnen. Dieses offenbare institutionelle Manko ist wettzumachen und wird jetzt erst zunehmend durch Diversity Management and Inclusion (DMI) wahrgenommen. DMI ist eine betriebswirtschaftliche Strategie zur Nutzbarmachung von Produktivitätsund Qualitäts-, Kreativitäts- und Innovationspotenzialen durch Vermeidung sozialer Kosten (Reibungsverluste) in der Sphäre des Unternehmens. So schön dies klingt, so wenig wird diese Strategie (wie andere offensive Strategien der betrieblichen Verbesserung, etwa Effizienzlöhne statt Subsistenz- oder Mindestlöhnen, „voice“ statt „exit“) in der Erwerbswirtschaft noch betrieben.69 2.2. Auf privater Ebene a) Wir sollten bereit sein, die Situation von Lesben und Schwulen rational zu erfassen. Im übertragenen Sinn gilt recht trefflich folgender literarischer Text eines Psychologen und Romanciers. „Nicht selten mischten sich in die Betrachtungen meiner Banknachbarn judenfeindliche Worte, die Spott und Haß und zuweilen auch Neid ausdrückten. In den ersten Wochen reagierte ich auf dergleichen wie auf eine persönliche Beleidigung und verließ mit grimmigem Gesicht den Feind, nicht ohne mich stolz als Jude bekannt zu haben. Später wurde ich nicht etwa toleranter gegenüber diesen Intoleranten, aber ich versuchte, mit ihnen zu diskutieren. Dabei entdeckte ich zu meiner Überraschung, daß sie Juden persönlich gar nicht kannten, daß ihr Haß zwar konstant, aber durchaus oberflächlich war, daß er, so merkwürdig es klingen mag, ein leichtsinniger Haß war.“70 b) Infolgedessen ist es die kollektiv beste Strategie für Lesben und Schwule, „out“ zu sein, also offen, selbstbewusst und verständig zu leben, selbst wenn damit individuell ein unkalkulierbares Risiko verbunden sein (und die Strategie individuell nicht optimal erscheinen) mag. Daher 69 http://www.pauser-wondrak.at/managing_gender.html (29.4.2010). 70 Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes, Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 176 25 braucht es zum „offenen Leben“ externe Unterstützung (Anreize, Hilfe zum „self-empowerment“). „Das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen wird ein Leben lang tausendfach erprobt. Für meinesgleichen aber war dieses Gefühl auch durch die Art bestimmt, wie eindringlich jeder individuell sein Judesein empfand: als Schande oder als ehrenvolle Treue, als einen durch den Zufall der Geburt herbeigeführten Zustand oder als Aufgabe, so zu leben, als trüge man die Verantwortung für die anderen. Wer sich selbst verachten mußte, konnte diese Aufgabe nicht erfüllen, also kam es darauf an, die eigene Achtung täglich zu verdienen und sie um keines Zweckes willen zu gefährden.“71 c) „Coming out“ und „going public“ von Lesben und Schwulen kann von Seiten der Heterosexuellen unterstützt, im Prozess erleichtert und im Ergebnis verbessert werden. o Der Umstand, dass nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs heraußen ist, sollte bewusst machen, dass wir nicht nur Anderen Angst machen, sondern dass wir diese Mitmenschen kennen, aber zugleich auch wieder nicht kennen. Lesben und Schwule leben mit uns, sie sind aber keine Stereotypen,72 wir erkennen sie nicht (zumindest nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit). Etwa neun Zehntel von ihnen sind unerkenntlich und unerkannt. „Political correctness“ ist in Worten, Gesten, Mimik und Verhalten angesagt, denn Botschaften können zwischenmenschliche und sogar gesamtgesellschaftliche Realitäten schaffen. „Nun ist die politische Realität, wie jede andere auch, eine diskursiv produzierte. Der politische Raum ist ein symbolisches System, das durch Sprache aufgespannt wird.“73 Heterosexuelle sollten eine Sprache finden. Wer Wörter wie Homosexualität, Schwule und Lesben nicht problemlos und nicht wie selbstverständlich aussprechen kann, wird Schwierigkeiten haben, auf eine Kommunikationsebene mit den homosexuellen Mit- 71 Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 90. 72 „Cross-dressing“, das sich Kleiden nach Art des anderen Geschlechts, sowie die Exaltierung mancher Schwuler als Diven und mancher Leben als Kerle, verbunden mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten und zur SchauStellungen dessen (Paraden, Feste, Partys, Catwalk Contests u. dgl.) sind nicht Wesensmerkmal vieler oder gar aller Lesben und Schwulen. Vielmehr ist dies eine Form des Protests gegen Heteronormativität, ein Verunsichern des Establishments, ein versuchtes Aufbrechen der konventionellen Ordnung, ein lustvolles Spielen mit gesellschaftlichen Tabus aus der Position der selbstbewusst und stark Gewordenen, der eine spezifische Identität Suchenden. Überdies ist eine solche „Maskerade“ eine historische Reminiszenz an die emanzipierenden „Stonewall-Ereignisse“ in und um die Bar Stonewall in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969 und die nachfolgenden Paraden, um in zweifacher Weise Raum zu greifen, zu beanspruchen und zu behaupten (Bartel 2000, Mesquita 2008). 73 Misik, Robert (2005), "Verräter" können "flexibel" sein, in: Der Standard online, 20.9., 18:57 MESZ. 26 menschen zu gelangen und die Problematik für beide Seiten abzubauen. Stillschweigen (etwa die bisherige bzw. frühere Strategie der U.S. Army „don’t ask, don’t tell“) scheint, nur eine scheinbare Lösung zu sein. Solches Schweigen kann be- oder erdrückend sein.74 o Die künstliche Aufregung über Alltagsdinge wie gleichgeschlechtliche Orientierung, Liebe und Beziehungen sollte abgelegt, das Heiße Eisen abgekühlt, das Thema normalisiert werden. Dazu gehört ein Selbstbekenntnis zu Offenheit und Vielfalt75 – und die Kommunikation dessen. o Wir sollten Lesben und Schwule insofern enttäuschen, als sie bass erstaunt darüber sind, dass wir nicht erschrecken, wenn sich jemand von ihnen bei uns oder allgemein „outet“ oder wenn einfach die Sprache auf Persönliches kommt und dabei die sexuelle Orientierung erkennbar wird.76 o Eine besondere Bedeutung kommt der Herkunftsfamilie von Lesben und Schwulen beim „coming out“ zu. Nicht nur dass diese die emotionale Unterstützung auf ihrem emanzipatorischen Weg aus der Heteronormativität gut brauchen können, vielmehr ist das „coming out“ ein Prozess in dem vielschichtigen Sozialsystem Familie. Dort werden die Familienangehörigen, die vom sich „outenden“ Familienmitglied ins Vertrauen gezogen werden, in eine sehr ähnliche Lage versetzt, wie der Schwule oder die Lesbe selbst. Sie müssen mit ihrer gesellschaftlich bedingten Angst vor Problemen, Scham und Schande umgehen können und – am besten gemeinsam – entscheiden, bei wem das innere „coming out“ nun nach außen, innerhalb wie außerhalb der Familie, fortgesetzt wird. Hierbei ist sowohl Geduld der sich „outenden“ Person als auch professionelle Hilfe für die am gleichsam kollektiven „coming out“-Prozess Beteiligten ratsam und bedeutend.77 d) Zivilcourage ist mühsam, aber nützlich. Treten wir homophoben Äußerungen nicht entgegen, so prägen diese Diskurse die soziale Realität 74 “In ... ‘Institutional homophobia of Discursive Inertia: A Queerly Theoretic Case Study’, I use as a source of examples my institutional home, Middlebury College, which is a stimulating place to study queer theory since being abjected is starkly tangible: no queer culture exists to counter the suffocating heteronormativity here” (Cornwall 1998, p. 79). 