Bildung - Grenzenlos

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Bildung - Grenzenlos
Sektorprofil
Sirma Kapan
Das Bildungswesen in Neuseeland
„Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene“
Carl Hilty
Das Ministry of Education, welches 1989
gegründet wurde, legt allgemeine
Bildungsrichtlinien für alle Schulen in
Neuseeland fest. Es ist vor allem zuständig
für die Umsetzung dieser Richtlinien an den
einzelnen Schulen, die Schulfinanzierung,
die Ressourcenbereitstellung. Das
Schulsystem in Neuseeland ist zwar
öffentlich und staatlich geregelt, wird aber
großteils dezentral verwaltet. So können
etwa die Richtlinien des Ministeriums von
den einzelnen Schulen eigenständig
interpretiert und den eigenen Zielen
entsprechend, angepasst werden. Ein
wesentliches Charakteristikum des
neuseeländischen Schulsystems ist also die
dezentrale Regulierung und eine relative
Autonomie der Schulen.
Die Rahmenbedingungen der Schule
werden in Kooperation zwischen mehreren
Ebenen festgelegt. Sowohl Schüler_innen
als auch Gemeindemitglieder und Eltern
können Einfluss auf bildungspolitische
Strategien und Maßnahmen nehmen. Es ist
ein hohes Maß an Selbstbestimmung und
Eigenständigkeit der Schulen zu
beobachten. Solche dezentralen
Entscheidungssysteme wirken letztlich auch
auf die Ergebnisse und Leistungen der
Schüler_innen ein.
Es hat sich gezeigt, dass Mitsprache und
Mitgestaltung, zu besseren Lehrmethoden
und Outputs führen, da Bedürfnisse und
Interessensschwerpunkte der Schüler_innen
Gehör finden und in der Konzeption der
Schulstrategien berücksichtigt werden. Die
Chance in das tatsächliche Schulsystem
einwirken zu können, führt schließlich auch
zu einer höheren Identifikation der
Schüler_innen mit ihrer
Bildungseinrichtung.
Die Leitung und Verwaltung der Schulen
wird, wie bereits erwähnt, kooperativ,
zwischen staatlichen Institutionen und
einen, durch die Gemeinde selbst
gewählten Schulbeirat, organisiert und
bestimmt. Jede öffentliche Schule in
Neuseeland verfügt über einen solchen
Schulbeirat, das Board of Trustees (BOT).
Dieses ist sowohl für Finanzierungsfragen,
die Schulstrategie als auch für das
Management verantwortlich. Der
Entscheidungsprozess wird von mehreren
Ebenen getragen. In Zusammenarbeit mit
Eltern, Schüler_innen und den Mitgliedern
des BOT werden Curricula entwickelt und
erarbeitet, thematische Schwerpunkte
gesetzt, Finanzierungsangelegenheiten
geregelt u.v.m. Durch eine solche
dezentrale Regulierung, entsteht für die
Schulleitung zwar ein relativ hoher Arbeitsund Organisationsaufwand, welcher sich
jedoch zu lohnen scheint.
Bildungseinrichtungen in Neuseeland
machen also den Anschein einen
emanzipatorischen Bildungsauftrag zu
haben. Die Förderung von Talenten und
Interessen und die Vermittlung von
Spezialkenntnissen haben hier große
Bedeutung. Schule in Neuseeland dient vor
allem, so scheint es, dem persönlichen
Empowerment der Schüler_innen und wird
nicht von politisch-ökonomischen
Interessen des Staates dominiert. Vielmehr
sind es die Interessen der Schule, der
Gemeinde und letztlich der Schüler_innen
selbst, die eine wichtige Grundlage für das
Schulsystem darstellen und zur
Herausbildung eines individualisierten
Schulplanes führen.
Allgemeine Eckdaten zum Schulsystem
Neuseelands
Neben dem Aspekt, dass Bildung als
Emanzipationsstrategie für die einzelne
Person verstanden und betrachtet werden
kann, liegen dem Bereich in zweiter Linie
auch politisch-ökonomische Ziele eines
Staates zugrunde. Als wesentlicher Faktor
einer Gesellschaft, geht es vor allem um
Aspekte wie, Wettbewerbsfähigkeit und
Wirtschaftlichkeit. Investitionen in den
Bildungsbereich, stellen auch immer eine
Investition in die Zukunft einer Gesellschaft
dar. Ein gewisses Bildungsniveau zu
erreichen und dieses auch zu halten,
bedeutet für einen Staat
beschäftigungsfähig und wettbewerbsfähig
zu bleiben,
Das Bildungssystem in Neuseeland hat seine
Wurzeln im britischen Schulsystem. Die
allgemeine Schulpflicht ist für
neuseeländische Kinder ab dem sechsten
Lebensjahr angesetzt und dauert 13 Jahre.
