Informations- und Biotechnologie
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Informations- und Biotechnologie
„Frauen [können] [...] nicht die einzigen Produzentinnen feministischer Erkenntnis sein. Frauen können diese Fähigkeit nicht als einzig und allein ihnen eigene beanspruchen, und Männern darf es nicht durchgehen, wenn sie den Versuch ablehnen, feministische Analysen zu produzieren mit der Begründung, daß sie keine Frauen sind“ (Sandra Harding 1994, S. 302f). Informations- und Biotechnologie - Befreiende oder herrschaftsförmige Technik? Christian Fuchs Abstract Entkörperlichung zeigt sich heute vor allem in der Prothesisierung des Menschen, der Humanisierung des Roboters und der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit. Sie wird vermittelt durch neue Informations-, Kommunikations-, Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien. Vertreterinnen des postmodernen Feminismus wie Sadie Plant und Donna Haraway verknüpfen mit den technischen Veränderungen die Hoffnung auf Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen. Damit argumentieren sie jedoch technikdeterministisch und lassen außer Acht, daß das kapitalistische Patriarchat auf Ausbeutungs-, Klassen- und Herrschaftsverhältnissen basiert. Emanzipation kann daher nur als gesellschaftlicher Prozeß verstanden werden und nicht auf eine technische Dimension reduziert werden. Die postmodernistische Theorie betont die Differenz unterdrückter Gruppen und landet damit bei einer Vielfalt ohne Einheit. Berechtigterweise kritisiert sie eine Einheit ohne Vielfalt, läßt jedoch eine dialektische Postition der Einheit in der Vielfalt im Bezug von Kulturen und unterdrückten Gruppen aufeinander außer Acht. Beim Postmodernismus besteht die Gefahr, daß Politik rein kulturalistisch als Lebensstilpolitik, Identitätspolitik und symbolische Repräsentationspolitik aufgefaßt wird. Dies zeigt sich an Hand des Ansatzes von Judith Butler. Ausgeblendet wird dabei die Notwendigkeit politischer Emanzipation von Klassenverhältnissen, Politik wird auf den Bereich der Kultur reduziert. Das kapitalistische Weltsystem kann sich nur durch die Schaffung von Milieus der ursprünglichen Akkumulation permanent reproduzieren. Als solche Milieus können in der heutigen postfordistischen Phase des Kapitalismus die patriarchale Produktionsweise, die „Dritte Welt“, prekär Beschäftigte und rassistische Produktionsverhältnisse betrachtet werden. Ein marxistischer Feminismus kann sich vom Nebenwiderspruchsdenken und von mechanistischen Basis-Überbau-Modellen lösen und die Ausbeutung und Beherrschung von Frauen im kapitalistischen Patriarchat als Klassenverhältnis betrachten sowie die ökonomische, politische und kulturell-ideologischen Komponenten dieses Klassenverhältnisses analysieren und kritisieren. Technik ist im kapitalistischen Patriarchat ein Herrschafts- und Kontrollmittel. Daher ist es sinnvoll, den postmodernen EmanzipationsdenkerInnen kritische Argumente gegenüberzustellen, die davon ausgehen, daß Entkörperlichung und neue Technologien eine Verschärfung der Beherrschung und Ausbeutung mit sich bringen. Solche Kritiken wurden vor allem im marxistischen und radikalen Feminismus formuliert. Dabei besteht jedoch die Gefahr, in geschlechtsspezifische Typisierungen, die eigentlich charakteristisch für die Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft sind, zu geraten. Dies ist in radikal- und ökofeministischen Ansätzen häufig der Fall. Dabei wird auch Technik als inhärent patriarchal und herrschaftsförmig betrachtet. Ein solcher Technikreduktionismus führt aber zu Argumentationen, die eine Gesellschaft ohne Technik verlangen, die auf angeblich typisch „weiblichen Werten“ basiert. Im Zusammenhang mit neuen Technologien bestehen z.B. die Gefahr der Kapitalisierung des Körpers als Profitquelle, die Gefahr einer neuen Eugenik, die Gefahren der Züchtung besonders ausbeutbarer Menschen, der totalen Kommodifizierung weiblicher Körper und der Enteignung der Frau von der Selbstbestimmung über ihren Körper. Besonders in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation, die die Ökonomie über den Menschen stellt und an der Logik und Totalität der Kapitalakkumulation und Verwertung orientiert ist, sind diese Gefahren realistisch. Technik ist weder interessensneutral, noch grundsätzlich ein Dämon. Sie steht in einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis zur Gesellschaft. In unserer heutigen patriarchalkapitalistischen Gesellschaft ist die Technik eine patriarchal-kapitalistische. Eine Aufhebung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kann jedoch als Basis für die Entwicklung einer am Menschen orientierten Technik betrachtet werden. Der technische Eingriff in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) bedeutet heute eine neue Qualität bestehender Ausbeutungs-, Herrschafts- und Klassenverhältnisse. 1. Einleitung: Die Entkörperlichung des Menschen und deren Gefahren Die Prothesierung des menschlichen Körpers, d.h. die Substitution von Körperteilen und Organen durch maschinelle Anwendungen, und die Nachbildung des Menschen durch Computer und Roboter schreitet immer weiter voran. Welche Entwicklungen sind mittelfristig realistisch, welche utopisch? Welche Probleme der ethischen Grenzen von Wissenschaft und Technik werden dabei aufgeworfen? Was bedeutet all dies für die feministische Theorie und Politik, die immer noch mit der Konstruktion von Typisierung sowie von Ein- und Zuschreibungen spezifischer Eigenschaften in weibliche Körper in einer patriarchalkapitalistischen Gesellschaft konfrontiert sind? Das sich heute verändernde Verhältnis von menschlichem Körper und Maschine zeigt sich vor allem in drei Bereichen: 1. der Prothesisierung des Menschen 2. der Humanisierung des Roboters 3. der Ersetzung verkörperlichter, d.h. lebendiger Arbeit, durch tote Arbeit Im ersten Fall handelt es sich nicht mehr ausschließlich um Negativvisionen aus der Cyberpunkliteratur, positiv besetzten Visionen einer entkörperlichten „Post-Gender-World“ (Donna Haraway) oder fiktiven filmischen Cyborgfiguren wie in Total Recall, Bladerunner, Terminator oder Robocop. Vielmehr hat die Verwandlung des Menschen in einen kybernetischen Organismus durch den technischen Eingriff in die Körperlichkeit auch heute eine konkrete Bedeutung bekommen. Dies zeigt sich z.B. in der Form von künstlichen Organersätzen oder -zusätzen, der Gen- und Reproduktionstechnologie oder der direkten Verkopplung von Mensch und Maschine. Der Einbau von mechanischen oder elektronischen Komponenten in den menschlichen Körper ist heute medizinischer Alltag. Im Juni 2000 wurde beispielsweise am Chicago Medical Center einem Menschen die erste künstliche Netzhaut ASR („Artificial Silicon Retina“) implantiert (Telepolis, 4.7.2000). Einem Blinden wurde ein Mikrochip ins Gehirn eingebaut. Mit Hilfe einer Cyberbrille, in die eine Kamera eingebaut ist, werden Bilder wahrgenommen, anschließend von einem Computer digitalisiert und ins Gehirn geschickt. Dazu ist jedoch die Verbindung des Mikrochips im Gehirn mit dem Computer durch ein Kabel notwendig. So kann der Blinde Umrisse und Schatten erkennen (Die Welt, 19. 01. 2000). William Dobelle hat u.a. ein solches System der Artificial Vision erschaffen. Der zweite genannte Bereich ist eng verknüpft mit den Entwicklungen und Fortschritten in der Artificial Intelligence (AI) und im Artificial Life (AL). Nach Langton (1989) ist Artificial Life (AL) „the study of man-made systems that exhibit behaviors characteristic of natural living systems“. Es gehe nicht nur darum, zu beobachten, wie Eigenschaften lebendiger Systeme in AL-Systemen emergieren („life-as-we-know-it“, Leben, wie es ist), sondern auch um die theoretische Beobachtung künstlichen Lebens, um Rückschlüsse darüber, wie Leben sein könnte, auf natürliches Leben zu ziehen („life-as-itcould-be“, Leben, wie es sein könnte). Langton hat einen zellulären Automaten (CA) programmiert, dessen Agenten sich selbst reproduzieren. Diese CA zeigen Phasenübergänge, an denen chaotische Attraktoren auftreten. Langton meint nun, daß dabei nicht vorhersehbare Signale auftreten. Die simulierten Phasenübergänge wären äquivalent zu jenen in lebendigen Systemen. Daher habe er tatsächliches Leben erzeugt. Maturana und Varela (1984) haben gezeigt, daß lebendige Systeme sich selbst reproduzieren können. Diese Eigenschaft kann ein Computerprogramm jedoch niemals aufweisen, da es immer auf einem Rechner abläuft, der einer mechanistischen Kausalität (d.h. Ursachen und Wirkungen können einander eindeutig zugeordnet werden) folgt. Die Selbstreproduktion von Agenten in einer Computersimulation ist mit jener von organischen Zellen nicht vergleichbar, da sie abhängig von einer Energiezufuhr in den Computer ist. Daher kann nicht von der Selbstreproduktion einer Maschine oder darauf ablaufender Programme gesprochen werden. Technische Artefakte sind nicht mit Menschen vergleichbar, sondern es bestehen qualitative Unterschiede. Fähigkeiten wie zweckorientiertes Handeln, Selbstbewußtsein, Rationalität oder Gefühle sind spezifisch für den Menschen. Dadurch unterscheidet er sich von allen anderen Systemen. Maschinen und soziale Organisationen1 sind keine lebendigen Systeme, sie können sich nicht autonom selbst reproduzieren wie autopoietische Organismen. Wesentliche Fragen, die sich für AI und AL stellen, sind, ob ein Computer menschenähnliches Verhalten zeigen kann und ob der menschliche Geist technisch simulierbar ist. Seit jeher war in der AI von Bedeutung, ob Gehirn und Computer vergleichbar sind, ob das Gehirn als Maschine aufgefaßt werden kann oder ein Computer jemals denken können wird. Dabei spielt der Turing-Test eine Rolle, der besagt, daß eine Maschine dann intelligent ist, wenn ein Mensch mit ihr kommuniziert, ohne zu bemerken, daß es sich um eine Maschine handelt. Anfang der 80er-Jahre wurde diese Sichtweise jedoch durch John Searles Chineschisches Zimmer herausgefordert. Dadurch wurde klar, daß ein Computer immer nur Anweisungen befolgt, aber niemals so etwas wie Bedeutungen oder pragmatische Zeichenaspekte verstehen kann. Daher ist menschliche nicht mit maschineller Intelligenz vergleichbar. Intelligenz ist m.E. immer mit einer Einheit von syntaktischen, semantischen und pragmatischen Aspekten verbunden und setzt außerdem Gefühle, Selbstbewußtsein und die Fähigkeit der individuellen Normen- und Wertbildung voraus. Immer wieder gibt es Versuche, intelligente Computerprogramme herzustellen, mit denen Menschen interagieren können. Ein Beispiel ist Joseph Weizenbaums Psychoanalyseprogramm ELIZA, ein anderes der Multi User Dungeon (MUD)-Robot Julia. Es zeigt sich heute, daß diese künstliche Intelligenz oftmals überschätzt wird und nicht annähernd mit menschlicher vergleichbar ist: Alan Turing meinte 1950, daß es im Jahr 2000 Computer geben wird, die 70 Prozent der Menschen, mit denen eine Interaktion erfolgt, davon überzeugen, daß sie menschlich sind. Der tatsächliche Forschungsstand ist weit davon entfernt. Es mag spannend sein, sich mit so einem Programm zu unterhalten und es zu testen. Man/Frau sollte sich aber mit Searle immer wieder vor Augen halten, daß diese künstliche Intelligenz sich ganz wesentlich von der menschlichen unterscheidet und daß daher die Mensch-KI-Interaktion keine soziale Interaktion darstellt, da diese immer humane Akteure benötigt. 1 In der Organisationstheorie wird es immer populärer, Organisationen als lebendig zu betrachten. Nichtsdestotrotz haben heute viele AI-ForscherInnen das Ziel, „menschliche Roboter“ zu erschaffen. So meint z.B. Rodney Brooks: „Ich möchte völlig autonome mobile Agenten erschaffen, die in der Welt mit Menschen koexistieren und die von Menschen als eigenständige intelligente Wesen betrachtet werden“ (Brooks 1987, S. 7). Marvin Minksy (1994) beschreibt ein KI-System, in dem menschenähnliche Agenten vorkommen. Er nimmt an, daß der Geist aus maschinellen Agenten zusammengesetzt werden kann: „Jeder mentale Agent ist für sich allein genommen nur zu einfachen Tätigkeiten fähig, die weder Geist noch Denken erfordern. Wenn wir diese Agenten jedoch auf eine ganz bestimmte Weise zu Gesellschaften zusammenfassen, ist das Ergebnis echte Intelligenz“ (Minsky 1994, S.17). Der Mensch ist für Minsky folglich ein Computer, der Geist also eine Maschine. Es sei nur mehr eine technische Frage, Computer mit Bewußtsein und Gefühlen zu entwickeln. Minsky argumentiert klassisch reduktionistisch. Intelligenz sei auf einzelne Teile zurückführbar. Seine Gleichsetzung von Mensch und Maschine zeigt sich schon daran, daß er den Inbegriff der Soziologie (Gesellschaft) für die Beschreibung des Zusammenwirkens von technischen Einheiten benutzt. Er betrachtet dies allerdings als völlig unproblematisch, die damit verbundenen Gefahren wie eine Abwertung von Humanismus, einen Freibrief für biopolitische Experimente und daher in letzter Konsequenz der Eugenik und der rassistischen Vernichtung sowie die Gefahr der Legitimierung sieht er nicht. Werden Mensch und Maschine gleichgesetzt und die qualitativen Unterschiede wegdefiniert oder geleugnet, so stellt sich das Problem, daß damit vermittelt wird, daß mit Menschen umgegangen werden darf wie mit Maschinen: Sind sie alt oder nicht mehr „leistungsfähig“, so werden sie „entsorgt“. Werden spezielle oder äußerst effiziente Fähigkeiten benötigt, so werden diese technisch hergestellt. Was all dies auf den Menschen bezogen bedeuten kann, entspricht Horrorvisionen, die an den Faschismus erinnern können. Minsky betrachtet den Menschen als ein Mängelwesen, unperfekt und im Vergleich zu Computern äußerst langsam. Um dies zu beheben, schlägt er vor, Mikrochips ins Gehirn zu verpflanzen, die von den Menschen umprogrammiert werden können, um ihr Denken zu verändern. Psychische Probleme könnten damit vermieden werden. Eine solche Argumentation vernachlässigt, daß psychische Probleme aus gesellschaftlichen Verhältnissen entspringen. Es geht bei Minsky nicht um gesellschaftliche Veränderung, sondern um die Manipulation des menschlichen Denkens, um die Zunahme psychischer Probleme in einem kapitalistischen Weltsystem mit immer größer werdenden globalen Problemen mittels einem psychischen Wegschmelzen dieser Probleme einzudämmen. Individuelle Probleme, die in einem Verhältnis zu gesellschaftlichen stehen, sollen nicht in der realen Welt gelöst werden, sondern die Menschen sollen psychisch an die immer prekärer werdenden sozialen Verhältnisse angepaßt werden. Damit kann auch die Vorstellung verbunden werden, daß Minsky grundsätzlichen sozialen Wandel durch die direkte Manipulation des menschlichen Gehirns verhindern will. Ähnlich wie Minsky beschreibt auch Valentin Braitenberg, wie seiner Ansicht nach durch technische Synthese einfacher Teile „Wesen“ hergestellt werden können, die dem Mensch samt Geist und Bewußtsein ähnlich sind. Aus mobilen Robotern werden in dieser Beschreibung Menschen. Braitenberg nimmt an, daß sich aus Motoren, Sensoren und diversen fiktiven Materialien, menschenähnliche Organismen herstellen lassen. Die 14 beschriebenen Wesen bauen aufeinander auf und werden immer komplexer. Wie Minsky nimmt Braitenberg an, der menschliche Organismus sei auf einzelne technische Bauteile reduzierbar. Auch Hans Moravec (1990) vertritt ähnliche Ansichten wie Minsky. Der Mensch werde in Zukunft von Robotern ersetzt, menschliche Intelligenz durch künstliche substituiert. Dadurch werde der Mensch unsterblich. „Wir Menschen werden eine Zeitlang von ihrer Arbeit [jene der Roboter, Anm. CF] profitieren. Doch über kurz oder lang werden sie, wie biologische Kinder, ihre eigenen Wege gehen, während wir, die Eltern, alt werden und abtreten“ (Moravec 1990, S. 13). Der menschliche Geist könne in naher Zukunft auf Maschinen übertragen werden. Ein Roboterchirurg müsse dazu die Schädeldecke eines Menschen öffnen und das Gehirn schichtweise abtragen und mit Sensoren abtasten. So sei es möglich, die Kognition eines Individuums auf einen Roboter zu übertragen. In der Cyberpunk-Literatur hatten solche Vorstellungen noch einen kritischen Unterton und konnten als Warnung vor Entwicklungen verstanden werden, die die Menschheit durch technischen Fortschritt in den Faschismus zurückversetzen. Bei Moravec handelt es sich nicht um Fiktion, sondern um ernsthafte wissenschaftliche Ansichten. Jede kritische Überlegung ist allerdings verschwunden. Auch im Konnektionismus, der davon ausgeht, daß Kognition ein emergentes Phänomen der neuronalen Aktivitäten darstellt, wird der Computer mit dem Menschen verglichen. Sowohl das Verhalten des Gehirn als auch jenes der neuronalen Netze folge keiner deterministischen Logik, sondern zeige unvorhersehbare Aspekte. Diese emergente AI sieht also keinen wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Maschine. Für die AI war und ist die wesentliche Frage, ob ein Computer intelligent ist bzw. sein kann. AL setzt dies bereits voraus und fragt sich ernsthaft, ob Maschinen zum Leben erweckt werden können. Das Gebiet des AL stellt in Frage, daß Maschinen und Computerprogramme nicht lebendig sein können. Die neuesten Entwicklungen aus der AI reden einer radikalen Entkörperlichung das Wort. Der menschliche Körper gilt als vergänglich, in letzter Konsequenz könne der Computer an seine Stelle treten und auch den Geist substituieren. Gefahren solcher Argumentationen werden nicht ausreichend berücksichtigt, sondern Entwicklungen in Richtung einer - um es mit Aldous Huxley auszudrücken - „schönen neuen“ Cyborg-Welt das Wort geredet. Zum dritten Bereich: Gesellschaftliche Arbeit ist grundsätzlich an den menschlichen Körper gebunden. Mit der Entwicklung der Produktivkräfte kommt es jeder zu einer voranschreitenden Entkörperlichung der Arbeit. Durch immer weitere technologische Entwicklungen wird immer mehr menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt. Dies ergibt sich aus der kapitalistischen Zwangslogik, immer effizienter zu produzieren, d.h. immer mehr in immer kürzerer Zeit herzustellen. Marx hat dies als relative Mehrwertproduktion beschrieben: Durch immer produktivere Maschinen wird immer mehr in immer kürzerer Zeit hergestellt. Durch die Produktivkraftentwicklung wird die gesellschaftlich notwendige Arbeit immer stärker reduziert. Lebendige Arbeit wird also immer stärker durch tote Arbeit in der Form von Maschinen und konstantem Kapital ersetzt. Da aber die lebendige Arbeit die einzige Quelle des produzierten Mehrwerts sein kann, führt also die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit zur Zersetzung der Basis der Wertproduktion. Hier zeigt sich also auch ein Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenständlichter Arbeit (vergegenständlichte ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts). Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung steigt die tote Arbeit im Verhältnis zur lebendigen. Dies ist eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus äußert. Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen folgendermaßen auf den Punkt: „Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, daß es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, während es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt“ (Marx 1857/58, S. 601). Dieser Widerspruch kann als eine Ursache der Tendenz des Falls der Durchschnittsprofitrate angesehen werden. Steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals (also das Verhältnis von konstantem und variablem Kapital) im Rahmen der Produktivkraftentwicklung, so kann dies auf Grund dieses Antagonismus negativ auf die Mehrwertproduktion wirken. Daraus ergibt sich dann ein Fall der Durchschnittsprofitrate. Die Entkörperlichung der Produktion setzt sich also im Kapitalismus krisenhaft durch. Die Ersetzung von lebendiger durch vergegenständlichte Arbeit und damit das Voranschreiten einer tendenziellen Unabhängigkeit der Produktion vom menschlichen Körper hat im Kapitalismus die Konsequenz, daß sie zu den strukturellen polit-ökonomischen Krisen und den sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Problemen wie Arbeitslosigkeit und Armut beiträgt. Obwohl diese Substitution existiert und immer weiter voranschreitet, ist eine Vollautomatisierung prinzipiell unmöglich, da Maschinen in letzter Instanz nur vom Menschen in Stand gehalten werden können und gewisse Arbeiten wie beispielsweise im sozialen Bereich sinnvollerweise niemals von Maschinen übernommen werden sollten. Daher läßt sich mit Klaus Fuchs-Kittowski festhalten: „Der Mensch [...] [[ist] die einzige kreative Produktivkraft [...] und [kann] daher nicht gefahrlos wegrationalisiert werden [...]