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HÖHENFIEBER Auf Sänften über Stock und Stein Ein Bike ist schon längst nicht mehr einfach nur ein Bike. Selbst unter den vollgefederten Mountainbikes, den so genannten Fullys, gibt es diverse Sparten. velojournal ist mit «denkenden Gabeln» und dem «virtuellen Drehpunkt» übers Feld und durch den Wald gebraust. Hartnäckig hält sich die Meinung, dass vollgefederte Mountainbikes entweder beim Bergauffahren Kraft schlucken oder nur etwas für Cracks sind. Oder für wilde Buben, die ihren Spass vor allem in waghalsigen Downhill-Ritten suchen. Nach ausgedehnten Fahrten mit sechs Testvelos sei hiermit klargestellt: Die Vollfederung sorgt dafür, dass die Räder besseren Bodenkontakt haben. Das macht das Steuern und Bremsen einfacher. Beim Bergauffahren sorgt die hintere Radfederung für bessere Traktion. Beim Wheeler Hornet mit seinen üppigen 140 Millimeter Federweg waren die Rückmeldungen der Tester einhellig: Locker fährt man damit über Hindernisse, die vorher kaum zu meistern waren. Vollgefederte Bikes verzeihen auch eher mal einen Fahrfehler und sind damit, gerade auch für Neulinge, eine gute Wahl. Nicht verschwiegen werden sollen die Nachteile. Fullys sind schwerer, die zusätzlichen Gelenke und das Federelement sind Verschleissstellen. Das Tretlager liegt höher, was Absteigen und Anfahren im Gelände schwieriger macht. Und sie sind teurer: Unter 2000 Franken ist es schwierig, ein vollgefedertes Bike zu finden, das im regelmässigen Einsatz Freude macht. Ein gutes Fully kommt gut und gern auf 3500 Franken. Bei 5000 Franken befindet man sich in der Sahnehäubchen-Region. Der Federweg ist das Ziel Fullys werden anhand des Federweges in Kategorien eingeteilt. Kommt man mit Bikefreaks ins Gespräch, muss man Folgendes wissen: Die so genannten Race- oder CC- (Abkürzung für Crosscountry) -Bikes haben zwischen 80 und 100 Millimeter Federweg vorne und hinten. Mit Marathon oder Tour werden Velos mit 100 bis 120 Millimeter Federweg bezeichnet. Ab 130 Millimeter spricht man von Enduro- oder All-MountainBikes. Bei ca. 150 Millimeter kommt der Begriff Freeride ins Spiel, und die Downhill-Bikes schliesslich sind mit weit über 200 Millimeter die Federwegmonster schlechthin, die allerdings speziell für die Abfahrt konstruiert wurden. Zu den unterschiedlichen Federwegen kommen auch unterschiedliche Sitzpositionen und Gewicht: Bei den Race-Bikes sitzt man möglichst tief, das Velo ist so leicht wie möglich. Mit zunehmendem Federweg kommt mehr Gewicht dazu. Unterschieden werden die Bikes auch nach den Hinterrad-Federsystemen. Man spricht von Eingelenkern, wenn das Hinterrad um ein einziges Gelenk dreht. Sie sind einfach, leicht und wartungsarm, neigen aber zu Antriebseinflüssen, welche mit modernen Federelementen allerdings ziemlich gut in Schach gehalten werden können. Die Viergelenker funktionieren – der Name sagts – mit vier Gelenken. Zu einem «echten» Viergelenker gehört, dass eines der Gelenke gerade vor der Hinterradachse liegt. Dies sorgt für senkrechtes und damit antriebsneutrales Einfedern. Das 28 | 4/2006 velojournal Merida und das Rocky Mountain sind zwar mit einem viergelenkigen Federsystem ausgerüstet, bei ihnen spricht man aber – aufgrund der Anordnung – von einem «abgestützten Eingelenker». Damit nicht genug: Es gibt auch noch die VPPSysteme. Durch entsprechende Anordnung von mehreren Gelenken zwischen Hauptrahmen und Hinterbau dreht sich das Rad um einen virtuellen Drehpunkt, der irgendwo in der Luft zwischen Vorderrad und Tretlager liegt. Sind die Systeme gut konstruiert und mit dem richtigen Federelement bestückt, sind sie alle sehr leistungsfähig. Ziel ist es immer, ein möglichst antriebsneutrales aber dennoch sensibles Fahrwerk zu bekommen. Konkret: Die Federung soll nur durch Bodenunebenheiten aktiviert werden und nicht durch die Pedaldruckkraft. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Wippen, welches durch entsprechenden Oberkörpereinsatz vor allem beim Bergauffahren bei jedem guten Fully provoziert werden kann. Von Hebeln und Einstellungen Bei den Federelementen zeigt sich, wie weit die Technik mittlerweile ist. Dass sich die Federgabel und Hinterradfederung durch das Umstellen des «Lock-out»-Hebelchens blockieren lassen, ist nur die trivialste Funktion, die man zum Beispiel für Aufstiege auf Asphalt nutzen kann. Cannondale, Giant und Rocky Mountain haben den Fox-ProBIKES Marke Cannondale Modell Rush 1000 Preis 5199 Franken Gewicht 12,8 kg Federung vorne/hinten 110/110mm, Cannondale Lefty, Eingelenker mit Fox RP3 Propedal-Dämpfer Ausstattung Avid Juicy seven Scheibenbremse, Sram X9 27-Gang-Schaltung Unser Kommentar Eigenwillige, sehr lenkpräzise Gabel. Die Hinterradfederung spricht fein an, wippt bergauf aber immer etwas. Empfehlung Passt zu IndividualistInnen und VielfahrerInnen. Info Cannondale Europe B.V. Telefon 061 487 94 87 Internet www.cannondale.com Fotos: Alex Buschor, zVg Marius Graber Gary Fisher Giant Merida Rocky Mountain Wheeler Race Day Pro Caliber Trance 1 Mission Lite-V Element 70 Hornet 20 5799 Franken 5799 Franken 3370 Franken 5190 Franken 3599 Franken 11,8 kg 12,8 kg 12,5 kg 12,2 kg 14,4 kg 80/100mm, RockShox SID Blackbox, Eingelenker mit Manitour SRL-Dämpfer 100/100mm Fox F100RL, virtueller Drehpunkt mit Fox Float RP3-Dämpfer 100/90mm, Rock Shox Reba SL 100/80mm, Fox F100 TerraloFedergabel, abgestützer Einge- gic hinten, abgestützter Eingelenker mit DT Swiss Dämpfer lenker mit FOX RP3 PropedalDämpfer 140/140mm, Marzocchi FV2, Viergelenker, X-Fusion o2-PVADämpfer Tektro V-Brake Felgenbremse, SRAM X9 27-Gang-Schaltung Shimano XT Scheibenbremse und 27-Gang-Schaltung Magrua Louise FR Scheibenbremse, Shimano Deore/XT 27Gang-Schaltung Avid Juicy seven Scheibenbrem- Hayes Nine Scheibenbremse, se, Sram XO 27-Gang-Schaltung Shimano XT/XTR 27-GangSchaltung Leicht und auf Tempo getrimmt, dafür nicht sehr komfortabel. Die wenig verwindungssteife Gabel sorgt für Unsicherheiten. Sehr sensible, antriebsneutrale Federung, macht bergauf und bergab gleichermassen Spass und bringt viel Komfort. Eher träges Lenkverhalten. Das Bike der Weltmeisterin: straffe Federung, spartanisch, wendig. Beim Lockout-Hebel greift man fast in den Pneu. Das wendige, flinke Bike liegt gut in der Hand. Federung eher straff. Bremsen und Schaltung im Custom-made-System wählbar. Sieht böse aus, fährt aber gutmütig und bügelt auch heftige Brocken glatt. Praktische Gabel. Trotz höherem Gewicht gehts ganz passabel bergauf. Wegen der Gabel vor allem für ausdauerorientierte Leichtgewichte zu empfehlen. Ideal für sportliche Geniesser. Ideal für alle, die ein Sportgerät, nicht aber Komfort suchen. Mit seinen Fahreigenschaften ideal für sportlich-spielerische FahrerInnen. Am meisten Spass daran findet, wers bergab gerne krachen lässt. Trek Fahrrad GmbH Komenda Belimport SA Chris Sport Systems Intercycle 041 824 85 11 071 277 63 44 091 994 25 44 052 355 14 84 041 926 65 11 www.fisherbikes.com www.giant-bicycle.com www.belimport.ch www.chrissports.ch www.wheeler.ch 29 | 4/2006 velojournal HÖHENFIEBER pedal-Dämpfer montiert. Über einen einfachen Hebel kann die Hinterbaufederung verstellt werden, von soft über normal bis straff. Beim Cannondale war der Unterschied zwischen den Einstellungen allerdings kaum bemerkbar, beim Giant gab es selbst beim Bergauffahren