Das Schuljahr wird in vier sogenannte
„Terms“ unterteilt, wobei der erste „Term“,
anders als in Österreich, im Jänner startet
und der letzte „Term“ im Dezember
angesetzt ist. Von Dezember bis Jänner
gehen die Schüler_innen dann in die
„großen Ferien“, im neuseeländischen
Sommer, die in etwa sechs bis sieben
Wochen dauern. Neuseelands Schulen sind
als Gesamtschulen aufgebaut und der
Unterricht findet meist zwischen 9 Uhr und
15 Uhr statt. Die Kinder tragen
Schuluniformen, wodurch einerseits soziokulturelle, politische oder ökonomische
Unterschiede zwischen den einzelnen
Schüler_innen unsichtbar gemacht werden
und es andererseits auch zur Stärkung der
Identifikation mit der eigenen Schule führt.
Anstelle von Klassen werden Kurse in den
unterschiedlichen Fächern belegt. Dieses
System ermöglicht den Kindern, auch ihre
individuellen Interessensschwerpunkte zu
berücksichtigen und in ihre Stundenpläne
zu integrieren. Es sind also nicht nur die
schulischen Inhalte von Bedeutung,
sondern auch die persönliche Entwicklung
der Schüler_innen.
Ein weiterer Vorteil des „Kurssystems“ ist der,
dass es das klassische Sitzenbleiben wie wir
es in Österreich kennen, nicht gibt. Wenn
jemand in einem Kurs unzureichend
abschneidet, muss lediglich dieser Kurs
wiederholt werden, in allen übrigen Fächern
kann der/die Schüler_in in die nächste Stufe
aufsteigen und sich dem neuen Stoff
zuwenden.
Das neuseeländische Schulsystem ist
bekannt für erfolgreiche Lehrmethoden und
gute Ergebnisse, was sich auch in den PISA
Studien wiederspiegelt, in welchen
Neuseeland immer an den vordersten
Plätzen zu finden ist. In den von der OECD
durchgeführten Studien, welche die
Leistungen von Schüler_innen in
Lesekompetenz, Mathematik und
Naturwissenschaften überprüft, erreicht
Neuseeland im Jahr 2012, Platz 23 von 65 im
Bereich Mathematik, Platz 13 von 65 im
Bereich der Lesekompetenzen und Platz 18
von 65 in den Naturwissenschaften.
Wie bereits erwähnt ist neben den
akademischen Leistungen auch die
persönliche Entwicklung von großer
Bedeutung. Schüler_innen haben die
Möglichkeit aus einem vielseitigen
Kursangebot, das für ihre individuellen
Interessen und Bedürfnisse, beste Angebot
auszuwählen.
Sie werden im selbstständigen und
eigenverantwortlichen Lernen unterstützt.
Aspekte wie Talentförderung, Wissensdurst
und „Learning by Doing“ werden groß
geschrieben. Neben den klassischen
Unterrichtsfächern wie Mathematik und
Physik, gibt es auch Fächer wie Outdoor
Education, Klettern, Rafting, usw. die sich
wahrscheinlich auch manche Schüler_innen
in Österreich wünschen würden.
Die Förderung sozialer und individueller
Kompetenzen, stellt einen wesentlichen
Inhalt des Schulalltags neuseeländischer
Schüler_innen dar. Die Einschulungsrate für
Kinder im Volksschullevel beträgt sowohl
bei Mädchen als auch bei Jungen 99%.
Das neuseeländische Schulsystem
Wie bereits oben erwähnt, werden Kinder in
Neuseeland bereits im Alter von fünf Jahren
eingeschult. Im primären Bildungsbereich
besuchen die Schüler_innen eine Primary
School, welche sechs Jahre dauert und
vergleichbar ist mit der Volksschule.
Nach dem NCEA Level 1 haben die
Schüler_innen weiter die Möglichkeit ein
Zertifikat für das NCEA Level 2 (Matura) und
das NCEA Level 3 zu erhalten. Dieses NCEA
Level 3 berechtigt die Schüler_innen zum
Besuch einer neuseeländischen
Hochschule/Universität.
