Alle sind gleich – manche sind gleicher

Transcription

Alle sind gleich – manche sind gleicher
Alle sind gleich – manche sind gleicher
Sozialwissenschaftliche Argumente, Befunde und
Folgerungen zur Anti-/Diskriminierung auf Grund
sexueller Orientierung
© [email protected], www.econ.jku.at/Bartel, www.hosilinz.at
Eine Grundlagenstudie zu „Gleichstellungsgespräche“ der OÖ. Gebietskrankenkasse, Linz, 3. Mai 2010, Fassung vom 10. Mai 2010
Inhalt:
Eine kleine Chronologie der Sittlichkeit .......................................................................................... 1
1. Gleichheit, Gerechtigkeit und Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft ................................ 1
1.1. Formelle und faktische Gerechtigkeit in einer Leistungsgesellschaft .................................. 1
1.2. Heteronormativität und Homosexualität .............................................................................. 3
1.3. Lage noch ernst, aber nicht recht hoffnungsfroh............................................................... 10
2. Konsequenzen ......................................................................................................................... 23
2.1. Diversity – Anerkennung und Management ...................................................................... 23
2.2. Auf privater Ebene ............................................................................................................ 25
2.3. Auf öffentlicher, staatlicher Ebene .................................................................................... 29
3. Freiheit verpflichtet, Zukunft auch ............................................................................................ 32
Literatur........................................................................................................................................ 32
Anhang ........................................................................................................................................ 37
A1. Strafrechtsparagrafen einst und jetzt................................................................................. 37
A2. Studien über den Suizid lesBiSchwuler Menschen, insbesondere Jugendlicher ............... 38
A3. Eingetragene Partnerschaft in Österreich ......................................................................... 40
A.4 Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung ............................................. 44
A5. Erklärung der Sexuellen Menschenrechte......................................................................... 45
A6. Ein paar „Schmankerl“ als Nachlese ................................................................................. 46
Eine kleine Chronologie der Sittlichkeit
1787 hebt Österreich unter Joseph II als erstes Land der Welt die Todesstrafe für homosexuelle Kontakte auf und
ersetzt sie durch einen Monat Zwangsarbeit.
1789 erfolgt im Zug der Französischen Revolution die Entkriminalisierung von homosexuellen Handlungen erstmalig
in der Welt.1
1971 hebt Österreich unter Bundeskanzler Kreisky und Justizminister Broda das Totalverbot homosexueller Betätigung auf und führt dafür speziell einen Mindestalterparagrafen für Schwule ein, welcher Strafhaft von sechs Monaten
bis zu fünf Jahren vorsieht (§ 209 StGB). Im Maßnahmenvollzug werden manche solcher Sträflinge zeitlich unbegrenzt in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher untergebracht. Nach Verbüßung der Strafe wird den Betreffenden der Führerschein entzogen, da sie das Fahrzeug für einen erneuten Verstoß gegen den Mindestaltersparagrafen verwenden könnten.
2002 wird der § 209 StGB, der ein erhöhtes Mindestalter speziell für schwule Sexualkontakte vorgesehen hat, als
verfassungswidrig außer Kraft gesetzt,2 nicht ohne den zwar nicht formell, aber doch potenziell und faktisch diskriminierenden Tatbestand „Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ nahtlos anschließen zu lassen (§ 207b StGB).
2010 wird eine „Eingetragene Partnerschaft“ für gleichgeschlechtliche Paare als nicht gleichwertige Ausweichmöglichkeit für Homosexuelle geschaffen, da diesen die heterosexualisierte – staatliche – Ehe verschlossen bleibt.
1. Gleichheit, Gerechtigkeit und Ungleichheit in Wirtschaft und Gesellschaft
1.1. Formelle und faktische Gerechtigkeit in einer Leistungsgesellschaft
Die Ökonomie (Wirtschaftswissenschaft) hat einen speziellen Zugang zum
Thema Gerechtigkeit. Andere Real- und Sozialwissenschaften, normative und
politische Wissenschaften (wie auch die Ökonomie eine ist) verbinden den Begriff Gerechtigkeit mit dem Begriffsinhalt von Gleichheit.3 Die Ökonomie sieht
Ungleichheit der wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse grundsätzlich
als förderlich an:
•
als Anreiz zur Leistungsmaximierung,
•
als Ausdruck der Leistungsgerechtigkeit und
1
Graupner (2007).
2
http://www.menschenrechte.ac.at/docs/02_3/02_3_13.
3
Guger (2008).
1
•
als Vehikel zur wirtschaftlichen und sozialen Verbesserung für alle, auch
die Erbringer_innen von weniger Leistung („tricke-down economy“: der
Wohlstand sickert durch die Einkommens- und die Vermögenshierarchie
von der Spitze zur Basis und trägt so zur Gleichstellung bei – ohne sie
aber erreichen zu können und zu sollen).
Dabei wird gern „übersehen“, dass im erwünschten Leistungswettbewerb um
Wohlstand die Ausgangsbedingungen für die Wettbewerber_innen nicht gleich
sind.4 Mit der Fairness sind also auch die Wettbewerbsergebnisse in Zweifel zu
ziehen, was ihre Gerechtigkeit betrifft. Mit der scheinbaren Gleichbehandlung ist in der Tat eine verdeckte Ungleichbehandlung verbunden. Vielmehr müsse doch die Gleichheit in den Leistungsbedingungen hergestellt werden, um Fairness des Wettbewerbs und Gerechtigkeit seiner Ergebnisse sicherzustellen. Denn in einer Leistungsgesellschaft wie der unseren werden die
Menschen in erster Linie nach ihren Leistungen bewertet und geschätzt.
Typisch liberal wäre die Auffassung, wer eine starke Präferenz für eine bestimmte Art weiterer oder höherer Bildung als die Pflichtschule hat, kann sich
diese Humankapitalinvestition durch Entsparen (Kreditaufnahme oder Verkauf
von Vermögen) finanzieren. Diese Lösung setzt bloß einen perfekten Kreditmarkt und nicht zu hohe Informationskosten sowie eine bestimmte Risikobereitschaft voraus („yes, you can“ statt „yes, we can“). Der vollkommene Markt ist
notwendige und hinreichende Bedingung für Gerechtigkeit und ebenso
als Schutz gegen Machtfülle und Willkür.5 Wettbewerbspolitik ist also theoretisch das Non plus ultra.6 Jene Menschen, die keine Präferenz für Bildung und
Wettbewerb um Einkommen und Vermögen haben, sind dann der Nächstenliebe überantwortet: der individuellen oder kollektiven, privaten oder staatlichen.
Auf diese Weise werden Abhängigkeiten geschaffen (Beten und Speisen bei
der Heilsarmee u. v. a. m.). Soziale Normenkongruenz bzw. Normerfüllung entscheidet oft über die Hilfegewährung. Dies kann so weit gehen, dass die sozialen Normen derart internalisiert sind, dass in einer Leistungsgesellschaft ein
großer Teil der potenziell Hilfe Empfangenden weder um Unterstützung bittet
noch Ansprüche geltend macht (niedrige „take-up rate“).
Immerhin: Es könnte sein, dass die Nichtbildungs- und Nichtaufstiegsentscheidungen je nach faktischer Bedingungskonstellation nicht wirklich freiwillig, nur
scheinbar freiwillig gewesen sind.7 Formale Gleichbehandlung kann also unge4
Vergleichbar ist diese Situation mit einem Wettlauf in einem Stadion, bei dem die Innen- und die Außenbahnläufer_innen von derselben Startlinie weglaufen und dieselbe Ziellinie überqueren. Daher laufen die einen weiter
und die anderen weniger weit, werden aber mit derselben Uhr gemessen. Siehe dazu auch Bartel (2007).
5
Booth (2009).
6
„Auch Unternehmen mit öffentlichem Hintergrund seien marktwirtschaftlich zu führen, meint die IV OÖ (Industriellenvereinigung Oberösterreich; Anm.) und fordert den Rückzug von Politikern aus den Aufsichtsräten“, in: iv
positionen (8), 2 (2008), S. 10.
7
„Die Entwicklung der Produktivkräfte hat enorme Fortschritte gemacht. Es werden jährlich enorme Vermögenswerte geschaffen, die aber von immer weniger Personen produziert und auf immer weniger Personen verteilt
werden. Dieser Prozess wird durch Globalisierung und durch 'qualifikationsgebundene' technische Neuerungen
2
recht sein. Nur die tatsächliche Herstellung von Gleichheit durch Chancengleichheit ist folglich gerecht.
a) Sind zunächst die Chancen unterschiedlich, ist positive Diskriminierung
die logische Folge.
b) Sind die ursprünglichen Chancen nicht annähernd anzugleichen, sind die
sozialen Zustände im Sinn einer Ergebnisgerechtigkeit auszugleichen.
Was wir denen zugestehen, die sich selbst mit unserer Hilfe nicht selbst
helfen können, ist eine ethische und kulturelle Frage.
Dazu kann die Ökonomie nichts Genaues sagen. Sie verweist meist nur auf
Grenzen der Umverteilung, nämlich wenn der Wohlfahrtsgewinn der Sozialempfänger_innen nicht so groß ausfällt wie der Wohlfahrtsverlust der Sozialleistungsfinanciers (Hicks/Kaldor-Kompensationskriterium).8
1.2. Heteronormativität und Homosexualität
In unserer Gesellschaft ist Heterosexualität die Norm. Wir sprechen von Heteronormativität.9
•
Nicht nur dass diese Norm an der offenbaren Mehrheit sexueller Verhaltensweisen festgemacht ist.
•
Die Norm beinhaltet auch die diskursive Botschaft des so sein Sollens
oder Müssens, sie scheidet das Sagbare vom Unsagbaren, das Mögliche
vom Unmöglichen.10 Denn mit der Normerfüllung doch auch gesellschaftliche Wertschätzung, Integration und soziale Sicherheit verbunden, ins-
noch verstärkt. Für die einen bedeutet diese Entwicklung verbesserte Beschäftigungs- und Verdienstchancen,
für andere aber Lohndumping und Arbeitslosigkeit. (…) Das zentrale wirtschaftspolitische Problem besteht daher heute nicht in der Produktion, sondern in der Verteilung der Einkommen und Vermögen“ (Guger 2005, S.
23, 24).
8
Zum Wohlfahrtsbegriff siehe unten. Pommerehne (1987).
9
Bartel u. a. (2008), vgl. darin v. a. Ziegler (2008), S. 13 ff.
10
„Der Mensch kann in der natürlichen Welt nicht leben; er macht sie sich mit seinen Konstruktionen bewohnbar.
Diese menschliche Leistung gründet auf den Diskursen, die uns mit ihren Darstellungen nahe legen, wie die
Welt der Dinge ‚wirklich’ ist, wie wir sie wahrzunehmen und zu denken haben. Die Überzeugungskraft und
Macht der Diskurse beruht auf drei Prinzipien (Foucault 1974): Diskurse arbeiten mit Prozeduren der Ausschließung und des Verbotes – wir hätten nicht das Recht, bei jeder Gelegenheit alles zu sagen. Sie arbeiten zweitens mit dem Prinzip der Grenzziehung und Verwerfung – es gäbe vernünftige und wahnsinnige Redeweisen;
was die ‚Verrückten’ uns zu sagen hätten, sei ohne Bedeutung. Und drittens vermitteln uns die Diskurse Vorstellungen darüber, was falsch und was richtig ist, oder vielleicht genauer: was wir als wahr betrachten wollen und
welche institutionelle Macht uns verbürgt, dass eine Wahrheit die höchste ist“ (Ziegler 2008, S. 17).
Als Diskurse werden sprachliche Muster und Stehsätze, Aphorismen und Floskeln bezeichnet, die vereinfacht
eine normative inhaltliche Botschaft gestalten und transportieren, ohne sie überzeugend zu begründen. Ihre
Überzeugungskraft liegt im Wiederholen und imitiert Werden, im Ausgesprochen werden durch Meinungsbildner_innen und im internalisiert Werden durch die Rezeptor_inn_en.
3
gesamt so etwas wie Wohlergehen und Lebenszufriedenheit, gesamthaft
Wohlfahrt genannt.
Soziale Wohlfahrt bedeutet hier das umfassende Wohlergehen der Bevölkerung. Es setzt sich zusammen aus
•
der Summe der jeweils individuellen Wohlfahrt und
•
den Annehmlichkeiten von so genannten Gemeinschaftsgütern wie etwa
eine ausgewogene Verteilung der individuellen Wohlfahrt. Von solcherart
Verteilungsgerechtigkeit erhalten wir – als Motivation und Belohnung für
das walten Lassen von Gerechtigkeit –
o das gute Gefühl, Gerechtigkeit walten zu lassen („the good feeling
of doing it“),
o die Erwartung, für die Normerfüllung geschätzt zu werden („ÜberIch-Zufriedenheit“), und
o die Hoffnung, vielleicht in anderer Hinsicht, in der wir von dem Gerechtigkeitswalten anderer abhängig sind, einmal ebenso verständig, fair und letztlich gerecht behandelt zu werden („erhoffte Reziprozität).11
Nichtsdestotrotz ist der jeweils individuelle Wohlfahrtsverlust, der durch ein
nicht sein und nicht tun Dürfen eintritt, nicht zu übersehen. Das begründet
im Zusammenwirken mit der aus Normkonformität entstehenden individuellen
Wohlfahrt den Verhaltenskonflikt jener Menschen, die außerhalb der gesellschaftlich definierten Norm liegen.
Wohlfahrt ist nicht nachzuempfinden (wir sprechen von der Unmöglichkeit
interpersoneller Nutzenvergleiche). Was jemand als Wohlfahrt empfindet, kann
nur er oder sie wissen, nicht andere, und kann er oder sie anderen nicht oder
für ökonomisch rationale Unverteilungsentscheidungen nicht hinreichend genau) mitteilen.
Individuelle Wohlfahrt ist nicht nur bei jenen unvergleichbar, die vom Geben
profitiert, sondern auch bei denen, die aus dem Bekommen Nutzen ziehen können. Folglich sei jegliche Wohlfahrtspolitik (privater oder staatlicher Natur) auf
die Bedürfnisse und Empfindungen der Zielpersonen abzustellen: keine
„wohlwollende Diktatur“!12.
Das begründende für eine Person ist die Ich-Empfindung, für eine Persönlichkeit sind es Selbst- und Fremdachtung. Diese sollten sich gegenseitig stärken.
Dabei hängt die Fremdachtung ebenso wie auch die Selbstachtung zumindest teilweise von der Normerfüllung ab.
11
Simon (1993).
12
Nowotny (1996), Kapitel 2.
4
Eine Person wird in der Gesellschaft zur Persönlichkeit, wo sie sozialisiert und
enkulturiert wird. Eine gesellschaftlich integrierte Person besitzt die Voraussetzung fürs Glücklichsein und die Bereitschaft zur Normerfüllung, aber auch zur
gemeinschaftlichen Weiterentwicklung der Normen. Soziale Wohlfahrt hängt
deshalb letztlich von den Möglichkeiten ab zu entscheiden und etwas zu erreichen und somit von Freiheit als Möglichkeit, zu sein und zu handeln.13 Befähigung oder Hilfe zur Selbstbefähigung ist die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Konsequenz daraus.
Doch mit einem Mal, meist an der Schwelle zum Sexualleben, wird für diese
unsere beispielhafte Person ein Umstand, der bisher relativ oder absolut belanglos war, zum zentralen eigenen Belang: die spezielle sexuelle Orientierung – homosexuelle Orientierung – in ihrer Gegensätzlichkeit zur Heteronorm.
a) Der Wunsch nach Normerfüllung in der heteronormativen Gesellschaft
erweist sich nicht nur als schwer bis gar nicht erfüllbar.
b) Die Nichterfüllung der heteronormativen Anforderungen der Gesellschaft
an diese Person beeinträchtigt die Selbst- und Fremdachtung.14
c) Die Person droht, ohne ihr Zutun, aus der Mitte der Gesellschaft an deren Rand oder aus der Gesellschaft hinaus gestellt zu werden: „soziale
Exklusion“.
Was fehlt, um die Selbst- und Fremdachtung zu behaupten, sind sowohl objektive Informationen als auch neutrale Beurteilungen und breit akzeptierte
Vorbilder: Menschen, die trotz ihrer Nicht-Heterosexualität ihren Platz in der
Gesellschaft eingenommen und behalten haben.15
13
“People are the real wealth of nations. Indeed, the basic purpose of development is to enlarge human freedoms.
The process of development can expand human capabilities by expanding the choices that people have to live
full and creative lives. And people are both the beneficiaries of such development and the agents of the progress and change that bring it about. This process must benefit all individuals equitably and build on the participation of each of them. This approach to development – human development – has been advocated by every
Human Development Report since the first in 1990“ (UNDP 2004, p. 127).
14
„In der so schweren, bewegten und erlebnisreichen Phase der Pubertät lebte ich noch immer unter dem Druck
eines Minderwertigkeitsgefühls, des stärksten und dauerhaftesten Gefühls, unter dem ich seit meiner Kindheit
gelitten und das ich erst allmählich, gleichsam stufenweise verloren habe – des Gefühls, hässlich zu sein. (…)
Leicht ironische Bemerkungen, die die Eltern fast achtlos hinwarfen, dürften in mir die ersten Zweifel an mir
selbst hervorgerufen haben. Wie absolute Herrscher, die unbedacht Lob und Tadel ausstreuen können, ohne je
irgendwelche Folgen befürchten zu müssen, so sprechen Eltern gewöhnlich Werturteile jeder Art über Kinder
aus, oft in deren Gegenwart, ohne zu ahnen, wie schwer ihre törichten, halbernsten, spöttelnden Worte das
kindliche Gemüt belasten können“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien
1974, S. 70 f.). Jeder und jede Homosexuelle bleibt in dieser Hinsicht so lange Kind, solange er oder sie nicht
sich selbst angenommen hat.
15
Früher waren Schwule als gruselige Monster gern verwertet worden (z. B. in „Anders als die anderen“). Heute
gibt es überwiegend den (eitlen, tuntigen, naiven, lächerlichen oder erbarmungswürdigen, Mitleid haschenden,
die Toleranz testenden) Quotenschwulen in jeder zweiten Soap Opera. Immerhin stellt Treiblmayr (2008) eine
starke Normalisierung der Schwulendarstellung zumindest im Kunst-, aber auch Unterhaltungskino fest. Doch,
ob, wie er meint, die Krise des Männerbilds im späten 20. Jahrhundert zur nachhaltigen und sinnvollen Änderung der Männlichkeit führt, steht zu bezweifeln.
5
Der Platz in der Gesellschaft wird durch mehrerlei bestimmt:
a) dieselben faktischen Zugangschancen zu
o Institutionen des Erwerbs- und Konsumlebens (Beschäftigung,
Arbeitsplatzzufriedenheit, Wahrnehmung von Konsumangeboten),
o Institutionen geselligen Privatlebens in Form allgemeiner sozialer
Netze (Vereinigungen aller Art, etwa von Bürger_inneninitiativen
bis Diskussionsforen u. dgl.),
o Institutionen des öffentlichen Lebens (freies und gleiches aktives
und passives Wahlrecht, Ehe und Eingetragene Partner_innen_schaft, Ehrenbürger_innen_schaften und Ehrungen u. dgl.),
b) dieselben formellen und inhaltlichen Maßstäbe zur Beurteilung
o der Leistung auf dem Markt (Einkommensgerechtigkeit: gleicher
Lohn für gleiche Arbeit),
o der Persönlichkeit in sozialen Netzwerken (fairer Umgang unabhängig von höchst persönlichen Merkmalen),
o der grundsätzlichen, allgemeinen Akzeptanz16 (z. B. die Anerkennung nicht einer bestimmten Sexualität, sondern der freien Wahl
sexuellen Verhaltens, sofern weder Gewalt gegenüber den Partner_innen noch gegenüber Dritten im Spiel ist), und schließlich
o zur Beurteilung dessen, was einem Individuum oder Mitglied einer
sozialen Gruppe als legitime Ansprüche an die Gesellschaft zugestanden werden (staatliche Vergünstigungen in jeweils einer bestimmten Hinsicht wie v. a. soziale Sicherung).