. Die Auswirkungen einer solchen mangelnden Beachtung des Leistungs- und Wissenspotential der Menschen und ihrer kreativen Fähigkeiten sind heute kaum abzusehen“2 (Fuchs-Kittowski i.E.). Es stellt sich nun die Frage, wie realistisch diese Bilder der Entkörperlichung, die in der Cyberpunkliteratur, der Science Fiction und von TheoretikerInnen wie Minsky, Braitenberg und Moravec beschrieben werden, als reale gesellschaftliche Entwicklungen kurz- und mittelfristig sind. Mittermayer und Klosterhalfen (2000) rücken alle Überlegungen in Richtung der Kreation eines „künstlichen Menschen“ als utopisch in weite Ferne. Implantationen und Transplantationen seien zwar heute in der Medizin an der Tagesordnung und werden auch in Zukunft weiterentwickelt und verbessert werden, ein künstlicher Mensch setze jedoch auch künstliches Bewußtsein voraus. Und da heute völlig unklar ist, was Bewußtsein genau sein soll, würde der künstliche Mensch „nicht so schnell Wirklichkeit“ werden (Mittermayer/Klosterhalfen 2000, S. 23). Daele (2000) betont, daß Vorbehalte gegen neue Technolgien meist nur solange bestehen, bis betont wird, daß sie medizinischen Fortschritt mit sich bringen: „Die moralischen Vorbehalte gegen die Technik gaben regelmäßig nach, wenn es darum geht, menschliches Leben zu erhalten oder das Leid einer Krankheit zu mildern“ (Daele 2000, S. 25). Das Problem besteht nun darin, daß oft versucht wird, den Einsatz als problematisch zu erachtender Technologien durch Spezialfälle der Anwendung zu rechtfertigen. Reproduktionstechnologie soll so z.B. mit dem Kampf gegen Unfruchtbarkeit legitimiert werden, Gentechnologie mit dem vorgegebenen Kampf gegen Armut etc. Gleichzeitig wird betont, daß Mißbrauch gesetzlich zu unterbinden sei. In der kapitalistischen Gesellschaft ist es nun aber der Fall, daß die Kapitalakkumulation einen ökonomischen Zwang darstellt, der alle Lebensbereiche durchdringt und an dem in einem gewissen Ausmaß das Geschehen in den einzelnen gesellschaftlichen Subsystemen orientiert wird. Daher ist beim Einsatz von Technologien, die den Körper des Menschen manipulieren, immer auch die „Wirtschaftlichkeit“ ein wesentliches Moment. Daraus ergeben sich konkrete Gefahren wie eine neue Eugenik, die Züchtung von besonders ausbeutbarem und widestandslosem Material der Ausbeutung für das Kapital, die weitere Kommodifizierung des Körpers, rassistische sowie faschistische bevölkerungspolitische Maßnahmen etc. All dies sollte besonders in einer neoliberal durchkapitalisierten kapitalistischen Gesellschaftsordnung als gefährlich erachtet werden. Medizin und Forschung sind nicht ausschließlich am allgemeinen Wohl der Menschheit interessiert, sondern sind Teil des kapitalistischen Weltsystems und daher auch Mittel zur Durchsetzung der Interessen herrschender ökonomischer Klassen. Die Linderung menschlichen Leids in Einzelfällen ist im Kapitalismus eben oftmals ideologisches Mittel, um die tatsächlichen Gefahren neuer Technologien zu verschleiern und um diese für die effiziente Organisierung der Kapitalherrschaft nutzbar zu machen. Heute wird konkret über die „Optimierung“ der Kosten des Gesundheitswesen, über bevölkerungspolitische Maßnahmen 2 Nur ein Beispiel dafür, daß die Apologeten der Vollautomatisierung mit aller Konsequenz die Ersetzung des Menschen durch die Maschine verlangen: Die Informationsverarbeitung erreichte „ihren übertriebenen Status dadurch, daß sie marginale Aufgaben automatisierte, die wir Schreibarbeit oder Papierkram nennen. Die Robotik wird auch alles andere automatisieren!“ (Moravec 2000). zur Eindämmung der angeblichen „Bevölkerungsexplosion“ oder über das Klonen von Tieren (vorerst!) diskutiert. Die liberal gesinnten Schreie nach der Zivilisierung der dabei verwendeten Technologien werden spätestens dann verstummen, wenn die angeblichen großen Vorteile der Humantechnologie durch die Medienmaschinerie noch viel intensiver ins Bewußtsein der Menschen dringen. Die Durchsetzung der herrschenden ökonomischen Interessen braucht immer ideologische Rückendeckung, damit das Bewußtsein der Menschen massenhaft nivelliert und hergestellt werden kann und sich diesen Interessen willenlos beugt. Es ist unter den herrschenden polit-ökonomischen Verhältnissen nicht auszuschließen, daß mittelfristig die „Entsorgung“ nicht mehr verwertbarer und ausbeutbarer, d.h. kranker, alter oder schwacher, humaner Körper sowie die ökonomisch effektive Kreation neuer Körper an der Tagesordnung stehen wird. Ein Gesellschaftssystem, das permanent mit dem Leben von Menschen spielt und zur Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung führt, wird keine moralischen Bedenken vor ökonomische Interessen stellen. Daher ist auch die Rede von der Eindämmung der Mißbrauchsgefahren neuer Technologien durch den Staat eigentlich hinfällig, da der Staat zwar nicht - wie in den meisten STAMOKAP-Theorien behauptet - direkt der verlängerte Arm der Kapitalinteressen ist, aber nichtsdestotrotz einen Kristallisationspunkt der herrschenden ökonomischen Klasseninteressen darstellt, durch den sich eine Einheit der fragementierten und fraktionierten Bourgeoisie herstellen kann (vgl. Poulantzas 1978). Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan werden, denn heute sprechen beispielsweise immer mehr Ärzte von der Euthanasie von „zu teuren“ Kranken oder es wird in wissenschaftlichen Kreisen ernsthaft über faschistoide bevölkerungspolitische Maßnahmen diskutiert. So sprach sich z.B. Peter Sloterdijk bei einer Veranstaltung zur Kritik des Humanismus durch den nationalsozialistischen Paradephilosoph Martin Heidegger für eine vorgeburtliche Selektion aus: „Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird - ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können - dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt“ (Sloterdijk 1999, S. 15) Und natürlich werden da Erinnerungen wachgerufen an die faschistische Vernichtung von als nicht „lebenswert“ bezeichnetem Leben. Gerade im thematischen Kontext der Veranstaltung, denn Heidegger war Philosoph der nationalsozialistischen Massenvernichtung. Heideggers Idealisierung des Todes und des Nichts waren eine philosophische Dimension des Naziterrors. Auschwitz steht symbolisch für das, was Heidegger in seiner Philosophie herbeisehnte. Die bei den Massenvernichtungen Ermordeten waren für Heidegger vielleicht auch nichts anderes als „Platzhalter des Nichts“, deren „Sein zum Ende und zum Tode“ gekommen ist. Die Nazis und in ihrer Gefolgschaft das österreichische sowie das deutsche Volk machten Schluß mit der Verdrängung des Todes, ganz so wie Heidegger es wollte. Der Tod wurde nicht verdrängt oder hinausgeschoben, sondern durch die Massenvernichtungen und den Massenmord an Millionen von Menschen durch die Deutschen und Österreicher in die Realität umgesetzt. Als „nicht lebenswert“, d.h. nicht ökonomisch leistungsfähig, könnten eben in naher Zukunft z.B. behinderte Kinder eingestuft werden. Und aus gerade diesem Grund sind Beiträge wie jene von Sloterdijk so gefährlich. Würden sie nämlich geistige Hegemonie erlangen, so stünde einer neuen Eugenik tatsächlich nur mehr wenig im Weg. In letzter Instanz ist die kapitalistische Produktions- und Reproduktionsweise immer mit Körperkontrolle verschränkt. Es geht dabei immer um die Beherrschung und Ausbeutung von Individuen, eine Basis dabei stellt deren körperliche Arbeit dar. Dies bezieht sich nicht nur auf Männer und Frauen in Lohnarbeitsverhältnissen, sondern vor allem auch auf die meist weibliche Reproduktionsarbeit, also auf die patriarchale Dimension des Kapitalismus. Der weibliche Körper wird dabei naturalisiert, und es werden ihm angeblich typische weibliche Tätigkeiten eingeschrieben. Und diese sind eben zumeist unbezahlt oder schlecht bezahlt, ohne soziale Absicherung und ohne Möglichkeit der gewerkschaftlichen Organisation - d.h. besonders ausbeutbar. Agent dieser Ausbeutung ist nicht nur das Kapital, sondern auch der männliche Lohnarbeiter, der sich nur dadurch reproduzieren kann, daß diese Arbeit von Frauen unbezahlt ausgeführt wird. Der männliche Lohnarbeiter ist dreifach „frei“: Frei von den Produktionsmitteln, mit denen er arbeitet, und den Produkten, die er herstellt. „Frei“, seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt zu schmeißen. Und frei von der Haus- und Reproduktionsarbeit, die zumeist von den Frauen übernommen wird3. Damit haben wir nun den Kontext zum Verhältnis von Körper und der Rolle weiblicher Arbeit im Kapitalismus hergestellt. Bedeuten die Entwicklungen in der Humantechnologie die Chance auf Emanzipation aus patriarchalen Verhältnissen? Oder verschärfen sich dadurch bestehende Herrschaftsverhältnisse, in denen Frauen ausgebeutet werden? An Hand der Diskussion verschiedener Ansätze sollen nun die diversen feministischen Auffassungen zu diesen Fragen diskutiert werden. 2. Entkörperlichung als Emanzipation vom kapitalistischen Patriarchat? Donna Haraway: Entkörperlichte Cyborgs Eine wesentliche Vertreterin des Gedankens der Emanzipation durch Entkörperlichung ist die postmoderne Feministin Donna Haraway, die den Begriff des/der Cyborg(s) geprägt hat (siehe Haraway 1995a, 1996, 1997; zur Kritik z.B. Fuchs 1998): „Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion“ (Haraway 1995a, S. 33). Cyborgs sind also Mischungen aus Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen oder Zukunftsvisionen gibt. Dies deutet auch bereits Haraways Faible für Science Fiction an. In der Science Fiction gibt es unzählige Cyborgs, beispielsweise die Borgs bei Star Trek. Derzeit käme es beispielsweise in Militär, Medizin oder in der Form von Cybersex zur Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Maschine. Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen in unserer Gesellschaft zu beschreiben und Vorstellungen über die Zukunft zu entwickeln. Dazu gehört die Vorstellung, daß Cyborgs „Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt“ (Haraway 1995a, S. 35) sind. Es geht ihr also um die Auflösung der Grenze zwischen Mann und Frau, da unter den herrschenden Bedingungen Gender als soziales Geschlecht eine Kategorie sei, entlang derer sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht ihr also um eine Vision, in der diese Ungleichheiten, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen zu Folge haben, aufgehoben sind. „Es geht darum zu lernen, uns daran zu erinnern, daß wir [...] körperlich immer noch anders werden können“ (Haraway 1996, S. 365). Mit den technologischen Entwicklung, die immer stärker zu einer Entkörperlichung führen, ist auf Grund der hybriden Identität der Cyborgs - d.h. der Unmöglichkeit einer geschlechtlichen Zuordnung - bei Haraway die Vision einer Gesellschaft ohne geschlechtsspezifische Unterdrückung verbunden. Der Begriff des/der Cyborg(s) wurde von Clynes/Kline (1960) geprägt. Sie dachten, daß für die Raumfahrt Hybride aus Mensch und Maschine notwendig seien, damit diese in 3 Auf solche Argumentationen ist häufig das Gegenargument zu hören, daß dies ja heute schon ganz anders aussehen würde. Frauen seien emanzipiert und würden genauso arbeiten wie Männer. Es sieht heute tatsächlich anders aus als vor 30 Jahren: Mehr Frauen sind in Lohnarbeitsverhältnissen tätig und gleichzeitig für die Reproduktionsarbeit zuständig. Resultat davon sind Mehrfachbelastungen. Frauen verdienen noch immer viel weniger als Männer, haben weniger Aufsstiegschancen und werden früher gekündigt als Männer. Sie sind überproportional von Armut und prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen. Der liberale Ruf nach Gleichstellung innerhalb des Kapitalismus muß scheitern, da Kapitalismus eben immer auch kapitalistisches Patriarchat und damit ein Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis über Frauen bedeutet. außerirdischen Welten überleben können. Cyborgs seien „self-regulating man-machinesystems“. Evelyn Fox Keller (1996a) weist darauf hin, daß bereits Norbert Wiener über die Austauschbarkeit von Organismen und Maschinen sprach. Eine Verkettung von Mensch und Maschine stellte er sich vor, indem er davon sprach, daß es „theoretisch möglich [sei], ein menschliches Wesen durch eine Telegraphenleitung zu schicken“ (Wiener 1964, S. 35). Durch die neuen technologischen Entwicklungen in den Bereichen der Virtual Reality, des Artificial Life und der Biotechnologie, so Fox Keller, komme der Mensch dieser Vision Wieners ein Stück näher. Die Computertechnologie bringe eine Entkörperlichung mit sich: „Im späten 20. Jahrhundert ist es der Computer, der unsere Vorstellungskraft beherrscht, und der uns von diesem sonderbaren Ausdruck, daß der Mensch einen Körper habe, befreit“ (Fox Keller 1996a, S. 329). Als wesentliche Thesen aus Haraways „Manifest für Cyborgs“ lassen sich folgende festhalten: 1. Sowohl marxistischer als auch radikaler Feminismus analysieren die Unterdrückung von Frauen nur an Hand von sehr engen Kategorien (Klasse/Lohnarbeit im ersten Fall, Sexualität im zweiten) und grenzen sich von anderen Richtungen ab. Eine Einheit sei aber in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation mehr als notwendig. 2. Eine solche Einheit könne unter der Verwendung der Cyborg-Metapher geschaffen werden, da es damit möglich sei, Veränderungen von Klasse, Rasse und Gender zu analysieren und so umfassende politische Identitäten zu schaffen. 3. EinE Cyborg überschreitet Grenzen, ist ein Hybrid aus Mensch und Maschine. 4. Durch Biotechnologie und neue Kommunikationstechnologien wird der „rassistische, männlich dominierte Kapitalismus“ (Haraway) so verändert, daß eine „Informatik der Herrschaft“ entsteht, in der Frauen mit neuen Formen der Unterdrückung konfrontiert sind. Vernetzung wird dabei zu einem immer wichtigeren Moment. Durch die neuen Technologien verwischen sich zunehmend die Grenzen zwischen Mensch und Maschine. 5. Die feministische Science Fiction liefert Erzählungen, die Basis für eine Vision einer zukünftigen Cyborg-Gesellschaft ohne Gender sein können, in der es also keine Grenzen und Unterschiede zwischen Mann und Frau und somit auch keine Frauenunterdrückung gibt. Die Arbeit Haraways kann als Vermischung von Theorie und Fiktion gesehen werden. Worum es in Haraways Arbeit geht, faßt sie in der Formel Anspruchsloser Zeuge@Zweites Jahrtausend. FrauMann© trifft OncoMouseTM (so der Titel von Haraway 1996 und 1997) zusammen: Der anspruchslose Zeuge steht für den bürgerliche Vernunftmenschen, der Inhalte unkritisch hinnimmt. Ihn will sie mit ihrer Theorie in seinem Vertrauen in die Moderne stören. In der Wissenschaft glaube dieser Zeuge an die Existenz einer objektiven Realität. Das moderne Wissen sei ein typisch männliches, zum Schutz der bürgerlichen Männlichkeit sei unmännlich mit unzivilisiert und dunkelheutig mit wild gleichgesetzt worden. Wissen sei in dieser patriarchalen Moderne nur Wissen des weißen Mannes. Heute ginge es um Diffraktion, die Herstellung von Differenzstrukturen (Haraway 1996, S. 361). Die Dekonstruktion des männlichen Wissens und der männlichen Wissenschaft seien durch den Aufbau eines situierten Wissens notwendig (Haraway 1995b): Dies müsse ein Begriff sein, der „den Standpunkt der Unterworfenen“ einnimmt und „eine Perspektive aus der Position der weniger Mächtigen“ (Haraway 1995b, S. 83) sei. „Unterworfene Standpunkte werden bevorzugt, weil sie angemessenere, nachhaltigere, objektivere, transformierendere Darstellungen der Welt zu versprechen scheinen“ (Haraway 1995b, S. 84). Totalisierung, die Betonung einer einzigen Sichtweise und Ablehnung anderer Sichtweisen (dies wirft sie dem radikalen und dem marxistischen Feminismus vor) seien der falsche Weg, notwendig seien politische Solidaritätsnetzwerke, „heterogene Vielheiten“ (ebd., S. 86) und die „Verknüpfung partialer Sichtweisen und innehaltender Stimmen zu einer kollektiven Subjektposition“ (ebd., S. 91). Idealerweise stellt sie sich die Formierung situierten Wissens ähnlich wie die Methode der Konsensus-Konferenzen vor. Dies ist ein parizipatorisches und diskursives Verfahren der Technikfolgenabschätzung. Laien diskutieren mit Experten relevante Fragen neuer Technologien. Die Laien verfassen danach ein Gutachten, daß der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber zugänglich gemacht wird (vgl. Brüchler/Simonis/Sundermann 1999). Wir finden also in Haraways Begriff des situierten Wissens die für postmoderne Theorien typische Ablehnung einer Vereinheitlichung und die Betonung der Differenz. Nur durch die Diffraktion und das situierte Wissen könne der anspruchslose Zeuge „zu einer ihrer selbst bewußten, verläßlichen, antirassistischen FrauMann werden“ (Haraway 1996, S. 362). Das Zweite Jahrtausend und vor allem der Klammeraffe @ davor steht bei Haraway für gesellschaftliche Veränderungen. Die neue Technoscience sei deutlich unterschiedlich von der Moderne. Haraway bezeichnet die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch Bio-, Kommunikations- und Computertechnologie ausgelöst werden, zwar nicht explizit als Postmoderne, meint aber genau diese Herangehensweise (vgl. Haraway 1996, S. 367f). Diese Technologien seien einerseits gefährlich, würden aber andererseits - so wie das menschliche Genom - eine Chance auf positive gesellschaftliche Veränderungen bieten. Unter Technoscience versteht Haraway Netzwerke menschlicher und nichtmenschlicher Akteure, die durch Technologien Allianzen bilden (vgl. Haraway 1997, S. 50). Mit diesem Begriff bezieht sie sich auf den Technikbegriff Bruno Latours, einem Vertreter der sozialkonstruktivistischen Actor-Network-Theory (vgl. Latour 1987). Diese Theorie sieht Menschen und Nichtmenschliches (wie z.B. die Technik) als gleichberechtigte Akteuere in Netzwerken wie der Wissenschaft. Latour meint, der Mensch müsse mit Maschinen verhandeln und sie als Verbündete rekrutieren. Man müsse Gesellschaft und Technik nicht getrennt betrachten, sondern gemeinsam als Soziotechnologie. Es gehe um eine Trennung der Aufhebungen zwischen Natur/Gesellschaft, Technik/Sozialem und menschlichen/nichtmenschlichen Akteuren. Da es also auch bei Latour um die Aufhebung von Trennungen geht, erklärt sich Haraways positiver Bezug auf diesen Ansatz. Es wird also eine Gleichwertigkeit menschlicher und nichtmenschlicher Akteure angenommen. Mit FrauMann©4 meint Haraway ein hybrides Wesen, eine Mischung aus Mann und Frau, die kein eindeutiges Geschlecht besitzt. FrauMann© ist also Cyborg und kommt heute vor allem in Science Fiction-Erzählungen vor. OncoMouseTM war die erste genmanipulierte Maus, die verläßlich Brustkrebs bekam. Sie war das erste lebendige Wesen, das in den USA durch ein Patent geschützt wurde. Daher Trademark. Typisch für die Biotechnologie sei heute die Herstellung transgener Organismen durch die Übertragung von Genen einer Art auf eine andere. Dies stellt Haraway in einen antirassistischen Kontext, da die Reinhaltung der Körper und der Abstammung Basis rassistischer Diskurse sei (Haraway 1996, S. 374f; Haraway 1997, S. 60f). Dabei zeigt sich jedoch, daß Haraway dazu neigt, Kritik an der Biotechnologie - die sie selbst allerdings auch für notwendig erachtet - damit abzutun, daß sie KritikerInnen in einen rassistischen Kontext mit Vertretern der Ideologie einer „reinen Rasse“ stellt (siehe Haraway 1997, S. 61f). FrauMann© und OncoMouseTM sind beide Geschöpfe von genetischen Technologien, technisch manipulierte Körper. Beide, so Haraway, kommen nur durch Grenzüberschreitungen zustande und ihr Sein bedeute heute, Ware zu sein. Sie seien zwar Ergebnis der Moderne, aber