Grundinformationen zur neutestamentlichen Zeitgeschichte
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Grundinformationen zur neutestamentlichen Zeitgeschichte
Grundinformationen zur neutestamentlichen Zeitgeschichte 1. Das Land Palästina zur Zeit Jesu a. Bezeichnung: Der Begriff Palästina wurde erst im 2. Jhd. n. Chr. eingeführt, seine Verwendung war damals antijüdisch motiviert (Palästina = Philisterland; Philister = von Alters her Feinde der Juden). Gleichwohl hat sich der Begriff aus praktischen Gründen als Bezeichnung für das Land Jesu und der ersten Christen eingebürgert, weil man sonst keinen Oberbegriff für die Gebiete Judäa, Samaria und Galiläa hätte. b. Geographie und Bevölkerung: Das Land besteht eigentlich aus verschiedenen Teilen mit einer gewissen Selbständigkeit. Unter Herodes d. Gr. waren die Landesteile geeint, nach seinem Tode zerfiel das Land aber in drei Bereiche: 1. Judäa, Samaria und Idumäa; 2. Galiläa und Peräa; 3. Gaulanitis, Trachonitis, Batanäa. Erwähnenswert sind für die Geschichte Jesu auch Syrophönizien (Tyrus, Sidon, Heilung einer syrophönizischen Frau) und die Dekapolis (Gebiet der zehn Städte, dem Statthalter von Syrien unterstellt). In Palästina lebten zur Zeit des NT schätzungsweise 1 Million Juden, daneben gab es aber noch wesentlich mehr Juden, die außerhalb Palästinas lebten (ca. 4,5 Mio.). Letztere bezeichnet man mit dem Begriff Diasporajudentum. c. Sprache: Das Land Jesu war mehrsprachig. Die Sprache des Volkes war Aramäisch (etwas abweichend war der galiläische Dialekt), daneben war aber auch Griechisch (Sprache der Gebildeten), Hebräisch (Sprache der Religion) und Latein (Sprache der Beamten und des Militärs) verbreitet. 2. Politische Verhältnisse a. Herrschaft der Römer: Palästina gehörte zum römischen Reich, welches seit dem 1. Jhd. v. Chr. den gesamten Mittelmeerraum umspannte (wichtig für die spätere Ausbreitung des Christentums). Formal war das römische Reich eine Republik, faktisch aber eine Monarchie (Augustus bezeichnete sich als Erster unter Gleichen [princeps inter pares]). Das römische Reich war in Provinzen aufgeteilt (kaiserliche und senatorische Provinzen), daneben gab es aber auch Klientelfürstentümer bzw. -königtümer von Roms Gnaden, die eine eingeschränkte Selbstbestimmung hatten. Palästina war nach der Eroberung durch die Römer (63 v. Chr.) zunächst der Provinz Syrien zugeordnet. Unter Herodes d. Gr. (Klientelkönig) hatte das Land eine gewisse Selbständigkeit, nach seinem Tod wurde es in drei Teile aufgeteilt (vgl. die Karte). Judäa (mit Idumäa und Samarien) kam später unter direkte römische Herrschaft (Provinz minderen Ranges, unter der Hoheit des Statthalters von Syrien). Unter Herodes Agrippa I (3744) ist das Land noch einmal vereinigt und eingeschränkt selbständig. Danach stehen Judäa, Samaria und Galiläa direkt unter römischer Herrschaft). b. Aufstände: Gegen die römische Herrschaft kam es immer wieder zu Aufständen, die häufig mit messianischen Erwartungen verbunden waren. • • 4 v Chr “Räuberkrieg”: unkoordinierte Aufstandsbewegung in Judäa 6 n Chr Judas Galilaios (Entstehung der Zeloten: religiöse Widerstandsbewegung; Lehre: aktive Beteiligung an der Aufrichtung der Herrschaft Gottes, Verweigerung der Steuerzahlung an die Römer, vgl. auch Apg 5,37 und Mk 12,13-17 mit Parallelen) • • • • 44 n. Chr. 2 Söhne des Judas Galilaios zetteln einen Aufstand gegen die Römer an: Verweigerung der Steuerzahlung ca. 45 n. Chr. Theudas (vgl. Apg 5,36; messianischer Anspruch (neue “Landnahme”: er will seine Anhänger trockenen Fußes durch den Jordan führen)), er wird mit seinen Anhängern durch die Römer hingerichtet 66-70/73 n Chr Jüdischer Krieg (70: Zerstörung Jerusalems und des Tempels) 132-135 Bar Kochba - Aufstand (Kaiser Hadrian wollte einen heidnischen Tempel auf dem Gelände des früheren jüdischen Tempels in Jerusalem errichten und verbot die Beschneidung, Folge des Aufstands: die Juden durften Jerusalem (und das umliegende Gebiet) nicht mehr betreten c. Römische Religionspolitik: Sie war einerseits durch eine gewisse Toleranz gekennzeichnet (Privilegien der Juden: Freiheit vom Herrscherkult, dafür tägliches Opfer für den Kaiser im Jerusalemer Tempel, (eingeschränktes) Recht auf eigenständige Regelung religiöser und rechtlicher Fragen, keine fremden Kulte in Jerusalem (mit Ausnahme der römischen Garnision)). Andererseits legten die Römer (zunehmend stärker) Wert auf den Herrscherkult. Er hatte seinen Ursprung schon unter den Nachkommen Alexanders d. Gr. Dem Herrscher wurde dabei eine quasi göttliche Verehrung zuteil (z. B. wollte Caligula sein Standbild im Jerusalemer Tempel aufstellen; Domitian ließ sich als “unser Herr und Gott” verehren). d. Der Hohe Rat und die Hohenpriester: Der Hohepriester stand an der Spitze der jüdischen Selbstverwaltung. Er wird zur Zeit Jesu von den Römern eingesetzt, allerdings war der Titel über längere Zeit quasi im Familienbesitz: fünf Söhne des Hannas wurden selbst Hohepriester. Der Hohepriester steht dem Hohen Rat vor, führt die Aufsicht über den Kult in Jerusalem und vertritt das Volk gegenüber dem römischen Statthalter. Im NT erwähnte Hohepriester: Hannas 6-15 n. Chr. (Lk 3,2; Apg 4,6; Passionsberichte) Kaiphas ca. 18-37 n. Chr. (Passionsberichte) Ananias 48-59 n Chr. (Apg 23,2; 24,1; beteiligt am Prozess gegen Paulus) Apg 4,6 erwähnt ferner: Johannes und Alexander; Apg 19,14 erwähnt noch Skeuas (über letzteren ist aber sonst nichts bekannt) Der Hohe Rat setzt sich aus 70 Mitgliedern zusammen (Schriftgelehrte und Älteste (= Laienadel)), er regelt die Tempelangelegenheiten (eigene “Tempelpolizei”), verwaltet die Tempelsteuer, die jeder Jude zu zahlen hatte und hatte weitere rechtliche Befugnisse, durfte aber keine Todesstrafe verhängen. 3. Das religiöse Leben a. Vielfalt: Das Judentum zur Zeit des Neuen Testaments war eine vielfältige Erscheinung. Gemeinsam waren aber wichtige Kernpunkte: • Exklusiver Monotheismus • Erwählungsbewusstsein • Tempel als Zentrum • Identitätsmerkmale: Beschneidung, Sabbat, Reinheits- und Speisebestimmungen Neben den Tempelgottesdienst trat mehr und mehr (zunächst ergänzend) der Synagogengottesdienst (siehe unten). b. Außenwahrnehmung: Von außen wurde das Judentum mit Faszination (Ethik, Monotheismus) und Ablehnung (abgrenzende Rituale und Ordnungen) wahrgenommen. Vor allem in der Diaspora gab es im Umfeld der jüdischen Gemeinden nicht wenige Sympathisanten (Gottesfürchtige), einige traten auch zum Judentum über (Proselyten) c. die jüdischen Parteien: Bekannt sind vier Gruppierungen innerhalb des Judentums: Sadduzäer, Pharisäer, Essener und Zeloten. Allerdings sollte diese Aufteilung in Gruppen nicht zu schematisch gehandhabt werden. Zu den Charakteristika dieser Gruppen siehe unten. d. der Tempel: Im Zentrum des religiösen Lebens steht der Tempel von Jerusalem (Grundriss: siehe unten). Er war nach dem babylonischen Exil neu errichtet worden (daher spricht man auch von der “Zeit des zweiten Tempels”). Nach der Schändung durch Antiochus IV. wurde er 164 v. Chr. neu geweiht (daran erinnert das jüdische Chanukkafest). Herodes d. Gr. hat den Tempel dann noch einmal umgestaltet und erweitert. Für den Tempel gab es abgestufte Zugangsberechtigungen: Heiden durften bis in den äußeren Vorhof (Vorhof der Heiden). Das Betreten des inneren Bereichs war ihnen bei Todesstrafe verboten. Im inneren Tempelbereich gab es den Vorhof der (jüdischen) Frauen, dann den Vorhof der Israeliten (für jüd. Männer) und den Priestervorhof. Das Allerheiligste durfte nur einmal im Jahr vom Hohenpriester betreten werden (am großen Versöhnungstag). Im Priestervorhof (ausschließlich dort) wurde zweimal am Tag das Opfer vollzogen. e. die wichtigsten jüdischen Feste sind: - Passafest / Pessach (am Abend des 14. Nissan [ungefähr um unser Osterfest herum] wurde das Passamahl gegessen), es erinnert an den Auszug aus Ägypten (vgl. 2. Mose 12) und war mit dem Fest der ungesäuerten Brote verbunden (15.-21. Nissan) - Wochenfest / Schawuot (= Pfingsten): 50 Tage nach Passa, ursprünglich ein Erntedankfest, später Fest des Bundesschlusses am Sinai - “Jom Kippur” (Großer Versöhnungstag, vgl. 3. Mose 16) im Herbst: ein Fastentag, an dem der Hohepriester im Allerheiligsten um die Vergebung der Sünden des Volkes bittet. Zeichenhaft wird ein Ziegenbock geschlachtet und ein zweiter, mit den Sünden des Volkes beladen, in die Wüste gejagt - Laubhüttenfest / Sukkot (im Anschluss an Jom Kippur), dauert sieben Tage (bibl. Hintergrund: 3. Mose 23,42) Zu diesen Festen pilgerten viele Juden nach Jerusalem. f. Synagoge: Neben den Tempelkult trat mehr und mehr der Synagogengottesdienst am Sabbat (ohne Opfer, reiner Wortgottesdienst). Er bestand aus vier Teilen: 1. Schema Israel (besteht aus 5. Mose 6, 4-9; 11, 13-21 und 4. Mose 15, 37-41); 2. Achtzehnbittengebet (vergleichbar mit unserem Vaterunser); 3. Schriftlesung aus dem Gesetz und aus den prophetischen Büchern (mit anschließender Übertragung ins Aramäische [bzw. in der Diaspora ins Griechische]); 4. Predigt (konnte von jedem erwachsenen Juden gehalten werden (vgl. Lk 4,16ff.) 4. Gesellschaft und Kultur a. Die Kultur im ganzen Mittelmeerraum ist seit den Eroberungszügen Alexanders d. Gr. griechisch geprägt, die römische Herrschaft hat daran nichts geändert. Diesen “Siegeszug” der griechischen Kultur bezeichnet man als Hellenisierung bzw. Hellenismus. Wörtlich bezeichnet das griechische Verb hellenizein “die griechische Sprache beherrschen”, der Begriff bezeichnet aber mehr: Sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens (z.B. Politik, Religion, Bildungswesen) wurden stark durch das griechische Denken geprägt. Man konnte sich diesem Einfluss kaum entziehen. Für das Judentum jener Zeit (und auch das daraus erwachsene Christentum) ist charakteristisch, dass es Elemente griechischen Denkens aufnimmt, sich zugleich aber immer wieder von der als übermächtig empfunden griechischen Kultur abgrenzt. b. zur wirtschaftlichen Situation in Palästina: vorherrschende Erwerbszweige waren Ackerbau, Weinbau, Fischfang, Schafzucht, Handel und Handwerk (letzteres vor allem in Jerusalem). Neben der landwirtschaftlichen Kleinproduktion gab es auch einige Großgrundbesitzer, die ihr Land oft verpachteten (vgl. die Gleichnisse Jesu). Somit war das Land Jesu von starken sozialen Spannungen geprägt. Einen eigenen Beitrag dazu leistete auch das Zoll- und Abgabewesen. Es gab direkte Steuern (Kopfsteuer und Bodenertragssteuer) und indirekte Abgaben (Zölle, z.B. beim Passieren von Straßen oder Brücken). Letztere wurden an Zöllner verpachtet.