- Christen an der Seite Israels
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- Christen an der Seite Israels
Zeitfenster lsraelaktuell · Dossier 2012–2015 Ein Zeitfenster der Gnade für Deutschland und Europa … zum Segen für Holocaust-Überlebende … zur Stärkung der deutsch-israelischen Beziehungen … zur Ehre Gottes Eine Einladung zum Gebet und zur Mitwirkung an Christen in Deutschland mit einem Herz für das jüdische Volk und für Israel Inhalt Seite Ein Zeitfenster der Gnade für Deutschland und Europa · Harald Eckert1 Rückblick auf die letzten Jahre 2 Das 70-Jahres-Gedenken in Bibel und Gegenwart · Harald Eckert2 Holocaust-Überlebende in Israel heute · Harald Eckert4 Ursprünge und Grundlagen der Marsch des Lebens-Bewegung · Jobst Bittner5 20.–21. Januar 2012 – Tage des Gedenkens und der Begegnung in Berlin6 Ausblick: 2012–2015 7 Perspektiven der Marsch des Lebens-Bewegung 2012–2015 · Jobst Bittner7 Medien zum Marsch des Lebens:7 Gemeinsam gedenken – versöhnt handeln! · Harald Eckert 8 Ein Zeitfenster der Gnade von Harald Eckert A m 20. Januar 2012 jährte sich die berühmt-berüchtigte „WannseeKonferenz“ zum 70. Mal. Dieses Treffen der Führungsriege von Hitlers Regierung markiert den letzten Meilenstein auf dem Weg zur geplanten Auslöschung von 11 Millionen europäischen Juden. 6 Millionen kamen ums Leben. 5 Millionen überlebten – oft unter dramatischen Umständen. Am 8./9. Mai 2015 wird sich das Ende des Zweiten Weltkrieges und damit das Ende des Holocaust zum 70. Mal jähren. Dazwischen liegt ein Zeitfenster von ca. drei Jahren. Dieses Zeitfenster von drei Jahren bildet für uns Christen in Deutschland eine Reihe von herausragenden Chancen und Gelegenheiten, in segensreicher Weise aktiv zu werden: 1.In diesen drei Jahren ist es noch möglich, den Hunderttausenden von Holocaust-Überlebenden, die es derzeit noch gibt, Gutes zu tun. 2.Diese drei Jahre bieten eine Fülle von 70. Jahrestagen, die zum Gedenken genutzt werden können. Am besten gemeinsam mit Zeitzeugen und mit jungen Menschen. 3.Diese drei Jahre bieten uns Christen eine Fülle von Gelegenheiten, gemeinsam mit jüdischen Partnern, kommunalen Partnern und vielen Menschen guten Willens eng und gedeihlich zusammenzuarbeiten. 4.Diese drei Jahre bieten vielfältige Möglichkeiten, geistlich und im Gebet aktiv zu werden. Die Zahl „70“ (7 x 10) hat in der Bibel eine hervorgehobene Bedeutung und Symbolik, nicht zuletzt im Zusammenhang mit Gottes Befreiungshandeln im jüdischen Volk am Ende des babylonischen Exils (siehe Buch Daniel 9 und 10). „Wo Sünde mächtig geworden ist, möchte sich die Gnade Gottes umso mächtiger erweisen“ (Röm. 5, 20 b). 5.Diese drei Jahre bieten vielfältige Möglichkeiten und Ansätze, sich im gleichen Geist mit anderen Christen aus anderen Nationen zu verbinden. Derzeit läuft eine dynamische Entwicklung in Polen. Potentiell gibt es jedoch vielfältige Möglichkeiten mit Christen aus ganz Europa (insbesondere die ehemals von Nazis besetzten Gebiete) und darüber hinaus. 6.In diesem Geist der „Versöhnung, Freundschaft und Zusammenarbeit“ eröffnen sich viele verheißungsvolle Gelegenheiten der vertieften Zusammenarbeit mit israelischen Persönlichkeiten und Institutionen auf unterschiedlichen Ebenen – mit positivem Potential für die Vertiefung der deutsch-israelischen Beziehungen (wie bei den christlicherseits initiierten Gedenktagen zum 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz schon geschehen). 