Homosexualität ist insofern natürlich, als sie in der Natur vorkommt. Das
Vorkommen ist über menschliche Kulturen sehr gleichmäßig verteilt. Die gleichgeschlechtliche Neigung ist nicht vererblich und weder erlernbar noch verlernbar. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird männliche Homosexualität in der embryonalen Entwicklung festgelegt, indem das von den
Jedenfalls zeichnen sich erste, sporadische Erfolge eines „Marsches durch die Institutionen“ ab, etwa in Gestalt
der norwegischen Ministerpräsidentin, des deutsche Bundesaußenministers, der Oberbürgermeister von Berlin,
Hamburg und Paris, von Günter Tolar als ehemaliges Mitglied des SPÖ-Bundesparteiausschusses oder von Ulrike Lunacek als der Fraktions-Ko-Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei.
Lesben und Schwule kommen auch immer weniger im Zusammenhang mit Skandalen in die Schlagzeilen, sie
werden aber als positive Integrationsfiguren (noch) nicht annäherungsweise hinreichend präsentiert.
16
“If life is seen as a set of ’doings and beings’ that are valuable, the exercise of assessing the quality of life takes
the form of evaluating these functionings and the capability to function” (Sen 1989, p. 44). Dieser Ansatz – der
“capability approach” des Ökonomie-Nobelpreisträgers Amartya Sen – zeigt natürlich auch die Gefahr auf, dass
Sein und Tun bestimmter Menschen von anderen nicht geschätzt und nicht akzeptiert, sondern abgelehnt, behindert oder verboten werden.
6
Chromosomen her vorerst weiblich angelegte Gehirn den Wandel zu einem
männlichen mehr oder weniger weit vollzieht; weibliche Homosexualität ist in
ihrer Entstehung noch nicht überzeugend erforscht (Pfau 2010).17
•
Die UNO-Weltgesundheitsorganisation WHO hat Homosexualität 1993
aus dem internationalen Katalog der seelischen Krankheiten gestrichen.
•
Die Vereinigung US-amerikanischer PsychologInnen empfiehlt, Homosexualität nicht zu therapieren.
•
Die Ärztekammer Oberösterreich kooperiert mit der Homosexuellen Initiative Linz (HOSI Linz) bei der Verbreitung hilfreicher Informationen. Man
weiß eben um die Nichttherapierbarkeit sexueller Orientierung und die
Notwendigkeit der Hilfestellung zur Selbstbefähigung (“self-empowerment“) homosexueller Menschen in der Gesellschaft.
Weder die „Verführungstheorie“ noch die „Heilungstheorie“ von Homosexualität ist also fundiert haltbar. Die Bezeichnung als abweichendes („deviantes“) Verhalten kann seriös nur in der Hinsicht interpretiert werden, dass ein
Unterschied zum Sexualverhalten der Bevölkerungsmehrheit besteht. Doch
selbst gegen die Darstellung als Abwegigkeit gibt es drei gewichtige, grundlegende Einwendungen.
a) Wir können und sollten überlegen, inwieweit die Durchsetzung der Bevölkerungen mit homosexuellen Menschen Vorteile für die Gesellschaft bringt:
etwa als alternatives Modell zur patriarchalischen Organisation der Familie und der darauf fußenden hierarchischen Gliederung der Gesellschaft
nach dem biologischen Geschlecht. Nach Kate Millett ist die Familie die
effektivste Organisation des Patriarchats im Großteil der Gesellschaft
und der Ursprung des sozialen Geschlechts.18 Alternativen dazu bieten
17
Homosexualität kann naturrechtlich nicht als unzweckmäßig, unerwünscht, eindämmens- oder bekämpfenswert
oder Ähnliches konstatiert werden. Pechriggl (2008) zeigt aus philosophischer Perspektive das diesbezügliche
erkenntnistheoretische und legitimatorische Manko auf, das sowohl bei naturrechtlichen wie bei psychologischen Argumentationsbestrebungen für die Heteronorm und in der Folge für die Heteronormativität entsteht. Sie
plädiert für eine demokratische Normsetzung, welche die persönliche Autonomie achten und die politische Partizipationsmöglichkeit gewährleisten. Echte Demokratie ist eben mehr als ein Abstimmungsmechanismus. Denn:
„Es gibt Grenzen der politischen Disponibilität. (…) Es gibt Bereiche, über die keine wie immer geartete Mehrheit demokratisch entscheiden kann“ (Gärtner 2010, S. 4).
Auch sollte direkte Demokratie keinen Fluchtweg aus der indirekt demokratischen, staats“männischen“ bieten:
„Wer (allgemein: etwas; im Original: ein Erstaufnahmezentrum) in seinem Wirkungsbereich nicht haben möchte,
sich aber nicht getraut, das so deutlich zu sagen, fordert eine scheinbar unangreifbare direktdemokratische Entscheidung. Dann kann man sich eben darauf hinausreden, dass das ‚Volk’ entschieden habe, und das müsse
man so zur Kenntnis nehmen: Der gesunde Hausverstand könne nicht irren“ (Gärtner, 2010, S. 4).
18
„Die Hauptinstitution des Patriarchats ist die (heterosexuelle; Anm. RB) Familie. Sie ist sowohl ein Spiegel als
auch die Verbindung mit der Gesellschaft im großen und ganzen; sie ist eine patriarchalische Einheit innerhalb
eines patriarchalischen Ganzen. Die Familie stellt die Verbindung zwischen dem einzelnen Menschen und der
Sozialstruktur dar und übt Kontrolle und Druck zur Anpassung aus, wo politische und anderweitige Autoritäten
7
offenbar Vorteile und sind deshalb zu beachten und ernsthaft zu erwägen.19
b) Homosexualität ist ein so breit gefächertes Phänomen und deshalb
ein so schwammiger Begriffsinhalt, dass die – bisweilen sehr emotional und untergriffig geführte – gesellschaftliche Debatte über sie weit
überzogen scheint. Wer ist denn nun homosexuell? Schon jemand, der
oder die einmal ein Petting mit einer Person gleichen Geschlechts vollzogen hat? Eine Person, die mit Partner_innen einmal des gleichen und
einmal des anderen Geschlechts Verkehr hat? Oder jemand, der oder
die Sexualkontakte ausschließlich zum eigenen Geschlecht hat?
c) Sexualität ist ein Menschenrecht; d. h., der Mensch besitzt nach herrschender Rechtsphilosophie und Grundrechtsauslegung ein besonders
zu schützendes Recht auf ein – sein – Privatleben und seine Sexualität.
Seit 1994 wird vom UNO-Ausschuss für Menschenrechte der gleiche Anspruch auf die verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied nach dem Geschlecht umfassend interpretiert, und zwar auch
im Hinblick auf die geschlechtliche Orientierung. Diskriminierung auf
Grund sexueller Orientierung wird als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention angesehen.
Schon 1981 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) festgehalten, ungleiches Mindestalter je nach sexueller Orientierung verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. 1997
schloss sich die Europäische Kommission dieser Auffassung an.
Totalverbote homosexueller Kontakte sowie Sonderaltersgrenzen, Ehe-,
Elternschafts- und Versammlungsverbote für Homosexuelle widersprechen allesamt der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8, 11,
12, 14). Der EGMR präzisiert:
o „zentraler Gedanke der Menschenrechte ist der Respekt vor
der menschlichen Würde und Freiheit,
sich als zu schwach erweisen. Grundeinheit der patriarchalischen Gesellschaft und als deren fundamentales Instrument ist die Familie und ihre Rolle prototypisch“ (Millett 1970/1985, S. 49).
19
„(…) ein am 9. April von 21 deutschen Grün-Politikern veröffentlichtes ‚Männermanifest’. Unter dem Titel ‚Nicht
länger Machos sein müssen’ setzten die Männer dort an, wo es nicht wenigen Geschlechtsgenossen die Nackenhaare aufstellt, bei dem Begriff ‚Gender’, respektive bei dem ‚sozialen Geschlecht’. Denn wenn das biologische mit dem sozialen Geschlecht nicht harmoniert, bekommen auch Männer Ärger. Nicht selten wird ein Ausscheren aus traditionellem männlichem Verhalten mit symbolischer Kastration quittiert, etwa, wenn sie nicht die
Besserverdienenden in der heterosexuellen Beziehung sind, sich in die Babypause verabschieden oder schwul
und ‚trotzdem’ Fußballspieler sind. ‚Wir brauchen ein neues Bewusstsein für eine neue Männlichkeit. Wir als
männliche Feministen sagen: Männer gebt die Macht ab! – es lohnt sich’, heißt es im Manifest“, in: dieStandard.at, 21.4.2010, 07:00 MESZ.
8
o die Anerkennung der persönlichen Autonomie ist ein bedeutendes Auslegungsprinzip in der Anwendung des Rechts auf
Achtung des Privatlebens.
o Sexualität und Sexualleben gehören zum Kernbereich des
Grundrechts auf Schutz des Privatlebens. Staatliche Regulierung sexuellen Verhaltens greift in dieses Recht ein; und solche Eingriffe sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie nachweislich notwendig sind, um von anderen Schaden abzuwenden
(dringendes soziales Bedürfnis, Verhältnismäßigkeit).
o Ansichten und Werthaltungen einer Mehrheit können Eingriffe
in das Recht auf Privatleben (wie auch in andere Grundrechte)
jedenfalls nicht rechtfertigen. “20
o Demnach besitzen Menschen obendrein „positive Rechte auf
(aktiven) Schutz dieser Rechte, gegenüber dem Staat wie auch
gegenüber anderen Individuen. (…)
o Daraus abzuleiten ist die „Verpflichtung des Staates zu aktivem
Tätigwerden bei Beeinträchtigung des Rechts auf freie Entfaltung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und auf Aufnahme und Führung zwischenmenschlicher Beziehungen.“21
o Opfer legistischer Willkür, die verurteilt und bestraft wurden,
sind zu rehabilitieren und zu entschädigen.22
Seit 1. Dezember 2009, mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon
(2007), ist die Grundrechtecharta der EU (Nizza 2000) im EU-Primärrecht integriert und rechtsverbindlich. In Art. 21 der Grundrechtecharta
heißt es: „(1) Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts,
der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der
genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit
zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten.“23
20
Graupner (2007), S. 6.
21
Graupner (2007), S. 8.
Zudem haben Lesben und Schwule sozialphilosophisch nicht die Pflicht zur Zeugung von Leben, weil sie für die
Maximierung der Wohlfahrt künftiger Generationen ethisch nicht verantwortlich zu machen und aus diesem
Grund legistisch nicht zu diskriminieren sind (Seel 1995). Noch dazu zeugt das Nichteingehen einer heterosexuellen Ehe durch Homosexuelle von Verantwortungsbewusstsein. Hingegen werden adoptionswillige Lesbenund Schwulenpaare von der Realisierung ihres Wunsches in unhaltbarer Weise judikativ ausgeschlossen. Und
vielleicht sind Homosexuelle auch ein natürliches Korrektiv zur Überbevölkerung.
22
Graupner (2007), S. 10.
23
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (27.4.2010). Trotzdem besteht das Erfordernis zum Einklagen jeder einzelnen Diskriminierung: vgl. Punkt 1.3. e).
9
1.3. Lage noch ernst, aber nicht recht hoffnungsfroh
Trotz der Schwammigkeit und der Problemlosigkeit von Homosexualität an sich
– und, nüchtern betrachtet, der Irrelevanz gesellschaftlicher Debatten darüber –
macht die heutige Gesellschaft immer noch die einvernehmliche sexuelle Beziehung zweier Menschen gleichen Geschlechts – eine höchst private und
intime Angelegenheit also – zum alleinigen Angriffspunkt für deren gesellschaftliche Deplatzierung nach den zuvor ausgeführten Kriterien, und
zwar trotz einschlägiger Grundrechtsnormen:
a) Bei der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, UNO-Resolution
217 A (III) vom 10.12.1948, war sexuelle Orientierung noch keine explizit schutzwürdige Kategorie gewesen.24
b) Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung ist auf Initiative der EU
in Beruf und Beschäftigung verboten. Doch indirekte (verdeckte) Diskriminierung durch Arbeitsnachfrager_innen und Vorgesetzte ist
vorhanden. Die Durchsetzung der Rechte scheitert immer wieder
o an der mangelnden Beweisbarkeit (Beweislast bei den Kläger_inne_n),
o an der fehlenden Bereitschaft, der Diskriminierten, sich der
„Schande“ und emotionalen Belastung einer Prozesses und einer
(Weiter-)Beschäftigung auszusetzen, und
o an dem relativ niedrigen (dem niedrigsten) Schutzniveau von Homosexuellen im Vergleich zu anderen diskriminierten Gruppen.
c) Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung ist beim Zugang
zu marktwirtschaftlichen Dienstleistungen von der EU – noch – nicht
verboten worden. Die neue, umfassendere Antidiskriminierungsrichtlinie
(beschlossen durch das Europäische Parlament am 2. April 2009) ist erst
in Umsetzung.25 Ausländer_innen dürfen z. B. nicht von einer Anmietung
ausgeschlossen, nicht aus Diskos geworfen werden, Lesben und Schwule nach wie vor aber sehr wohl.
d) Die Europäische Union ist dem Verlauten nach eine Wertegemeinschaft.
In ihr ist grundsätzlich, primär- und grundrechtlich eine ganze Reihe
24
„Artikel 2. Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen
Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“ www.wienerzeitung.at/
DesktopDefault.aspx?TabID=4383&Alias=dossiers&cob=195993 (26.4.2010).
25 „Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der
Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung“ (COM (2008) 426), vgl. unter
http://ec.europa.eu/prelex/detail_dossier_real.cfm?CL=de&DosId=197196 (27.4.2010).
10
von Diskriminierungstatbeständen verboten, so auch die Diskriminierung auf Grund (homo-)sexueller Orientierung. Doch
o verbleibt noch ein nationaler Freiraum in Nicht-Unionsangelegenheiten, wohlgemerkt etwa in der Sozial- und Gesellschaftspolitik
oder auf Grund von Kontroll- und Vollziehungsdefiziten26, und, darauf aufbauend,
o hält sich dadurch eine Legaldiskriminierung durch den Staat
selbst,27 mit der er v. a. signalisiert, dass gesetzliche Benachteiligungen von Homosexuellen auf der Grundlage einer vermeintlich
oder vorgeblich gerechtfertigten Diskriminierung zulässig seien.
e) Im Allgemeinen sind Grundrechte keine unmittelbaren Ansprüche auf
konkrete Rechtsfolgen, sondern müssen im Instanzenzug bis zur
obersten gerichtlichen Instanz durchgefochten werden. Damit sind all die
Unwägbarkeiten und Hindernisse verbunden, die sich
o aus den Verteidigungsbemühungen der immerhin zum Establishment zählenden Vertreter_innen so genannter sachlicher Diskriminierung ebenso ergeben wie
o aus der weltanschaulichen Eingenommenheit von Richter_innen
und deren Sachverständigen, die im diskretionären Entschei26
Einen Überblick über die rechtliche Lage der Homosexuellen in den europäischen Ländern geben Bauer u. a.
(2009) sowie (laufend aktualisiert) das Rechtskomitee Lambda (www.rklambda.at/Rechtsvergleich/index.htm,
29.4.2010). Falkner u. a. (2005) zeigten erhebliche Umsetzungsdefizite in der Europäischen Union auf, die auch
im Bereich der EU-Kommission selbst angesiedelt sind. Allerdings muss anerkannt werden, dass 2010 die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft für homosexuelle Paare wohl nur auf den zunehmenden Druck seitens
der EU-Kommission erfolgte.
27
„RKL-Präsident Dr. Helmut Graupner war zum dritten Mal als Sachverständiger vor den deutschen Bundestag
geladen. In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses ging es diesmal am 21. April 2010 um die Erweiterung des Grundgesetzes um die Schutzkategorie "sexuelle Identität". 4 der 9 gehörten ExpertInnen unterstützten die vorgeschlagene Verfassungsänderung. Sie verwiesen insbesondere darauf, dass homo- und bisexuelle
Frauen und Männer die letzte verbliebene Hauptzielgruppe der NS-Gewaltherrschaft ist, die vom Grundgesetz
nicht ausdrücklich geschützt wird. Ganz im Gegensatz zur Grundrechte-Charta der Europäischen Union und zu
den Verfassungen zahlreicher anderer Staaten in Europa und außerhalb Europas. Die anderen 5 Sachverständigen sprachen sich gegen die Erweiterung des Grundgesetzes aus und äußerten die Befürchtung, sie könnte
zur Aufhebung des Ehe- und Adoptionsverbotes für gleichgeschlechtliche Paare führen sowie zur Legalisierung
von pädophilen Kontakten mit Kindern und der Polygamie. Auch eine Gefährdung der Integration von Muslimen
wurde ins Treffen geführt. Bei Einbürgerung, so die Argumentation, müssten sich Ausländer zum Grundgesetz
bekennen, und das würde gläubigen Muslimen viel schwerer fallen, wenn dieses Grundgesetz auch Homosexuelle ausdrücklich vor Diskriminierung schützt. Alle drei weiblichen Sachverständigen sprachen sich für die Verfassungsergänzung aus. Von den sechs männlichen Sachverständigen tat dies nur einer. Dr. Graupner war der
einzige von außerhalb Deutschlands geladene Sachverständige. Die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen
und
demnächst
das
Protokoll
der
Anhörung
finden
sich
auf
www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a06/anhoerungen/01_Aenderung_Grundgesetz/index.html/. Das
1991 gegründete Rechtskomitee LAMBDA (RKL) arbeitet überparteilich und überkonfessionell für die umfassende Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte gleichgeschlechtlich l(i)ebender Frauen und Männer“
(www.RKLambda.at).
11
dungsfreiraum unbestimmter Gesetzesbegriffe und wenig fundierter Gesetzesauslegungen konservativ verzerrt urteilen.
f) Wohl kaum eine private Angelegenheit wird von der Gesellschaft so
übergriffig und abwertend, diskriminierend und ambivalent, ja
scheinheilig behandelt wie Prostitution und Homosexualität.
o In hypothetischen Befragungssituationen ergibt sich zwar eine
Aufgeschlossenheit gegenüber und Akzeptanz von Homosexualität und sogar Mehrheiten für eine vollständige Antidiskriminierung
hinsichtlich sexueller Orientierung.28
o In so mancher konkreten Konfrontation mit Homosexuellen hingegen, v. a. in beruflichen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen gibt es diesbezüglich noch immer (meist stillschweigend, aber effektiv) Probleme.
g) In gesellschaftlichen Debatten wird insbesondere männliche Homosexualität mit Kriminalität, speziell sexuellem Missbrauch, wie selbstverständlich in Zusammenhang gesetzt.
Indirekte Diskriminierung gibt es auf Seiten der Exekutive und Judikative.
