Drei Fabeln - Heisenberg

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Drei Fabeln - Heisenberg
Drei Fabeln
Fuchs und Rabe
Babrius (2. Jh. n. Chr.)
Ein Rabe hielt im Schnabel einst ein Stück Käse.
Der schlaue Fuchs, der nach dem Käse sehr gierte,
Betrog den Vogel, indem er ihn so anredet:
“Schön ist dein Fittich, und dein Auge scharf, Rabe,
Dein Nacken prächtig; eine Adlersbrust zeigst du,
Und jedes Tier muß deiner Fänge Kraft weichen.
Und solch ein Vogel kann nicht schrein und muß stumm sein.”
Der Rabe, dessen eitles Herz das Lob aufbläht,
Wirft aus dem Schnabel seinen Käse laut krächzend.
Der Schlaue nimmt ihn und mit Spöttermund ruft er: “So warst du
doch bei Stimm’, und keineswegs sprachlos.
Ja du hast alles, Rabe; nur Verstand fehlt dir.”
Der Löwe und die Maus
Aesop (6. Jh. v. Chr.)
Ein Löwe lag im Schatten eines Baumes und schlief. Einige Mäuse
liefen neugierig zu ihm hin, und weil sich das schlafende, mächtige
Tier nicht bewegte, hüpfte eine der Mäuse zwischen seine Pranken.
Da wurden auch die anderen mutig, und bald tanzten die Mäuse auf
dem schlafenden König der Tiere. Die tanzenden Mäuse auf seinem
Kopf aber weckten den Löwen auf, er schüttelte sich unwillig und fing
eine von ihnen mit seiner Pranke.
Es war jene Maus, die sich als erste zu ihm gewagt hatte. Nun unter der
gewaltigen Pranke des Löwen zitterte die Maus wohl vor Furcht,
versuchte aber, es nicht zu zeigen, und rief: ”Ich bitte dich, schone
mein Leben! Ich will es dir mit einem Gegendienst vergelten.”
Der Löwe hob verdutzt seine Pranke und mußte wider Willen über
die dreiste Rede des kleinen Tierchens lachen und ließ es laufen.
Einige Zeit später geriet der Löwe in eine Falle. Es war aber nicht fern
jener Stelle, wo die Maus in ihrem Erdloch lebte.
Als sie den Löwen hilflos in den Netzen der Jäger sah, lief sie zu ihm
hin und nagte mit ihren spitzen Zähnen eine Schlinge entzwei.
Dadurch lösten sich die anderen Knoten, und der Löwe konnte das
Netz zerreißen und war wieder frei.
Keiner ist so schwach, daß er nicht auch einmal einem Starken helfen
könnte.
Die ziemlich intelligente Fliege
James Thurber
Eine große Spinne hatte in einem alten Haus ein schönes Netz gewoben, um
Fliegenzufangen.Jedesmal,wenneineFliegesichaufdemNetzniederließund
darin hängenblieb, verzehrte die Spinne sie schleunigst,
damit andere Fliegen, die vorbeikamen, denken sollten, das Netz sei ein
sichererundgemütlicherPlatz.EinesTagesschwirrteeineziemlichintelligente
Fliege so lange um das Netz herum, ohne es zu berühren, daß die Spinne
schließlich hervorkroch und sagte:
”Komm, ruh dich bei mir ein bißchen aus.” Aber die Fliege ließ sich nicht
übertölpeln. ”Ich setze mich nur an Stellen, wo ich andere Fliegen sehe”,
antwortete sie, ”und ich sehe keine anderen Fliegen.”
Damitflog sie weiter,bissieaneineStellekam,wo sehr viele Fliegensaßen.Sie
wollte sich gerade zu ihnen gesellen, als eine Biene ihr zurief: “Halt, du Idiot,
hier ist Fliegenleim. Alle diese Fliegen sitzen rettungslos fest.” ”Red keinen
Unsinn”, sagte die Fliege. ”Sie tanzen doch.”
Damit ließ sie sich nieder und blieb auf dem Fliegenleim kleben wie all die
andere Fliegen.
Moral:DerAugenscheinkannebensotrügerischseinwiedieSicherheit,inder
man sich wiegt.
Linolschnitte von
Michael Cremers
1,16
Christian Gladhorn
12
Michael Auerswald
2
Stephen Ziegler
Michaela Koch
3
Cordula Husfeld
14
Andreas Sütterlin
4
Manuel Schindler
15
13
5
Sarah Auer
17
David Daum
6
Marian Windisch
18
Christopher Deck
7
Felix Treutle
19
8
Jakob Rastetter
20
9
Almut Frank
Anne Kunst
Sarah Schröder
Daniel Kaiser
21
Susanne Klumpp
10
Karin Scharrer
22
Anke Hansen
11
Nana Wiegand
23
©1994
Klasse 6a Heisenberg-Gymnasium
Walter Haag (Kunst)
Peter Klein (Deutsch)