7.Diese Bewegung hat unter dem Segen Gottes viel Potential, über Europa hinaus weltweit wirksame Impulse zu setzen – wie dies zum Beispiel in der „Marsch des Lebens“-Bewegung schon ganz konkret in den USA, Südamerika und im asia-pazifischen Raum der Fall ist. Diese Veröffentlichung möchte Christen in Deutschland ermutigen, sich zuerst im Gebet hinter diese Bewegung zu stellen. Es ist zuerst ein geistliches Zeit- und Gnadenfenster, das geistlich gewonnen und getragen werden möchte. Gleichzeitig ist es auch eine Einladung, sich ganz konkret und praktisch mit einzubringen. Möglichkeiten dazu gibt es viele: • Im Rahmen der „Marsch des Lebens“-Bewegung. • Im Rahmen der Bemühungen, die Leidensgeschichten von Holocaust-Überlebenden in Deutschland zu dokumentieren. • Im Rahmen der Zusammenarbeit und Partnerschaften, die auf das Schicksal notleidender Überlebender in Israel aufmerksam machen und entsprechende Hilfsmaßnahmen unterstützen. • Und im Rahmen manch anderer Initiativen und Projekte, die auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene im gleichen Geist in diesem Zeitraum noch entstehen werden. In den vergangenen fünf Jahren, in denen ich intensiv für Holocaust-Überlebende (vorwiegend in Israel) aktiv gewesen bin, hat sich mir eine tiefe Einsicht eröffnet, die ich Ihnen hiermit weitergeben möchte: „Das letzte Kapitel der Geschichte des Holocaust ist noch nicht geschrieben, solange noch Holocaust-Überlebende unter uns leben. Es liegt – mit Gottes Hilfe – primär in unserer Hand als Deutsche, wie dieses letzte Kapitel gefüllt sein wird: Ob primär von einem Lebensgefühl der Einsamkeit, Armut und Depression oder von einem Lebensgefühl der Versöhnung, Wertschätzung und Hoffnung.“ Vor 70 Jahren, bei der Wannsee-Konferenz vom Januar 1942, koordinierten die führenden Männer des „Dritten Reiches“ das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Ich glaube, dass 70 Jahre später der Heilige Geist mehr als bereit ist, viele willige Christen zu „koordinieren“, um von Deutschland aus die noch unter uns weilenden Überlebenden des Holocaust zu segnen, die deutsch-israelischen Beziehungen zu bereichern und damit Gott die Ehre zu geben. Harald Eckert 2 Rückblick auf lsraelaktuell · Dossier Das 70-Jahres-Gedenken in Bibel und Gegenwart von Harald Eckert E s gibt bestimmte Zahlen, die haben eine besondere Bedeutung. Die Zahl 70 gehört zu diesen. Der markanteste Hinweis in der Bibel auf die Besonderheit dieser Zahl findet sich im Zusammenhang mit dem Geschehen um die Wegführung und Rückführung der jüdischen Elite in das babylonische Exil im 6. Jahrhundert vor Christus. Diese Wegführung geschah in mehreren Wellen. Nachdem die erste Welle weggeführt wurde, schrieben sie an den damals lebenden Propheten Jeremia und fragten ihn, worauf sie sich in der Gefangenschaft einzustellen hätten: Würden sie bald wieder nach Hause zurückkehren? Sollten sie Widerstand leisten? In diesem Zusammenhang schrieb ihnen der Prophet, sie sollten sich auf einen Zeitraum von 70 Jahren einstellen, ehe die Zeit des babylonischen Exils zu einem Ende kommt (s. Jer. 29). Im Exil erweckte der Herr ebenfalls einen Propheten. Sein Name war Daniel. Als junger Mann gehörte er zu einer Gruppe von nach Babel Weggeführten. Er erlebte sowohl große Verfolgung als auch große Wunder und wie ihn der Herr zum engsten Berater verschiedener Machthaber beförderte, ähnlich wie es vor ihm schon Josef erlebte. Von ihm heißt es, dass er als alter Mann diese Prophetie Jeremias ganz neu zur Kenntnis nahm. Dies trieb ihn – als die 70 Jahre sich zu erfüllen begannen – in einen geistlichen Prozess, in Buße und Fürbitte für die Sünden seiner Väter und seines Volkes (Daniel 9), was der Herr schließlich mit der Freisetzung seines Volkes und mit der Rückkehr der Nachkommen der Weggeführten nach Israel belohnte. Aber auch sonst kommt die Zahl 70 in der Bibel immer wieder vor: In 1. Mose 11 werden 70 Völker aufgezählt – alles Nachkommen der drei Söhne Noahs und ihrer Frauen: Der Ursprung der Völkerwelt. Auch die Zahl der Familie Jakobs, die auf Einladung Josefs nach Ägypten