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17 CD LESUNG
Drei Ringe den Elbenkönigen hoch im Licht,
Sieben den Zwergenherrschern in ihren Hallen aus Stein,
Den Sterblichen, ewig dem Tode verfallen, neun,
Einer dem Dunklen Herrn auf dem dunklen Thron
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.
Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden,
Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden
Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.
Gelesen von Achim Höppner
der hörverlag
J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
InhalT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitelaufteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
J. R. R. Tolkien –
ein Leben für die Fantasie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Achim Höppner –
die deutsche Stimme Gandalfs . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aus dem Englischen von Wolfgang Krege
Gedichte übersetzt von E.M.-M. von Freymann
Gelesen von Achim Höppner
Technik: Christoph Panizza, Giesing Team München
Produktion: Der Hörverlag 2006
der hörverlag
ANHANG A
Annalen der Könige und Herrscher . . . . . . . . . . . . .
I Die númenórischen Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Númenor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die Reiche im Exil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Eriador, Arnor und Isildurs Erben. . . . . . . . . . . .
4. Gondor und Anárions Erben. . . . . . . . . . . . . . . .
ANHANG F
I Die Sprachen und Völker des Dritten Zeitalters . . . . .
Von den Elben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Von den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Von den Hobbits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Von den anderen Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II Zur Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anmerkung zu drei Namen:
Hobbit, Gamdschie und Brandywein . . . . . . . . . . . . . . . . .
S. 4
S. 10
S. 14
S. 18
S. 22
S. 22
S. 22
S. 30
S. 32
S. 41
S. 67
S. 68
S. 69
S. 73
S. 74
S. 78
S. 88
Zur neuen Übersetzung von Wolfgang Krege . . . . . . . S. 90
3
J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
4
Vorwort
Diese Geschichte wuchs sich, während ich sie schrieb, zu einer Chronik des
Großen Ringkrieges aus, mitsamt vielerlei Ausblicken auf Ereignisse in noch
älteren Zeiten. Sie wurde begonnen, bald nachdem Der Hobbit geschrieben und
noch bevor er 1937 erschienen war; dann aber ließ ich diese Fortsetzung liegen,
denn ich wollte zunächst die Sammlung von Mythen und Sagen der Ältesten
Tage vervollständigen und zu Papier bringen, die damals schon seit Jahren Gestalt
angenommen hatte. Das sollte zum eigenen Vergnügen geschehen, denn es
bestand wenig Hoffnung, dass auch andere sich für ein solches Werk interessieren
würden, das ja vor allem linguistisch inspiriert war und anfangs nur den Zweck
hatte, den nötigen »historischen« Hintergrund für die Elbensprachen zu
schaffen.
Als diejenigen, deren Rat und Urteil ich einholte, mich berichtigten, dass
nicht wenig, sondern keine Hoffnung bestehe, nahm ich diese Fortsetzung wieder
auf, ermutigt durch Anfragen von Lesern nach weiteren Auskünften über die
Hobbits und ihre Abenteuer. Aber unwiderstehlich zog es die Erzählung zu der
älteren Welt hin, und so wurde sie gewissermaßen zu einem Bericht von deren
Ende und Vergehen, bevor noch der Anfang und die Zwischenzeit bekannt waren.
Diese Entwicklung hatte begonnen, als ich den Hobbit schrieb, wo die älteren
Stoffe auch schon einige Male erwähnt wurden: Elrond, Gondolin, die Hochelben und die Orks, und wo ganz plötzlich Dinge ins Blickfeld kamen, mit
denen es eine höhere, tiefere oder dunklere Bewandtnis hatte, als auf den ersten
Blick zu erkennen war: Durin, Moria, Gandalf, der Nekromant, der Ring.
Als ich herausfand, was dies alles zu bedeuten und was es mit den früheren
Geschehnissen zu tun hatte, ergab sich ein Bild des Dritten Zeitalters mit seinem
Gipfel im Ringkrieg.
Die Leser, die mehr über Hobbits hatten erfahren wollen, bekamen schließlich, was sie wollten, mussten aber lange warten; denn die Arbeit am Herrn der
Ringe zog sich mit Unterbrechungen über die Jahre von 1936 bis 1949 hin, eine
Zeit, in der ich viele andere Verpflichtungen zu erfüllen hatte und als Lehrender
und Lernender vielerlei Interessen nachging, die mich oft ganz in Anspruch
nahmen. Natürlich trug auch der Ausbruch des Krieges 1939 zur Verzögerung
bei, und am Ende dieses Jahres war noch nicht einmal das Buch I fertig. Trotz der
dunklen fünf Jahre, die nun folgten, mochte ich die Sache nicht ganz aufgeben
und schleppte mich voran, meistens nachts, bis ich an Balins Grab in Moria
stand. Dort gab es einen langen Aufenthalt. Erst nach fast einem Jahr ging es
weiter, und Ende 1941 kam ich bis nach Lothlórien und zum Großen Strom. Im
nächsten Jahr schrieb ich die ersten Fassungen der Teile, die jetzt das Buch III
ausmachen, und die Anfänge der Kapitel 1 und 3 von Buch V; und dort, während
in Anórien die Leuchtfeuer brannten und Théoden ins Hargtal geritten kam, blieb
ich stecken. Ich wusste nicht weiter, und zum Nachdenken war keine Zeit.
1944 dann rang ich mich dazu durch, den Krieg, den ich noch zu führen oder
wenigstens zu beschreiben hatte, mit all seinen Verwicklungen und losen Fäden
zunächst auf sich beruhen zu lassen und erst einmal Frodo auf seinem Weg nach
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Mordor voranzubringen. Diese Kapitel, aus denen schließlich Buch IV wurde,
schickte ich in Teillieferungen meinem Sohn Christopher, der damals bei der
Royal Air Force in Südafrika diente. Dennoch vergingen weitere fünf Jahre, bis
die Erzählung zu ihrem jetzigen Schluss gekommen war. In dieser Zeit zog ich
in ein anderes Haus um, wechselte den Lehrstuhl und das College; und die Tage
waren zwar nicht mehr so dunkel, aber nicht weniger arbeitsreich. Dann, als zu
guter Letzt das »Ende« erreicht war, musste die ganze Geschichte neu durchgesehen und zu großen Teilen sogar von hinten nach vorn umgeschrieben werden.
Und getippt werden musste sie auch noch, und zwar mehrfach: von mir selbst,
denn die Kosten für eine professionelle zehnfingrige Schreibkraft gingen über
meine Verhältnisse.
Seit Der Herr der Ringe nun gedruckt vorliegt, haben ihn viele gelesen; und ich
möchte etwas zu den mancherlei Meinungen oder Vermutungen über die Motive
und den Sinn der Geschichte sagen, die ich gehört oder gelesen habe. Das
wichtigste Motiv war der Wunsch des Erzählers, sich an einer wirklich langen
Geschichte zu versuchen, die die Aufmerksamkeit des Lesers wach halten, ihn
belustigen und erfreuen und ihn vielleicht auch manchmal erregen oder tiefer
berühren könnte. Leiten konnte mich nur das eigene Gefühl dafür, was reizvoll
oder bewegend ist, und nach Ansicht vieler Beurteiler hat es mich unvermeidlich
oft fehlgeleitet. Manche, die das Buch gelesen oder jedenfalls rezensiert haben,
fanden es langweilig, abstrus oder verachtenswert, und ich habe keinen Grund,
mich zu beklagen, denn ich denke ähnlich über ihre Werke oder über die Art
Bücher, die sie offenbar vorziehen. Aber auch aus der Sicht vieler Leser, denen
die Geschichte gefallen hat, gibt es etliches zu bemängeln. Es ist wohl in einer
langen Geschichte nicht möglich, es jedermann an allen Stellen recht zu machen
oder jedermann an den gleichen Stellen zu missfallen; denn wie ich aus den
Zuschriften der Leser ersehe, werden dieselben Passagen oder Kapitel, die für
manche ein Ärgernis sind, von anderen besonders beifällig aufgenommen. Als
kritischster von allen Lesern finde ich selbst darin nun vielerlei Mängel, größere
und kleinere, doch weil ich zum Glück nicht verpflichtet bin, das Buch sei es zu
rezensieren, sei es neu zu schreiben, will ich sie mit Stillschweigen übergehen –
alle bis auf einen, den auch andere bemerkt haben: Das Buch ist zu kurz.
Was die tiefere Bedeutung oder »Botschaft« des Buches angeht, so hat es
nach Absicht des Autors keine. Es ist weder allegorisch, noch hat es irgendeinen
aktuellen Bezug. Als die Geschichte wuchs, schlug sie Wurzeln (in die Vergangenheit) und verzweigte sich in unerwartete Richtungen, aber ihr Hauptthema
stand von Anfang an fest, weil der Ring nun einmal das Bindeglied zum Hobbit
sein musste. Das zentrale Kapitel »Der Schatten der Vergangenheit« ist eines
der ältesten Stücke der Erzählung. Es wurde geschrieben, als aus den Vorzeichen
für 1939 noch längst nicht die Gefahr einer unabwendbaren Katastrophe zu
erkennen war; und von diesem Punkt aus hätte die Geschichte im Wesentlichen
den gleichen Fortgang genommen, auch wenn das Unglück abgewendet worden
wäre. Ihre Quellen sind Dinge, die mich seit langem beschäftigten und zum
Teil auch schon niedergeschrieben waren, und der Krieg, der 1939 begann,
und seine Folgen änderten an ihr wenig oder nichts.
Der wirkliche Krieg hat weder in seinem Verlauf noch in seinem Ausgang eine
Ähnlichkeit mit dem Krieg der Sage. Hätte er als Vorbild oder Leitfaden gedient,
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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so hätte man sich des Rings sicherlich bemächtigt und ihn gegen Sauron verwendet;
und Sauron wäre nicht vernichtet worden, sondern unterworfen, und Barad-dûr
nicht zerstört, sondern besetzt. Saruman, wenn er schon nicht in den Besitz des
Ringes gelangen konnte, hätte in den Wirren und Verrätereien jener Zeit Gelegenheit gefunden, sich in Mordor die fehlenden Zwischenglieder seiner eigenen
Ringforschung zu verschaffen; und bald hätte er sich selbst einen großen Ring
geschmiedet, um den selbsternannten Beherrscher von Mittelerde damit herauszufordern. Den Hobbits wäre in einem solchen Konflikt von beiden Seiten nur
Hass und Verachtung begegnet; und nicht mal als Sklaven hätten sie lange überlebt.
Denkbar wären auch Deutungen gemäß den Vorlieben oder Ansichten derjenigen, die auf allegorische oder aktuelle Bezüge Wert legen. Doch die Allegorie
in allen ihren Formen verabscheue ich von Herzen, und zwar schon immer, seit
ich alt und argwöhnisch genug bin, ihr Vorhandensein zu bemerken. Geschichte,
ob wahr oder erfunden, mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit im Denken und
Erleben des Lesers ist mir viel lieber. Ich glaube, dass »Anwendbarkeit« mit
»Allegorie« oft verwechselt wird; doch liegt die eine im freien Ermessen des
Lesers, während die andere von der Absicht des Autors beherrscht wird.
Der Autor kann natürlich von der eigenen Erfahrung nicht völlig unberührt
bleiben, aber der Vorgang, in dem der Keim einer Geschichte aus dem Boden
der Erfahrung seine Nahrung zieht, ist äußerst verwickelt, und Versuche, ihn zu
beschreiben, beruhen bestenfalls auf Mutmaßungen anhand unzureichender
und mehrdeutiger Befunde. Falsch, obgleich naturgemäß verlockend, ist auch
die Annahme, wenn das Leben eines Autors und das eines Kritikers sich über-
schneiden, müssten die Ereignisse und geistigen Bewegungen ihrer Zeit auf beide
den stärksten Einfluss ausgeübt haben. Gewiss, wie bedrückend ein Krieg ist,
kann nur der ganz empfinden, auf den dieser Schatten einmal gefallen ist; doch
im Laufe der Jahre scheint man nun oft zu vergessen, dass es ebenso schrecklich
war, als junger Mensch 1914 da hineinzugeraten wie 1939 und in den folgenden
Jahren. 1918 waren alle meine guten Freunde tot, bis auf einen. Oder, um ein
weniger trauriges Thema anzuschneiden: manche haben angenommen, das
Kapitel über die »Säuberung des Auenlandes« spiegle die Situation in England
zu der Zeit wider, als ich die Erzählung beendete. Das stimmt nicht. Das Kapitel
war ein von Anfang an vorgesehener wesentlicher Teil des Handlungsplans. Allerdings veränderte es sich mit Rücksicht auf die Figur Sarumans, so wie sie sich im
Fortgang der Geschichte entwickelte, ohne dass – muss ich es eigens sagen? –
irgendeine allegorische Bedeutung oder ein aktueller politischer Bezug hinzukam.
Dennoch ist es in gewissen Erfahrungen begründet, wenn auch nur entfernt
ähnlichen (denn die wirtschaftliche Lage war eine ganz andere) und viel weiter
zurückliegenden. Die Gegend, in der ich meine Kindheit verbracht hatte, wurde
verwüstet, bevor ich zehn war, zu einer Zeit, als Automobile eine Seltenheit waren
(ich hatte nie eines gesehen) und als man noch Vorortbahnen baute. Vor kurzem
sah ich in einer Zeitung ein Bild, das die alte, einst florierende Mühle des Ortes
im letzten Stadium der Baufälligkeit zeigte, neben dem Mühlteich, der mir vor
langer Zeit so viel bedeutet hatte. Den jungen Müller hatte ich nie gemocht,
aber sein Vater, der alte Müller, hatte einen schwarzen Bart, und er hieß nicht
Sandigmann.
9
J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
10
CD 1 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1
Ansage
XX
Prolog
XX
Über Hobbits
XX
Über Pfeifenkraut
XX
Von der Ordnung im Auenland
XX
Vom Ringfund
XX
Anmerkung zu den auenländischen Geschichtsbüchern
CD 4 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
Sechstes Kapitel: Der Alte Wald
XX
Siebentes Kapitel: In Tom Bombadils Haus
CD 5 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
XX
Achtes Kapitel: Nebel auf den Hügelgräberhöhen
Neuntes Kapitel: Im Gasthaus Zum tänzelnden Pony
CD 2 LaufzeiT ca. XX MinuTen
ERSTES BUCH
1–X
Erstes Kapitel: Ein langerwartetes Fest
XX
Zweites Kapitel: Der Schatten der Vergangenheit
XX
Drittes Kaptitel: Wanderung zu dritt
CD 3 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
Viertes Kapitel: Querfeldein zu den Pilzen
XX
Fünftes Kapitel: Eine aufgedeckte Verschwörung
CD 6 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
XX
XX
Zehntes Kapitel: Streicher
Elftes Kapitel: Ein Messer im Dunkeln
Zwölftes Kapitel: Flucht zur Furt
CD 7 LaufzeiT ca. XX MinuTen
ZWEITES BUCH
1–X
Erstes Kapitel: Viele Begegnungen
XX
Zweites Kapitel: Elronds Rat
11
J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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CD 8 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
Drittes Kapitel: Der Ring geht nach Süden
XX
Viertes Kapitel: Auf dunklen Straßen
CD 12 LaufzeiT ca. XX MinuTen
CD 13 LaufzeiT ca. XX MinuTen
CD 14 Laufzeit ca. XX Minuten
CD 9 Laufzeit ca. XX Minuten
1–X
XX
Fünftes Kapitel: Die Brücke von Khazad-dûm
Sechstes Kapitel: Lothlórien
CD 10 LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
XX
CD 15 LaufzeiT ca. XX MinuTen
CD 16 LaufzeiT ca. XX MinuTen
Siebentes Kapitel: Galadriels Spiegel
Achtes Kapitel: Abschied von Lórien
CD 17 LaufzeiT ca. XX MinuTen
CD 11
LaufzeiT ca. XX MinuTen
1–X
XX
Neuntes Kapitel: Der große Strom
Zehntes Kapitel: Die Wege trennen sich
13
J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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J.R.R. Tolkien – ein Leben für die Fantasie
John Ronald Reuel Tolkien wurde am 3. Januar 1892 in Bloemfontein in Südafrika geboren. Sein Vater Arthur starb, als er gerade vier Jahre jung war, und
so musste seine Mutter ihn und seinen jüngeren Bruder Hilary in bescheidenen
Verhältnissen in England aufziehen. Die Umgebung, in die die Familie Tolkien
zieht, prägte den jungen John und während der vier Jahre Aufenthalt im kleinen
Dorf Sarehole nahe Birmingham lernt er das ländliche England lieben. Tolkiens
Mutter, eine gläubige, konvertierte Katholikin, musste ihre beiden Jungs gegen
den Widerstand ihrer protestantischen Verwandten in der nur wenige Kilometer
entfernten Großstadt erziehen lassen. Auch sie starb früh und hinterließ John
und Hilary in der Obhut von Francis Xavier Morgan, einem Priester am Birmingham Oratory. Der frühe Tod seiner Mutter bestärkte Tolkien für den Rest seines
Lebens in seinem Glauben: Er sah seine Mutter als Märtyrerin, die aufgrund
der bitteren Umstände ihres Lebens ihre Gesundheit für das Wohl ihrer Kinder
opferte.
Früh schon zeigte sich die Begabung, die später zu Tolkiens Weltruhm führen
sollte: Seine Liebe zu Sprachen, seine Fähigkeit, sich mit Begeisterung mit einem
Thema lange Zeit, wenn nicht lebenslang, zu beschäftigen; der Wunsch, einen
neuen Mythos für England zu schaffen. Er erhält ein Stipendium für das Exeter
College in Oxford, wo er 1915 seinen Abschluss mit Bravour besteht. In dieser
Zeit lernte er die Frau seines Lebens kennen, Edith Bratt. Während der junge
Autor in Birmingham logierte, wohnte im selben Haus dieses bezaubernde junge
Mädchen, das auch bald seine Ehefrau werden sollte, seine „Luthien“, die er
am 22. März 1916 heiratet, bevor er in den Krieg zieht. Tolkiens akademische
Laufbahn wird nur vom Ersten Weltkrieg unterbrochen. Er wird den Lancashire
Fusiliers, einer Fernmeldeeinheit, zugeordnet und verliert im Laufe der Schlacht
an der Somme binnen eines Tages alle seine Freunde, bis auf einen. Diese
Erfahrung prägt ihn in jungen Jahren für den Rest seines Lebens und wird als
wiederkehrender Topos - der Auseinandersetzung mit dem Tod - Einfluss auf
sein Werk nehmen.
Tolkien durchläuft eine vorbildliche akademische Karriere. Nach Arbeiten
am Oxford English Dictionary wird er zwei Jahre später Professor für Englisch
an der Universität Leeds. Weitere vier Jahre später wird ihm der Ruf als Rawlinson
und Bosworth Professor für Angelsächsisch am Pembroke College erteilt. Seine
letzte Professur erhält er als Merton Professor für englische Sprache und Literatur 1945 in seinem geliebten Oxford. Bekannt sind seine Übersetzung von
Sir Gawain und der grüne Ritter, sein Vortrag Beowulf: Monster und ihre Kritiker und seine
Vortragsreihe On Fairy-Stories, die sich mit Mythologie, Fantasie und der Kreation
sekundärer Welten beschäftigen.
John Ronald Reuel und Edith Tolkien hatten vier Kinder: 1917 wurde John
geboren, der später Geistlicher in der anglikanischen Kirche werden sollte;
1920 kam Michael zur Welt. Der Verwalter seines Erbes und Herausgeber der
kritischen Edition des Werks seines Vaters, Christopher, kommt 1924 zur Welt
und das Nesthäkchen Priscilla wird 1929 geboren. Tolkien geht 1959 in Ruhestand und ist überrascht, welchen Erfolg seine Neuschöpfung einer mythischen
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Welt hat, die im Silmarillion, dem Herrn der Ringe und dem Hobbit Ausdruck finden
sollte. Gerade in den Vereinigten Staaten wird der Brite in den 60ern zum
Kultautor einer Gesellschaft in Bewegung, die sich anscheinend in Zeiten des
sozialen Umbruchs fantastische Welten zu Fluchtburgen ihrer Fantasie aufbaut.
Dies hatte Tolkien nie bezweckt, aber seine Vorstellung von Fantasie und Mythologie stand oft im Widerspruch zum allgemeinen Verständnis seines Werks.
Tolkien verbringt den Rest seines Lebens mit seiner geliebten Ehefrau Edith,
die 1971 stirbt. 1972 wird er von der Queen mit dem Orden „CBE“ für seine
herausragende literarische Bedeutung geadelt. Am Morgen des 2. September
1973 stirbt der Schöpfer von Mittelerde nach kurzer Krankheit in einem Krankenhaus in Bournemouth, England.
Marcel Bülles
© Interfoto
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Achim Höppner – die deutsche Stimme Gandalfs
Nach seiner Schauspielausbildung und dem Studium der Germanistik, Kunstund Theatergeschichte arbeitete Achim Höppner als Schauspieler und Regisseur.
Seit Jahren ist er erfolgreich für Film, Kino und Fernsehen tätig, vor allem in
den Bereichen Synchronisation, Hörspiel, Lesung und Radiofeature. Seine
Stimme ist einem breiten Publikum bekannt. So synchronisierte er Gandalf im
Kinofilm „Der Herr der Ringe”, sowie Clint Eastwood, Paul Newman, Donald
Sutherland u. v. a. und las für den Hörverlag bereits das Silmarillion. Darüber
hinaus sucht Achim Höppner so oft wie möglich den direkten Kontakt zum
Publikum in szenischen und literarischen Lesungen.
[Foto Höppner] © privat >>
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Anhänge
Angaben zu den Quellen für die meisten der in diesem und den folgenden
Anhängen (besonders A bis D) zu behandelnden Stoffe finden sich in der
Anmerkung über die auenländischen Geschichtsbücher am Ende des Prologs.