In Neuseeland gibt es grundsätzlich zwei
Arten von staatlichen Hochschulen, erstens
Universitäten und zweitens Polytechnics.
Daneben gibt es noch eine Anzahl an
privaten Hochschulen und sogenannte
„Wananga‘s“, eine spezifisch maorische
Hochschuleinrichtung. Insgesamt verfügt
Neuseeland über acht Universitäten mit
unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen,
welche sowohl Bachelor- Master-, als auch
PhD- Studiengänge anbietet. An allen
Hochschulen werden Studiengebühren
bezahlt, welche sich je nach Universität
unterscheiden und für neuseeländische
Studierende zwischen 3.000 und 5.000
neuseeländische Dollar pro Semester
ausmachen und für ausländische
Studierende zwischen 20.000 und 40.000
NZ$ liegen.
Exkurs: Die Maori
Nach diesen sechs Jahren, besuchen die
Schüler_innen zusätzlich zwei Jahre lang
eine sogenannte Intermediate School, die
entweder innerhalb der Primary School
integriert ist oder gesondert an einer
Intermediate School besucht wird. Der
primäre Bildungsbereich dauert insgesamt
acht Jahre und endet für die Schüler_innen
im Alter von 12/13 Jahren.
Als nächsten Punkt, möchte ich auf die
Situation der indigenen Bevölkerung
Neuseelands zu sprechen kommen. Die
neuseeländische Bevölkerung besteht aus
rund 68% Menschen europäischer
Abstammung, ca. 15% maorischer
Abstammung, 9% asiatischer und rund 7%
ozeanischer Abstammung.
Als nächsten Schritt schreiben sich
Schüler_innen in den sekundären
Bildungsbereich ein, der mit der Secondary
School beginnt und die 9. und 10. Klasse
betrifft. Nach zwei Jahren Secondary School,
wird schließlich in der 11. Schulstufe der
erste Abschluss, das New Zealand Certificate
of Educational Achievement Level 1 (NCEA
Level 1) erworben, welcher in etwa mit der
mittleren Reife zu vergleichen ist. Dieses
Qualifikationssystem wurde 2004 eingeführt
und beruht auf einem Punktesystem.
Neuseeland wurde zwischen dem 19. Jhdt.
bis Mitte des 20. Jahrhunderts, von den
Briten besetzt und als britische Kolonie
verwaltet. Dieser Kolonisierungsprozess
brachte viele Schwierigkeiten und
Veränderungen für die indigene
Bevölkerung mit sich. Im Jahre 1840 wurde
zwischen den verschiedenen
Stammesführern der Maori-Gruppen und
der britischen Krone ein Vertrag verfasst, der
unterschiedliche Aspekte wie Eigentum,
Souveränität, Landverteilung t u.v.m.
regeln sollte. Der Vertrag sollte allen voran
dazu dienen, eine einheitliche Regierung zu
gründen und somit eine neuseeländische
Nation zu bilden. Es kann als
Verfassungsurkunde Neuseelands
verstanden werden. Dieser „Treaty of
Waitangi“ wurde sowohl in englischer als
auch maorischer Sprache verfasst. Dabei
entstanden Übersetzungs- und
Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf die
Interpretation der einzelnen Punkte, da
beispielsweise die maorische Vorstellung
von Eigentum und Landbesitz sich von der
britischen erheblich unterschied, was
schließlich zu Konflikten führte und in
kriegerischen Auseinandersetzungen
endete. 1975 wurde letztlich das „WaitangiTribunal“ gegründet, welches sich nun mit
der Interpretation der einzelnen Aspekte
beschäftigt.
Traditionelles Bildungskonzept der
Maori
Neben den staatlichen Bildungskonzepten
existieren auch indigene Vorstellungen und
Entwürfe von Lehren und Lernen. Im
traditionellen Verständnis der maorischen
Gesellschaft ist Erziehung und Bildung nicht
nur die Aufgabe der einzelnen Person
sondern der gesamten sozialen Gruppe. So
stellt etwa das „Whare wananga“, das „Haus
des Lernens“, eine traditionelle Institution
für Lern- und Entwicklungsprozesse dar, in
welchem Studierenden, Wissen und
Fertigkeiten vermittelt wurden. Nicht nur
die Weitergabe von theoretischem Wissen,
sondern auch spirituelle und physische
Kenntnisse waren Teil des Bildungs- und
Erziehungssystems. Die Lern- und
Entwicklungsprozesse des Individuums
wurden unter anderem mit Ritualen
gekennzeichnet.