„Bei der Anwendung der Strafrechtsbestimmung ‚Sexueller Missbrauch
von Jugendlichen’ (§ 207b StGB, dem Nachfolgeparagrafen der strafrechtlichen Mindestaltersbestimmung 209 StGB für einvernehmliche
schwule Sexualität mit Jugendlichen29) genügt etwa eine Einladung zum
Abendessen, um Entgeltlichkeit anzunehmen und Straffälligkeit herbeizuführen. Dabei richten sich die Anzeigen weit überwiegend und die Verurteilungen nahezu ausschließlich gegen Schwule, obwohl der Tatbestand
neutral in Bezug auf Geschlecht und sexuelle Orientierung formuliert
ist.“30 Das kritisierte selbst das Europäische Parlament schon im Jahr
nach der Einführung des § 207b StGB.31
28
2003 waren in der EU-15 57Prozent der 15.074 Befragten für eine rechtliche Verankerung homosexueller Partner_innen_schaften und 47 Prozent für die Genehmigung der Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare
(Quelle: www.pride.at).
29
Wortlaut von § 209 und § 207b StGB siehe Anhang A.1.
„Noch lange nach der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof hat das Oberlandesgericht Wien das berüchtigte anti-homosexuelle Sonderstrafgesetz § 209 Strafgesetzbuch (StGB) als moralisch einsehbar gerechtfertigt (OLG Wien 13.06.2006, 20 Bs 155/06z). Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat nun das Verfahren gegen Österreich eingeleitet (E.B. vs. Austria III, 27783/ 09). In dem konkreten Fall ging es um die Frage,
ob Verurteilungen nach § 209 bei der Strafbemessung als Erschwerungsgrund herangezogen werden dürfen.
Das Oberlandesgericht bejahte das, weil es § 209 ‚nicht an allgemeiner moralischer Einsehbarkeit, sondern
bloß an Gleichbehandlungskriterien gemangelt hat’. (…) Der Europäische Menschenrechtgerichtshof hat Österreich in der Folge wegen der auf § 209 gegründeten strafrechtlichen Verfolgung homosexueller Männer wiederholt verurteilt. Insgesamt musste die Republik über eine halbe Million Euro Schadenersatzzahlungen leisten“
(Aussendung Rechtskomitee Lambda, www.rklambda.at/News/index.htm, 23. 9. 2009).
30
Bartel (2009), S. 2.
12
h) Besonders in den Nachfolgestaaten der COMECON-Mitglieder, wo auch
das Christentum lange Zeit durch den Real existierenden Sozialismus
unterdrückt worden war, existieren und florieren nun einflussreiche fundamentalistisch-christliche Gruppierungen, die gegenüber Lesben und
Schwulen weder Toleranz über noch Verständnis zeigen. Vielmehr machen sie aus homosexuellen Subjekten gesellschaftliche „Abjekte“:
Ausgestoßene, die staatlich und gar privat zu verfolgen, gerechtfertigt sei
(unter stillschweigender Duldung von Politik und Exekutive).
Die Auswüchse kulminieren in selbst ernannten Mordkommandos im
Namen der Moral im Irak oder in Uganda, demnächst wahrscheinlich
auch in Kenia, oder offiziellen und öffentlichen Hinrichtungen im Iran.
i) Einerseits geht im katholischen, aber sozialdemokratischen Spanien die
Gleichstellung homo- und heterosexueller Menschen besonders weit und
anerkennt die römisch-katholische Amtskirche Homosexualität als eine
angeborene Neigung.
Andererseits fordern Glaubenskongregation und Papst dennoch absolute
Keuschheit bei homosexueller Orientierung und dringen illegitim mit ihrem Einfluss auf die weltliche Politik weit auf das Gebiet insbesondere
der öffentlichen religiösen Erziehung und der staatlichen Ehe vor. Der
gegenwärtige Papst führt einen Kampf für den religiösen Absolutismus
und gegen wissenschaftlichen Relativismus – bei aller (privater!) Religionsfreiheit eigentlich ein Anschlag auf sachlich fundierte demokratische
Entscheidungsfindung in einer rationalen weltlichen Gesellschaft.32
j) Die durch kirchlich-religiös mit gefärbte Sozialisation und Enkulturation
bedingten Umgangsprobleme mit dem zutiefst menschlichen Phänomen Sexualität (als eine eigentliche Kommunikationsform und Facette glücklichen Lebens33) und eine daraus erwachsende Sexualfeindlichkeit und persönliche Frustrationen münden in immer wiederkehrende
Aufdeckungen von Übergriffen, Missbrauchs- und Kriminalfällen. Dabei
spielt sexuelle Orientierung keine maßgebliche Rolle. Nur ist Homosexualität eben in vielen Köpfen in Verbindung mit Unrecht verankert worden.
k) Ganz deutlich ergibt sich die Norm dessen, was als Sexualität für gut
befunden wird, aus dem gesellschaftlichen Rollenspiel – „doing
gender“ –, mit dem bereits imitativ im Kindergarten begonnen wird. Generell werden heterosexuelle Rollen in Verbindung mit Vater-MutterKind(er)-Familie gleichsam verabsolutiert. Davon abweichendes Verhal§ 207b StGB stellt auf folgende Voraussetzung und Tatbestände ab: die Altersphase vollendetes 16. bis vollendetes 18. Lebensjahr, die (formelle) Geltung für jede sexuelle Orientierung sowie die Missbrauchsmerkmale
mangelnde Reife (Abs. 1), Vorliegen einer Zwangslage (Abs. 2) und Verleitung durch Entgelt (Abs. 3).
31
Europäisches Parlament (2003), §. 79.
32
Bartel (2009).
33
Loewit (1999).
13
ten wird als abnormal im herabwürdigenden Sinn empfunden. Diese
Empfindung wird mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger subtil,
mehr oder weniger verbal kommuniziert. Selbst wer persönlich nicht diese Auffassung teilt, wird verbreitet von der gesellschaftlichen Einstellung
dazu veranlasst, sie auch zu bekunden und weiter zu verbreiten, wenn
auch zunehmend indirekt unter einem Schein von Toleranz.34
l) Die homosexuelle Person wird auf Grund der Heteronormativität als „anders“ abgestempelt („othering“) und dadurch unwillkürlich an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. So wirkt das Prinzip „Schande“ bzw. die
schändlich Machung im 21. Jahrhundert als gesellschaftliches Repressions- und Machtinstrument fort. Nicht-heteronormatives Verhalten gefährdet nämlich den – dominanten – Rolleninhalt von „wahrer“
Männlichkeit und den – servilen – Rolleninhalt „echter“ Weiblichkeit (etwa
„die Würde der Frau liegt im Dienen“ – wem wohl?).
m) So liegt die Last folgender Entscheidung auf homosexuell veranlagten
Subjekten. Soll ich mich „verstecken“ (wie in einem Schrank, englisch
„closet“), mich als heterosexuell ausgeben („passing“, „passing as a heterosexual“), um mich vor eventuellen Nachteilen zu schützen,35 aber mit
der Angst leben zu müssen, in einem überraschenden Moment entdeckt,
„geoutet“, zu werden? Oder soll ich „den Angriff als die beste Verteidigung“ wählen, um fortan von der Bedrückung durch Angst und Unsicherheit befreit zu sein, aber mögliche Nachteile aus dem „offenen L(i)eben“
(„being out“) zu akzeptieren – oder sie dann sogar offensiv bekämpfen
zu können?36
n) Insbesondere ist bei der Entscheidung „Verstecken“ oder „offen Leben“
zu berücksichtigen, dass jemand seine oder ihre sexuelle Orientierung
nicht längerfristig glaubhaft und wirksam verbergen kann. Denn obwohl Sex intim ist, findet Sexualität im gewöhnlichen gesellschaftlichen
Leben seinen Ausdruck, wo Paarbeziehungen im sozialen Raum dazugehören. Wer glaubt wie lange noch die Mähr von den asexuellen, beziehungslosen Arbeitskolleg_inn_en? Meist ist man selbst der Letzte, der
noch glaubt oder glauben will, niemand würde meine homosexuelle Orientierung vermuten oder annehmen.
34
„Der schwule französische Philosoph Michel Foucault (1926-1984) sprach von einer „Psychiatrisierung“ gleichgeschlechtlicher Lust und ihrer und ihrer Analyse als eine abnormale Erscheinungsform; besonders galt und gilt
dies für Schwule, die dem gesellschaftlichen Bild eines Mannes nicht entsprechen. Diese Psychiatrisierung
koppelte die Lesben und Schwulen von den Fortschritten in der allgemeinen sexuellen Liberalisierung ab (Bartel
2000)“ Bartel (2009), S. 1.
35
Johnson (2002), p. 317: “(…) despite more ostensibly ‘out’ politicians and better anti-discrimination measures,
strange forms of ‘passing’ are still taking place in public life. Heterosexual constructions of citizenship are still
being privileged.”
36
„Out of the closet and into the streets!“ lautete der Kampfruf der Homosexuellenbewegung der 1970er Jahre in
den USA (Bartel 2000). „Schrankschwuler“ oder „Klammschwuler“ ist der gängige Jargon für einen Homosexuellen, der in seinem sexuellen Leben verklemmt ist und sich in seinem „Schrank“ versteckt.
14
o) Ein „Fremd-Outing“ (meist ohne „coming out“37) geht für die Betroffenen
meist schief. Ein „Selbst-Outing“ geht oft gut aus, aber wir können darüber eben nicht sicher sein. So liegt ein enormer psychischer Druck
auf „versteckten“ Lesben und Schwulen und die Selbstmordrate bei
ihnen um ein Vielfaches höher als bei heterosexuellen Menschen (siehe
Anhang A.2).38
Obendrein ist immer noch damit zu rechnen, als offen lebende homosexuelle Person in der Karriere beeinträchtigt zu werden.39
p) Selbst in unserer relativ fortschrittlichen Gesellschaft (im Lauf der vergangenen ca. zwei Jahrzehnte hat sich vieles zum Besseren gewandelt40) ist lediglich die sprichwörtliche „Spitze des Eisbergs“ heraußen (eben „out“). An der Johannes Kepler Universität Linz gibt es zirka
1000 Beschäftigte, davon sind zwei Personen offen homosexuell. Von
den 183 Abgeordneten zum Nationalrat lebt eine Person offen homosexuell. Wie viele Lesben und Schwule kennen Sie persönlich? Und wie
viele sind davon offiziell out? Bei wie vielen vermuten Sie, bei wie vielen
wird gemunkelt? Vorsichtig geschätzt leben in Oberösterreich etwa
60.000 bis 70.000 gleichgeschlechtlich orientierte Mitbürger_innen (das
sind an die 5 Prozent). Und in diesem Raum? Bin ich der Einzige? Regen sich schon Unmut und Empörung bei Ihnen? Warum wohl? Aus
Furcht, persönlich „damit“ in Zusammenhang gebracht zu werden. Warum nicht? Weil dies eine tolerante und verständige, offene und selektive
Veranstaltung ist, an deren Teilnahme keine Makel geknüpft werden
kann oder mag. So ähnlich, aber noch viel schlimmer geht es „versteckten“ Lesben und Schwulen im Alltag. Welches Klima muss in der Gesellschaft herrschen, dass etwa vier bis 14 Prozent der geschlechtsreifen
Bevölkerung meinen, ihre sexuelle Orientierung verstecken zu müssen?
37
„Coming out“ ist vor allem der Prozess, selber zu seiner homosexuellen Orientierung stehen zu wollen und zu
können. Unterschieden werden können das damit gemeinte „innere coming out“ und das „äußere coming out“,
das „going public“, das offene, selbstbewusste Auftreten in der Gesellschaft.
38
Langer (2008) stellt darüber hinaus ein Selbstaggressionspotenzial schwuler Männer im unsicheren sexuellen
Verhalten angesichts des HIV-Infektionsrisikos fest und führt aus, dass diese Autoaggression durch eine
Selbstbestrafung für die Verfehlung des standardisierten gesellschaftlichen Männlichkeitsbildes ist.
39
Frohn, Dominic (2007), S. 19: „Die Situation hat sich im Vergleich zu 1997 etwas verbessert. Allerdings ist der
aktuelle Stand wesentlich schlechter als unter den veränderten Bedingungen zu erwarten gewesen wäre! 52 %
der Befragten gehen am Arbeitspatz verschlossen mit ihrer sexuellen Identität um. Weniger als ein Viertel der
Befragten hat keine Diskriminierungserfahrungen gemacht, 10 % der Befragten sind als hoch diskriminiert zu
bezeichnen. Diese Situation hat bedeutsame Auswirkungen auf psychosomatische Beschwerden, Ressourcen,
Arbeitszufriedenheit und Verbundenheit mit der Organisation.“
40
http://www.rklambda.at/Erfolge/index.htm, http://www.rklambda.at/Rechtsvergleich/index.htm.
15
Sichtbarkeit und konsequentes Pochen auf gleiche Rechte sind zwar
notwendige Voraussetzungen für gesellschaftspolitischen Erfolg,41 aber
auch leichter gesagt als getan.
q) Homophobie – die Angst vor gleichgeschlechtlicher Orientierung – kann
nicht aus dem Menschen, dem potenzieller oder tatsächlichen Träger einer höchst persönlichen sexuellen Orientierung entstanden sein. Homophobie ist gesellschaftlich gemacht. Sie zu erzeugen ist eine Strategie,
um das „othering“, die gesellschaftliche Exklusion zu bewirken und damit
in der Folge die Heteronormativität und das Patriarchat zu festigen und
abzusichern.
Als flankierende Strategien dienen dazu
o die Verabsolutierung des Schutzes und der Privilegierung der heterosexuellen Familie,
o assistiert durch die Norm, der einzige Platz für Sexualität sei in
der Ehe zwischen Mann und Frau, mit Blick auf die Weitergabe
des Lebens, und
o die Schürung von Vorurteilen gegen Homosexuelle (Lesben gebe
es eigentlich gar nicht, sie brauchen nur einmal sexuell einem
richtigen Mann begegnen; Schwule seien weibisch und frauenfeindlich, promisk und bindungsunfähig, …).
Nachsatz: Braucht man nicht immer Sündenböcke, um im Gesellschaftssystem von etwas abzulenken?
r) Homophobie, also die vorurteilsbedingte Furcht vor gleichgeschlechtlicher Orientierung und gleichgeschlechtlich Orientierten – schlägt tendenziell in Abneigung und letztlich Hass um.42 Immer wieder gesche41
Zur Sichtbarkeit vgl. Mesquita (2008), zur selbstverständlichen Einforderung von Gleichberechtigung siehe
Klapeer (2008).
42
„Die ‚Assimilanten’, die durch Taufe oder durch äußere Selbstverleugnung ihre Identität verwischen wollten,
flohen damals – im zweiten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts – nicht so sehr die Nachteile des Judeseins als die
Verachtung der Judenhasser. Sie unterlagen schließlich dem Zwang, ihre Stammesgenossen und insgeheim
sich selbst mit der hemmungslosesten Entwertungstendenz zu beurteilen.“ (So erklärt sich die Aggression heteronormativ „assimilierter“ Homo- oder Bisexueller; Anmerkung.) „Zu jener gleichen Zeit kam unter den Juden vor
allem Mittel- und Osteuropas ein neues Identitätsbewußtsein und mit ihm ein erneuertes Selbstwertgefühl auf.
Es genügte nicht mehr, die Verächter zu ignorieren, es galt, sie entschieden abzuweisen, sie zu bekämpfen, wie
es schon hie und da jüdische Selbstschutztruppen taten, die sich den Pogromisten und ihren zaristischen Anführern mit der Waffe in der Hand entgegenstellten“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 89 f.).
„Tränengas trübte ein wenig die Sicht auf die erste ‚Gay Pride’ -Parade in der Geschichte Litauens. Den 500
Aktivisten für die Rechte von Schwulen und Lesben standen am Samstag in der Hauptstadt Vilnius rund doppelt
so viele Gegendemonstranten gegenüber. Viele davon mit ‚Kreuzen oder Hakenkreuzen’ ausstaffiert, sagte die
grüne EU-Parlamentarierin Ulrike Lunacek dem Standard. Sie und andere EU-Politiker, darunter die schwedische EU-Ministerin Birgitta Ohlson, nahmen als Ehrenschutz und als ‚politisches Signal’ an der Parade teil. Über
600 Polizisten, darunter berittene Einheiten, beschützten den halben Kilometer Marschroute der Demo. ‚Wir wa-
16
hen Hassverbrechen („hate crimes“), sogar auch in so genannten „zivilisierten“ Ländern, und sie passieren nicht zufällig, auch sie werden gemacht: durch Agitation wie durch duldende Passivität.
s) Also: Wie groß ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich demnächst
schon auffliege und „geoutet“ werde? Bis dahin muss ich nämlich meine
Position beruflich und sozial so sehr gefestigt haben, dass selbst eine
Kategorisierung als „Abjekt“ oder „Warmer“ oder „Schwuchtel“ oder „Tunte“ oder „Hinterlader“ (Letzteres schon selbst gehört) nichts Wesentliches
mehr anhaben können dürfte. Lesben und Schwule sind – potenziell oder
vermeintlich – zu einer Über-/Kompensation ihres gesellschaftlichen
Makels durch außergewöhnliches Engagement in Beruf und Sozialbeziehungen am Arbeitsplatz wie in anderen gesellschaftlichen
Kontakten gezwungen – zumindest fühlen sich viele solcherart genötigt.43
t) Die Produktivität von Lesben und Schwulen durch heteronormativen Druck zu steigern, klingt gut. Dieser Zusammenhang birgt aber
Probleme.
o Aus der vermehrten Selbstforderung (Selbstdisziplinierungsdruck)
wird – aus Angst – leicht eine Überforderung mit Produktivitätseinbußen i. w. S. (inklusive Qualitätsaspekt); weniger ist oft mehr
(selbst die Japaner längst sind längst wieder von diesem Weg zurückgekehrt, während Österreich allerdings in Richtung Volkskrankheit Burnout marschiert). Angstbedingt kann ökonomische
Ineffizienz auf individueller und betrieblicher Ebene entstehen.
o Unter dem Blickpunkt der Gerechtigkeit muss hinterfragt werden,
warum Menschen wegen ihrer veranlagungsbedingten sexuellen
Neigung (selbst wenn oder gerade wenn diese nicht einmal offen
gelebt wird) mehr Anstrengung investieren müssen als andere,
um den ganz normalen, allgemeinen Status in Beruf und Gesellschaft für den Fall zu behalten, dass sie „geoutet“ werden oder
sich „outen“. Die Parallele zur Problematik der Frauen ist merklich.
ren völlig eingekesselt und durften uns nicht frei bewegen’, berichtete ein Teilnehmer. Rechtsradikale Gegendemonstranten versuchten, sich mit Gewalt Zutritt an den Ort der Parade zu verschaffen, und warfen eine Tränengasgranate in die Menge. Sie wurden verhaftet. Die Polizei setzte ihrerseits Tränengas ein, um das Vordringen der Rechtsradikalen zur Parade zu verhindern. Petras Gražulis, ein litauischer Parlamentarier, überwand
die Absperrung, und ohrfeigte einen Schwulen-Aktivisten. Aufgrund seiner Abgeordneten-Immunität konnte er
nicht verhaftet werden. Nach zwei Stunden Laufzeit wurde die ‚Pride’ -Parade von der Polizei aufgelöst, die
Teilnehmer wurden mit Bussen vom Demo-Gelände weggebracht“ (derStandard.at, 9.5.2010, 21:42 MESZ,
http://derstandard.at/1271376285128/Homophobe-Krawalle-in-Vilnius).
43
„Häßlich zu sein, schien dem Kind ein unverdientes und zugleich unabwendbares Schicksal; man konnte jedoch
trotzdem unter Umständen erträglich, vielleicht sogar anziehend werden – allerdings nicht wie die Schönen
durch das Sein, sondern durch das Tun“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag:
Wien 1974, S. 78).