Die in den Quellen enthaltenen Sagen, Erzählungen und Berichte sind sehr
umfangreich. Nur Auszüge aus ihnen, zumeist stark verkürzt, werden hier wiedergegeben. Unser Zweck dabei ist vor allem, den Ringkrieg und seine Ursprünge
zu verdeutlichen und manche Lücken in der Haupterzählung zu schließen. Die
alten Sagen aus dem Ersten Zeitalter, denen Bilbos besondere Aufmerksamkeit
galt, werden nur sehr kurz behandelt, da sie von den Vorfahren Elronds und
der númenórischen Könige und Stammesfürsten berichten. Wörtliche Auszüge
aus längeren Geschichtswerken und Erzählungen erscheinen in Anführungszeichen, Hinzufügungen von späterer Hand in eckigen Klammern. Auch Zitate
in den Fußnoten, soweit in Anführungszeichen, stammen aus den Quellen.
Andere Fußnoten sind vom Herausgeber.
Die angegebenen Jahreszahlen beziehen sich auf das Dritte Zeitalter, soweit
sie nicht mit Z. Z. (Zweites Zeitalter) oder V. Z. (Viertes Zeitalter) gekennzeichnet sind. Das Dritte Zeitalter galt mit dem Scheiden der Drei Ringe im
September 3021 als beendet; doch für die amtlichen Aufzeichnungen in Gondor
begann das erste Jahr des Vierten Zeitalters mit dem 25. März 3021. In den
Listen der Könige und Herrscher bezeichnen die Zahlen nach den Namen,
sofern nur eine angegeben wird, das Todesjahr. Das Zeichen † bedeutet vorzeitiger Tod, in der Schlacht oder auf andere Weise, auch wenn keine Jahreszahl
bekannt ist.
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Anhang A
Annalen der Könige und Herrscher
I Die númenórischen Könige
1. Númenor
Feanor war unter den Eldar der größte Künstler und Gelehrte, aber zugleich
auch der Stolzeste und Eigenmächtigste. Er schuf die drei Edelsteine, die silmarilli, und gab ihnen das Licht der Zwei Bäume ein, Telperions und Laurelins1,
die das Land der Valar erhellten. Die Edelsteine begehrte Morgoth, der Feind,
der sie, nachdem er die Bäume vernichtet hatte, stahl und nach Mittelerde brachte,
wo er sie in seiner großen Festung Thangorodrim verwahrte. Gegen den Willen
der Valar verließ Feanor das Segensreich und zog mit einem großen Teil seines
Volkes nach Mittelerde ins Exil; denn in seinem Stolz glaubte er, Morgoth die
Silmaril mit Gewalt wieder abringen zu können. So kam es zu dem aussichtslosen
Krieg der Eldar und der Edain gegen Thangorodrim, in dem sie am Ende vernichtend besiegt wurden. Die Edain (Atani) waren die drei Menschenvölker, die
zuerst in den Westen von Mittelerde und an die Küsten des Großen Meeres
kamen und zu Verbündeten der Eldar gegen den Feind wurden.
Zwischen den Eldar und den Edain kam es in drei Fällen zu ehelichen Vereinigungen: zwischen Lúthien und Beren, Idril und Tuor, Arwen und Aragorn.
1 Von Laurelin, dem goldenen Baum, war in Mittelerde kein Abbild oder Nachkomme mehr geblieben.
Durch die letzte wurden die lange getrennten Zweige der Halbelben wieder
vereinigt und ihre Erblinie wiederhergestellt.
Lúthien Tinúviel war die Tochter König Thingol Graumantels, der im Ersten
Zeitalter das Elbenreich von Doriath beherrschte; ihre Mutter aber war Melian
vom Volk der Valar. Beren war der Sohn Barahirs vom Ersten Haus der Edain.
Gemeinsam errangen sie einen der Silmaril aus Morgoths Eisenkrone. Lúthien
wurde sterblich und war für das Elbengeschlecht verloren. Ihr Sohn war Dior,
und dessen Tochter Elwing hatte den Silmaril in Verwahrung.
Idril Celebrindal war die Tochter Turgons, des Königs der verborgenen Stadt
Gondolin. Tuor war der Sohn Huors aus dem Haus Hador, dem Dritten Volk
der Edain, das in den Kriegen mit Morgoth den höchsten Ruhm erlangte.
Earendil, der Seefahrer, war Idrils und Tuors Sohn.
Earendil heiratete Elwing, und mit der Macht des Silmarils durchfuhr er das
Schattenmeer und erreichte den äußersten Westen. Als Botschafter der Elben und
Menschen erlangte er dort Hilfe, mit der Morgoth niedergeworfen wurde. Ihm
wurde nicht erlaubt, in die Lande der Sterblichen zurückzukehren, und sein
Schiff mit dem Silmaril wurde als Stern an den Himmel versetzt, zum Zeichen
der Hoffnung für alle vom großen Feind oder seinen Dienern bedrückten
Bewohner von Mittelerde. Allein die Silmaril bewahrten noch das alte Licht der
Zwei Bäume von Valinor aus der Zeit, bevor Morgoth sie vergiftete; die anderen
beiden jedoch gingen am Ende des Ersten Zeitalters verloren. Von alledem und
vielem andern, das Elben und Menschen betrifft, wird ausführlich im Silmarillion
berichtet.
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Earendils Söhne waren Elros und Elrond, die Peredhil oder Halbelben. In
ihnen allein war die Erblinie der heldenhaften Edain-Stammesfürsten aus dem
Ersten Zeitalter erhalten; und nach Gil-galads Tod war auch die Linie der Hochelbenkönige in Mittelerde nur noch durch die Nachkommen der Halbelben
vertreten.
Am Ende des Ersten Zeitalters erwirkten die Valar von den Halbelben eine
unwiderrufliche Entscheidung, welchem der beiden Geschlechter sie angehören
wollten. Elrond entschied sich für die Elben und wurde ein Weiser. Ihm wurde
daher dieselbe Gunst gewährt wie denjenigen Hochelben, die noch immer in
Mittelerde verweilten: dass er, wenn er schließlich der Sterblichenlande müde
würde, bei den Grauen Anfurten zu Schiff gehen und in den Äußersten Westen
fahren könne; und dies galt auch nach der Verwandlung der Welt. Elronds Kinder
wurden ebenfalls vor eine Wahl gestellt: entweder mit ihm aus den Kreisen der
Welt zu scheiden oder aber, wenn sie blieben, sterblich zu werden und in Mittelerde den Tod zu erwarten. Für Elrond war daher jeder mögliche Ausgang des
Ringkriegs schmerzlich.
Elros entschied sich für das Menschengeschlecht und blieb unter den Edain;
doch wurde ihm ein langes Leben gewährt, viele Male länger als das gewöhnlicher
Menschen.
Zum Lohn für ihre Leiden im Kampf gegen Morgoth wurde den Edain von
den Welthütern, den Valar, ein Land gegeben, wo sie sich fern von allen Gefahren
Mittelerdes niederlassen konnten. Die meisten von ihnen schifften sich daher
ein und fuhren, von Earendils Stern geleitet, übers Meer bis zu der großen Insel
Elenna, dem westlichsten aller Sterblichenlande. Dort gründeten sie das Reich
von Númenor.
In der Mitte des Landes stand ein hoher Berg, der Meneltarma, und wer gute
Augen hatte, konnte von seinem Gipfel aus den weißen Turm am Hafen der
Eldar in Eressea sehen. Von dort kamen die Eldar zu den Edain herübergefahren
und machten sie um viele Kenntnisse und Geschenke reicher. Den Edain aber
war ein Verbot auferlegt worden, der »Bann der Valar«: Sie durften nicht außer
Sichtweite der eigenen Küsten nach Westen segeln oder versuchen, den Fuß auf
die Lande der Unsterblichen zu setzen. Denn obwohl ihnen ein langes Leben
gewährt war, anfangs dreimal so lange wie das Leben gewöhnlicher Menschen,
mussten sie doch sterblich bleiben, denn den Valar war nicht erlaubt, ihnen die
»Gabe der Menschen« zu nehmen (oder das Menschenlos, wie man es später
nannte).
Elros wurde der erste König von Númenor und trug später den hochelbischen
Namen Tar-Minyatur. Seine Nachkommen waren langlebig, aber sterblich.
Später, als sie viel Macht errangen, reute sie die Entscheidung ihres Ahnherrn;
sie wünschten sich die Unsterblichkeit in dieser Welt, die das Schicksal der Eldar
war, und murrten gegen den Bann. So kam es, dass sie sich empörten und Saurons tückische Lehren annahmen, was zum Untergang von Númenor und zur
Zertrümmerung der alten Welt führte, wie in der Akallabêth berichtet wird.
Dies sind die Namen der Könige und Königinnen von Númenor:
Elros Tar-Minyatur, Vardamir, Tar-Amandil, Tar-Elendil, Tar-Meneldur,
Tar-Aldarion, Tar-Ancalime (die erste regierende Königin), Tar-Anárion,
Tar-Súrion, Tar-Telperien (die zweite Königin), Tar-Minastir, Tar-Ciryatan,
Tar-Atanamir der Große, Tar-Ancalimon, Tar-Telemmaite, Tar-Vanimelde
(die dritte Königin), Tar-Alcarin, Tar-Calmacil.
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Nach Calmacil übernahmen die Könige das Zepter unter Namen aus der
númenórischen (oder adûnaischen) Sprache: Ar-Adûnakhôr, Ar-Zimrathôn,
Ar-Sakalthôr, Ar-Gimilzôr, Ar-Inziladûn. Inziladûn bedauerte das Gebaren
seiner Vorgänger und nahm wieder einen hochelbischen Namen an: Tar-Palantir,
»der Weitblickende«. Seine Tochter hätte die vierte Königin, Tar-Míriël,
werden müssen, doch sein Neffe riss das Zepter an sich: Ar-Pharazôn der
Goldene, der letzte König von Númenor.
In den Tagen Tar-Elendils fuhren zum ersten Mal wieder Schiffe der Númenórer nach Mittelerde. Tar-Elendils ältestes Kind war eine Tochter, Silmariën.
Ihr Sohn war Valandil, der erste der Fürsten von Andunië, die für ihre Freundschaft mit den Eldar bekannt waren. Von ihm stammten Amandil ab, der letzte
Fürst des Hauses, und dessen Sohn Elendil der Lange.
Der sechste König hinterließ nur ein Kind, eine Tochter. Sie wurde die erste
Königin, und damals wurde es zum Gesetz für das Königshaus, dass jeweils das
älteste Kind, ob Mann oder Frau, das Zepter übernehmen solle.
Das Reich von Númenor bestand bis zum Ende des Zweiten Zeitalters, bei
fortwährendem Zuwachs an Macht und Glanz; und während der ersten Hälfte
des Zeitalters wurden die Númenórer auch immer klüger und glücklicher. Das
erste Anzeichen des Schattens, der später auf sie fallen sollte, trat in den Tagen
Tar-Minastirs auf, des elften Königs. Er war es, der Gil-galad ein großes Heer
zu Hilfe schickte. Er schätzte die Eldar, aber er beneidete sie. Die Númenórer
waren nun große Seefahrer geworden; und nachdem sie alle Meere im Osten
erkundet hatten, dachten sie immer sehnsüchtiger an die verbotenen Gewässer
im Westen. Je glücklicher ihr Leben war, desto mehr verlangte es sie nach der
Unsterblichkeit der Eldar.
Überdies wurden die Könige nach Minastir hab- und machtgierig. Zuerst
waren die Númenórer in Mittelerde nur als Lehrer und Freunde der geringeren
Menschenvölker aufgetreten, die unter Sauron zu leiden hatten; doch nun
wurden ihre Häfen zu Festungen, von denen aus sie weite Küstengebiete in
Knechtschaft hielten. Atanamir und seine Nachfolger erhoben schwere Tribute,
und ihre Schiffe kehrten beutebeladen nach Númenor zurück.
Tar-Atanamir war es, der sich zuerst offen gegen den Bann aussprach und
erklärte, dass das Leben der Eldar von Rechts wegen auch ihm gebühre. So verdichtete sich der Schatten, und der Gedanke an den Tod verdunkelte die Herzen
der Menschen. Nun bildeten sich Parteien: einerseits die Könige und ihre
Gefolgsleute, die den Eldar und den Valar fremd geworden waren; andererseits
die wenigen, die sich selbst die Getreuen nannten. Von diesen wohnten die
meisten im Westen des Landes.
Die Könige und ihre Anhänger gingen nach und nach vom Gebrauch der
Elbensprachen ab, und schließlich nahm der zwanzigste König einen Herrschernamen in der númenórischen Form an: Er nannte sich Ar-Adûnakhôr, »Herr
des Westens«. Dies schien den Getreuen nichts Gutes zu verheißen, denn bisher
hatten sie diesen Titel nur einem Vala oder dem Ältesten König selbst beigelegt.
Und tatsächlich begann Ar-Adûnakhôr die Getreuen zu verfolgen und alle, die
sich öffentlich der Elbensprachen bedienten, zu bestrafen; und die Eldar
besuchten Númenor nicht länger.
Macht und Reichtum der Númenórer wuchsen indessen weiter; doch ihre
Lebenszeit wurde kürzer, während zugleich ihre Todesfurcht zunahm und ihr
Dasein freudlos wurde. Tar-Palantir versuchte, das Unheil abzuwenden, aber
es war zu spät, und in Númenor kam es zum Zwist und Aufstand. Als er starb,
ergriff sein Neffe das Zepter, der Anführer des Aufstands, und machte sich zum
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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König. Ar-Pharazôn der Goldene war der stolzeste und mächtigste aller Könige,
und sein Bestreben zielte auf nichts Geringeres als die Weltherrschaft.
Er beschloss, Sauron dem Großen die Vorherrschaft in Mittelerde streitig zu
machen. Mit einer gewaltigen Flotte stach er in See und landete in Umbar. So
stark und prächtig war das Heer der Númenórer, dass Sauron, von den eigenen
Dienern im Stich gelassen, sich demütigte und unterwarf und um Verzeihung
bat. Da nahm ihn Ar-Pharazôn, vom Hochmut verblendet, als Gefangenen mit
nach Númenor. Es dauerte nicht lange, und Sauron hatte den König behext
und verstand alle seine Entschlüsse zu lenken; und bald hatte er bis auf einen
kleinen Rest der Getreuen alle Númenórer für die Sache des Dunkels eingenommen.
Sauron machte dem König weis, das ewige Leben werde dem zuteil, der die
Lande der Unsterblichen besitze, und der Bann sei nur verhängt worden, damit
die Könige der Menschen nicht mächtiger würden als die Valar. »Doch große
Könige«, sagte er, »nehmen sich, was ihnen zukommt.«
Schließlich hörte Ar-Pharazôn auf diesen Rat, denn er spürte, dass seine Tage
gezählt waren, und die Todesfurcht trübte seinen Verstand. Er rüstete die größte
Streitmacht, die die Welt je gesehen hatte, und als alles bereit war, ließ er die
Trompeten blasen und die Segel setzen. Den Bann der Valar brechend, zog er
gegen die Herren des Westens in den Krieg, um ihnen das ewige Leben abzuringen. Doch als er den Fuß ans Ufer des gesegneten Landes Aman setzte, legten
die Valar ihr Hüteramt nieder und riefen den Einen an, und der Bau der Welt
wurde geändert. Númenor wurde zertrümmert und vom Meer verschlungen,
und die Lande der Unsterblichen wurden für immer aus den Kreisen der Welt
entrückt. So endete Númenors Herrlichkeit.
Die letzten Führer der Getreuen, Elendil und seine Söhne, entkamen dem
Untergang mit neun Schiffen, auf denen sie einen Sämling von Nimloth und
die Sieben Sichtsteine (ein Geschenk der Eldar für ihr Haus) mitführten, und
ein gewaltiger Sturm trug sie davon und warf sie an die Küsten von Mittelerde.
Dort, im Nordwesten, gründeten sie die númenórischen Exilreiche von Arnor
und Gondor. Elendil wurde ihr Hoher König und nahm seinen Sitz im Norden,
in Annúminas; die Herrschaft im Süden übertrug er seinen Söhnen Isildur
und Anárion. Dort gründeten sie die Stadt Osgiliath, zwischen Minas Ithil und
Minas Anor gelegen, unweit der Grenzen von Mordor. Denn sie glaubten,
wenigstens dies eine Gute habe das Unglück bewirkt, dass auch Sauron mit
umgekommen sei.
Doch so war es nicht. Zwar hatte Sauron beim Untergang von Númenor Schaden
genommen, sodass die leibliche Gestalt, in der er lange aufgetreten war, zugrunde
ging; aber er rettete sich nach Mittelerde, ein Geist des Hasses, getragen von
einem dunklen Wind. Hernach konnte er nie wieder eine für Menschen erträgliche äußere Erscheinung annehmen; er wurde schwarz und abscheulich und
herrschte nur noch durch Schrecken. Er kehrte zurück nach Mordor und hielt
sich dort eine Zeit lang in aller Stille verborgen. Doch es erboste ihn gewaltig zu
erfahren, dass Elendil, den er am innigsten hasste, davongekommen war und
nun an seinen Grenzen ein Reich errichtete.
Daher überzog er die Exilreiche nach einiger Zeit mit Krieg, um sie nicht erst
Wurzel fassen zu lassen. Von neuem brach der Orodruin in Flammen aus, und
in Gondor erhielt er einen neuen Namen: Amon Amarth, der Schicksalsberg. Aber
Sauron führte seinen Schlag zu früh, bevor er die eigene Macht wieder gefestigt
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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hatte, während Gil-galad in seiner Abwesenheit mächtiger geworden war; und
als das Letzte Bündnis gegen ihn geschlossen wurde, konnte es Sauron niederwerfen und ihm den Einen Ring abnehmen. So endete das Zweite Zeitalter.
2. Die Reiche im Exil
Die nördliche Linie: Isildurs Erben
Arnor: Elendil † Z. Z. 3441, Isildur † 2, Valandil2 249, Eldacar 339, Arantar
435, Tarcil 515, Tarondor 602, Valandur † 652, Elendur 777, Earendur 681.
Arthedain: Amlaith von Fornost3 (Earendurs ältester Sohn) 946, Beleg 1029,
Mallor 1110, Celepharn 1191, Celebrindor 1272, Malvegil 13494, Argeleb I.
† 1356, Arveleg I. 1409, Araphor 1589, Argeleb II. 1670, Arvegil 1743, Arveleg II.
1813, Araval 1891, Araphant 1964, Arvedui der Letzte † 1975. Ende des Nördlichen Königsreichs.
Stammesoberhäupter: Aranarth (Arveduis ältester Sohn) 2106, Arahael 2177,
Aranuir 2247, Aravir 2319, Aragorn I. † 2327, Araglas 2455, Arahad I. 2523,
Aragost 2588, Aravorn 2654, Arahad II. 2719, Arassuil 2784, Arathorn I.
† 2848, Argonui 2912, Arador † 2930, Arathorn II. † 2933, Aragorn II.
V. Z. 120.
2 Isildurs vierter Sohn, geboren in Imladris. Seine Brüder fielen auf den Schwertelfeldern.
3 Nach Earendur trugen die Könige ihren Namen nicht mehr in der hochelbischen Form.
4 Nach Malvegil erhoben die Könige in Fornost wieder Anspruch auf die Herrschaft über ganz Arnor und stellten
zum Zeichen dafür ihrem Namen die Silbe ar(a) voran.
Die südliche Linie: Anárions Erben
Könige von Gondor: (Elendil, Isildur und) Anárion † Z. Z. 3440, Meneldil (Anárions Sohn) 158, Cemendur 238, Earendil 324, Anardil 411, Ostoher 492,
Rómendacil I. (Tarostar) † 541, Turambar 667, Atanatar I. 784, Siriondil 830.
Es folgten die vier »Schiffskönige«:
Tarannon Falastur 913. Er war der erste kinderlose König, und der Sohn seines
Bruders Tarciryan wurde sein Nachfolger. Earnil I. † 936, Ciryandil † 1015, Hyarmendacil I. (Ciryaher) 1149. Gondor erreichte nun den Gipfel seiner Macht.
Atanatar II. Alcarin, »der Prächtige« 1226, Narmacil I. 1294. Er war der
zweite kinderlose König, und sein jüngerer Bruder wurde sein Nachfolger.
Calmacil 1304, Minalcar (Regent 1240–1304), gekrönt 1304 als Rómendacil II.,
starb 1366. Valacar 1432, zu seiner Zeit begann Gondors erste Krise, der
Sippenstreit.
Eldacar, Valacars Sohn (zuerst Vinitharya genannt), abgesetzt 1347. Castamir,
der Thronräuber † 1447. Eldacar, wieder eingesetzt, starb 1490.
Aldamir (zweiter Sohn Eldacars) † 1540, Hyarmendacil II. (Vinyarion) 1621,
Minardil † 1634, Telemnar † 1636. Telemnar und alle seine Kinder erlagen der
Pest; Nachfolger wurde sein Neffe (der Sohn Minastans, des zweiten Sohnes von
Minardil) Tarondor 1798, Telumehtar Umbardacil 1850, Narmacil II. † 1856,
Calimehtar 1936, Ondoher † 1944. Ondoher und seine zwei Söhne fielen in
der Schlacht. Ein Jahr später, 1945, wurde die Krone dem siegreichen General
Earnil verliehen, einem Nachkommen Telumehtar Umbardacils. Earnil II. 2043,
Earnur † 2050. Hier endete die Linie der Könige, bis sie 3019 von Elessar
Telcontar wieder aufgenommen wurde. In der Zwischenzeit regierten die
Statthalter das Reich.
