Prof. Dr. Johannes Weiß EINFÜHRUNG IN DAS WERK MAX

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Prof. Dr. Johannes Weiß EINFÜHRUNG IN DAS WERK MAX
Prof. Dr. Johannes Weiß
EINFÜHRUNG IN DAS WERK MAX WEBERS
Leitfaden und Literaturhinweise
Hinweis: Dieser Leitfaden ist, jedenfalls über weite Strecken, nur in Verbindung mit dem mündlichen
Vortrag und einem genaueren Studium der Arbeiten Max Webers (und der wichtigsten Sekundärliteratur) brauchbar und nützlich. Dies sollte insbesondere im Rahmen eventueller Prüfungsvorbereitungen bedacht werden. Ausdrücklich sei, auch in dieser Hinsicht, auf die Unvollständigkeit
und Ungleichgewichtigkeit der Behandlung einzelner Werkteile hingewiesen.
0.
Vorbemerkungen
I.
Person und Biographie
II.
Das Werk in seiner Entwicklung
III.
Das Frühwerk
III.1. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien
III.2. Empirische Analysen
IV.
Grundlegung und Entfaltung der Religionssoziologie
V.
Das „System“ der Soziologie (Wirtschaft und Gesellschaft)
V.1
Grundbegriffe
V.2
Klassen und Stände
V.3
Typen der Herrschaft
V.4
Funktionen und Formen der Repräsentation
V.5
Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen; Nation/Nationalität
V.6
Ansatzpunkte und Fragmente einer Soziologie der Kultur
VI.
Die wissenschaftstheoretische Reflexion (Wertbeziehung und Wertfreiheit, Idealtypus,
Verstehen und Erklären)
VII.
Wissenschaft und Politik
VIII. Bibliographie und Hinweise zur Sekundärliteratur
0. Vorbemerkungen
Allgemeines zum Sinn der Behandlung soziologischer „Klassiker“
(a) Tatbestand, daß die Soziologie als geschichtliche Wissenschaft immer an die konkrete geschichtliche Erfahrung gebunden bleiben muß, und die Klassiker gerade auch darin bedeutend sind, daß
sie wichtige gesellschaftliche Prozesse und Umwälzungen aus konkreter Erfahrung (und auch aus
politischem Engagement) heraus zum Gegenstand eindringlicher und umfassender Analysen machen.
(b) Der Klassiker-Status Max Webers in diesem Sinne ist nicht kontrovers; darüber hinaus dürfte eine
Beschäftigung mit seinem Werk von besonderem Interesse sein, weil es in jüngster Zeit wieder
2
zum Gegenstand einer intensiven Rezeption und Auseinandersetzung in der scientific community
geworden ist.
I.
Person und Biographie
Zum näheren vgl.: Marianne Weber (1926) 1950; Mommsen 1959/1974; Baumgarten 1964;
Mitzmann 1974; König/Winckelmann (Hrsg.) 1963; Weiß 1975 (Teil II); Käsler 1974, 1978; sowie in:
Weiß (Hrsg.) 1989
Geboren am 21.4.1864 in Erfurt; gestorben am 14. Juni 1920 in München
Eltern: Helene Fallenstein und Dr. jur. Max Weber (aus westfälischer Industriellen- und Kaufmannsfamilie)
Mutter: religiös und sozial engagiert (ab 1904 in der Armenverwaltung in Berlin-Charlottenburg tätig)
Vater ab 1869 besoldeter Stadtrat in Berlin; Abgeordneter der national-liberalen Partei im Preußischen Abgeordnetenhaus (1868-1897) und im Deutschen Reichstag (1872-1884)
Sieben Geschwister; darunter Alfred Weber (geboren 1868), der selbst als Soziologe bekannt wurde
Schulzeit: umfassende, insbesondere historische Lektüre; 1877 zwei Schulaufsätze: der eine über
die Stellung von Kaiser und Papst in der deutschen Geschichte, der andere zur römischen Geschichte
von Konstantin bis zur Völkerwanderung. Frühe Begegnung im Hause der Eltern mit bedeutenden
Politikern und Wissenschaftlern (Dilthey, Goldschmidt, Th. Mommsen, Sybel, Treitschke. Freiwilliges
Erlernen der hebräischen Sprache im Zuge des Konfirmandenunterrichts. Abitur 1882
Ab 1882 Studium in Heidelberg: Hauptfach Jurisprudenz, daneben Nationalökonomie, Geschichte,
Philosophie, etwas Theologie. Aktiv bei der Burschenschaft „Alemania“. 1883 einjähriger Wehrdienst
in Straßburg; nebenher Studium an der Universität Straßburg; Freundschaft mit dem Onkel Hermann
Baumgarten (Professor für Geschichte in Straßburg und liberaler Gegner Bismarcks). 1884 Studium in
Berlin: Wintersemester 1885/86 Vorbereitung auf das juristische Referendarexamen in Göttingen; danach wieder (Promotions-)Studium in Berlin bei Levin Goldschmidt und August Meitzen (Staatswissenschaft). Arbeit am landesrechtlichen und agrarhistorischen Seminar der Universität Berlin; Doktorand bei Goldschmidt. 1888 Beitritt zum „Verein für Socialpolitik“. 1889 Promotion (magna cum laude)
über „Die Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaften aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten“
(d.i.: 3. Kap. der größeren Arbeit „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen“). Beeindruckender Auftritt beim Rigorosum, hohes Lob durch Th. Mommsen.
Abschluß der juristischen Ausbildung und Zulassung als Rechtsanwalt; Vorbereitung der Habilitation.
1890 Besuch des ersten „Evangelisch-sozialen Kongresses“; Beziehung zu Paul Göhre und Friedrich
Naumann. Mitarbeit an der „Christlichen Welt“ (hrsg. von M. Rade). Auftrag des „Vereins für
Socialpolitik“ zur Teilnahme an der Landarbeiter-Enquête. 1891/92 Habilitation für römisches, deutsches und Handelsrecht bei Meitzen über „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das
Staats- und Privatrecht“. Ab Sommersemester 1892 vertretungsweise Vorlesungen/Seminare für
Goldschmidt in Handelsrecht und römischer Rechtsgeschichte. Bekanntschaft und Verlobung mit Marianne Schnitger (einer entfernten Verwandten). Abschluß des Teilberichts zur o.a. Enquête unter dem
Titel „Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland“ (900 Druckseiten); große Anerkennung. 1893 a.o. Professor für Handels- und deutsches Recht in Berlin. Heirat mit Marianne
Schnitger, die später mit vielen eigenen Publikationen, insbesondere zur Frauenfrage, hervortrat.
1894 Ordinarius für Nationalökonomie in Freiburg. Auftrag zur zweiten Enquête (zusammen mit Paul
Göhre) zu „Zur Lage der deutschen Landarbeiter“ vom „Evangelisch-sozialen Kongreß“ (Befragung
von Geistlichen, statt, wie im ersten Fall, von Grundbesitzern). Vorübergehende Mitgliedschaft im „Alldeutschen Verband“. In Freiburg: Begegnung mit H. Rickert. 1895 akademische Antrittsrede „Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik“. 1896 Ordinarius für Nationalökonomie in Heidelberg (Nachfolge Knies). 1897 schwere Auseinandersetzung mit dem Vater, der bald danach stirbt. Ende dessel-
3
ben Jahres physische und psychische Erschöpfung. 1898 zum Semesterende erneut schwerer nervlicher Zusammenbruch, ebenso (nach Kuraufenthalt) im kommenden Wintersemester. Mutmaßliche
Gründe: frühkindliche Meningitis einerseits, Arbeitsüberlastung sowie psychische Probleme andererseits. 1899 Dispensierung für das Sommersemester; im Wintersemester Beurlaubung (statt der von
Weber selbst beantragten Entlassung). Nach Überwindung der Krankheit (1903) Beginn der Ausarbeitung und Veröffentlichung der methodologischen Studien („Roscher und Knies“ bzw. „Objektivität“).