17
o Aus dieser Sicht ist es sicher zu kurz gegriffen und wohl auch unredlich, wenn Homophobe behaupten, sie seien gegen Antidiskriminierung gegenüber Lesben und Schwulen, weil diese tatsächlich privilegiert statt diskriminiert seien: keine Kinderkosten, keine
Unterhaltsverpflichtungen, gute berufliche Positionen, überhöhte
Einkommen, Ungebundenheit und Flexibilität. Diese Sicht wurde
auch wissenschaftlich entwickelt,44 ist aber auch vielfach widerlegt.45
u) Die britische Soziologin Jane Lewis betrachtet Diskriminierung auf
Grund sexueller Orientierung als rational unerklärlich und somit als
reine Intoleranz.46 Der Ökonom Gary Becker bezeichnet dieses Phänomen als Geschmack auf Diskriminierung (“taste for discrimination“).
Anhand der Entlohnungskluft zu Ungunsten der Frauen (ein Phänomen,
das wesentlich besser zu erfassen ist als Diskriminierung von Homosexuellen) konnte gezeigt werden, dass schärferer Wettbewerb zu geringerer Lohndiskriminierung von Frauen führt, also die Vorliebe fürs Diskriminieren einschränkt.47
v) In Zeiten des wirtschaftlichen Liberalismus und gesellschaftlichen Konservatismus – einer politisch erfolgreichen Allianz – erhalten Menschen,
die außerhalb der konservativen Normen stehen, implizit eine nicht unwesentliche Möglichkeit. Die Übernahme wirtschaftsliberaler Verhaltensweisen (nahezu bedingungsloses Leistungsstreben, berufliche Selbstaufopferung durch weitestgehende Anpassung an die Erfordernisse des
deregulierten und flexibilisierten Arbeitsmarktes und der “new governance“-Unternehmensphilosophie)48 ermöglicht die Aufnahme in die gehobene Gesellschaft von Heute (die der „Fleißigen und Tüchtigen“). Die
Adaption des neoliberalen Wirtschafts- und Berufslebens-Stils und
die Assimilation in dieser Ideologie erlaubt auch die Inklusion in
diese Gesellschaft, selbst als homosexuelle Person, sogar als eine in
einer Beziehung lebende. Dies trifft sich mit den Über-/Kompensationsbestrebungen von Lesben und Schwule, wie oben beschrieben. Allerdings kann der dafür zu entrichtende Preis dereinst als sehr hoch empfunden werden. Außerdem gehen von dieser Anpassungs- und Assimilationsstrategie negative Nebenwirkungen (so genannte „externe Effekte“,
vergleichbar mit Kollateralschäden) auf die nicht angepassten Homose-
44
Becker (1981), zit. n. Patterson (1989).
45
Vgl. in: Bartel (1999), zusätzlich Heineck (2009).
46
Lewis (2001).
47
Weichselbaumer und Winter-Ebmer (2007) zeigen in einer internationalen Metastudie empirisch, dass zunehmender Wettbewerbsdruck (v. a. durch außenwirtschaftliche Öffnung) den „gender wage-gap“ verringert, so
dass auf eine durch geringeren Wettbewerbsdruck erlaubte Vorliebe fürs Diskriminieren von Frauen geschlossen werden kann. Gleichbehandlungsgesetze in Folge von internationalen Abkommen wirken sich übrigens tatsächlich dämpfend auf die Geschlechterlohndifferenz aus.
48
Engel (2008).
18
xuellen aus, die dadurch markanter abgegrenzt und verstärkt angefeindet werden, auch aus „eigenen Reihen“.49
w) Die Inklusion in die Leistungsgesellschaft durch Anpassung ist
aber nicht mit perfekter Integration verbunden. Die homosexuelle Facette wird stillschweigend ausgeblendet, höchstenfalls als ein Vorteil im
Wettbewerb um Wohlstand und Macht angesehen, aber nicht als an sich
angesehenes Persönlichkeitsmerkmal in der Gesellschaft.50
Das passt zu der durch die Assimilation übernommenen konservativen
Grundeinstellung „Wir diskriminieren nicht, wir stellen aber nicht gleich,
was nicht gleich ist“. Das gilt auch, wenn Institutionen (rechtliche Konstruktionen) speziell für Homosexuelle geschaffen werden, und zwar
nach dem Muster der bürgerlichen Gesellschaft. So kreieren wir „gute,
normale“ (bürgerliche) im Unterschied zu den übrigen Homosexuellen.51
x) Nun hat Österreich nun doch endlich ein Partnerschaftsinstitut (siehe
Anhang A3.), wohl auf Druck der EU-Kommission. Es stellt eine weitgehende inhaltliche Angleichung an den Status heterosexueller Eheleute
dar (mit vereinzelten Verbesserungen gegenüber dem Eherecht). Es ist
im Vergleich zum vorigen, rechtlosen Zustand eine Besserstellung für
verpartnerungswillige Lesben und Schwuler. Prominenteste Ausnahmen
sind das Verbot der Adoption des Kindes oder der Kinder des Partner
oder der Partnerin („Stiefkindadoption“ ausdrücklich ausgeschlossen)
und die Nichtbegründung von Verwandtschaftsverhältnissen. Formell
kommt in Nicht-Statutarstädten das Zeremonieverbot am Standesamt
49
Engel (2008).
„Der Neoliberalismus brachte eine bestimmte Psychodynamik des Kollektivs hervor: Es werden Eliten und Individualisierung gefördert, jeder ist nur noch für sich selbst verantwortlich. Die Folge der zunehmenden Individualisierung ist ein kollektiver Verrohungsprozess, der alles abspaltet und verachtet, was schwach macht. Dieser
Prozess geht auch mit einem Werteverlust einher“ (Eva Mückstein, Psychotherapeutin, in derStandard.at,
29.11.2009, 19:27 MEZ, Printausgabe vom 30.11.2009).
50
Thomas H. Marshall, britischer Soziologe, prägte den Begriff der „social citizenship“, die sich über die „political
and civil citizenship“ hinaus entwickelt (Breiner 2006) oder es sollte. Politische Rechte stehen Lesben und
Schwulen in unseren Breiten freilich zu, auch Bürger_innen_rechte sind ihnen schon weitgehend erschlossen.
Doch mit der „gesellschaftlichen Staatsbürger_innen_schaft“, einem freien, undifferenzierten Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe, hapert es noch mehr oder weniger. Der von Marshall unterstrichene Kampf zwischen
dem Markt und seinen Klassenunterschieden einerseits und der faktischen politischen und sozialen Gleichheit
andererseits scheint durch den Neoliberalismus aufgehoben zu werden. Doch kann „gesellschaftliche Staatsbürger_innen_schaft“ nicht gelingen, wenn Personen primär über ihre Marktleistungen definiert werden und ihr
Gewicht in gesellschaftspolitischen Entscheidungen und Auswirkungen marginal bleibt. Das Sexuelle erhält
nicht jenen Stellenwert, den es für die effektive Gestaltung der Gesellschaft besitzt. Die sexuelle Orientierung
wird gleichsam auf dem Markt erkauft, bleibt aber gesellschaftlich irrelevant: im Interesse der wirtschaftlichen
und folglich gesellschaftlichen Hierarchisierung, die freilich entlang der Linie der biologischen Geschlechter konstruiert wird. Die „sexual citizenship“, die „sexuelle Staatsbürger_innen_schaft“, ein Konzept von Evans (1993),
wird unvollkommen zugestanden und eingeräumt.
51
“The argument that the ‘normal citizen’ has largely been constituted as heterosexual (e.g. Duggan, 1995; Richardson, 1998; Bell and Binnie, 2000), would appear to be queried by the emergence of the ‘normal lesbian/gay’”
(Richardson 2004, p. 407).
19
hinzu. Im Grenzbereich zwischen formell und inhaltlich findet sich die
Möglichkeit zur Annahme eines gemeinsamen Nachnamens (kenntlich
gemacht durch ein Bindestrichverbot zwischen den einzelnen Namen) im
Gegensatz zum Familiennamen (erkennbar am Bindestrich im Doppelnamen); so wird auf allen Formularen und allen Urkunden und Ausweisen deutlich gemacht: hier handelt es sich um eine homosexuelle, weil
verpartnerte, nicht verheiratete, Person. Als am meisten gravierend stellt
sich der Umstand dar, dass für Homosexuelle eine Sonderinstitution
geschaffen wurde, die von Heterosexuellen gar nicht in Anspruch
genommen werden kann. Eine Art Reservat wurde für Lesben und
Schwule geschaffen, wo Diskriminierung weiterhin festgeschrieben, aber
diese politische Agenda realistischer Weise bis auf weiteres als abgehakt
zu betrachten ist.
y) Das Europäische Parlament fordert hingegen den „Zugang zur ‚Ehe oder vergleichbaren rechtlichen Regelungen’, die ‚die vollen Rechte
und Vorteile der Ehe garantieren’ (und die) Gleichbehandlung im
Pflegschafts- und Adoptionsrecht (erstmals: Entschließung A3-0028/94,
8.2.1994)“.52
Eine Familie ist
o eine Gruppe Angehöriger aus wenigstens zwei Generationen mit
der Trage von Sorge und Verantwortung für die jüngsten,
o eine nachhaltige Einrichtung zu Gunsten von Kindern,
o ein Glücksfall, da Kinder bei ihren sie und einander liebenden Eltern sind,
o eine charmante Fügung der Natur, indem bei der Sexualität Kinder entstehen können, und
o ein flexibles System auf Grund unterschiedlicher Definitionsmöglichkeiten in dem Sinn, dass eine „zusammengesetzte“ Familie gelingen kann.53
Regenbogenfamilien 54 sind
o insofern zusammengesetzte Familien („patchwork families“), als
sind Paare auch nicht selbst gezeugte Kinder aufziehen, und
o dadurch bunt, dass die Außergewöhnlichkeit der Familie, die aus
einem gleichgeschlechtlichen Paar und biologisch nicht gemeinsamen Kindern besteht, die Buntheit sozialen Lebens ausdrückt.
52
Graupner (2007), S. 15.
53
Sauer (2010).
54
Bartel (2005).
20
Regenbogenfamilien sind, theoretisch gesehen, tatsächlich Familien –
und, empirisch betrachtet, sie existieren sehr wohl55 –, aber sie können
unter den meisten nationalen oder regionalen Regelungen nicht gemeinsam Angehörige zu ihren nicht biologischen Kindern werden.56 Es ist oft
ein wesentliches Zeichen des Staates, dass er den Familienbegriff enger
auslegt, freilich im Zeichen der Heteronormativität. Die restriktive Auslegung von Familie gereicht wahrscheinlich nicht zur maximalen sozialen
Wohlfahrt in dieser Hinsicht. Denn dem Faktum der Existenz von Regenbogenfamilien steht das Faktum gegenüber, dass es für sie keine volle
Akzeptanz, Gleichstellung und Absicherung gibt,57 nur weil sie einer willkürlichen Norm nicht entsprechen können oder wollen.58 Dabei zeigen
Untersuchungen Folgendes:
o In Regenbogenfamilien werden die Rollen der sozialen Geschlechter weniger gespielt,59
o Die Regenbogenkinder müssen nicht in der Kernfamilie von der
Verschiedengeschlechtlichkeit der primären Bezugspersonen profitieren können, sondern diese können auch aus dem sozialen
Umfeld kommen. Denn in der Kernfamilie entscheidet die Qualität
der Gestaltung des Miteinanders, während die Familie i. w. S. –
„patchwork“-artig – selbst gewählt ist, sein kann oder sein soll.60
o Regenbogenkinder entwickeln sich nicht signifikant besser oder
schlechter als andere Familienkinder, es sei denn, dass sie tole-
55
In Deutschland schätzte man für das Jahr 2000 die Zahl der Regenbogenfamilien auf 6000 oder 12,5 Prozent
der gleichgeschlechtlichen Haushalte (PRIDE – Das lesbisch/schwule Bundesländermagazin, 2, April 2002, S.
42). Umgelegt auf die österreichische Bevölkerungszahl wären dies 800 Regenbogenfamilien bzw. rund 140 in
Oberösterreich.
56
In Österreich kann einer oder eine der Lebensgefährten bzw. Lebensgefährtinnen zwar a) ein fremdes Kind
adoptieren („Fremdkindadoption“), doch der bzw. die andere kann es nicht auch, da gemeinsame Adoptionen
als Paar Eheleuten vorbehalten sind, und b) kann der Lebensgefährte oder die Lebensgefährtin das leibliche
Kind seines Partners bzw. ihrer Partnerin adoptieren („Stiefkindadoption“), doch verliert dadurch der leibliche Elternteil seine Elternschaft mit all ihren Rechtern und Pflichten.
Zudem sorgt unser Eingetragene Partnerschaft-Gesetz (EPG 2010) dafür, dass durch die Verpartnerung keine
Verwandtschaftsverhältnisse (außer dem zwischen den beiden Verpartnerten) entstehen.
Zu schlechter Letzt sieht das EPG ein ausdrückliches Verbot der Stiefkindadoption vor. D. h., der nicht elterliche
Teil der EP kann als Einzelperson zwar jedes fremde Kind adoptieren, aber nur das Kind oder die Kinder des
Partners bzw. der Partnerin nicht, selbst falls dieser oder diese verstirbt.
57
Hequembourg/Farrell (1999).
58
"Die mit sexueller Orientierung bewaffneten Homos (und Singles und Kinderlosen) geben sich ohne ethischsoziale Perspektive hemmungslos ihrer Triebbefriedigung hin. Völlig richtig, Ehe und Familie mit besonderen
Privilegien auszustatten, ordentliche Leut tun sowas nur zu Zeugungszwecken! Dr. Susanne Presinger, Graz“,
in: Der Standard, Meinung, 10./11. Oktober 1998, S. 37. Dies wird treffend mit Gary Beckers Konzept „taste for
discrimination“ oder Jane Lewis’ Begriff „blanke Intoleranz“ beschrieben.
59
Vgl. in: Bartel (1999).
60
Schmutzer (2001).
21
ranter, aufgeschlossener, weltoffener werden und Diskriminierung
selbst oder in ihrem unmittelbaren Umfeld erleben.61
Es darf wohl nicht sein, was nicht sein soll. Das Schädliche daran ist,
dass Recht Realitäten schafft. Doch längst hinkt in dieser Hinsicht das
Recht den Realitäten nach.62 In den Niederlanden erzielte die Öffnung
der Zivilehe für gleichgeschlechtliche Paare im Nachhinein höhere Zustimmungswerte in der Bevölkerung als im Vorhinein.63
Wer wie wovor geschützt wird, wenn homosexuelle Beziehungen nicht
genauso anerkannt werden wie heterosexuelle, muss erst gezeigt werden, selbst wenn der „Schutz von Ehe und Familie“ durch Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und Eingetragenen Partner_innen_schaften immer wieder diskursiv kommuniziert wird. Letztlich dürfte
die Gefährdung des patriarchalen, heteronormativen Systems und seiner
Verteilungswirkungen dahinter stehen, doch das darf wohl nicht eingestanden werden64, noch dazu, wenn dies (wie Lust an Diskriminierung
überhaupt) der ökonomischen Effizienz entgegenstehen kann.65
z) Zurzeit wird die Ausdehnung des strafgesetzlichen Verhetzungsparagrafen auf Hasstiraden über Lesben und Schwule debattiert. Dem
offenbaren Regierungsvorhaben stehen ablehnende Positionen entge-
61
Hastings u. a. (2006), S. 49 ff.: “Given the currently available literature, an objective evaluation of empirical
research supports only one conclusion: Whether a child’s two parents are heterosexual or lesbian or gay has no
significant discernable impact on that child's social competence. (…) More robust differences in socialization
and social competence were found in the comparisons of lone-parent families and two-parent families. Lone
mothers are at increased likelihood of providing less positive and effective socialization than mothers in twoparent families, and it is also more likely that their children will appear less socially competent. (…)From the
perspective of doing what will most benefit the well-being of children, it appears that governments and nongovernmental organizations should focus on ensuring that children are living in well-functioning families. Families
function well when parents function well. Parents are most successful in raising well-functioning children when
they have the social and economic resources to cope with the normal stresses of life. Building support for the
establishment and maintenance of these resources will help to improve the quality of life, quality of socialization,
and quality of children's social competence in all families.”
62
Beham-Rabanser (2010).
63
Nichtakzeptanz von und Wunsch nach Wiederabschaffung der Ehe für homosexuelle Paare werden – auch zwei
Jahre nach der Eheöffnung – durch Eltern, Religion, niedrigere Bildung und orientalische Herkunft begünstigt
(Lubbers u. a. 2009).
64
Dalton/Bielby (2000), Dunne (2000).
65
Rainer (2008), p. 305: “marital bargaining power is determined endogenously. We show that: (1) the efficiency
of household decisions is sometimes inversely related to the prevailing degree of gender discrimination in labor
markets; (2) women who are discriminated against have difficulty enforcing cooperative household outcomes
because they may be extremely limited to credibly punish opportunistic behavior by their male partners; (3) the
likelihood that sharing rules such as “equal sharing” are maintained throughout a marriage relationship is highest when men and women face equal opportunities in labor markets.”
Im übertragenen Sinn gilt dieses Ergebnis über ökonomische Ineffizienz auch für Diskriminierung von Homosexuellen auf dem Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz (vgl. in Bartel 1999).
22
gen, die die Tragweite Gewalt fördernder Verbalattacken und Verunglimpfungen unterschätzen dürften.66
2. Konsequenzen
2.1. Diversity – Anerkennung und Management
„Freiheit im privaten Tun und Lassen galt als eine – heute kaum mehr vorstellbare – Selbstverständlichkeit; man sah auf die Duldsamkeit nicht wie heute als
eine Weichlichkeit oder Schwächlichkeit herab, sondern rühmte sie als eine
ethische Kraft.“67
Sehen wir von der ethischen Perspektive ab, so stellen sich Toleranz und Akzeptanz, Integration und Vielfalt als rational begründbar dar. Wir können dabei
auch auf die eingangs getroffenen Feststellungen zurückgreifen (Kapitel 1.).
a) Wer formell gleich behandelt, ohne die der betreffenden Regelung
zu Grunde liegenden faktischen Ungleichheiten gebührend zu beachten, begeht eine inhaltliche Ungleichbehandlung und verlässt
den Anspruchsbereich von Gerechtigkeit.
Lesben und Schwule unterscheiden sich einzig und unabänderlich in einem einzigen Punkt von der übrigen Bevölkerung: in ihrer sexuellen Orientierung und entsprechenden Wahl ihrer Partnerin bzw. ihres Partners.
Dieser faktischen Ungleichheit ist inhaltlich Rechnung zu tragen, und
zwar mit der Zielsetzung, gleiche Möglichkeiten auf „ein gutes Leben“
einzuräumen. Das bedeutet je nach Lage gleiche Rechte oder ggf. positive Diskriminierung.
b) Selbst wenn Homosexualität nicht Veranlagung wäre, sondern auf
freier Entscheidung beruhte, würde dies nichts an dem Gerechtigkeitsanspruch von Lesben und Schwulen auf inhaltliche Gleichberechtigung und Gleichstellung mit Heterosexuellen im Möglichkeitsraum ändern. Denn, ökonomisch gesprochen, gehen von einem homosexuellen Leben keine beachtlichen negativen externen Effekte auf die
heterosexuelle Umwelt aus; diese wird dadurch nicht beeinträchtigt.
Würde allein der Anblick eines offensichtlich zusammengehörigen Frauen- oder Männerpaares, dessen Auftreten den allgemeinen Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit entspricht, Anlass nicht nur zu Ablehnung,
sondern auch zu Verboten oder Einschränkungen führen, wäre die Norm
66
http://www.profil.at/articles/1016/572/267273/georg-hoffmann-ostenhof-recht-infamie-dummheit.