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Statthalter von Gondor: Das Haus Húrin; Pelendur 1998. Er regierte nach Ondohers Tod ein Jahr lang und riet zur Ablehnung von Arveduis Anspruch auf die
Krone. Vorondil der Jäger5 2029: Mardil Voronwe, »der Standhafte«, der erste
Regierende Statthalter. Seine Nachfolger trugen keine hochelbischen Namen mehr.
Regierende Statthalter: Mardil 2080, Eradan 2116, Herion 2148, Belegorn 2204,
Húrin I. 2244, Túrin I. 2278, Hador 2395, Barahir 2412, Dior 2435, Denethor I. 2477, Boromir 2489, Cirion 2567. Zu seiner Zeit kamen die Rohirrim
nach Calenardhon.
Hallas 2605, Húrin II. 2628, Belecthor I. 2655, Orodreth 2685, Ecthelion I.
2698, Egalmoth 2743, Beren 2763, Beregond 2811, Belecthor II. 2872, Thorondir 2882, Túrin II. 2914, Turgon 2953, Ecthelion II. 2984, Denethor II.
Er war der letzte Regierende Statthalter, und sein Nachfolger wurde sein zweiter
Sohn Faramir, Fürst von Emyn Arnen, König Elessars Statthalter, V. Z. 82.
3. Eriador, Arnor und Isildurs Erben
»Eriador war von alters her der Name aller Lande zwischen dem Nebelgebirge
und den Blauen Bergen; im Süden waren seine Grenzen die Grauflut und der
Glanduin, der oberhalb von Tharbad in sie mündet.
Zur Zeit seiner größten Ausdehnung umfasste Arnor ganz Eriador, ausgenommen die Gebiete nordwestlich des Lhûn und das Land östlich von Grauflut
und Lautwasser, wo Bruchtal und Hulsten lagen. Jenseits des Lhûn war grünes,
5 Die wilden Rinder, die damals in der Gegend um das Meer von Rhûn zu finden waren, stammen der Sage nach von
den Rindern Araws ab, des Jägers unter den Valar, der als Einziger von ihnen in den Ältesten Tagen oft nach Mittelerde kam. Die hochelbische Form seines Namens ist Orome.
stilles Elbenland, das Menschen nicht betraten; doch an den Osthängen der
Blauen Berge lebten und leben noch immer Zwerge, besonders in der Gegend
südlich der Förde von Lhûn, wo sie seit alter Zeit Bergwerke betreiben. Daher
waren sie es gewohnt, auf ihren Wegen nach Osten die Große Straße entlangzuziehen, wie sie es schon seit vielen Jahren getan hatten, ehe wir ins Auenland
kamen. Bei den Grauen Anfurten wohnte Círdan der Schiffbauer, und manche
sagen, er wohne noch immer dort, bis das letzte Schiff nach Westen abfährt. Zur
Zeit der Könige wohnten die meisten der Hochelben, die noch in Mittelerde
verweilten, bei Círdan oder in den küstennahen Gebieten von Lindon. Vielleicht
sind einige heute noch dort, aber nur wenige.«
Das Nördliche Königreich und die Dúnedain
Auf Elendil und Isildur folgten acht Hohe Könige von Arnor. Nach Earendurs
Tod zerstritten sich seine Söhne, und das Reich zerfiel in drei Teile: Arthedain,
Rhudaur und Cardolan. Arthedain, im Nordwesten, umfasste das Gebiet zwischen
Brandywein und Lhûn, außerdem das Land nördlich der Großen Straße bis
zu den Wetterbergen. Rhudaur lag im Nordosten zwischen den Ettenöden, den
Wetterbergen und dem Nebelgebirge, doch auch der Winkel zwischen Weißquell
und Lautwasser gehörte dazu. Cardolan lag südlich der Großen Straße zwischen
Brandywein und Grauflut.
In Arthedain setzte sich Isildurs Erblinie fort, doch in Cardolan und Rhudaur
war sie bald erloschen. Es gab oft Streit zwischen den Königreichen, was den
Niedergang beschleunigte. Meistens ging es dabei um den Besitz der Wetterberge
und des westlich davon, nach Bree hin gelegenen Landstrichs. Sowohl Rhudaur
wie auch Cardolan waren bestrebt, den Amon Sûl (die Wetterspitze) an sich zu
bringen, der an der Grenze ihres Reiches stand; denn in dem Turm auf diesem
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Berg befand sich der wichtigste Palantír des Nordens, während die beiden anderen
in Arthedain verwahrt wurden.
»In Arthedain hatte eben Malvegil die Herrschaft angetreten, als sich das
Unglück für Arnor anbahnte. Denn zu dieser Zeit erwuchs im Norden jenseits
der Ettenöden das Reich von Angmar. Es erstreckte sich beiderseits des Nebelgebirges, und dort sammelten sich allerlei menschliches Gelichter, Orks und
andere Unwesen. [Den Herrscher über dieses Land nannte man den Hexenkönig,
und erst später wurde bekannt, dass er niemand anders als der oberste der
Ringgeister und mit der Absicht in den Norden gekommen war, die Dúnedain
zu vernichten, wozu ihre Uneinigkeit gute Aussichten bot, während Gondor
noch stark war.]«
Zur Zeit von Malvegils Sohn Argeleb erhoben die Könige von Arthedain von
neuem Anspruch auf die Herrschaft über ganz Arnor, da in den anderen Reichen
keine Nachkommen Isildurs mehr lebten. Rhudaur wies den Anspruch zurück.
Dort gab es nur noch wenige Dúnedain, und ein böser Fürst der Bergmenschen,
der insgeheim mit Angmar im Bunde stand, hatte die Macht an sich gerissen.
Argeleb befestigte daher die Wetterberge; doch er fiel im Krieg gegen Rhudaur
und Angmar.
Argelebs Sohn Arveleg konnte mit Hilfe aus Cardolan und Lindon die Feinde
von den Bergen vertreiben; und dann verteidigten Arthedain und Cardolan
viele Jahre lang eine Grenze längs der Wetterberge, der Großen Straße und des
unteren Weißquells. Es heißt, in dieser Zeit sei Bruchtal belagert worden.
1409 kam ein großes Heer aus Angmar, drang über den Fluss nach Cardolan
hinein und umzingelte die Wetterspitze. Die Dúnedain wurden besiegt, und
Arveleg fiel. Der Turm auf dem Amon Sûl wurde niedergebrannt und geschleift;
doch der Palantír wurde beim Rückzug gerettet und nach Fornost gebracht.
Rhudaur wurde nun ganz von den üblen, Angmar ergebenen Menschen besetzt,
und die dort noch verbliebenen Dúnedain wurden getötet, oder sie flohen nach
Westen. Cardolan wurde verwüstet. Arvelegs Sohn Araphor war noch nicht
erwachsen, aber ein tapferer Fürst, und mit Círdans Hilfe konnte er die Feinde
von Fornost und den Nordhöhen zurückschlagen. Ein Rest der Getreuen unter
den Dúnedain von Cardolan hielt sich außerdem noch in den Tyrn Gorthad
(den Hügelgräberhöhen) oder fand Zuflucht in dem Wald dahinter.
Es heißt, eine Zeit lang sei Angmar von dem Elbenvolk aus Lindon in Schach
gehalten worden; und auch Bruchtal leistete Hilfe, denn Elrond holte über
die Berge Elben aus Lórien heran. Zu dieser Zeit war es, dass die Starren, die
im Winkel zwischen Weißquell und Lautwasser gewohnt hatten, vor den Kriegen
und den Schrecknissen aus Angmar nach Westen und Süden flohen, auch deshalb, weil Land und Klima in Eriador, besonders im Osten, immer schlechter
und unfreundlicher wurden. Manche kehrten nach Wilderland zurück, ließen
sich am Schwertelfluss nieder und wurden ein Fischervolk.
Zur Zeit Argelebs II. drang von Südosten her die Pest nach Eriador ein, und die
meisten Menschen in Cardolan, besonders in Minhiriath, kamen um. Auch die
Hobbits und alle anderen Völker hatten schwer zu leiden, doch nach Norden zu
schwächte die Seuche sich ab, und die nördlichen Teile von Arthedain berührte
sie kaum. Zu dieser Zeit fanden die Dúnedain von Cardolan ihr Ende, und
üble Geister aus Angmar und Rhudaur drangen in die verlassenen Hügelgräber
ein und hausten dort.
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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»Es heißt, die Hügelgräber der Tyrn Gorthad, wie man die Hügelgräberhöhen
einst nannte, seien sehr alt; und viele hätten schon die Vorväter der Edain in
der alten Welt des Ersten Zeitalters angelegt, bevor sie über die Blauen Berge
nach Beleriand gingen, von dem heute allein Lindon noch übrig ist. Diese Hügel
wurden daher von den Dúnedain nach ihrer Rückkehr in Ehren gehalten, und
viele ihrer Fürsten und Könige wurden dort begraben. [Einige sagen, der Hügel,
in dem der Ringträger gefangen wurde, sei das Grab des letzten Fürsten von
Cardolan gewesen, der im Krieg von 1409 gefallen war.]«
»1974 hatte Angmars Macht wieder zugenommen, und der Hexenkönig fiel
über Arthedain her, ehe noch der Winter vorüber war. Er eroberte Fornost und
vertrieb den größten Teil der überlebenden Dúnedain über den Lhûn, unter
ihnen die Söhne des Königs. König Arvedui selbst aber hielt auf den Nordhöhen
bis zuletzt stand und floh dann mit einigen Leibwächtern nach Norden. Dank
der Schnelligkeit ihrer Pferde entkamen sie.
Eine Zeit lang hielt sich Arvedui in den Stollen der alten Zwergenminen
am Nordende des Gebirges verborgen, doch schließlich trieb ihn der Hunger,
die Lossoth6 um Hilfe zu bitten, die Schneemenschen von Forochel. Einige von
ihnen traf er in einem Lager am Meeresufer; aber sie halfen dem König nicht
gern, denn er hatte ihnen nichts zu bieten außer ein paar Edelsteinen, denen
sie keinen Wert beimaßen. Außerdem fürchteten sie den Hexenkönig, der
6 Dies ist ein merkwürdiges, unfreundliches Volk, ein Überrest der Forodwaith, der Menschen aus ferner Zeit, die
sich an die bittere Kälte in Morgoths Reich gewöhnt hatten. Noch immer ist es in dieser Gegend eiskalt, obwohl
sie kaum mehr als hundert Wegstunden nördlich vom Auenland liegt. Die Lossoth wohnen im Schnee; es heißt,
sie könnten mit Knochen an den Füßen übers Eis laufen und hätten Wagen ohne Räder. Zumeist leben sie, für ihre
Feinde unerreichbar, auf dem großen Kap Forochel, das die gewaltige Meeresbucht gleichen Namens nach Nordwesten abschirmt; aber oft lagern sie auch an den Südufern der Bucht, am Fuß des Gebirges.
(wie sie sagten) nach Belieben Frost oder Tauwetter machen konnte. Doch teils
aus Mitleid mit dem halb verhungerten König und seinen Männern, teils aus
Furcht vor ihren Waffen gaben sie ihnen ein wenig zu essen und bauten ihnen
Schneehütten. Dort konnte Arvedui nur warten und auf Hilfe von Süden hoffen,
denn seine Pferde waren umgekommen.
Als Círdan von Arveduis Sohn Aranarth erfuhr, dass der König nach Norden
geflohen war, schickte er sogleich ein Schiff nach Forochel, um ihn zu suchen.
Wegen widriger Winde kam das Schiff erst nach vielen Tagen dort an, und die
Seeleute sahen schon von weitem das kleine Treibholzfeuer, das die Verlassenen
notdürftig unterhielten. Aber der Winter wollte in diesem Jahr noch nicht weichen,
und obwohl es schon März war, brach das Eis erst langsam auf und reichte noch
weit vor die Küste hinaus.
Die Schneemenschen erblickten das Schiff mit Furcht und Erstaunen, denn
ein solches hatten sie noch nie gesehen, soweit ihre Erinnerungen zurückreichten;
doch inzwischen waren sie hilfsbereiter, und sie zogen den König und seine
überlebenden Gefährten auf ihren Gleitkarren so weit aufs Eis hinaus, wie sie
es wagten. Dort konnte ein Boot vom Schiff sie erreichen.
Doch die Schneemenschen waren besorgt; denn, sagten sie, sie könnten Gefahr
aus dem Wind wittern. Und der Häuptling der Lossoth sagte zu Arvedui: ›Steige
nicht auf dieses Seeungeheuer! Lass die Seeleute uns Nahrung bringen und
anderes Brauchbare, das sie vielleicht haben, und dann bleibe hier, bis der
Hexenkönig heimgeht. Denn im Sommer schwindet seine Macht; jetzt aber ist
sein Hauch tödlich, und sein kalter Arm ist lang.‹
Doch Arvedui nahm den Rat nicht an. Er dankte ihm und gab ihm zum
Abschied seinen Ring mit den Worten: ›Dies Ding ist von höherem Wert, als
du ermessen kannst, schon seines Alters wegen. Es besitzt keine Kraft außer der
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Hochachtung derer, die meinem Haus verbunden sind. Es kann dir nicht helfen,
doch wenn du je in Not bist, wird meine Sippe es auslösen und dir viel von
allem dafür geben, was du dir nur wünschen kannst.‹7
Doch, ob aus Zufall oder Voraussicht, der Rat der Lossoth war gut gewesen; denn
bevor das Schiff aufs offene Meer hinausgelangt war, brach ein schwerer Sturm los
und trug von Norden blendendes Schneegestöber heran; er trieb das Schiff ins Eis
zurück und keilte es ein. Selbst Círdans Seeleute waren da hilflos, und in der Nacht
zerdrückte das Eis den Rumpf, und das Schiff sank. So endete der Letztkönig
Arvedui, und mit ihm wurde die Palantíri im Meer begraben.8 Die Nachricht von
dem Schiffbruch erfuhr man erst viel später von den Schneemenschen.«
Die Hobbits überstanden den Krieg, der über das Auenland hinwegfegte, obwohl
die meisten sich in Verstecke flüchten mussten. Dem König schickten sie ein
paar Bogenschützen zu Hilfe, die nie wiederkehrten; und andere zogen auch mit
in die Schlacht, in der Angmar dann niedergeworfen wurde (über die in den
Annalen des Südens mehr gesagt wird). In der nun folgenden Friedenszeit
regierte das Auenlandvolk sich selbst und gedieh gut dabei. Es wählte sich einen
Thain als Stellvertreter des Königs und war zufrieden; allerdings hofften viele
7 Auf diese Weise wurde der Ring des Hauses Isildur gerettet, denn die Dúnedain lösten ihn später aus. Es heißt,
dies sei derselbe Ring gewesen, den Felagund von Nargothrond einst Barahir gab und den Beren unter großer
Gefahr wiedergewann.
8 Dies waren die Steine von Annúminas und vom Amon Sûl. Im Norden verblieb nur noch der Stein im Turm auf den
Emyn Beraid, der auf die Förde von Lhûn hinausblickt. Dieser wurde von den Elben bewacht, und obwohl wir nie
etwas davon erfuhren, befand er sich immer dort, bis Círdan ihn auf Elronds Schiff brachte, bevor es nach Westen
auslief. Doch sagt man uns, er sei von den anderen ganz verschieden und nicht mit ihnen abgestimmt gewesen;
er habe nur aufs Meer hinausgeblickt. Elendil habe ihn dort aufgestellt, um »geraden Blicks« zurückschauen und
Eressea im verschwundenen Westen sehen zu können; Númenor aber blieb für immer von Meeren der krummen
Welt bedeckt.
noch lange auf die Wiederkehr des Königs. Doch schließlich war auch diese
Hoffnung vergessen, und nur noch eine Redensart erinnerte an sie: Wenn der König
wiederkommt, sagte man, um zu vertrösten, wenn etwas Gutes nun einmal nicht
möglich oder etwas Schlimmes nicht zu ändern war. Der erste Thain des Auenlandes war ein gewisser Bucca aus dem Bruch, von dem die Altbocks abzustammen
behaupten. Thain wurde er im Jahre 379 unserer Zeitrechnung (1979).
Mit Arvedui nahm das Nördliche Königreich ein Ende, denn die Dúnedain
waren nur noch wenige, und alle Völker von Eriador schrumpften zusammen.
Das Geschlecht der Könige aber pflanzte sich fort in den Stammesfürsten der
Dúnedain, von denen Arveduis Sohn Aranarth der Erste war. Dessen Sohn
Arahael wurde in Bruchtal aufgezogen wie auch alle Söhne der Stammesfürsten
nach ihm; und alle Erbstücke ihres Hauses wurden dort verwahrt: die Bruchstücke von Narsil, Elendils Stern und das Zepter von Annúminas.9
»Nach dem Ende ihres Königreichs traten die Dúnedain in den Schatten. Sie
wurden ein verborgen lebendes, umherwanderndes Volk, von dessen Mühen und
Taten kaum gesungen oder berichtet wurde. Wenig ist nun über sie in Erinnerung
9 Das Zepter, so sagt uns der König, war in Númenor das wichtigste Wahrzeichen der Königswürde, und ebenso in
Arnor, dessen Könige keine Krone trugen, sondern einen einzigen weißen Edelstein, den Elendilmir, Elendils Stern,
auf der Stirn durch einen Silberreif festgehalten. Wo Bilbo von einer Krone sprach, dachte er sicherlich an Gondor;
er scheint über die Geschichte von Aragorns Geschlecht gut im Bilde gewesen zu sein. Das Zepter von Númenor
soll mit Ar-Pharazôn untergegangen sein. Das von Annúminas war der silberne Stab der Fürsten von Andúnië und
ist heute wohl das älteste in Mittelerde erhaltene Werk von menschlicher Hand. Es war schon über fünftausend
Jahre alt, als Elrond es Aragorn aushändigte. Die Krone von Gondor hatte die Form eines númenórischen Helms.
Ursprünglich soll sie tatsächlich ein gewöhnlicher Helm gewesen sein, und zwar derjenige, den Isildur in der
Schlacht auf der Dagorlad trug (denn Anárions Helm war durch den vom Barad-dûr herabgeworfenen Stein
zertrümmert worden, der ihn tötete). Doch zur Zeit Atanatar Alcarins wurde dieser durch den juwelenbesetzten
Helm ersetzt, mit dem Aragorn dann gekrönt wurde.
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geblieben, seit Elrond fort ist. Obwohl schon vor dem Ende des Wachsamen
Friedens wieder manche Unwesen über Eriador herzufallen oder sich einzuschleichen begannen, starben die meisten Stammesfürsten nach langem Leben
eines natürlichen Todes. Aragorn I., heißt es, fiel den Wölfen zum Opfer, die
seither bis auf den heutigen Tag in Eriador eine Gefahr geblieben sind. In den
Tagen Arahads I. machten sich die Orks plötzlich wieder bemerkbar, die, wie
später deutlich wurde, seit langem geheime Stützpunkte in den Nebelbergen
angelegt hatten, von denen aus sie alle Pässe sperren konnten. 2509 lauerten sie
am Rothornpass Elronds Gattin Celebrían auf, die nach Lórien unterwegs war.
Nachdem ihre Eskorte durch den überraschenden Angriff der Orks zersprengt
war, wurde sie gefangen genommen und weggeschleppt. Elladan und Elrohir
konnten sie befreien, aber erst, nachdem man sie gefoltert und ihr eine vergiftete
Wunde beigebracht hatte. Sie wurde nach Imladris zurückgebracht, doch obwohl
Elrond sie körperlich heilen konnte, war ihr Mittelerde verleidet. Im Jahr darauf
ritt sie zu den Anfurten und fuhr übers Meer. Auch später, zur Zeit Arassuils,
vermehrten die Orks sich wieder im Nebelgebirge und begannen das Land zu
verheeren; und die Dúnedain und Elronds Söhne bekämpften sie. Zu dieser
Zeit war es, dass eine große Horde weit nach Westen bis ins Auenland vordrang,
wo sie von Bandobras Tuk vertrieben wurde.«
Volk unsere Grenzen überschreiten darf. Doch oft kommt er mit vielen Edlen
an die Große Brücke und begrüßt dort seine Freunde und alle andern, die ihn
sehen wollen; und manche reiten dann mit ihm und wohnen in seinem Haus,
solange es ihnen beliebt. Thain Peregrin ist oft dort gewesen, und ebenso Meister
Samweis, der Bürgermeister. Seine Tochter, die schöne Elanor, ist eine von
Königin Abendsterns Ehrenjungfrauen.«
Es war der Stolz und das Wunder der nördlichen Linie, dass sie trotz des
Verlusts der Macht und dem Schwund ihres Volkes über viele Generationen hin
die Erbfolge vom Vater zum Sohn lückenlos aufrechterhalten konnte. Außerdem
ging die Langlebigkeit der Dúnedain in Mittelerde zwar immer mehr zurück,
in Gondor aber besonders schnell, nachdem das Geschlecht der Könige dort
erloschen war; während im Norden viele der Stammesfürsten noch immer das
doppelte Menschenalter erreichten und weit älter wurden als selbst die Ältesten
unter uns. Aragorn lebte immerhin hundertundneunzig Jahre, länger als jeder
seiner Vorfahren seit dem König Arvegil; doch in Aragorn Elessar war die
Würde der Könige von einst wiederhergestellt.
Fünfzehn Stammesfürsten folgten einander, bevor der sechzehnte und letzte
geboren wurde, Aragorn II., der wieder König von Gondor und Arnor wurde.
