BD LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT BDBB

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LITERATUR UND LITERATURWISSENSCHAFT
BDBB
Englische Literatur
Großbritannien
Personale Informationsmittel
Charles Dickens
Große Erwartungen
EDITION
11-4
Große Erwartungen : Roman / Charles Dickens. Hrsg. und aus
dem Engl. übers. von Melanie Walz. - München : Hanser, 2011.
- 826 S. ; 19 cm. - Einheitssacht.: Great expectations <dt.>. ISBN 978-3-446-23760-5 : EUR 34.90
[#2300]
Rechtzeitig zum 200-jährigen Geburtstag von Charles Dickens im Februar
2012 bringt der Hanser-Verlag in einer schönen Neuübersetzung den großen Roman mit dem Titel Große Erwartungen heraus. Das Buch gehört
zweifellos zu den besten und am strengsten durchkomponierten des vielseitigen Autors, der wie kein anderer für sein Zeitalter, das Viktorianische,
steht.1
Die Geschichte von Pip und seinem unbekannten Wohltäter, dem Verbrecher Abel Magwitch, sowie der mit Zügen der femme fatale ausgestatteten
Estella hat nichts an Wirkung verloren – wie nicht nur die Verfilmung von
Alfonso Cuarón mit Ethan Hawke und Gwyneth Paltrow zeigt, die das Geschehen vom viktorianischen England in das Florida und New York der Gegenwart transponiert, sondern etwa auch Peter Careys Roman Jack
Maggs, der sozusagen die australische Sicht auf Dickens' Great expectations bietet und prototypisch ein postkoloniales „re-write“ darstellt.
Die vorliegende Übersetzung bietet zwei Schlußkapitel, neben dem „eigentlichen“ Schluß auch den ursprünglichen; außerdem enthält das Buch einen
umfangreichen Anhang mit einem lesenswerten, sehr instruktiven Nachwort,
das sehr schön alles mitteilt, was man als Romanleser wissen möchte. Eine
Liste der Buchveröffentlichungen von Dickens zu Lebzeiten wird gleichfalls
geboten.
Gründlich referiert Walz Informationen zu den verschiedenen Ausgaben und
Editionen des Romans; ebenso findet der an weiterer Lektüre interessierte
Leser ausreichend Hinweise auf einschlägige Sekundärliteratur. Schließlich
1
Siehe dazu jetzt auch Charles Dickens : der Unnachahmliche ; Biographie /
Hans-Dieter Gelfert. - München : Beck, 2011. - 375 S. : Ill. ; 23 cm. - ISBN 978-3406-62217-5 [#2292]. - Rez.: IFB 11-4 http://ifb.bsz-bw.de/bsz347048625rez-1.pdf
werden in den Anmerkungen diejenigen Informationen nachgereicht, die für
das Verständnis des Textes besonders wichtig sind.
Die Übersetzung von Melanie Walz ist nach Auffassung des Rezensenten
unbedingt gelungen; sie vermag es, dem Leser einen angemessen guten
Eindruck von der Bildmächtigkeit der Sprache Dickens' wie auch von der
manchmal skurril wirkenden Präzision der Wahrnehmungsschilderungen zu
vermitteln. Der Text liest sich im Grunde so, wie er vom Leser des Originals
gelesen werden kann, der den Roman verschlingt. Die Sprache Dickens'
erzeugt so noch in der Übersetzung von Melanie Walz einen eigenartigen
Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Pips Stimme kommt so herüber, wie man sie sich vorstellt, wie überhaupt der Eindruck des Gelesenen
sehr nachhaltig ist. Auch der Humor Dickens', gefiltert durch die Erzählerfigur Pip, wird in der Übertragung gut herausgearbeitet. Wer einmal versucht
hat, Passagen aus Romanen Dickens' ins Deutsche zu übertragen, wird ohne weiteres nachvollziehen können, welche Arbeit die Übersetzerin geleistet
hat und wie bravourös sie die Schwierigkeiten gemeistert hat, die auch
scheinbar leichte Textstellen in den Werken von Dickens enthalten. Daß
Melanie Walz eine sehr erfahrende Übersetzerin ist, zahlt sich also bei dieser Neuübersetzung aus, die man einem großen Lesepublikum wärmstens
ans Herz legen darf. Walz hat sich zuvor schon mit zahlreichen Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen einen Namen gemacht. Zu
den von ihr übersetzten Autoren gehören etwa Peter Ackroyd, Jane Austen,
Lily Brett, A. S. Byatt, Patricia Highsmith, Laurence Norfolk, Michael Ondaatje, Cynthia Ozick, Annie Proulx, Charles Simic und Robert Louis Stevenson,2 um nur die vielleicht wichtigsten zu nennen.
Wer Große Erwartungen in der vorliegenden Übersetzung liest, wird keinen Zweifel haben, daß Dickens zu den ganz großen Autoren der Weltliteratur gehört, dessen Reputation zwar durchaus nicht unerheblichen Schwankungen ausgesetzt war, heute aber doch gesichert ist. Was literaturkritische
Auseinandersetzungen über Popularität und Lesbarkeit angeht, wie sie zuletzt anläßlich des diesjährigen Booker-Preises geführt wurden, so zeigt das
Beispiel Dickens, daß sich hohe literarisch-ästhetische Qualität und Popularität keineswegs ausschließen müssen.
Till Kinzel
QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und
Wissenschaft
http://ifb.bsz-bw.de/
http://ifb.bsz-bw.de/bsz351005056rez-1.pdf
2
Eine Taschenbuchausgabe ihrer gelobte Übersetzung ist angekündigt: Der Master von Ballantrae : eine Wintergeschichte / Robert Louis Stevenson. Neu
übertr. und hrsg. und mit einem Nachw. von Melanie Walz. - München : Deutscher
Taschenbuch-Verlag, 2012 (Jan.). - 352 S. ; 21 cm. - (dtv ; 14068 : dtv Klassik). ISBN 978-3-423-14068-3 : EUR 9.90.