Ist Schlauchpflege sinnvoll?

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Ist Schlauchpflege sinnvoll?
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Um diesen Job reißt sich keiner: Schlauchpflege gehört eindeutig zu den unangenehmen Pflichten des Pferdebesitzers.
Einer amerikanischen Studie zufolge ist sie verzichtbar – und richtet mitunter mehr Schaden an, als sie nützt.
Foto: Christiane Slawik
Intimpflege beim Wallach
Schadet Schlauchreinigung mehr als sie nützt?
Um diesen Job reißt sich keiner:
Schlauchpflege gehört eindeutig zu den
unangenehmen Pflichten des Pferdebesitzers. Einer amerikanischen Studie
zufolge ist sie verzichtbar – und richtet
mitunter mehr Schaden an, als sie nützt.
Z
ugegeben: Ein Pferdepenis sieht alles
andere als schön aus. Hauptverantwortlich dafür ist das sogenannte Smegma,
eine Mixtur aus abgestorbenen Hautzellen und
Urinresten. Die Substanz, die es von hellgelb
bis dunkelgrau in verschiedensten Farbschattierungen gibt, sammelt sich zwischen Vorhaut
und Eichel sowie in der Reservefalte der Vorhaut an und bildet bisweilen regelrechte Borken. Dieses Smegma galt bislang als optimaler
Nährboden für Bakterien.
Bei Hengsten findet generell eine bessere
Selbstreinigung statt als bei Wallachen. Denn
die haben beim sexuell motivierten Ausschachten viel mehr Druck auf ihrem besten Stück und
das Smegma wird sozusagen abgesprengt.
„Wenn Hengste in der freien Wildbahn dann
noch ab und zu eine Stute decken, findet außerdem eine Reinigung durch die mechanische
Reibung des Schaftes in der Scheide statt“,
erklärt Pferde-Tierärztin Dr. Claudia Gick aus
München.
Bei Wallachen, die nur zum Urinieren oder
im Entspannungsmodus ausschachten, fällt
diese natürliche Selbstreinigung weg. „Deshalb
haben Wallache ein zehnfach höheres Risiko,
an einem Peniskarzinom zu erkranken als
Hengste“, so Gick. Aus diesen Gründen betreiben viele Pferdebesitzer regelmäßige Intimwäschen bei ihren Wallachen. Doch gerade häufige Reinigungsaktionen sollen alles andere als
gut sein, wie eine amerikanische Studie jetzt
gezeigt hat.
Studie zur Intimwäsche
Unter dem Titel „Effectiveness of Cleaning and
Bacterial Growth in the Equine Sheath“ wurden
am Delaware Valley College in Pennsylvania im
Rahmen einer Versuchsreihe 19 Wallache in
vier Gruppen aufgeteilt, denen jeweils unterschiedliche Pflegemaßnahmen zukamen. Neben der Kontrollgruppe, die keinerlei Schlauchpflege erhielt, wurden alle weiteren Gruppen
im Abstand von drei Wochen einer Intimwäsche
unterzogen: Eine Gruppe wurde mit Wasser
gewaschen, Gruppe zwei mit einem speziellen
Präparat für Schlauchpflege und die Pferde der
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und schäumt sie gut, und das Smegma lässt sich
dann leicht abwaschen, ohne dass man es abziehen muss.“
Doch nicht nur was den Schlauch angeht,
muss man vorsichtig sein. Auch der eigene Kopf
ist mitunter in Gefahr. „Nicht alle Pferde sind
daran gewöhnt, dass man ihnen an ihr bestes
Stück fasst“, warnt Gick. „Gerade in der Nähe
der Hinterbeine und mit Konzentration aufs
Waschen haben schon einige Besitzerköpfe
Kontakt mit einem Hinterhuf gehabt...“, sagt
die Tierärztin. „Es ist nämlich nicht so, dass ein
sediertes Pferd nicht treten kann!“ Ihr Tipp:
Pferdebesitzer sollten ihre Tiere daran gewöhnen, dass sie am Schlauch angefasst werden,
damit sie dann nicht zum ersten Mal beim
richtigen Waschen eine Hand in dieser Gegend
verspüren. „Die Besitzer sollen nicht am
Schlauch rumpopeln, nur eben die Berührung
lehren“, sagt Gick.