67
Stefan Zweig (1942), Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers. Roman 43. Aufl., Frankfurt a.M.
2003, S. 41. Zweig meinte damit die Liberalität bis zur und um die Wende des 19. und 20 Jahrhunderts.
23
in einem gesellschaftlich nahezu unerheblichen Belang diktatorisch.68
Wir wären in einem Apartheidregime angelangt. Und das wird wohl anerkanntermaßen abgelehnt.
Auch unter den Umständen freier Entscheidungsmöglichkeit über die sexuelle Orientierung ergibt sich keine Rechtfertigung für Diskriminierung.
So gesehen ist die Ursachenforschung über Homosexualität – außer der
Befriedigung der typisch wissenschaftlichen Neugier – insofern problematisch, als aus den Ergebnissen eine Möglichkeit pränatale Diagnostik
ergeben könnte. Schwangerschaftsabbruch aus diesem Grund wäre eine
mögliche Folgewirkung, ebenso die Entwicklung gentechnischer Manipulation der sexuellen Orientierung. Dies träte mit sehr generellen grundrechtsphilosophischen und ethischen Überlegungen, wie oben angestellt,
in Konflikt.
c) Grundrechte sind zu akzeptieren und zu schützen. Grundrechte wie
die auf Privatleben, Partner_innen_wahl und Eheschließung können aus
rechtsphilosophischen Überlegungen nicht eingeschränkt werden, sofern
jene die Gesellschaft nicht grob schädigen.
Räumt man der Vorliebe zu diskriminieren, der reinen Intoleranz, der
ideologischen Blindheit oder dem religiösen Absolutismus keinen Platz
ein, kann und darf Homosexualität nicht rechtlich behindert, sondern
muss ein dementsprechendes Leben staatlich ermöglicht werden. Hierbei ist Konsequenz gefragt, nicht Schielen auf Mehrheiten.
d) Gender, das soziale Geschlecht, ist keine natur- oder gottesgesetzliche Gegebenheit, sondern wird gesellschaftlich gemacht, ist also
gemeinschaftlich nach Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu gestalten.
Homosexualität wäre eigentlich eine gesellschaftlich keine negativ zu
beurteilende, sondern eine entweder gutzuheißende oder marginale bis
irrelevante Materie, würde sie nicht durch die etablierte Heteronormativität zu einem Zentralen Streitpunkt gemacht: ideologisch und praktisch.
Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, vornehmlich Ziel des Staates, Homosexualität gesellschaftspolitisch letzten Endes zu einem Nichtthema
(„non-issue“) zu machen. Bis dahin darf es per se keine Grenzen der
Umverteilung in der sozialen Wohlfahrt geben.
e) Wohlfahrt ist nur persönlich zu erfahren, ist nicht interpersonell erfahrbar.
Lesben und Schwulen die gerechte inhaltliche Gleichstellung mit den Heterosexuellen mit dem Hinweis zu verweigern, diese wäre nicht nötig, widerspricht sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und Normativität grundle68
„Doch diesmal erfuhr ich genau, was Demütigung ist und wie grausam und verächtlich jene sind, die sie an
Wehrlosen verüben. Ich entdeckte damals die Niedertracht der Majorität. Sie ist keineswegs die einzige, das ist
wahr“ (Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 67).
24
gend. Homosexuelle wissen allein, wie sie die Gesellschaft berdückt und
was sie zu ihrer inhaltlichen Gleichstellung auf Grund ihrer speziellen und
legitimen sexuellen Orientierung alles brauchen. Eine ganze Palette wird
sich auftun. Wir sollten diesbezüglich keine „wohlwollende (moralische)
Diktatur wollen.
f) In den Sozialwissenschaften wird die Meinung geteilt, dass Diversität im
Zunehmen ist (steigende Frauenpartizipation, Immigration und Pluralität
der Lebensentwürfe). Diversität lenkt sich aber nicht selber in Wohlfahrt
maximierende gesellschaftliche Bahnen. Dieses offenbare institutionelle
Manko ist wettzumachen und wird jetzt erst zunehmend durch Diversity
Management and Inclusion (DMI) wahrgenommen. DMI ist eine betriebswirtschaftliche Strategie zur Nutzbarmachung von Produktivitätsund Qualitäts-, Kreativitäts- und Innovationspotenzialen durch Vermeidung sozialer Kosten (Reibungsverluste) in der Sphäre des Unternehmens. So schön dies klingt, so wenig wird diese Strategie (wie andere offensive Strategien der betrieblichen Verbesserung, etwa Effizienzlöhne
statt Subsistenz- oder Mindestlöhnen, „voice“ statt „exit“) in der Erwerbswirtschaft noch betrieben.69
2.2. Auf privater Ebene
a) Wir sollten bereit sein, die Situation von Lesben und Schwulen rational zu erfassen.
Im übertragenen Sinn gilt recht trefflich folgender literarischer Text eines
Psychologen und Romanciers.
„Nicht selten mischten sich in die Betrachtungen meiner Banknachbarn
judenfeindliche Worte, die Spott und Haß und zuweilen auch Neid ausdrückten. In den ersten Wochen reagierte ich auf dergleichen wie auf eine persönliche Beleidigung und verließ mit grimmigem Gesicht den
Feind, nicht ohne mich stolz als Jude bekannt zu haben. Später wurde
ich nicht etwa toleranter gegenüber diesen Intoleranten, aber ich versuchte, mit ihnen zu diskutieren. Dabei entdeckte ich zu meiner Überraschung, daß sie Juden persönlich gar nicht kannten, daß ihr Haß zwar
konstant, aber durchaus oberflächlich war, daß er, so merkwürdig es
klingen mag, ein leichtsinniger Haß war.“70
b) Infolgedessen ist es die kollektiv beste Strategie für Lesben und
Schwule, „out“ zu sein, also offen, selbstbewusst und verständig zu leben, selbst wenn damit individuell ein unkalkulierbares Risiko verbunden
sein (und die Strategie individuell nicht optimal erscheinen) mag. Daher
69
http://www.pauser-wondrak.at/managing_gender.html (29.4.2010).
70
Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes, Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 176
25
braucht es zum „offenen Leben“ externe Unterstützung (Anreize, Hilfe
zum „self-empowerment“).
„Das Selbstwertgefühl eines jeden Menschen wird ein Leben lang tausendfach erprobt. Für meinesgleichen aber war dieses Gefühl auch
durch die Art bestimmt, wie eindringlich jeder individuell sein Judesein
empfand: als Schande oder als ehrenvolle Treue, als einen durch den
Zufall der Geburt herbeigeführten Zustand oder als Aufgabe, so zu leben,
als trüge man die Verantwortung für die anderen. Wer sich selbst verachten mußte, konnte diese Aufgabe nicht erfüllen, also kam es darauf an,
die eigene Achtung täglich zu verdienen und sie um keines Zweckes willen zu gefährden.“71
c) „Coming out“ und „going public“ von Lesben und Schwulen kann von
Seiten der Heterosexuellen unterstützt, im Prozess erleichtert und im
Ergebnis verbessert werden.
o Der Umstand, dass nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs
heraußen ist, sollte bewusst machen, dass wir nicht nur Anderen
Angst machen, sondern dass wir diese Mitmenschen kennen,
aber zugleich auch wieder nicht kennen. Lesben und Schwule leben mit uns, sie sind aber keine Stereotypen,72 wir erkennen sie
nicht (zumindest nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit). Etwa neun
Zehntel von ihnen sind unerkenntlich und unerkannt.
„Political correctness“ ist in Worten, Gesten, Mimik und Verhalten
angesagt, denn Botschaften können zwischenmenschliche und
sogar gesamtgesellschaftliche Realitäten schaffen. „Nun ist die
politische Realität, wie jede andere auch, eine diskursiv produzierte. Der politische Raum ist ein symbolisches System, das durch
Sprache aufgespannt wird.“73
Heterosexuelle sollten eine Sprache finden. Wer Wörter wie Homosexualität, Schwule und Lesben nicht problemlos und nicht wie
selbstverständlich aussprechen kann, wird Schwierigkeiten haben, auf eine Kommunikationsebene mit den homosexuellen Mit-
71
Manès Sperber, Die Wasserträger Gottes. Roman, Europaverlag: Wien 1974, S. 90.
72
„Cross-dressing“, das sich Kleiden nach Art des anderen Geschlechts, sowie die Exaltierung mancher Schwuler
als Diven und mancher Leben als Kerle, verbunden mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten und zur SchauStellungen dessen (Paraden, Feste, Partys, Catwalk Contests u. dgl.) sind nicht Wesensmerkmal vieler oder gar
aller Lesben und Schwulen. Vielmehr ist dies eine Form des Protests gegen Heteronormativität, ein Verunsichern des Establishments, ein versuchtes Aufbrechen der konventionellen Ordnung, ein lustvolles Spielen mit
gesellschaftlichen Tabus aus der Position der selbstbewusst und stark Gewordenen, der eine spezifische Identität Suchenden. Überdies ist eine solche „Maskerade“ eine historische Reminiszenz an die emanzipierenden
„Stonewall-Ereignisse“ in und um die Bar Stonewall in der New Yorker Christopher Street im Juni 1969 und die
nachfolgenden Paraden, um in zweifacher Weise Raum zu greifen, zu beanspruchen und zu behaupten (Bartel
2000, Mesquita 2008).
73
Misik, Robert (2005), "Verräter" können "flexibel" sein, in: Der Standard online, 20.9., 18:57 MESZ.
26
menschen zu gelangen und die Problematik für beide Seiten abzubauen.
Stillschweigen (etwa die bisherige bzw. frühere Strategie der U.S.
Army „don’t ask, don’t tell“) scheint, nur eine scheinbare Lösung
zu sein. Solches Schweigen kann be- oder erdrückend sein.74
o Die künstliche Aufregung über Alltagsdinge wie gleichgeschlechtliche Orientierung, Liebe und Beziehungen sollte abgelegt, das
Heiße Eisen abgekühlt, das Thema normalisiert werden. Dazu
gehört ein Selbstbekenntnis zu Offenheit und Vielfalt75 – und die
Kommunikation dessen.
o Wir sollten Lesben und Schwule insofern enttäuschen, als sie
bass erstaunt darüber sind, dass wir nicht erschrecken, wenn sich
jemand von ihnen bei uns oder allgemein „outet“ oder wenn einfach die Sprache auf Persönliches kommt und dabei die sexuelle
Orientierung erkennbar wird.76
o Eine besondere Bedeutung kommt der Herkunftsfamilie von Lesben und Schwulen beim „coming out“ zu. Nicht nur dass diese die
emotionale Unterstützung auf ihrem emanzipatorischen Weg aus
der Heteronormativität gut brauchen können, vielmehr ist das
„coming out“ ein Prozess in dem vielschichtigen Sozialsystem
Familie. Dort werden die Familienangehörigen, die vom sich „outenden“ Familienmitglied ins Vertrauen gezogen werden, in eine
sehr ähnliche Lage versetzt, wie der Schwule oder die Lesbe
selbst. Sie müssen mit ihrer gesellschaftlich bedingten Angst vor
Problemen, Scham und Schande umgehen können und – am
besten gemeinsam – entscheiden, bei wem das innere „coming
out“ nun nach außen, innerhalb wie außerhalb der Familie, fortgesetzt wird. Hierbei ist sowohl Geduld der sich „outenden“ Person als auch professionelle Hilfe für die am gleichsam kollektiven
„coming out“-Prozess Beteiligten ratsam und bedeutend.77
d) Zivilcourage ist mühsam, aber nützlich. Treten wir homophoben Äußerungen nicht entgegen, so prägen diese Diskurse die soziale Realität
74
“In ... ‘Institutional homophobia of Discursive Inertia: A Queerly Theoretic Case Study’, I use as a source of
examples my institutional home, Middlebury College, which is a stimulating place to study queer theory since
being abjected is starkly tangible: no queer culture exists to counter the suffocating heteronormativity here”
(Cornwall 1998, p. 79).
75
„(…) people are alike in being increasingly heterogeneous” (Davis 2009, Abstract).
76
Zum Beispiel: „Bringen Sie heute Abend doch ihre Ziehharmonika mit, wir wollen auch spontan musizieren!“ –
„Ich habe keine Ziehharmonika, ich spiele Englischhorn.“ – „Das passt genauso.“ Oder: „Bringen Sie doch heute
Abend auch Ihre Frau mit, wir wollen gemütlich plaudern!“ – „Ich habe keine Frau oder Freundin, ich lebe mit einem Mann zusammen.“ – „Er ist uns willkommen.“
77
Valentine u. a. (2003).
27
zunehmend und werden allen weit größere Probleme bescheren als hier
und jetzt.
e) Diversity Management and Inclusion (DMI) wirkt verbessernd auf das
Arbeitsklima ein und hilft Lesben und Schwulen, sich am Arbeitsplatz erheblich weniger zu „verstecken“ und ebenso wesentlich mehr „offen zu
leben“ („win-win situation“). Zur Arbeitsklimaverbesserung tragen extern
und mittelbar v. a. auch die Institution der Eingetragenen PartnerInnenschaft (EP) und die allgemeine Thematisierung von Homosexualität, aber
auch (offenbar wegen der EP nur) in geringerem die Gleichstellung bei
den Betriebspensionen und (unabhängig von der EP, statistisch signifikant, aber schwach signifikant) das „Gay Marketing“ bei. DMI steht aber
noch am Anfang. Eine Angleichung der Betriebspensionen an das
Schema für die Heterosexuellen wird als ein erster Schritt eines Unternehmens ins Diversity Management empfohlen.78
Die Corporate Identity eines Unternehmens oder einer Organisation
muss eine verständliche, klare Sprache sprechen: sowohl in semantischer als auch in inhaltlicher Hinsicht. Es muss klar zum Ausdruck gebracht werden,
o dass wir meinen, was wir sagen, und daher glaubwürdig und vertrauenswürdig sind,
o dass wir Varietät schätzen,
o jede und jeden in seiner Besonderheit wertschätzen und akzeptieren und
o dass Zuwiderhandelnde, selbst wenn sie nur nach der Taktik kleinen Nadelstiche und der Salamitaktik vorgehen, in unserer Zusammenarbeits- und Umgangsgesinnungsgemeinschaft nichts
verloren haben (einer deutlichen Verwarnung müssen ggf. Konsequenzen folgen, um Glaubhaftigkeit zu etablieren und zu wahren).
Strategisch ist die Sanktionierbarkeit und Sanktionierung von „political incorrectness“, indirekter Diskriminierung und sozialer Exklusion durch ein
gespürvolles einsichtig Machen der ethischen und sozialen Grundauffassung zu ergänzen. Dieser Ansatz, der beispielsweise in der Deutschen
Bundeswehr schon seit langen als „innere Führung“ praktiziert wird oder
werden soll, müsste tendenziell das Übergewicht gegenüber der Sanktionsandrohung erhalten. Gute Erfahrungen wurden ja v. a. in Großbetrieben in stärker multikulturellen Gesellschaften mit der Aussprache mit und
der darauf beruhenden Inklusion von Mitarbeiter_inne_n und Kolleg_inn_en aus anderen Herkunftsländern und Kulturkreisen gemacht
(auch wenn dieses und ähnliches von exponiert rechten Parteien immer
wieder bezweifelt und in Abrede gestellt wird).
78
Köllen (2009).
28
f) Zu guter Letzt ist zu bedenken, dass Lesben und Schwule ihre eigenen Rituale, Bindungsbekundungen und Beziehungsformen entwickelt haben.79 Die Tatsache, dass ihnen die Ehe nicht geöffnet wird oder
ihnen etwa auch keine Eingetragene Partner_innen_schaft angeboten
wird, ist deshalb kein existenzieller Schaden. Doch hier geht es kategorisch auch um Grundsätze, die eine Ungleichbehandlung ablehnen und
alle Wahlmöglichkeiten einräumen müssen – unerheblich, ob die Wahl
der Ehe oder Eingetragenen Partner_innen_schaft dann von vielen getroffen wird, von wenigen oder von keinen.
Es liegt aber in der Eigentümlichkeit lesbisch-schwuler Dekonstruktion
und Verhandlung von Gender und Entwicklung fortschrittlicherer, für den
Menschen zweckmäßigerer Institutionen des Zusammenlebens, dass
mehr Partner_innen_schaftlichkeit diese Institutionen kennzeichnen soll
(statt des Patriarchats). Hier liegt der Konnex zur feministischen Frauenbewegung und zu Prostituiertenverbänden, hier drängt sich eine gesellschaftsstrategische Allianz auf, die alle einschließen kann und soll, die
auf Grund ihrer Sexualität strukturell von der Gesellschaft benachteiligt
werden.80
g) Lesben und Schwule, insbesondere ihre Vertretungsverbände, sollten
der Versuchung nicht erliegen, auf das Mitleid und Mitgefühl, auf die
Nächstenliebe und Mildtätigkeit der heteronormativen Mehrheit zu verlassen und sich so deren Wohlwollen auszuliefern. Nicht nur, dass diese
Strategie Homosexualität als Abweichung, Krankheit oder Leid erscheinen lässt, sie untergräbt auch das Prinzip unbedingter Einhaltung der
Menschenrechte. Daher ist daraus zu schließen: Fordern statt Bitten!81
Unablässig. Warum sollte sich nur die Gegenseite der Diskurse bedienen?82
2.3. Auf öffentlicher, staatlicher Ebene
Der Vorzug und die eigentliche Aufgabe des Staates ist es, nicht wie ein Individuum (Privathaushalt bzw. Konsumten_in, Unternehmen bzw. Manager_in, Aktionär_in) zu denken und zu handeln. In seiner staatspolitischen Verantwortlichkeit hat er auf der Metaebene – über den Dingen – zu stehen. Der Staat
vertritt so die Interessen des Großen und Ganzen und der Schwachen –
theoretisch stets konsequent, praktisch oft zögerlich, ideologisch engstirnig und
kleingeistig, eher ängstlich auf seine eigenen Vorteile schielend.83 Und doch ist
79
Reczek (2009).
80
Bartel (2009).
81
Klapeer (2008).
82
Cornwall (1998).
83
Was der Staat, die hehre Wissenschaft und die Schwulen- und Lesbenverbände im Lauf der neueren Geschichte im Hinblick auf Gerechtigkeit unbeschadet sexueller Orientierung alles schlecht gemacht haben, schildert ein
29
der Staat die wahrscheinlich beste Organisationsform und Leistungsgarantie für
gesellschaftlichen Fortschritt und soll auch in heiklen und tabuisierten Thematiken nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden.84
a) Der Staat muss die Themenführerschaft in sensiblen Bereichen übernehmen und bewahren und sie nicht den Parole von Extremist_inn_en
und den Diskursen aus dem „Bauch des Volkes“ überlassen.
b) Der Staat muss bei einschlägigen Vorfällen (Äußerung von Vorurteilen,
Verunglimpfungen, Skandalisierungen, Verhetzungen, Suche nach Sündenböcken, Pauschalverurteilungen) jedes Mal unverzüglich und allgemein hörbar das Wort ergreifen. Er muss den Schwächeren und (potenziellen) Opfern eine laute Stimme geben und sie mit seiner (vorhandenen
oder zu etablierenden) Autorität stärken.
c) Der Staat muss klare Standortbestimmungen seiner gesellschaftlichen
und gesellschaftspolitischen Auffassungen vornehmen und in Erinnerung
behalten.
Dazu eignen sich grundsätzliche Deklarationen mit speziellen Hinweisen
auf ihre konkreten Anwendungen (die „Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung“ des Gemeinderates der Stadt Linz findet sich
als ein Musterbeispiel in Anhang A4. und hat bereits Nachahmer_innen
gefunden).