75 „(…) people are alike in being increasingly heterogeneous” (Davis 2009, Abstract). 76 Zum Beispiel: „Bringen Sie heute Abend doch ihre Ziehharmonika mit, wir wollen auch spontan musizieren!“ – „Ich habe keine Ziehharmonika, ich spiele Englischhorn.“ – „Das passt genauso.“ Oder: „Bringen Sie doch heute Abend auch Ihre Frau mit, wir wollen gemütlich plaudern!“ – „Ich habe keine Frau oder Freundin, ich lebe mit einem Mann zusammen.“ – „Er ist uns willkommen.“ 77 Valentine u. a. (2003). 27 zunehmend und werden allen weit größere Probleme bescheren als hier und jetzt. e) Diversity Management and Inclusion (DMI) wirkt verbessernd auf das Arbeitsklima ein und hilft Lesben und Schwulen, sich am Arbeitsplatz erheblich weniger zu „verstecken“ und ebenso wesentlich mehr „offen zu leben“ („win-win situation“). Zur Arbeitsklimaverbesserung tragen extern und mittelbar v. a. auch die Institution der Eingetragenen PartnerInnenschaft (EP) und die allgemeine Thematisierung von Homosexualität, aber auch (offenbar wegen der EP nur) in geringerem die Gleichstellung bei den Betriebspensionen und (unabhängig von der EP, statistisch signifikant, aber schwach signifikant) das „Gay Marketing“ bei. DMI steht aber noch am Anfang. Eine Angleichung der Betriebspensionen an das Schema für die Heterosexuellen wird als ein erster Schritt eines Unternehmens ins Diversity Management empfohlen.78 Die Corporate Identity eines Unternehmens oder einer Organisation muss eine verständliche, klare Sprache sprechen: sowohl in semantischer als auch in inhaltlicher Hinsicht. Es muss klar zum Ausdruck gebracht werden, o dass wir meinen, was wir sagen, und daher glaubwürdig und vertrauenswürdig sind, o dass wir Varietät schätzen, o jede und jeden in seiner Besonderheit wertschätzen und akzeptieren und o dass Zuwiderhandelnde, selbst wenn sie nur nach der Taktik kleinen Nadelstiche und der Salamitaktik vorgehen, in unserer Zusammenarbeits- und Umgangsgesinnungsgemeinschaft nichts verloren haben (einer deutlichen Verwarnung müssen ggf. Konsequenzen folgen, um Glaubhaftigkeit zu etablieren und zu wahren). Strategisch ist die Sanktionierbarkeit und Sanktionierung von „political incorrectness“, indirekter Diskriminierung und sozialer Exklusion durch ein gespürvolles einsichtig Machen der ethischen und sozialen Grundauffassung zu ergänzen. Dieser Ansatz, der beispielsweise in der Deutschen Bundeswehr schon seit langen als „innere Führung“ praktiziert wird oder werden soll, müsste tendenziell das Übergewicht gegenüber der Sanktionsandrohung erhalten. Gute Erfahrungen wurden ja v. a. in Großbetrieben in stärker multikulturellen Gesellschaften mit der Aussprache mit und der darauf beruhenden Inklusion von Mitarbeiter_inne_n und Kolleg_inn_en aus anderen Herkunftsländern und Kulturkreisen gemacht (auch wenn dieses und ähnliches von exponiert rechten Parteien immer wieder bezweifelt und in Abrede gestellt wird). 78 Köllen (2009). 28 f) Zu guter Letzt ist zu bedenken, dass Lesben und Schwule ihre eigenen Rituale, Bindungsbekundungen und Beziehungsformen entwickelt haben.79 Die Tatsache, dass ihnen die Ehe nicht geöffnet wird oder ihnen etwa auch keine Eingetragene Partner_innen_schaft angeboten wird, ist deshalb kein existenzieller Schaden. Doch hier geht es kategorisch auch um Grundsätze, die eine Ungleichbehandlung ablehnen und alle Wahlmöglichkeiten einräumen müssen – unerheblich, ob die Wahl der Ehe oder Eingetragenen Partner_innen_schaft dann von vielen getroffen wird, von wenigen oder von keinen. Es liegt aber in der Eigentümlichkeit lesbisch-schwuler Dekonstruktion und Verhandlung von Gender und Entwicklung fortschrittlicherer, für den Menschen zweckmäßigerer Institutionen des Zusammenlebens, dass mehr Partner_innen_schaftlichkeit diese Institutionen kennzeichnen soll (statt des Patriarchats). Hier liegt der Konnex zur feministischen Frauenbewegung und zu Prostituiertenverbänden, hier drängt sich eine gesellschaftsstrategische Allianz auf, die alle einschließen kann und soll, die auf Grund ihrer Sexualität strukturell von der Gesellschaft benachteiligt werden.80 g) Lesben und Schwule, insbesondere ihre Vertretungsverbände, sollten der Versuchung nicht erliegen, auf das Mitleid und Mitgefühl, auf die Nächstenliebe und Mildtätigkeit der heteronormativen Mehrheit zu verlassen und sich so deren Wohlwollen auszuliefern. Nicht nur, dass diese Strategie Homosexualität als Abweichung, Krankheit oder Leid erscheinen lässt, sie untergräbt auch das Prinzip unbedingter Einhaltung der Menschenrechte. Daher ist daraus zu schließen: Fordern statt Bitten!81 Unablässig. Warum sollte sich nur die Gegenseite der Diskurse bedienen?82 2.3. Auf öffentlicher, staatlicher Ebene Der Vorzug und die eigentliche Aufgabe des Staates ist es, nicht wie ein Individuum (Privathaushalt bzw. Konsumten_in, Unternehmen bzw. Manager_in, Aktionär_in) zu denken und zu handeln. In seiner staatspolitischen Verantwortlichkeit hat er auf der Metaebene – über den Dingen – zu stehen. Der Staat vertritt so die Interessen des Großen und Ganzen und der Schwachen – theoretisch stets konsequent, praktisch oft zögerlich, ideologisch engstirnig und kleingeistig, eher ängstlich auf seine eigenen Vorteile schielend.83 Und doch ist 79 Reczek (2009). 80 Bartel (2009). 81 Klapeer (2008). 82 Cornwall (1998). 