keinen Grund, die Federung zu blockieren. Ein ähnliches System ist auch beim Wheeler eingebaut, will aber selbst nach längerem Pröbeln seine Geheimnisse nicht preisgeben. Gabel merkt, wann sie federn und wann sie blockieren soll. In der Praxis funktioniert das verblüffend gut: Dank einem Massenträgheitsventil verhärtet sich die Gabel, wenn man in den Wiegetritt geht. Hier würde jede andere Gabel ordentlich zu wippen beginnen. Kommt ein Schlag von unten, taucht sie wie gewünscht ein. Allerdings leidet das Ansprechverhalten der Gabel darunter, deshalb kann die Terralogic feine Schläge und Vibrationen weniger gut schlucken. Schlaue Gabeln Die RockShox-Federgabeln lassen sich über ein Hebelchen am Lenker während der Fahrt blockieren, was beim Bergauffahren praktisch ist. Ein «schlaues Ventil» sorgt dafür, dass bei einem überraschenden, heftigen Schlag die Gabel dann aber doch einfedert. Sehr gut gefallen hat das «schlaue» ETA-System, das an der Marzocchi-Gabel des Wheelers verbaut wurde. Legt man den ETAHebel um, taucht die Gabel ein, wird straffer und verharrt in diesem Zustand. Dadurch senkt sich der Lenker ab, was am Berg angenehm ist. Durch Zurückdrehen des Hebelchens hat man im Nu wieder den ganzen Federweg zur Verfügung. Augenfällig und eigenwillig ist die CannondaleGabel: Die Amerikaner haben einen Gabelholm weggelassen, den übriggebliebenen dafür massiver konstruiert. In der Fahrpraxis stellt sich die Gabel aber als steif und spursicher heraus. Der Federgabelhersteller Fox hat seiner Gabel sogar das Denken beigebracht. Die Terralogic- Scheibenbremsen und Sram-Kettenschaltungen Noch ein Blick auf Schaltung und Bremsen: Ausser dem Merida Mission waren alle Testvelos mit Scheibenbremsen ausgerüstet. Aus gutem Grund, wie sich im Gelände zeigt: Die Scheibenbremse ist zwar etwas teurer und schwerer, in der Praxis bremst man damit aber mit deutlich weniger Handkraft, was sich auf langen Abfahrten angenehm bemerkbar macht. Scheibenbremsen lassen sich auch besser «dosieren», so dass gerade auf losem Untergrund der Punkt zwischen Bremsen und Rutschen einfacher zu finden ist. Viele Bikes sind mit einer Sram-Kettenschaltung ausgerüstet, nachdem zuletzt der japanische Komponentenhersteller Shimano über Jahre fast eine Monopolstellung innehatte. Im Gelände schaltet Sram schnell und präzise und steht der Konkurrenz in nichts nach. Geschmackssache sind die verschiedenen Schalthebelvarianten. Aber auch hier gilt: Vor dem Kauf am besten testen. n KAUFTIPPS Testen Sie vor dem Kauf verschiedene Velos. Der Fachhändler kann noch so viel erklären, selber ausprobieren hilft immer am besten. Bestehen Sie darauf, dass die Bikes schon für die Testfahrt auf Ihr Gewicht abgestimmt werden – nur so sind die Vergleiche tauglich. Abstimmung: Das beste Bike nützt nichts, wenn es nicht optimal abgestimmt ist. Wenn man sich nicht selbst in die Materie stürzen will oder im Umfeld keinen Crack kennt, der einem hilft, lohnt es sich, das Fahrwerk bei eiºnem kompetenten Velohändler abstimmen zu lassen. Bodenhaftung: Ein guter Reifen sorgt für Komfort und bessere Traktion. Empfohlen sind möglichst breite Reifen mit grobem Profil, die mit so wenig Luftdruck gefahren werden können, dass gerade noch keine Durchschläge riskiert werden müssen. Denn im Gelände fährt man, anders als auf der Strasse, mit weniger Luftdruck nicht nur sicherer, sondern auch Kraft sparend. 30 | 4/2006 velojournal Fotos: zVg Grösse: Die «Überstiegshöhe» muss stimmen – über dem Bike mit flachen Füssen am Boden stehend müssen noch mindestens 5 Zentimeter Raum zwischen Schritt und oberem Rahmenrohr bleiben. Ebenso wichtig sind Rahmenlänge und die Höhe des Lenkers.