bereits Hinweis auf eine postmoderne Welt ohne Frauenunterdrückung und Unterdrückung im Allgemeinen. „OncoMouse und FrauMann sind im Schoß der Moderne und der Aufklärung gereift, aber ihre Existenz bringt die Matrix ihres Ursprungs durcheinander. Natur und Gesellschaft, Tier und Mensch: Beide Begriffspaare kollabieren. Die große Trennung zwischen Mensch und Natur sowie ihre Konsequenzen für die Geschlechter, die die Geschichte der Moderne begründete, ist durchbrochen worden [...] Reinheit der Rasse, Reinheit jeder Art, die große weiße Hoffnung der heliozentrischen Aufklärung auf ein wahrhaft autochthones Europa, der Traum des Mannes von der Selbstgeburt - alle wurden von einer Bastard-Maus und einer Ansammlung einander 4 Ein Bezug auf Joanna Russ Science Fiction-Roman „The Female Man“ ebenbürtiger, unmännlicher, erfundener Menschen zerstört. Ich finde das sehr erquicklich“ (Haraway 1996, S. 385). Trotz Haraways äußerst positiven Bezug auf die Gentechnologie, kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie die Gefahren dieser Technologie völlig unkritisch sieht. So prägt sie beispielsweise den Begriff des Genfetischismus, um sich gegen die typisch rechte Zuschreibung und Reduktion von menschlichen Eigenschaften - die sich eigentlich im Rahmen sozialer Beziehungen herausbilden - auf Gene zu wenden. Solche Zuschreibungen stellen eine wesentliche Basis des Rassismus dar. Immer wieder gibt es äußerst gefährliche Beispiele dafür: Vor einigen Jahren meinten beispielsweise die Autoren der Bell CurveStudie, daß Schwarze weniger intelligent seien als Weiße und sich dies aus genetischen Unterschieden erklären lasse. Marx gebraucht den Begriff des Fetischismus bei der Beschreibung des für die bürgerlichkapitalistisch Gesellschaft typischen Phänomens, daß Eigenschaften, die aus sozialen Verhältnissen entspringen, Dingen oder Waren als inhärent zugeschrieben werden (siehe Marx 1867, S. 85-98). In Anlehnung an Marx spricht nun Haraway von Genfetischismus, wenn die aus sozialen Beziehungen entspringenden Charaktereigenschaften eines Menschen auf dessen Gene reduziert werden (vgl. Haraway 1997, S. 135-148). „The gene as fetish is a phantom object, like and unlike the commodity. Gene fetishism involves ‘forgetting’ that bodies are nodes in webs of integration, forgetting the tropic quality of all knowledge claims. [...] But the gene is fetishized when it seems to be itself the source of all value“ (Haraway 1997, S. 142ff). Judith Butler: Die Subversion geschlechtlicher Identitäten Auf andere Art und Weise, aber Haraways Ansatz nicht unähnlich, hat sich die postmoderne Feministin Judith Butler (1990) mit der Entkörperlichung auseinandergesetzt. Es sei ein Fehler, anzunehmen, Frauen hätten einheitliche Eigenschaften und Interessen. Jede Frau sei ein eigenständiges Individuum. Frauen würden daher keine einheitliche Gruppe darstellen. Vor allem schwarze Frauen machten darauf aufmerksam, indem sie auf die Differenzen der Perspektiven, Identitäten und Erfahrungen zwischen schwarzen und weißen Frauen aufmerksam machten. Wir finden also auch bei Butler die typisch postmoderne Betonung von Differenz. Feminismus soll, so Butler, nicht als eine politische Bewegung agieren, da dies Einheit und allgemeine Ziele voraussetze. Dies sei aber nicht möglich, da jede Frau einzigartig sei und es nicht ausschließlich einen einzigen Feminismus geben könne. Die im Feminismus gebräuchliche Unterscheidung zwischen biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) reproduziere die patriarchalen Dichotomisierungen. Frauen, so Butler, sollten nicht durch ihr biologisches Geschlecht definiert werden (also durch ihre Möglichkeit, Kinder zur Welt zu bringen), da dies eine große Anzahl an unfruchtbaren und noch nicht bzw. nicht mehr fruchtbaren Frauen ausschließe. Geschlecht ist für Butler keine fixe Eigenschaft einer Person, sondern eine Kategorie, die sich in verschiedenen Kontexten und zu verschiedenen Zeiten wandeln kann. Das Geschlecht sei nicht universell, sondern davon abhängig, wie sich jemand zu einer bestimmten Zeit benimmt. Es sei daher eine Performanz und frei-fließend an Stelle einer fixierten Kategorie: „When the constructed status of gender is theorized as radically independent of sex, gender itself becomes a free-floating artifice, with the consequence that man and masculine might just as easily signify a female body as a male one, and woman and feminine a male body as easily as a female one“ (Butler 1990, S. 6). Notwendig sei heute die Subversion von Geschlecht und Identität (Gender Trouble). Dies stelle einen Versuch der Aufhebung der geschlechtsspezifischen Binärisierung in männlich und weiblich dar. Diese frei fließenden Identitäten sind ein wesentliches Element der QueerTheorien. Dragkünstler(innen) sind Butlers wesentliche Metapher für diese Subversion geschlechtlicher Identitäten. Vor allem im kulturellen Bereich zeige sich durch Stars wie Madonna oder Boy George eine Ambiguität der Geschlechter. Symbolische Politik der ästhetischen Repräsentation sei heute quasi eine wichtige Politikform. Es müsse heute viele Formen der Politik geben, die nicht aufeinander bezogen werden müßten. Auf die Möglichkeit der Subversion geschlechtlicher Identitäten im kulturellen Bereich verweist auch Angerer (1995): „Die gesamte Jugend-, Musik- und Modebranche spielt mit blurring boundaries, mit unisex, gay und lesbian look. In der Modebranche gelten Transvestiten - wie RuPaul - als die besten Models für weibliche Kleidung; in der Musik produzieren Michael Jackson, Boy George, Prince und Madonna uneindeutige Geschlechtsidentitäten; Filme wie The Crying Game, M. Butterfly oder Priscilla: Queen of the Desert finden bei einem breiten Publikum Gefallen. Alle diese hier genannten Momente verweisen auf eine Sehnsucht, auf die Sehnsucht dem prison house of gender, spielerisch-performativ zu entgehen“. Wenn wir einen Vergleich zu Haraways Theoriebildung anstellen, so könnte gesagt werden, daß einerseits Cyborgs als eine Subversion geschlechtlicher Identitäten im Butlerschen Sinn aufgefaßt werden können und daß andererseits Butlers Geschlechtsbegriff als Performanz ein Überschreiten der geschlechtlichen Grenzen zwischen Mann und Frau im Sinn einer/s Cyborg(s) darstellt. Die geschlechtliche Ungleichheit ist für Butler von den Sichtweisen geschlechtlicher Rollen abhängig. Eine Dekonstruktion dieser Wahrnehmungen könne politische Veränderung herbeiführen und aus der patriarchalen Gesellschaft könne eine auf Gleichheit basierende werden. Judith Butlers Ansatz kann als eine Interpretation der Entkörperlichung als Entgeschlechtlichung gesehen werden. Die Subversion geschlechtlicher Identitäten ermögliche das Überschreiten der patriarchalen Dichotomisierung zwischen Mann und Frau. Sherry Turkle: Virtuelle Entkörperlichung als postmoderne Vielfalt an flexiblen Identitäten Vor allem Sherry Turkle griff Butlers Ansatz auf, um das Verhältnis von Identität und neuen Informations- und Kommunikationstechnologien näher zu bestimmen. Eine Auswirkung der IKT ist nämlich die Herstellung einer Derealisierung, die Distanz zwischen Realität und Fiktion hebt sich tendenziell auf, beide verschwimmen: „Fiktion und Realität werden austauschbar, selbst dort, wo man die Daten eines realen Objekts aufnimmt, da der Computer eine unendliche Zahl von Bildern produzieren kann“ (Raulet 1988, S. 289). Turkle (1996) betont, daß Multi User Dungeons (MUDs) - dies sind vernetzte Rollenspiele, die über das Internet gespielt werden - den SpielerInnen ermöglichen, verteilte und multiple Identitäten auszuprobieren. Die Identität eines/r UserIn ist damit nicht mehr eindeutig bestimmbar. Turkle hat untersucht, inwiefern MUDs als Form der sozialen Interaktion Menschen mit Kontaktschwierigkeiten helfen können, diese Probleme zu überwinden. Sie gelangte zu dem Ergebnis, daß MUDs hilfreich sein können, soziale Probleme zu bewältigen, wenn eine Umsetzung der Erfahrungen aus den MUDs ins reale Leben gelingt. Gelingt dies nicht und sind sie ein Medium der reinen Flucht, so können sich bestehende psychische Probleme weiter verschlimmern. Von besonderem Interessen bei den Formen der Herstellung multipler Identitäten in MUDs ist für Turkle (1998) der Geschlechterrollentausch, das Gender-Swapping: „Geschlechtertausch stellt eine Gelegenheit dar, Konflikte zu ergründen, die durch die eigene biologische Geschlechtszugehörigkeit aufgeworfen werden“ (Turkle 1998, S. 345). Durch das Medium des virtuellen Raums kommt es also in MUDs in dem Sinn zu einer Entkörperlichung, daß nicht mehr eindeutig feststellbar ist, ob mit einem Mann oder einer Frau kommuniziert wird. Es könnte daher gesagt werden, daß die Körperlichkeit im virtuellen Raum hinter die Identitätsbildung zurücktritt. Virtueller und physischer Körper stimmen nicht mehr notwendigerweise überein. Im Sinn von Judith Butler könnten MUDs als eine Subversionstaktik geschlechtlicher Identitäten betrachtet werden. Die Manifestationen von multipler Identität, so Turkle, würden zu einer „umfassenden Überprüfung traditioneller, unitärer Identitätstheorien“ beitragen (Turkle 1998, S. 424). Der virtuelle Raum würde es Menschen ermöglichen, ein flexibles und wandlungsfähiges Selbst zu entwickeln. Diese Konzeption des Selbst sei als postmodern zu erachten, da sie eine Vielfalt an flexiblen Identitäten ermögliche. Das Internet besitze die Fähigkeit, Identitätskonzepte zu verändern. Der postmoderne Aspekt der Computertechnologie bestehe darin, daß sie ermögliche, vielfältige Standpunkte einzunehmen. „Ich habe gesagt, die Kultur der Simulation werde uns möglicherweise dabei helfen, die Vision einer multiplen, aber integrierten Identität zu verwirklichen, deren Flexibilität, Elastizität und Genußfähigkeit aus dem freien Zugang zu unseren vielen Selbsten herrührt“ (Turkle 1998, S. 437f). Turkle weist aber auch auf die Gefahr hin, im Cyberspace verloren zu gehen oder den Bezug zur Realität zu verlieren. Sadie Plant: Computertechnologie und Vernetzung als Emanzipation Eine andere postmoderne Feministin, die sich mit dem Verhältnis von Körper und Cyberspace auseinandergesetzt hat, ist Sadie Plant (1997, 2000). In der Moderne seien Frauen wie Nachrichten, die von einem Mann zum nächsten weitergeleitet werden. In einer patriarchalen Gesellschaft würden Frauen nur als Waren und Medien existieren. Sie seien dafür zuständig, die Codes der Männer zu entschlüsseln, deren Nummern zu zählen, deren Kinder zur Welt zu bringen und deren genetischen Codes weiterzugeben. Frauen seien wie Computer verwendet worden - als Maschinen, die das Patriarchat und den Nachwuchs reproduzieren helfen sollen. Durch die Automation der Kommunikation würden sich rhizomatische Netzwerke ausbilden, in denen Linien wichtiger sind als Punkte. Damit bezieht sich Plant auf Deleuze und Guattaris Konzept des Rhizoms, mit dem diese vernetzte Strukturen beschreiben: „In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, einem Baum oder einer Wurzel. Es gibt nichts als Linien“ (Deleuze/Guattari 1977). Damit haben Deleuze und Guattari bereits Ende der 70er-Jahre jene Entwicklungen vorausgesehen, die in den 90ern als Netzwerkgesellschaft beschrieben wurde. Unsere Gesellschaft, so Manuell Castells (1996), sei heute durch eine Netzwerklogik geprägt. Wesentliches Moment dieser Logik ist bei Castells der Raum der Flüsse (Space of Flows). Im Space of Flows zeigt sich nun die Aufhebung von raum-zeitlicher Entfernung. Er zeichne sich nämlich durch die zeitlose Zeit und den ortslosen Raum aus. Der Raum der Flüsse löst die sequentielle zeitliche Organisation durch die Herstellung einer Gleichzeitigkeit auf. Die Nachrichten und die Knoten, zwischen denen sie zirkulieren, sind, so Plant, binär codiert. Der binäre Code sei einerseits zwar auch typisch für das Patriarchat, andererseits würde durch die heutigen technologischen Entwicklungen die Zuschreibung einer männlichen Basis und eines weiblichen Überbaus der Gesellschaft aufgelöst. Der binäre Code als Zuschreibung von 0 und 1: weiblich und männlich verliere heute seine Gültigkeit. Die Netzwerklogik zeige sich heute nicht nur in Wissenschaft, Technik und Ökonomie, auch soziale Bereiche würden sich verstärkt konnektionistisch von unten nach oben selbst organisieren. Entkörperlichung bedeutet für Sadie Plant die Möglichkeit, aus dem eigenen Organismus zu entfliehen. Als Beispiele dafür nennt sie die virtuelle Realität und die englische Tanzszene (Ravebewegung). Die Dance-Kultur sei ein gutes Beispiel für die neue Netzwerklogik, da sich in ihr die vorherrschenden Stilrichtungen permanent verändern. In der Zeit vor Multimedia hätten die Medien auf den Aktivitäten einzelner Organe basiert. Im Bereich von Multimedia zeige sich heute das Überschreiten dieser Grenzen, durch die Konvergenz der Medien komme es auch zu einer Konvergenz ehemals medial separierter körperlicher Organe. Der Körper sei daher heute nicht einfach eine Ansammlung von Organen, sondern ein Punkt der Verschmelzung verschiedenster materieller Flüsse. Die Separation der Individuen von der Natur und dem Rest der Welt komme dadurch zu einem Ende, jedes System der Herrschaft habe auf solchen Spaltungen und Separationen aufgebaut. Kontrolle sei nicht beliebig ausdehnbar und verkehre sich an einem bestimmten Punkt in ihr Gegenteil. Machtstrukturen, die ihre Macht und Kontrolle immer weiter ausweiten wollen, würden diese Kontrolle an einem gewissen Punkt unterminieren, da sie eine von unten nach oben sich selbst organisierende Opposition stimulieren würden. Die Kontrolle von Frauen betreffend, sei dieser Punkt heute erreicht. Es bestehe ein enger Zusammenhang zwischen technologischer Entwicklung und der Emanzipation der Frau: „Just as machines get more intelligent, so women get more liberated!“ (Plant). Ähnlich wie Plant betont auch Evelyn Fox Keller (1986), daß Hierarchien ein typisch patriarchales Charakteristikum sind. In ihrer Analyse bezieht sie sich vor allem auf die Wissenschaft. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen patriarchal-hierarchischen Denkmustern und den Idealen der Naturwissenschaft. Naturwissenschaftler würden die Natur hierarchisch beschreiben, da sich ihr Denken durch Sozialisierung in einer patriarchalhierarchischen Gesellschaft entwickle. Plant (1997) möchte eine alternative Geschichte der Technologie schreiben. Betont werden die technischen Errungenschaften, an deren Entwicklung und Durchsetzung Frauen beteiligt waren. So könne z.B. das Weben, eine für Plant typisch weiblich besetzte Technologie, als die erste Technologie verstanden werden. Betont wird z.B. auch, daß eine Frau, nämlich Lady Ada Lovelace - die Tochter des Dichters Lord Byron -, die erste Programmiersprache entworfen habe. Dies sei in Analogie zum Webstuhl vor sich gegangen. Daher bestehe eine Verbindung zwischen Computertechnologie und Weben. Die Geschichte der Technologie, so wie sie zumeist erzählt und in Büchern publiziert wird, sei eine typisch patriarchale, die weibliche Leistungen unberücksichtigt lasse und Technik als etwas typisch männliches darstelle. So wird heute z.B. von Charles Babbage als dem Erfinder der Differenzmaschine gesprochen, daß Ada Lovelace dazu ganz wesentliche Beiträge geleistet hat, wird kaum erwähnt. Die dezentrale Vernetzung sei schon in der Vergangenheit gezwungenermaßen typisch weiblich gewesen. Vor allem im Bereich der Technologie, aber nicht ausschließlich, zeige sich heute die Erosion zentralistischer Strukturen (Internet, Vernetzung etc.). Es bestehe die Möglichkeit, daß die gesamte Kultur auf einen neuen Organisationsmodus zusteuert, der kompatibler ist mit den Arten des Handelns, mit denen Frauen in der Vergangenheit konfrontiert waren. Die Zukunft gehöre kleinen vernetzten Einheiten, die sich dezentral organisieren. Bei den Netzen des Internets sei dies heute schon der Fall. Bei Plant werde der „Cyberspace als ‘weiblicher Raum’ beschrieben, als ein Raum, in dem Frauen sich von ‘Natur’ aus besser auskennen, der ihnen in gewisser Weise immer schon vertraut war, der auf spezifische Weise ‘weiblich codiert’ zu sein scheint“, so Angerer (1997). Die typisch weibliche Vernetzung zeige sich heute auch in der Technologie des Hypertexts. Plants Buch „Zeros and Ones“ (1997) ist ähnlich einem Hypertext strukturiert. Auch hier besteht wiederum ein Bezug, zu Deleuze und Guattari, die ihr Buch „Tausend Plateaus“ nicht linear schrieben, sondern an verschiedenen Stellen gleichzeitig verfaßten. Es gebe daher keine sequentielle Reihenfolge der Kapitel, sondern diese könnten in beliebiger Reihenfolge gelesen werden. Eine solche implizite Hypertextstruktur und die Tatsache, daß Deleuze und Guattari alltägliche Begriffe neu definieren und dann in ganz anderen Kontexten gebrauchen, macht ein klares und einfaches Verständnis ihrer Werke nahezu unmöglich. Eigene Interpretationen sind notwendig. Das Internet sei ein Beispiel für eine geordnete Unordnung, ein selbstorganisierendes System. Es habe keine traditionelle Struktur und verhalte sich fast chaotisch. Dieses dezentrale Modell ermögliche das Überdenken traditioneller - d.h. zentralistischer und hierarchischer Organisationsweisen gesellschaftlicher Strukturen. In Bezug auf den Computer ist Plant technikoptimistisch. Er ermögliche verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Daraus ergebe sich eine Kompatibilität ehemals inkompatibler Bereiche. In Plant (2000) werden Drogen als Kommunikationstechnologien aufgefaßt. Der Mensch sei ein informationsverarbeitendes System. Drogen würden diese Informationsverarbeitung verändern und würden in die körperliche Kommunikation manipulativ eingreifen. Wird der Körper als Kommunikationssystem betrachtet, so müßten Hormone und Neurotransmitter als chemische Kommunikationsmedien des Körpers aufgefaßt werden. Durch Drogen könnten diese Kommunikationen erweitert oder blockiert werden. Sie seien daher chemische Maschinen, die die körperliche Kommunikation verändern. Der Cyborg sei nun nicht Resultat der Informationstechnologie oder der Kybernetik, sondern resultiere aus den Überlegungen zum Einsatz von Drogen im Weltraum. Denn der bereits erwähnte Aufsatz von Clynes/Kline (1960) beschäftigt sich u.a. mit der Schaffung von Cyborgs, die in außerirdischen Welten mittels maschineller Prothesen überleben können. Diese Prothesen sollten die kontinuierliche Versorgung des Körpers mit speziellen Drogen garantieren. Drogen sind für Plant Waffen: Als Medizin kämpfen sie gegen Schmerz und Infektionen. Die Verteidigungsstrategien von Pflanzen würden häufig auf dem Einsatz von chemischen Substanzen als Waffen basieren. Und auch im militärischen Bereich seien Drogen schon immer als Waffen eingesetzt worden. Z.B. um die Ausdauer von Piloten zu erhöhen oder um Kriminalisierungen unerwünschter Gruppen durchzusetzen. Die Computertechnologie ermögliche es heute, Drogen synthetisch herzustellen, da die chemische Struktur am Bildschirm genau geplant werden könne. Plant geht mit ihren Überlegungen noch einen Schritt weiter und stellt damit den Kontext zum Zusammenhang von Körper und Technologie wieder her: Wenn es möglich sei, Drogen heute am Bildschirm genau zu planen, müsse es auch möglich sein, das Gehirn durch Anschluß an einen Computer zu manipulieren. Sie hält also die Schaffung eines kybernetischen Cyborgmenschen heute für möglich. Bei dem nun geführten Krieg gegen Drogen (War on Drugs) gehe es vor allem um die Herstellung eines staatlichen Monopols der Produktion von und des Handels mit Drogen. Dieser Aspekt der Monopolisierung sei ein typisches Phänomen für die anhaltende Krise des Kapitalismus. Differenzdenken in der Theorie der Postmoderne Allen hier diskutierten Ansätzen ist gemeinsam, daß sie davon ausgehen, daß die voranschreitende Entkörperlichung Emanzipation mit sich bringt: Für Donna Haraway stellen die durch Biotechnologie hergestellten Cyborgs die Hoffnung auf die Emanzipation von geschlechtsspezifischer Unterdrückung dar. Judith Butler hofft auf die Überwindung solcher Unterdrückung durch die Subversion geschlechtlicher Identitäten und einer Subversion