»Unseren König nennen wir ihn; und wenn er nach Norden kommt, um für
eine Weile sein Haus im wieder aufgebauten Annúminas am Abendrotsee zu
bewohnen, freut sich das ganze Auenland. Aber unser Land betritt er nicht, denn
er hält sich an das Gesetz, das er selbst erlassen hat: dass keiner vom Großen
Auf Anárion, der vor Barad-dûr gefallen war, folgten in Gondor einunddreißig
Könige. Obwohl die Kriege an den Grenzen nie aufhörten, vermehrten die
Dúnedain des Südens über tausend Jahre lang zu Wasser und zu Lande ihre Macht
und ihren Reichtum, bis zur Regierungszeit Atanatars II., der den Beinamen
Alcarin, der Prächtige, erhielt. Doch die Vorzeichen ihres Niedergangs waren
da schon zu erkennen, denn die Edlen des Südens heirateten spät und hatten
4. Gondor und Anárions Erben
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wenige Kinder. Der erste kinderlose König war Falastur, der zweite Narmacil I.,
Atanatar Alcarins Sohn.
Ostoher, der siebente König, ließ Minas Anor erneuern, dem die Könige dann
als Sommersitz den Vorzug vor Osgiliath gaben. Zu dieser Zeit wurde Gondor
zum ersten Mal von wilden Menschenvölkern aus dem Osten angegriffen. Ostohers
Sohn Tarostar besiegte und vertrieb sie; er legte sich den Namen Rómendacil,
»Ost-Sieger«, bei. Später jedoch fiel er im Kampf mit neu herandrängenden
Scharen von Ostlingen. Sein Sohn Turambar rächte ihn und gewann im Osten
große Gebiete.
Mit Tarannon, dem zwölften König, begann die Folge der Schiffskönige,
die Flotten bauten und Gondors Macht an den Küsten westlich und südlich der
Anduin-Mündungen ausweiteten. Um seiner Siege als Feldherr zu gedenken, nahm
Tarannon bei seiner Krönung den Namen Falastur an, »Herr der Küsten«.
Sein Neffe Earnil I., der ihm folgte, ließ den alten Hafen Pelargir ausbessern
und baute eine starke Flotte auf. Dann belagerte er Umbar von der See und
vom Land aus und nahm es ein. Es wurde ein großer Hafen und eine Festung
im Dienste Gondors.10 Earnil aber konnte sich seines Sieges nicht lange freuen.
Mit vielen Schiffen und Menschen ging er unter in einem großen Sturm vor
Umbar. Sein Sohn Ciryandil setzte den Flottenbau fort; doch die Menschen von
Harad, angeführt von den aus Umbar vertriebenen Fürsten, rückten mit einem
großen Heer gegen die Festung an, und Ciryandil fiel in einer Schlacht in
Haradwaith.
10 Das große Kap und die Gegend um die Förde von Umbar waren seit alten Zeiten in númenórischem Besitz; doch
waren sie ein Stützpunkt der Königspartei, derjenigen Menschen, die man später die schwarzen Númenórer
nannte: Sie waren von Sauron bestochen und unversöhnliche Feinde von Elendils Anhängern. Nach Saurons
Sturz schrumpfte ihr Volk rasch oder vermischte sich mit den Menschen von Mittelerde, doch ihre Feindschaft
mit Gondor vererbte sich unvermindert weiter. Umbar war daher nur unter hohen Verlusten zu erobern.
Viele Jahre lang blieb Umbar zu Lande eingeschlossen, konnte aber dank
Gondors Seemacht nicht erobert werden. Ciryandils Sohn Ciryaher wartete ab,
bis er genug Streitkräfte gesammelt hatte, und rückte dann zugleich zur See
und zu Lande von Norden heran. Sein Heer überschritt den Fluss Harnen und
besiegte die Menschen von Harad vollständig, sodass ihre Könige die Oberhoheit Gondors anerkennen mussten (1050). Ciryaher legte sich den Namen
Hyarmendacil, »Südsieger«, bei.
Während Hyarmendacils langer Regierungszeit wagte dann kein Feind mehr,
seine Macht anzufechten. Hundertvierunddreißig Jahre war er König, länger
als alle anderen Nachkommen Anárions, bis auf einen. Zu seiner Zeit erreichte
Gondor den Gipfel seiner Macht. Das Reich erstreckte sich nun nach Norden
bis zum Celebrant und zum Südrand des Düsterwalds, nach Westen bis zur Grauflut, nach Osten bis zum Binnenmeer von Rhûn, nach Süden bis zum Harnen
und am Küstenstreifen weiter bis zur Halbinsel von Umbar und ihrem Hafen.
Die Menschen in den Anduin-Tälern erkannten seine Hoheit an; die Könige
von Harad leisteten Gondor Gefolgschaft, und ihre Söhne lebten als Geiseln am
Hof des Königs. Mordor war verödet, wurde aber überwacht von den starken
Festungen an den Pässen.
Damit endete die Zeit der Schiffskönige. Hyarmendacils Sohn Atanatar Alcarin
entfaltete viel Prunk, und man sagte, in Gondor lägen die Edelsteine als Spielzeug für die Kinder herum. Doch Atanatar machte es sich zu bequem und tat
nichts, um die ererbte Macht zu wahren; und seine beiden Söhne hielten es
ebenso. Gondors Niedergang hatte schon begonnen, bevor er starb, was ohne
Zweifel auch den Feinden nicht entgangen war. Die Überwachung Mordors
wurde vernachlässigt. Dennoch brach das erste große Unheil nicht vor der Zeit
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Valacars über Gondor herein: der Bürgerkrieg im Sippenstreit, der schwere
Schäden und Verluste brachte, die nie ganz wieder gutgemacht wurden.
Minalcar, Calmacils Sohn, war ein Mann von großer Energie, und 1240 setzte
ihn Narmacil, um sich selbst aller Sorgen zu entledigen, als Regenten ein.
Schon von da an regierte er Gondor im Namen der Könige, bis er seinem Vater
Calmacil auf den Thron folgte. Ihn beschäftigte vor allem das Verhältnis zu den
Nordmenschen.
Diese hatten sich während des durch Gondors Macht erhaltenen Frieden kräftig
vermehrt. Die Könige erwiesen ihnen viel Gunst, weil sie von den geringeren
Menschenvölkern den Dúnedain am nächsten verwandt waren (denn sie stammten
zumeist von denselben Völkern ab wie die Edain der alten Zeiten), und überließen
ihnen weite Gebiete jenseits des Anduin und südlich des Großen Grünwalds,
als Bollwerk gegen die Menschen des Ostens. Denn die Angreifer von dort waren
in der Vergangenheit meistens über die Ebene zwischen dem Binnenmeer und
dem Aschengebirge gekommen.
Zur Zeit Narmacils I. fielen die Ostlinge von neuem ein, wenn auch zuerst
nur mit schwachen Streitkräften. Der Regent erfuhr jedoch, dass die Nordmenschen nicht immer Gondor die Treue hielten und dass manche auch mit den
Ostlingen gemeinsame Sache machten, sei es aus Beutegier oder infolge von
Streitigkeiten unter ihren Fürsten. Daher führte Minalcar 1248 ein großes Heer
ins Feld, und zwischen Rhovanion und dem Binnenmeer besiegte er eine starke
Streitmacht der Ostlinge und zerstörte alle ihre Siedlungen und Lager östlich
des Meeres. Dann nahm er den Beinamen Rómendacil an.
Nach der Rückkehr befestigte er das Westufer des Anduin bis zur Mündung
des Limklar und verbot allen Fremden, über die Emyn Muil hinaus flussabwärts
zu fahren. Er war es, der an der Einfahrt in den Nen Hithoel die Standbilder
der Argonath errichten ließ. Da er aber Menschen brauchte und das Band zwischen Gondor und den Nordvölkern festigen wollte, nahm er viele Nordmänner in seinen Dienst, und manchen übertrug er hohe Ränge in seinen Heeren.
Besonders hoch in seiner Gunst stand Vidugavia, der ihn im Krieg unterstützt
hatte. Vidugavia nannte sich König von Rhovanion und war tatsächlich der
mächtigste unter den Fürsten des Nordens, obwohl sein eigenes Reich nur
den Landstreifen zwischen dem Grünwald und dem Celduin (Eilend) umfasste.
1250 schickte Rómendacil seinen Sohn Valacar als Botschafter zu Vidugavia, um
ihn eine Weile dort bleiben und mit Sprache, Sitten und Stammespolitik der
Nordmenschen vertraut werden zu lassen. Doch Valacar tat weit mehr, als sein
Vater beabsichtigt hatte. Er gewann Land und Leute lieb und heiratete Vidugavias
Tochter Vidumavi. Erst einige Jahre darauf kehrte er zurück. Wegen dieser Ehe
kam es später zum Sippenstreit und zum Krieg.
»Denn die Edlen von Gondor waren schon vorher auf die Nordmenschen unter
ihnen nicht gut zu sprechen, und dass nun der Erbe der Krone oder überhaupt
ein Sohn des Königs eine Frau von minderer und fremder Rasse heiraten sollte,
war unerhört. Schon als König Valacar alt wurde, kam es in den südlichen Provinzen zum Aufruhr. Zwar war seine Königin eine schöne und edle Frau gewesen,
aber sie war kurzlebig, und die Dúnedain befürchteten für ihre Nachkommen
das gleiche Schicksal und damit einen Verfall der königlichen Majestät. Auch
sträubte man sich dagegen, ihren Sohn als König anzuerkennen, denn er nannte
sich nun zwar Eldacar, war aber in einem fremden Land geboren und hatte als
Kind Vinitharya geheißen, wie ihn das Volk seiner Mutter genannt hatte.
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Daher brach in Gondor Krieg aus, als Eldacar die Nachfolge seines Vaters
antrat. Doch Eldacar ließ sich sein Erbe nicht einfach nehmen. Denn zu der
Abkunft aus Gondor kam bei ihm das furchtlose Herz der Nordmenschen hinzu.
Er war stattlich und tapfer, und kein Anzeichen sprach dafür, dass er schneller
altern werde als sein Vater. Als die Verbündeten, angeführt von den Nachkommen
der Könige, sich gegen ihn erhoben, wehrte er sich, solange seine Kräfte reichten. Schließlich wurde er in Osgiliath belagert und hielt sich, bis der Hunger
und die Übermacht der Rebellen ihn aus der brennenden Stadt vertrieben.
Bei dieser Belagerung und dem Brand wurde der Turm der Sternenkuppel von
Osgiliath zerstört, und der Palantír verschwand in den Fluten des Anduin.
Eldacar aber entkam seinen Feinden und gelangte in den Norden, zu seinen
Verwandten in Rhovanion. Viele scharten sich dort um ihn, sowohl Nordmenschen im Dienste Gondors als auch Dúnedain aus den nördlichen Gegenden
des Reiches. Denn von den Letzteren hatten viele ihn schätzen gelernt, und viele
andere kamen hinzu, weil sich der Thronräuber bald unbeliebt machte. Dies
war Castamir, ein Enkel Calimehtars, des jüngeren Bruders von Rómendacil II.
Er war nicht nur einer der nächsten Blutsverwandten des Königshauses, sondern
hatte auch unter den Rebellen die meisten Anhänger, denn er war Oberbefehlshaber der Flotte, und ihn unterstützte das Volk der Küstengebiete und der
großen Hafenstädte Pelargir und Umbar.
Castamir saß noch nicht lange auf dem Thron, als er sich auch schon als hochfahrend und unedelmütig erwies. Seine Grausamkeit zeigte sich zuerst bei der
Einnahme von Osgiliath. Eldacars Sohn Ornendil, der in Gefangenschaft geriet,
ließ er umbringen; und das Gemetzel und die Zerstörungen, die auf seinen
Befehl in der Stadt angerichtet wurden, gingen weit über das hinaus, was der
Krieg erforderte. In Minas Anor und Ithilien wurde dies nicht vergessen; und
noch weniger begeistert war man dort, als deutlich wurde, dass er nur an die
Flotten und wenig an das Land dachte und dass er vorhatte, den Sitz des Königs
nach Pelargir zu verlegen.
So war er erst seit zehn Jahren König, als Eldacar seine Stunde gekommen
sah und mit einem großen Heer von Norden heranzog; und aus Calenardhon,
Anórien und Ithilien lief ihm das Volk zu. In Lebennin, an den Übergängen
über den Erui, kam es zur Entscheidungsschlacht, in der viel von Gondors bestem
Blut vergossen wurde. Eldacar selbst erschlug Castamir im Zweikampf, und
Ornendil war gerächt; Castamirs Söhne aber entkamen, und mit anderen von
ihrer Sippe und vielen Gefolgsleuten von der Flotte hielten sie sich lange in
Pelargir.
Als sie dort alle verfügbaren Kräfte um sich gesammelt hatten (denn Eldacar
hatte keine Schiffe, mit denen er ihnen die Seewege hätte abschneiden können),
fuhren sie davon und ließen sich in Umbar nieder. Dort schufen sie eine Zuflucht
für alle Feinde des Königs und gründeten ein von Gondor unabhängiges Reich.
Über viele Menschenleben hin lag Umbar nun im Krieg mit Gondor, bedrohte
Gondors Küstengebiete und seine Seewege. Bis zur Zeit Elessars wurde es nie
wieder völlig unterworfen; und der Süden von Gondor, zwischen den Korsaren
und den Königen, wurde ein umstrittenes Gebiet.«
»Der Verlust von Umbar war bitter für Gondor, nicht nur, weil das Reich im
Süden an Boden und an Macht über die Völker von Harad verlor, sondern auch,
weil an diesem Ort Ar-Pharazôn der Goldene gelandet war, Númenors letzter
König, der Sauron gedemütigt hatte. Trotz allen Unheils, das später daraus
erwachsen war, gedachten auch Elendils Anhänger voll Stolz der großen Flotte,
mit der Ar-Pharazôn aus den Weiten des Meeres gekommen war; und auf der
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höchsten Erhebung des Vorgebirges über dem Hafen hatten sie eine hohe weiße
Säule als Denkmal aufgestellt. Zuoberst trug sie eine Kristallkugel, die Sonnenund Mondstrahlen auffing und wie ein heller Stern leuchtete, sodass sie bei
klarem Wetter bis an die Küsten von Gondor oder von weit draußen auf dem
Westmeer zu sehen war. Dort stand sie, bis Umbar nach Saurons zweiter Erhebung,
die nun näher rückte, unter die Macht seiner Diener fiel und das Andenken
seiner Erniedrigung umgestürzt wurde.«
Nach Eldacars Rückkehr vermischte sich das Blut der Könige und der anderen
Dúnedain-Sippen mehr und mehr mit dem geringerer Menschen. Denn viele
der Großen waren während des Sippenstreits umgekommen; und zugleich förderte Eldacar die Zuwanderung der Nordmenschen, die ihm geholfen hatten,
die Krone wiederzugewinnen, und das Volk von Gondor vermehrte sich um
die vielen, die aus Rhovanion kamen.
Diese Vermischung beschleunigte zunächst nicht, wie man befürchtet hatte,
den Niedergang der Dúnedain; und dennoch setzte sich die Verkürzung der
Lebensdauer, die schon zuvor begonnen hatte, nach und nach fort. Ohne Zweifel
lag dies vor allem daran, dass sie sich nun in Mittelerde aufhielten und dass
ihnen die Gaben der Númenórer nach dem Untergang der Sterninsel langsam
entzogen wurden. Eldacar wurde zweihundertfünfunddreißig Jahre alt und war
achtundfünfzig Jahre König, davon zehn im Exil.
Das zweite und größte Unglück befiel Gondor während der Herrschaft Telemnars,
des sechsundzwanzigsten Königs, dessen Vater Minardil, Eldacars Sohn, bei
Pelargir im Kampf mit den Korsaren von Umbar fiel. (Ihre Führer waren Angamaite und Sangahyando, Castamirs Urenkel.) Bald darauf trugen dunkle Winde
von Osten eine tödliche Seuche heran. Der König und alle seine Kinder erlagen
ihr, und ebenso viele Menschen in ganz Gondor, besonders in Osgiliath. Das
erschöpfte und entvölkerte Reich gab die Wachen an den Grenzen nach Mordor
auf, und die Festungen an den Pässen waren nicht mehr bemannt.
Später bemerkte man, dass dies alles geschah, während zugleich der Schatten
auf dem Grünwald dichter wurde und vielerlei Unwesen wieder auftraten, Zeichen
für Saurons neues Erstarken. Zwar hatten auch Gondors Feinde zu leiden, sonst
hätten sie es in seiner Schwäche gleich überwältigt; doch Sauron konnte warten,
und vielleicht ging es ihm vorerst auch nur darum, die Wege nach Mordor wieder
zu öffnen.
Als König Telemnar starb, verdorrten und starben auch die Weißen Bäume
in Minas Anor. Aber sein Neffe Tarondor, der sein Nachfolger wurde, pflanzte
wieder einen Sämling in der Zitadelle ein. Er war es auch, der den Sitz des Königs
für immer nach Minas Anor verlegte, denn Osgiliath war nun teilweise verlassen
und begann in Trümmer zu fallen. Nur wenige der Bewohner, die vor der Pest
nach Ithilien oder in die westlichen Täler geflohen waren, mochten in die Stadt
zurückkehren.
Tarondor, der noch jung war, als er den Thron bestieg, hatte von allen Königen
Gondors die längste Regierungszeit; aber er konnte wenig mehr erreichen als
eine innere Neuordnung und die langsame Erholung des Reiches. Sein Sohn
Telumehtar jedoch, der den Tod Minardils nicht vergessen hatte und den die
frechen Raubzüge der Korsaren an seinen Küsten bis zum Anfalas empörten,
sammelte ein Heer und nahm Umbar 1810 im Sturm. In diesem Krieg fielen
Castamirs letzte Nachkommen, und Umbar blieb für eine Weile wieder im
Besitz der Könige. Telumehtar fügte seinem Namen den Titel Umbardacil
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hinzu. Doch bei den neuen Sorgen, die Gondor bald bekommen sollte, ging
Umbar wieder verloren und fiel den Menschen von Harad in die Hände.
Das dritte Unglück war das Vordringen der Wagenfahrer, die in fast hundert
Jahre währenden Kriegen an Gondors schwindenden Kräften zehrten. Sie waren
ein Volk oder ein Bund von Völkern aus dem Osten, doch stärker und besser
bewaffnet als alle, die früher von dort gekommen waren. Sie kamen in großen
Wagenkolonnen, und ihre Häuptlinge kämpften in Streitwagen. Von Saurons
Sendboten aufgewiegelt, wie man später erfuhr, fielen sie plötzlich über Gondor
her, und König Narmacil II., der ihnen jenseits des Anduin entgegentrat, fiel
1856 in einer Schlacht. Das Volk im östlichen und südlichen Rhovanion wurde
versklavt, und Gondor musste seine Grenzen einstweilen bis zum Anduin und
den Emyn Muil zurückziehen. [Zu dieser Zeit, so wird angenommen, kehrten
die Ringgeister nach Mordor zurück.]
Calimehtar, der Sohn Narmacils II., dem ein Aufstand in Rhovanion zu Hilfe
kam, rächte seinen Vater 1899 auf der Dagorlad mit einem großen Sieg über die
Ostlinge, und für eine Weile war die Gefahr abgewendet. Dann, als im Norden
Araphant und im Süden Calimehtars Sohn Ondoher regierte, hielten die beiden
Königreiche nach langer stillschweigender Entfremdung endlich wieder gemeinsam Rat. Sie erkannten nun, dass hinter den Angriffen von mehreren Seiten,
deren sich die Nachkommen der Númenórer zu erwehren hatten, ein einheitlicher, lenkender Machtwille stand. Zu dieser Zeit heiratete Arvedui, Araphants
Sohn, König Ondohers Tochter Fíriel (1940). Doch keines der beiden Königreiche konnte dem anderen zu Hilfe kommen; denn zur gleichen Zeit, als Angmar
von neuem Arthedain angriff, traten die Wagenfahrer in großer Heeresstärke
auf den Plan.
Viele der Wagenfahrer zogen jetzt südlich an Mordor vorüber und verbündeten
sich mit Menschen aus Khand und Nah-Harad; und dieser mächtige Ansturm
im Norden und Süden zugleich brachte Gondor an den Rand der Vernichtung.
1944 fielen König Ondoher und seine beiden Söhne Artamir und Faramir in
einer Schlacht nördlich des Morannon, und die Feinde fluteten nach Ithilien
hinein. Doch Earnil, der Feldherr des Südheeres, errang einen großen Sieg in
Süd-Ithilien und vernichtete das Heer aus Harad, das den Poros überschritten
hatte. Dann eilte er nach Norden, sammelte die Reste des zurückweichenden
Nordheeres um sich und griff die Wagenfahrer in ihrem Hauptlager an, als sie
am Zechen und Feiern waren, denn sie glaubten Gondor schon besiegt und
meinten nur noch die Beute abholen zu müssen. Beim Sturm auf das Lager ließ
Earnil die Wagen in Brand stecken und verjagte die ungeordnet Flüchtenden aus
Ithilien. Viele von denen, die entkamen, gingen in den Totensümpfen zugrunde.
»Nach dem Tod Ondohers und seiner Söhne erhob Arvedui aus dem Nördlichen
Königreich Anspruch auf die Krone von Gondor: Er war ein Nachkomme
Isildurs und der Gatte Fíriels, die Ondohers einziges noch lebendes Kind war.
Er wurde abgewiesen. Dabei spielte Pelendur die Hauptrolle, König Ondohers
Statthalter.
So lautete die Antwort des Rats von Gondor: ›Krone und Königswürde von
Gondor gehören allein den Erben Meneldils. Ihm, als Anárions Sohn, hatte
Isildur dieses Reich abgetreten. In Gondor gelten zu diesem Erbe nur die Söhne
als berechtigt; und wir haben nicht gehört, dass das Recht in Arnor ein anderes
ist.‹
Darauf erwiderte Arvedui: ›Elendil hatte zwei Söhne, von denen Isildur der
ältere und daher der Erbe seines Vaters war. Wir haben gehört, dass Elendils
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Name bis heute auf der Ahnentafel der Könige von Gondor zuoberst steht,
denn er galt als Hoher König aller Lande der Dúnedain. Zu seinen Lebzeiten
hatte Elendil die Regierung im Süden seinen Söhnen gemeinsam übertragen;
doch als Elendil gefallen war und Isildur fortzog, um das Hohe Königtum seines
Vaters anzutreten, übertrug er auf gleiche Weise die Regierung im Süden dem
Sohn seines Bruders. Er hat die Königswürde für Gondor nicht abgetreten und
nicht gewollt, dass Elendils Reich für immer geteilt bleiben sollte.