1903 endgültiger Rücktritt vom Lehramt; Weber wird Honorarprofessor mit Lehrauftrag, aber ohne
Promotionsrecht und ohne Rechte in der Fakultät. Beginn der Publikation der „Protestantischen Ethik“.
1904 Reise in die USA zu einem wissenschaftlichen Weltkongreß anläßlich der Weltausstellung in St.
Louis. 1904 Übernahme des „Archivs für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“ zusammen mit Werner Sombart und Edgar Jaffé (mit dem „Objektivitäts“-Aufsatz als programmatischer Einleitung). 1905
Studium der russischen Sprache wegen der Ereignisse in Rußland. Weber ist Wortführer des ‘linken’
Flügels im „Verein für Socialpolitik“; Einsatz für Georg Simmels Berufung nach Heidelberg sowie für
die akademische Karriere Robert Michels. 1906 Teilnahme am Parteitag der SPD. 1907 Erbschaft
(vom Großvater Karl Weber), d.h. Lösung der finanziellen Probleme. 1907 Alfred Weber wird als Professor nach Heidelberg berufen. 1908 Beginn des Interesses für die industrielle Berufsarbeit. 1909
Mitbegründung der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ in Berlin; erster Vorstand: Max Weber,
Ferdinand Tönnies, Georg Simmel, Heinrich Herkner, Werner Sombart. Beginn der Selbstdefinition als
Soziologe. 1910 erster Soziologentag in Frankfurt (Geschäftsbericht durch Max Weber). Ab 1911 religionssoziologische Arbeiten über China, Japan, Indien, Judentum und Islam. 1912 Austritt aus dem
Vorstand der DGS wegen Streit über die „Wertfreiheit“. 1909-1914 maßgebliche Beteiligung an den
„Werturteils“-Debatten im „Verein für Socialpolitik“. Anfänglicher Kriegsenthusiasmus, im Laufe des
Kriegs (insbesondere wegen der Annexionspläne) abgekühlt; Stellungnahme gegen den verschärften
U-Boot-Krieg. Auseinandersetzung mit der inneren Struktur und Verfassung des zukünftigen Deutschen Reiches. 1918 probeweise Übernahme eines Lehrstuhls in Wien; Vorlesung mit dem Titel
„Wirtschaft und Gesellschaft. Positive Kritik der materialistischen Geschichtsauffassung“. Beitritt zur
Deutschen Demokratischen Partei. Kritische Auseinandersetzung mit den revolutionären Bestrebungen in Deutschland. 1917 bzw. 1919 „Wissenschaft als Beruf“ bzw. „Politik als Beruf“ (Vorträge auf
Einladung des „Freistudentischen Bundes“ in München). 1919 Mitglied der deutschen Friedensdelegation in Versailles (Antwort auf die Kriegsschuld-Denkschrift der Siegermächte). 1919 Übersiedlung
nach München und Übernahme des Lehrstuhls von Lujo Brentano. Vorlesung im Sommersemester
über die „Allgemeinsten Kategorien der Gesellschaftswissenschaften“; im Wintersemester 1919/20
„Abriß der universalen Wirtschafts- und Sozialgeschichte“; im Sommersemester 1920 „Allgemeine
Staatslehre und Politik“ und „Sozialismus“. Scharfe Kritik an der Ermordung Kurt Eisners durch Graf
Arco; Demonstration rechtsgerichteter Korpsstudenten gegen Weber. Ablehnung des Auftrags, als
Vertreter der DDP Mitglied in der Sozialisierungs-Kommission zu werden; Austritt aus der DDP.
Einige zusammenfassende Bemerkungen zu Webers politischer Position
(a) Bleibender Grundzug: stark nationale, machtstaatliche Komponente, jedoch, und zwar in wachsendem Maße, auf der Basis parlamentarisch-demokratischer Intentionen. Gegnerschaft gegen
Bismarck, gegen das autoritäre (bzw. autokratische) Regime unfähiger Kaiser (und Zaren) sowie
gegen die obsoleten Anmaßungen des preußischen Junkertums.
(b) Zum Konzept der „plebiszitären Führerdemokratie“.
(c) Kritik der politischen Unreife und Schwäche des Bürgertums in Deutschland.
(d) Stellung zur Sozialdemokratie schwankend, jedoch in der Sache und bzgl. der politischen Ansprüche der Arbeiterschaft grundsätzlich positiv. Klagen über das Nachlassen der revolutionären Dynamik der Arbeiterbewegung und die fortschreitende Bürokratisierung der politischen bzw. gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterschaft.
4
Hinweis auf Webers ethische Position
Die zentrale ethische Kategorie der „Persönlichkeit“ wird von Weber definiert durch die „Konstanz
(des) inneren Verhältnisses zu bestimmten letzten ‘Werten’ und Lebens-’Bedeutungen’„ (WL, 132).
Diese Konstanz ist nicht im Sinne des unbeirrbaren Dogmatismus einer autoritären Persönlichkeit
gemeint, sondern im Sinne derjenigen Übereinstimmung mit sich selbst, die sich nur aus einem fortdauernden angestrengten Bemühen um intellektuelle Rechtschaffenheit und innere Widerspruchsfreiheit bei der Bestimmung und Realisierung jener obersten Sinngebungen und Wertsetzungen ergibt;
(beste Darstellung: Henrich 1952; vgl. auch Weiß 1981/1990).
II.
Das Werk in seiner Entwicklung
Hauptbereiche dieses Werks und wichtige einzelne Arbeiten
(Es handelt sich um ausgewählte Hinweise; die vollständigste Bibliographie der Arbeiten Webers - in
chronologischer Reihenfolge - findet sich in: Käsler 1979, 2. Aufl. 1998.)
II.1. Rechtshistorische Arbeiten
Dissertation: Entwicklung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten (=Teil III von:
Zur Geschichte der offenen Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen),
1889, Nachdruck 1964 (teilweise SWG)
Habilitation: Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, 1891
II.2. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Arbeiten
Agrarverhältnisse im Altertum, 18971/18982/19093
Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur, 1896 (SWG)
Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung in der deutschen Literatur des
letzten Jahrzehnts, 1904 (SWG)
Kapitalismus und Agrarverfassung, 1906
Die Börse, 1894/1896 (SSP)
Wirtschaftsgeschichte. Abriß der universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1919/20
II.3. Empirische Analysen zur zeitgenössischen deutschen Gesellschaft
Zur Lage der ostelbischen Landarbeiter, 1892 (teilweise SWG)
Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommiß-Frage in Preußen, 1904 (SSP)
Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, 1908/1909 (SSP)
Erhebungen über Auslese und Anpassung (Berufswahl und Berufsschicksal) der Arbeiterschaft der
geschlossenen Großindustrie/Exposé zur Methodik der Erhebungen des VfSP, 1908 (SSP)
II.4. Methodologische Arbeiten (alle WL)
Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie, 1903/1906
Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, 1904
5
Kritische Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik, 1906
R. Stammlers „Überwindung“ der materialistischen Geschichtsauffassung, 1907
Die Grenznutzenlehre und das „psychophysische Grundgesetz“, 1908
Der Sinn der „Wertfreiheit“ der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften, 1918
Wissenschaft als Beruf, 1919
II.5. Religionssoziologische Arbeiten
Die protestantische Ethik und der ‘Geist’ des Kapitalismus, 1904/1905 u. 1920 (RSI)
‘Kirchen’ und ‘Sekten’ in Nordamerika, 1906 (Krö)
Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen (Konfuzianismus und Taoismus/Hinduismus und Buddhismus/Judentum), 1916/17 (RS II/III) Theorie der Stufen und Richtungen religiöser Weltablehnung (Zwischenbetrachtung zur Wirtschaftsethik), 1916 (RSI)
II.6. Politikwissenschaftliche Analysen
Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland, 1906 (PS)
Rußlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus, 1906 (PS) Rußlands Übergang zur Scheindemokratie, 1917 (PS)
Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, 1918 (PS) Deutschlands künftige Staatsform, 1918 (PS)
Zum Thema ‘Kriegsschuld’, 1919 (PS) Der Sozialismus, 1918 (SSP)
II.7. Systematische Soziologie
Kategorien der verstehenden Soziologie, 1913 (WL); in stark veränderter Form u.d.T. „Grundbegriffe“
in: WG
Hauptbereiche von WG: Wirtschaft - Herrschaft (Typen; politische Gemeinschaften; Staat) - Religion Stände, Klassen - ethnische Gemeinschaftsbeziehungen - Recht.