im Rahmen von symbolischen und ästhetischen Formen der Politik. Sherry Turkle verbindet mit der Herstellung multipler Identitäten im virtuellen Raum die Hoffnung auf eine Vielfalt von Standpunkten. Für Sadie Plant steht Entkörperlichung für eine Flucht aus dem eigenen Organismus und die Chance auf technisch vermittelte dezentrale, nichthierarchische, vernetzte und von unten selbst aufgebaute Organisationsweisen. Postmoderne Theorieansätze verbinden also offenbar mit der Entkörperlichung die Vorstellung einer Chance auf Befreiung. Symptomatisch für solche Ansichten ist Florian Rötzers (2000) Auffassung, daß Entkörperlichung die Selbstbestimmung der Menschen über ihre Körper mit sich bringe: „Daher heißt jetzt Emanzipation nicht nur Befreiung von sozialen Zwängen und Naturbeherrschung, sondern Selbstbestimmung bis hin zur Gestaltung der eigenen Verkörperung. Und gegen dieses Recht auf die Gestaltung seiner Kinder werden langfristig die Blockaden nicht gehalten werden können, die mit dem Bild einer staatlich verordneten Eugenik verteidigt werden“ (Rötzer 2000, S. 12). Wir haben gesehen, daß postmoderne Feministinnen wie Donna Haraway und Judith Butler Begriffe wie Differenz und Identität stark betonen. Dies wendet sich vor allem gegen vereinheitlichende Konzepte wie die Annahme der Notwendigkeit einer Klassensolidarität in der marxistischen Theorie. Die postmodernistische Identitätspolitik betont nicht die Aspekte eines gemeinsamen Kampfes unterdrückter Gruppen, sondern den Kampf um Anerkennung der Identität bestimmter unterdrückter Gruppen. Steven Best und Douglas Kellner (1997) unterstreichen in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der postmodernen Theorie deren folgende Charakteristika (Best/Kellner 1997, S. 255ff): Die Betonung von Differenz, Pluralität und Komplexität an der Stelle von Universalismus, Vereinheitlichung und Totalisierung. Indeterminismus, Unsicherheit, Ambiguität und Chaos an Stelle von Geschlossenheit und fixen Bedeutungen. Dieser Punkt betrifft vor allem die Methodologie der Wissenschaft. In epistemologischer Hinsicht tritt die postmoderne Theorie für die subjektivistische Konstruktion von Kognition und Wissen ein und wendet sich gegen den Gedanken der Repräsentation, wie er vor allem von der marxistischen Widerspiegelungstheorie vertreten wird. Um noch einen näheren Einblick in den postmodernen Feminismus zu bekommen und eine Kritik anschließen zu können, ist es sinnvoll, einige weitere Ansätze näher zu betrachten. Donna Haraway bezieht sich mit ihrem Begriff des situierten Wissens auf Sandra Hardings (1994) strenge Objektivität. Eine Standpunkt-Theorie des Wissens, so Harding, dürfe nicht von den Erfahrungen männlicher weißer Europäer oder US-Amerikaner ausgehen, sondern müsse die Erfahrungen aller Unterdrückten und ausgeschlossenen Gruppen berücksichtigen. Von verorteter Politik spricht Harding bei Identitätspolitik. Wesentlich sei heute die Arbeit an der Emanzipation der eigenen unterdrückten Gruppen, nicht universalistische Ansprüche der Befreiung der gesamten Menschheit (Butler 1994, S. 289). Dies müsse nun nicht eine vollständige Trennung der politischen Perspektiven mit sich bringen, vielmehr könnten WissenschaftlerInnen aus verschiedenen Gruppen auch aus der Perspektive anderer Gruppen denken. So könne z.B. auch eine weiße Feministin aus der Perspektive einer schwarzen Feministin denken oder ein Mann aus der Perspektive einer Frau. Weiße Feministinnen müßten erkennen, wie sie mit den Erfahrungen Schwarzer verbunden sind. Dies allerdings aus ihrer „eigenen differenten sozialen Identität heraus“ (Harding 1994, S. 299). Die Generierung emanzipatorischen Wissens müsse immer „vom Leben der Menschen in den ausgebeuteten, unterdrückten und beherrschten Gruppen ausgehen“ (Harding 1994, S. 293). Menschen, die nicht Teil bestimmter unterdrückter Gruppen seien, könnten nichtsdestotrotz das von diesen Gruppen generierte Wissen für sich nutzen. Harding betont, daß nicht jede Frau automatisch eine Feministin ist und daß auch Männer feministisches Wissen nutzen und neues generieren können. Jede emanzipatorische Bewegung müsse ihre Ziele heute aus der Perspektive anderer unterdrückter Gruppen betrachten. Es sei nicht der Fall, daß jemand eine spezifische Unterdrückung erfahren haben muß, um sie zu analysieren. Notwendig sei aber der Bezug auf das von Menschen, die mit dieser Form der Unterdrückung konfrontiert sind, generierte Wissen. Eine solche Art der strengen Objektivität setze einige postmodernistische Programmpunkte in die Tat um. Der Feminismus brauche Wissenschaften, die objektiver sind als Praktiken der androzentrischen, bürgerlichen Gruppen im Westen, die Wissenschaft als universell und interesselos ausgeben (ebd., S. 324). Insgesamt beharrt Harding auf dem typisch postmodernistischen Differenzdenken, sie betont differente Identitäten von unterdrückten Gruppen. Jede Gruppe müsse für ihre eigene Befreiung kämpfen, dabei jedoch die Standpunkte anderer unterdrückter Gruppen miteinbeziehen. Auch Evelyn Fox Keller (1986) betont die Notwendigkeit der Differenz und spricht von einem Respekt vor der Differenz. Differenz unterscheide sich grundlegend von dem Prinzip der Spaltung und Dichotomisierung, das typisch für die patriarchale Gesellschaft sei. Sie unterscheidet Erkenntnis, die durch Differenz zustandekommt, von Differenz, die durch Spaltung entsteht. Differenz ermögliche den Schutz des Individuellen. Vielfalt, Differenz und Einzigartigkeit müßten anerkannt werden. Sie spricht sich für ein dynamisches Konzept der Objektivität aus. Dabei müsse die Differenz zwischen dem Selbst und dem Anderen erkannt werden. Statische Objektivität setzte im Gegensatz dazu bei einer Trennung des Subjekts vom Objekt an. Die herrschende Wissenschaft basiere auf einer Entgegensetzung von Liebe und Wissen, dynamische Objektivität bedeute hingegen eine Form der Liebe. Typisch patriarchal sei die Zweiteilung der Welt - „in Liebe und Wissenschaft, Gefühl und Vernunft, Körper und Geist“ (Fox-Keller 1996b, S. 41). Fox Keller (1996b) betont, daß für den postmodernen Feminismus typisch sei, daß er davon ausgeht, daß Frauen und Männer sowie Körper das sind, was ihnen eingeschrieben wird. Daher handle es sich beim sozialen Geschlecht um eine soziale Konstruktion, die dekonstruiert werden müsse. Weiters sei für diese Art des Feminismus der Diskurs der Differenz wesentlich. Fox Keller tritt also für eine neue Methodik der Wissenschaft ein, die auf differentem Denken beruht. Die wesentlichen Thesen der diskutierten Vertreterinnen des postmodernen Feminismus zur Entkörperlichung können folgendermaßen zusammengefaßt werden: • Biotechnologie und Entkörperlichung als Chance auf Überwindung geschlechtsspezifischer Unterdrückung, Spaltungen und Grenzen • Situiertes Wissen als Wissen(schaft), das/die auf der Seite der Unterdrückten steht und die Differenz der Unterdrückten berücksichtigt • Judith Butler sieht Geschlecht als Performanz und Entkörperlichung als die Subversion geschlechtlicher Grenzen durch symbolische und ästhetische Formen der Politik • Bei Sherry Turkle kann Entkörperlichung als die Herstellung multipler Identitäten im virtuellen Raum verstanden werden. Dadurch sei ein flexibles Selbst und eine postmoderne Vielfalt der Standpunkte möglich. • Sadie Plant betont, daß die Netzwerklogik zwangsweise schon lange typisch für das Handeln von Frauen sei. Sie will die Geschichte der Technik weiblich umschreiben. Heute zeige sich vor allem im Bereich der Computertechnik die Erosion zentraler Strukuren und die Herausbildung dezentral vernetzter selbstorganisierter Strukturen. Diese technische Entwicklung sei eng verknüpft mit der Möglichkeit gesellschaftlicher Veränderung hin zu mehr Vernetzung und Dezentralisierung. Daraus ergebe sich auch die Möglichkeit der Emanzipation vom Patriarchat. 3. Eine marxistisch-feministische Kritik der postmodernistischen Theorie Für einen marxistischen Feminismus Um eine Kritik an diesen Thesen zu formulieren, ist eine nähere Analyse des Verhältnisses von Kapitalismus und Patriarchat notwendig. Als Ziele eines marxistischen Feminismus könnte die Aufklärung der Funktionsweise von Herrschaft und Ausbeutung im kapitalistischen Patriarchats, eine sich daran anschließende Kritik dieser Verhältnisse und die sich daraus ergebende Aufhebung aller Klassenverhältnisse formuliert werden. Für einen marxistischen Feminismus einzutreten, bedeutet nicht, eine Unterscheidung von Haupt- und Nebenwidersprüchen zu kultivieren. Im traditionellen Marxismus, angefangen bei Marx und Engels, wurde die Ausbeutung von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt. Das Patriarchat wurde als reines Überbauphänomen betrachtet, das nach Aufhebung des Klassenverhältnisses von Kapital und Arbeit von alleine verschwinden würde. Die patriarchale Herrschaft wurde im Sinn von Althusser zu einem Nebenwiderspruch des Kapitalismus erklärt. Deshalb aber zu behaupten, daß sich Feminismus gegen den Marxismus wenden muß und ein feministischer Marxismus niemals möglich sein kann, bedeutet, daß bürgerliche Dichotomisierung reproduziert werden. Ein marxistischer Feminismus ist möglich und er kann die Einheit verschiedener Klassenverhältnisse berücksichtigen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation benötigt, um sich reproduzieren zu können. Bestehende Ansätze des marxistischen Feminismus haben die patriarchale Orientierung der marxistischen/ sozialistischen/kommunistischen/anarchistischen Theorie und Praxis kritisiert. Dies wird häufig in feministischen Kritiken am Marxismus ausgeblendet. „[For] „Mechanical Marxists“ [...] the only ‘real’ and important things that go on in capitalist society are those things that relate the productive process or the conventional political sphere. From such a point of view, every other part of experience and social existence - things having to do with education, sexuality, recreation, the family, art, music, housework (you name it) - is peripheral to the central dynamics of social change; it is part of the ‘superstructure’ or ‘culture’. Socialist feminists are in a very different camp from what I am calling ‘Mechanical Marxists’. We [...] see capitalism as a social and cultural totality. [...] we never compartmentalized women off to the ‘superstructure’“ (Ehrenreich 1976/1997, S. 68). Daran schließt sich ein Interesse eines marxistischen Feminismus an, die Ausbeutung von Frauen als Klassenverhältnis zu beschreiben. Die Erklärung der patriarchalen Ausbeutung zu einem Nebenwiderspruch resultiert tatsächlich zu einem guten Teil aus der theoretischen Annahme eines mechanistischen Basis-Überbau-Modells, in dem die ökonomisch-materielle Basis Kultur, Politik, Ideologie, Theorie, Religion, Erziehung, Bildung, Sexualität, Familie, Hausarbeit etc. als Überbauphänomene in letzter Instanz determiniert. Ein marxistischer Feminismus müßte daher ein solches mechanistisches Modell durch ein dynamisches ersetzen, um eine Einheit aller Widersprüche und Ausbeutungsverhältnisse des Kapitalismus beschreiben zu können. Um dies in Anätzen zu bewerkstelligen, können wir folgende Annahmen treffen: Eine Gesellschaft besteht aus den Subsystemen Ökonomie, Politik und Kultur. Die Ökonomie ist jenes gesellschaftliche Subsystem, in dem es um die (Re-)Produktion, Distribution, Konsumtion und Allokation von Gebrauchsgütern und Ressourcen geht. Die Politik ist jenes gesellschaftliche Teilsystem, in der Entscheidungen über die Lebensumstände der Gesellschaftsmitglieder getroffen werden. Und die Kultur jenes Subsystem, in dem Ideen, Einstellungen und Meinungen entstehen. Das sind grundsätzliche Bestimmungen für jede Form der Gesellschaft. Es zeigen sich jedoch auch spezifische Ausprägungen von Ökonomie, Politik und Kultur in jeder Phase der gesellschaftlichen Evolution. Die derzeitige Phase, in der wir leben, ist der Kapitalismus. Ökonomie ist daher in unserer Gesellschaft heute immer kapitalistische Ökonomie. Und diese basiert auf der Mehrwert produzierenden Lohnarbeit, die eine Basis einer weiteren Funktionsbestimmung, nämlich der Realisierung des Profits ist. Weitere grundsätzliche Kategorien sind das Privateigentum an Produktionsmitteln, der Tauschwert, die Ware, das allgemeine Äquivalent des Tausches - die Geldform -, das Kapital und sein permanenter Verwertungs- und Akkumulationsprozeß. Im Kapitalismus tritt der Gebrauchswert der Güter hinter den Tauschwert. Relevant ist nicht der gesellschaftliche Bedarf an Gütern, sondern die Aussicht auf Profitrealisierung durch die Produktion bestimmter Waren. Der Kapitalismus zeichnet sich durch Antagonismen in den gesellschaftlichen Subsystemen aus. Kapital und Mehrwert existierten auch bereits vor Existenz der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Das spezifisch Neue des Kapitalismus ist die Selbstzweckhaftigkeit des Werts (sein permanenter Fluß und seine Vermehrung durch Akkumulation und Rückkopplung auf sich selbst) durch die Metamorphose und die erweiterte Reproduktion des Kapitals, in Rahmen derer sich Kapital von Geld- in Warenkapital verwandelt, die Form von Produktivkapital annimmt und sich schließlich durch die Mehrwertproduktion in mehr Waren- und Geldkapital zurückverwandelt wird. Ökonomie, Politik und Kultur stehen miteinander in wechselseitigen Verhältnissen und beeinflussen sich daher gegenseitig. Die Kausalität, die diesen Beziehungen zu Grunde liegt, ist keine mechanistische. D.h., daß nicht jede Wirkung auf genau eine Ursache zurückzuführen ist. Vielmehr haben wir es mit einer multidimensionalen Form der Kausalität zu tun: Eine Wirkung kann viele Ursachen haben und eine Ursache kann viele Wirkungen zu Folge haben. Gesellschaft ist ein hoch komplexes System, daher können Ursachen und Wirkungen einander nicht bijektiv zugeordnet werden. Auf Grund dieser komplexen Kausalität ist es nicht der Fall, daß ein gesellschaftliches Subsystem das Geschehen in anderen determinieren kann. Gesellschaft folgt daher auch nicht einem simplen BasisÜberbau-Modell. Es ist jedoch so, daß in der kapitalistischen Gesellschaft die Ökonomie ein dominantes Verhältnis zu Politik und Kultur einnimmt. D.h., sie determiniert nicht das politische und kulturelle Handeln und deren Entwicklung, aber sie beeinflußt sie in so einem Ausmaß, daß auch Politik und Kultur von der ökonomischen Logik des Kapitalismus geprägt sind. Derartige Beeinflussungen können aber niemals einen vollständigen Charakter annehmen, da solche Argumentationen des strukturalistischen Ökonomismus wenig Spielraum für alternative Entwicklungen lassen und daher qualitative Veränderung der Gesellschaft prinzipiell ausschließen. Resultat sind statische und mechanistische Gesellschaftsmodelle. Gesellschaft als komplexes System ändert sich jedoch dynamisch und unterliegt keiner mechanistischen Kausalität. Politik und Kultur haben daher auch immer Rückwirkungen auf den Bereich der Ökonomie. Die Evolution des Kapitalismus wird daher nicht von der Ökonomie determiniert, sondern von Ökonomie, Politik und Kultur beeinflußt. Die ökonomische Prägung ist dabei auf Grund der Dominanzverhältnisse (Ökonomie dominiert Politik und Kultur) stärker als die poltische und kulturelle. Die Ökonomie determiniert nicht das Auftreten von Krisen des Kapitalismus, ökonomische Aspekte spielen aber eine wesentliche Rolle. Genauso existieren aber politische Krisen, die mit den ökonomischen in Wechselwirkung stehen können. Bei einer Krise des Kapitalismus kann es sich um ökonomische oder politische Krise handeln oder um die Einheit von beidem. Unter Annahme einer derartigen multidimensionalen Kausalität des Kapitalismus und unter Berücksichtigung der komplexen Wirkungen zwischen gesellschaftlichen Subsystemen, wird die Ausbeutung von Frauen nicht mehr als ein Überbauphänomen angesehen, sondern in allen drei gesellschaftlichen Subsystemen angesiedelt (Ökonomie, Kultur und Politik). Sehen wir uns dies näher an. Zunächst die ökonomische Dimension: Der Kapitalismus kann sich nur durch die Aufrechterhaltung antagonistischer Klassenverhältnisse permanent reproduzieren. Ein Klassenverhältnis bedeutet eine Ausbeutungs- und Herrschaftsbeziehung zwischen einer ausbeutenden/herrschenden und einer ausgebeuteten/beherrschten Gruppe. Es ist offensichtlich, daß zwischen Kapital und Lohnarbeit ein Ausbeutungsverhältnis besteht. Die Lohnarbeitenden produzieren ein Mehrprodukt, daß sich die Kapitalisten aneignen und das dem Kapital keine zusätzlichen Kosten verursacht. Bei Marx wurde die Mehrwertproduktion zur Definitionskategorie beim Klassenbegriff. Daher wurden z.B. patriarchale Verhältnisse nicht als Klassenverhältnisse verstanden. Ein Klassenbegriff, der die soziale Fragmentierung und die Prekärisierung der Lebensverhältnisse im Postfordismus erfassen soll, muß jedoch eine allgemeinere Festlegung erfahren. Dies wird durch die Verknüpfung von Klassen- und Ausbeutungsbegriff erreicht. Dadurch ist es auch einsichtig, daß davon ausgegangen wird, daß es nicht ein, sondern mehrere Klassenverhältnisse im Kapitalismus gibt. Bei Betrachtung jedes einzelnen Klassenverhältnisses muß spezifiziert werden, um welche Form der Ausbeutung es sich handelt. Im Fall des Verhältnisses zwischen Kapital und Lohnarbeit ist die Ausbeutungsdimension eben dadurch gegeben, daß sich das Kapital die gratis geleistete Mehrarbeit der Arbeitenden aneignet. Es kann davon ausgegangen werden, daß es sich auch beim kapitalistischen Patriarchat um ein Klassenverhältnis handelt. Die Hausarbeit dient der Produktion und Reproduktion der Lohnarbeit. Als Gegenleistung erhalten die Hausarbeitenden einen (meist geringen) Anteil des Lohnes der Lohnarbeitenden (oder die Arbeit muß vollständig gratis geleistet werden), der jedoch niemals die gratis geleistete Arbeit aufwiegen kann. Im Mehrwert, den das Kapital abschöpft, findet sich auch die Reproduktionsarbeit, die von den meist weiblichen Hausarbeitenden geleistet wird, um die zumeist männlichen Lohnarbeiter zu reproduzieren. Daher beutet das Kapital nicht nur die doppelt „freien“ Lohnarbeitenden aus, sondern auch die unfreien Reproduktionsarbeitenden. Diese nahezu gratis geleistete Reproduktionsarbeit ist für den Kapitalismus wesentlich, da es nicht möglich ist, daß alle notwendigen Tätigkeiten bezahlt werden. Dies würde die Kapitalakkumulation schwer beeinträchtigen und zusätzliche ökonomische Krisen begünstigen. Um überhaupt bestehen zu können, benötigt der Kapitalismus daher gratis geleistete Arbeit. Von einem Ausbeutungsverhältnis kann gesprochen werden, da sich das Kapital und die Lohnarbeitenden die Reproduktionsarbeit aneignen. Die Lohnarbeitenden werden zu Ausbeutern, um fähig zu sein, selbst ausgebeutet zu werden. Es handelt sich hier also um ein Ausbeutungsverhältnis zwischen den Hausarbeitenden einerseits und Kapital sowie Lohnarbeit andererseits. Der doppelt „freie“ Lohnarbeiter ist eigentlich dreifach „frei“, da er auch frei ist von der Reproduktionsarbeit, die zumeist die Hausfrau (im Postfordismus immer häufiger unter Mehrbelastungen) übernimmt. Wir können beim kapitalistischen Patriarchat von einer Produktionsweise und einem Ausbeutungsverhältnis sprechen. Rosa Luxemburg (1913) betonte in ihrer Imperialismustheorie nicht nur, daß Imperialismus bedeutet, daß der Kapitalismus immer weitere Gebiete erfaßt, sondern auch, daß trotz der ständigen Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsweise und damit des Lohnarbeitsverhältnisses die Nicht-Lohnarbeit eine wesentliche Rolle im Kapitalismus spielt. Sie meint, daß der Prozeß der ursprünglichen Akkumulation im entfalteten Kapitalismus nicht abgeschlossen sei, sondern andauert. Marx sprach davon, daß in der „ursprünglichen Akkumulation“ der Mehrwert durch Gewaltandrohung ausgepreßt wurde und die Menschen mit eben diesen Methoden in die Lohnarbeit gezwungen wurden (Enteignung des Landvolkes von Grund und Boden, gewaltsame Verwandlung der Landbevölkerung in Industrieproletariat). Erst später sei an diese Stelle das Konstrukt des doppelt „freien“ Lohnarbeiters getreten, der „frei“ (d.h. gezwungen) ist, seine einzige Ware, die Arbeitskraft, auf den Arbeitsmarkt zu schmeißen und der frei ist von den Produkten, die er herstellt (d.h.: sie gehören ihm nicht). Luxemburg spricht von nichtkapitalistischen Milieus und Schichten und meint damit Bereiche, in denen die Arbeitenden keine doppelt freien Lohnarbeitenden sind. Sie vertritt die Ansicht, daß der Kapitalismus immer wieder nichtkapitalistische Milieus produziert, damit die Akkumulation des Kapitals überhaupt funktionieren kann. Im marxistischen Feminismus wurde die Milieutheorie Rosa Luxemburgs aufgegriffen und die Hausarbeit, die als Reproduktionsarbeit die Reproduktion von Arbeitenden und Kapitalismus garantiert, als Milieubereich interpretiert. Der marxistische Feminismus propagiert, daß die billige oder umsonst geleistete Arbeit von Frauen wesentlich zur Generierung von Mehrwert, der Basis des Profits und des Kapitalismus, beiträgt. Es wird also versucht, eine Beziehung zwischen Frauenunterdrückung und Kapitalismus herzustellen. Hausarbeit kann mit Bezug auf Luxemburg als Milieu interpretiert werden, der Haushalt und die Familie können als Kolonie angesehen werden5. „In den Industrieländern sind die Hausfrauen die idealtypischen Subsistenzproduzenten und Nichtlohnarbeiter, in den ehemaligen Kolonien sind es hauptsächlich Frauen und Bauern. Gemeinsam ist beiden, daß die Ausbeutung und Überausbeutung ihrer Arbeit nicht unmittelbar durch das Lohnverhältnis geschieht, sondern durch andere Zwänge, und daß ihre Arbeit die Basis darstellt, auf der die Ausbeutung der sogenannten Lohnsklaven erst stattfinden kann“ (BennholdtThomsen/Mies/Werlhof 1992, S. 107, vgl. auch Mies 1996, S. 46-53). Demnach braucht die kapitalistische Produktionsweise für ihr Wachstum die Ausbeutung von Kolonien wie Frauen, anderen Völkern und der Natur. Wir gehen davon aus, daß der Kapitalismus Milieus braucht, die er im Rahmen einer ursprünglichen Akkumulation äußerst profitabel ausbeuten kann, um überhaupt existieren zu können. Im Postfordismus kommt es zu einem verstärkten Ausbau dieser Milieus. Dies stellt einen Versuch dar, die Profitabilitätskrise und die anhaltende Dauerkrise auf Kosten immer größerer Teile der Weltbevölkerung zu lösen. Zu diesen ausgebeuteten Milieus gehört im Postfordismus nicht nur die patriarchale Produktionsweise, sondern auch die Dritte Welt, prekär Beschäftigte und rassistische Produktionsverhältnisse. 