Überdies fiel in Númenor einst das Zepter an das älteste Kind des Königs,
ob es nun Mann oder Frau war. Zwar wurde dieses Gesetz in den stets kriegsbedrohten Exilreichen nicht befolgt, doch so war einmal in unserem Volk das
Gesetz, auf das wir uns nun, da Ondohers Söhne kinderlos gestorben sind,
berufen.‹11
Darauf gab Gondor keine Antwort. Auf die Krone erhob Earnil Anspruch,
der siegreiche Feldherr; und mit Billigung aller Dúnedain von Gondor wurde
sie ihm zugesprochen, denn auch er stammte aus dem königlichen Hause. Sein
Vater war Siriondil, sein Großvater Calimmacil und sein Urgroßvater Arciryas,
ein Bruder Narmacils II. Arvedui beharrte nicht auf seinem Anspruch, denn er
hatte weder die Macht noch die Absicht, die Wahl der Dúnedain von Gondor
anzufechten; doch der Anspruch blieb unter seinen Nachkommen unvergessen,
auch dann noch, als sie die Königswürde verloren hatten. Denn das Ende des
Nordkönigreichs rückte nun nahe.
11 Dieses Gesetz wurde in Númenor erlassen (wie wir vom König erfuhren), als Tar-Aldarion, der sechste König, nur
ein Kind, eine Tochter, hinterließ. Sie wurde die erste regierende Königin, Tar-Ancalime. Doch vor ihrer Zeit war das
Recht anders. Auf Tar-Elendil, den vierten König, folgte sein Sohn Tar-Meneldur, obwohl seine Schwester Silmarien
die ältere war. Von Silmarien aber stammte Elendil ab.
Arvedui war in der Tat, wie sein Name besagt, der letzte König. Es heißt, dieser
Name sei ihm bei der Geburt von dem Seher Malbeth gegeben worden, der zu
seinem Vater sagte: ›Arvedui sollst du ihn nennen, denn der Letzte in Arthedain
wird er sein. Doch werden die Dúnedain eine Wahl treffen müssen, und wenn
sie sich für das scheinbar weniger Aussichtsreiche entscheiden, dann wird dein
Sohn seinen Namen ändern und König über ein großes Reich werden. Wenn
nicht, dann steht viel Leid bevor, und viele Menschenleben werden hingehen,
ehe die Dúnedain wieder groß und vereint werden.‹
Auch in Gondor folgte auf Earnil nur noch ein König. Vielleicht wäre das
Königtum gewahrt worden, hätte man Krone und Zepter damals vereinigt, und
viel Unheil hätte sich abwenden lassen. Doch Earnil war ein kluger Mann und
nicht anmaßend; nur hielt er wie zu seiner Zeit in Gondor die meisten Menschen
das Reich von Arthedain, ungeachtet der edlen Abkunft seiner Herrscher, für
allzu unbedeutend.
Er sandte Botschaften an Arvedui, die ihm mitteilten, er habe gemäß den
Gesetzen und Erfordernissen des Südreichs die Krone empfangen; ›doch ich
vergesse Arnor seine Treue nicht, noch leugne ich unsere Verwandtschaft oder
wünsche, dass die Reiche Elendils einander fremd werden. Ich werde dir Hilfe
senden, wenn du ihrer bedarfst, soweit ich es vermag.‹
Es dauerte jedoch lange, bis Earnil selbst sich hinreichend sicher fühlte, um
sein Versprechen einlösen zu können. König Araphant wehrte noch immer mit
schwindender Kraft Angmars Vorstöße ab und ebenso Arvedui, sein Nachfolger;
doch im Herbst 1973 kamen schließlich Nachrichten nach Gondor, dass Arthedain
in höchster Not sei und dass der Hexenkönig zum letzten vernichtenden Schlag
rüste. Da schickte Earnil seinen Sohn Earnur auf schnellstem Wege mit einer
Flotte nach Norden, mit so vielen Kriegern, wie er nur entbehren konnte.
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Aber zu spät. Bevor Earnur die Anfurten von Lindon erreichte, hatte der
Hexenkönig Arthedain erobert, und Arvedui war umgekommen.
Doch als Earnur bei den Grauen Anfurten eintraf, staunten Elben und Menschen und freuten sich. So viele Schiffe hatte er und von solchem Tiefgang, dass
die Ankerplätze kaum ausreichten, obgleich sowohl der Harlond wie der Forlond
belegt wurden; und ihnen entstieg ein starkes Heer mit Vorräten und Rüstungsgütern für einen Krieg großer Könige. So jedenfalls erschien es den Völkern
des Nordens; doch war dies nur ein kleines Expeditionsheer aus den gesamten
Streitkräften von Gondor. Am meisten Bewunderung zollte man den Pferden,
von denen viele aus den Anduin-Tälern kamen, unter großen, stattlichen Reitern
und den stolzen Fürsten von Rhovanion.
Nun rief Círdan alle, die kommen wollten, aus Lindon und Arnor zusammen,
und als alles bereit war, überschritt das Heer den Lhûn und marschierte nordwärts, um den Hexenkönig zum Kampf zu stellen. Er hatte, so heißt es, seinen
Sitz in Fornost genommen, wo er viel übles Volk versammelt und sich im Haus
und der Herrschaft der Könige eingerichtet hatte. Sein Stolz erlaubte ihm nicht,
die Feinde in seiner Festung zu erwarten, sondern er zog ihnen entgegen, in der
Meinung, er könne sie wie schon andere zuvor in den Lhûn jagen.
Aber das Heer des Westens stieß von den Abendrotbergen auf ihn hinab, und
es kam zu einer großen Schlacht in der Ebene zwischen dem Nenuial und den
Nordhöhen. Angmars Streiter wichen schon und zogen sich in Richtung Fornost
zurück, als das Hauptheer der Reiter, das die Berge umrundet hatte, von Norden
kam und sie zersprengte. Da floh der Hexenkönig mit allen, die er aus dem
Gemetzel noch um sich sammeln konnte, nach Norden, um sich in Angmar in
Sicherheit zu bringen; doch bevor er Carn Dûm erreicht hatte, holte ihn die
Reiterei von Gondor ein, mit Earnur an der Spitze. Gleichzeitig kam ein Trupp
aus Bruchtal unter dem Elbenfürsten Glorfindel heran. Nun wurde Angmar so
vernichtend geschlagen, dass westlich des Gebirges nicht ein Mensch oder Ork
aus diesem Reich am Leben blieb.
Doch heißt es, dass der Hexenkönig, als für ihn alles verloren war, plötzlich
selbst auf den Plan ritt, in schwarzem Gewand und schwarzer Maske und auf
einem schwarzen Pferd. Furcht ergriff alle, die ihn sahen; er aber hatte es nur
auf den Feldherrn von Gondor abgesehen, an dem er seine ganze Wut auslassen
wollte; und mit einem entsetzlichen Schrei ritt er gegen ihn an. Earnur hätte
ihm standgehalten, aber sein Pferd war dem Schrecken nicht gewachsen; es ging
durch und trug ihn weit davon, ehe er es zügeln konnte.
Da lachte der Hexenkönig laut auf, und niemand, der es hörte, konnte dies
grauenvolle Lachen je wieder vergessen. Nun aber ritt Glorfindel auf seinem
weißen Pferd heran, und immer noch lachend wandte der Hexenkönig sich zur
Flucht und verschwand in der Dämmerung. Denn die Nacht senkte sich auf das
Schlachtfeld, und er war fort, und niemand sah, wohin er ritt.
Nun kam Earnur zurück, doch Glorfindel blickte in die zunehmende Dunkelheit hinaus und sagte: ›Verfolge ihn nicht! In weiter Ferne liegt noch sein Ende,
und von keines Mannes Hand wird er fallen.‹ Vielen blieben diese Worte in Erinnerung; Earnur aber war wütend und dachte nur noch an Rache für seine Schande.
So endete das üble Reich von Angmar; und so war Gondors Feldherr Earnur
zum Erzfeind des Hexenkönigs geworden; doch viele Jahre sollten noch vergehen,
bis dies sich herausstellte.«
So geschah es, dass zu Earnils Zeit, wie später bekannt wurde, der Hexenkönig
aus dem Norden floh und nach Mordor kam, wo er die anderen Ringgeister um
sich sammelte, deren oberster er war. Doch erst im Jahr 2000 wagten sie sich
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hervor, überschritten den Pass von Cirith Ungol und belagerten Minas Ithil. Sie
eroberten es 2002, und der Palantír des Turmes fiel ihnen in die Hände. Während des ganzen Dritten Zeitalters konnten sie von dort nicht wieder vertrieben
werden. Minas Ithil wurde ein Schreckensort und in Minas Morgul umbenannt.
Ithilien wurde von einem großen Teil seiner Bewohner verlassen.
»Earnur kam seinem Vater an Tapferkeit gleich, aber nicht an Verstand. Er
war stark und hitzköpfig; eine Frau mochte er nicht nehmen, denn seine einzige
Freude waren Kampf und Waffenübung. Niemand in Gondor konnte es in den
Wettkämpfen, die er bevorzugte, mit ihm aufnehmen. Er wirkte eher wie ein
Fechtmeister als wie ein Feldherr oder König; und seine Kraft und Geschicklichkeit behielt er bis in ein ungewöhnlich hohes Alter.«
Als Earnur 2043 die Krone empfing, forderte ihn der Morgulfürst zum
Zweikampf heraus, unter höhnischen Anspielungen auf jene Schlacht im Norden,
wo Earnur nicht gewagt habe, sich ihm zu stellen. Einstweilen konnte der
Statthalter Mardil den Zorn des Königs im Zaum halten. Minas Anor, das
seit Telemnars Tagen Hauptstadt des Reiches und Sitz der Könige war, wurde
damals in Minas Tirith umbenannt: ein ständiger Wachtposten gegen die Übel
aus Minas Morgul.
Earnur trug die Krone erst seit sieben Jahren, als der Morgulfürst seine Herausforderung wiederholte, mit der Bemerkung, zu der Hasenherzigkeit, die Earnur
in seiner Jugend bewiesen habe, komme nun wohl noch die Altersschwäche hinzu.
Da konnte auch Mardil den König nicht länger zurückhalten, und nur mit
einem kleinen Gefolge von Rittern ritt er vors Tor von Minas Morgul. Nie wieder
hörte man etwas von ihm oder seinen Begleitern. In Gondor glaubte man, der
König sei dem tückischen Feind in die Falle gegangen und unter Qualen in
Minas Morgul gestorben; doch da es für seinen Tod keine Zeugen gab, regierte
der gute Statthalter Mardil das Reich viele Jahre lang in seinem Namen.
Es gab nun nicht mehr viele Nachkommen des Königshauses. Ihre Zahl hatte
sich im Sippenstreit stark vermindert; und obendrein waren die Könige seither
eifersüchtig und misstrauisch gegen die nahen Verwandten. Oft waren die in
Verdacht Geratenen nach Umbar geflohen und hatten sich dort den Rebellen
angeschlossen; während andere auf die Rechte ihrer Abkunft verzichtet und Frauen
von nichtnúmenórischem Blut geheiratet hatten.
So kam es, dass sich kein reinblütiger oder allseits anerkannter Bewerber fand,
der auf die Krone Anspruch erheben konnte; und alle dachten mit Grauen an
den Sippenstreit zurück und wussten, dass Gondor eine Wiederholung solcher
Zwistigkeiten nicht überstehen würde. Daher regierte nun Jahr um Jahr der
Statthalter das Land, und Elendils Krone ruhte in König Earnils Schoß in den
Totenhäusern, wo Earnur sie zurückgelassen hatte.
Die Statthalter
Die Sippe der Statthalter nannte man das Haus Húrin, denn sie waren Nachkommen Húrins von den Emyn Arnen, eines Mannes von hoher númenórischer
Abkunft, der unter König Minardil (1621–34) Statthalter gewesen war. Seither
hatten die Könige ihren Statthalter immer unter seinen Nachkommen gewählt;
und nach Pelendurs Zeit wurde das Amt des Statthalters erblich wie die Königswürde und ging vom Vater auf den Sohn oder den nächsten Verwandten über.
Jeder neue Statthalter legte bei Antritt seines Amtes den Eid ab, »Stab und
Regierung bis zur Wiederkehr des Königs zu führen«. Doch diese Worte wurden
bald zur leeren Formel, denn tatsächlich nahmen die Statthalter alle königlichen
Machtbefugnisse wahr. Dennoch glaubten viele in Gondor noch immer,
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irgendwann werde wahrhaftig ein König wiederkehren; und manche erinnerten
sich auch der alten Linie im Norden, die den Gerüchten nach im Verborgenen
noch fortbestehen sollte. Doch von solchen Ideen wollten die Statthalter nichts
wissen.
Immerhin ließen sich die Statthalter niemals auf dem alten Thron nieder,
sie trugen keine Krone und hielten kein Zepter in der Hand. Nur einen weißen
Stab trugen sie als Zeichen ihres Amtes; und ihr Banner war weiß ohne Wahrzeichen, während das königliche Banner schwarz gewesen war, mit einem blühenden weißen Baum unter sieben Sternen darauf.
Auf Mardil Voronwe, der als Erster ihrer Linie galt, folgten noch vierundzwanzig
regierende Statthalter von Gondor, bis zur Zeit Denethors II., des sechsundzwanzigsten und letzten. Zuerst hatten sie Ruhe, denn dies waren die Jahre des
Wachsamen Friedens, in denen Sauron vor der Macht des Weißen Rats zurückwich und die Ringgeister sich im Morgultal zurückhielten. Aber seit der Zeit
Denethors I. gab es keinen ungestörten Frieden mehr, und selbst wenn gerade
kein offener Krieg mit größeren Gefechten stattfand, wurden Gondors Grenzen
ständig bedroht.
In den letzten Jahren Denethors I. kam aus Mordor zum ersten Mal die Rasse
der Uruks, schwarzer, muskelstrotzender Orks; und im Jahr 2475 überrannten
sie Ithilien und nahmen Osgiliath ein. Denethors Sohn Boromir (nach dem
der Boromir unter den Neun Gefährten benannt war) besiegte sie und gewann
Ithilien zurück; doch Osgiliath lag nun ein für alle Mal in Trümmern, und seine
große Steinbrücke war zerbrochen. Seitdem wohnte dort niemand mehr. Boromir war ein großer Feldhauptmann, vor dem selbst der Hexenkönig Respekt
hatte, edel und mit schönen Gesichtszügen, stark an Leib und Seele; doch in
jenem Krieg empfing er eine Morgul-Wunde, die seine Tage verkürzte. Der
Schmerz zehrte ihn auf, und er starb zwölf Jahre nach seinem Vater.
Nach ihm begann die lange Regierungszeit Cirions. Er war umsichtig und
wachsam, aber Gondors Arm reichte nicht sehr weit, und er konnte nicht viel
mehr tun, als seine Grenzen zu schützen, während seine Feinde (oder die Macht,
die sie lenkte) Schläge gegen ihn vorbereiteten, die er nicht abzufangen vermochte.
An den Küsten plünderten die Korsaren, doch die größte Gefahr ging vom
Norden aus. In den weiten Gebieten von Rhovanion, zwischen Düsterwald und
Eilend, lebte nun ein wüstes Volk, das ganz unter dem Einfluss von Dol Guldur
stand. Oft unternahm es Überfälle durch den Wald hindurch, bis das Anduintal
südlich des Schwertelflusses weitgehend entvölkert war. Dies waren die Balchoth,
und sie erhielten stetig Zustrom von anderen ihresgleichen aus dem Osten,
während das Volk von Calenardhon zusammengeschrumpft war. Cirion hatte
große Mühe, die Anduin-Grenze zu halten.
Den Sturm voraussehend, schickte Cirion eine Botschaft mit Hilferufen nach
Norden, doch allzu spät; denn in diesem Jahr (2510), nachdem die Balchoth
auf dem Ostufer des Anduin viele große Boote und Flöße gebaut hatten,
schwärmten sie über den Strom und fegten die Verteidiger hinweg. Ein von
Süden gegen sie heranmarschierendes Heer wurde abgeschnitten und über den
Limklar nach Norden gedrängt, wo plötzlich eine Schar Orks aus dem Gebirge
es angriff und zum Anduin hindrängte. Da kam unverhofft die Hilfe aus dem
Norden, und zum ersten Mal hörte man in Gondor die Hörner der Rohirrim.
Eorl der Junge kam mit seinen Reitern, fegte die Feinde hinweg und hetzte sie
auf den Feldern von Calenardhon zu Tode. Cirion gab Eorl dieses Land zur
Besiedlung frei, und Eorl schwor Cirion einen Freundschaftseid und gelobte
den Herren von Gondor Beistand in der Not oder auf Verlangen.
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In noch größere Gefahr kam Gondor zur Zeit Berens, des neunzehnten
Statthalters. Drei starke Flotten, lange zuvor gerüstet, segelten von Umbar heran
und überfielen Gondors Küsten. Sie landeten an vielen Stellen, sogar weit im
Norden an der Isenmündung. Die Rohirrim wurden von Westen und Osten
zugleich angegriffen; ihr Land wurde überrannt, und sie mussten sich in die
Täler des Weißen Gebirges flüchten. In diesem Jahr (2758) begann der Lange
Winter, der Schnee und eisige Kälte von Norden und Osten brachte und fast
fünf Monate lang anhielt. Helm von Rohan und seine beiden Söhne kamen um,
und in Eriador und Rohan wüteten Elend und Tod. Doch in Gondor, südlich
des Gebirges, stand es nicht so schlimm, und bevor es noch Frühling wurde,
hatte Berens Sohn Beregond die Eindringlinge überwunden. Sofort schickte er
Hilfe nach Rohan. Er war Gondors größter Feldherr seit Boromir; und als er
seinem Vater auf dem Thron folgte (2763), begann das Reich wieder zu Kräften
zu kommen. Rohan aber erholte sich nicht so schnell. Dies war der Grund,
warum Beren zur Aufnahme Sarumans bereit war und ihm die Schlüssel des
Orthanc übergab; und seitdem (2759) wohnte Saruman in Isengard.
Zur Zeit Beregonds wurde im Nebelgebirge der Krieg zwischen den Zwergen
und den Orks (2793–99) ausgefochten, von dem nur Gerüchte nach Süden
drangen, bis die aus dem Nanduhirion flüchtenden Orks Rohan zu durchqueren
und sich im Weißen Gebirge einzunisten versuchten. Viele Jahre wurde in den
Gebirgstälern gekämpft, bis die Gefahr beseitigt war.
Beim Tod Belecthors II., des einundzwanzigsten Statthalters, starb in Minas
Tirith zugleich auch der Weiße Baum ab; aber er wurde »bis zur Wiederkehr
des Königs« stehen gelassen, weil kein Sämling zu finden war.
Zur Zeit Túrins II. begannen Gondors Feinde sich von neuem zu regen,
denn Sauron war wieder erstarkt, und der Tag, an dem er sich offenbaren würde,
rückte näher. Alle bis auf die Verwegensten verließen Ithilien und zogen über
den Anduin nach Westen, denn die Orks aus Mordor machten das Land unsicher.
Túrin war es, der die geheimen Stützpunkte für seine Truppen in Ithilien anlegen
ließ, von denen Henneth Annûn am längsten bewacht und bemannt blieb. Zum
Schutz Anóriens ließ er auch die Insel Cair Andros12 wieder befestigen. Aber die
Gefahr für ihn kam vor allem von Süden, wo die Haradrim Süd-Gondor besetzt
hatten und wo am Poros heftig gekämpft wurde. Als starke Streitkräfte nach
Ithilien eindrangen, erfüllte König Folcwine von Rohan Eorls Eid und schickte
viele Reiter nach Gondor; zugleich vergalt er damit die Hilfe, die Beregond
einst Rohan geleistet hatte. Unterstützt von den Rohirrim, errang Túrin einen
Sieg am Poros-Übergang; doch Folcwines Söhne fielen in der Schlacht. Die
Reiter begruben sie nach der Sitte ihres Volkes, und zwar beide in einem Grabhügel, denn sie waren Zwillingsbrüder. Haudh in Gwanur nannte man den Hügel,
und lange stand er dort, hoch über dem Flussufer, und Gondors Feinde gingen
ungern an ihm vorüber.
Túrins Nachfolger wurde Turgon, und aus seiner Zeit ist vor allem eins zu
berichten: Zwei Jahre vor seinem Tod trat Sauron wieder hervor und zeigte sich
offen; und er hielt Einzug in Mordor, wo alles für ihn vorbereitet war. Dann
wurde Barad-dûr wieder aufgebaut, der Schicksalsberg brach in Flammen aus,
und die letzten Bewohner Ithiliens suchten das Weite. Als Turgon starb, nahm
Saruman sich Isengard zu eigen und befestigte es.
12 Der Name bedeutet »lang schäumendes Schiff«, denn die Insel hatte die Form eines großen Schiffs mit hohem,
nach Norden zeigendem Bug, an dessen scharfen Felsen der Anduin weiß schäumend vorüberrauschte.