II.8. Kultursoziologie
Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik, 1921
Diskussionsbeitrag auf dem 1. Deutschen Soziologentag (1910) über W. Sombarts Vortrag „Technik
und Kultur“ (SSP)
II.9. Politische Stellungnahmen
Zur Rechtfertigung Göhres, 1892
Was heißt christlich-sozial? Zu F. Naumanns Gesammelten Aufsätzen, 1894
Die sogenannte ‘Lehrfreiheit’ an den deutschen Universitäten, 1908
Der Nationalstaat und die Volkwirtschaftspolitik, 1895
Sozialdemokraten im akademischen Lehramt, 1908
6
Deutschland unter den europäischen Weltmächten, 1916 Der Reichspräsident, 1919
Politik als Beruf, 1919 (PS)
III.
Das Frühwerk
III.1. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien
(a)
Dissertation
Thema: „Wie sich, vor allem in den frühen Entwicklungsstadien, im einzelnen die Rechtsbildung gestaltet hat bei der Entwicklung der ‘wichtigsten Gruppe der modernen Gesellschaftsformen, der handelsrechtlichen, speziell der offenen Handelsgesellschaft’„.
Definition „offene Handelsgesellschaft“: eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist eine offene Handelsgesellschaft, wenn
bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigen beschränkt ist.
Wichtige Thesen Webers:
1. Entscheidende Differenz zwischen römischer societas und offener Handelsgesellschaft: erstere in
ihren Wirkungen auf das Verhältnis zwischen den socii beschränkt; dagegen bei der offenen Handelsgesellschaft: Geschäfte eines Sozius (nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrages) mit Dritten
alle Gesellschafter betreffend.
2. Grundlage der Entwicklung zur offenen Handelsgesellschaft: die beiden eng verbundenen Rechtsinstitute der solidarischen Haftung und des Sondervermögens.
3. Keine wirklichen Ansätze zu dieser Entwicklung im römischen Recht.
4. Hauptteile der Arbeit:
Kap. II: Die seehandelsrechtlichen Sozietäten (Institut der ‘commenda’); Kap. III: Familien- und
Arbeitsgemeinschaften; Kap. IV: Pisa; Kap. V: Florenz; Kap. VI: Die juristische Literatur
5. In den seehandelsrechtlichen Sozietäten keine entscheidenden Quellen von Solidarität und Sondervermögen. Entwicklungen der Solidarität und des Sondervermögens bei Familien- und Arbeitsgemeinschaften.
6. Resümee: deutsch-rechtlicher Charakter der entscheidenden Institute; Differenz zwischen offener
Handelsgesellschaft und Kommanditgesellschaft: ganz verschiedene juristische Basis (Kommanditist nicht haftend, sondern nur an Gewinn und Verlust partizipierend; offene Handelsgesellschaft Personengemeinschaft, Kommanditgesellschaft - Partizipationsverhältnis).
7. Wichtige Kennzeichen der Dissertation: Hervorhebung der Differenz zwischen einer rein juristischen (rechtsdogmatischen) und einer wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Betrachtungsweise;
Grenzen „juristischer Konsequenzmacherei“, Rolle sozialer Tatbestände für die Rechtsentwicklung. Zentraler untersuchter Tatbestand: das Problem der ein- oder wechselseitigen Haftung; Ablösung von verwandtschaftlichen Sippen-Beziehungen; Entwicklung von umfassenden persönlichen Haftungsverhältnissen auf der Basis rein ökonomischer Vertragsgrundlage. Fundamentales
soziologisches Problem im Hintergrund: „Stellvertretung“. Methodologischer Aspekt: Einfluß auf
Webers späteres Konzept der idealtypischen Begriffsbildung (vgl. insbes. die einleitende Kontrastierung der römisch-rechtlichen „societas“ und der „offenen Handelsgesellschaft“).
7
(b)
Habilitationsschrift
1. Vorgehen: Im Ausgang von einer Analyse der feldmesserischen Verfahren Einblick in die Verhältnisse des agrarischen Eigentums in der römischen Geschichte zu gewinnen. Untersuchter Vorgang vor allem: Übergang des ager publicus in Privateigentum.
2. Wichtige Einzelthemen u.a.: verschärfter Kampf um die Verfügung über den ager publicus: „freie
Konkurrenz“, die den „Großkapitalisten“ zugute gekommen sei; Entwicklung der römischen
Grundaristokratie zur dominierenden agrarischen Klasse; Veränderung in der Stellung der Sklaven.
3. Von besonderem Interesse für die späteren Arbeiten Webers: Kap. IV „Die römische Landwirtschaft und die Grundherrschaften der Kaiserzeit“, insbesondere die Ausführungen über die
„Schicksale des ländlichen Arbeiterstandes“ (d.h. wesentlich der Sklaven); sehr wichtig vor allem
die Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen der sozio-ökonomischen Lage und der „sittlichen Entwicklung“.
4. Am Ende: Bemerkungen über die grundlegenden Veränderungen im Gefolge der behandelten
Entwicklungen.
(c)
Die sozialen Gründe etc.
Webers These im Grundriß:
Agrarische Produktion im römischen Reich: Sklavenwirtschaft. Skizzierung der Situation und Stellung
der Sklaven („Idealschema“). Konsequenzen des Versiegens des Sklavennachschubs: Unmöglichkeit,
im großen Maßstab für den Markt zu produzieren. Zusätzliches Problem: unzulängliches Verkehrswesen im Binnenland. Entwicklung (auch rechtlich und verwaltungsmäßig) autarker „Gutshöfe“;
„Entkommunalisierung“. Absinken in die Naturalwirtschaft auf breiter Front; relativer Niedergang der
Städte; Übergang zum Feudalismus.
(d)
Agrarverhältnisse im Altertum
Bereits in der ersten Auflage (3. Aufl. um ein Vielfaches erweitert): zusammenfassende Darstellung
der in den letztgenannten beiden Arbeiten Webers niedergelegten Auffassungen. Untersucht werden
die Verhältnisse 1. im hellenistischen Altertum, 2. im römischen Altertum bis zum Ende der Republik
und 3. (in den späteren Auflagen) in Mesopotamien, Ägypten und Altisrael. Besonders interessante
These zur Herkunft der Seßhaftigkeit bei den Siedlungen des Okzidents und des Orients: „Der Individualismus des Herdenbesitzes mit seiner scharfen ökonomischen und sozialen Differenzierung, im
Okzident Ausgangspunkt des primitiven Feudalismus, fehlt im Orient.“ In der 3. Aufl. der „Agrarverhältnisse“ läßt sich Weber (in Auseinandersetzung mit dem Althistoriker E. Meyer) auf eine Diskussion
der Frage ein, inwieweit ein aus der Analyse moderner Zustände entstandenes begriffliches und theoretisches Instrumentarium auf die antiken Verhältnisse angewandt werden könne. In diesem Zusammenhang entwickelt Weber vor allem wichtige Differenzierungen zum Konzept des „Kapitalismus“.