83 Was der Staat, die hehre Wissenschaft und die Schwulen- und Lesbenverbände im Lauf der neueren Geschichte im Hinblick auf Gerechtigkeit unbeschadet sexueller Orientierung alles schlecht gemacht haben, schildert ein 29 der Staat die wahrscheinlich beste Organisationsform und Leistungsgarantie für gesellschaftlichen Fortschritt und soll auch in heiklen und tabuisierten Thematiken nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden.84 a) Der Staat muss die Themenführerschaft in sensiblen Bereichen übernehmen und bewahren und sie nicht den Parole von Extremist_inn_en und den Diskursen aus dem „Bauch des Volkes“ überlassen. b) Der Staat muss bei einschlägigen Vorfällen (Äußerung von Vorurteilen, Verunglimpfungen, Skandalisierungen, Verhetzungen, Suche nach Sündenböcken, Pauschalverurteilungen) jedes Mal unverzüglich und allgemein hörbar das Wort ergreifen. Er muss den Schwächeren und (potenziellen) Opfern eine laute Stimme geben und sie mit seiner (vorhandenen oder zu etablierenden) Autorität stärken. c) Der Staat muss klare Standortbestimmungen seiner gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Auffassungen vornehmen und in Erinnerung behalten. Dazu eignen sich grundsätzliche Deklarationen mit speziellen Hinweisen auf ihre konkreten Anwendungen (die „Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung“ des Gemeinderates der Stadt Linz findet sich als ein Musterbeispiel in Anhang A4. und hat bereits Nachahmer_innen gefunden). Solche Grundsatzerklärungen nützen allerdings nur dann, wenn die erklärten Grundsätze in den konkreten politischen und administrativen Verhaltensweisen ihren erkennbaren Niederschlag finden und keine Abweichungen zugestanden werden (das wäre mit ein Schritt dahin, die Politik wieder akzeptierter, interessanter und besser renommiert zu machen; nicht generelle Politikverdrossenheit herrscht, sondern die Verdrossenheit über bestimmte Politiken, die kommunikativ, inhaltlich und strategisch offensichtlich zu wünschen übriglassen). d) Der Staat muss sich von formellen und informellen Banden der Kirche(n) emanzipieren, die – v. a. als dogmatische, nicht demokratische Institutionen – unmittelbaren politischen Einfluss auf die säkulare, demokratische Politik nehmen (können). Eine klarere Trennung von Kirche(n) und Staat tut Not. (Dabei ist freilich die Religionsfreiheit als eine private Angelegenheit zu garantieren, wobei die Religion höchstens mittelbar, in der Wahlzelle, in die Gestaltung des Gemeinwesens einfließt.) etwa Martin Lücke (2008) für das Deutsche Kaiserreich und die Weimarer Republik so trefflich wie allgemeingültig. Er entlarvt Scheinheiligkeit in Bezug auf Prostitution und Heteronormativität und gibt damit mittelbar Stoßrichtungen zur Verbesserung vor. 84 Eine frühere österreichische Bundesregierung hatte zwar einen „Ausländerbeauftragten“ ernannt, doch dieser beklagte sich bei einer Diskussionsveranstaltung an der Johannes Kepler Universität darüber, dass die erarbeiteten Unterlagen bereitlägen, aber niemand sie abholte. (Vielleicht müsste der Berg zum Propheten gegangen sein.) 30 e) Der Staat muss Einschränkungen der Grundrechte ernster nehmen (insbesondere im Zusammenhang mit den behaupteten terroristischen und moralischen Bedrohungen der westlichen Zivilisationen).85 Bei politischer Beratung muss der Staat angestrengter versuchen (wollen), die ideologischen von den wissenschaftlichen Berater_inne_n zu unterscheiden. Die Strategie, in Streitfragen so genannte unabhängige Expert_inn_en entscheiden zu lassen und diese als Regierungsposition einfach zu übernehmen, ist in jeder Hinsicht naiv und widerspricht unserer gerade erhobenen Forderung nach erhöhter politischer Verantwortlichkeit und Rechenschaft, ganz besonders dort, wo faktisch Grundrechte auf dem Spiel stehen. f) Politische Konsequenz nicht nur auf Grund ideologischer Einstellungen, sondern nicht zuletzt auch wissenschaftlicher Erkenntnisse entspricht dem normativen Auftrag des Staates im Rahmen seines allgemeinen politischen Mandats. g) Der Staat, namentlich seine Repräsentant_inn_en müssen im Hinblick auf die Wahrung von Menschenrechten im Inland dieselbe Sprache sprechen wie im Ausland (wo sie eine Lanze nach der anderen für Homosexuelle u. a. brechen und diesbezüglich als Musterschüler_innen gelten). h) Die völlige rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen ist eine Aufgabe, der sich der Staat nicht entledigen darf. Ansonsten wären all diese Zeile Schall und Rauch, wäre dieses Papier reine Makulatur. Non dictum, factum! Die Aufgabe des Staates besteht doch in der Initiative für gesellschaftlichen Fortschritt. Sonst wären Politiker_innen überbezahlt oder unterbeschäftigt oder überflüssig; Bürokrat_inn_en könnten das Land nach Maßgabe von Meinungsumfragen oder Volksabstimmungen führen. Wer sonst sollte einen annähernd starken Impact ausüben können wie Legislativmehrheit und Regierung. Einstimmige Lösungen sind theoretisch ideal, praktisch aber so gut wie unmöglich. Die Wähler_innen lassen sich durch praktische Resultate überzeugen, lernen rasch, mit den neuen Verhältnissen zu leben und strafen die Politik der Gleichstellung bei den nächsten Wahlen kaum ab.86 i) Zur glaubhaften, effektiven und raschen Zielerreichung sind mitunter positive Diskriminierungsmaßnehmen des Staates erforderlich. Grundrechtsverletzungen haben nicht viel Zeit zur Sanierung, sonst wird das gesellschaftliche Krankheitsbild in einer Eigendynamik akuter und die Therapie aufwändiger. 85 Vgl. etwa die (private) Erklärung des Sexuellen Menschenrechte im Anhang A5.). 86 Mueller (1989), Dequech (2009), Lubbers u. a. (2009). 31 3. Freiheit verpflichtet, Zukunft auch Freiheit „Freiheit ist ein Gut, das stark macht. Aber es darf nicht zum Recht des Stärkeren werden. Denn das ist der Haken an der Freiheit: Sie kann in denjenigen, die durch sie satt und stark geworden sind, den Keim der Selbstüberhebung legen. Und die Vorstellung, Freiheit sei auch ohne Verantwortung zu haben. Freiheit ist kein Vorrecht, die besten Plätze für sich selbst zu reservieren. Wir wollen lernen, Freiheit nicht nur für uns zu nehmen, sondern sie auch anderen zu ermöglichen. Die Glaubwürdigkeit der Freiheit ist messbar: in unserer Fähigkeit, Chancen zu teilen.“87 Zukunft „Nach der Gleichstellung besteht die Herausforderung darin, die weibliche Differenz an den Orten, wo sie sich zeigt, nicht zu verleugnen, sondern zum Gegenstand politischer Verhandlungen zu machen – und das, wohlgemerkt, ohne in alte Geschlechtsrollenklischees zurückzufallen (…)“.88 Literatur Bartel, Rainer (1999), Social-economic issues in sexual orientation – where do we stand? In: Arbeitspapiere des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Johannes Kepler Universität Linz, # 9914, www.econ.jku.at/members/bartel/files/9914.pdf (20. 4.2010) Bartel, Rainer (2000), Stonewall, HOSI Linz-Materialien, Juni Bartel, Rainer (2005), Regenbogenfamilien und Adoption in Österreich. Arbeitsunterlage zum Community Training 2005, veranstaltet vom Magistrat Wien am Institut für Wissenschaft und Kunst, Wien, 12. 