Solche Grundsatzerklärungen nützen allerdings nur dann, wenn die erklärten Grundsätze in den konkreten politischen und administrativen Verhaltensweisen ihren erkennbaren Niederschlag finden und keine Abweichungen zugestanden werden (das wäre mit ein Schritt dahin, die Politik
wieder akzeptierter, interessanter und besser renommiert zu machen;
nicht generelle Politikverdrossenheit herrscht, sondern die Verdrossenheit über bestimmte Politiken, die kommunikativ, inhaltlich und strategisch offensichtlich zu wünschen übriglassen).
d) Der Staat muss sich von formellen und informellen Banden der Kirche(n) emanzipieren, die – v. a. als dogmatische, nicht demokratische
Institutionen – unmittelbaren politischen Einfluss auf die säkulare, demokratische Politik nehmen (können). Eine klarere Trennung von Kirche(n)
und Staat tut Not. (Dabei ist freilich die Religionsfreiheit als eine private
Angelegenheit zu garantieren, wobei die Religion höchstens mittelbar, in
der Wahlzelle, in die Gestaltung des Gemeinwesens einfließt.)
etwa Martin Lücke (2008) für das Deutsche Kaiserreich und die Weimarer Republik so trefflich wie allgemeingültig. Er entlarvt Scheinheiligkeit in Bezug auf Prostitution und Heteronormativität und gibt damit mittelbar Stoßrichtungen zur Verbesserung vor.
84
Eine frühere österreichische Bundesregierung hatte zwar einen „Ausländerbeauftragten“ ernannt, doch dieser
beklagte sich bei einer Diskussionsveranstaltung an der Johannes Kepler Universität darüber, dass die erarbeiteten Unterlagen bereitlägen, aber niemand sie abholte. (Vielleicht müsste der Berg zum Propheten gegangen
sein.)
30
e) Der Staat muss Einschränkungen der Grundrechte ernster nehmen
(insbesondere im Zusammenhang mit den behaupteten terroristischen
und moralischen Bedrohungen der westlichen Zivilisationen).85
Bei politischer Beratung muss der Staat angestrengter versuchen (wollen), die ideologischen von den wissenschaftlichen Berater_inne_n zu
unterscheiden. Die Strategie, in Streitfragen so genannte unabhängige
Expert_inn_en entscheiden zu lassen und diese als Regierungsposition
einfach zu übernehmen, ist in jeder Hinsicht naiv und widerspricht unserer gerade erhobenen Forderung nach erhöhter politischer Verantwortlichkeit und Rechenschaft, ganz besonders dort, wo faktisch Grundrechte
auf dem Spiel stehen.
f) Politische Konsequenz nicht nur auf Grund ideologischer Einstellungen, sondern nicht zuletzt auch wissenschaftlicher Erkenntnisse
entspricht dem normativen Auftrag des Staates im Rahmen seines allgemeinen politischen Mandats.
g) Der Staat, namentlich seine Repräsentant_inn_en müssen im Hinblick
auf die Wahrung von Menschenrechten im Inland dieselbe Sprache
sprechen wie im Ausland (wo sie eine Lanze nach der anderen für
Homosexuelle u. a. brechen und diesbezüglich als Musterschüler_innen
gelten).
h) Die völlige rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen mit Heterosexuellen ist eine Aufgabe, der sich der Staat nicht entledigen
darf. Ansonsten wären all diese Zeile Schall und Rauch, wäre dieses
Papier reine Makulatur.
Non dictum, factum! Die Aufgabe des Staates besteht doch in der Initiative für gesellschaftlichen Fortschritt. Sonst wären Politiker_innen überbezahlt oder unterbeschäftigt oder überflüssig; Bürokrat_inn_en könnten
das Land nach Maßgabe von Meinungsumfragen oder Volksabstimmungen führen. Wer sonst sollte einen annähernd starken Impact ausüben
können wie Legislativmehrheit und Regierung. Einstimmige Lösungen
sind theoretisch ideal, praktisch aber so gut wie unmöglich. Die Wähler_innen lassen sich durch praktische Resultate überzeugen, lernen
rasch, mit den neuen Verhältnissen zu leben und strafen die Politik der
Gleichstellung bei den nächsten Wahlen kaum ab.86
i) Zur glaubhaften, effektiven und raschen Zielerreichung sind mitunter
positive Diskriminierungsmaßnehmen des Staates erforderlich.
Grundrechtsverletzungen haben nicht viel Zeit zur Sanierung, sonst wird
das gesellschaftliche Krankheitsbild in einer Eigendynamik akuter und
die Therapie aufwändiger.
85
Vgl. etwa die (private) Erklärung des Sexuellen Menschenrechte im Anhang A5.).
86
Mueller (1989), Dequech (2009), Lubbers u. a. (2009).
31
3. Freiheit verpflichtet, Zukunft auch
Freiheit
„Freiheit ist ein Gut, das stark macht. Aber es darf nicht zum Recht des Stärkeren werden. Denn das ist der Haken an der Freiheit: Sie kann in denjenigen, die
durch sie satt und stark geworden sind, den Keim der Selbstüberhebung legen.
Und die Vorstellung, Freiheit sei auch ohne Verantwortung zu haben. Freiheit
ist kein Vorrecht, die besten Plätze für sich selbst zu reservieren. Wir wollen
lernen, Freiheit nicht nur für uns zu nehmen, sondern sie auch anderen zu ermöglichen. Die Glaubwürdigkeit der Freiheit ist messbar: in unserer Fähigkeit,
Chancen zu teilen.“87
Zukunft
„Nach der Gleichstellung besteht die Herausforderung darin, die weibliche Differenz an den Orten, wo sie sich zeigt, nicht zu verleugnen, sondern zum Gegenstand politischer Verhandlungen zu machen – und das, wohlgemerkt, ohne in
alte Geschlechtsrollenklischees zurückzufallen (…)“.88
Literatur
Bartel, Rainer (1999), Social-economic issues in sexual orientation – where do we stand? In:
Arbeitspapiere des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Johannes Kepler Universität
Linz, # 9914, www.econ.jku.at/members/bartel/files/9914.pdf (20. 4.2010)
Bartel, Rainer (2000), Stonewall, HOSI Linz-Materialien, Juni
Bartel, Rainer (2005), Regenbogenfamilien und Adoption in Österreich. Arbeitsunterlage zum
Community Training 2005, veranstaltet vom Magistrat Wien am Institut für Wissenschaft
und Kunst, Wien, 12. November
Bartel, Rainer (2007), Liberalisierung als Machttransfer: politische Instrumentalisierung der
Märkte und das Wohl oder Weh der KonsumentInnen, in: Karl Kollmann und Manfred
E.A. Schmutzer (Hg.), Mächte des Marktes, Wien: Verlag Österreich, S. 43-63,
http://www.manfredschmutzer.at/pdf/Maechte_des_Marktes.pdf (15.4.2010)
87
Köhler, Klaus (2009), S. 5.
88
Schrupp (2010), S. 3.
32
Bartel, Rainer (2009), Sexuelle Orientierung und Freiheit in Zeiten von Konservatismus und
Neoliberalismus: Gedanken über Probleme und Strategien, Arbeitspapier, 29.10.2009
Bartel, Rainer/Horwath, Ilona/Finster-Kannonier, Waltraud /Mesner, Maria/Pfefferkorn, Erik/
Ziegler, Meinrad (Hg._innen) (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag
Bauer, Werner T./Berger, Andreas/Hutter, Caroline (2009), Die Rechte Homosexueller im europäischen Vergleich, Studie für die Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und
Politikentwicklung (OGPP), November,
www.politikberatung.or.at/typo3/fileadmin/02_Studien/6_europa/RechteHomosexueller.
pdf (29.4.2010)
Becker, Gary S. (1981), A Treatise on the Family, Cambridge, MA – London: Harvard University
Press, zit. N. Patterson (1989)
Beham-Rabanser, Martina (2010), Impulsreferat zur Podiumsdiskussion „Wer ist Familie?“ an
der Johannes Kepler Universität Linz, 21. Jänner
Booth, Philip (2009), Catholicism and Capitalism, in: Economic Affairs (29), 3, pp. 63-67
Breiner, Peter (2006), Is Social Citizenship Really Outdated? T. H. Marshall Revisited, Paper
presented at the annual meeting of the Western Political Science Association, Albuquerque (NM), March 17,
www.allacademic.com/meta/p_mla_apa_research_citation/0/9/7/5/7/p97572_index.html
Brook, Heather (2002), Stalemate. Rethinking the politics of marriage, in: Feminist Theory (3),
1, pp. 45-66, http://fty.sagepub.com/cgi/reprint/3/1/45 (4.5.2010)
Cornwall, Richard R. (1998), A Primer on Queer Theory for Economists Interested in Social
Identities, in: Feminist Economics (4), 2, pp. 73-82
Dalton, Susan E./Bielby, Denise D. (2000), “That's Our Kind of Constellation”: Lesbian Mothers
Negotiate Institutionalized Understandings of Gender within the Family, in: Gender &
Society (14), 1, pp. 36-61
Davis, John B. (2009), The Capabilities Conception of the Individual. Presidential Address to the
Association for Social Economics, 4 January, in: Review of Social Economy (67), 4, pp.
413-429
Dequech, David (2009), Institutions, social norms, and decision-theoretic norms, in: Journal of
Economic Behavior & Organization (72), 1, pp. 70-78,
http://www.sciencedirect.com/science?_ob=MImg&_imagekey=B6V8F-4W9XB7C-11&_cdi=5869&_user=464415&_pii=S0167268109001280&_orig=browse&_coverDate=1
0%2F31%2F2009&_sk=999279998&view=c&wchp=dGLbVlzzSkWA&md5=68318461c537fc58cec5669d2023b023&ie=/sdarticle.pdf (4.5.2010)
Dunne, Gillian A. (2000), Opting into Motherhood: Lesbians Blurring the Boundaries and Transforming the Meaning of Parenthood and Kinship, in: Gender & Society (14), 1, pp. 11-35
Engel, Antke (2008), Gefeierte Vielfalt. Umstrittene Heterogenität. Befriedete Provokation. Sexuelle Lebensformen in spätmodernen Gesellschaften, in: Rainer Bartel
u. a., Hg._innen (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck,
Wien, Bozen: Studien-Verlag, S. 43-63
Evans, David T. (1993), Sexual Citizenship: The Material Construction of Sexualities, London –
New York: Routledge Chapman & Hall
33
Europäisches Parlament (2003), Entschließung zur Lage der Grundrechte in der Europäischen
Union (2002) vom 4. September, zit. n. Graupner, Helmut (2003), Sexuelle Orientierung, Für einen verfassungsgesetzlichen Schutz vor Diskriminierung. Rede vor dem Österreich-Konvent, 15. Dezember, http://www.graupner.at/documents/rede031215.pdf
(27.4.2010)
Falkner, Gerda/Treib, Oliver/Hartlapp, Miriam/Leiber, Simone (2005), Complying with Europe.
EU Harmonisation and Soft Law in the Member States, Cambridge: Cambridge University Press
Frohn, Dominic (2007), Out im Office?! Sexuelle Identität, (Anti-)Diskriminierung und Diversity
am Arbeitsplatz – Ergebniszusammenfassung, Universität Köln, Psychologisches Institut, www.berlin-brandenburg.dgb.de/.../Dok_05_-_out-im-office_erg.-zus.-fass_.pdf
(8.4.2007)
Gärtner, Reinhold (2010), Probleme der direkten Demokratie, in: Interesse. Soziale Informa-
tion, 1, S. 4
Graupner, Helmut (2007), Gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Justiz und Menschenrechte.
Folienpräsentation auf der Österreichischen RichterInnenwoche 2007, 21.-25. Mai
Guger, Alois (2005), Internationale Lohnstückkostenposition 2004 verbessert, in: WIFOMonatsberichte (78), 11, S. 751-760
Guger, Alois (2008), Gerechtigkeit, Impulsreferat auf der Tagung „momentum 08 – Gerechtigkeit“, Hallstatt, 22. Oktober
Hastings, Paul D./Vyncke, Johanna/Sullivan, Caroline/McShane, Kelly E./Benibgui, Michael/Utendale, William (2006), Children’s Development of Social Competence Across
Family Types, research report to the Family, Children and Youth Section, Department of
Justice, Canada, July,
http://www.samesexmarriage.ca/docs/Justice_Child_Development.pdf (29.4.2010)
Heineck, Guido (2009), Sexual orientation and earnings: evidence from the ISSP, in: Applied
Economics Letters (16), 13, pp. 1351-1354
Hequembourg, Amy L./Farrell, Michael P. (1999), Lesbian Motherhood: Negotiating MarginalMainstream Identities, in: Gender & Society (13), 4, pp. 540-557
Johnson, Carol (2002), Heteronormative Citizenship and the Politics of Passing, in: Sexualities
(5), 3, pp. 317-336
Klapeer, Christine M. (2008), Für eine neue Grammatik der Anerkennung. Eine kritische Inspektion unterschiedlicher Anerkennungskonzeptionen für eine Theorie und Politik im LGBTKontext, in: Rainer Bartel u. a., Hg._innen (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag, S. 109-128
Köhler, Klaus (2009), Die Glaubwürdigkeit der Freiheit. Berliner Rede 2009, 24. März,
http://files.globalmarshallplan.org/pr/koe_903.pdf (23.4.2010)
Köllen, Thomas (2009), Über den Umgang von Lesben und Schwulen mit der eigenen Homosexualität am Arbeitsplatz. Der Zusammenhang von Diversity Management und arbeitsplatzbezogenen Selbstentwürfen, Dissertation an der Universität Wien, Juli
Köllen, Thomas (2010), Bemerkenswerte Vielfalt – Homosexualität und Diversity Management,
Zusammenfassung und Aufschlüsselung einiger Ergebnisse der Studie,
www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Umfragen/Thomas.Koellen-02.pdf (29.4.2010)
34
Langer, Phil C. (2008), Paradoxes Begehren. Zur Bedeutung heteronormativer Männlichkeitsbilder in der Psychodynamik von HIV-Infektionen, in: Rainer Bartel u. a., Hg._innen
(2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, S. 65-83
Lewis, Jane (2001), The End of Marriage: Individualism and Intimate Relations, Cheltenham –
Northampton (MA): Edward Elgar
Loewit, Kurt (1999), Die vielen Formen der Kommunikation. Über die Kommunikationsfunktion
von Sexualität, in: beziehungsweise – Informationsdienst des Österreichischen Instituts
für Familienforschung, 8, S. 37-38
Lubbers, Marcel/Jaspers, Eva/Ultee, Wout (2009), Primary and Secondary Socialization Impacts on Support for Same-Sex Marriage After Legalization in the Netherlands, in:
Journal of Family Issues (30), 12, pp. 1714-1745,
http://jfi.sagepub.com/cgi/reprint/30/12/1714 (29.4.2010)
Lücke, Martin (2008), Männlichkeit in Unordnung: Homosexualität und männliche Prostitution in
Kaiserreich und Weimarer Republik, Frankfurt a. M.: Campus-Verlag
Mesquita, Sushila (2008), Heteronormativität und Sichtbarkeit, in: Rainer Bartel u. a., Hg._innen
(2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, S. 129-147
Millett, Kate (1985), Sexus und Herrschaft. Die Tyrannei des Mannes in unserer Gesellschaft,
Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch; Sexual Politics, Garden City (NY) 1970:
Doubleday
Mueller, Dennis C. (1989), Public choice II. A revised version of Public choice, Cambridge:
Cambridge University Press
Nowotny, Ewald (1996), Der öffentliche Sektor. Einführung in die Finanzwissenschaft, 3. Aufl.,
Berlin etc.: Springer-Verlag
Patterson, Perry L. (1998), Including Gays and Lesbians in the Economics Curriculum, in: Feminist Economics (4), 2, pp. 65-72
Pechriggl, Alice (2008), Naturrechtliche „Heteronormativität“ vs. Politische Normsetzung. Zur
Kritik von Diskursen über die Norm und über diese hinweg …, in: : Rainer Bartel u. a.,
Hg._innen (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen:
Studien-Verlag, S. 25-42
Pfau, Georg (2010), Anders als die anderen. Den Ursachen der Homosexualität auf der Spur,
Referat zu der gleichnamigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltung der HOSI Linz,
Linz, 5. Februar
Pommerehme Werner W. (1987), Präferenzen für öffentliche Güter. Ansätze zu ihrer Erfassung,
Tübingen: Verlag Franz Mohr
Rainer, Helmut (2008), Gender discrimination and efficiency in marriage: the bargaining family
under scrutiny, in: Journal of Population Economics (21), 2, 305-329, Working Paper
http://www.essex.ac.uk/economics/discussion-papers/papers-text/dp586.pdf
(29.4.2010)
Reczek, Corinne (2009), Commitment Without Marriage. Union Formation Along Long-Term
Same-Sex Couples, in: Journal of Family Issues (30), 6, pp. 738-756
35
Richardson, Diane (2004), Locating Sexualities: From Here to Normality, in: Sexualities (7), 4,
pp. 391-411
Sauer, Rolf (2010), Impulsreferat zur Podiumsdiskussion „Wer ist Familie?“ an der Johannes
Kepler Universität Linz, 21. Jänner
Schmutzer, Dieter (2001), Beziehungsformen für das 21. Jahrhundert. Von der traditionellen
Ehe zur Homo-Ehe, Vortrag in der Reihe „Lebensgemeinschaften im Wandel der Zeit.
Traditionelle Familie und schwul-lesbische Familiennetzwerke“ der Homosexuellen Initiative Linz und der Volkshochschule Linz
Schrupp, Antje (2010), Was kommt nach der Gleichstellung? In: Interesse. Soziale Information,
1, S. 3
Seel, Gerhard (1995), Wie begründet man die Pflichten gegenüber zukünftigen Generationen?
Vortrag an der Johannes Kepler Universität Linz, 23. Mai, eingeladen vom Institut für
Philosophie und Wissenschaftstheorie
Sen, Amartya (1989), Development as Capability Expansion, in: Journal of Development Planning (19), pp. 41-58, http://tek.bke.hu/korok/sen/docs/development.pdf (15.4.2010)
Simon, Herbert (1993), Altruism and Economics, in: The American Economic Review (82), 3,
pp. 156-161
Treiblmayr, Christoph (2008), Von “bewegten Männern” und “queeren Gender-Utopien”. Männliche Homosexualitäten im deutschen Kino der 1990er Jahre, in: Rainer Bartel u. a.,
Hg._innen (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen:
Studien-Verlag, S. 85-107
UNDP – United Nations Development Programme (2004), Human Development Report 2004.
Cultural liberty in today’s diverse world, Washington D.C.,
http://hdr.undp.org/en/media/hdr04_complete.pdf (15.4.2010)
Valentine, Gill/ Skelton, Tracey /Butler, Ruth (2003), Coming out and outcomes: negotiating
lesbian and gay identities with, and in, the family, in: Society and Space (21), 4, pp.
479-499
WAS – World Association for Sexology (1999), Erklärung der Sexuellen Menschenrechte,
www.zepra.info/de/download/documents/ErklaerungdersexuellenMenschenrechte.pdf
(30.4.2010)
Weichselbaumer, Doris/Winter-Ebmer, Rudolf (2007), The Effects of Competition and Equal
Treatment Laws on the Gender Wage Differential, in: Economic Policy (22), April, pp.