Zum Abschluß dieses Teils werden Hinweise auf zwei Arbeiten Webers aus dieser Zeit gegeben, die
sich mit zeitgenössischen ökonomischen bzw. wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen befassen:
„Die Börse“ von 1894 und „Agrarstatistische und sozialpolitische Betrachtungen zur FideikommißFrage in Preußen“ (1904).
In der ersten Arbeit, die zuerst in der von Friedrich Naumann herausgegebenen „Göttinger Arbeiterbibliothek“ erschien, gibt Weber eine sehr verständliche und immer noch nützliche Einführung in „jenes bei jeder nicht streng sozialistischen Gesellschaftsorganisation schlechthin unentbehrliche Institut“. Daneben diskutiert er das Verhältnis von ökonomischen und wirtschaftspolitischen Interessen
einerseits, politisch-moralischen Postulaten andererseits und spricht in diesem Zusammenhang (wie
8
ganz ähnlich in der gleichzeitigen Freiburger Antrittsrede) von der Schwäche „rein theoretischmoralischer Forderungen“ im ökonomischen Machtkampf der Nationen.
In der zweiten Schrift trägt Weber als Haupteinwand gegen den „Fideikommiß-Entwurf“ vor, daß dieser „bürgerliche mit feudalen Prätentionen ... in Reinkultur massenhaft züchten“ werde; Weber wendet
sich scharf gegen „die Gelüste des Kapitals, Boden als Rentenfonds zu „Nobilitierungszwecken aufzuhäufen“ bzw. gegen die „Auslieferung der besten Böden an die Eitelkeits- und Herrschaftsinteressen des Agrarkapitalismus“. Im wirtschafts- und machtpolitischen Interesse der Nation liegt nach Weber viel mehr eine „zahlreiche und kräftige Bauernbevölkerung“.
III.2. Empirische Analysen
(a)
Arbeiten über die Entwicklungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter
(1892/1894)
(Als Darstellung der wichtigsten Annahmen und Ergebnisse dieser Untersuchungen siehe vor allem:
Käsler 1979, S. 56 ff.)
Einige spezielle Hinweise:
1.
Untersucht wird ein bestimmtes „Entwicklungsstadium“ desjenigen „allgemeinen Umwandlungsprozesses“, dem die Produktions- und Arbeitsverhältnisse auf dem Lande unterliegen. Was die langfristige Perspektive betrifft, so verweist Weber auf zwei frühere Untersuchungen: A. von Lengecke, Die ländliche Arbeiterfrage (Berlin 1849) und Th. von der Goltz, Die
Lage der ländlichen Arbeiter im Deutschen Reich (Berlin 1874).
2.
Im Rahmen seiner (überwiegend selbstkritischen) Überlegungen zur Methode der Untersuchungen trifft Weber u.a. die Feststellung, daß die Beschränkung auf die „typischen und
überall wiederkehrenden Züge in der Lage der Landarbeiter und die erkennbaren Tendenzen
der Fortentwicklung“ auch aus forschungslogischen bzw. theoretischen Gründen vertretbar sei.
3.
Der von Weber konstatierte entscheidende Wandlungsprozeß ist der Übergang von einer traditional gebundenen Produktionsweise (mit patriarchalischen Arbeitsverhältnissen) zur kapitalistischen Erwerbswirtschaft in der agrarischen Produktion. Weber verweist darauf, daß in diesem
Prozeß die Klasse der Junker mit ihrer ökonomischen auch ihre politische Dominanz verlieren
müsse, und daß jede Politik, die dies zu verhindern suche, macht- und wirtschaftspolitisch irrational sei.
4.
Sehr wichtig sind Webers Ausführungen über die Veränderung der sozialen, kulturellen und politischen Stellung der Landarbeiter im Zuge der Auflösung der „patriarchalischen Arbeitsverfassung“. Speziell zur Gruppe der Wanderarbeiter bemerkt er: „sie opfern ihre gewohnten Lebensverhältnisse dem Streben nach Emanzipation aus der Unfreiheit“; Weber sieht hier den Anfang
einer „Mobilmachung zum Klassenkampf“.
5.
In den wirtschaftspolitischen Schlußfolgerungen zu den Untersuchungen wird die stark nationale
und machtpolitische Orientierung Webers deutlich, wie er sie zur gleichen Zeit noch entschiedener in der Freiburger Antrittsrede vertritt.
9
(b)
Methodologische Überlegungen zur Untersuchung der Arbeitssituation der Arbeiterschaft
in der Großindustrie (1908/1909)
1.
Einige Hinweise zu der Arbeit „Methodologische Einleitung“ etc.:
Zweiseitige Betrachtungsweise hinsichtlich der Einwirkung der Großindustrie auf die Arbeiterschaft innerhalb und außerhalb der Produktionssphäre wie hinsichtlich der Bedeutung soziokultureller Merkmale der Großindustrie für deren „Berufsschicksal“.
In der ersten Hinsicht, d.h. zum Einfluß technologischen Wandels auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft, Formulierung von Leitfragen, wie sie in der neueren industriesoziologischen Literatur (Popitz u.a., Kern u.a.) thematisiert werden.
Trotz der Hervorhebung der Bedeutung physiologischer Aspekte: Zurückweisung übermäßiger
Ansprüche der Physiologie.
2.
Hinweise zur Arbeit „Psychophysik der industriellen Arbeit“:
Absicht: auf der Basis einer kritischen Sicherung der vorliegenden Literatur die Resultate „naturwissenschaftlicher Disziplinen“ (Anthropologie, Physiologie, Experimentalpsychologie,
Psychopathologie) „mit der sozialwissenschaftlichen Analyse der wirtschaftlichen Arbeit in Beziehung zu setzen“. In diesem Zusammenhang besondere Berücksichtigung der Arbeiten von
Kraepelin und seinen Schülern zu den „psychophysischen Voraussetzungen und Wirkungen von
Arbeitsleistungen“.
Auch hier wieder (wie oben): Hinweis auf die Grenzen solcher naturwissenschaftlichen (und darunter insbesondere rassen- bzw. vererbungstheoretischen) Untersuchungen. Demgegenüber
Hinweis auf die Bedeutung der „Klassenlage der Eltern“ bzw. der „durch die soziale und kulturelle Schichtung gegebenen Bedingungen“; exemplarische Feststellung dieser Art: daß „die Schulung des Intellekts, speziell die Übung der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit, für welche die Kinder der sozial höheren Schichten so viel bessere Chancen haben, die Ursache jener
höheren Leistungsfähigkeit für exakte Bewegungen ist, nicht aber umgekehrt“.
Besonders diskussionswürdiger Punkt: Webers, wenn auch problematisiertes, Festhalten an der
Leithinsicht der „Rentabilität der Verwendung von Arbeitern in den einzelnen Industrien“.
Wichtige methodologische Überlegungen Webers am Ende der Abhandlung über das Zusammenspiel von Erklären und Verstehen bei der Untersuchung derartiger (sowohl psychophysischer wie sozio-kultureller) Bedingungszusammenhänge.
Im Zusammenhang der Frage nach der Bedeutung von Konfessionszugehörigkeit: Hinweis auf
die Arbeit zur „Protestantischen Ethik“.
IV.
Grundlegung und Entfaltung der Religionssoziologie
(a)
Lebensweltlicher Kontext (vgl. Weiß 1975, S. 103 ff.)