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Strafrechtsparagrafen einst und jetzt Das Totalverbot einvernehmlicher sexueller Handlung zwischen zwei Über-18-Jährigen (§ 119 I. b StGB) wurde 1971 abgeschafft und durch die vier o. a. Paragrafen gleichsam ersetzt (www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1971_273_0/1971_273_0.pdf, 22.4.2010). Diese trugen damals andere Paragrafenzahlen, so dass vorstehend auf das Strafgesetzbuch 1974 zurückgegriffen wurde (www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1971_273_0/1971_273_0.pdf, 22.4.2010); die dortige Bezifferung galt nämlich bis zur jeweiligen Aufhebung der Paragrafen, und zwar 1989 das Prostitutionsverbot (§ 210 StGB) und 1997 das „Werbeverbot“ (§ 220 StGB) und das „Vereinsverbot“ (§ 221 StGB). 2002 wurde der „erhöhte Mindestaltersparagraf“ (§ 209 StGB) abgeschafft und quasi vom § 207 b StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen) nachgefolgt. Strafrechtsänderungsgesetz 2002: „19a. Nach § 207a wird folgender § 207b samt Überschrift eingefügt: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen § 207b. (1) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieser mangelnden Reife sowie seiner altersbedingten Überlegenheit eine geschlechtliche Handlung vornimmt, von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unter Ausnützung einer Zwangslage dieser Person eine geschlechtliche Handlung vornimmt, von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. (3) Wer eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unmittelbar durch ein Entgelt dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder einem Dritten vorzunehmen oder von ihm oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. 19b. § 209 entfällt.“ www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/2002_134_1/2002_134_1.pdf (22.4.2010) Strafgesetzbuch 1974 „Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen § 209. Eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mit einer jugendlichen Person gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen. Gewerbsmäßige gleichgeschlechtliche Unzucht § 210. Wer gewerbsmäßig gleichgeschlechtliche Unzucht mit einer Person männlichen Geschlechtes treibt oder sich zu solcher Unzucht anbietet, ist, sofern nicht gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen (§ 209) vorliegt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen. 37 Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechtes oder mit Tieren § 220. Wer in einem Druckwerk, in einem Laufbild oder sonst öffentlich zur gleichgeschlechtlichen Unzucht oder zur Unzucht mit Tieren auffordert oder sie in einer Art gutheißt, die geeignet ist, solche Unzuchtshandlungen nahezulegen, ist, sofern er nicht als an der Unzuchtshandlung Beteiligter (§ 12) mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht § 221. Wer eine Verbindung einer größeren Zahl von Personen gründet, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, gleichgeschlechtliche Unzucht zu begünstigen, und die geeignet ist, öffentliches Ärgernis zu erregen, ferner, wer einer solchen Verbindung als Mitglied angehört oder für sie Mitglieder wirbt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“ www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_60_0/1974_60_0.html (22.4.2010) „Gleichgeschlechtliche Unzucht“ Aufhebung des Totalverbots „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ durch Männer wie Frauen erfolgte 1971 durch die erste Strafrechtsreform der Regierung A2. Studien über den Suizid lesBiSchwuler Menschen, insbesondere Jugendlicher Studie Daten, Methode C. Bagley, P. Tremblay (1997), Geschichtete Zufallsstichprobe von 750 Männern von 17-27 Suicidal behaviors in homosexuJahren in Calgary, Kanada. Fraal and bisexual males, gen zur seelischen Gesundheit zum Abtesten von Selbstmordin: Crisis, 18. Jahr, Heft 1. gedanken und Selbstbeschädigungen; anonyme Beantwortung mittels EDV-Formblatt zur Steigerung der Antwortbereitschaft zu heiklen Fragen. Ergebnis Fast 13 % deklarieren sich als schwul bzw. bisexuell oder geben eine aktuelle Sexualbeziehung zu einem Mann an. 62,5 % all jener Befragten, die einen Selbstmord versucht haben, sind homo- oder bisexuell. Das ergibt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Teilgruppen eine fast 14 Mal höhere Häufigkeit von Selbstmordversuchen bei Schwulen als bei Heteromännern. Besondere Gefährdung besteht in der Coming-Out-Phase. A.P. Bell, M.S. Weinberg (1978), Zufallsstichprobe von 575 aus einem Datensatz von 3533 als Homosexualities: a study of diüberwiegend schwul klassifizierversity among men and women, ten weißen Männern in San Francisco Bay Area mit einem Verlag Simon and Schuster, Durchschnittsalter von 37 JahNew York. ren. Das Risiko eines ersten Selbstmordversuchs ist unter Schwulen und Bisexuellen im Vergleich zu Heteromännern: bis zum Alter von 17 bzw. 21 Jahren 14 Mal bzw. 13,6 Mal so hoch, bis zum Alter von 25 bzw. 37 38 Jahren jeweils 5,8 Mal so hoch. Enthaltsam Lebende sind besonders gefährdet. S. Brady, W.J. Busse (1994), Stichprobe von 196 Männern eingeteilt in 4 Stufen der schwuThe gay identity questionnaire: a len Identitätsfindung. brief measure of homosexual identity formation, Befragung mittels einer Skala des seelischen Wohlbefindens in: Journal of Homosexuality, hinsichtlich verschiedener KriteJahr 26, Heft 4. rien des Befindens, darunter auch Selbstmordgefühle. Höchste statistisch signifikante Unterschiede im Wohlbefinden bestehen zwischen Phase 3 (Duldung der eigenen Homosexualität) und Phase 4 (Annahme der eigenen Homosexualität); das am stärksten unterschiedliche Kriterium zwischen diesen Phasen ist das der Selbstmordgefühle. S. Cochran, V. Mays (2000), Die lebenslange Häufigkeit eines Selbstmordversuchs ist bei schwulen und bisexuellen Männern mit 19,3 % 5,4 Mal so groß wie bei Heteromännern (3,6 %). Lifetime prevalence of suicide symptoms and affective disorders among men reporting same-sex sexual partners, in: American Journal of Public Health, 90. Jahr, Heft 4. Persönliche Interviews mit 3648 17- bis 39-jährigen Männern im Rahmen der U.S.