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»Ecthelion II., Turgons Sohn, war ein Mann von Verstand. Mit allem, was
ihm an Macht geblieben war, begann er, die Grenzen seines Reichs gegen
Mordors Angriffe zu sichern. Er zog tüchtige Männer von nah und fern in seinen
Dienst und gab denen Rang und Lohn, die sich seines Vertrauens als würdig
erwiesen. Bei vielen seiner Maßnahmen erhielt er Rat und Hilfe von einem
großen Feldhauptmann, den er vor allen anderen schätzte. Thorongil nannten
ihn die Menschen in Gondor, ›Sternadler‹, denn er war schnell und scharfsichtig, und an seinem Mantel trug er einen silbernen Stern; wie er aber wirklich hieß und in welchem Land er geboren war, wusste niemand. Zu Ecthelion
kam er aus Rohan, wo er dem König Thengel gedient hatte, doch war er nicht
vom Volk der Rohirrim. Er war ein großer Heerführer zu Wasser wie zu Lande,
aber bevor Ecthelions Tage zu Ende gingen, trat er zurück in den Schatten, aus
dem er gekommen war.
Thorongil gab Ecthelion oft zu bedenken, dass die Macht der Rebellen in
Umbar eine große Gefahr für Gondor und eine Bedrohung seiner südlichen
Lehen sei, die sich als tödlich erweisen könne, wenn Sauron zum offenen Krieg
überginge. Schließlich erwirkte er die Erlaubnis des Statthalters, eine kleine
Flotte zu rüsten. Überraschend lief er eines Nachts in Umbar ein und verbrannte einen großen Teil der Korsarenschiffe. Er selbst besiegte im Kampf auf
den Kaien den Hafenkommandanten; dann zog er sich unter geringen Verlusten
mit seiner Flotte zurück. Doch als sie wieder nach Pelargir kamen, wollte er zum
Kummer und Erstaunen der Menschen nicht nach Minas Tirith zurückkehren,
wo ihn hohe Ehren erwarteten.
Er schickte Ecthelion eine Abschiedsbotschaft, die lautete: ›Andere Aufgaben
rufen mich nun, Gebieter, und ich werde viel Zeit und viele Gefahren hinter
mich bringen müssen, bis ich, wenn es mein Schicksal so will, wieder nach
Gondor komme.‹ Zwar konnte sich niemand denken, was dies für Aufgaben
sein mochten und welcher Ruf dazu an ihn gelangt war; doch wohin er ging,
wusste man. Denn er nahm sich ein Boot und setzte über den Anduin, und dort
nahm er Abschied von seinen Gefährten und ging allein weiter; und als man
ihn zuletzt sah, hatte er sich dem Schattengebirge zugewandt.
In der Stadt war man sehr bestürzt wegen seines Fortgangs, der allen als ein
schwerer Verlust erschien, Ecthelions Sohn Denethor vielleicht ausgenommen,
ein Mann, der nun schon reif war für das Amt des Statthalters, das er vier Jahre
darauf nach dem Tod seines Vaters antrat.
Denethor II. war stolz, groß und mutig, eine königliche Erscheinung, wie
man sie in Gondor seit vielen Menschenaltern nicht mehr gesehen hatte, obendrein klug, weitblickend und bewandert in der Überlieferung. Eigentlich war
er Thorongil so ähnlich, als wären sie nah verwandt; und doch nahm er in den
Herzen der Menschen und in der Achtung seines Vaters hinter dem Fremden
immer nur den zweiten Platz ein. Zu der Zeit glaubten viele, Thorongil habe
seinen Abschied genommen, weil sonst sein Rivale bald sein Gebieter geworden
wäre; doch hatte Thorongil eigentlich nie mit Denethor rivalisiert oder einen
Anspruch erkennen lassen, mehr zu sein als ein Diener des Statthalters. Nur in
einem Punkt waren sie verschiedener Meinung: Thorongil gab Ecthelion oft
den Rat, Saruman dem Weißen in Isengard nicht zu trauen, sondern lieber Gandalf
den Grauen anzuhören. Denethor aber war kein Freund von Gandalf; und nach
Ecthelions Tagen war der graue Wanderer in Minas Tirith nicht mehr so gern
gesehen. Später, als alles sich aufgeklärt hatte, glaubten daher viele, Denethor,
scharfsinnig, wie er war, weiter und tiefer blickend als andere Menschen seiner
Zeit, habe herausgefunden, wer dieser Fremde war, der sich Thorongil nannte,
und Argwohn geschöpft, dass er und Mithrandir vorhätten, ihn zu verdrängen.
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Als Denethor Statthalter wurde (2984), erwies er sich als ein strenger Gebieter,
der in allen Dingen seinen Willen behauptete. Er redete wenig, hörte Ratschläge
an und tat dann, was er für richtig hielt. Erst spät hatte er geheiratet (2976),
nämlich Finduilas, die Tochter Adrahils von Dol Amroth. Sie war eine schöne,
sanftmütige Frau, doch als sie noch keine zwölf Jahre verheiratet waren, starb
sie. Denethor liebte sie auf seine Weise mehr als jeden anderen Menschen, ausgenommen vielleicht den älteren der beiden Söhne, die sie ihm schenkte. Doch
dem Volk schien es, als welke sie in der bewachten Stadt wie eine Blume aus den
Tälern am Meer, die man auf einen kahlen Felsen verpflanzte. Ihr graute vor
dem Schatten im Osten, und stets hielt sie die Augen südwärts gewandt, zum
Meer hin, nach dem sie sich sehnte.
Nach ihrem Tod wurde Denethor noch finsterer und schweigsamer als zuvor,
und oft saß er lange allein in seinem Turm, tief in Gedanken, denn er sah
voraus, dass der Angriff aus Mordor zu seinen Lebzeiten kommen werde. Später
glaubte man, dass er in Ermangelung mancher Kenntnisse, doch aus Stolz und
im Vertrauen auf die eigene Willensstärke, es gewagt hatte, in den Palantír des
Weißen Turms zu blicken. Keiner der Statthalter hatte dies je gewagt, nicht einmal die Könige Earnil und Earnur, nachdem Minas Ithil verloren und Isildurs
Palantír dem Feind in die Hände gefallen war; denn der Stein von Minas Tirith
war Anárions Palantír und aufs Engste abgestimmt mit dem, den nun Sauron
besaß.
Auf diese Weise erlangte Denethor viele von den Menschen bestaunte Kenntnisse
von Ereignissen in seinem Reich und auch weit außerhalb seiner Grenzen;
aber sie waren teuer erkauft, denn im Ringen mit Saurons Willen alterte er vor
der Zeit. So wuchs sein Stolz zugleich mit seiner Verzweiflung, bis er in allem
Geschehen dieser Zeit nur noch den Zweikampf zwischen dem Herrn des Weißen
Turms und dem Herrn von Barad-dûr sah und allen anderen misstraute, die
Sauron widerstanden, wenn sie nicht ausschließlich ihm selbst dienten.
So rückte die Zeit des Ringkriegs näher, und Denethors Söhne wurden
erwachsen. Boromir, fünf Jahre älter als sein Bruder und der Liebling seines
Vaters, war ihm äußerlich und in seinem Stolz ähnlich, doch in wenig anderem.
Eher war er vom Schlage des alten Königs Earnur, einer der keine Frau nahm
und an Waffenübungen die größte Freude hatte, furchtlos und stark, aber mit
wenig Interesse für die Überlieferung, soweit sie nicht die Waffentaten der alten
Helden betraf. Faramir, der jüngere, sah ihm ähnlich, war aber anderen
Gemüts. Ebenso scharfsinnig wie sein Vater, wusste er in den Herzen der Menschen zu lesen, doch was er dort las, erregte eher sein Mitgefühl als seine Verachtung. Er war von freundlichem Wesen, ein Liebhaber der Überlieferung und
der Musik; und daher trauten viele ihm damals weniger Mut zu als seinem Bruder.
Doch daran war nur so viel richtig, dass er sich nicht leichtfertig und nur dem
Ruhm zuliebe in Gefahr begab. Gandalf war ihm willkommen, wann immer er
in die Stadt kam, und er lernte von ihm, so viel er irgend konnte; und damit,
wie mit vielem anderen, erregte er das Missfallen seines Vaters.
Zwischen den Brüdern aber herrschte ungetrübte Freundschaft, schon seit ihrer
Kindheit, als Boromir den jüngeren in allem leitete und beschützte. Seither
war keine Eifersucht oder Rivalität um die Gunst des Vaters oder das Lob anderer Menschen zwischen sie getreten. Faramir hielt es gar nicht für möglich, dass
irgendwer in Gondor Boromir gleichkommen könnte, Denethors Erben, dem
Feldhauptmann des Weißen Turms; und so dachte auch Boromir selbst. Doch
die Prüfung ging anders aus. Von allem aber, was aus diesen dreien im Ringkrieg
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wurde, wird anderswo ausführlich berichtet. Und nach dem Krieg gingen die
Tage der Regierenden Statthalter zu Ende, denn Isildurs und Anárions Erbe
kehrte wieder, das Königtum wurde erneuert, und auf Ecthelions Turm wehte
das Banner des Weißen Baums.«
Anhang F
I Die Sprachen und Völker des Dritten Zeitalters
Die in diesem Buch durch Deutsch wiedergegebene Sprache war das Westron oder
die »Gemeinsame Sprache« der Westlande von Mittelerde im Dritten Zeitalter.
Im Laufe dieses Zeitalters war es zur Sprache fast aller überhaupt einer Sprache
fähigen Völker geworden (mit Ausnahme der Elben), die in den Grenzen der
ehemaligen Königreiche von Arnor und Gondor lebten, das heißt an allen
Küsten von Umbar bis zur Bucht von Forochel im Norden und im Binnenland
bis zum Nebelgebirge und dem Ephel Dúath. Den Anduin aufwärts hatte es sich
auch nach Norden ausgebreitet in das Land westlich des Stroms und östlich des
Gebirges bis zu den Schwertelfeldern.
Zur Zeit des Ringkrieges am Ende des Zeitalters waren dies noch immer die
Grenzen seiner Verbreitung; allerdings waren weite Gebiete von Eriador nun
entvölkert, und am Anduin zwischen Rauros und den Schwertelfeldern wohnten
nur noch wenige Menschen.
Einige Nachkommen der wilden Menschen von einst blieben noch im DrúadanWald in Anórien; und auch in den Hügeln von Dúnland lebten Reste eines
alten Volkes, das früher ein Großteil von Gondor bewohnt hatte. Diese hielten
an ihren Stammessprachen fest; und auch in der Ebene von Rohan wohnte nun
ein Volk aus dem Norden, die Rohirrim, die vor etwa fünfhundert Jahren in
dieses Land gezogen waren. Aber als zweite Sprache, für den Verkehr zwischen
den Völkern, wurde Westron auch von all denen gebraucht, die noch eine eigene
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Sprache beibehielten, sogar von den Elben, nicht nur in Arnor und Gondor,
sondern überall in den Anduintälern und weiter ostwärts bis jenseits des Düsterwalds. Selbst unter den wilden Menschen und den Dunländern, die den anderen Völkern aus dem Weg gingen, gab es manche, die Westron sprachen, wenn
auch gebrochen.
Von den Elben
Vor langer Zeit, in den Ältesten Tagen, hatten sich die Elben in zwei Hauptgruppen gespalten: die Westelben (Eldar) und die Ostelben. Zu den Letzteren
gehörten die meisten Elben im Düsterwald und in Lórien; doch ihre Sprachen
kommen nicht vor in dieser Geschichte, in der alle elbischen Namen und Wörter
in einer Eldarin-Form erscheinen.1
Von den Sprachen der Eldar finden sich in diesem Buch zwei vertreten: das
Hochelbische oder Quenya und das Grauelbische oder Sindarin. Das Hochelbische war eine uralte Sprache, die Sprache von Eldamar jenseits des Meeres und
die erste, die schriftlich festgehalten wurde. Es war keine lebende Sprache mehr,
sondern war gewissermaßen zu einem »Elbenlatein« geworden und wurde von
den Hochelben, die am Ende des Ersten Zeitalters ins Exil nach Mittelerde
zurückgekehrt waren, bei Zeremonien und in der Beschäftigung mit den erhabenen Gegenständen der Überlieferung und der Dichtung gebraucht.
1 In Lórien sprach man zu dieser Zeit Sindarin, allerdings mit einem ausgeprägten Akzent, denn die meisten seiner
Bewohner waren waldelbischer Herkunft. Von diesem »Akzent« und der eigenen beschränkten Kenntnis des Sindarin
ließ Frodo sich täuschen (wie ein Kommentator aus Gondor im Buch des Thains angemerkt hat). Alle elbischen
Wörter sind in der Tat Sindarin, und ebenso auch die meisten Orts- und Personennamen. Doch Lórien, Caras Galadhon, Amroth und Nimrodel sind vermutlich waldelbischen Ursprungs und dem Sindarin nachträglich angepasst.
Das Grauelbische war dem Quenya vom Ursprung her verwandt. Es war die
Sprache derjenigen Eldar, die an die Küsten von Mittelerde gelangt, doch nicht
übers Meer gefahren, sondern im Lande Beleriand geblieben waren. Thingol
Graumantel von Doriath war dort ihr König, und so wie in den Sterblichenlanden
alles sich verändert, so hatte auch ihre Sprache sich in der langen Dämmerzeit
verändert und sich weit entfernt von der Sprache der Eldar, die von jenseits des
Meeres kamen.
Die Hochelben, die unter den zahlreicheren Grauelben lebten, hatten für
den täglichen Gebrauch das Sindarin angenommen, und dieses war daher die
Sprache aller Elben und Elbenfürsten, die in dieser Geschichte auftreten. Denn
sie alle waren vom Geschlecht der Eldar, auch wo das Volk, das sie regierten,
von geringerer Art war. Die Edelste von allen war Frau Galadriel aus dem
Königshause Finarfin, die Schwester Finrod Felagunds, des Königs von Nargothrond. Die Herzen der Ausgewanderten quälte die unstillbare Sehnsucht nach
dem Meere; in den Herzen der Grauelben schlummerte sie, ließ sich aber,
wenn sie einmal geweckt war, nicht mehr lindern.
Von den Menschen
Westron war eine Menschensprache, obgleich unter elbischem Einfluss reicher
und geschmeidiger geworden. Ursprünglich war es die Sprache derer, die von
den Eldar Atani oder Edain genannt wurden, »Väter der Menschen«, insbesondere
der Menschen aus den Drei Häusern der Elbenfreunde, die im Ersten Zeitalter
von Osten nach Beleriand kamen und den Eldar im Großen Juwelenkrieg gegen
die dunkle Macht im Norden beistanden.
Nach der Niederwerfung des Dunklen Herrschers, bei der Beleriand zum
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größten Teil zertrümmert oder überflutet wurde, erhielten die Elbenfreunde zum
Lohn die Erlaubnis, ebenso wie die Eldar übers Meer in den Westen zu fahren.
Da ihnen aber das Reich der Unsterblichen verwehrt war, wurde ihnen eine große
Insel zugewiesen, das westlichste aller Sterblichenlande. Der Name der Insel war
Númenor (Westernis). Die meisten Elbenfreunde fuhren also dorthin, ließen sich
auf der Insel nieder und wurden groß und mächtig, berühmte Seefahrer und
Herren über viele Schiffe. Sie wurden schöne Menschen von hohem Wuchs und
lebten dreimal so lange wie die Menschen von Mittelerde. Dies waren die Númenórer, die Könige unter den Menschen, die die Elben die Dúnedain nannten.
Von allen Menschenvölkern verstanden und sprachen allein die Dúnedain
eine Elbensprache, denn ihre Vorfahren hatten Sindarin gelernt und es an ihre
Kinder weitergegeben als einen Wissensschatz, an dem der Lauf der Jahre nur
wenig änderte. Und ihre Gelehrten machten sich auch mit der Hochelbensprache
Quenya vertraut und schätzten es höher als alle anderen Sprachen; und darin
fanden sie die Namen für viele ehr- und denkwürdige Orte und für Menschen
von königlicher Abkunft und hohem Ruhm.2
Doch die Muttersprache der Númenórer blieb zumeist die Menschensprache
ihrer Vorfahren, das Adûnaische, und darauf kamen ihre Könige und Fürsten
im Hochmut ihrer letzten Jahre zurück. Abgesehen von den wenigen, die an der
alten Freundschaft mit den Eldar festhielten, gebrauchten sie die Elbensprachen
nicht mehr. Auf dem Gipfel ihrer Macht hatten die Númenórer an den Westküsten von Mittelerde viele Festungen und Häfen als Stützpunkte für ihre Schiffe
2 Quenya-Namen sind zum Beispiel Númenor (vollständig Númenóre), Elendil, Isildur, Anárion sowie alle Namen der
Könige von Gondor, auch Elessar, »Elbenstein«. Die meisten anderen Dúnedain-Namen wie Aragorn, Denethor oder
Gilraen haben eine Sindarin-Form und sind oftmals Namen von Elben oder Menschen, deren in den Liedern und Erzählungen aus dem Ersten Zeitalter gedacht wurde (z. B. Beren, Húrin). Manche, wie z. B. Boromir, sind Mischformen.
unterhalten; und einer der wichtigsten war Pelargir an den Anduin-Mündungen.
Dort sprach man ein Adûnaisch, das viele Wörter aus den Dialekten der geringeren Menschenvölker aufnahm und zu der Gemeinsprache wurde und sich an
den Küsten entlang unter allen ausbreitete, die mit Westernis verkehrten.
Nach dem Untergang von Númenor führte Elendil die überlebenden Elbenfreunde zurück zu den Nordwestküsten von Mittelerde. Dort lebten schon viele,
die von reinem oder vermischtem númenórischem Geblüt waren; doch nur
noch wenige von ihnen verstanden die Elbensprachen. Insgesamt waren die
Dúnedain also von Anfang an weit in der Minderzahl gegenüber den geringeren
Menschen, unter denen sie nun lebten und deren Herren sie wurden, weil sie
langlebig, mächtig und kenntnisreich waren. Im Umgang mit anderen und bei
der Regierung ihrer weiten Reiche gebrauchten sie daher die Gemeinsprache,
erweiterten und bereicherten sie aber mit vielen Wörtern aus den Elbensprachen.
Zu Zeiten der númenórischen Könige in Mittelerde breitete dieses veredelte
Westron sich weithin aus, selbst unter den Feinden der Dúnedain; und mehr
und mehr gebrauchten es die Dúnedain selbst, sodass zur Zeit des Ringkriegs die
Elbensprache nur noch einem kleinen Teil der Menschen von Gondor bekannt
war und von noch wenigeren im alltäglichen Umgang gesprochen wurde. Diese
wohnten zumeist in Minas Tirith und Umgebung und im Land der tributpflichtigen Fürsten von Dol Amroth. Fast alle Orts- und Personennamen aber
im Reiche Gondor waren von elbischer Form und Bedeutung. Manche, deren
Ursprung vergessen war, stammten sicherlich aus der Zeit, bevor die Schiffe der
Númenórer nach Mittelerde kamen; zu diesen gehören Umbar, Arnach, Erech und
die Namen der Berge Eilenach und Rimmon. Auch Forlong war ein solcher Name.
Die meisten Menschen in den nördlichen Regionen der Westlande stammten
von den Edain des Ersten Zeitalters oder von deren nahen Verwandten ab. Auch
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ihre Sprachen waren daher dem Adûnaischen verwandt, und manche hatten
noch Ähnlichkeit mit der Gemeinsprache. Von dieser Art waren die Völker in
den Tälern am Oberlauf des Anduin: die Beorninger, die Wäldler aus dem
westlichen Düsterwald und, weiter nordöstlich, die Menschen vom Langen See
und von Thal. Aus dem Gebiet zwischen Schwertel und Carrock kam das Volk,
das man in Gondor die Rohirrim nannte, die Pferdeherren. Sie behielten die
Sprache ihrer Vorfahren bei und gaben in ihr allen Orten ihres neuen Landes
neue Namen, und sich selbst nannten sie die Eorlingas oder die Menschen der
Riddermark. Ihren Edlen aber war das Westron geläufig, und sie sprachen es auf
die würdige Art ihrer Verbündeten in Gondor; denn in Gondor, wo es herkam,
bewahrte das Westron etwas mehr an Wohllaut und Altertümlichkeit.
Ganz und gar fremdartig war die Sprache der Wilden im Drúadan-Wald.
Ebenfalls fremd oder nur entfernt mit dem Westron verwandt war das Dunländische. Dies waren Reste der Völker, die in früheren Zeitaltern die Täler des
Weißen Gebirges bewohnt hatten. Zu ihnen gehörten auch die Toten von Dunharg. Andere jedoch waren in den Dunklen Jahren in die südlichen Täler des
Nebelgebirges gezogen, und von dort waren manche weitergewandert in die
unbewohnten Gebiete im Norden, bis hinauf zu den Hügelgräberhöhen. Von
ihnen stammten die Menschen von Bree ab, die allerdings schon vor langer Zeit
Untertanen des nördlichen Königreichs von Arnor geworden waren und das
Westron angenommen hatten. Nur in Dunland hielten Menschen dieser Rasse
noch an ihrer alten Sprache und ihren Bräuchen fest: ein Volk im Verborgenen,
misstrauisch gegen die Dúnedain und voller Hass auf die Rohirrim.
Wörter aus ihrer Sprache kommen in diesem Buch nicht vor, bis auf den
Namen Forgoil, den sie den Rohirrim gaben (was »Strohköpfe« bedeutet haben
soll). Dunland und Dunländer waren Namen, die sie von den Rohirrim bekommen
hatten, weil sie dunkelhäutig und dunkelhaarig waren; es besteht also kein
Zusammenhang zwischen dem Wort dunn in diesem Namen und dem grauelbischen Wort dûn, Westen.
Von den Hobbits
Die Hobbits im Auenland und in Bree hatten zu dieser Zeit seit etwa tausend
Jahren die Gemeinsprache angenommen. Sie gebrauchten sie auf ihre lose,
unbekümmerte Art; doch den Gebildeteren stand, wenn es der Anlass erforderte,
auch eine förmlichere Sprache zu Gebote.