5 Maria Mies betont mit Bezug auf Maria-Rosa Dalla Costa, daß Frauen im dreifachen Sinn ausgebeutet werden: von den Männern, als Hausfrauen durch das Kapital und als Lohnarbeiterinnen (Mies 1996, S. 54). Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, sind wie Hausfrauen, sie sind eine Quelle unkontrollierter und unbeschränkter Ausbeutung. Diese Informalisierung und Prekärisierung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse in der derzeitigen postfordistischen Phase des Kapitalismus, also die Verallgemeinerung der unfreien und marginalisierten Hausfrauenarbeit, wird als „Hausfrauisierung“ bezeichnet (siehe Mies 1996, S. 26-28). Ziel der Hausfrauisierung ist die Einsparung von Arbeitskosten. Daß Frauen heute immer häufiger in Lohnarbeitsverhältnissen anzutreffen sind, bedeutet kein Ende des Patriarchats, wie manche bürgerliche FeministInnen meinen. Ganz im Gegenteil: Das kapitalistische Patriarchat benötigt für seine postfordistische Existenzweise in prekären Lohnarbeitsverhältnissen beschäftigte Frauen, die zusätzlich noch die gratis geleistete oder niedrig bezahlte Hausarbeit übernehmen und damit einer Vielfachbelastung ausgesetzt sind. „Frauenarbeit im Postfordismus heißt, rund um die Uhr für Kapitalismus und Patriarchat zur Verfügung zu stehen“ (Ruf 1990, S. 301). Die patriarchale Produktionsweise ist Milieu und Kolonie der ursprünglichen Akkumulation und kann nur durch ein konstruiertes Klassenverhältnis zwischen ausgebeuteten Reproduktionsarbeitenden und ausbeutendem Kapital bestehen. An dieser Ausbeutung beteiligen sich häufig auch männliche Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft nur durch dieses Ausbeutungsverhältnis reproduzieren können. Der Lohnarbeiter ist genauso wie der Kapitalist eine Charaktermaske des Kapitalismus, er erfüllt eine Rolle und Funktion als ausgebeuteter Ausbeuter. Die patriarchale Produktionsweise ist heute aber nicht das einzige Milieu ursprünglicher Akkumulation. Betont werden muß, daß diese Milieus nicht starr sind, sondern einem historischen Wandel unterliegen. Die immer kleiner werdende Zahl der KernarbeiterInnen6 kann ihre Vollzeitarbeitsverhältnisse im Postfordismus nur dadurch aufrecht erhalten, daß das Kapital dafür sagt, daß die Arbeitsverhältnisse der peripheren ArbeiterInnen immer schlechter werden. Die überausgebeuteten peripheren ArbeiterInnen stellen eine eigene Klasse da, die durch das Kapital ausgebeutet wird. An diesem Herrschaftsverhältnis beteiligen sich die KernarbeiterInnen häufig dadurch, daß sie der Spaltung der Arbeitenden Vorschub leisten und ihren eigenen Vorteil auf Kosten anderer verfolgen. Von einer Solidarität zwischen Arbeitenden kann daher heute keine Rede sein. Arbeitende in rassistischen Produktionsverhältnissen werden ebenfalls durch das Kapital überausgebeutet. Mit Überausbeutung ist gemeint, daß das Kapital periphere, patriarchale und rassistische Verhältnisse (Kolonien der ursprünglichen Akkumulation) schafft, um unter deregulierten Arbeitsbedingungen und unter Minimierung des variablen Kapitals ein Maximum an Mehrwert auszupressen. KernarbeiterInnen, periphere ArbeiterInnen und Arbeitslose beteiligen sich häufig an der Aufrechterhaltung rassistischer Herrschaftsverhältnisse, da sie hoffen, dadurch ihre eigene relativ bessere Situation aufrechtzuerhalten. Daher stellen rassistisch Ausgebeutete eine eigene Klasse dar, die in einem Ausbeutungsverhältnis zu Kapital und anderen FördererInnen des Rassismus steht. Ein weiteres Klassenverhältnis besteht zwischen Zentrum und Peripherie, da einerseits über den Weltmarkt Armut in der „Dritten Welt“ generiert wird und andererseits der Kapitalexport dazu führt, daß Mehrwert in den peripheren Räumen produziert wird, der ins Zentrum zurückfließt. Der Kapitalismus benötigt Milieus ursprünglicher Akkumulation, die überausgebeutet oder ausgeschlossen werden, damit die Kapitalakkumulation funktionieren kann und der Kapitalismus seine Reproduktionsfähigkeit garantieren kann. Als solche Milieus können die patriarchale und die rassistische Produktionsweise, die Peripherie („Dritte Welt“), die peripheren ArbeiterInnen und die Arbeitslosen betrachtet werden. 6 Zur Unterscheidung von Kernarbeitenden und peripheren Arbeitenden siehe Atkinson (1984, S. 14ff) und Atkinson/Gregory (1986, S. 14). Ausbeutung und Herrschaft funktioniert nicht einfach so, sondern benötigt immer eine ideologische Legitimation, die im kulturellen Bereich der Gesellschaft anzusiedeln ist. Kapitalistisches Patriarchat legitimiert die Ausbeutung von Frauen, indem diese naturalisiert werden. Es wird den Frauen als inhärente und „von Natur aus“ zukommende Eigenschaften zugeschrieben, daß sie für Reproduktionsarbeit zuständig sind. Die totalitäre Selbstverständlichkeit des Kapitalismus besteht darin, daß gewisse Verhältnisse nicht hinterfragt werden, sondern als selbstverständlich oder als Eigenschaften von Dingen dargestellt werden. Es ist allerdings nicht selbstverständlich, daß Frauen als Reproduktionsarbeitende ausgebeutet werden, sondern Notwendigkeit des kapitalistischen Patriarchats für dessen Reproduktion. Ideologische Zuschreibungen dienen der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse. Dabei zeigen sich Dichotomisierungen wie Natur/Kultur, Hand- und Reproduktionsarbeit/Technik, privat/öffentlich-politisch, Geist/Körper, sanft/aggresiv, unterwürfig/dominant, friedlich/kriegerisch-zerstörerisch, lebensschöpfend/lebendsfeindlich, kooperativ/wettbewerbsorientiert, einfühlsam/körperorientiert, emotional/rational, kreativ/strukturierend, intuitiv/logikorientiert, Liebe/Herrschaft, zurückhaltend/risikobereit, ängstlich/mutig, dumm/intelligent, hübsch/potent, sexy/männlich, naiv/selbstbewußt, zurückhaltend/aggressiv etc. Die Ideologie des kapitalistischen Patriarchats erzeugt derartige Dichotomisierungen, um jeweils eine Seite als typisch männlich und die andere als typisch weiblich darzustellen. Dies erfolgt in Verbindung mit Naturalisierungen, dem von Donna Haraway so genannten Genfetischismus. All diese Eigenschaften werden als in den Genen von Männern bzw. Frauen befindlich dargestellt. Tatsächlich entstehen sie jedoch aus sozialen Verhältnissen und sind eigentlich nicht typisch männlich oder weiblich, sondern werden dies nur durch eine konstruierte Zuschreibung, die spezifische Zwecke erfüllen soll. Und dieser Zweck ist die Kontrolle, Beherrschung und Ausbeutung weiblicher Körper. Um Frauen an spezifische Territorien (vor allem den Bereich der Haus- und Reproduktionsarbeit) zu binden, werden die ideologischen Konstruktionen, Fetischismen und Naturalisierungen benötigt, die diese Tätigkeiten als immer schon typisch weiblich darstellen. Es wird als selbstverständlich dargestellt, daß Frauen sich „wie Frauen“ zu verhalten haben. Und sich wie eine Frau zu verhalten, bedeutet dabei immer, den Ansprüchen der Männer gerecht zu werden und sich ihrer Kontrolle im Alltag, der Sexualität und der Ökonomie zu unterwerfen. Auch Michèle Barrett (1980/1997) betont die Bedeutung von Ideologie bei der Konstruktion von Geschlecht und den Aspekt der Verbindung zu den ökonomischen Verhältnissen durch die Rolle, die die Ideologie in der Reproduktion der Arbeitskraft spielt. Ideologie spiele eine wesentliche Rolle in der Unterdrückung von Frauen. Barrett betont ein wechselseitiges Verhältnis von kapitalistischer Ökonomie und Ideologie, um mechanistische Basis-ÜberbauModelle zu vermeiden. Ideologie versteht sie als eine Kategorie, die für Prozesse steht, durch die Bedeutung erzeugt, herausgefordert, reproduziert und transformiert wird (Barrett 1980/1997, S. 93). Gender sei eine sozial konstruierte Ideologie, die helfe, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Reproduktionsarbeit aufrechtzuerhalten. Im hier vorliegenden Ansatz wird davon ausgegangen, daß die Produktion von Mehrwert an die Existenz von Milieus der ursprünglichen Akkumulation - und daher auch an die Reproduktionsarbeit als Form der Ausbeutung - gebunden ist. Erwähnt werden soll jedoch auch, daß es marxistisch-feministische Ansätze gibt, die von einer Trennung von Wertproduktion und Reproduktionsarbeit ausgehen. So formuliert etwa Roswitha Scholz (2000) eine Wertabspaltungs-These: Die Entstehung des Werts durch abstrakte Arbeit sei überhaupt nur möglich, indem das als typisch weiblich konstruierte - Sinnlichkeit, Emotionalität, Hausarbeit etc. - abgespalten, inferior gesetzt und als unbedeutend ausgegrenzt wird: „Die Wert-Abspaltungsthese behauptet nun [...] eine „Abspaltung“ des Weiblichen, der Hausarbeit etc. vom Wert, von der abstrakten Arbeit und den damit zusammenhängenden Rationalitätsformen, wobei bestimmte weiblich konnotierte Eigenschaften wie Sinnlichkeit, Emotionalität usw. der Frau zugeschrieben werden; der Mann hingegen steht etwa für Verstandeskraft, charakterliche Stärke, Mut usw. Der Mann wurde in der modernen Entwicklung in mit Kultur, die Frau mit Natur gleichgesetzt“ (Scholz 2000, S. 9). Wert und vom Wert Abgespaltenes seien dialektisch vermittelt, eine Erfassung der Abspaltung durch die Wertkritik sei nicht möglich. Zu den abgespaltenen Bereichen werden z.B. Erotik, Sexualität, Liebe, Gefühle, Emotionen, Betreuung, Pflege, Konsumtion und Haltungen gezählt. All diese Bereiche würden sich der Warenform entziehen. Wert und Abspaltung würden sich wechselseitig voraussetzen, seien also beide Konstitutionsprinzipien warenproduzierender Gesellschaften. Wir gehen davon aus, daß die durch Dichotomisierungen als typisch weiblich konstruierten Eigenschaften und Tätigkeiten von der Wertproduktion eine ideologische Dimension darstellen, die benötigt wird, um die Wertproduktion und die ökonomische Ausbeutung der Frauen als Reproduktionsarbeitende zu legitimieren. Der Kapitalismus benötigt für seine Reproduktion sowohl die patriarchale Produktionsweise als Milieu der ursprünglichen Akkumulation als auch die ideologische Konstruktion von weiblichen Typisierungen und deren Abwertung. Reproduktionsarbeit schafft zwar keinen Wert, ist also keine abstrakte, mehrwertschaffende Arbeit. Im Sinn von Marx kann sie also unproduktive Arbeit gesehen werden. Die Mehrwertproduktion ist allerdings vermittelt mit der Reproduktionsarbeit, sie benötigt die Reproduktionsarbeit, um überhaupt möglich zu sein. Insofern hat Scholz recht, wenn sie von einer „Wertabspaltung“ spricht. Allerdings ist dieser Begriff ihreführend, da er vermittelt, daß Wertproduktion und Reproduktionsarbeit vollständig voneinander getrennt sind. Wir sprechen nichtsdestotrotz von einer häuslich-patriarchalen Produktionsweise der ursprünglichen Akkumulation, da hier immer wieder von Neuem Gebrauchswerte und Dienstleistungen gratis produziert werden. Und ursprüngliche Akkumulation bedeutet eben auch, daß Frauen durch gesellschaftliche Zwänge, Kontrolle und Gewaltanwendung dazu gebracht werden, immer wieder neue Reproduktionsarbeit zu leisten. Durch die Technisierung des Haushalts sollen Frauen immer mehr Reproduktionsarbeit in immer kürzerer Zeit leisten, um die Reproduktion der Lohnarbeitenden zu beschleunigen. Die Existenz von Milieus der ursprünglichen Akkumulation bedeutet nicht, daß in ihnen notwendigerweise Mehrwert geschaffen wird, sondern daß die Mehrwertproduktion diese Milieus, in denen nahezu gratis Arbeit geleistet wird, für den permanenten Reproduktionsprozeß des Kapitals benötigt. Die politische Dimension des kapitalistischen Patriarchats besteht darin, daß nicht nur ideologische Mittel zur Aufrechterhaltung der Ausbeutung und Beherrschung von Frauen eingesetzt werden, sondern daß auch konkrete Zwangs- und Gewaltmittel die männlich dominierte Gesellschaftsordnung aufrechterhalten helfen. Dazu gehören einerseits staatliche Mittel wie Gewaltmonopol, Justiz, Polizei und Militär und andererseits die männliche Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Bereich. Die staatliche Dimension zielt auf die Aufrechterhaltung der herrschenden kapitalistischen Ordnung und damit auch auf das kapitalistische Patriarchat als zu erhaltenden Status Quo. Die private Dimension ist ebenfalls politisch, physische, psychische und sexuelle Gewalt gegen Frauen soll deren Disziplinierung und Unterordnung unter die herrschende Logik sicherstellen. Die Agenten dieser Gewalt handeln aber nicht bewußt „im Aufrag des kapitalistischen Patriarchats“, sondern werden wiederum durch ideologische Muster in ihrer Sozialisierung derart geprägt, daß sie Gewalt gegen Frauen als legitim empfinden. Eine marxistisch-feministische Kritik des Postmodernismus Auf Basis einer solchen Konzeption des marxistischen Feminismus und der Analyse des kapitalistischen Patriarchats kann nun eine Kritik der bereits behandelten Ansätze des postmodernistischen Feminismus erfolgen. Postmodernistische Theoretikerinnen wie Judith Butler und Sadie Plant betonen als politische Perspektiven vor allem eine Identitätspolitik, die auf dem Repräsentationsfeld der Kultur stattfindet. Kultur wird zum Repräsentationsfeld von Widerstand und Auflehnung, Politik zur rein symbolischen Politik. Wurde dem Marxismus häufig ein (sicher nicht zu rechtfertigender) Ökonomismus unterstellt, so kann dem Postmodernismus ein Kulturalismus unterstellt werden, der von der Notwendigkeit politischer Veränderung abstrahiert. Sicherlich ist Kultur ein Feld politischer Auseinandersetzung. Kultur ist politisch, kann politisch agieren und Politik hat eine spezifische Form der Kultur. Problematisch ist jedoch die Reduktion potentieller gesellschaftlicher Veränderung auf den kulturellen Bereich. Der postmoderne Feminismus konzentriert sich zu sehr auf Identität und Kultur und läßt kapitalistische Widersprüche und eine Klassenanalyse außer Acht. „Cultural and identity politics replaced the early focus on capitalism and class divisions among women“ (Gimenez 1998). Auch die marxistischen Feministinnen Rosemary Hennessy und Chrys Ingraham kritisieren an Theorien der Postmoderne, daß diese Klassen als wesentliche Strukturmerkmale des Kapitalismus außer Acht lassen. Sie meinen, daß sich viele postmoderne feministische DenkerInnen wie Donna Haraway als materialistische Feministinnen bezeichnen7, daß ihre Ansätze aber nur als kultureller Materialismus gesehen werden können, da sie sich fast ausschließlich auf Ideologie, Staat, kulturelle Praktiken, Bedeutung und Repräsentation beschränkten. „Cultural materialism rejects a systemic, anticapitalist analysis linking the history of culture and meaning-making to capital’s class system“ (Hennessy/Ingraham 1997a, S. 5). Kultureller Feminismus konzentriere sich auf die kulturellen Aspekte patriarchaler Unterdrückung. Diese Art von Feminismus nehme an, daß Frauenunterdrückung nichts mit den materiellen Produktionsverhältnissen zu tun habe. Hennessy und Ingraham zählen Donna Haraway explizit zu diesen „kulturellen Feministinnen“. Zum Bereich der Kultur muß gesagt werden, daß Kultur als Kulturindustrie eine wesentliche Funktion im Kapitalismus erfüllt. Sie ist der ideologische Versuch, Ohnmacht und Manipulation herzustellen. Aspekte der Kontrolle und Manipulation durch Massenmedien wurden vor allem von der Frankfurter Schule betont. Theodor W. Adorno meinte, daß sich der Kapitalismus immer wieder selbst erhalten kann, sei u.a. Kontrollmechanismen geschuldet. Der Mensch in der Moderne identifiziere sich immer stärker mit seiner Ausbeutung und Unterdrückung (Adorno 1970, S. 147). Die Möglichkeiten der Flucht vor der Erfassung und Bestimmung des Bewußtseins durch Kontrollmechanismen, so Adorno, schrumpfen immer mehr. Die herrschenden Zustände hätten sich so weit in die Menschen eingeprägt, daß diese kaum mehr fähig seien, jene zu verändern. Der Mensch könne durch die soziale Kontrolle des Geistigen nicht mehr Subjekt seiner Selbst sein. Eine besondere Rolle spielt dabei für Adorno die Kulturindustrie: „Automatisch sowohl wie planvoll sind die Subjekte daran verhindert, sich als Subjekte zu wissen. Das Warenangebot, das sie überflutet, trägt dazu ebenso bei wie die Kulturindustrie und indirekte Mechanismen geistiger Kontrolle. Die Kulturindustrie ging aus der Verwertungstendenz des Kapitals hervor“ (Adorno 1970, S. 146). In der „Dialektik der Aufklärung“ widmen Adorno und Max Horkheimer der Kulturindustrie unter dem Titel „Kulturindustrie, Aufklärung als Massenbetrug“ ein eigenes Kapitel: Die Kultur im Kapitalismus werde immer mehr Massenkultur und zeichne sich durch eine Eindimensionalität aus. Alle Kultur sei unter dem Monopol des Kapitals identisch (Adorno/Horkheimer, 1969, S. 128). Fernsehen, Rundfunk, Kino und Unterhaltungsmusik seien nichts als „Schund“, „nichts [...] als Geschäft“ (Adorno/Horkheimer 1969, S. 129). Durch die so aufgebauten Kanäle der Herrschaft würde nichts durchgelassen, das dem Begriff des Konsumenten widerspreche. Adorno und Horkheimer sehen also die Kulturindustrie als ein Medium für die Herstellung der Einschränkung des Bewußtseins der Menschen, für die 7 In Haraway (1996) meint diese z.B., sie sei eine „unverbesserliche und hartnäckige Marxistin“ (Haraway 1996, S. 350). Degradierung der Individuen zu Personen durch Manipulation und Kontrolle und für die Zerstörung des Selbst. Die Kulturindustrie halte die Menschen ohnmächtig. Bei diesem Verfahren sei für jeden etwas vorgesehen, das ihn begeistern kann. Die kulturindustriellen Erzeugnisse, so Adorno und Horkheimer, erscheinen dadurch differenziert, seien aber immer das ewig Gleiche in Form von Waren. Die Kulturindustrie konfrontiere die Arbeitenden in ihrer Freizeit mit den von ihnen selbst hergestellten Waren, um deren geistige Tätigkeiten zu besetzen, d.h. zu bestimmen. Die Kulturindustrie verfüge über ihre Konsumenten. Auch der marxistische Philosoph Herbert Marcuse (Marcuse 1967) argumentiert, daß die Unterbindung sozialen Wandels mittels einer durch die Technik vermittelte politische und geistige Gleichschaltung der Menschen für die fortgeschrittene Industriegesellschaft charakteristisch sei. Ziel dabei sei, sozialen Protest zu unterbinden. Die Individualität der Menschen werde unterdrückt. Diese Gleichschaltung sei immer weniger mit direkter Gewalt und Zwang verbunden, sondern eine ökonomisch-technische. Andererseits geht Marcuse aber davon aus, daß es durchwegs Kräfte gibt, die „die Gesellschaft sprengen können“ (Marcuse 1967, S. 17). Diese eindimensionale Welt sei das Gegenteil von einer freien, da eine solche eine Freiheit von ökonomischer und politischer Kontrolle umfassen müßte. Erst dann wäre die Wiederherstellung eines individuellen Denkens möglich. Freiheit im Sinn der freien Auswahl aus einem breiten Spektrum aus Waren und Dienstleistungen bedeute keine Freiheit, wenn diese Waren die soziale Kontrolle aufrechterhalten. Die Menschen würden sich in den Waren wiedererkennen, sie würden für ihr Auto, ihren HiFi-Empfänger oder ihr Küchengerät leben (Marcuse 1967, S. 29). Durch die Manipulation des Geistes mit Hilfe der Technik, der Massenmedien und der Waren entsteht, so Marcuse, ein eindimensionales Denken und Verhalten: „So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universum herabgesetzt werden“ (Marcuse 1967, S. 32). Adorno, Marcuse und auch Debord (1978) vertreten die These, daß im Kapitalismus die Manipulation der Realitätswahrnehmung der Menschen ein wesentliches ideologisches Mittel zur ungestörten Reproduktion der kapitalistischen Verhältnisse darstellt, das vor allem über kulturelle Medien hergestellt wird. Ist dies jedoch der Fall, so geht der postmoderne Kulturalismus von Butler und anderen falsch in der Annahme, daß Kultur ein bevorzugtes Feld gesellschaftlicher Veränderung sein kann. Die Repräsentation von Differenz und Veränderung in Warenform kann den Kapitalismus niemals transzendieren und ihn nur beschränkt ernsthaft kritisieren. Kultur soll nicht ein gewisser politischer Charakter, der auch eine emanzipatorische Dimension haben kann, abgesprochen werden. Problematisch ist jedoch die Reduktion von politischer Emanzipation auf die kulturelle Repräsentation von Identität. Wir gehen im Gegensatz zum Kulturalismus von einem Primat der politischen Emanzipation aus. Auch Nicola Field (1995/1997) betont, daß die logische Konsequenz einer Identitätspolitik die Kommodifizierung politischer Anliegen sei. Widerstand gegen Unterdrückung könne nicht erkauft werden. Identitätspolitik würde die Wurzeln von Unterdrückung und Ausbeutung ausklammern. Kritisiert wird weiters, daß diese postmodernistische Form der Politik annimmt, daß nur jene gegen Unterdrückung kämpfen können, die einer spezifischen Gruppe angehören. Jene, die außerhalb stehen, würden als unverbesserliche UnterdrückerInnen aufgefaßt. Dies führe zu einem Separatismus8. Es käme zu einer reinen Lifestylepolitik, der Fetischierung und Kommodifizierung von Identitäten. 8 „Separatism [...] is destructive because it alienates and overlooks the mass of potential allies and supporters who have a material and immediate interest in fighting all the forms of oppression which proceed from Carole A. Stabile (1997) kritisiert, daß Identitätspolitik vorschlägt, daß Identitäten wie Kleidungsstücke gekauft werden können. Die Kommodifizierung von Lebensstilen und die Vermarktung immer neuerer Konsumnischen (z.B. spezielle Musik, Kleidung etc. für Homosexuelle oder angeblich durch kulturelle Praktiken rebellierende Frauen - sogenannte Riot Grrls) enstpringe aus der Globalisierung des kapitalistischen Weltsystems. Typisch für postmodernistische Theorien seien antiorganisatorische Vorurteile und die Idealisierung und rebellische Stilisierung des Kulturellen. Bei kulturalistischen Feminismen besteht die Gefahr, daß die symbolische Politik dazu führt, daß der Kauf von Waren als Symbol für gesellschaftliche Veränderung steht und diese auf einer politischen Ebene außer Acht gelassen wird. Zwar kritisiert auch Judith Butler (1990) Identitätspolitik in dem Sinn, daß diese zu neuen Ausschlüssen führen könne, ihre Alternative lautet allerdings wiederum Identitätspolitik im Sinn einer kulturalistischen „Subversion“ geschlechtlicher Identitäten. Für die postmodernistische Identitätspolitik läßt sich sagen, daß sie eben jene Dichotomisierungen, die die kapitalistische Gesellschaftsformation auszeichnen und durch die sich diese ideologisch reproduziert, nicht aufhebt, sondern unter veränderten Vorzeichen neu setzt. Unterdrückte Gruppen beharren dabei auf ihre Identität und Differenz, und es scheint nicht mehr um die Aufhebung von Herrschaftsverhältnissen zu gehen, sondern nur um eine Umkehr der Hegemonie - also lediglich um die Schaffung neuer Herrschaftsverhältnisse. Postmoderne Theoretikerinnen wie Haraway, Butler, Harding und Fox Keller betonen zwar zu Recht, daß eine vollständige Vereinheitlichung der Interessen und Ziele unterdrückter Gruppen nicht möglich ist. Dies kann auch damit erklärt werden, daß vereinheitlichende Herangehensweisen wie der Traditions-Marxismus oftmals die Unterschiedlichkeit ausgebeuteter Gruppen nicht ausreichend berücksichtigt und verschiedene Formen der Ausbeutung als Nebenwidersprüche abgetan haben. Es muß allerdings auch darauf hingewiesen werden, daß heute die Emanzipation von Ausbeutung, Herrschaft und Unterdrückung nur durch gemeinsame, vernetzte Aktivitäten aller ausgebeuteten, beherrschten und unterdrückten Gruppen möglich erscheint. Im postfordistisch ökonomisch globalisierten Kapitalismus ist Widerstand nur als globalisierter Widerstand sinnvoll. Damit verbunden ist die Vorstellung von sich global vernetzenden emanzipatorischen sozialen Netzwerken. In Fuchs (2000) wurden solche Formen des Protests und des Widerstands als rhizomatische soziale Netzwerke bezeichnet. Wird wie in postmodernistischen Theorien von einem Primat der Differenz ausgegangen, so berücksichtigt dies die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns verschiedener unterdrückter Gruppen nicht ausreichend. Bei der politischen und kulturellen Vernetzung können mehrere Formen unterschieden werden (vgl. dazu ausführlich Fuchs/Hofkirchner 2000). Eine imperialistische, die davon ausgeht, daß ein Teil höhere und bessere Qualitäten als die anderen Teile besitzt und daß sich daher die Aktivitäten aller nach den Vorstellungen dieses sich als superior erachtenden Teils richten müssen. Eine solche Herangehensweise bedeutet eine Einheit ohne Vielfalt. Die typisch postmodernistische Form ist eine dualistische, die die Differenz der Identitäten der einzelnen Teile betont und daher gemeinsames Vorgehen für unmöglich und als nicht wünschenswert erachtet. Dies bedeutet eine Vielfalt ohne Einheit. Eine dialektische Position wäre jene der Einheit in der Vielfalt: Das potentiell emanzipatorische Subjekt ist heute nicht eine Klasse, sondern die globale, vernetzte Einheit in der Vielfalt aller Klassen und unterdrückten Gruppen. Vernetzte, emanzipatorische soziale Bewegungen müssen nicht homogene Interessen haben und auf eine Homogenisierung ihrer Politik abzielen, um eine gemeinsame politische Perspektive zu erlangen. Sie müssen auch nicht auf ein Zulassen aller möglichen politischen Richtungen - ein anything goes - innerhalb ihres rhizomatischen Netzwerkes hinarbeiten. exploitation and divisiveness. Divisiveness, fragmentation, separation - all these are weaknesses which prevent any force for liberation from gaining strength in numbers“ (Field 1995/1997, S. 266). Vielmehr können sie eine dialektische Einheit in der Vielfalt betreiben, d.h. daß sie einerseits die Unterschiede in ihren politischen Herangehensweisen und Vorstellungen sowie in der Ausprägung in ihren spezifischen lokalen und regionalen politischen Situation betonen können und andererseits aber nichtsdestotrotz gleichzeitig eine gemeinsame Perspektive entwickeln können, indem sie das Verbindende betonen, herausarbeiten und als ein Leitbild der politischen Praxis verwenden. Eine solche Herangehensweise ist auch das Muster der dialektischen Form der kulturellen Globalisierung, die sich von reduktionistischen, projektionistischen und dualistischen Arten unterscheiden läßt. Die Kulturwissenschaftler Steven Best und Douglas Kellner (1997) sehen eine solche politische Position als Synthese von moderner und postmoderner Politik. Es sei eine Einheit von Herangehensweisen der „modernen Politik“ wie die Betonung von Solidarität, Allianzen, Konsens, universellen Rechten und einer Makropolitik sowie von Herangehensweisen der „postmodernen Politik“ wie die Betonung von Differenz, Pluralität, Multiperspektivität, Identität und einer Mikropolitik notwendig. Eine solche Dialektik von Moderne und Postmoderne könne bei der Lösung der großen politischen Probleme fruchtbar sein. Einheit in der Vielfalt bedeutet in Bezug auf emanzipatorische Veränderung, daß sämtliche ausgebeuteten und unterdrückten Klassen (wir können antagonistische Klassenverhältnisse zwischen Kapital/Lohnarbeit, Kapital + KernarbeiterInnen/peripheren ArbeiterInnen, Kapital + Männern/Reproduktionsarbeitenden, Kapital + andere FördererInnen des Rassismus/rassistisch Ausgebeutete, Zentrum/Peripherie unterscheiden) und Gruppen eine gemeinsame Perspektive eigentlich dadurch haben, daß ihre Beherrschung spezifische Funktionen innerhalb des kapitalistischen Weltgesellschaftssystems erfüllt. Es wäre also notwendig, daß all diese Gruppen global ihre Verbundenheit erkennen und darauf basierend eine solidarische emanzipatorische Praxis entwickeln. Eine solche Einheit bedeutet aber nicht Homogenisierung. Denn sehr wohl müßten die unterschiedlichen Identitäten, Ziele, Erfahrungen und Perspektiven der einzelnen Gruppen ausreichend berücksichtigt werden. Hier ist die postmodernistische Differenz dann doch von Bedeutung. Wird allerdings entweder Vereinheitlichung oder Differenz total gesetzt, so ist das Resultat entweder projektionistische Überheblichkeit oder postmodernistische Separation und Zersplitterung. Notwendig wäre also eine Dialektik von Differenz und Vereinheitlichung in der Möglichkeit politischer Veränderung. So könnten Gemeinsamkeiten und Differenzen von z.B. schwarzen FeministInnen, weißen mitteleuropäischen LohnarbeiterInnen, Homosexuellen9, Arbeitslosen, prekär Beschäftigten, Reproduktionsarbeitenden, indischen Bäuerinnen, mexikanischen Indigenas etc. gleichzeitig ausreichend berücksichtigt werden. Knapp (1996) weist berechtigterweise darauf hin, daß die neue Rechte den postmodernistischen Differenzdiskurs aufgreift, um eine Differenz der Kulturen zu behaupten und rassistische Separationen zu verlangen: „Zunehmend beunruhigt und irritiert mich die Vereinnehmbarkeit des auch in der feministischen Diskussion populärer werdenden ‘Differenz-Denkens’ durch rechte Politiker, die sich dabei [...] auf die ‘postmodernen Philosophen’ beziehen. Wie beispielsweise in einem Interview mit Armin Mohler, Bibliograph der sogenannten Konservativen Revolution, REP-Parteigänger und Kolumnist der Jungen Freiheit, mit dem Gründer der ‘Nouvelle Droite’ Alain de Benoist, der [...] von der ‘Anerkennung der Differenz’ als Grundelement einer rechten Kulturrevolution spricht“ (Knapp 2000, S. 140f). Roswitha Scholz (2000) betont als Kritik am postmodernen Feminismus den Zusammenhang von Differenz-Denken und Neoliberalismus: „In den letzten 30 Jahren hat im Zuge einer umfassenden Computerisierung, Medialisierung und auch Kommerzialisierung ein gesellschaftlicher Wandel stattgefunden, der für gewöhnlich mit soziologischen Begrifflichkeiten wie ‘Individualisierung’, ‘Freisetzung aus traditionellen (Geschlechts-)Rollen’, ‘Flexibilisierung von Biographien’, ‘Pluralisierung der Lebenswelten und -stile’ umschrieben wird. ‘Differenzen’ - seien sie individueller, ‘ethnischer’ oder sexueller Art - gewannen in diesem 9 Auch die Diskriminierung von Homosexuellen folgt einem typischen ideologischen Muster der bürgerlichen Gesellschaft. Nämlich der Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr potentielle Feindbilder und konkurrierende Gruppen, um spezifische Zwecke durchzusetzen. Die bürgerliche Gesellschaft schafft Stereotype von konstruierten „Anderen“, in die der Haß und die Wut über die eigene Diskriminierung, Unterdrückung und Beherrschung von bestimmten Gruppen und Klassen projiziert wird. Zusammenhang vermittelt über die kulturell-symbolisch-ästhetische Dimension zunehmend an Bedeutung. Postmoderne und poststrukturalistische Konzeptionen reflektieren diese Entwicklung, allerdings nicht kritisch [...], sondern ausgesprochen positiv“ (Scholz 2000, S. 6). In welche Richtung die neoliberale Betonung von Differenz geht, zeigt sich heute immer deutlicher: Massenarmut, Massenarbeitslosigkeit, Nationalismus, Rassismus und eine Prekärisiserung immer größerer Teile der Weltbevölkerung. Zur Kritik an Donna Haraway muß gesagt werden, daß sie genauso wie Sadie Plant technologisch deterministisch argumentiert. Von einer technischen Entwicklung (in diesem Fall der Entkörperlichung durch das Überschreiten der Grenzen zwischen Mensch und Maschine) wird die Emanzipation vom Patriarchat erwartet. Sie wendet sich zwar gegen den Fetischismus in Form des Genfetischismus, argumentiert jedoch selbst technikfetischistisch. Technik ist die zweckmäßig orientierte Einheit der Mittel, Verfahren, Fertigkeiten und Prozesse, die notwendig sind, um definierte Ziele zu erreichen. Sie steht in jeder Gesellschaft in einem wechselseitigen Verhältnis mit der Gesellschaft. Technik ist daher wechselseitig vermittelt mit den Antagonismen des Kapitalismus in Ökonomie, Kultur und Politik. Sie ist Medium und Resultat dieser Widersprüche. Im Kapitalismus besteht eine Umkehr der ZweckMittel-Relation: Es werden nicht mehr Zwecke identifiziert, zu deren Erreichen Technik ein Hilfsmittel ist, sondern Technik wird zum Selbstzweck. Ihr Hauptsinn besteht nun in der effektiven Organisation der Kapitalakkumulation in Form des technischen Produktionsmittels. Technik dient nicht mehr den Menschen zur Erleicherung ihres Daseins und ihrer Auseinandersetzung mit der Natur, sondern der effektiven Ausbeutung der Arbeitenden (und dazu zählen auch die Reproduktionsarbeitenden) durch das Kapital und der Produktion des Mehrwerts. Sie ist im Kapitalismus Mittel der Herrschaft und zur Produktion von Mehrwert und ist dadurch in die Widerspruchhaftigkeit des Kapitalismus eingebunden. Im Kapitalismus ist Technik Herrschaftsmittel und daher auch Mittel, um die Kontrolle und Herrschaft über Frauen aufrechtzuerhalten. Wenn Haraway die Gen-, Reproduktions- und Biotechnologien positiv besetzt, so mißachtet sie den herrschaftsförmigen Charakter der Technik in der kapitalistischen Gesellschaft. Technikreduktionistische und -determinstische Argumentationen ignorieren das wechselseitige Verhältnis von Technik und Gesellschaft und betonen ausschließlich technisch induzierte gesellschaftliche Veränderungen. Technik ist allerdings nur ein Mittel, das angewendet wird, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Sie kann weder Emanzipation bewirken noch als die Ursache von Frauenunterdrückung erachtet werden. Beides kann nur aus sozialen Verhältnissen bzw. deren praktischer Aufhebungsbewegung resultieren. Plant und Haraway mißachten dies und schreiben der Technik an sich emanzipatorische Fähigkeiten zu. Emanzipation ist allerdings eine soziale Herstellung der Freiheit von Herrschaft. Resultat ist bei Haraway und Plant ein verdinglichender Technikfetischismus. Technik in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft hat einen patriarchal-kapitalistischen Charakter, dieser ist ihr aber nicht an sich inhärent oder fix eingebaut, sondern entspringt aus sozialen Verhältnissen und aus dem wechselseitigen Bezug von Technik und Gesellschaft aufeinander. Die Emanzipation von bestehenden Verhältnissen bringt allerdings nicht automatisch eine neue, am Menschen orientierte Technik mit sich, erstes ist aber die Basis der Entwicklung von zweitem. Als problematisch erscheint auch Haraways Bezug auf die Actor-Network-Theory von Bruno Latour. Dieser Ansatz ist nämlich ebenfalls ein verdinglichender, da technische Artefakte als wissenschaftliche Akteure gefaßt werden, die gleichbedeutend mit WissenschaftlerInnen seien. Wissenschaft wird damit verdinglicht, Artefakte nicht mehr als aus sozialen Beziehungen resultierend, sondern als Resultat von Beziehungen zwischen „gleichberechtigten“ Menschen und Dingen begriffen. Zwar weist Haraway auch auf die Gefahren der Biotechnologien hin, insgesamt gesehen setzt sie aber viel mehr Hoffnung als Kritik in die neuen Technologien. Gefahren wie jene einer neuen Eugenik, der Züchtung von willenlosem und besonders ausbeutbarem Menschenmaterial oder der Schaffung einer neuen Dimension der technisch vermittelten Beherrschung und Kontrolle von Frauen werden eindeutig unterschätzt. Haraway verdreht die Argumentation und meint, daß Gegner der Biotechnologien möglicherweise rassistische Absichten hätten. Auf ihren Begriff des situierten Wissens trifft genauso wie auf Hardings strenge Objektivität und auf Fox Kellers dynamischen Objektivitätsbegriff die formulierte Kritik an postmodernistischen Differenzansätzen zu. An Judith Butler kann kritisiert werden, daß sie einer kulturalistischen Identitätspolitik das Wort redet, in der vor allem DragkünstlerInnen als Subjekt der Veränderung gelten. Die Subversion von Identitäten ist eben nur für eine kleine Gruppe von Menschen möglich, eine gesellschaftliche Emanzipation von Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen rückt dabei in den Hintergrund. „Butler fails to illustrate how subversive, ‘performative’ acts might play an integral part in the lives of anyone outside a minority of drag artists and extrovert performers, used to shock tactics and making a statement“ (Young 1998). „[Es] [...] spricht auch einiges dafür, daß die heutige Attraktivität des Transi-Seins viel mit der Verdrängung des grauen Krisenalltags und der damit zusammenhängenden düsteren Zukunftsaussichten zu tun hat“ (Scholz 2000, S. 149). Auch Sherry Turkle spricht von einer postmodernen Vielfalt der Standpunkt und läßt mit dieser Betonung von Differenz die bereits gemachten Einwände und die Notwendigkeit einer Einheit in der Vielfalt außer Acht. Wie wir gesehen haben, entstehen geschlechtsspezifische Identitäten im Kapitalismus durch Ideologien, die Frauen bestimmte Eigenschaften zuschreiben und damit deren Ausbeutung und Beherrschung legitimieren sollen. Auch Turkle argumentiert technikreduktionistisch und -deterministisch, wenn sie mit der Zunahme der Bedeutung des Cyberspaces die Hoffnung auf ein flexibles Selbst verbindet. Eine Aufhebung unterdrückerischer Identitäten kann nicht alleine durch ein technisches Medium bewerkstelligt werden, sondern nur durch eine Aufhebung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse in Politik, Ökonomie und Kultur. Sadie Plant muß sich wie Judith Butler den Vorwurf des Kulturalismus und der Reduktion politischen Protests auf eine symbolische Lifestylepolitik gefallen lassen. Auch ihre Argumentation ist technikdeterministisch, da sie aus dem dezentralen, vernetzten und antihierarchischen Charakter des Internets gesellschaftliche Veränderungen in Richtung einer selbstorganisierten und vom Patriarchat befreiten Gesellschaft ableitet. Wir haben bereits gesehen, daß die Typisierung von Frauen, d.h. die Zu- und Einschreibung spezifischer Eigenschaften in weibliche Körper, im kapitalistischen Patriarchat ein Mittel darstellt, um Frauen an bestimmte Territorien zu binden sowie um ihre Ausbeutung, Kontrolle und Beherrschung zu legitimieren. Plant betreibt ebenfalls eine solche Typisierung, wenn auch mit verändertem Vorzeichen: Wurde traditionell Technik männlich besetzt, um Frauen aus diesem Bereich herauszuhalten und um Technik als Mittel der Kontrolle und Herrschaft aufrechtzuerhalten, so dreht Plant den Spieß um: Technik, Vernetzung und Dezentralisierung seien typisch weiblich. Solch positiv besetzte Typisierungen des Weiblichen wurden auch im radikalen Feminismus immer wieder benutzt, um auszudrücken, daß eine „bessere“ Gesellschaft eine an angeblich weiblichen Werten orientierte sein müsse. Das Problem besteht nun aber darin, daß die für bürgerliche Ideologien typischen Dichotomisierungen nicht aufgegeben werden, sondern einfach nur umgekehrt werden. Resultat könnte ein matriarchaler Kapitalismus oder ein Femopatriarchat sein. Die vollständige Aufhebung des kapitalistischen Patriarchats bedarf nicht nur grundlegender politischer und ökonomischer Veränderung, sondern muß auch mit einer Aufhebung der bürgerlichen Ideologien einhergehen, die die herrschende Ordnung legitimieren helfen sollen. Gesellschaftliche Veränderung muß also Einheit von ökonomischer, politischer und kulturell-ideologischer Veränderung darstellen, um emanzipatorisch wirksam zu werden. Typisierungen unter umgekehrten Vorzeichen gehen über die bürgerliche Ideologiebildung nicht hinaus. Den hier kritisierten Ansätzen des postmodernen Feminismus ist gemeinsam, daß sie Entkörperlichung als die Chance auf Emanzipation aus patriarchalen Verhältnissen verstehen. Nicht ausreichend berücksichtigt wird dabei, daß es im kapitalistischen Patriarchat vor allem um Körperkontrolle geht. Die Kontrolle der Körper von Lohn- und Reproduktionsarbeitenden und StaatsbürgerInnen, um Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse aufrechtzuerhalten. Daher sollten Entkörperlichung und Biotechnologien nicht vorschnell als emanzipatorisch betrachtet werden, indem die Einbettung in bestehende politökonomische Verhältnisse vernachlässigt wird. Es ist vielmehr angebracht, sich die potentiellen Gefahren der Verschärfung bestehender Herrschaftsverhältnisse durch neue Technologien und Veränderungen der Körperlichkeit des Menschen anzusehen. 