235-287, www.econ.jku.at/members/WinterEbmer/files/papers/printedpapers/economic%20policy.pdf (22.4.2010)
Ziegler, Meinrad (2008), Einleitung: Heteronormativität und die Verflüssigung des Selbstverständlichen – theoretische Kontexte, in: Rainer Bartel u. a., Hg._innen (2008), Heteronormativität und Homosexualitäten, Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag, S. 13-23
36
Anhang
A1. Strafrechtsparagrafen einst und jetzt
Das Totalverbot einvernehmlicher sexueller Handlung zwischen zwei Über-18-Jährigen (§ 119 I.
b StGB) wurde 1971 abgeschafft und durch die vier o. a. Paragrafen gleichsam ersetzt
(www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1971_273_0/1971_273_0.pdf, 22.4.2010). Diese trugen
damals andere Paragrafenzahlen, so dass vorstehend auf das Strafgesetzbuch 1974 zurückgegriffen wurde (www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1971_273_0/1971_273_0.pdf, 22.4.2010);
die dortige Bezifferung galt nämlich bis zur jeweiligen Aufhebung der Paragrafen, und zwar
1989 das Prostitutionsverbot (§ 210 StGB) und 1997 das „Werbeverbot“ (§ 220 StGB) und das
„Vereinsverbot“ (§ 221 StGB). 2002 wurde der „erhöhte Mindestaltersparagraf“ (§ 209 StGB)
abgeschafft und quasi vom § 207 b StGB (Sexueller Missbrauch von Jugendlichen) nachgefolgt.
Strafrechtsänderungsgesetz 2002:
„19a. Nach § 207a wird folgender § 207b samt Überschrift eingefügt:
Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
§ 207b. (1) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug ist, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder
nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieser mangelnden Reife sowie seiner altersbedingten Überlegenheit eine geschlechtliche Handlung vornimmt, von einer solchen Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche
Handlung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unter Ausnützung
einer Zwangslage dieser Person eine geschlechtliche Handlung vornimmt, von einer solchen
Person an sich vornehmen lässt oder eine solche Person dazu verleitet, eine geschlechtliche
Handlung an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
(3) Wer eine Person, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, unmittelbar durch ein
Entgelt dazu verleitet, eine geschlechtliche Handlung an ihm oder einem Dritten vorzunehmen
oder von ihm oder einem Dritten an sich vornehmen zu lassen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren zu bestrafen.
19b. § 209 entfällt.“
www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/2002_134_1/2002_134_1.pdf (22.4.2010)
Strafgesetzbuch 1974
„Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Jugendlichen
§ 209. Eine Person männlichen Geschlechtes, die nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres mit einer jugendlichen Person gleichgeschlechtliche Unzucht treibt, ist mit Freiheitsstrafe
von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
Gewerbsmäßige gleichgeschlechtliche Unzucht
§ 210. Wer gewerbsmäßig gleichgeschlechtliche Unzucht mit einer Person männlichen Geschlechtes treibt oder sich zu solcher Unzucht anbietet, ist, sofern nicht gleichgeschlechtliche
Unzucht mit Jugendlichen (§ 209) vorliegt, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.
37
Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechtes oder mit Tieren
§ 220. Wer in einem Druckwerk, in einem Laufbild oder sonst öffentlich zur gleichgeschlechtlichen Unzucht oder zur Unzucht mit Tieren auffordert oder sie in einer Art gutheißt, die geeignet
ist, solche Unzuchtshandlungen nahezulegen, ist, sofern er nicht als an der Unzuchtshandlung
Beteiligter (§ 12) mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder
mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht
§ 221. Wer eine Verbindung einer größeren Zahl von Personen gründet, deren wenn auch nicht
ausschließlicher Zweck es ist, gleichgeschlechtliche Unzucht zu begünstigen, und die geeignet
ist, öffentliches Ärgernis zu erregen, ferner, wer einer solchen Verbindung als Mitglied angehört
oder für sie Mitglieder wirbt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis
zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“
www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_60_0/1974_60_0.html (22.4.2010)
„Gleichgeschlechtliche Unzucht“
Aufhebung des Totalverbots „gleichgeschlechtlicher Unzucht“ durch Männer wie Frauen erfolgte
1971 durch die erste Strafrechtsreform der Regierung
A2. Studien über den Suizid lesBiSchwuler Menschen, insbesondere Jugendlicher
Studie
Daten, Methode
C. Bagley, P. Tremblay (1997),
Geschichtete Zufallsstichprobe
von 750 Männern von 17-27
Suicidal behaviors in homosexuJahren in Calgary, Kanada. Fraal and bisexual males,
gen zur seelischen Gesundheit
zum Abtesten von Selbstmordin: Crisis, 18. Jahr, Heft 1.
gedanken und Selbstbeschädigungen; anonyme Beantwortung
mittels EDV-Formblatt zur Steigerung der Antwortbereitschaft
zu heiklen Fragen.
Ergebnis
Fast 13 % deklarieren sich als
schwul bzw. bisexuell oder geben eine aktuelle Sexualbeziehung zu einem Mann an.
62,5 % all jener Befragten, die
einen Selbstmord versucht haben, sind homo- oder bisexuell.
Das ergibt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Teilgruppen eine fast 14 Mal höhere
Häufigkeit von Selbstmordversuchen bei Schwulen als bei Heteromännern.
Besondere Gefährdung besteht
in der Coming-Out-Phase.
A.P. Bell, M.S. Weinberg (1978), Zufallsstichprobe von 575 aus
einem Datensatz von 3533 als
Homosexualities: a study of diüberwiegend schwul klassifizierversity among men and women,
ten weißen Männern in San
Francisco Bay Area mit einem
Verlag Simon and Schuster,
Durchschnittsalter von 37 JahNew York.
ren.
Das Risiko eines ersten Selbstmordversuchs ist unter Schwulen und Bisexuellen im Vergleich
zu Heteromännern:
bis zum Alter von 17 bzw. 21
Jahren 14 Mal bzw. 13,6 Mal so
hoch,
bis zum Alter von 25 bzw. 37
38
Jahren jeweils 5,8 Mal so hoch.
Enthaltsam Lebende sind besonders gefährdet.
S. Brady, W.J. Busse (1994),
Stichprobe von 196 Männern
eingeteilt in 4 Stufen der schwuThe gay identity questionnaire: a
len Identitätsfindung.
brief measure of homosexual
identity formation,
Befragung mittels einer Skala
des seelischen Wohlbefindens
in: Journal of Homosexuality,
hinsichtlich verschiedener KriteJahr 26, Heft 4.
rien des Befindens, darunter
auch Selbstmordgefühle.
Höchste statistisch signifikante
Unterschiede im Wohlbefinden
bestehen zwischen Phase 3
(Duldung der eigenen Homosexualität) und Phase 4 (Annahme
der eigenen Homosexualität);
das am stärksten unterschiedliche Kriterium zwischen diesen
Phasen ist das der Selbstmordgefühle.
S. Cochran, V. Mays (2000),
Die lebenslange Häufigkeit eines
Selbstmordversuchs ist bei
schwulen und bisexuellen Männern mit 19,3 % 5,4 Mal so groß
wie bei Heteromännern (3,6 %).
Lifetime prevalence of suicide
symptoms and affective disorders among men reporting
same-sex sexual partners,
in: American Journal of Public
Health, 90. Jahr, Heft 4.
Persönliche Interviews mit 3648
17- bis 39-jährigen Männern im
Rahmen der U.S.-Gesundheitsund Ernährungsstudie;
nur 2,2 % der Interviewten gaben homosexuelle Kontakte an.
Die Lüge im persönlichen Interview bedeutet statistisch, dass
der wahre Wert auf mindestens
7,7 % zu schätzen ist.
Bei Schwulen und Bisexuellen
finden 98 % der Selbstmordversuche im Altersbereich 17-29
Jahre statt, während das Risiko
von Selbstmordversuchen bei
Heteromännern sich nicht signifikant auf einen bestimmten Altersbereich konzentriert.
Was wiederkehrende schwere
Depressionen betrifft, sind
Schwule 3,5 Mal so häufig betroffen.
A.R. D’Augelli, S.L. Hershberger
(1993),
142 Männer und 53 Frauen im
Alter von 15-21 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 19
Lesbian, gay, and bisexual youth
Jahren, 66 % davon weiß, aus
in community settings: personal
14 U.S. lesBiSchwulen Kommuchallenges and mental health
nikationszentren; 75 % der Beproblems,
fragten definieren sich als lesin: American Journal of Commu- bisch bzw. schwul, 25 % als
nity Psychology, 21. Jahr, Heft 4. bisexuell.
Der Anteil der Personen mit
mindestens 1 Selbstmordversuch liegt bei 42 %; zwischen
Männern und Frauen gibt es
darin keinen statistisch signifikanten Unterschied.
A.R. D’Augelli, S.L. Hershberger
(1998),
Unterschied in der Häfigkeit der
Selbstmordversuche: 41 % bei
jenen lesBiSchwulen Jugendlichen, die ihre sexuelle Orientierung vor der Familie verstecken,
aber nur 12 % bei denen, die
sich ihrer Familie gegenüber
outen. Im Hinblick auf gegenwärtige, häufige bis gelegentliche
Selbstmordgedanken sind die
142 Männer und 53 Frauen im
Alter von 15-21 Jahren mit einem Durchschnittsalter von 19
Lesbian, gay, and bisexual youth
Jahren, 66 % davon weiß, aus
and their families: disclosure of
14 U.S. lesBiSchwulen Kommusexual orientation and its consenikationszentren; 75 % der Bequences,
fragten definieren sich als lesbisch bzw. schwul, 25 % als
in: American Journal of Orthobisexuell.
psychiatry, 68. Jahr, Heft 3.
Indikatoren für Selbstmordversuche sind ein geringes Selbstwertgefühl, Alkoholmissbrauch,
Depressionen und Verlust von
FreundInnen nach dem Outing.
39
Häufigkeiten 30 bzw. 12 % bei
versteckten bzw. geouteten Jugendlichen.
D.M. Fergusson, L.J. Horwood,
A.L. Beautrais (1999),
Is sexual orientation related to
mental health problems and
suizidality in young people?
In: Archives of General Psychiatry, 56. Jahr, Heft 10.
1256 Jugendliche von 21 aufei- Mit 95 %-iger Wahrscheinlichkeit
nander folgenden Geburtsjahren kann gefolgert werden, dass
in Christchurch, Neu Seeland.
homo- und bisexuelle Jugendliche 6,2 Mal häufiger einen
Befragt wurden die Jugendlichen
Selbstmordversuch begehen als
jeweils im Alter von 21 Jahren.
heterosexuelle.
Nur 2,8 % konnten auf Grund
des Problems der Wahrheitsverheimlichung als homo- oder
bisexuell klassifiziert werden
(siehe oben: Cochran/Mays
2000).
S.A. Safren, R.G. Heimberg
(1999),
48 heterosexuelle und 56 lesBiSchwule U.S. Jugendliche im
Alter von 16-21 Jahren aus
Depression, hopelessness, suiznach-schulischen Bildungsproidality, and related factors in
grammen bei Arbeitsmarktprobsexual minority and heterosexual
lemen.
adolsescents,
in: Journal of Consulting and
Clinic Psychology, 67. Jahr, Heft
6.
Häufigkeiten bei lesBiSchwulen
bzw. heterosexuellen Jugendlichen bezüglich:
Selbstmordversuchen 30 bzw.
13 %, fester Wunsch, beim
Selbstmordversuch tatsächlich
zu sterben 58 bzw. 33 %, zeitweilig wiederkehrende Selbstmordgedanken 40 bzw. 10 %,
oftmalige Selbsmordgedanken
20 bzw. 0 %.
www.sws.soton.ac.uk/gay-youth-suicide/ (19.3.2001), zusammengestellt von Rainer Bartel
A3. Eingetragene Partnerschaft in Österreich
„Seit 1. Jänner 2010 können gleichgeschlechtliche Paare in Österreich die „Eingetragene Partnerschaft (EP)“ schließen. Sie gehen damit eine verbindliche, auf Dauer angelegte Partnerschaft ein, die staatlich anerkannt und eingetragen ist. Die EP ist damit ähnlich einer Ehe und
bringt zahlreiche Rechte wie auch Pflichten mit sich.
Voraussetzungen für eine EP
•
Zwei Personen gleichen Geschlechts (Transgender: ‚rechtliches Geschlecht’ bei Eintragung)
•
Volljährig
•
Geschäftsfähig (sonst Zustimmung von gesetzlicher/m VertreterIn oder Gericht)
•
Nicht miteinander verwandt, nicht adoptiert
•
Nicht bereits in anderer aufrechter EP oder Ehe
40
Eintragung
(…) Eintragen der EP zum fixierten Termin (oder nach Wunsch/Möglichkeit sofort) in den Amtsräumen (andere BVB als beim Antrag ist möglich). Das anwesende Paar unterschreibt das Protokoll (keine „Trauzeugen“) und erhält sofort (bzw. später extern) die Partnerschaftsurkunde(n).
Starke regionale Unterschiede! Manche Städte (allen voran Wien) bieten sehr eheähnliche Eintragungen an (Saal & Zeremonie). Andere Behörden agieren bürokratisch bis unterkühlt (z. B.
Vorarlberg).
Folgen
Personenstand „in EP lebend“ (z. B. auf Meldezettel), Nachname statt Familienname, Anerkennung als Familienangehörige und teilweise der Schwägerschaft.
Optional: Namensänderung (nur für ÖsterreicherInnen). Gemeinsamer Nachname und Doppelname (ohne Bindestrich!) müssen mit der Eintragung beantragt werden!
Rechte und Pflichten zueinander
•
Das Paar soll die EP gleichberechtigt unter ‚voller Ausgewogenheit ihrer Beiträge’ einvernehmlich gestalten und zum Unterhalt „nach ihren Kräften“ beitragen.
Umfassende partnerschaftliche Lebensgemeinschaft und ‚Vertrauensbeziehung’ (statt
‚Treue’ wie bei Ehe). Gemeinsame Lebensführung ohne geheime Lebensbereiche
•
Gemeinsames Wohnen, außer anders vereinbart, unzumutbar (z. B. Gewalt) oder sonstige wichtige Gründe
•
Anständiger Umgang miteinander
•
Ideelle und materielle Beistandspflicht, das heißt:
o
Hilfe und Unterstützung (von Haushaltsführung bis zur Krankenpflege, auch
Angehörige des/der Anderen)
o
Unterhalt (z. B. etwa ein Drittel des Nettoverdienstes bei alleiniger Haushaltsführung ohne Erwerbstätigkeit)
o
Erhalt der Partnerschaftswohnung
o
Mitwirkung im Erwerb des/der Anderen (außer anders vereinbart) gegen Entgelt, wenn zumutbar und üblich
o
Gütertrennung (außer durch Ehepakt anders vereinbart): Vermögen und Schulden bleiben in aufrechter EP getrennt
Gesetzliches Erbrecht (falls kein Testament) sowie Anrecht auf den ‚Voraus’ (Wohnrecht und
Hausrat).
Testament: Anspruch auf Mindestanteil (Pflichtteil). Pflichtteile der Vor-/Nachfahren sind auch
zu beachten.
Rechte und Pflichten gegenüber Dritten
Die Wirkungen der EP sind fast gleich der Ehe, zum Beispiel:
•
Wohn- und Mietrecht (z. B. Mietvertragsübertragung)
•
Aussagebefreiung bei Verfahren gegen PartnerIn (auch nach Ende der EP), Begünstigungen im Strafrecht (auch gegenüber Angehörigen der Partnerin / des Partners)
•
Ausschluss wegen Befangenheit (z. B. als RichterIn)
•
Mitversicherung in der Krankenversicherung (auch ohne Haushaltsführung), Hinterbliebenenpension
41
•
Zulagen für Grundwehr- und Zivildiener, EntwicklungshelferInnen
•
Berufsgruppenrechte (z. B. öffentliche Bedienstete, ÄrztInnen, AnwältInnen, etc.): Zulagen, Beteiligungsrechte (z. B. an Kanzlei) usw.
•
Steuervorteile: z. B. Grunderwerb, Alleinverdienerabsetzbetrag, Sonderausgaben, (Familienlastenausgleichsfonds)
•
(Gewerbe-)Betrieb: Fortführungsrecht nach Tod usw.
Auch Paare ohne EP haben Rechte, z. B. Pflege-/Hospizurlaub, Auskunft im Spital; aber durch
EP ist Status besser dokumentiert.
Offen: Landesrecht (z. B. Bestattung, Wohnbauförderung), weitere Anpassungen (Kollektivverträge, Pensionskassen usw.)
In der Arbeitswelt sind EP und Ehe nach Unionsrecht gleichgestellt!
Kinder in Regenbogenfamilien
Primäre Benachteiligungen (gegenteilige Möglichkeiten anderer Staaten sind gegebenenfalls in
Österreich anzuerkennen):
•
Verbot gemeinsamer Fremdkindadoption
•
Verbot medizinisch unterstützter Fortpflanzung
•
Verbot der Stiefkindadoption in aufrechter EP (ohne EP möglich, aber PartnerIn verliert
Elternrechte)
•
Keine gemeinsame Obsorge für Stiefkinder
•
Keine gesetzliche Vertretung des/der PartnerIn in täglichen Obsorgeangelegenheiten
•
Name der nach EP-Schließung geborenen Kinder ungeklärt, da Mutter ohne Familienname (siehe Folgen der Eintragung)
•
Kinderbezogene Rechte bzw. Leistungen (z. B. Arbeits-, Sozial oder Beamtenrecht):
Zugang gegenüber einer Ehe erschwert
In einer EP jedoch möglich
•
Adoption (ein/e PartnerIn allein, auch ohne EP)
•
Pflegeelternschaft (auch ohne EP) mit einigen Rechten und Pflichten möglich: Automatisch durch faktische Betreuung des Kindes (z. B. als Stiefelternteil) oder durch Vertrag
mit dem Jugendamt, insbesondere in Wien
•
Der Nachzug von Stiefkindern ist möglich (Fremdenrecht)
•
Pflegeurlaub, Sterbebegleitung und Mitversicherung für Stiefkinder möglich, aber gegenüber Paaren ohne EP erschwert
Internationale Beziehungen
Die EP kann in Österreich unabhängig von Staatsbürgerschaft und Wohnort eingetragen werden („touristische“ Paare möglich, Visaregeln beachten). Ob andere Staaten diese EP anerkennen, hängt jedoch von deren Rechtsordnung ab.
•
Im Ausland geschlossene EP bzw. Ehe
o
EP: Im Ausland gültig geschlossene Eingetragene Partnerschaften werden in
Österreich anerkannt (im Zweifel: nochmalige Eintragung in Österreich). Hat
das Paar seinen „gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt“ in Österreich, so gilt
(unabhängig vom Eintragungsstaat) österreichisches Recht für die wechselsei-
42
tigen
sowie die Auflösung.
o
•
•
Rechte
und
Pflichten
Ehe: Im Ausland gültig geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen sind jedenfalls dann (als Ehe) anzuerkennen, wenn die Heimatrechte beider PartnerInnen
solche Ehen erlauben. Anders als bei einer EP sind Rechte, Pflichten und
Scheidung bei Ehen primär von der Staatsbürgerschaft abhängig.
Immer:
o
Namens-, Erb- und Adoptionsrecht nach Staatsbürgerschaft, Sonderregeln für
das Güterrecht.
o
Im Fremdenrecht gelten gleiche Rechte wie für Ehepaare!
Aufenthaltsrecht:
Altersgrenze für PartnerIn
o
von EWR-/Schweizer BürgerIn: keine
o
ÖsterreicherIn, DrittstaatsangehörigeR: mind. 21 Jahre
•
Einkommen und weitere Voraussetzungen abklären!