(b)
Die Analysen über „Die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus“
1. Die Fragestellung gemäß dem „antikritischen Schlußwort“ von 1910 (PE, S. 304 ff.):
 Ausgang von dem noch feststellbaren Zusammenhang zwischen Konfessionszugehörigkeit und
Affinität zum kapitalistischen Erwerbsleben bzw. zu einem nicht-traditionalen Berufswahlverhalten (empirische Untersuchung des Weber-Schülers Martin Offenbacher über „Konfession und
soziale Schichtung“, 1901).
 Exemplifizierung des mit „kapitalistischem Geist“ Gemeinten: Franklin. Differenz dessen zur mittelalterlichen Wirtschaftsauffassung.
10
 Unterstellung eines kausalen Verhältnisses zwischen „solchen seelischen Attitüden“ und dem
„Wirtschaftssystem des modernen Kapitalismus“.
 Zentrale Bedeutung des Berufsgedanken; Erinnerung an bereits von anderen Autoren (Gothein)
festgestellte „Wahlverwandtschaft“ zwischen dem Calvinismus sowie dem Quäkertum und einigen anderen protestantischen Sekten und dem spezifischen Wirtschaftsethos des modernen
okzidentalen Kapitalismus.
2. Genauere Erörterung der einzelnen Elemente des Weberschen Arguments und ihrer Zusammenhänge (vgl. die folgende Tabelle):
11
Hauptelemente der sog. „Protestantismus-These“
weltliche Dimension
Art der Beziehung nach M.
Weber
religiöse Dimension
Historisch und dogmatisch
abgrenzbare Ausprägung
des Protestantismus (‘asketischer Protestantismus’);
Merkmale: radikale ‘Entzauberung der Welt’, Prädestinationslehre, extreme
Individualisierung der
Mensch-Gott-Beziehung etc.

Allgemeine
Leitideen
‘Geist des Kapitalismus’ als System der
Sinngebung und Normierung ökonomischen Verhaltens (prototypisch: B. Franklin)
(‘konsequente
ethische Unter
lage’)

spezifisch religiöse Ethik:
‘innerweltliche Askese’


Einstellung
gesellschaftlicher
Akteure
kapitalistische Wirtschaftsgesinnung

 (‘Hebel der Expansion’)
 spezifische ethische Gesinnung: permanente Bewußtheit und Selbstkontrolle,
Standpunkt der
‘Unbrüderlichkeit’, Rechenhaftigkeit

Form des
Handelns
kapitalistisches Wirtschaften

spezifische Lebensführung:
rationale Berufsarbeit, Sparzwang und Beschränkung
auf ‘comfort’
moderner okzidentaler
Kapitalismus als Wirtschaftssystem (Merkmale: freie Lohnarbeit,
Trennung von Haushalt und Betrieb, rationale Buchführung etc.)
Die Pfeile bezeichnen in der Wirklichkeit mehr oder minder stark ausgeprägte Determinationszusammenhänge. Es ist nur die von Weber in seinen Arbeiten zur „Protestantischen Ethik“ - in
bewußter Einseitigkeit - thematisierte Wirkungsrichtung eingetragen; selbstverständlich ist an allen
Stellen eine mehr oder minder starke ‘Wechselwirkung’ anzunehmen.
12
(c) Die großen historisch-soziologischen Analysen: die Wirtschaftsethik der Weltreligionen
1. Hinweise auf den Entstehungskontext dieser Analysen sowie die Leitgedanken, wie sie Weber vor
allem in der „Einleitung“ von 1916 bestimmt. Zur Definition von „Wirtschaftsethik“: entscheidend
„nicht die ethische Theorie theologischer Kompendien, die nur als ein (unter Umständen allerdings
wichtiges) Erkenntnismittel dient, sondern die in den psychologischen und pragmatischen Zusammenhängen der Religionen gegründeten praktischen Antriebe zum Handeln“ (RS I, S. 238).
Hinweis darauf, daß zwischen bestimmten Wirtschaftsethiken und bestimmten „ökonomischen Organisationsformen“ vielfältige Beziehungen möglich sind.
Zentrale Aspekte der Weberschen Untersuchungen: das für alle Weltreligionen zentrale Problem
der Theodizee; das Verhältnis von Virtuosen- und Massenreligiosität; die verschiedenen Formen
und Grade einer „ethischen Rationalisierung des Alltags“; das Zusammenspiel zwischen religiösethischen „Ideen“ und sozio-ökonomischen bzw. Klassen-Interessen.
2. Als Überblick über die Themen und Argumentationsrichtungen der verschiedenen Untersuchungen vgl. insbes. Bendix 1965, Käsler 1979/1998 sowie die Einführungen von W. Schluchter
zu den von ihm herausgegebenen Tagungsbänden (1981 ff.).
3. Abschließende, zusammenfassende Bemerkungen:
Die religionssoziologischen Analysen als Weg zur Klärung der Frage, weshalb sich allein im
Abendland ein spezifischer Rationalismus auf intellektuellem (wissenschaftlichem), ökonomischem
und sozio-politischem Felde entwickelt und durchgesetzt habe; dies ist die organisierende Leitfrage dieser Untersuchungen. Daneben gibt es eine Reihe von speziellen (z.B. klassen-)theoretischen Annahmen. Es fehlt jedoch eine „einheitliche“ soziologische Theorie der Religion.
Gründe: a) die konstitutive Historizität des Gegenstandes, b) das „Wesen der Religion“ - kein mögliches Thema, und erst recht nicht das entscheidende Erklärungsproblem empirischer sozialwissenschaftlicher Forschung.
V.
Das „System“ der Soziologie (Wirtschaft und Gesellschaft)
V.1
Grundbegriffe
(a) Status der Definition vom „sozialen Handeln“: nicht oberstes Axiom einer Theorie, sondern Grundanschauung von gesellschaftlicher Realität, die die Ebene und Zielrichtung soziologischer Begriffsund Theoriebildung bestimmt.
(b) Wichtige Merkmale der Definition des (sozialen) Handelns:
 große Extension („innen“ und „außen“, „Tun“ und „Erleiden“),
 spezifische Differenz von Handeln überhaupt (gegenüber Verhalten): Sinnbezogenheit; Gegenteil: Bestimmtheit durch „bloße Tatsachen“,
 Definition von Handeln und sozialem Handeln damit auf spezifische Determinationsweise (und
das heißt zugleich: eine spezifische Ebene der Erklärung) bezogen,
 Definition von „Sinn“: „alles, was man verstehen kann“ (Gomperz), d.h.: die Gesamtheit menschlicher Welt- und Selbstdeutungen (kognitiver, wertender und expressiver Art),
 Sinnhaftigkeit = „Kommunikabilität“ (Webers Terminus), d.h.: Sinn immer tendenziell oder potentiell intersubjektiven Charakters,
 Sinn nicht: (selbst-)bewußter Sinn, wohl aber: über Bewußtmachung veränderbar.
(c) Die vier Typen des Handelns.
13
(d) „Soziale Beziehung“: Stufe des entwickelten (inter-aktiven) und weiter entwicklungsfähigen sozialen Handelns (definiert durch Erwartungs-Erwartung).
Offene und geschlossene Beziehungen; Typen der sozialen Schließung.
(e) Weiterer Gang der Begriffskonstruktion (Brauch, Sitte, Konvention, Recht, legitime Ordnung): nach
Maßgabe 1. steigender intersubjektiver Obligationsqualität und 2. steigender „Rationalität“ (zunächst im elementaren Sinne von Ausdrücklichkeit und Durchsichtigkeit, dann: Begründetheit).
(f) Webers Stellung gegen jede Hypostasierung sozialer Beziehungen und Ordnungen: deren Bestand definiert als „Chance, daß ein sinnentsprechendes Handeln stattfindet“.
(g) Zum „Individualismus“ der Weberschen Grundanschauung: begründet in dem Tatbestand, daß der
für Handeln konstitutive Sinnbezug nur von einzelnen Akteuren tatsächlich vollzogen werden
kann.