-Gesundheitsund Ernährungsstudie; nur 2,2 % der Interviewten gaben homosexuelle Kontakte an. Die Lüge im persönlichen Interview bedeutet statistisch, dass der wahre Wert auf mindestens 7,7 % zu schätzen ist. Bei Schwulen und Bisexuellen finden 98 % der Selbstmordversuche im Altersbereich 17-29 Jahre statt, während das Risiko von Selbstmordversuchen bei Heteromännern sich nicht signifikant auf einen bestimmten Altersbereich konzentriert. Was wiederkehrende schwere Depressionen betrifft, sind Schwule 3,5 Mal so häufig betroffen. A.R. D’Augelli, S.L. Hershberger (1993), 142 Männer und 53 Frauen im Alter von 15-21 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 19 Lesbian, gay, and bisexual youth Jahren, 66 % davon weiß, aus in community settings: personal 14 U.S. lesBiSchwulen Kommuchallenges and mental health nikationszentren; 75 % der Beproblems, fragten definieren sich als lesin: American Journal of Commu- bisch bzw. schwul, 25 % als nity Psychology, 21. Jahr, Heft 4. bisexuell. Der Anteil der Personen mit mindestens 1 Selbstmordversuch liegt bei 42 %; zwischen Männern und Frauen gibt es darin keinen statistisch signifikanten Unterschied. A.R. D’Augelli, S.L. Hershberger (1998), Unterschied in der Häfigkeit der Selbstmordversuche: 41 % bei jenen lesBiSchwulen Jugendlichen, die ihre sexuelle Orientierung vor der Familie verstecken, aber nur 12 % bei denen, die sich ihrer Familie gegenüber outen. Im Hinblick auf gegenwärtige, häufige bis gelegentliche Selbstmordgedanken sind die 142 Männer und 53 Frauen im Alter von 15-21 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 19 Lesbian, gay, and bisexual youth Jahren, 66 % davon weiß, aus and their families: disclosure of 14 U.S. lesBiSchwulen Kommusexual orientation and its consenikationszentren; 75 % der Bequences, fragten definieren sich als lesbisch bzw. schwul, 25 % als in: American Journal of Orthobisexuell. psychiatry, 68. Jahr, Heft 3. Indikatoren für Selbstmordversuche sind ein geringes Selbstwertgefühl, Alkoholmissbrauch, Depressionen und Verlust von FreundInnen nach dem Outing. 39 Häufigkeiten 30 bzw. 12 % bei versteckten bzw. geouteten Jugendlichen. D.M. Fergusson, L.J. Horwood, A.L. Beautrais (1999), Is sexual orientation related to mental health problems and suizidality in young people? In: Archives of General Psychiatry, 56. Jahr, Heft 10. 1256 Jugendliche von 21 aufei- Mit 95 %-iger Wahrscheinlichkeit nander folgenden Geburtsjahren kann gefolgert werden, dass in Christchurch, Neu Seeland. homo- und bisexuelle Jugendliche 6,2 Mal häufiger einen Befragt wurden die Jugendlichen Selbstmordversuch begehen als jeweils im Alter von 21 Jahren. heterosexuelle. Nur 2,8 % konnten auf Grund des Problems der Wahrheitsverheimlichung als homo- oder bisexuell klassifiziert werden (siehe oben: Cochran/Mays 2000). S.A. Safren, R.G. Heimberg (1999), 48 heterosexuelle und 56 lesBiSchwule U.S. Jugendliche im Alter von 16-21 Jahren aus Depression, hopelessness, suiznach-schulischen Bildungsproidality, and related factors in grammen bei Arbeitsmarktprobsexual minority and heterosexual lemen. adolsescents, in: Journal of Consulting and Clinic Psychology, 67. Jahr, Heft 6. Häufigkeiten bei lesBiSchwulen bzw. heterosexuellen Jugendlichen bezüglich: Selbstmordversuchen 30 bzw. 13 %, fester Wunsch, beim Selbstmordversuch tatsächlich zu sterben 58 bzw. 33 %, zeitweilig wiederkehrende Selbstmordgedanken 40 bzw. 10 %, oftmalige Selbsmordgedanken 20 bzw. 0 %. www.sws.soton.ac.uk/gay-youth-suicide/ (19.3.2001), zusammengestellt von Rainer Bartel A3. Eingetragene Partnerschaft in Österreich „Seit 1. Jänner 2010 können gleichgeschlechtliche Paare in Österreich die „Eingetragene Partnerschaft (EP)“ schließen. Sie gehen damit eine verbindliche, auf Dauer angelegte Partnerschaft ein, die staatlich anerkannt und eingetragen ist. Die EP ist damit ähnlich einer Ehe und bringt zahlreiche Rechte wie auch Pflichten mit sich. Voraussetzungen für eine EP • Zwei Personen gleichen Geschlechts (Transgender: ‚rechtliches Geschlecht’ bei Eintragung) • Volljährig • Geschäftsfähig (sonst Zustimmung von gesetzlicher/m VertreterIn oder Gericht) • Nicht miteinander verwandt, nicht adoptiert • Nicht bereits in anderer aufrechter EP oder Ehe 40 Eintragung (…) Eintragen der EP zum fixierten Termin (oder nach Wunsch/Möglichkeit sofort) in den Amtsräumen (andere BVB als beim Antrag ist möglich). Das anwesende Paar unterschreibt das Protokoll (keine „Trauzeugen“) und erhält sofort (bzw. später extern) die Partnerschaftsurkunde(n). Starke regionale Unterschiede! Manche Städte (allen voran Wien) bieten sehr eheähnliche Eintragungen an (Saal & Zeremonie). Andere Behörden agieren bürokratisch bis unterkühlt (z. B. Vorarlberg). Folgen Personenstand „in EP lebend“ (z. B. auf Meldezettel), Nachname statt Familienname, Anerkennung als Familienangehörige und teilweise der Schwägerschaft. Optional: Namensänderung (nur für ÖsterreicherInnen). Gemeinsamer Nachname und Doppelname (ohne Bindestrich!) müssen mit der Eintragung beantragt werden! Rechte und Pflichten zueinander • Das Paar soll die EP gleichberechtigt unter ‚voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge’ einvernehmlich gestalten und zum Unterhalt „nach ihren Kräften“ beitragen. Umfassende partnerschaftliche Lebensgemeinschaft und ‚Vertrauensbeziehung’ (statt ‚Treue’ wie bei Ehe). Gemeinsame Lebensführung ohne geheime Lebensbereiche • Gemeinsames Wohnen, außer anders vereinbart, unzumutbar (z. B. Gewalt) oder sonstige wichtige Gründe • Anständiger Umgang miteinander • Ideelle und materielle Beistandspflicht, das heißt: o Hilfe und Unterstützung (von Haushaltsführung bis zur Krankenpflege, auch Angehörige des/der Anderen) o Unterhalt (z. B. etwa ein Drittel des Nettoverdienstes bei alleiniger Haushaltsführung ohne Erwerbstätigkeit) o Erhalt der Partnerschaftswohnung o Mitwirkung im Erwerb des/der Anderen (außer anders vereinbart) gegen Entgelt, wenn zumutbar und üblich o Gütertrennung (außer durch Ehepakt anders vereinbart): Vermögen und Schulden bleiben in aufrechter EP getrennt Gesetzliches Erbrecht (falls kein Testament) sowie Anrecht auf den ‚Voraus’ (Wohnrecht und Hausrat). Testament: Anspruch auf Mindestanteil (Pflichtteil). Pflichtteile der Vor-/Nachfahren sind auch zu beachten. Rechte und Pflichten gegenüber Dritten Die Wirkungen der EP sind fast gleich der Ehe, zum Beispiel: • Wohn- und Mietrecht (z. B. Mietvertragsübertragung) • Aussagebefreiung bei Verfahren gegen PartnerIn (auch nach Ende der EP), Begünstigungen im Strafrecht (auch gegenüber Angehörigen der Partnerin / des Partners) • Ausschluss wegen Befangenheit (z. B. als RichterIn) • Mitversicherung in der Krankenversicherung (auch ohne Haushaltsführung), Hinterbliebenenpension 41 • Zulagen für Grundwehr- und Zivildiener, EntwicklungshelferInnen • Berufsgruppenrechte (z. B. öffentliche Bedienstete, ÄrztInnen, AnwältInnen, etc.): Zulagen, Beteiligungsrechte (z. B. an Kanzlei) usw. • Steuervorteile: z. B. Grunderwerb, Alleinverdienerabsetzbetrag, Sonderausgaben, (Familienlastenausgleichsfonds) • (Gewerbe-)Betrieb: Fortführungsrecht nach Tod usw. Auch Paare ohne EP haben Rechte, z. B. Pflege-/Hospizurlaub, Auskunft im Spital; aber durch EP ist Status besser dokumentiert. Offen: Landesrecht (z. B. Bestattung, Wohnbauförderung), weitere Anpassungen (Kollektivverträge, Pensionskassen usw.) In der Arbeitswelt sind EP und Ehe nach Unionsrecht gleichgestellt! Kinder in Regenbogenfamilien Primäre Benachteiligungen (gegenteilige Möglichkeiten anderer Staaten sind gegebenenfalls in Österreich anzuerkennen): • Verbot gemeinsamer Fremdkindadoption • Verbot medizinisch unterstützter Fortpflanzung • Verbot der Stiefkindadoption in aufrechter EP (ohne EP möglich, aber PartnerIn verliert Elternrechte) • Keine gemeinsame Obsorge für Stiefkinder • Keine gesetzliche Vertretung des/der PartnerIn in täglichen Obsorgeangelegenheiten • Name der nach EP-Schließung geborenen Kinder ungeklärt, da Mutter ohne Familienname (siehe Folgen der Eintragung) • Kinderbezogene Rechte bzw. Leistungen (z. B. Arbeits-, Sozial oder Beamtenrecht): Zugang gegenüber einer Ehe erschwert In einer EP jedoch möglich • Adoption (ein/e PartnerIn allein, auch ohne EP) • Pflegeelternschaft (auch ohne EP) mit einigen Rechten und Pflichten möglich: Automatisch durch faktische Betreuung des Kindes (z. B. als Stiefelternteil) oder durch Vertrag mit dem Jugendamt, insbesondere in Wien • Der Nachzug von Stiefkindern ist möglich (Fremdenrecht) • Pflegeurlaub, Sterbebegleitung und Mitversicherung für Stiefkinder möglich, aber gegenüber Paaren ohne EP erschwert Internationale Beziehungen Die EP kann in Österreich unabhängig von Staatsbürgerschaft und Wohnort eingetragen werden („touristische“ Paare möglich, Visaregeln beachten). Ob andere Staaten diese EP anerkennen, hängt jedoch von deren Rechtsordnung ab. • Im Ausland geschlossene EP bzw. Ehe o EP: Im Ausland gültig geschlossene Eingetragene Partnerschaften werden in Österreich anerkannt (im Zweifel: nochmalige Eintragung in Österreich). Hat das Paar seinen „gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt“ in Österreich, so gilt (unabhängig vom Eintragungsstaat) österreichisches Recht für die wechselsei- 42 tigen sowie die Auflösung. o • • Rechte und Pflichten Ehe: Im Ausland gültig geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen sind jedenfalls dann (als Ehe) anzuerkennen, wenn die Heimatrechte beider PartnerInnen solche Ehen erlauben. Anders als bei einer EP sind Rechte, Pflichten und Scheidung bei Ehen primär von der Staatsbürgerschaft abhängig. Immer: o Namens-, Erb- und Adoptionsrecht nach Staatsbürgerschaft, Sonderregeln für das Güterrecht. o Im Fremdenrecht gelten gleiche Rechte wie für Ehepaare! Aufenthaltsrecht: Altersgrenze für PartnerIn o von EWR-/Schweizer BürgerIn: keine o ÖsterreicherIn, DrittstaatsangehörigeR: mind. 21 Jahre • Einkommen und weitere Voraussetzungen abklären! • ‚Scheinpartnerschaften’ werden strafrechtlich verfolgt • Freier Zugang zum Arbeitsmarkt – jedoch nicht, wenn beide PartnerInnen aus einem Drittstaat oder neuem EU-Staat mit Übergangsfrist kommen • Staatsbürgerschaft: mind. 5 Jahre in EP und mind. 6 Jahre rechtmäßiger Aufenthalt in Österreich Beendigung und Konsequenzen Die EP endet durch Tod bzw. Todeserklärung oder durch gerichtliche Auflösung bzw. Nichtigerklärung (Antrag beim Wohnsitzbezirksgericht, bei dem/der FamilienrichterIn) • Auflösung o Einvernehmlich Mindestens sechs Monate ‚Trennung’ sowie schriftliche Einigung (Scheidungsvergleich) zu Unterhalt und Vermögensaufteilung nötig • • • Streitig – Klage am Bezirksgericht wegen: o Willensmängeln bei Eintragung (z.B. Irrtum, Zwang) o Verschulden: Schwere Verfehlung des/r anderen. Wenn nicht ‚verziehen’, Klage binnen 6 Monaten! Statt „Treue“ hat EP Pflicht zur ‚Vertrauensbeziehung’. o Zerrüttung: mind. 3 Jahre Trennung, auch einseitig o Andere Gründe (z. B. bestimmte Krankheiten) Kosten und Dauer o Ab 500 €, wenige Wochen (einvernehmlich) o bis zu Tausende Euro und viele Jahre (streitig) Ohne Einigung regelt das Gericht: Unterhalt, Aufteilung von Ersparnissen und Gebrauchsvermögen (z. B. Wohnung, Hausrat, Auto). Der gerichtliche Schuldausspruch (kein, gleichteiliges oder alleiniges/überwiegendes Verschulden) ist nur für den Unterhalt (ev. Pension) wichtig! ‚Einvernehmlich’ auch während streitigem Prozess noch möglich. 43 • Nichtigkeit aus bestimmten Gründen • Aus Gründen wie z. B. Aufenthaltspartnerschaft, Bigamie, Verwandtschaft kann die EP für nichtig erklärt werden. • Eheverträge o Aufteilungsverträge: Aufteilung von Ersparnissen und ‚Ehewohnung’ (notariatsaktpflichtig) sowie des übrigen Gebrauchsvermögens können ganz ausgeschlossen oder anders als im Gesetz geregelt werden (schon vor der Eintragung oder auch später). o Ehepakte: z. B. Gütergemeinschaft, Erbvertrag (notariatsaktpflichtig, nicht einseitig widerrufbar)“ http://www.partnerschaftsgesetz.at/red.html (22.4.2010) A.4 Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung „Die Stadt Linz bekennt sich zu dem Grundsatz, dass niemand wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Sprache, des Geschlechtes, der sexuellen Orientierung oder Identität, der weltanschaulichen, politischen oder religiösen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Eingedenk der Tatsachen, dass – 52 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – in der österreichischen Verfassung noch kein Gebot der Gleichberechtigung bzw. kein Verbot der Diskriminierung auf Grund der geschlechtlichen Orientierung existiert, dass im österreichischen Recht immer noch diskriminierende Bestimmungen auf Grund der geschlechtlichen Orientierung bestehen und dass in Teilen der Bevölkerung immer noch auf Desinformation beruhende Vorurteile und Aversionen gegenüber gleichgeschlechtlich Liebenden vorhanden sind, verabschiedet der Linzer Gemeinderat diese Resolution für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung insbesondere im Hinblick auf Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Stadt Linz ermutigt daher ihre gleichgeschlechtlich liebenden Bürgerinnen und Bürger im besonderen, ihr Leben angstfrei und würdevoll, selbstbestimmt und selbstbewusst zu führen und ruft sie auf, sich in Fällen von Diskriminierung vertrauensvoll an die zuständigen städtischen Einrichtungen zu wenden. In diesem Sinn legt die Stadt Linz ein Bekenntnis zur Bekämpfung von Vorurteilen und Intoleranz, Populismus und Ächtung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Verhetzung ab. Mit der vorliegenden Resolution unterstreicht die Stadt Linz das allgemeine verfassungsrechtliche Gebot, Diskriminierung zu vermeiden, und geht die Verpflichtung ein, die Gleichbehandlung der Menschen unbeschadet der genannten persönlichen Eigenheiten, insbesondere der geschlechtlichen Orientierung, zu gewährleisten. Die Stadt Linz verpflichtet sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Gesetzgebung, Vollziehung und Unternehmensführung alles zu unternehmen, um für die Menschen in Linz unbeschadet der genannten persönlichen Eigenheiten, insbesondere der geschlechtlichen Orientierung, effektiv gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen. Die Stadt Linz bekennt sich daher insbesondere auch zur rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerinnenschaften und Partnerschaften mit verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften. Die Stadt Linz will damit ein Beispiel für die Verwirklichung des Ziels der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlich und verschiedengeschlechtlich liebender Menschen auch anderen Orts geben. 