3. Technik und Entkörperlichung als Herrschaftsmechanismen Wir haben bereits gesagt, daß Technologie heute patriarchal-kapitalistisches Herrschaftsmittel ist. D.h. nicht, daß Technik keine positiven Auswirkungen haben könnte, und es bedeutet auch nicht, daß die Technik an sich ein Dämon ist, sondern daß das dialektische Verhältnis von Technik und Gesellschaft im kapitalistischen Patriarchat so eingesetzt wird, daß Kontrolle über Beherrschte ausgeübt wird. „Als Vermittler von Macht wird die Technologie [...] in jedem Herrschaftssystem dazu entwickelt und benutzt, um die Interessen derer, die oben stehen, zu fördern. Für uns Frauen heißt das, wir müssen die Technologiefrage mindestens unter zwei Gesichtspunkten untersuchen: unter dem Gesichtspunkt von Klasse und unter dem Gesichtspunkt von Geschlecht als zwei schwer auf uns lastenden Herrschaftssystemen“ (Cockburn 1988, S. 17). Technik ist heute typisch männlich besetzt, damit werden Frauen aus höher qualifizierten Jobs und von der Kontrolle technischen Wissens ferngehalten. Die Herstellung von Maschinen und die Produktion des dafür notwendigen Wissens sind heute hochqualifizierte Tätigkeiten. Frauen hingegen finden sich vor allem in Berufen, die schlecht bezahlt sind, wenig soziale Absicherung bieten und in denen am ehesten die Gefahr besteht, in Armut oder prekäre Lebensverhältnisse abzurutschen. Sie sind der technischen Kontrolle ihres Arbeitsvermögens in einem höheren Ausmaß ausgesetzt als Männer, da letzte sich verstärkt in hochqualifizierten und planenden Tätigkeiten und im Management vorfinden. Frauen verrichten zumeist Arbeiten in schlechter bezahlten und abgesicherten Berufszweigen, haben innerhalb der einzelnen Zweige weniger Aufstiegschancen und finden sich vor allem auf den untersten hierarchischen Positionen. Die kapitalistische Produktionsweise benötigt für ihre permanente Reproduktion und für die Akkumulation des Kapitals möglichst effektiv ausbeutbare Arbeitende. Je geringer der variable Kapitalanteil, desto höher der zu erwartende Profit. Daher ist es ein strukturelles Phänomen, daß Frauen durch ideologische Zuschreibungen und Typisierungen schlechtbezahlte und prekäre Arbeitsverhältnisse zugewiesen werden. Ein liberaler Reformismus, der darauf abstellt, Frauen dieselben Bildungs- und Aufstiegschancen wie Männern zu ermöglichen, muß scheitern, da das kapitalistisches Patriarchat die Ausbeutung von Frauen für seine Existenzweise benötigt. Ziel kann nur die Auflösung der Herrschaftsund Ausbeutungssysteme sein, denen Frauen und auch Männer ausgesetzt sind. Eine stärkere Teilhabe von Frauen an der Ausübung von Herrschaft oder die Umkehr der Herrschaftsverhältnisse kann nicht als emanzipatorisches Ziel erachtet werden. Die Dequalifizierung und Prekärisierung weiblicher Arbeit entspringt der kapitalistischen Logik. Sally Hacker (1989) zeigt an Hand der Analyse des Mondragon-Systems, daß es nicht ausreicht, Arbeit kooperativ und mehr partizipativ zu gestalten, um patriarchale Arbeits- und Herrschaftsverhältnisse aufzulösen. Vielmehr bedarf es zuerst einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung. „Cooperative workplaces form part of a new democratic society - but they cannot stand alone“ (Hacker 1989, S. 138). Als adäquaten Weg in eine herrschaftsfreie Gesellschaft sieht Hacker die Strategien des sozialen und feministischen Anarchismus. Emanzipation bedeutet nicht nur die Aufhebung sämtlicher Herrschaftsverhältnisse (und damit auch des Patriarchats), sondern auch die Aufhebung der ideologischen Typisierungen, die Unterdrückte in ihren Positionen festschreiben und naturalisieren helfen sollen. Die Aufhebung der Typisierung der Geschlechter müßte also ein Ziel emanzipatorischer Praxis sein. Um eine nichtpatriarchale Gesellschaft zu ermöglichen, darf Männlichkeit nicht mit Technik, Produktion etc. und Weiblichkeit mit Reproduktion, Hausarbeit etc. gleichgesetzt werden (oder umgekehrt!). Die Aufhebung der ideologischen Komponente muß Teil der Aufhebung der klassen- und geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sein. Das Ende des Patriarchats ist nur in Einheit mit der Auflösung von Geschlechtertypisierungen in unserem Denken vorstellbar. Steigen nun einige Frauen in höhere Positionen auf, so wird dies nichts an der global prekären Lage der meisten Frauen verändern. Frauen sind in Bezug auf die Produktion von und den Umgang mit Technik nicht weniger geeignet als Männer. Entsprechende Zuschreibungen, die aber das Gegenteil davon behaupten, sind ideologische Dichotomisierungen, die die Ausbeutbarkeit von Frauen sicherstellen und legitimieren sollen. Die Kontrolle der Produktionsmittel ist eine Form von Macht, um andere in Abhängigkeit zu treiben. Der Kapitalismus basiert nun auf der exklusiven Kontrolle von Produktionsmitteln und Ressourcen (und damit auch der Technik) durch das Kapital, um Menschen in Lohnarbeitsverhältnisse zu zwingen. Damit sich die Lohnarbeitenden nun reproduzieren können, existiert ein weiterer Macht- und Kontrollmechanismus: Die Kontrolle des Arbeitslohns durch den männlichen Lohnarbeiter, um Frauen in Reproduktionstätigkeiten zu zwingen. Zwar sind immer mehr Frauen heute berufstätig, dies bedeutet aber zumeist Mehrfachbelastungen und prekäre Lohnarbeit gekoppelt mit prekärer Hausarbeit. Eine ideologische Funktion der Zuweisung von prekären Arbeiten an Frauen besteht darin, daß Männer diese ählich wie MigrantInnen als Konkurrenz am Arbeitsmarkt begreifen und häufig die Wut über die eigene Situation nicht auf das Kapitalverhältnis, sondern auf Frauen und MigrantInnen projizieren. Den Zusammenhang von Technik mit Klassen- und Geschlechterverhältnissen betont auch Gomez (1994). Männer würden die weibliche Hausarbeit auch über das Design von Elektrogeräten kontrollieren. Diese Kontrolle würde sich in der männlichen Kontrolle über den weiblichen Körper fortsetzen. Die Kontrolle weiblicher Körper würde also u.a. durch technisches Design sichergestellt. Als Beispiel dafür wird genannt, daß viele Haushaltsgeräte so gestaltet sind, daß sich Frauen bücken oder hinsetzen müssen, um sie zu bedienen. „Technology presents itself as an instrument in the hands of men that dramatizes and augments masculine supremacy“ (Gomez 1994, S. 144). Typisch für die kapitalistische Ökonomie sind zyklische Krisen. Seit den 70ern kann aus vielfältigen Gründen von einer Dauerkrise des kapitalistischen Weltsystems gesprochen werden. Natürlich versucht das Kapital durch verschiedenste Maßnahmen dem Fall der Profitraten entgegenzusteuern. Heute sind derartige Maßnahmen die neoliberale Politik und eine flexible Akkumulationsstrategie. Insgesamt gesehen führt dies zur Deregulierung der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation, zur permanenten Schwächung der sozialen Absicherung der Lohnarbeitenden und zum Ausbau prekärer Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Frauen sind von der sich daraus ergebenden Prekärisierung der Lebensverhältnisse immer größerer Teile der Weltbevölkerung im besonderen Ausmaß betroffen, da sie sich im Kapitalismus schon immer in sozial besonders prekären Verhältnissen befunden haben. Die Profitrate kann durch die Ausweitung von unbezahlter Mehrarbeit erhöht werden. Traditionell wurde diese Arbeit von Frauen erledigt, da ihre Arbeit als weniger wert gilt als Männerarbeit. Die Krise des Fordismus ist eine Krise der relativen Zunahme des Profits. Durch eine Schlechterstellung der Arbeitenden und die Prekärisisrung immer weiterer Teile der Arbeitsverhältnisse wurde vom Kapital der Versuch gestartet, die Profitraten wieder zu erhöhen. Die Folge davon ist die für den Postfordismus typische „Hausfrauisierung“: Immer mehr Beschäftigungsverhältnisse nehmen den Charakter von Frauenarbeit an (schlecht oder gar nicht bezahlt, keine oder schlechte sozialstaatliche Absicherung durch Sozialversicherung, Arbeitsrecht und Kollektivvertrag). Der neue Schub an ökonomischer Globalisierung, den wir heute erleben, bedeutet nichts anderes, als daß Kapitalkosten durch die Verlagerung von Produktionseinheiten eingespart werden sollen. Und von der sich daraus ergebenden Überausbeutung in äußerst niedrig bezahlten und schlecht abgesicherten Arbeitsverhältnissen sind Frauen wiederum in einem überproportionalen Ausmaß betroffen. I&K-Technologien können als Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung betrachtet werden, sie werden für eine Umstrukturierung des kapitalistischen Weltsystems eingesetzt. Daraus ergibt sich der Zuammenhang IKTGlobalisierung-Hausfrauisierung. Symptomatisch dafür ist beispielsweise, daß europäische und amerikanische Elektronikkonzerne bevorzugt in Asien produzieren. Und von der Überausbeutung in diesen Weltmarktfabriken sind wiederum vorwiegend Frauen betroffen. Neue Technologien verbessern also nicht die soziale Situation von Frauen im kapitalistischen Weltsystem, eher das Gegenteil ist der Fall. „Ebensowenig wie die neue Technologie das Klassenverhältnis zwischen Kapital und Arbeit grundsätzlich revidiert - sie kennzeichnet vielmehr nur eine neue Phase desselben -, ebensowenig revidiert sie die Verhältnisse geschlechtsspezifischer Herrschaft“ (Cockburn 1988, S. 225). Die wesentliche Streitfrage ist nun, ob Informations- Kommunikations-, Bio-, Gen- und Reproduktionstechnologie, die zu einer immer stärkeren Entkörperlichung und Prothesierung menschlicher Körper führen, Frauen von Reproduktionsarbeit, Unfruchtbarkeit, ungewollter Schwangerschaft, monotoner Lohnarbeit etc. befreien oder ob sie zerstörerisch wirken und die Herrschaft über Frauen verstärken. Die Annahme einer emanzipatorischen Wirkung findet sich nicht nur bei Donna Haraway und Sadie Plant, bereits in den 70er-Jahren argumentierte z.B. Shulamith Firestone (1975), daß eine künstliche Gebärmutter für Frauen befreiend wirken würde, da der biologische Unterschied zwischen Frauen und Männern an der Unterdrückung von Frauen Schuld sei. Frauen müßten von der „Tyrannei der Fortpflanzung“ befreit werden. Sehen wir uns nun Argumente in, die von KritikerInnen vorgebracht werden, die den Aspekt von Entkörperlichung und neuen Technologien als Verstärkung bestehender Herrschaftsverhältnisse betonen. Maria Mies (1995a) geht davon aus, daß Gen-, Computer und Fortpflanzungstechnologie nicht für die Förderung menschlichen Glücks entwickelt wird, sondern um durch die Kapitalisierung des Körpers als Investitionsterritorium neue Profitmöglichkeiten für das krisengeschüttelte Weltwirtschaftssystem zu schaffen. Ein Fallen der Profitraten soll also durch das Erschließen neuer Territorien der Kapitalakkumulation wie dem weiblichen Körper kompensiert werden. Es wurde bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, daß die Durchsetzung dieser neuen Technologien oftmals mit ideologischen Konstruktionen zu rechtfertigen versucht wird. Es wird dabei davon gesprochen, daß Unfruchtbarkeit, ungewollte Schwangerschaften usw. durch diese Technologien beseitigt werden können. Es wurde ebenfalls bereits auf die Gefahr einer neuen Eugenik hingewiesen, die dazu führt, daß z.B. behinderte Embryos durch pränatale Eingriffe abgetrieben werden, da sie als unwirtschaftlich gelten. Oder daß Alte, Schwache und Kranke nicht behandelt werden, da sie als nicht mehr ökonomisch leistungsfähig gelten. Die neuen Technologien sind mit der in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung sehr realistischen Gefahr verbunden, daß erwünschte Fähigkeiten und Eigenschaften und unerwünschte definiert werden. Erwünscht sind dabei immer jene, die die Akkumulation des Kapitals effizienter gestalten helfen. Die Biotechnologie könnte nun eingesetzt werden, um die „unerwünschten“ Elemente zu selektieren. Dies wäre eine Rückkehr zum Sozialdarwinismus. Diese von Herbert Spencer im 19. Jahrhundert entwickelte Übertragung der Darwinschen Evolutionsprinzipien von der Biologie auf die Gesellschaft ging von der Überlebensfähigkeit der Stärksten in sozialen System aus. Als Weiterentwicklung entstand die Eugenik. Eigenschaften, die sich aus sozialen Beziehungen entwickeln, wurden als in Genen codiert betrachtet. Darauf basierend wurde zwischen höheren und niedrigeren Rassen unterschieden und argumentiert, daß der Staat eine Selektionspolitik betreiben müsse, um das Überleben und die Weiterentwicklung der höheren Rassen zu garantieren. Im Faschismus kulminierte die Eugenik in der Massenvernichtung von als „nicht lebenswertem Leben“ bezeichneten Menschen. Die Gefahr einer neuen Eugenik kann nicht einfach als Übertreibung abgetan werden, sondern besteht auf Grund der Überlegungen, wie der Kapitalismus immer effizienter gestaltet werden kann, tatsächlich. Techniken wie die vorgeburtliche Diagnostik (z.B die Amniozentese Fruchtwasseruntersuchung) können sehr leicht in eine eugenische Richtung umschlagen. Eugenikähnliche Herangehensweisen zeigen sich heute vor allem in der Bevölkerungspolitik. Eine angebliche „Überbevölkerung“ und „Bevölkerungsexplosion“ in der „Dritten Welt“ wird für Armut verantwortlich gemacht. Dabei wird davon abstrahiert, daß Armut ein gesellschaftliches Problem ist, daß ganz wesentlich mit der globalen Dimension der Kapitalakkumulation des kapitalistischen Weltsystems verschränkt ist. Und es wird nicht berücksichtigt, daß heute genug für alle vorhanden wäre, aber die kapitalistischen Eigentumsund (Re-)Produktionsverhältnisse für eine ungleiche Verteilung sorgen. Die Produktion von Armut wird quasi als genetisch bedingt vorwiegend Schwarzen als inhärente Eigenschaft zugeschrieben. Dieser Genfetischismus kann vor allem als ideologische Maßnahme betrachtet werden, die dafür sorgen soll, daß die bestehenden Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalten werden. Die Bekämpfung der Armut wird heute meist nicht als mit den polit-ökonomischen Verhältnissen verschränkt begriffen, sondern es werden bevölkerungspolitische Maßnahmen wie Zwangssterilisationen gesetzt, um den Eindruck zu vermitteln, daß Schwarze an ihrer Armut selbst Schuld sind. Solche Maßnahmen sind außerdem rassistisch, da sie zu einer Dezimierung der dunkelhäutigen Weltbevölkerung beitragen soll. Gleichzeitig werden die großteils weißen Menschen in den Metropolen des kapitalistischen Weltsystems zur vermehrten Fortpflanzung aufgefordert. Bonussysteme sollen Anreize dafür schaffen. Cyborgisierung, Prothesierung des Menschen sowie Gen- und Reproduktionstechnologie können sehr leicht in Mittel zur Förderung rassistischer und faschistoider Verhältnisse umschlagen. Donna Haraway behauptet genau das Gegenteil: KritikerInnen dieser Technologien wollten quasi „reine Herrenrassen“ schaffen. Tatsächlich besteht jedoch genau die umgekehrte Gefahr, diese neuen Biotechnologien zur Selektion unerwünschter und als minderwertig betrachteter Bevölkerungsgruppen einzusetzen, um ein neues Herrenmenschentum zu schaffen. Eine weitere Dimension ist, daß durch die Schaffung und Züchtung eines künstlichen Menschen versucht werden kann, besonders leistungsfähige und willenlose Individuen zu klonen, die umso ausbeutbarer durch das Kapital sind. Der menschliche Körper ist im Kapitalismus grundsätzlich Ware, da die lebendige Arbeitskraft die einzige Ware der Arbeitenden ist. Sie werden durch ökonomische Verhältnisse gezwungen, ihren Körper an das Kapital zu verkaufen und ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu tauschen. Dies ist ein struktureller kapitalistischer Zwang, dem sich die Menschen unterwerfen müssen, um überleben zu können. Weibliche Körper werden zusätzlich von Männern häufig als ihr Eigentum betrachtet, mit dem sie wie mit einem Ding umgehen können. Das enge Verhältnis von Warenförmigkeit und Körper zeigt sich im Kapitalismus z.B. auch an Hand von Prostitution und der Schönheitsindustrie samt plastischer Chirurgie. Durch die Fortpflanzungstechnologie bekommt die Kommodifizierung des Körpers eine neue Dimension. In-Vitro-Vertilisation oder Leihmutterschaft gehen von den Annahmen aus, daß der weibliche Körper und seine Organe Waren sind. Der weibliche Körper erhält so eine neue Dimension des Tauschwerts. Frauen sollen ihre Organe verleihen oder verkaufen, ein menschlicher Körper, der nun als von der Frau hergestelltes Produkt betrachtet werden muß, tauscht sich gegen Geld aus. Die menschliche Fortpflanzung wird damit weiter kommodifiziert. Nicht unrealistisch ist die Negativvision von Frauen als Gebärmaschinen, die dafür bezahlt werden, daß sie durch technische Eingriffe und Befruchtung mit genmanipuliertem Sperma Kinder mit speziellen Fähigkeiten zur Welt bringen. Dies würde bedeuten, daß die Frau zum menschlichen Fließband wird. Eine andere Dimension davon wäre die Vorstellung, daß arme Frauen Kinder für Reiche gebären. Nicht unrealistisch ist, daß es dazu eigene Firmen gibt, die Frauen als Lohnarbeiterinnen anstellen, diese für das Austragen von Kindern bezahlen und damit Profit machen. Gena Corea spricht von der Horrorvorstellung eines „Brutbordells“. „Today, women hire themselves out as surrogates and poor women and women in countries exploited by imperialism put their children up for adoption by people in core capitalist countries in a fashion suggestive of simple commodity production. The money received for their ‘product’ can be used to buy necessities for their family or other commodities and services they desire (C-M-C)“ (Russell 1994/1997, S. 337). „Ein Argument, daß gegen diese Definition des Körpers als Eigentum spricht, ist die Furcht, daß arme Menschen aus Not gezwungen sein könnten, ihre Nieren und andere Körperteile zu verkaufen“ (Mies 1995b, S. 279). Der menschliche Körper ist im Kapitalismus immer Ware, in solchen Vorstellungen wird er jedoch zur totalen Ware. „Capital has pushed itself into what was once thought to be one of the most intimate - even scred - of human activities: conception, gestation, and birth“ (Russell 1994/1997, S. 329). Fortpflanzungstechnologie wird zumeist als Fortschritt, der Frauen mehr Wahlmöglichkeiten gibt sowie Erbkrankheiten und Unfruchtbarkeit beseitigen hilft, angepriesen10. Tatsächlich steigt der Druck auf Frauen, perfekte Kinder zu gebären. Unfruchtbarkeit wird heute als Krankheit definiert, die technisch beseitigbar ist. Tatsächlich wäre es aber sinnvoll, die sozialen Komponenten der Unfruchtbarkeit, die sich aus gesellschaftlichen Verhältnissen ergeben, in Betracht zu ziehen. Dann würde nämlich nicht die technische Machbarkeit im Vordergrund stehen, sondern ausgehend davon, daß Unfruchtbarkeit nicht ausschließlich als biologisch, sondern auch als gesellschaftlich bedingt begriffen wird, käme es vor allem auch auf die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse an, in denen sich Frauen beherrschen und ausbeuten lassen müssen. Russell (1994/1997) argumentiert, daß Kinder kriegen eine Form konkreter Arbeit ist, da dabei Aktivitäten ausgeführt werden, um definierte Ziele zu erreichen. Eine weitere Kommodifizierung dieser Tätigkeiten sei nun dadurch gegeben, daß Sperma, berfruchtungsfähige Eier, Leihmutterschaft etc. sich heute immer häufiger gegen Geld austauschen. „[...] during in vitro fertilization or surrogacy the relationship among the different people involved is not direct. Parents, biological and social, are brought into contact by the activity of technicians, agency workers, and often lawyers. These services must be paid for. The social character of the activity of joining egg, sperm, uterus, surrogate mother, or future partents comes about through the introduction of money“ (Russell 1994/1997, S. 335f). 