(h) Erläuterungen zu den 4 Haupttypen des sozialen Handelns.
V.2
Klassen und Stände
Kurze Erörterung der Definitionen und theoretischen Basisannahmen Webers, und zwar vor allem
unter Hinweis auf die folgenden Punkte:
1.
Der Begriff der „Klasse“ bezieht sich auf den sozio-ökonomischen Status, d.h. genauer: auf
gruppenspezifische Besitz- und Erwerbschancen; demgegenüber bezieht sich der Begriff „Stand“
auf gruppenspezifische Unterschiede in der „sozialen Schätzung“, deren Stärke unter Umständen unabhängig von der sozio-ökonomischen (Klassen)-Lage variieren kann.
2.
Weber definiert die verschiedenen Klassen von der relativen Stellung im „Marktkampf“ um Güter
und Leistungen her und bringt von daher die relative Stellung im Produktionsprozeß nur mittelbar
ins Spiel; dies dürfte sich vor allem aus der dezidiert empirischen Orientierung Webers an den
realen gesellschaftlichen Konflikten erklären
3.
Wichtige Annahmen Webers über die speziellen Bedingungen, unter denen a) ein „vergesellschaftetes Klassenhandeln“ und b) manifeste Klassenkämpfe eintreten werden.
V.3
Typen der Herrschaft
1.
Erläuterungen zu Webers Ansatz bei der „Legitimitätsgeltung“:
 empirische, nicht normative Zielsetzung
 Abgrenzung von nicht-herrschaftlichen Dominanzansprüchen
 Legitimität selbst: „Chance“
 Unterscheidung des Definitionselements „Gehorsam“ von „Gehorsamerlebnis“ als psychi-
schem Tatbestand
2.
Erläuterungen zu Webers Typologie „legitimer Herrschaft“:
 Hinweis auf Webers Begründung für die gewählte Drei-Teilung (traditional, charismatisch, le-
gal) aus empirischer und systematischer Zweckmäßigkeit.
3.
Erläuterungen zum Herrschaftstypus „Bürokratie“, d.h. zur „legalen Herrschaft“ mittels „bürokratischen Verwaltungsstabes“:
 die Bürokratie als „reinster“ Typus legal-rationaler Herrschaft
 Einzelmerkmale bürokratischer Herrschaft wie: Verbindung von persönlicher Freiheit mit Ge-
horsam gegenüber sachlichen Amtspflichten, feste Amtshierarchie, feste Amtskompetenzen,
14
Fachqualifikation (Bürokratie als „Herrschaft kraft Wissen“), völlige Trennung des Beamten von
den Verwaltungsmitteln, strenge Amtsdisziplin und -kontrolle etc.
 ökonomische (fiskalische) und technologische (insbesondere kommunikationstechnologische)
Voraussetzungen der Bürokratie
 soziale Folgen der Bürokratie: Tendenz zur ständischen Nivellierung, zur Plutokratisierung und
zur „Herrschaft der formalistischen Unpersönlichkeit“.
V.4
Funktionen und Formen der Repräsentation
Trotz der relativen Kürze der betreffenden Textteile handelt es sich hier um eine Thematik von
großer Relevanz, und zwar in systematischer wie in historischer Hinsicht (was den Übergang
von traditionalen zu ‚modernen’ Gesellschaften angeht), in der Weber-Literatur aber sehr vernachlässigt wurde; einiges zu ihrer Bedeutung und Ergiebigkeit im Anschluß an Weiß 1998.
V.5
Ethnische Gemeinschaftsbeziehungen; Nation/Nationalität
Diese, ebenfalls vergleichsweise kurzen Begriffsklärungen und Erörterungen sind in den neueren Untersuchungen zu Problemen der kulturellen oder nationalen ‚Identität’ wieder rezipiert und
in ihrer Nützlichkeit und Aktualität erkannt worden. Der vieldimensionale, komparative und nicht
„essentialistische“ Charakter der Weberschen Betrachtungsweise und Begriffsbildung wird hier
besonders deutlich.
V.6
Ansatzpunkt und Fragmente einer Soziologie der Kultur
 Konstitutive Bedeutung der kulturellen Dimension für Webers Denken überhaupt
 Die Thesen über „Technik und Kultur“
 Die Betrachtungen zur Soziologie des Zeitungswesens
 Analysen zu einzelnen Sphären der Kultur:
Religion (s.o. IV)
Wissenschaft (insbes. in: Wissenschaft als Beruf)
Kunst (a. Allgemeines, b. Exemplarisches; Untersuchung: Die rationalen und soziologischen
Grundlagen der Musik)
VI.
Die wissenschaftstheoretische Reflexion (Wertbeziehung und Wertfreiheit, Idealtypus,
Verstehen und Erklären)
Bereits die fundamentale Entscheidung Webers für eine Sozialwissenschaft, die bei allen Bemühungen um begrifflich-theoretische „Abstraktion“ (insbesondere im Umkreis der Soziologie i.e.S.) in der
Erforschung der geschichtlichen Handlungswirklichkeit ihren eigentlichen Zweck besitzt und sich deshalb als „Wirklichkeitswissenschaft“ versteht, entspringt einer „praktischen“ Aufgabenstellung: „Die
Sozialwissenschaft, die wir betreiben wollen, ist eine Wirklichkeitswissenschaft. Wir wollen die uns
umgebende Wirklichkeit des Lebens, in welche wir hineingestellt sind, in ihrer Eigenart verstehen“
(WL, 170). Alle methodologischen Grundsätze Webers und auch seine begrifflich-theoretische Grundanschauung vom „sozialen Handeln“ erklären sich aus der Absicht, bei der Erforschung der geschichtlich-gesellschaftlichen Welt den Geboten wissenschaftlicher Rationalität ebenso Genüge zu tun wie
den Perspektiven und Bedürfnissen konkreter geschichtlicher Praxis.
15
In diesem Sinne verlangt Weber von der empirischen Sozialwissenschaft strenge „Wertfreiheit“, d.h.
die Annahme und Befolgung der Einsicht, daß erfahrungswissenschaftliche (und formal-logische) Sätze einerseits, unbedingte Sollenssätze andererseits logisch gänzlich heterogener Natur sind und die
Erfahrungswissenschaft deshalb zur Letztbegründung irgendwelcher Wertsetzungen außerstande ist.
Zugleich aber stellt Weber fest, daß die Sozialwissenschaft ihre wirklichkeitswissenschaftliche, d.h.