44 Im Geiste dieser Resolution fordert die Stadt Linz den Nationalrat und Bundesrat der Republik Österreich sowie den Landtag des Landes Oberösterreich auf, rasch die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger auf Grund ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung in keinerlei Hinsicht mehr diskriminiert werden.“ Die Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung wurde vom Linzer Gemeinderat 1999 mit knappster Mehrheit abgelehnt und 2000 mit Mehrheit angenommen. A5. Erklärung der Sexuellen Menschenrechte „Erst seit dem 26.8.1999 gibt es eine weltweite Erklärung der sexuellen Menschenrechte. An diesem Datum hat die World Association for Sexology (WAS) in Hongkong eine elf Punkte umfassende Erklärung verabschiedet, welche die Sexualität als einen integralen Bestandteil der Persönlichkeit jedes menschlichen Wesens begreift. Ihre volle Entfaltung verlangt nach dieser Erklärung die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse wie Sehnsucht nach Kontakt, nach Intimität, nach Ausdruck von Gefühlen, nach Lust, Zärtlichkeit und Liebe. Sexualität entsteht aus dem Zusammenwirken von individuellen und gesellschaftlichen Strukturen. Eine voll entwickelte, erfüllte Sexualität ist die Grundlage für individuelles, zwischenmenschliches und gesellschaftliches Wohlbefinden. Sexuelle Rechte sind universale Menschenrechte auf der Grundlage von Freiheit, Würde und Gleichheit aller Menschen. Das Anrecht auf sexuelle Gesundheit ist ein menschliches Grundrecht. Damit diese umfassend formulierten Ziele erreicht werden können und Menschen wie auch Gesellschaften eine gesunde Sexualität entwickeln können, müssen die genannten elf Sexual-Rechte weltweit anerkannt und mit allen Mitteln gefördert und verteidigt werden. Sexuelle Gesundheit gedeiht nur in einer Umgebung, die diese sexuellen Grundrechte wahrnimmt, respektiert und ausübt. 1. Recht auf sexuelle Freiheit Sexuelle Freiheit umfasst die Freiheit eines jeden Individuums, alle seine sexuellen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Dies schließt jedoch zu jeder Zeit und in jeder Lebenssituation alle Formen sexuellen Zwangs und sexueller Ausbeutung aus. 2. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit Dieses Recht beinhaltet die Fähigkeit zu selbständigen Entscheidungen über das eigene Sexualleben im Rahmen der eigenen persönlichen und sozialen Ethik. Es umfasst auch das Recht auf Verfügung über den eigenen Körper und Lust am eigenen Körper, frei von jeder Art von Folter, Verstümmelung und Gewalt. 3. Das Recht auf eine sexuelle Privatsphäre Dies umfasst das Recht auf eigenständige Entscheidungen und Verhaltensweisen im Intimleben, solange diese nicht die Sexualrechte anderer beeinträchtigen. 4. Das Recht auf sexuelle Gleichwertigkeit Dies verlangt Freiheit von allen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsrolle, sexueller Orientierung, Alter, Rasse, sozialer Schicht, Religion oder körperlicher und seelischer Behinderung. 45 5. Das Recht auf sexuelle Lust Sexuelle Lust einschließlich Selbstbefriedigung ist eine Quelle von körperlichem, seelischem, geistigem und spirituellem Wohlbefinden. 6. Das Recht auf Ausdruck sexueller Empfindungen Sexuelle Äußerungen beinhalten mehr als erotische Lust oder sexuelle Handlungen. Menschen haben das Recht, ihre Sexualität durch Kommunikation, Berührungen, Gefühle und Liebe auszudrücken, solange dies nicht die Sexualrechte anderer beeinträchtigt. 7. Das Recht auf freie Partnerwahl Dies bedeutet das Recht zu heiraten oder auch nicht, sich scheiden zu lassen und andere Formen verantwortungsbewusster sexueller Beziehungen einzugehen. 8. Das Recht auf freie und verantwortungsbewusste Fortpflanzungsentscheidungen Dies schließt das Recht auf die Entscheidung ein, Kinder zu haben oder nicht; ihre Anzahl und die Abstände zwischen den Geburten zu bestimmen; und das Recht auf ungehinderten Zugang zu Mitteln der Fruchtbarkeits-Kontrolle. 9. Das Recht auf wissenschaftlich fundierte Sexualaufklärung Dieses Recht beinhaltet, dass sexuelles Wissen in einem Prozess unbehinderter Forschung und wissenschaftlicher Ethik gewonnen und in angemessener Weise auf allen gesellschaftlichen Ebenen verbreitet wird. 10. Das Recht auf umfassende Sexualerziehung Dies ist ein lebenslanger Prozess von der Geburt durch alle Lebensphasen hindurch bis ins Alter. 11. Das Recht auf sexuelle Gesundheitsfürsorge Zur Verhütung und Behandlung von allen sexuellen Fragen, Problemen und Störungen sollte allen eine angemessene Gesundheitsfürsorge zur Verfügung stehen“ (WAS 1999, Deutsch von Rolf Gindorf). A6. Ein paar „Schmankerl“ als Nachlese „Ihr könnt machen, was Ihr wollt. Drei Viertel der Österreicher empfinden Euch als Mist der Erde. Gute Nacht, schwule Säue“ (anonyme Nachricht vom 20. Mai 1996, 02:19 Uhr, am Anrufbeantworter des Rosa-lila Beratungstelefons der HOSI Linz). „Unsere Gesellschaft ist mit ihrem Verfall an biblischen oder auch nur moralischen Werten schon so weit, daß Homosexualität immer ‚natürlicher’ wird. Doch waren stets alle untergegangenen Kulturen von einer sexuellen Zügellosigkeit begleitet. Wer göttliche, das heißt biblische Werte beiseite stellt, leistet immer einen Beitrag für den Zerfall der geistigen Werte und degradiert sich selbst zur seelenlosen Triebmaschine, der erlaubt ist, was Spaß macht und (schein- 46 bar!) anderen nicht schadet“ (Michael Gruber, Ottnang, Leserbrief, OÖ. Nachrichten, 5. Dezember 1996, S. 5). „Homosexualität ist Sünde, etwas Böses in sich, gegen die Schöpfung. Natürlich ist sie durch Krankheit oder mißliche Entwicklung zu entschuldigen. Wenn einer sich rühmt, es zu sein, rühmt er sich einer Sünde. Wenn er aber bereut und Gottes Willen leben will, ist er auf dem Weg der Bekehrung“ (Kurt Krenn). „Im Licht des Schöpfungsberichtes ist jeglicher gleichgeschlechtliche Umgang – das Wort ‚Liebe’ bleibe in