Wallache schachten nur beim Urinieren oder in vollständiger
Entspannung aus. Das genügt nicht für eine Selbstreinigung.
Foto: Anna Castronovo
dritten Gruppe mit einem milden Babyshampoo. Jeweils vor und nach der Reinigung
wurde ein Abstrich gemacht und im Labor
analysiert. Das alarmierende Ergebnis: Proben,
die nach einer Reinigung gezogen wurden,
zeigten ein deutlich erhöhtes Bakterienwachstum mit einem bis zu hundertfachen Anstieg
gegenüber dem Wert vor der Schlauchwäsche.
Den höchsten Wert erzielte ausgerechnet das
Spezialpräparat – klares Wasser den geringsten. Zwar gehe von den identifizierten Bakterienstämmen keine unmittelbare Gefahr für
Tierärztin Dr. Claudia Gick empfiehlt
Pferdebesitzern trotzdem, den Schlauch
ihres Wallachs einmal im Jahr zu reinigen.
Foto: privat
das Pferd aus, heißt es in der Studie, dennoch
könnten manche von ihnen in Verbindung mit
Harnwegsinfekten gebracht werden und seien
ungewöhnlich.
Bei allen drei Gruppen konnte aufgrund
der regelmäßigen Intimpflege ein genereller
Anstieg der Bakterienbelastung festgestellt
werden – sowohl vor der Reinigung als auch
danach. Zudem erneuerte sich das Smegma
innerhalb der dreiwöchigen Waschpause wieder vollständig. Eine reine Sisyphos-Arbeit also
– und eine schädliche noch dazu, denn durch
die übertriebenen Pflegemaßnahmen würden
wichtige Proteine zerstört, die das Bakterienwachstum an den Geschlechtsteilen männlicher Pferde von Natur aus hemmten, so das
Fazit der Studie.
Trotzdem einmal im Jahr reinigen
Tierärztin Dr. Claudia Gick empfiehlt Pferdebesitzern trotzdem, den Schlauch ihres Wallachs
einmal im Jahr zu reinigen. Dazu eignet sich
eine Sedation besonders gut, zum Beispiel bei
einer Zahnbehandlung. „Besitzer sollten diese
Gelegenheit nutzen, um einen Blick auf den
Schlauch zu werfen und diesen auch zu reinigen, wenn sehr viel borkiges Smegma in Fetzchen daran hängt“, sagt sie. „Ganz wichtig ist,
dass man diese Smegma-Fetzchen auf keinen
Fall einfach abzieht, da eine gewisse Bakterienflora am Penisschaft haftet und man durch
ein brachiales Herunterziehen kleine Verletzungen verursachen kann.“ Dann kann der
arme Kerl sogar eine Schlauch-Phlegmone
bekommen. Daher empfiehlt Gick, lauwarmes
Wasser und Jodseife zu verwenden. „Jodseife
hat zum einen eine antibakterielle Wirkung,
falls tatsächlich eine kleine Läsion entsteht“,
weiß die Tierärztin. „Vor allem aber schmiert
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Gelegentliche Reinigung ist sinnvoll
Eine gelegentliche Reinigung ist auch deshalb
sinnvoll, da man unter dem Smegma gar keine
Veränderungen der Penishaut sehen würde.
„Sollte dort ein Tumor wachsen, fängt dieser
als recht kleine Hautveränderung an. Um derartige Veränderungen, Knötchen oder auch
unproblematische Warzen zu bemerken, sollte
man schon einmal im Jahr zu Wasser und Jodseife greifen“, so die Tierärztin. Das gilt für
Wallache genauso wie für Hengste.
„Außerdem können sich im Bereich der
Harnröhrenöffnung in dort befindlichen Gruben – der Eichelgrube und dem Sinus urethralis dorsalis – sogenannte Smegma-Steine bilden, die dann den Harnabsatz behindern
können“, sagt Gick. Solche Steine muss dann
allerdings in der Regel ein Tierarzt entfernen.
Von häufigen Waschaktionen hält allerdings
auch die Tierärztin nichts: „Einmal im Jahr
reicht normalerweise.”
Anna Castronovo