Im Zuge des Kolonialisierungs- und
Missionierungsprozesses entstanden die
ersten Bildungseinrichtungen nach
westlich-britischem Vorbild, in denen
maorische Kinder in englischer Sprache
unterrichtet wurden. 1867 wurde ein
„Native School Systems“ unter dem Namen
„matauranga“ für alle maorischen Kinder
etabliert. In diesen Schulen, welche als
Assimilierungsstrategie der britischen
Kolonialisten verstanden werden können,
wurde nach westlichen Konzepten und
Standards in englischer Sprache
unterrichtet. Bildungseinrichtungen agieren
nicht nur im Sinne einer
Wissensvermittlung, sondern haben in auch
den Auftrag, ein einheitliches, nationales
System zu schaffen. Alle Mitglieder einer
Gesellschaft in derselben Sprache zu
unterrichten, dieselben Inhalte und auch
Ideologien zu kommunizieren und
weiterzugeben, stellt ein wesentliches
Bestreben von staatlichen
Bildungseinrichtungen dar. Schule ist also
auch identitätsstiftend und trägt zur soziokulturellen und auch politischen
Sozialisierung eines Menschen bei.
Ab den 1980er Jahren wurden maorische
Immersionsschulen, sogenannte „kura
kaupapa“ als Teil der staatlichen
Bildungsinstitutionen errichtet, die sich die
Bewahrung der Traditionen, das
Weitergeben der kulturellen Werte und
Systeme und vor allem den Erhalt der
maorischen Sprache, zum Ziel setzten. Bei
diesen Schulen, geht es allen voran darum,
das kulturelle Erbe der Maori zu bewahren
und an die nächste Generation
weiterzugeben.
Sowohl das traditionelle als auch das
westliche Bildungssystem sind Teil der
neuseeländischen Bildungslandschaft.
Staaten sind heute gekennzeichnet von
Multikulturalität und Heterogenität. Diese
Diversität einer Gesellschaft spiegelt sich
nicht nur im öffentlich-politischen Alltag der
Menschen, sondern auch im Klassenzimmer.
Die Anwendung homogener Methoden
und Standards auf eine heterogene
Gesellschaft erweist sich als problematisch.
Den Unterricht an die Bedürfnisse einer
heterogenen Gesellschaft bzw. eines
heterogenen Klassenzimmers anzupassen
und die unterschiedlichen sozio-kulturellen
oder religiösen Kontexte zu berücksichtigen,
sind Entwicklungen, die in Neuseeland zu
beobachten sind.
Obwohl inzwischen besonderer Wert auf
die Integration und Förderung der
maorischen Kultur und Sprache innerhalb
der Schule gelegt wird, zeigen Statistiken,
dass das Bildungsniveau der MaoriBevölkerung Aufholbedarf hat und das Ideal
der Chancengleichheit noch nicht erreicht
ist. Zwar sind die Einschulungsraten von
maorischen Kindern im Kindergartenlevel
von 95% im Jahr 2012 auf 95,7 % gestiegen,
Statistiken zeigen jedoch auch höhere
Drop-Out-Raten von maorischen
Schüler_innen mit NCEA Level 2, welche im
Jahr 2012 auf über 54 % gestiegen sind.
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http://www.nzee.de/?sec=schulsystem
Des Weiteren sind auch die abfallenden
Anteile von maorischen Studierenden im
tertiären Bildungsbereich zu sehen. Es gibt
starke Bemühungen sowohl seitens des
neuseeländischen Staates als auch seitens
der maorischen Bevölkerung selbst, den
Anteil von maorischen Schüler_innen im
Bildungssektor zu steigern. So werden
verschiedene Kampagnen und Initiativen
ins Leben gerufen, die sich dieses Vorhaben
zum Ziel machen und auch Erfolge
verzeichnen können, wie etwa den
gestiegenen Anteil von maorischen Kindern
im Vorschul-Level oder die verbesserte
Integration der maorischen Sprache
innerhalb der verschiedenen
Bildungseinrichtungen.
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Original S.K., August 2014
Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Verein
Grenzenlos – Interkultureller Austausch, A-1090 Wien, ZVR
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Projektleitung: Christoph Mertl
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