geschichtlich-praktische Aufgabe nur erfüllen könne, wenn sie sich bei der „Auswahl und Formung“
ihrer Untersuchungsgegenstände von je spezifischen und geschichtlich wandelbaren „Wertgesichtspunkten“ leiten lasse. Durch das Verfahren der theoretischen oder hypothetischen „Wertbeziehung“ ist
die sozialwissenschaftliche Forschung auf die „den Forscher und seine Zeit beherrschenden Wertideen“ (WL, 184) und damit auf die Perspektive geschichtlicher Praxis verwiesen, ohne doch die - aus
Gründen wissenschaftlicher Rationalität - unabdingbare „Wertfreiheit“ aufzugeben. Dasselbe Doppelmotiv bestimmt Webers Thesen zum „Idealtypus“: Einerseits entspringt die idealtypische Begriffsform
dem Bedürfnis, auch bei der Erforschung historischer Tatbestände nicht auf „begriffliche Deutlichkeit“
bzw. die „Anwendung fester und präziser Begriffe“ zu verzichten (SWG, 280). Andererseits haben die
spezifischen historischen Begriffe einen nur idealtypischen, d.h. rein konstruktiven und „utopischen“
Charakter, weil grundsätzlich nicht angenommen werden kann, daß die Differenzierungen und Ordnungen der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit diejenige Homogenität und interne Konsequenz („Sinnadäquanz“) besitzen, die bei der Bildung „fester und präziser Begriffe“ unterstellt werden
muß. Allerdings ist eine solche „Sinnadäquanz“ eine Möglichkeit geschichtlich-gesellschaftlichen Handelns (das als solches ja durch Sinnhaftigkeit charakterisiert ist). Die idealtypischen Begriffsbildungen
„rekonstruieren“ geschichtliche Sinnzusammenhänge unter dem Gesichtspunkt von „Rationalität“ in
diesem (weiten) Sinne. In dieser Begriffsform konvergiert also das wissenschaftliche Interesse an „begrifflicher Deutlichkeit“ mit dem Interesse an Klarheit und Konsequenz, das für die „Selbstbesinnung“
sinnhaften geschichtlich-gesellschaftlichen Handelns kennzeichnend und notwendig ist, und das sich
darüber hinaus auch zumindest als „Tendenz“ in der historischen Wirklichkeit vorfinden läßt (vgl. dazu
z.B. WL, 195 ff.). Der Modus der „objektiven Möglichkeit“, in dem die Idealtypen stehen, ist zugleich
derjenige Modus, in dem sich jede vom unmittelbaren Handlungsdruck entlastete und insofern „rationale“ Selbstvergegenwärtigung, Orientierung und Planung geschichtlicher Praxis vollzieht.
Das „Verstehen“ schließlich ist für Weber keine Alternative zum kausalen Erklären, sondern die einzige Weise, wie die spezifischen, nämlich sinnhaften Bestimmungsgründe geschichtlichgesellschaftlichen Handelns gegeben sind, und zwar in der lebensweltlichen Erfahrung ebenso wie
auf der Ebene wissenschaftlicher Erkenntnis. Weil dies so ist, ermöglicht das Verstehen eine Form
des kausalen Erklärens, die der in der Naturerkenntnis praktizierten an Erklärungskraft sogar überlegen ist.
An die Stelle der Äußerlichkeit und Fremdheit der Natur tritt die prinzipielle Durchsichtigkeit sinnhafter
Handlungsbestimmungen. Zwar ist es nur im konkreten Falle jeweils zu entscheiden, wie weit die
Verwendung sinnadäquat konstruierter Deutungsschemata für eine kausaladäquate empirische Erklärung gegebener Tatbestände zureicht. Desungeachtet kann und muß die Soziologie jedoch mit der
Annahme arbeiten, daß die spezifisch sozialen Bestimmungsgründe menschlichen Verhaltens grundsätzlich verstehbarer (und also sinnhafter) Natur sind.
Diese Annahme gilt nach Weber auch, und zwar sogar a fortiori, wenn menschlichem Verhalten die
Möglichkeit zur Freiheit zugeschrieben wird. Wenn dabei Freiheit einerseits in einem empirisch überhaupt konstatierbaren Sinne und andererseits nicht als etwas schlechthin „Indeterministisches“, „Unberechenbares“ oder objektiv „Irrationales“ (vgl. WL, 136 f.) verstanden wird, entzieht sie sich keineswegs demjenigen „kausalen Erklären“, das eine verstehende Sozialwissenschaft zu praktizieren vermag. Das „empirische ‘Freiheitsgefühl’„ begleitet nach Weber gerade die Handlungen, welche „rational, d.h. unter Abwesenheit physischen und psychischen ‘Zwanges’, leidenschaftlicher ‘Affekte’ und
‘zufälliger’ Trübungen der Klarheit des Urteils“ vollzogen werden (a.a.O., 226). In demselben Maße, in
dem Akteuren Freiheit in diesem Sinne (d.h. im Gegensatz zur Wirksamkeit „blinder Naturgewalten“
(a.a.O.) zugeschrieben werden kann, sind die Bestimmungsgründe ihres Handelns dem Verstehen
zugänglich und erlauben damit eine Form der Erklärung, die zugleich sinnadäquat und kausaladäquat
ist.
16
Kausales Erklären, das sich auf der Basis und im Medium von Verstehen vollzieht, hat demnach einen
doppelten Vorzug:
Erstens sind ihm bestimmte Tatbestände in einer Weise als wirkende Ursachen gegeben, wie dies bei
der Erforschung sinnfremden Geschehens unmöglich ist. Weber stellt fest, daß die „Kulturwissenschaften“, sofern sie „empirisch“ und „mit der Kategorie der Kausalität“ arbeiten, diese Kategorie
„durchweg in ihrer vollen Entfaltung“ verwenden. Diese Feststellung steht nicht der Annahme entgegen, daß menschliches Handeln der Freiheit fähig ist. Wo Freiheit (im bezeichneten Sinne) stattfindet
oder unterstellt wird, ist vielmehr eine spezifische evidente Form der (kausalen) Erklärung möglich.
Auf dem Felde verstehbaren Geschehens ist also die „kausale Zurechnung“ nicht nur in „absolut dem
gleichen logischen Sinn“ (WL, 134; Sperrung von M. Weber) wie in der Naturforschung möglich - es
erreicht hier sogar Grade der Durchsichtigkeit und Rationalität, die in letzterer ausgeschlossen sind.
Zweitens stehen die über ein „Verstehen“ vermittelten kausalen Erklärungen menschlichen Handelns
in einem spezifischen Verhältnis zur lebensweltlichen Praxis: Sie bewegen sich in demselben Medium, in dem jene sich als soziale Praxis immer schon vollzieht. Kausale Erklärungen auf der Basis verstehbarer „Motive“, „Zwecke“, „Maximen“, „Regeln“ etc. zielen unmittelbar auf diejenige Ebene der
Verhaltensbestimmung, auf die sich die Selbstbedeutung lebensweltlicher gesellschaftlicher Praxis
immer schon bezieht und beziehen muß. Nicht nur die Konstitution und Erhaltung, sondern auch die
Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse vollzieht sich auf der Basis geschichtlicher Sinngebungen
- und damit im Medium des Verstehens. Indem die verstehende Soziologie sich auf diese Dimension
menschlichen Handelns konzentriert (nicht: beschränkt), hat sie im Ansatz teil an der spezifischen
„Kommunikabilität“, die Weber als Merkmal genuin gesellschaftlicher Bestimmungsgründe menschlichen Verhaltens auffaßt.
Die verstehende Soziologie richtet sich bei ihren Erklärungsbemühungen systematisch auf diejenigen
Faktoren, die in einem ausgezeichneten Sinne gesellschaftlicher Provenienz sind und über intersubjektive Bewußtmachung und Klärung in einer prinzipiell anderen Weise verändert werden (können),
als dies bei Naturfaktoren der Fall ist.
Das begrifflich-theoretische Korrelat des Verstehens (wie auch des Idealtypus-Konzepts) ist Webers
Grundanschauung vom „sozialen Handeln“. Ihre ausdrückliche Funktion liegt darin sicherzustellen,
daß soziologische Begriffs- und Theoriebildung auf die Ebene sinnhafter Orientierung und
„Kommunikabilität“ zurückbezogen bleibt, auf der sich soziales Handeln selbst versteht und vollzieht.
Der „Grundbegriff“ vom sozialen Handeln schließt höhere Abstraktionsgrade soziologischer Begrifflichkeit und Hypothesenbildung durchaus nicht aus, stellt jedoch den innerwissenschaftlichen Rationalitätsbedürfnissen (d.h. den Bedürfnissen nach Systematisierung und Generalisierung) die Forderung
an die Seite, daß jene soziologischen Konstrukte grundsätzlich auf die Erfahrungsebene gesellschaftlicher Akteure zurückübersetzt werden können - auf die Ebene also, auf der sich die gesellschaftliche
Wirklichkeit tatsächlich fortwährend konstituiert, erhält und verändert.