solchem Zusammenhang besser ausgespart! – Aufruhr gegen Gott (...). Wir befinden uns bereits mitten in diesem neuen Sodom und Gomorra, und das Gericht über uns ist schon eröffnet. Eine seiner fürchterlichen Anklagen gilt allen Spielarten sexueller Hemmungslosigkeit, dazu gehört auch die Homosexualität. (…). Die meisten von den angeblich so vielen Homosexuellen sind auch nicht ‚Opfer’ einer ‚Veranlagung’, sondern Opfer von Verführung durch andere und eigene hemmungslose Lüsternheit. (…) Homosexualität ist weniger ‚Veranlagung’ als vielmehr ‚Neigung’. Und Neigungen hat der sittliche Mensch zu steuern, wenn nötig auch niederzukämpfen! (…)Die ‚meisten’ Homosexuellen wollen auch gar kein Mitleid, sondern fordern mit zunehmender Frechheit die ‚Gleichstellung’ ihrer Abnormalität mit der Normalität. (…)Ein wahrer Bocksprung in dem theologischen Tänzchen um die Homosexuellen gelang (...) mit der Forderung, den Homosexuellen ‚mit Achtung’ zu begegnen: Sünde und Sünder haben keinen Anspruch auf ‚Achtung’! (…) Auch ‚Menschenrechte’ im Umgang mit Homosexualität und Homosexuellen geltend zu machen, ist absurd: Immer steht Gottesrecht über allem Menschenrecht, Naturrecht über allem Individualrecht. (...) wie auch Gottesrecht das sicherste Unterpfand allen Menschenrechtes ist. Der Schwulen- und Lesben-‚Seelsorger’ Wahala wich mit seiner ‚frommen’ Gemeinde in ein unterirdisches Gewölbe am Donaukanal aus, wo die Abwässer von Wien zusammenfließen: Das ist der passende Ort für eine Homosexuellenwerbung (...). Jesus hat einst nach einem Strick gegriffen, um die Händler und Wechsler aus dem Tempel (...) hinauszutreiben. Um wie viel mehr verunehren Homosexuelle und Lesben die Kirche (...) mit ihrer abartigen und sündigen Leiblichkeit: Sie gehörten ‚geschlechtsspezifisch’ mit Peitsche und Ochsenziemer zurechtgewiesen!. (…) Im Kampf gegen das organisierte Verbrechertum entstehen in Amerika immer mehr ‚Bürgerwehren’: Auch wir brauchten solche Einrichtungen im Kampf gegen die organisierte, staatlich subventionierte und privilegierte Unzucht. (…) Sollen sich die Normalen von den Abnormalen, die Anständigen von den Unanständigen, die Ordnungsliebenden von den Chaoten dauernd provozieren lassen? Die laufenden Provokationen durch das Perverse gehören angenommen und beantwortet: mit allen Mitteln des möglichen Widerstandes. (…) zogen die Warmen (...) am Sonntag zum Domplatz, um die Gläubigen, die aus dem Dom traten, mit ihrem Anblick zu belästigen. Ähnliches tat in der Nazizeit die Hitlerjugend: Wer ‚Nazimethoden’ praktiziert, sollte mit ebensolchen konfrontiert werden! (…) Die Homosexuellen kriechen jetzt überall wie Ratten aus ihren Löchern und werden von Politikern und Kirchenleuten 'liebevoll' gefüttert (…) (Kurt Diemann's ORIENTIERUNG, in: „Der 13.“, 13. November 1997, S. 7-9). „Liberalismus ist der Grundfehler jeder Politik, die eigentlich gottlos ist“ (Bischof Kurt Krenn in der „Pressestunde“ vom 20. Juni 1999 in ORF 1). „Lasset die Abartigen, Perversen, Schwulen, Sodomisten und Kindervergewaltiger zu uns kommen. Nur herein damit, sodaß man sie sammelt und gemeinsam wie Ungezifer vertilgt“ ([email protected], elektronischer Leser_innen_kommentar, derStandard.at, 1. Juli 1999). „ich bin überhaupst dafür lesbische und schwule zu verbieten. Die sind ja alle hirnkrank und verbreiten nur aids“ (Autor : Hose_rauf, Subject: perverse, in: OÖN-online-Forum, 17. November 1999, 10:56). „Eigentlich ist es zum Weinen, daß sowas überhaupt Thema ist. Mir ist doch wirklich wurscht, ob der mit Männern oder Frauen rummacht. Und erpreßbar ist nur, wer sich erpressen lässt“ (Lucy, derStandard.at, 30. Juni 1999). 47 „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948). „Reisen will gelernt sein. Die Kunst des Aufenthalts in der Fremde wird selten im Vaterhaus erlernt – im Gegenteil, die Lehren des Vaterhauses führen im späteren Leben meist nur zum Biertisch. Und Muttersprache, Mutterlaut, wie wonnesam, so traut – jaja, doch welchen Preis sind Sie für diese Wonne zu zahlen bereit? Wer daheim bleibt, hat - mit etwas Glück - Bier und Wonne. Wer reist, erfährt - wiederum etwas Glück vorausgesetzt, denn mancher erfährt’s nie - zweierlei: Erstens, daß die Heimat eine Wirklichkeit ist, aber bei Gott nicht die Wirklichkeit; daß die Fremde in ihrer Weise genauso wirklich ist und von Menschen bewohnt, die ihrerseits glauben, ihre Wirklichkeit sei die Wirklichkeit. Und zweitens, damit eng zusammenhängend, daß erst von der Fremde her die eigene Wirklichkeit überhaupt erfaßbar wird. In einer Welt, in der alles blau ist, spekulierte der Sprachwissenschaftler Whorf einmal, kann sich niemand vorstellen, daß es Farben geben könnte. Um auch nur den Begriff der Farbe, geschweige denn eigentliche Farben zu erfassen, müßte man diese blaue Welt verlassen. Sie zu verlassen aber stellt den Reisenden vor eine Entscheidung, um die er nicht herumkommt. Entweder bringt er es fertig, der Wirklichkeit seines Ursprungs universale Gültigkeit zuzuschreiben und das Fremde dann notwendigerweise als falsch, lächerlich, dumm oder feindselig abzulehnen. Oder er begreift, daß seine Wirklichkeit eben nur eine von vielen möglichen ist und daß sie weder mehr noch weniger Anspruch darauf erheben kann, wirklicher als alle anderen zu sein. Der Unterschied zwischen diesen beiden Weltanschauungen reicht weit über unser Thema hinaus. Es gibt keine endgültige Regel dafür, wie man mit Messer und Gabel umzugehen hat; der Schöpfer unserer Welt hat uns nicht mitgeteilt, ob der Daumen oder der Zeigefinger die Zahl eins bedeuten soll; und ob das Neue oder das Alte höheren Wert besitzt, darüber läßt sich abstrakt in alle Ewigkeit streiten. Das ist das Problem: Die Entscheidung, die der Reisende zu treffen hat, ist die grundsätzliche Wahl zwischen einer Weltanschauung, die auf der ehrwürdigen Illusion von wahr und falsch beruht, und einer, die die furchterregende Möglichkeit des Andersseins erträgt. Furchterregend, weil sich mit ihr die feste Ordnung der Welt scheinbar zersetzt und auflöst und nur Skeptizismus und Nihilismus übrigbleiben. Aber wenn wir die „Wahrheit“ für uns selbst in Anspruch nehmen, werden wir das „Falsche“ bestenfalls verlächerlichen, schlimmstenfalls ausrotten. Wenn wir aber die Welt jenseits des Biertisches nicht mehr als falsch, sondern als anders begreifen, ergibt sich etwas Paradoxes. Es erweist sich dann, daß, von Trivialitäten abgesehen, das Anderssein nicht mehr ins Gewicht fällt, daß wir alle Geschwister sind oder, wenn Sie es vorziehen, Geschöpfe Gottes“ (Paul Watzlawick, Gebrauchsanweisung für Amerika. Epilog, 20. Aufl., Wien – München 1996). 48