10 Z.B.: „Es geht darum, denjenigen zu helfen, die unfruchtbar sind, und Unfruchtbarkeit unter Kontrolle zu halten. [...] Die Forscher sind keine Ungeheuer, sondern Wissenschaftler. Es sind Mediziner, die mit ihrer Forschung auf ein großes menschliches Bedürfnis reagieren. Wir sollten stolz auf sie sein“ (Pfeffer 1987, S. 81). Die weibliche Fortpflanzung bekomme dadurch einen sozialen Charakter, daß Menschen, die sich eigentlich nicht kennen, in einen derartigen Austausch eintreten. Fortpflanzung werde dadurch marktfähig und für den Kapitalismus adäquat. So werde Fortpflanzung als weibliche Arbeit in Beziehung zu anderer sozialer Arbeit gesetzt und erfahre eine Abstraktion. Zusammenfassend schließen wir uns hinsichtlich der Kommodifizierung des Körpers folgender Meinung Kathryn Russells an: „The subsumption of childbearing labor into capitalist market relations represents an extreme example of dehumanization and alienation, and it may be laying the foundation for new forms of exploitation“. Eine weitere Gefahr besteht darin, daß weibliche Körper als Testlabor für biotechnologische Entwicklungen benutzt werden. Vor allem Frauen, die in prekären Verhältnissen leben, oder Frauen aus der „Dritten Welt“ wären sicherlich bereit, im Tausch gegen etwas Geld ihren Körper für derartige Versuchszwecke zur Verfügung zu stellen, um ihre soziale Situation zu verbessern. Ziel der Forschung wäre dabei, die Kapitalakkumulation durch den Test an Menschen und die Entwicklung neuer Technologien effektiver zu gestalten. Auch Desinformationen könnten dabei eine Rolle spielen, indem Frauen vorgetäuscht wird, daß gewisse Eingriffe in ihren Körper sinnvoll sind, um bestimmte Limitierungen oder Krankheiten zu beseitigen oder ihnen vorzubeugen. Die tatsächlichen gesundheitlichen Risiken wären dabei allerdings nicht abzusehen. FeministInnen bringen auch immer wieder das Argument vor, daß die neuen körpermanipulierenden Technologien zur Enteignung des weiblichen Körpers führen. Die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper werde durch gesellschaftliche Zwänge, technische Eingriffe in die Körperlichkeit vornehmen zu lassen, um bestimmte Vorgaben zu erfüllen (keine behinderten Kinder, perfekte Kinder, Kinder für Unfruchtbare durch Leihmutterschaft, In-Vitro-Vertilisation, künstliche Befruchtung etc.), unterminiert. Jene, die für die neuen Fortpflanzungstechnologien argumentieren, meinen jedoch genau das Gegenteil: das Selbstbestimmungsrecht der Frau würde technisch erweitert. Claudia von Werlhof (1996) argumentiert, daß es in der Frauenbewegung um Befreiung vom Zwang zum Produktions- und Destruktionswahn des Patriarchats, um die Herstellung einer Souveränität der Frau ginge. Sie kritisiert FeminstInnen, die ein Recht auf Abtreibung, Sterilisation, ein eigenes Kind oder Beseitigung von Unfruchtbarkeit verlangen. Dies bedeute ein Recht, den weiblichen Körper zu zerstören. Auch die Durchführung dieser Tätigkeiten durch weibliche Frauenärztinnen etc. verändere grundsätzlich nichts an der Gewaltanwendung gegen Frauen, es handle sich nunmehr um Gewalt von Frauen gegen Frauen. Es gäbe ein altes Frauenwissen in all diesen Bereichen, das an der Stelle der Entwicklung immer neuer Technologien wieder angeeignet werden sollte. Die angeblich befreiende Entkörperlichung ist für Werlhof ein neue Form des Leibeigentums, das Frauen an sich selbst anmelden, um ihren Körper zu Kapital zu machen. Durch seine heutige Warenförmigkeit werde der für Werlhof positiv besetzte weibliche Leib (der der Ursprung des Lebens sei) zum „Körper der gesellschaftlichen Herstellung, letztlich industriellen Produktion von abstraktem ‘Leben’“ (Werlhof 1996, S. 89). Im Patriarchat sei es immer schon um Inbesitznahme, Tötung, Kontrolle, Ausnutzung und Abtrennung des weiblichen Körpers gegangen. Das Recht auf ein eigenes Kind bewege sich innerhalb bürgerlicher Eigentumskategorien. Das Recht auf ein eigenes Kind habe das „’Recht’ des Kindes auf Trennung von der Mutter“ mit sich gebracht. Judy Wajcman (1994) weist darauf hin, daß der weibliche Körper in der westlichen Medizin als Maschine betrachtet wird. Frauen waren daher schon immer das Hauptobjekt medizinischer Versuche und Interventionen. Daraus können wir ableiten, daß die neuen Technologien vor allem als Mittel der Kontrolle und Beherrschung von Frauen verwendet werden. Fassen wir kurz zusammen, welche Gefahren KritikerInnen der Biotechnologie beschreiben: • die Kapitalisierung des Körpers als Quelle des Profits, um die weitere Akkumulation des Kapitals zu garantieren und der andauernden ökonomischen Krise entgegenzuwirken • die Gefahr einer neuen Eugenik und der Selektion von ökonomisch nicht „leistungsfähigen“ Individuen • die Gefahr der Züchtung besonders leistungsfähiger, willenloser und ausbeutbarer Individuen • die weitere Kommodifizierung weiblicher Körper • die Gefahr der Benutzung weiblicher Körper als Testlabor für biotechnologische Entwicklungen • die weitere Enteignung des weiblichen Körpers und der Fortpflanzungsfähigkeit Radikalfeminismus und Ökofeminismus begreifen Technik oft als inhärent patriarchal und fordern eine auf weiblichen Werten beruhende Technik und Gesellschaft. So meint beispielsweise Maria Mies (1995a): „[Fortpflanzungstechnologien] können [...] niemals neutral sein, noch können sie frei sein von sexistischen, rassistischen und letzlich faschistischen Ideologien unserer Gesellschaft. Diese Ideologien sind in den Technologien selbst verankert und sind nicht bloß eine Sache ihrer Anwendung“ (Mies 1995a, S. 268). Technik wird von Mies als inhärent patriarchal begriffen, daher spricht sie sich für eine Gesellschaft ohne moderne Technik aus, die auf einer Subsistenzperspektive beruht. Regionale Wirtschaftskreisläufe, die auf Selbstversorgung beruhen, seien notwendig, um eine ökofeministische Gesellschaft aufzubauen. Die der radikalfeministischen Argumentation entgegenstehende Ansicht geht davon aus, daß Technologie an sich neutral ist. Gen- und Reproduktionstechnologien seien u.a. eine Chance auf die Bekämpfung der Unfruchtbarkeit, problematisch sei nur der bestehende institutionelle Rahmen des Einsatzes11. Wir haben bereits erwähnt, daß beide Argumentationen als falsch erachtet werden können. Technik ist weder neutral, noch inhärent herrschaftsförmig. Mies’ technikreduktionistische Argumentation gleicht jener bürgerlicher Technikdämonisierer wie Schelsky, Ellul, Freyer, Heidegger, Jünger oder Spengler, die Technik an sich als das Problem erachteten, und ihre Einbettung in gesellschaftliche Verhältnisse mißachteten. Andererseits ist Technik aber auch nicht neutral und es ist nicht erst ihre Anwendung entscheidend, denn dies hieße das jede Technologie - z.B. auch Kriegstechnologie - positive und negative Auswirkungen haben kann. Bereits der Prozeß der Technikgenese ist von gesellschaftlichen Interessen strukturiert. Es verhält sich nun vielmehr so, daß Technik und Gesellschaft in einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis stehen. Technik entsteht durch gesellschaftliche Prozesse, wird durch gesellschaftliche Interessen geprägt und wird als Mittel zur Durchsetzung bestimmter Ziele und Interessen eingesetzt. Und Technik kann auch unvorhersehbare Auswirkungen haben, die sich aus ihrer Komplexität ergeben. Eine patriarchal-kapitalistische Gesellschaft bringt eine patriarchal-kapitalistische Technologie hervor. Insofern sind die Bedenken von Mies und anderen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien berechtigt. Dies heißt aber nun eben nicht, daß Technik immer nur Herrschaftsmittel sein kann. Sie ist dies im Kapitalismus, in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft wäre jedoch eine Technik für den Menschen möglich, die ihm seine Existenz erleichtert. Die Aufhebung des Kapitalismus und seiner Widersprüche ist eine Basis dafür, jedoch keine hinreichende Voraussetzung. D.h., daß nicht alle heute entwickelten Technologien automatisch in einer anderen Gesellschaft positiv angewendet werden könnten. Es bedarf ihrer Umgestaltung oder Neuschaffung entsprechend den menschlichen Bedürfnissen. 11 Vertreterinnen solcher Positionen sind z.B. Michelle Stanworth und Rosalind Pollack Petchesky Und gewisse Technologien wie die Kriegsmaschinerie oder die Nukleartechnologie können niemals positiv eingesetzt werden, da sie immer Zerstörung und große Gefahren mit sich bringen. In einer anderen Gesellschaft müßte daher darauf verzichtet werden. Wie ist dies mit den neuen Biotechnologien? Wie wir gesehen haben, sind sie heute Herrschaftsmittel in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft. Wie wäre dies in einer anderen Gesellschaft? Vorstellbar ist durchwegs, daß in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft bestimmte Biotechnologien in eingeschränktem Ausmaß angewendet werden (z.B. zur Beseitigung von Unfruchtbarkeit in speziellen Fällen), nichtsdestotrotz würden die Gefahren dieser Technologien weiter bestehen. Eine sorgsamer Schutz vor Mißbrauch und die Unterbindung der Entwicklung der Forschung in eine menschenfeindliche, antihumanistische Richtung müßten unterbunden werden. In der kapitalistischen Gesellschaftsformation ist ein solcher Schutz nicht möglich, da es in letzter Instanz immer um die Durchsetzung von Kapitalinteressen auf Kosten des Humanismus geht. Das kapitalistische Patriarchat benötigt die Kontrolle und Beherrschung von Frauen, Biotechnologie wird daher in einer kapitalistischen Zukunft in diesem Sinn eingesetzt werden. Entkörperlichung und technischer Eingriff in den Körper entsprechen im Kapitalismus immer der Waren- und Akkumulationslogik. Und diese ist einer menschenfreundlichen Gesellschaft entgegengesetzt. Es bedarf also einer grundlegenden Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, um eine Basis für eine am Menschen orientierte Technik zu schaffen. Technik ist heute weder interessenneutral, noch ein inhärenter Dämon, sondern eine Kategorie, die durch gesellschaftliche Mechanismen kapitalistisch, patriarchal und rassistisch geprägt wird und daher zu einem Mittel der Ausübung von Herrschaft geworden ist. Eine Subsistenzperspektive wie bei Maria Mies würde nicht eine Erleichterung des Lebens mit sich bringen, sondern harte Arbeit. Ziel gesellschaftlicher Veränderung sollte jedoch auch die Erleichterung des Daseins für die Menschheit sein. Und hier kann eine am Menschen orientierte Technik eine wesentliche Rolle spielen. Dies ist allerdings nur in einer am Menschen, und nicht an Kapitalinteressen orientierten Gesellschaft möglich. An KritikerInnen der Gen- und Reproduktionstechnologien wird häufig kritisiert, daß sie oft mit essentialistischen Zuschreibungen an Frauen operieren. Frauen würden von Natur aus humanistisch, fürsorglich, pazifistisch sein, seien näher an der Natur orientiert etc. Ziel sei dann eine an „weiblichen Werten“ orientierte Gesellschaft. Vor allem radikal- und ökofeministische Ansätze argumentieren in dieser Art und Weise. Vertreterinnen der radikalfeministischen Organisation FINRRAGE (Feministisches internationales Netzwerk des Widerstandes gegen Gen- und Reproduktionstechnologien12) betonten einerseits, daß Gen- und Reproduktionstechnologien eine Form der patriarchalen Ausbeutung weiblicher Körper darstellen. Andererseits sind bei einigen dieser Vertreterinnen tatsächlich essentialistische Argumentationen zu finden, die Frauen besondere positive Eigenschaften zuschreiben. Z.B.: „Die Qualitäten der Mutterschaft oder des mütterlichen Denkens stehen im Gegensatz zu den destruktiven, gewalttätigen und selbstverherrlichenden Eigenschaften von Männern“ (Rowland 1986). Auch Claudia von Werlhof (1996) argumentiert essentialistisch, wenn sie davon spricht, daß Begriffe wie Natur, Staat, Leib, Liebe, Politik und Mutterschaft heute neopatriarchal besetzt sind und nicht matriarchal. Dieser Essentialismus ist charakteristisch für den radikalen Feminismus. Auch bekannte Vertreterinnen dieser Linie wie z.B. Catherine McKinnon oder Andrea Dworykinare betonen die Verschiedenheit von Mann und Frau und daß der einzige Weg aus der männlichen Herrschaft über Frauen eine Separation sei. Es wird dabei also von einer biologischen 12 Dazu zählen u.a. Maria Mies, Gena Corea, Robyn Rowland, Jalna Hanmer und Renate Klein Unterschiedlichkeit von Mann und Frau und einer sich daraus ergebenden Unterdrückung von Frauen durch Männern ausgegangen. Ein solcher Essentialismus ähnelt jenem von Sadie Plant, die Technik als weiblich besetzt. Nun wurde aber bereits erläutert, daß essentiatlistische Typisierungen des Geschlechts typisch für die bürgerliche Gesellschaft sind. Sie erfüllen eine ideologische Funktion, sollen die Beherrschung und Unterdrückung bestimmter Gruppen legitimieren. Daher gelten MigrantInnen heute vielfach als faul oder schmutzig, Frauen als an der Natur orientiert, fürsorglich, mütterlich etc. All das wird mit Hilfe eines Genfetischismus als natürlich dargestellt, um die Beherrschung dieser Gruppen als selbstverständlich darzustellen. Der feministische Essentialismus reproduziert nun diese patriarchal-kapitalistischen Dichotomisierungen und Zuschreibungen. In einer nichtpatriarchalen und nichtkapitalistischen Gesellschaft müßten nicht nur die verschiedenen Herrschaftsformen, sondern eben auch all diese rassistischen, sexistischen usw. Typisierungen aufgehoben werden. Indem Frauen wiederum bestimmte Werte und Eigenschaften als „typisch weiblich“ zugeschrieben werden und diese Typisierungen positiv besetzt werden, indem gesagt wird, daß eine bessere Gesellschaft an diesen „weiblichen Werten“ orientiert sein müßte, wird die bürgerliche Logik reproduziert. Auf diese Art und Weise kann keine Transzendenz des Kapitalismus erreicht werden. Es ginge heute vielmehr um die Ablehnung jedes herrschaftsförmigen Denkens und daher auch um die Ablehnung sämtlicher Typisierungen, da diese immer Basis von Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. sind. Der geschlechtsspezifische Essentialismus mißachtet, daß Geschlecht eine soziale Konstruktion ist und daß daher all die sich daraus ergebenden Zuschreibungen nicht von Natur aus gegeben sind, sondern ideologisch produziert werden und bestimmte politökonomische Zwecke erfüllen sollen. „[...] Der Glaube an eine unveränderliche weibliche Natur und deren Assoziierung mit Fortpflanzung, Wärme und Kreativität ist die Grundlage der traditionellen und unterdrückenden Konzeptionen von Weiblichkeit. [...] Wir sollten nicht auf irgendeiner inneren Essenz der Weiblichkeit als einer ahistorischen Kategorie bestehen, sondern müssen erkennen, wie sowohl ‘Männlichkeit’ als auch ‘Weiblichkeit’ gesellschaftlich konstruiert sind und fortlaufend rekonstruiert werden“ (Wajcman 1994, S. 26). Insgesamt gesehen können wir festhalten, daß Kritik an den neuen Technologien, die in die Körperlichkeit des Menschen (und dabei vor allem der Frau) eingreifen, äußerst angebracht ist. Wir leben in einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und daher ist nicht anzunehmen, daß diese Technologien innerhalb dieser Gesellschaft zu einer Emanzipation vom Patriarchat führen werden. Vielmehr verstärken sie bestehende Herrschafts-, Ausbeutungs- und Kontrollverhältnisse. Einem Technikdeterminismus, der von technischen Entwicklungen die Emanzipation aus Herrschaftsverhältnissen erwartet, wird eine Absage erteilt, da Emanzipation immer die aktive Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse voraussetzt. Genauso haben wir uns aber gegen eine grundsätzliche Dämonisierung der Technik gewandt, wie dies im Öko- und Radikalfeminismus des öfteren der Fall ist. Technik wird in einer herrschaftsförmigen Gesellschaft zum Mittel der Herrschaft, eine andere Gesellschaft wäre die Basis für eine am Menschen orientierte Technik. Fassen wir die wichtigsten Ergebnisse kurz zusammen: 1. Postmoderne Feministinnen wie Donna Haraway und Sadie Plant erwarten sich von technologischen Entwicklungen, die immer mehr zu einer Entkörperlichung führen, die Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen. 2. Der postmoderne Feminismus betont die Differenz unterdrückter Gruppen. 3. Gesellschaftliche Emanzipation sollte nicht auf eine technische Dimension reduziert werden, da sie immer die Veränderung bestehender Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse voraussetzt. 4. Postmoderne Herangehensweisen tragen die Gefahr in sich, einer Zersplitterung unterdrückter Gruppen das Wort zu reden. Weder Einheit ohne Vielfalt und Vielfalt ohne Einheit der Kulturen und unterdrückter Gruppen werden als sinnvoll erachtet, sondern eine Einheit in der Vielfalt. 5. Der postmoderne Feminismus reduziert Politik häufig auf Identitätspolitik und symbolische Repräsentationspolitik im kulturellen Bereich. 6. Kapitalistische und patriarchale Herrschaft sind eng verkoppelt. Daher leben wir heute in einem kapitalistischen Patriarchat. 7. Der Essentialismus und die geschlechtsspezifischen Typisierungen erfüllen im kapitalistischen Patriarchat die ideologische Funktion der Legitimation von Herrschaftsund Ausbeutungsverhältnissen. 8. Neue Technologien bedeuten in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft die Verschärfung von Kontrolle und Herrschaft über Frauen. 9. Bio-, Gen- und Reproduktionstechnologien sind heute mit konkreten Gefahren verbunden. Z.B. der Kapitalisierung des Körpers als Profitquelle, der Gefahr einer neuen Eugenik, der Gefahr der Züchtung besonders ausbeutbarer Menschen, der totalen Kommodifizierung weiblicher Körper und der Enteignung der Frau von der Selbstbestimmung über ihren Körper. 10. Essentialistische Typisierungen finden sich nicht nur bei postmodernen Feministinnen wie Sadie Plant, sondern auch im Radikal- und Ökofeminismus. Solche Typisierungen können die bürgerliche Logik niemals transzendieren 11. Technik ist weder interessensneutral, noch ein grundsätzlicher Dämon. Technik und Gesellschaft stehen vielmehr in einem wechselseitigen dialektischen Verhältnis. Im kapitalitischen Patriarchat ist Technik ein patriarchal-kapitalistisches Herrschaftsmittel. In einer anderen Gesellschaft könnte Technik jedoch durchwegs das Dasein des Menschen erleichtern. Literatur: Adorno, Theodor W. (1970) Aufsätze zur Gesellschaftstheorie und Methodologie. Frankfurt/Main. Suhrkamp. Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (1969) Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/Main. Fischer. Neuauflage 1997 Angerer, Marie-Luise (1995) Apparaturen - alt.feminism/alt.sex/alt.identity/alt.theory/alt.art. Anmerkungen zur theoretischen und medialen Zelebrierung virtueller Geschlechter und ihrer Körper. In: Springerin 2-3/1995. S. 32-41 Angerer, Marie-Luise (1997) Space does Matter. Erste Überlegungen zu einer Neuen Technologie des Geschlechts. 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