Es ist in Webers Augen doppelt - nämlich in „theoretischer“ wie in „praktischer“ Hinsicht - widersinnig,
wenn sozialwissenschaftliche Begriffs- und Theoriebildung sich prinzipiell und planmäßig von dem
lebensweltlichen Vollzug gesellschaftlicher Praxis absetzt: Erstens entspricht dies nicht dem Tatbestand, daß gesellschaftliche Wirklichkeit letzten Endes eben eine Wirklichkeit aus sozialem Handeln
ist. Insbesondere in einer methodisch nicht kontrollierten Verwendung von „Kollektivbegriffen“ sah
Weber eine „Quelle arger Unklarheiten“, wenn nicht gar ein Mittel absichtsvoller „Erschleichungen“
(WL, 88). Dies verweist unmittelbar auf den zweiten Widersinn. Er liegt darin, daß dieselbe Soziologie,
die mit einem so ausgeprägten praktisch-politischen Anspruch angetreten war, den gesellschaftlichen
Akteuren ein Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit vermittelt, in dem (seiner Struktur nach) diese
sich als soziale Akteure nicht wiederzufinden und zu verorten vermögen. Widersinnig ist es, am überkommenen Aufklärungsanspruch der Soziologie festzuhalten, die soziologische „Aufklärung“ den gesellschaftlichen Akteuren jedoch - theoretisch wie praktisch - wiederum nur als äußerliche und „fremde
Macht“ - z.B. als „Systemtechnologie“ - entgegentreten zu lassen.
Webers Grundlegung der Soziologie ist darauf angelegt, den vermeintlich widersprüchlichen Anforderungen der geschichtlichen Stationen zu entsprechen. Sie macht Ernst mit dem Gebot unbedingter
17
intellektueller Redlichkeit auch bei der Erforschung der geschichtlich-gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Soweit diese Wirklichkeit überhaupt auf dem Wege erfahrungswissenschaftlicher Forschung durchsichtig und berechenbar gemacht werden kann, hat dies zu geschehen. Dabei ist jede Hoffnung, daß
sich mit dem empirisch Wahren auch das sittlich Gute ergeben bzw. herstellen werde, aufzugeben.
Weil dies so ist, d.h. weil die Soziologie keinen objektiven Sinn und kein vorgegebenes Subjekt des
geschichtlich-gesellschaftlichen Geschehens anzugeben vermag, hat sie ihre Begriffs- und Theoriebildung und ihre ganze Forschungsthematik so anzulegen, daß sie tatsächlich als Element einer
selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Praxis fungieren kann. Nur wenn die Soziologie den
Rationalitätsstandard neuzeitlicher Wissenschaft und den Anforderungen einer derartigen ethischpolitischen Handlungsrationalität zugleich entspricht, wird sie den Erfordernissen der geschichtlichen
Situation gerecht.
VII.
Wissenschaft und Politik
Erläuterungen zu Webers Versuch, ein leidenschaftliches politisches Engagement mit intellektueller
Rechtschaffenheit und den Anforderungen der Objektivität und Wertfreiheit sozialwissenschaftlicher
Forschung zu verbinden. Anschluß an das letzte Kapitel von Weiß 1981 sowie Weiß 2000.
VIII. Bibliographie und Hinweise zur Sekundärliteratur
VIII.1. Werke Webers
(Die vollständigste und genaueste Bibliographie der Arbeiten Webers findet sich in der Publikation von
D. Käsler 1979/1998.)
Gesammelte Aufsätze zur Soziologie und zur Sozialpolitik, Tübingen 1924
Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1924
Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 3 Bde., Tübingen 1920/21 u.ö.
Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 3. erweiterte und verbesserte Aufl., hrsg. von J. Winckelmann, Tübingen 1968
Gesammelte politische Schriften, 3. Aufl., hrsg. von J. Winckelmann, Tübingen 1971
Die gesammelten Aufsätze Max Webers liegen auch in einer TB-Ausgabe vor:
Gesammelte Aufsätze. 7 Taschenbuchbände (UTB für Wissenschaft, Uni-Taschenbücher,
1495), Tübingen 1988
Ferner sind in den letzten Jahren auch die ersten Bände der historisch-kritischen Max WeberGesamtausgabe erschienen:
Max Weber Gesamtausgabe (MWG), im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Horst Baier, M. Rainer
Lepsius, Wolfgang J. Mommsen, Wolfgang Schluchter, Johannes Winckelmann. Abt. I: Schriften
und Reden. Abt. II: Briefe, Tübingen 1984 ff.
Bisher erschienen:
Bd. I/2: Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht, hrsg.
von Jürgen Deininger, Tübingen 1986
Bd. I/3 (2 Halbbände): Die Lage der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland, hrsg. von Martin
Riesebrodt, Tübingen 1984
Bd. I/10: Zur russischen Revolution von 1905. Schriften und Reden 1905-1912, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Dittmar Dahlmann, Tübingen 1989
Bd. I/15: Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918, hrsg. von Wolfgang J.
Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1984
18
Bd. I/19: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Konfuzianismus und Taoismus. Schriften 19151920, hrsg. von Helwig Schmidt-Glintzer in Zusammenarbeit mit Petra Kolonko, Tübingen 1989
Bd. I/20: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus 1916-1920, Tübingen 1996
Bd. I/21-1: Wirtschaft und Gesellschaft. Teilbd. 1: Gemeinschaften, Tübingen 2001
Bd. I/22-2: Wirtschaft und Gesellschaft. Teilbd. 2: Religiöse Gemeinschaften, Tübingen 2001
Bd. I/22-5: Wirtschaft und Gesellschaft. Teilbd. 5: Die Stadt, Tübingen 1999
Bd. I/8: Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik, Tübingen 1998
Bd. I/11: Zur Psychophysik der industriellen Arbeit, Tübingen 1995
Bd. II/5: Briefe 1906-1908, hrsg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön, Tübingen 1990
Bd. II/6: Briefe 1909-1910, Tübingen 1996
Bd. II/7: Briefe 1911-1912 (2 Halbbde.), Tübingen 1998
Bd. I/17: Wissenschaft als Beruf/Politik als Beruf, Tübingen 1992
Bd. I/4:Landarbeiterfrage. Nationalstaat und Volkswirtschaftspolitik. 1892-1899, Tübingen 1993
Die einzelnen Bände der MWG erscheinen, Zug um Zug, auch in einer „Studienausgabe“ (mit wesentlich verkleinertem ‘Apparat’).
Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriß der verstehenden Soziologie. Studienausgabe, hrsg. von J.
Winckelmann, Köln/Berlin 1964 (Zitationsgrundlage); 6. revidierte Aufl. mit textkritischen Erläuterungen, Tübingen 1976
Die protestantische Ethik. Eine Aufsatzsammlung, hrsg. von J. Winckelmann, München/Hamburg
1965
Die protestantische Ethik. Kritiken und Antikritiken, hrsg. von J. Winckelmann, München/Hamburg
1968
Methodologische Schriften. Studienausgabe, hrsg. von J. Winckelmann, Frankfurt 1968
Wirtschaftsgeschichte. Aus den nachgelassenen Vorlesungen hrsg. von S. Hellmann und M. Palyi,
München/Leipzig 1923
Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik (1921), Tübingen 1972
Soziologie - Weltgeschichtliche Analysen - Politik, hrsg. und erläutert von J. Winckelmann, Stuttgart
1956 u.ö. (wesentlich erweiterte Neuausgabe, hrsg. von Dirk Käsler, Stuttgart 2002)
19
VIII.2. Ausgewählte Sekundärliteratur
Abramowski, Günter, Das Geschichtsbild Max Webers. Universalgeschichte am Leitfaden des okzidentalen Rationalisierungsprozesses, Stuttgart 1966
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