•
‚Scheinpartnerschaften’ werden strafrechtlich verfolgt
•
Freier Zugang zum Arbeitsmarkt – jedoch nicht, wenn beide PartnerInnen aus einem
Drittstaat oder neuem EU-Staat mit Übergangsfrist kommen
•
Staatsbürgerschaft: mind. 5 Jahre in EP und mind. 6 Jahre rechtmäßiger Aufenthalt in
Österreich
Beendigung und Konsequenzen
Die EP endet durch Tod bzw. Todeserklärung oder durch gerichtliche Auflösung bzw. Nichtigerklärung (Antrag beim Wohnsitzbezirksgericht, bei dem/der FamilienrichterIn)
•
Auflösung
o
Einvernehmlich
Mindestens sechs Monate ‚Trennung’ sowie schriftliche Einigung (Scheidungsvergleich) zu Unterhalt und Vermögensaufteilung nötig
•
•
•
Streitig – Klage am Bezirksgericht wegen:
o
Willensmängeln bei Eintragung (z.B. Irrtum, Zwang)
o
Verschulden: Schwere Verfehlung des/r anderen. Wenn nicht ‚verziehen’, Klage
binnen 6 Monaten! Statt „Treue“ hat EP Pflicht zur ‚Vertrauensbeziehung’.
o
Zerrüttung: mind. 3 Jahre Trennung, auch einseitig
o
Andere Gründe (z. B. bestimmte Krankheiten)
Kosten und Dauer
o
Ab 500 €, wenige Wochen (einvernehmlich)
o
bis zu Tausende Euro und viele Jahre (streitig)
Ohne Einigung regelt das Gericht: Unterhalt, Aufteilung von Ersparnissen und Gebrauchsvermögen (z. B. Wohnung, Hausrat, Auto). Der gerichtliche Schuldausspruch
(kein, gleichteiliges oder alleiniges/überwiegendes Verschulden) ist nur für den Unterhalt (ev. Pension) wichtig!
‚Einvernehmlich’ auch während streitigem Prozess noch möglich.
43
•
Nichtigkeit aus bestimmten Gründen
•
Aus Gründen wie z. B. Aufenthaltspartnerschaft, Bigamie, Verwandtschaft kann die EP
für nichtig erklärt werden.
•
Eheverträge
o
Aufteilungsverträge: Aufteilung von Ersparnissen und ‚Ehewohnung’ (notariatsaktpflichtig) sowie des übrigen Gebrauchsvermögens können ganz ausgeschlossen oder anders als im Gesetz geregelt werden (schon vor der Eintragung oder auch später).
o
Ehepakte: z. B. Gütergemeinschaft, Erbvertrag (notariatsaktpflichtig, nicht einseitig widerrufbar)“
http://www.partnerschaftsgesetz.at/red.html (22.4.2010)
A.4 Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung
„Die Stadt Linz bekennt sich zu dem Grundsatz, dass niemand wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Sprache, des Geschlechtes, der sexuellen Orientierung oder Identität, der
weltanschaulichen, politischen oder religiösen Überzeugung bevorzugt oder benachteiligt werden darf.
Eingedenk der Tatsachen, dass – 52 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – in der österreichischen Verfassung noch kein Gebot der Gleichberechtigung bzw. kein Verbot der Diskriminierung auf Grund der geschlechtlichen Orientierung existiert, dass im österreichischen Recht immer noch diskriminierende Bestimmungen auf Grund der geschlechtlichen
Orientierung bestehen und dass in Teilen der Bevölkerung immer noch auf Desinformation beruhende Vorurteile und Aversionen gegenüber gleichgeschlechtlich Liebenden vorhanden sind,
verabschiedet der Linzer Gemeinderat diese Resolution für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung insbesondere im Hinblick auf Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung.
Die Stadt Linz ermutigt daher ihre gleichgeschlechtlich liebenden Bürgerinnen und Bürger im
besonderen, ihr Leben angstfrei und würdevoll, selbstbestimmt und selbstbewusst zu führen
und ruft sie auf, sich in Fällen von Diskriminierung vertrauensvoll an die zuständigen städtischen Einrichtungen zu wenden.
In diesem Sinn legt die Stadt Linz ein Bekenntnis zur Bekämpfung von Vorurteilen und Intoleranz, Populismus und Ächtung, Benachteiligung, Ausgrenzung und Verhetzung ab.
Mit der vorliegenden Resolution unterstreicht die Stadt Linz das allgemeine verfassungsrechtliche Gebot, Diskriminierung zu vermeiden, und geht die Verpflichtung ein, die Gleichbehandlung
der Menschen unbeschadet der genannten persönlichen Eigenheiten, insbesondere der geschlechtlichen Orientierung, zu gewährleisten.
Die Stadt Linz verpflichtet sich, im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Gesetzgebung, Vollziehung
und Unternehmensführung alles zu unternehmen, um für die Menschen in Linz unbeschadet
der genannten persönlichen Eigenheiten, insbesondere der geschlechtlichen Orientierung, effektiv gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen.
Die Stadt Linz bekennt sich daher insbesondere auch zur rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerinnenschaften und Partnerschaften mit verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften.
Die Stadt Linz will damit ein Beispiel für die Verwirklichung des Ziels der Gleichberechtigung
gleichgeschlechtlich und verschiedengeschlechtlich liebender Menschen auch anderen Orts
geben.
44
Im Geiste dieser Resolution fordert die Stadt Linz den Nationalrat und Bundesrat der Republik
Österreich sowie den Landtag des Landes Oberösterreich auf, rasch die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass Bürgerinnen und Bürger auf Grund ihrer gleichgeschlechtlichen
Orientierung in keinerlei Hinsicht mehr diskriminiert werden.“
Die Linzer Deklaration für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung wurde vom Linzer Gemeinderat
1999 mit knappster Mehrheit abgelehnt und 2000 mit Mehrheit angenommen.
A5. Erklärung der Sexuellen Menschenrechte
„Erst seit dem 26.8.1999 gibt es eine weltweite Erklärung der sexuellen Menschenrechte. An
diesem Datum hat die World Association for Sexology (WAS) in Hongkong eine elf Punkte umfassende Erklärung verabschiedet, welche die Sexualität als einen integralen Bestandteil der
Persönlichkeit jedes menschlichen Wesens begreift. Ihre volle Entfaltung verlangt nach dieser
Erklärung die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse wie Sehnsucht nach Kontakt, nach
Intimität, nach Ausdruck von Gefühlen, nach Lust, Zärtlichkeit und Liebe. Sexualität entsteht
aus dem Zusammenwirken von individuellen und gesellschaftlichen Strukturen. Eine voll entwickelte, erfüllte Sexualität ist die Grundlage für individuelles, zwischenmenschliches und gesellschaftliches Wohlbefinden. Sexuelle Rechte sind universale Menschenrechte auf der Grundlage
von Freiheit, Würde und Gleichheit aller Menschen. Das Anrecht auf sexuelle Gesundheit ist ein
menschliches Grundrecht. Damit diese umfassend formulierten Ziele erreicht werden können
und Menschen wie auch Gesellschaften eine gesunde Sexualität entwickeln können, müssen
die genannten elf Sexual-Rechte weltweit anerkannt und mit allen Mitteln gefördert und verteidigt werden. Sexuelle Gesundheit gedeiht nur in einer Umgebung, die diese sexuellen Grundrechte wahrnimmt, respektiert und ausübt.
1. Recht auf sexuelle Freiheit
Sexuelle Freiheit umfasst die Freiheit eines jeden Individuums, alle seine sexuellen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Dies schließt jedoch zu jeder Zeit und in jeder Lebenssituation
alle Formen sexuellen Zwangs und sexueller Ausbeutung aus.
2. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit
Dieses Recht beinhaltet die Fähigkeit zu selbständigen Entscheidungen über das eigene Sexualleben im Rahmen der eigenen persönlichen und sozialen Ethik. Es umfasst auch das Recht
auf Verfügung über den eigenen Körper und Lust am eigenen Körper, frei von jeder Art von
Folter, Verstümmelung und Gewalt.
3. Das Recht auf eine sexuelle Privatsphäre
Dies umfasst das Recht auf eigenständige Entscheidungen und Verhaltensweisen im Intimleben, solange diese nicht die Sexualrechte anderer beeinträchtigen.
4. Das Recht auf sexuelle Gleichwertigkeit
Dies verlangt Freiheit von allen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Geschlechtsrolle, sexueller Orientierung, Alter, Rasse, sozialer Schicht, Religion oder körperlicher
und seelischer Behinderung.
45
5. Das Recht auf sexuelle Lust
Sexuelle Lust einschließlich Selbstbefriedigung ist eine Quelle von körperlichem, seelischem,
geistigem und spirituellem Wohlbefinden.
6. Das Recht auf Ausdruck sexueller Empfindungen
Sexuelle Äußerungen beinhalten mehr als erotische Lust oder sexuelle Handlungen. Menschen
haben das Recht, ihre Sexualität durch Kommunikation, Berührungen, Gefühle und Liebe auszudrücken, solange dies nicht die Sexualrechte anderer beeinträchtigt.
7. Das Recht auf freie Partnerwahl
Dies bedeutet das Recht zu heiraten oder auch nicht, sich scheiden zu lassen und andere Formen verantwortungsbewusster sexueller Beziehungen einzugehen.
8. Das Recht auf freie und verantwortungsbewusste Fortpflanzungsentscheidungen
Dies schließt das Recht auf die Entscheidung ein, Kinder zu haben oder nicht; ihre Anzahl und
die Abstände zwischen den Geburten zu bestimmen; und das Recht auf ungehinderten Zugang
zu Mitteln der Fruchtbarkeits-Kontrolle.
9. Das Recht auf wissenschaftlich fundierte Sexualaufklärung
Dieses Recht beinhaltet, dass sexuelles Wissen in einem Prozess unbehinderter Forschung
und wissenschaftlicher Ethik gewonnen und in angemessener Weise auf allen gesellschaftlichen Ebenen verbreitet wird.
10. Das Recht auf umfassende Sexualerziehung
Dies ist ein lebenslanger Prozess von der Geburt durch alle Lebensphasen hindurch bis ins
Alter.
11. Das Recht auf sexuelle Gesundheitsfürsorge
Zur Verhütung und Behandlung von allen sexuellen Fragen, Problemen und Störungen sollte
allen eine angemessene Gesundheitsfürsorge zur Verfügung stehen“ (WAS 1999, Deutsch von
Rolf Gindorf).
A6. Ein paar „Schmankerl“ als Nachlese
„Ihr könnt machen, was Ihr wollt. Drei Viertel der Österreicher empfinden Euch als Mist der Erde. Gute Nacht, schwule Säue“ (anonyme Nachricht vom 20. Mai 1996, 02:19 Uhr, am Anrufbeantworter des Rosa-lila Beratungstelefons der HOSI Linz).
„Unsere Gesellschaft ist mit ihrem Verfall an biblischen oder auch nur moralischen Werten
schon so weit, daß Homosexualität immer ‚natürlicher’ wird. Doch waren stets alle untergegangenen Kulturen von einer sexuellen Zügellosigkeit begleitet. Wer göttliche, das heißt biblische
Werte beiseite stellt, leistet immer einen Beitrag für den Zerfall der geistigen Werte und degradiert sich selbst zur seelenlosen Triebmaschine, der erlaubt ist, was Spaß macht und (schein-
46
bar!) anderen nicht schadet“ (Michael Gruber, Ottnang, Leserbrief, OÖ. Nachrichten, 5. Dezember 1996, S. 5).
„Homosexualität ist Sünde, etwas Böses in sich, gegen die Schöpfung. Natürlich ist sie durch
Krankheit oder mißliche Entwicklung zu entschuldigen. Wenn einer sich rühmt, es zu sein,
rühmt er sich einer Sünde. Wenn er aber bereut und Gottes Willen leben will, ist er auf dem
Weg der Bekehrung“ (Kurt Krenn).
„Im Licht des Schöpfungsberichtes ist jeglicher gleichgeschlechtliche Umgang – das Wort ‚Liebe’ bleibe in solchem Zusammenhang besser ausgespart! – Aufruhr gegen Gott (...). Wir befinden uns bereits mitten in diesem neuen Sodom und Gomorra, und das Gericht über uns ist
schon eröffnet. Eine seiner fürchterlichen Anklagen gilt allen Spielarten sexueller Hemmungslosigkeit, dazu gehört auch die Homosexualität. (…). Die meisten von den angeblich so vielen
Homosexuellen sind auch nicht ‚Opfer’ einer ‚Veranlagung’, sondern Opfer von Verführung
durch andere und eigene hemmungslose Lüsternheit. (…) Homosexualität ist weniger ‚Veranlagung’ als vielmehr ‚Neigung’. Und Neigungen hat der sittliche Mensch zu steuern, wenn nötig
auch niederzukämpfen! (…)Die ‚meisten’ Homosexuellen wollen auch gar kein Mitleid, sondern
fordern mit zunehmender Frechheit die ‚Gleichstellung’ ihrer Abnormalität mit der Normalität.
(…)Ein wahrer Bocksprung in dem theologischen Tänzchen um die Homosexuellen gelang (...)
mit der Forderung, den Homosexuellen ‚mit Achtung’ zu begegnen: Sünde und Sünder haben
keinen Anspruch auf ‚Achtung’! (…) Auch ‚Menschenrechte’ im Umgang mit Homosexualität
und Homosexuellen geltend zu machen, ist absurd: Immer steht Gottesrecht über allem Menschenrecht, Naturrecht über allem Individualrecht. (...) wie auch Gottesrecht das sicherste Unterpfand allen Menschenrechtes ist. Der Schwulen- und Lesben-‚Seelsorger’ Wahala wich mit
seiner ‚frommen’ Gemeinde in ein unterirdisches Gewölbe am Donaukanal aus, wo die Abwässer von Wien zusammenfließen: Das ist der passende Ort für eine Homosexuellenwerbung (...).
Jesus hat einst nach einem Strick gegriffen, um die Händler und Wechsler aus dem Tempel (...)
hinauszutreiben. Um wie viel mehr verunehren Homosexuelle und Lesben die Kirche (...) mit
ihrer abartigen und sündigen Leiblichkeit: Sie gehörten ‚geschlechtsspezifisch’ mit Peitsche und
Ochsenziemer zurechtgewiesen!. (…) Im Kampf gegen das organisierte Verbrechertum entstehen in Amerika immer mehr ‚Bürgerwehren’: Auch wir brauchten solche Einrichtungen im Kampf
gegen die organisierte, staatlich subventionierte und privilegierte Unzucht. (…) Sollen sich die
Normalen von den Abnormalen, die Anständigen von den Unanständigen, die Ordnungsliebenden von den Chaoten dauernd provozieren lassen? Die laufenden Provokationen durch das
Perverse gehören angenommen und beantwortet: mit allen Mitteln des möglichen Widerstandes. (…) zogen die Warmen (...) am Sonntag zum Domplatz, um die Gläubigen, die aus dem
Dom traten, mit ihrem Anblick zu belästigen. Ähnliches tat in der Nazizeit die Hitlerjugend: Wer
‚Nazimethoden’ praktiziert, sollte mit ebensolchen konfrontiert werden! (…) Die Homosexuellen
kriechen jetzt überall wie Ratten aus ihren Löchern und werden von Politikern und Kirchenleuten 'liebevoll' gefüttert (…) (Kurt Diemann's ORIENTIERUNG, in: „Der 13.“, 13. November 1997,
S. 7-9).
„Liberalismus ist der Grundfehler jeder Politik, die eigentlich gottlos ist“ (Bischof Kurt Krenn in
der „Pressestunde“ vom 20. Juni 1999 in ORF 1).
„Lasset die Abartigen, Perversen, Schwulen, Sodomisten und Kindervergewaltiger zu uns
kommen. Nur herein damit, sodaß man sie sammelt und gemeinsam wie Ungezifer vertilgt“
([email protected], elektronischer Leser_innen_kommentar, derStandard.at, 1. Juli
1999).
„ich bin überhaupst dafür lesbische und schwule zu verbieten. Die sind ja alle hirnkrank und
verbreiten nur aids“ (Autor : Hose_rauf, Subject: perverse, in: OÖN-online-Forum, 17. November 1999, 10:56).
„Eigentlich ist es zum Weinen, daß sowas überhaupt Thema ist. Mir ist doch wirklich wurscht,
ob der mit Männern oder Frauen rummacht. Und erpreßbar ist nur, wer sich erpressen lässt“
(Lucy, derStandard.at, 30. Juni 1999).
47
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte vom 10. Dezember 1948).
„Reisen will gelernt sein. Die Kunst des Aufenthalts in der Fremde wird selten im Vaterhaus
erlernt – im Gegenteil, die Lehren des Vaterhauses führen im späteren Leben meist nur zum
Biertisch. Und Muttersprache, Mutterlaut, wie wonnesam, so traut – jaja, doch welchen Preis
sind Sie für diese Wonne zu zahlen bereit?
Wer daheim bleibt, hat - mit etwas Glück - Bier und Wonne. Wer reist, erfährt - wiederum etwas
Glück vorausgesetzt, denn mancher erfährt’s nie - zweierlei: Erstens, daß die Heimat eine Wirklichkeit ist, aber bei Gott nicht die Wirklichkeit; daß die Fremde in ihrer Weise genauso wirklich
ist und von Menschen bewohnt, die ihrerseits glauben, ihre Wirklichkeit sei die Wirklichkeit. Und
zweitens, damit eng zusammenhängend, daß erst von der Fremde her die eigene Wirklichkeit
überhaupt erfaßbar wird. In einer Welt, in der alles blau ist, spekulierte der Sprachwissenschaftler Whorf einmal, kann sich niemand vorstellen, daß es Farben geben könnte. Um auch nur den
Begriff der Farbe, geschweige denn eigentliche Farben zu erfassen, müßte man diese blaue
Welt verlassen. Sie zu verlassen aber stellt den Reisenden vor eine Entscheidung, um die er
nicht herumkommt. Entweder bringt er es fertig, der Wirklichkeit seines Ursprungs universale
Gültigkeit zuzuschreiben und das Fremde dann notwendigerweise als falsch, lächerlich, dumm
oder feindselig abzulehnen. Oder er begreift, daß seine Wirklichkeit eben nur eine von vielen
möglichen ist und daß sie weder mehr noch weniger Anspruch darauf erheben kann, wirklicher
als alle anderen zu sein.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Weltanschauungen reicht weit über unser Thema
hinaus. Es gibt keine endgültige Regel dafür, wie man mit Messer und Gabel umzugehen hat;
der Schöpfer unserer Welt hat uns nicht mitgeteilt, ob der Daumen oder der Zeigefinger die Zahl
eins bedeuten soll; und ob das Neue oder das Alte höheren Wert besitzt, darüber läßt sich abstrakt in alle Ewigkeit streiten.
Das ist das Problem: Die Entscheidung, die der Reisende zu treffen hat, ist die grundsätzliche
Wahl zwischen einer Weltanschauung, die auf der ehrwürdigen Illusion von wahr und falsch
beruht, und einer, die die furchterregende Möglichkeit des Andersseins erträgt. Furchterregend,
weil sich mit ihr die feste Ordnung der Welt scheinbar zersetzt und auflöst und nur Skeptizismus
und Nihilismus übrigbleiben.
Aber wenn wir die „Wahrheit“ für uns selbst in Anspruch nehmen, werden wir das „Falsche“
bestenfalls verlächerlichen, schlimmstenfalls ausrotten.
Wenn wir aber die Welt jenseits des Biertisches nicht mehr als falsch, sondern als anders begreifen, ergibt sich etwas Paradoxes. Es erweist sich dann, daß, von Trivialitäten abgesehen,
das Anderssein nicht mehr ins Gewicht fällt, daß wir alle Geschwister sind oder, wenn Sie es
vorziehen, Geschöpfe Gottes“ (Paul Watzlawick, Gebrauchsanweisung für Amerika. Epilog, 20.
Aufl., Wien – München 1996).
48