Auf eine eigene Sprache der Hobbits gibt es keinen Hinweis. In früherer Zeit
scheinen sie immer die Sprache der Menschen gebraucht zu haben, mit denen
sie zusammen oder in Nachbarschaft lebten. So nahmen sie rasch die Gemeinsprache an, als sie nach Eriador gezogen waren, und zur Zeit ihrer Niederlassung
in Bree geriet ihre frühere Sprache schon ein wenig in Vergessenheit. Dies war
offenbar eine Mundart der Menschen vom oberen Anduin gewesen, verwandt
mit der Sprache der Rohirrim; nur die südlichen Starren hatten anscheinend
einen dunländischen Dialekt angenommen, bevor sie nach Norden ins Auenland
wanderten.3
Aus dieser Vergangenheit waren zu Frodos Zeit noch manche Spuren erhalten:
ortsübliche Wörter und Namen, die vielfach denen in Thal oder Rohan sehr
ähnlich waren. Am auffälligsten waren die Namen für die Tage, Monate und
Jahreszeiten, und mehrere andere Wörter von derselben Art (wie z. B. mathom
und smial) waren noch allgemein gebräuchlich, und eine größere Anzahl war in
3 Die Starren aus dem Winkel, die nach Wilderland zurückkehrten, hatten die Gemeinsprache schon übernommen;
aber Déagol und Sméagol sind Namen aus der Sprache der Menschen in der Gegend um den Schwertelfluss.
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den bree- und auenländischen Ortsnamen erhalten. Auch die Personennamen
der Hobbits waren eigentümlich und in vielen Fällen sehr alt.
Hobbit war die Bezeichnung, die die Auenländer gewöhnlich auf alle ihresgleichen anwandten. Von den Menschen wurden sie Halblinge, von den Elben
Periannath genannt. Woher das Wort Hobbit kam, wussten die meisten nicht mehr.
Es scheint jedoch ursprünglich ein Name gewesen zu sein, den die Fahlhäute
und die Starren den Harfüßen beilegten, die verstümmelte Form eines Wortes,
das sich in Rohan vollständiger erhalten hatte: holbytla, Höhlenbauer.
die Elbensprachen, besonders das alte Hochelbisch. Die seltsamen Wörter und
Namen, die nach dem Bericht der Hobbits von Baumbart und anderen Ents
gebraucht wurden, sind also elbisch oder nach entischer Manier verknüpfte
elbische Ausdrücke.4 Manche sind Quenya, so Taurelilómea-tumbalemorna Tumbaletaurea
Lómeanor, was man wörtlich mit »waldvielschichtig-tieftalschwarzes tieftalbewaldetes
Düsterland« wiedergeben könnte, und womit Baumbart wohl ungefähr sagen
wollte: »Ein schwarzer Schatten liegt auf den tiefen Tälern des Waldes.« Manche
sind Sindarin, so Fangorn, »Bart-(des)-Baums«, und Fimbrethil, »Schlankbirke«.
Von den anderen Arten
Orks und die Schwarze Sprache. Ork ist, in der Namensform der Sprache von Rohan,
die Bezeichnung der anderen Völker für einen Angehörigen dieser üblen
Gattung; im Sindarin lautete sie orch. Damit verwandt war sicherlich das Wort
uruk aus der Schwarzen Sprache, obwohl es in der Regel nur für die großen
Kampforks gebraucht wurde, die zu dieser Zeit aus Isengard und Mordor hervorströmten. Die niederen Arten wurden snaga, Sklave, genannt, besonders von
den Uruk-hai.
Die Orks wurden zuerst von der Dunklen Macht des Nordens in den Ältesten
Tagen gezüchtet. Es heißt, sie hätten keine eigene Sprache gehabt, sondern
nur von anderen Sprachen aufgeschnappt, was sie brauchen konnten, und es
dann nach Lust und Laune verballhornt; doch so brachten sie nur ein Rotwelsch
zustande, das außer beim Fluchen und Schimpfen selbst ihren eigenen Ansprüchen nicht ganz genügte. Und weil diese Kreaturen so bösartig waren, dass sie
sogar ihre Artgenossen hassten, sprachen sie bald ebenso viele barbarische Dialekte,
wie es Gruppen oder Siedlungen ihrer Rasse gab, sodass ihnen die Orksprache
im Verkehr zwischen den verschiedenen Stämmen nicht viel nützte.
Ents. Das älteste der im Dritten Zeitalter noch lebenden Völker waren die Onodrim
oder Enyd. Ents hießen sie in der Sprache von Rohan. Den Eldar waren sie schon
aus alten Zeiten bekannt; und auf die Anregung durch die Eldar führten die
Ents zwar nicht ihre eigene Sprache zurück, wohl aber das Bedürfnis, überhaupt
zu sprechen. Die Sprache, die sie selbst entwickelt hatten, war von allen anderen
grundverschieden: langsam, klangvoll, worthäufend und wortwiederholend, von
wahrhaft »langem Atem«, bestand sie aus einer Vielfalt von Vokalabstufungen
und Nuancen der Betonung und Stimmführung, die selbst die Gelehrten unter
den Eldar nicht schriftlich darzustellen versucht hatten. Diese Sprache gebrauchten
die Ents nur unter sich; aber sie geheim zu halten, hatten sie nicht nötig, denn
niemand anders konnte sie erlernen.
Ihrerseits waren die Ents jedoch gewandt im Gebrauch anderer Sprachen,
die sie schnell erlernten und niemals vergaßen. Aber vor allem schätzten sie
4 Außer in den Fällen, wo die Hobbits offenbar versucht haben, in Kürze wiederzugeben, wie sich das Gemurmel
und die Ausrufe der Ents anhörten; auch a-lalla-lalla-rumba-kamanda-lindor-burúme ist nicht elbisch: der einzige
bekannte (wahrscheinlich sehr ungenaue) Versuch, ein echtes entisches Sprachfragment festzuhalten.
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So kam es, dass sich im Dritten Zeitalter auch die Orks für die Verständigung
von Gezücht zu Gezücht des Westrons bedienten; und viele ihrer älteren Stämme
wie die noch immer im Norden und im Nebelgebirge hausenden gebrauchten
es sogar seit langem als eine Art Muttersprache, allerdings auf eine Weise, in der
es kaum weniger unfreundlich klang als das Orkische. In diesem Jargon bedeutete
tark »Mensch aus Gondor«, eine verstümmelte Form von tarkil, einem QuenyaWort, das im Westron einen von númenórischer Abstammung bezeichnete.
Es heißt, die Schwarze Sprache sei von Sauron in den Dunklen Jahren erfunden
worden, als Sprache für alle, die ihm dienten; aber dieses Vorhaben sei ihm
fehlgeschlagen. Aus der Schwarzen Sprache leiteten sich jedoch viele Wörter her,
die im Dritten Zeitalter unter den Orks weithin geläufig waren wie etwa ghâsh
(châsch), Feuer; doch nach Saurons erster großer Niederlage war die Sprache in
ihrer alten Form bei allen außer den Nazgûl in Vergessenheit geraten. Als Sauron
wieder erstarkte, wurde sie von neuem die Sprache Barad-dûrs und seiner
Würdenträger. Die Inschrift auf dem Ring war in der altertümlichen Schwarzen
Sprache gehalten, während die Flüche des Mordor-Orks die korruptere Form
haben, wie sie die von Grischnâch angeführten Soldaten des Dunklen Turms
gebrauchten. Scharku bedeutete in diesem Idiom so viel wie »alter Mann«.
Trolle. Troll dient hier zur Übersetzung von Sindarin Torog. Zu Anfang, in der fernen
Dämmerzeit der Ältesten Tage, waren sie plumpe, stumpfsinnige Kreaturen und
hatten ebenso wenig eine Sprache wie die Tiere. Doch Sauron hatte sie für seine
Zwecke abgerichtet, ihnen beigebracht, was in ihre Köpfe hineinging, und ihren
Verstand mit Tücke verstärkt. Daher nahmen die Trolle von den Orks an Sprache
auf, was ihnen nicht zu kompliziert war; und in den Westlanden sprachen die
Steintrolle eine Art heruntergekommenes Westron.
Am Ende des Dritten Zeitalters aber trat im südlichen Düsterwald und in den
Grenzgebirgen von Mordor eine bis dahin unbekannte Trollrasse auf. Olog-hai
hießen sie in der Schwarzen Sprache. Dass Sauron sie gezüchtet hatte, bezweifelte
niemand, doch aus welchem Zuchtstamm, wusste man nicht. Manche meinten,
es seien gar keine Trolle, sondern Riesenorks; aber sie hatten in Wuchs und
Geistesart auch mit den größten Orkrassen keine Ähnlichkeit, sondern waren
ihnen an Größe und Verstand weit überlegen. Trolle waren sie, doch erfüllt
vom bösen Willen ihres Herrn, wüste Gesellen, stark und gewandt, wild und
schlau, härter als Stein. Im Unterschied zu der alten Dämmerlichtrasse konnten
sie die Sonne ertragen, solange Saurons Wille sie im Bann hielt. Sie redeten
wenig, und die einzige Sprache, die sie kannten, war die Schwarze Sprache von
Barad-dûr.
Zwerge. Die Zwerge sind eine Rasse für sich. Von ihrem seltsamen Ursprung und
warum sie den Elben und Menschen ähnlich und auch wieder nicht ähnlich
sind, berichtet das Silmarillion; doch von dieser Geschichte hatten die minderen
Elben von Mittelerde keine Kenntnis, während die Sagen der späteren Menschen
mit Überlieferungen anderer Rassen vermischt sind.
Sie sind ein zähes, oft etwas eigensinniges Volk, geheimniskrämerisch, fleißig,
mit einem guten Gedächtnis für Kränkungen (und Wohltaten), Liebhaber
des Steins und der Juwelen, der Kunstwerke, die unter der Hand des Meisters
Gestalt annehmen, und nicht der Dinge von eigenem Leben. Aber von Natur
aus bösartig sind sie nicht, und nur wenige haben je freiwillig dem Feind gedient,
was auch immer die Geschichten der Menschen ihnen nachsagen mögen. Denn
seit alters waren die Menschen begehrlich nach ihrem Reichtum und den Werken
ihrer Hände, und es gab Streit zwischen den Rassen.
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Im Dritten Zeitalter aber herrschte an vielen Orten zwischen Menschen und
Zwergen noch Freundschaft; und für die Zwerge, die nach der Zerstörung
ihrer alten Wohnstätten als Händler und Handwerker durch die Lande zogen,
verstand es sich von selbst, dass sie die Sprachen der Menschen gebrauchten,
unter denen sie lebten. Insgeheim aber (und dies war ein Geheimnis, das sie,
anders als die Elben, selbst vor ihren Freunden nicht gern lüfteten) gebrauchten sie ihre eigene, fremdartige Sprache, die sich im Lauf der Jahre kaum veränderte. Sie war keine Wiegensprache mehr, sondern war eine Sprache der
Überlieferung geworden, und die Zwerge pflegten und hüteten sie wie einen
Schatz ihrer Vergangenheit. Wenigen aus anderen Völkern ist es je gelungen, sie
zu erlernen. In dieser Geschichte taucht sie nur in einigen Ortsnamen auf, die
Gimli seinen Gefährten verriet, und in seinem Schlachtruf bei der Belagerung
der Hornburg. Der zumindest war kein Geheimnis, denn auf vielen Schlachtfeldern, seit die Welt jung war, hatte man ihn gehört: Baruk Khazâd! Khazâd aimênu!
»Äxte der Zwerge! Zwerge auf euch!«
Gimlis Name jedoch und die Namen aller anderen aus seinem Volk sind
nordischer (menschlicher) Herkunft. Ihre geheimen, »inneren« oder wahren
Namen haben die Zwerge niemals einem von fremder Rasse verraten. Sie
schreiben ihn nicht einmal auf ihre Gräber.
II Zur übersetzung
Um den Stoff des Roten Buchs in einer Geschichte zu erzählen, die Menschen
von heute lesen können, wurde der gesamte sprachliche Bestand so weit wie
möglich in die Ausdrucksweise unserer Zeiten übersetzt. Nur die dem Westron
fremden Sprachen wurden in ihrer ursprünglichen Form belassen; aber sie
kommen zumeist nur in den Orts- und Personennamen zur Geltung.
Unvermeidlich musste die Gemeinsprache, die Sprache der Hobbits und ihrer
Erzählungen, in modernem Englisch (und dieses dann in Deutsch) wiedergegeben werden. Dabei wurden die im Gebrauch des Westron erkennbaren
Unterschiede abgeschwächt. Es wurde zwar versucht, diese Unterschiede durch
Wechsel der deutschen Ausdrucksweise anzudeuten; doch der Abstand zwischen
der mundartlichen Aussprache im Auenland und dem Westron, so wie es von
Elben oder Würdenträgern in Gondor gesprochen wurde, war größer, als in
diesem Buch gezeigt wurde. Die Hobbits sprachen zumeist einen ländlichen
Dialekt, während man in Gondor und Rohan eine altertümlichere, förmlichere
und knappere Sprache pflegte.
Auf einen dieser Unterschiede ist hier hinzuweisen, weil er, obwohl oft
bedeutsam, kaum wiederzugeben ist. Das Westron kannte für die Pronomen der
zweiten Person (und oft auch der dritten), unabhängig vom Numerus, eine
»vertrauliche« und eine »respektvolle« Form. In der eigentümlichen Sprachentwicklung des Auenlands waren jedoch die respektvollen Formen ungebräuchlich geworden. Sie hielten sich noch unter den Bewohnern der Dörfer besonders
im Westviertel, die sie jedoch eher wie Kosenamen gebrauchten. Dies war eine
der Eigenheiten, die den Menschen von Gondor auffiel, wenn sie sich über die
Redeweise der Hobbits wunderten. Peregrin Tuk zum Beispiel gebrauchte an den
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ersten Tagen in Minas Tirith die vertraulichen Anredeformen gegen Leute jeden
Standes, auch gegen den Statthalter Denethor selbst. Den alten Herrn wird es
belustigt haben, aber seine Diener fanden es sicher befremdlich. Gewiss half
dieser ungehemmte Gebrauch der familiären Anredeformen das Gerücht erzeugen, Peregrin sei in seinem Heimatland eine sehr hochrangige Persönlichkeit.5
Man wird bemerken, dass manche Hobbits wie Frodo und andere Personen
wie Gandalf und Aragorn nicht immer im gleichen Stil reden. Das ist beabsichtigt.
Die gebildeteren und gescheiteren Hobbits hatten eine gewisse Kenntnis der
»Buchsprache«, wie man im Auenland dazu sagte; und sie erfassten rasch die
Redeweise derer, mit denen sie zu tun hatten, und passten sich ihr an. Für den
Weitgereisten ist es ohnehin selbstverständlich, mehr oder weniger so zu sprechen
wie die Leute, unter denen man sich bewegt; und dies galt umso mehr für
einen Mann wie Aragorn, der meistens bemüht war, zu verbergen, wer er war
und was er vorhatte. Doch hielten zu jener Zeit alle Feinde des Feindes das
Altertümliche hoch in Ehren, in der Sprache nicht minder als in anderen Dingen;
und sie hatten ihre Freude an dem, was sie davon kannten. Den Eldar, den
sprachmächtigsten von allen, standen vielerlei Redeweisen zu Gebote, doch am
natürlichsten war ihnen, was ihrer eigenen Sprache am nächsten kam, die noch
älter war als die von Gondor. Auch die Zwerge waren nicht auf den Mund
gefallen und redeten geflissentlich so wie die Leute in ihrer Umgebung, wobei
allerdings ihre Aussprache manchen etwas kratzig und kehlig vorkam. Orks
5 Dies musste in der Übersetzung gegenüber dem Englischen noch einmal umgemodelt werden, mit Rücksicht auf
die im Deutschen üblichen Anredeformen. Die Hobbits haben zwar ländliche, aber nicht bäurische oder flegelhafte
Manieren; deshalb reden sie Fremde in der Regel mit Sie an. Die Anrede in der zweiten Person Plural (Ihr) wurde
vermieden: Die Hobbits reden nicht wie Figuren in Märchen oder historischen Romanen. Eine Ausnahme wurde
aber bei den Respektspersonen gemacht: Théoden und Denethor kann man nicht ohne weiteres duzen, und auch
das bürgerliche Sie wäre hier ungehörig. (Anmerkung des Übersetzers)
und Trolle dagegen redeten drauflos, ohne Rücksicht auf Wörter oder Dinge;
und ihre Sprache war tatsächlich noch verkommener und unflätiger, als ich
wiedergeben mochte. Ich glaube nicht, dass jemand hier auf eine genauere Übersetzung Wert legt; denn nach Vergleichbarem braucht man ja nicht lange zu
suchen. Ähnliches hört man aus Orkmündern noch immer: ein trübsinniges
Einerlei, gehässig und verachtungsvoll, zu lange vom Guten entfernt, als dass
dem Wort wenigstens die Kraft geblieben wäre, ins Ohr zu dringen – außer in
die Ohren derer, die nur dem Misston offen sind.
Diese Art zu übersetzen, ist natürlich nichts Neues; sie ist unvermeidlich bei
jeder Erzählung, die von Vergangenem handelt. Selten geht man weiter. Ich
aber konnte es dabei nicht bewenden lassen. Ich habe auch alle Westron-Namen
sinngemäß übersetzt. Wo in diesem Buch deutsche Namen oder Titel auftreten,
ist dies ein Hinweis darauf, dass Namen in der Gemeinsprache zu jener Zeit
geläufig waren, neben oder statt denen in den fremden (meist elbischen) Sprachen.
Die Westron-Namen waren in der Regel Übersetzungen älterer Namen, so
etwa Bruchtal, Weißquell, Silberlauf, Langstrand, der Feind und der Dunkle
Turm. Bei manchen war die Bedeutung eine andere: Schicksalsberg für Orodruin
(»brennender Berg«) oder Düsterwald für Taur e-Ndaedelos (»Wald des großen
Schreckens«). Manche waren verballhornte elbische Namen, wie Luhn und
Brandywein, entstanden aus Lhûn und Baranduin.
Dieses Vorgehen bedarf vielleicht einer Rechtfertigung. Alle Namen in der
Originalform zu belassen, hätte, wie mir schien, einen wesentlichen Zug jener
Zeiten, so wie die Hobbits sie erlebten, verdunkelt (und die Sichtweise der
Hobbits wollte ich doch vor allem beibehalten): den Kontrast zwischen einer
weit verbreiteten Sprache, die ihnen so geläufig war wie uns das Deutsche, und
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den lebenden Resten einer viel älteren und ehrwürdigeren Sprache. Alle Namen,
hätte ich sie bloß transkribiert, wären dem heutigen Leser gleichermaßen fremd
vorgekommen: zum Beispiel, wenn der elbische Name Imladris und die WestronÜbersetzung Karningul beide in der Originalform belassen worden wären. Aber
Bruchtal als Imladris zu bezeichnen, war so, als würde man zu dem heutigen
Winchester Camelot sagen, abgesehen davon, dass die Identität gewiss war, da in
Bruchtal noch ein ruhmreicher Fürst saß, weit älter, als es Artus wäre, wenn er
heute noch als König in Winchester herrschte.
Der Name des Auenlandes (Sûza) und aller dort befindlichen Ortschaften
wurde also eingedeutscht. Das war nicht weiter schwierig, weil sie sich meistens
aus ähnlichen Bestandteilen zusammensetzen wie manche unserer Ortsnamen,
teils aus noch geläufigen wie -berg, -stadt und -feld, teils aus etwas ungebräuchlicheren wie -weiler oder -bühl. Manche aber, wie schon erwähnt, leiten sich von
alten, nicht mehr gebräuchlichen Hobbitwörtern her, und diese wurden durch
ähnlich alte deutsche Entsprechungen wiedergegeben.
Was aber die Personen angeht, so hatten die Hobbits im Auenland und in Bree
für jene Zeit ungewöhnliche Namen, da es bei ihnen schon einige Jahrhunderte
vor dieser Zeit Sitte geworden war, einen Namen in der Familie weiterzuvererben.
Zumeist hatten diese Zunamen in der damaligen Umgangssprache eine nahe
liegende Bedeutung, abgeleitet von Spitznamen, Ortschaften oder (vor allem in
Bree) vom Baum- und Pflanzennamen. Diese waren unschwer zu übersetzen;
Doch bei zwei älteren Namen, deren Bedeutung nicht mehr bekannt ist, haben
wir uns damit begnügt, die Schreibweise etwas zu verdeutschen: Tuk für Tûk und
Boffin für Bophin.
Die Vornamen der Hobbits habe ich, soweit möglich, ebenso behandelt. Ihren
Töchtern gaben die Hobbits gern Blumen- oder Edelsteinnamen. Den Söhnen
gaben sie meistens Namen ohne umgangssprachliche Bedeutung, und manche
Mädchennamen waren ähnlich. Von dieser Art sind Bilbo, Bungo, Polo, Lotho,
Tanta, Nina und so weiter. Ähnlichkeiten mit heute geläufigen Vornamen sind
unvermeidlich häufig, aber zufällig: zum Beispiel Otho, Odo, Drogo, Dora, Cora
und dergleichen. Diese Namen haben wir beibehalten, allerdings ihre Endungen für uns plausibler gemacht, denn in den Hobbitnamen war a eine maskuline
Endung, und o und e waren feminin.
In manchen alten Familien, besonders solchen von fahlhäutischer Abkunft
wie den Tuks und den Bolgers, war es jedoch Sitte, den Kindern hochtönende
Vornamen zu geben. Da dies zumeist Namen von Sagengestalten, von Menschen
wie von Hobbits, waren und viele, obgleich für die Hobbits inzwischen bedeutungslos, den Namen der Menschen im Anduintal, in der Stadt Thal oder in
der Mark sehr ähnlich waren, habe ich sie durch alte Namen meist fränkischer
oder gotischer Herkunft ersetzt, die auch bei uns noch gelegentlich vorkommen
oder in den Geschichtsbüchern zu finden sind. Jedenfalls konnte ich so den
oft komischen Kontrast zwischen Vor- und Nachnamen wiedergeben, der auch
den Hobbits deutlich bewusst war. Namen klassischer Herkunft wurden dagegen
selten verwendet, denn die nächsten Entsprechungen im Wissen der Hobbits zu
Latein und Griechisch wären die Elbensprachen gewesen, und die gebrauchten
sie bei der Namensgebung nur selten. Zu allen Zeiten kannten nur wenige von
ihnen die »Sprachen der Könige«, wie sie sie nannten.
Die Namen der Bockländer waren von denen der anderen im Auenland verschieden. Wie schon erwähnt, waren die Leute im Bruch und ihre Kolonie auf
dem anderen Brandywein-Ufer in vieler Hinsicht eigenartig. Viele ihrer sehr
ausgefallenen Namen stammten sicherlich aus einer früheren Sprache der südlichen Starren. Diese habe ich zumeist unverändert belassen, denn wenn sie
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heute merkwürdig klingen, klangen sie so auch schon zu ihrer Zeit. Sie hatten
ein Gepräge, das uns von fern vielleicht ans Keltische erinnert.
Da die erhaltenen Spuren einer älteren Sprache der Starren mit dem Fortbestand keltischer Elemente in England vergleichbar sind, habe ich die Letzteren
manchmal in meiner Übersetzung imitiert. So wurden Bree, Archet und Chetwald nach dem Muster britischer Namensaltertümer gebildet, mit der Bedeutung
bree, Berg, und chet, Wald. Aber von den Personennamen wurde nur einer auf
diese Weise verändert. Meriadoc wurde mit Rücksicht auf den Umstand gewählt,
dass die Kurzform seines Namens, Kali, im Westron »munter, lustig« bedeutete,
obwohl es eigentlich ein Kürzel für den inzwischen bedeutungslosen bockländischen Namen Kalimac war.
Namen hebräischer oder ähnlicher Herkunft habe ich bei diesen Umwandlungen nicht verwendet. Nichts in den Hobbitnamen entspricht diesem Element
unserer Namen. Kurzformen wie Sam, Tom, Tim, Mat waren auch für echte
Hobbitnamen üblich, zum Beispiel Tomba, Tolma, Matta und so weiter. Doch
Sam und sein Vater Ham wurden eigentlich mit Ban und Ran angeredet, Kürzeln
für Banazîr und Ranugad, die ursprünglich Spitznamen mit der Bedeutung »Einfaltspinsel« und »Kleingärtner« gewesen waren, dann aber die umgangssprachliche Bedeutung verloren hatten. Ich habe daher versucht, diese Eigenheiten
durch Verwendung von Samweis und Hamfast zu bewahren, Modernisierungen
von altenglisch samwís und hamfoest, die den genannten Bedeutungen entsprechen.
Nachdem ich in dem Bestreben, die Sprache und die Namen der Hobbits
modern und vertraut klingen zu lassen, einmal so weit gegangen war, sah ich mich
zu weiteren Schritten in dieselbe Richtung genötigt. Die Menschensprachen, die
mit dem Westron verwandt waren, mussten, so schien mir, in eine mit unseren
Sprachen verwandte Form gebracht werden. Daher habe ich die Sprache von
Rohan dem Altenglischen angenähert, denn sie war sowohl mit der Gemeinsprache (entfernt) als auch mit der früheren Sprache der nördlichen Hobbits
(sehr nah) verwandt und im Vergleich zum Westron archaisch. Im Roten Buch
wird an mehreren Stellen bemerkt, dass die Hobbits, wenn sie die Sprache
von Rohan hörten, viele Wörter darin wieder erkannten und die Sprache als der
eigenen ähnlich empfanden; darum wäre es absurd gewesen, die aufgezeichneten
Namen und Wörter der Rohirrim in völlig fremdartiger Form zu belassen.
In mehreren Fällen habe ich die Form und Schreibung der Ortsnamen aus
Rohan modernisiert, so bei Dunharg oder Schneeborn; doch darin bin ich nicht
einheitlich verfahren, denn ich richtete mich nach den Hobbits. Sie änderten
die Namen, die sie hörten, auf dieselbe Weise ab, wenn sie aus ihnen bekannten
Elementen bestanden oder auenländischen Ortsnamen ähnelten; aber viele ließen
sie auch, wie sie waren, und ebenso habe ich es zum Beispiel bei Edoras, »die
Wohnhöfe«, gehalten. Aus denselben Gründen wurden auch einige wenige
Personennamen wie Schattenfell und Schlangenzunge modernisiert.6
Auf dem Wege einer solchen Angleichung ließen sich zugleich die eigentümlichen Hobbitwörter sinnvoll wiedergeben, die ebenfalls aus dem Norden
stammten. Ihnen wurden die Formen gegeben, die verloren gegangene englische
Wörter haben könnten, wenn sie bis in unsere Zeit erhalten geblieben wären.
So soll mathom an das altenglische máthm erinnern und damit die Verwandtschaft
des eigentlichen Hobbitworts kast, rohirrisch kastu, wiedergeben. Ähnlich ist
smial (oder smile), Erdhöhle, eine wahrscheinliche Form für einen Abkömmling
6 Dieses sprachliche Verfahren setzt nicht voraus, dass die Rohirrim den alten Engländern auch in anderer Hinsicht
ähnlich gewesen sein müssten, in Kultur oder Kunst, Waffen oder Art der Kriegführung, abgesehen von einer allgemeinen Ähnlichkeit der Lebensumstände: ein schlichteres, primitiveres Volk, das im Kontakt mit einer höheren
und ehrwürdigeren Kultur lebt, auf einem Gebiet, das einst zu deren Machtbereich gehörte.
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von smygel und geeignet, das Verhältnis des Hobbitworts trân zu rohirr, trahan
nachzubilden. Auf die gleiche Weise wurden Sméagol und Déagol gebildet, als
Entsprechungen zu den nordsprachlichen Namen Trahald (»wühlend, unterkriechend«) und Nahald (»heimlich«).
Die noch weiter nördliche Sprache von Thal erscheint in diesem Buch nur in
den Namen der Zwerge, die aus jener Region kamen und daher die Sprache der
dortigen Menschen gebrauchten, in der sie sich auch ihre »Außennamen«
gaben. Wer die englische Ausgabe dieses Buches liest, wird bemerken, dass hier
wie auch im Hobbit die Pluralform dwarves gebraucht wird, obwohl uns die Wörterbücher versichern, dass der Plural von dwarf dwarfs lautet. Er würde aber dwarrows
(oder dwerrows) lauten, wenn Singular und Plural auf getrennten Wegen durch
die Zeiten marschiert wären, wie im Falle von man und men oder goose und geese.
Aber wir sprechen heute nicht mehr so oft von einem Zwerg wie von einem
Menschen oder selbst von einer Gans; und die Erinnerungen sind unter den
Menschen nicht frisch genug geblieben, um an einem ungewöhnlichen Plural
für eine Rasse festzuhalten, die nun ins Reich der Märchen verbannt ist, wo
wenigstens noch ein Schatten der Wahrheit fortbesteht, oder schließlich in
Nonsens-Geschichten, in denen sie zu bloßen Witzfiguren verkommen sind.
Aber im Dritten Zeitalter ist noch etwas von ihrer alten Kraft und Wesensart zu
erkennen, wenn auch schon ein wenig getrübt. Dies sind die Nachfahren der
Naugrim aus den Ältesten Tagen, in deren Herzen das alte Feuer des Schmiedes
Aule noch glimmt und der alte Groll gegen die Elben schwelt; und in ihren
Händen lebt noch die unübertroffene Kunst der alten Steinwerker.
Um dies zu unterstreichen, habe ich also in der Mehrzahl von dwarves gesprochen,
um sie so vielleicht ein Stück weit von den ärgsten Albernheiten dieser neuen
Zeit abzurücken. Dwarrows wäre noch besser gewesen, doch diese Form habe ich
nur in dem Namen Dwarrowdelf (Zwergengrube), als Übersetzung für den Namen
Morias in der Gemeinsprache: Phurunargian. Dies, mit der Bedeutung »Zwerggrabend«, war schon damals ein Wort von altertümlicher Form. Moria aber ist
ein elbischer Name, und so wurde die Stadt nicht von ihren Freunden benannt.
Denn die Eldar, auch wenn sie selbst in ihren erbitterten Kriegen mit dem
Dunklen Herrscher und seinen Dienern in der Not manchmal unterirdische
Festungen anlegten, wohnten an solchen Stätten nicht freiwillig. Sie liebten das
grüne Land und die Himmelslichter; und Moria hieß in ihrer Sprache »die
schwarze Kluft«. Die Zwerge selbst aber, und wenigstens diesen Namen hielten
sie nie geheim, nannten den Ort Khazad-dûm, das Heim der Khazad; denn dies
ist der Name für die eigene Rasse und ist es immer geblieben, seit er ihnen bei
ihrer Erschaffung in den Tiefen der Zeit von Aule verliehen wurde.
Elben wurde als Übersetzung sowohl für Quendi, »die Sprechenden«, gebraucht,
wie der hochelbische Name für alle von ihrer Art lautet, als auch für Eldar, wie
die Drei Geschlechter heißen, die sich zum Reich der Unsterblichen aufmachten
und (mit Ausnahme der Sindar) zu Anbeginn der Zeit dort hingelangten. Dieses
alte Wort7 war überhaupt das einzig brauchbare und galt einst als treffende
Bezeichnung für solche Wesen, soweit sie den Menschen in Erinnerung geblieben
waren, oder für Menschen, deren Geistesart von der elbischen nicht völlig verschieden war. Aber nun ist es zu »Elfen« heruntergekommen, teils niedlichen,
teils albernen Fantasiewesen, die mit den Quendi von einst so wenig Ähnlichkeit
haben wie der Schmetterling mit dem Falken – was nicht heißen soll, dass die
Quendi jemals Flügel am Leib gehabt hätten; dies lag ihrer Natur ebenso fern
wie der menschlichen. Sie waren ein edles und schönes Volk, die erstgeborenen
7 Englisch elf, elves. Vgl. dazu „Zur neuen Übersetzung“ von Wolfgang Krege.
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Kinder der Welt, und wie Könige unter ihnen waren die Eldar, die nun fort
sind: das Volk der Großen Wanderung, das Volk der Sterne. Sie waren groß,
hellhäutig und grauäugig, doch mit dunkellockigem Haar, außer in Finarfins
goldblonder Sippe; und ihre Stimmen klangen melodischer als jede sterbliche
Stimme, die wir heute kennen. Sie waren tapfere Krieger, doch die Geschichte
derer, die nach Mittelerde ins Exil zurückkamen, war traurig; und ihr Schicksal,
obwohl es sich in fernen Tagen mit dem unserer Vorväter kreuzte, ist nicht das
Schicksal der Menschen. Vor langer Zeit ist ihr Reich vergangen, und nun wohnen
sie jenseits der Kreise dieser Welt und kehren nicht wieder.
Anmerkung zu drei Namen: Hobbit, Gamdschie und Brandywein
Hobbit ist ein erfundenes Wort. Im Westron lautete es, wenn dieses Volk überhaupt erwähnt wurde, banakil, »Halbling«. Doch zu jener Zeit gebrauchte man
im Auenland und in Bree das Wort kuduk, das es anderswo nicht gab. Meriadoc
berichtet allerdings, dass der König von Rohan den Ausdruck kûd-dûkan, »Höhlenbewohner«, gebrauchte. Da, wie schon gesagt, die frühere Sprache der Hobbits
mit der von Rohan nah verwandt war, scheint die Annahme plausibel, dass kuduk
eine verschliffene Form von kûd-dûkan war. Letzteres habe ich aus den genannten
Gründen mit holbytla übersetzt, und hobbit wäre dann ein Wort, das eine verschliffene Form von holbytla sein könnte, wenn es diesen Namen in unserer eigenen
alten Sprache je gegeben hätte.
Gamdschie (Gamgee). Nach der im Roten Buch erklärten Familienüberlieferung
kam der Nachname Galbasi, verkürzt Galpsi, von dem Dorf Galabas, dessen Name
sich, wie gemeinhin angenommen wurde, aus galab- (engl. game, »Wild«) und
einem älteren Element bas- zusammensetzt, das ungefähr dem engl. wick oder
wich (»Dorf, Flecken«) entspricht. Gamwich (Aussprache: Gämmitsch) erschien
daher als angemessene Wiedergabe. Dass daraus in der Verkürzung, anstelle von
Galpsi, Gamgee wurde [ein Dialektwort für Verbandsmull], sollte keine Anspielung
auf Samweis’ Verbindung mit der Familie Kattun sein, obwohl ein solcher
Scherz den Hobbits durchaus zuzutrauen wäre, hätte es in ihrer Sprache dafür
eine Grundlage gegeben.
Kattun (Cotton) steht für Hlothran, ein ziemlich häufiger Dorfname im Auenland, bestehend aus hloth, »Zweizimmer-Höhle«, und ran(u), eine kleine Gruppe
solcher Behausungen an einem Berghang. Als Nachname könnte es eine
Abwandlung von hlothram(a), »cottager« oder »Kätner«, sein. Hlothram, wiedergegeben mit engl. Cotman, dt. Katner, war der echte Name von Bauer Kattuns
Großvater.
Brandywein. Die Hobbitnamen für diesen Fluss waren Abwandlungen von elbisch
Baranduin (mit dem Ton auf and), das sich aus baran, »goldbraun«, und duin,
»großer Fluss«, zusammensetzt. Für Baranduin wäre in unserer Zeit Brandywein
eine nahe liegende Verballhornung. Tatsächlich lautete der ältere Hobbitname
Branda-nîn, »Grenzgewässer«, was besser mit »Markborn« wiedergegeben
worden wäre; aber durch einen Witz, der zur stehenden Redensart geworden
war, wurde daraus, wiederum in Anspielung auf die bräunliche Farbe, der zu
dieser Zeit gebräuchliche Name Bralda-hîm, »berauschendes Bier«.
Zu beachten ist jedoch, dass die Familie Altbock (Zaragamba), als sie ihren
Namen in Brandybock (Brandagamba) abänderte, von der Bedeutung »Grenzland« für das erste Element ausging, und »Markbock« wäre der Bedeutung
näher gekommen. Nur ein sehr frecher Hobbit hätte wohl gewagt, den Herrn
von Bockland in seiner Anwesenheit Braldagamba zu nennen.
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Zur neuen übersetzung
Die erste deutsche Fassung des Lord of the Rings, vor dreißig Jahren erschienen, hat dem
Buch viele Leser und Immerwieder-Leser gewonnen. Einer davon bin ich. Ich verdanke
ihr vieles, und als ich mich an die Neufassung machte, merkte ich, dass ich sie stellenweise auswendig kannte, immer ein Zeichen dafür, dass etwas nicht ganz schlecht sein
kann. Die Übersetzerin Margaret Carroux hat also an etlichen Stellen die auch aus
meiner Sicht richtigen Worte schon gefunden. Dies waren die schwierigsten Momente
in meiner Arbeit. Abschreiben müssen tut weh.
Dennoch wird der Leser auch ohne peniblen Textvergleich Unterschiede bemerken.
Die alte Fassung ist eine getreue Nacherzählung einer fremden Geschichte. Sie gibt
den englischen Text im Allgemeinen zuverlässig wieder; doch der Ton klingt neutral
und gedämpft, als käme er über Mikrofon aus der gläsernen Kabine eines Dolmetschers.
Die neue Fassung maßt sich einen Versuch an, die Geschichte so vorzutragen, wie
Tolkien es tun würde, wenn er heute, 1999, schriebe und wenn er sie aus dem Westron
gleich ins Deutsche brächte, ohne den Umweg über das Englische.
Einen wichtigen Teil der Arbeit hatte mir die alte Übersetzung schon abgenommen:
die Verdeutschung der Namen. Darin verbergen sich einige Vorentscheidungen über
den Stil. Und an den Namen gab es nicht viel zu ändern. Die meisten sind gut gewählt
und haften im Gedächtnis (obwohl nicht wenige Figuren zwei oder mehr Namen
haben); und auch an manche vielleicht anfechtbare hatte ich mich gewöhnt. Nur bei
Nebenfiguren und selten erwähnten Orten waren kleine Umbenennungen ohne
Gewaltsamkeit möglich.
Namensübersetzungen sind anderswo in der Literatur heute nicht mehr üblich, und
manche Leute scheinen sie auch hier für eine Marotte deutschtümelnder Übersetzer zu
halten. Darum sei einmal daran erinnert, dass Margaret Carroux sie auf Tolkiens Wunsch
und nach seinen Anleitungen vorgenommen hat. Es gibt keinen vernünftigen Grund,
den Hobbits ihre englischen Namen zu belassen, die ja ihrerseits nur Übersetzungen
der echten Hobbitnamen sein sollen. Tolkien selbst hat sich an Namensfindungen für
das Deutsche beteiligt, und manchmal bot ihm unsere Sprache eine Gelegenheit, die
er im Englischen vermisste. Zu dem Wort Elben zum Beispiel – das sich heute so
natürlich anhört, als hätte man es schon immer gekannt – hat er der Übersetzerin den
etymologischen Hinweis gegeben. Im Englischen musste er mit den peinlichen elves,
»Elfen«, auskommen.
Auch den Namen für Sûza, das Land der Hobbits, Auenland, finde ich besser als
das dürre englische Shire; und trotzdem wurde er gelegentlich bemängelt. »Zu zahnlos«,
meinte ein Kritiker – aber wer will denn hier beißen oder die Zähne fletschen? Das
Auenland ist ein Idyll und hat einen ironischen Kosenamen verdient.
Eine Inkonsequenz in den Namensverdeutschungen sei eingestanden. Parallel zu den
neuenglischen Namen der Hobbits hätten eigentlich auch die altertümlichen Namen
der mit ihnen sprachverwandten Rohirrim eine deutsche Form erhalten müssen, und
zwar eine altdeutsche, ähnlich den Namen aus dem Nibelungen- oder dem Älteren
Hildebrandlied. Davor bin ich zurückgeschreckt. Beim unbefangenen Inhalieren dieser
weltentrückten Geschichte würde die Erinnerung an allzu Einheimisches nur stören.
Aus der alten Ausgabe habe ich viele Lieder und Gedichte in Frau von Freymanns
vortrefflicher deutscher Fassung übernommen, weil ich sie durch nichts Ebenbürtiges
ersetzen könnte. Der veränderte Prosa-Kontext erforderte einige geringfügige Abwandlungen; und andere Stücke wurden ganz neu übersetzt.
Mancher Leser wird in dieser Ausgabe die Anhänge vermissen, die der Erzählung
erst ihre ganze Hintergrundtiefe geben. Auch sie wurden neu übersetzt; doch hat der
Verlag beschlossen, sie in einem gesonderten Band herauszubringen.
Wolfgang Krege, September 1999
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J.R.R. Tolkien Der Herr der Ringe – Die Gefährten
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Aus platztechnischen Gründen haben wir die Anhänge gedrittelt und werden sie
in Teil 2 und 3 fortsetzen. Herzlichen Dank der deutschen Tolkiengesellschaft
und besonders Marcel Bülles, der uns bei der Auswahl der Anhänge unterstützt
und für alle Fragen ein offenes Ohr hatte, und Gernot Katzer, der uns die
richtige Aussprache verraten hat.
Informationen zu J.R.R. Tolkien, Mittelerde und mehr
Deutsche Tolkien Gesellschaft e.V.
http://www.tolkiengesellschaft.de
Die Buchausgabe Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien ist bei Klett-Cotta
erschienen und im Handel erhältlich.
Der Hörverlag
Die Originalausgabe erschien 1954 und 1955 unter dem Titel The Lord of the Rings im Verlag Allen & Unwin Ltd., London
© 1966 by George Allen & Unwin Ltd., London. Published by arrangement with HarperCollins Publishers Ltd., London®
© 1990 Frank Richard Williamson and Christopher Reuel Tolkien, executors of the estate of the late John Ronald Reuel
Tolkien. Gedichte wurden von E.-M. von Freymann übertragen • Für die deutsche Ausgabe Klett-Cotta © 2000 J.G.
Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart • © + P Der Hörverlag GmbH, München 2006
Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.
Kein Verleih! Keine unerlaubte Vervielfältigung, Vermietung, Aufführung, Sendung!
17 CD • MONO • Laufzeit ca. XXX Minuten • Der Hörverlag 2006
ISBN-13 978-3-89940-886-7 • ISBN-10 3-89940-886-1 • Illustration: John Howe
Ausserdem von J.R.R. Tolkien im Hörverlag erschienen:
Bauer Giles von Ham
Der Hobbit
1 CD, ISBN 3-89940-656-7
1 MC, ISBN 3-89584-722-0
ab 7 Jahren
Vollständige Lesung
4 CD, ISBN 3-89584-918-9
ab 11 Jahren
Hörspiel
Das Silmarillion
Die Briefe vom
Weihnachtsmann
13 CD, ISBN 3-89940-682-6
Vollständige Lesung
1 CD, ISBN 3-89940-006-2
ab 6 Jahren
gekürzte Lesung
Der Elbenstern
Roverandom
1 CD, ISBN 3-89940-204-9
ab 7 Jahren
Vollständige Lesung
3 CD, ISBN 3-89940-098-4
Lesung
Der Herr der Ringe
10 CD, ISBN 3-89940-265-0
ab 12 Jahren
Hörspiel
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