kam, um der damaligen Hungersnot zu begegnen, betrug 70 (1. Mose 46). Als Mose und Aaron die zehn Gebote am Berg Horeb in Empfang nehmen sollten, forderte der Herr sie auf, mit 70 Ältesten des Volkes Israel an den Berg zu kommen (2. Mose 24). Auch Jesus sandte zu seiner Zeit 70 Jünger aus (Lukas 10). Weitere Beispiele für die besondere Bedeutung der Zahl 70 in der Bibel könnten hinzugefügt werden. Der symbolische Gehalt dieser Zahl beruht auf der Verbindung der Zahl 7 mit der Zahl 10. Dazu muss man wissen, dass im Hebräischen die Zeichen sowohl einen Buchstaben als auch einen Zahlenwert darstellen können. Bestimmten Zahlenwerten wiederum wird traditionell eine bestimmte symbolische Bedeutung zugemessen. Die Zahl 7 zum Beispiel steht, vereinfacht gesagt, für „inne- re Vollständigkeit“, die Zahl 10 für „äußere Vollständigkeit“. In der Zahl 70, 7 mal 10, verbinden sich die beiden Dimensionen: Sie steht also für gleichzeitige innere wie auch äußere Vollständigkeit. Die 70 Völker, die 70 Mitglieder der Familie Jakobs, die 70 Jünger repräsentieren also eine Ganzheit: Die Völkerwelt, die Kinder Israels, die Nachfolgerschaft Jesu etc. In ähnlicher Weise stehen die 70 Jahre für eine Epoche. Einen kompletten Zeitabschnitt. Auch das babylonische Exil sollte so eine Epoche sein. Es ist aus diesem Verständnis heraus, dass Christen immer wieder der Zahl 70 und insbesondere den 70. Jahrestagen bestimmter Ereignisse eine besondere Bedeutung beigemessen haben. Was die jüngere Zeit betrifft, boten sich die 70. Jahrestage der Nazi-Geschichte an, besonders markante Daten aufzugreifen: Januar 1933– 2003: 70 Jahre Machtergreifung Hitlers. September 1935–2005: 70 Jahre Rassegesetzgebung. November 19382008: 70 Jahre Reichspogromnacht (auch bekannt unter: Reichskristallnacht). Und nun im Januar 2012 das Gedenken an den 70. Jahrestag der mit dem Lebensrhythmus der 7-TageWoche an. Es setzt sich fort darin, dass Gott seinem Volk auf der Wanderung durch die Wüste bestimmte Fest- und Gedenktage einprägt und sie lehrt, ihre Kinder darin zu unterweisen. Der ganze jüdische Festtagskalender kommt aus dieser Erziehungsmaßnahme Gottes heraus. Im Neuen Testament stellen wir fest, dass Gottes neutestamentliches Heilshandeln sich mit dem alttestamentlichen verbindet – weil Gott es so gewollt, man könnte auch sagen, so „getimed“ hat: Das neutestamentliche Abendmahl wurde von Jesus im Einklang mit dem jüdischen Seder-Abend eingesetzt. Der Kreuzestot Jesu erfolgte in der gleichen Stunde, in der der Hohepriester im Tempel das einjährige Passahlamm schlachtete, im Gedenken an die Befreiung Israels aus Ägypten. Die Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten erfolgte an exakt dem gleichen Tag im jüdischen Kalender, an dem Juden aus aller Welt nach Jerusalem kamen, um unter anderem auch der Gesetzgebung am Sinai zu gedenken. Gott arbeitete schon immer mit Zeitpunkten und Zeitabschnitten. ten Zahlen, die eine ähnlich wichtige Bedeutung haben, wie die drei eben genannten, sind die Zahlen 100 und 120. Demnach müssen wir uns, was diese biblischen Anhaltspunkte betrifft, nach dem Abschluss des 70. Jahrestages auf eine längere Pause von wenigstens 30 Jahren einstellen. Es gibt noch einen ganz praktischen Aspekt, der dem 70-JahresZeitraum noch eine andere besondere Bedeutung verleiht: Viele Kinder von damals sind heute noch am Leben. Wir haben noch Zeitzeugen aus der damaligen Zeit unter uns! Das wird beim 100. und 120. Jahrestag wohl nicht mehr der Fall sein. Diese (Zeit-) Zeugendimension kann in einer Zeit, in der der Holocaust zunehmend in Vergessenheit gerät, relativiert oder gar geleugnet wird, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mir scheint, dass der Heilige Geist selbst dahingehend mitwirkt, dass zum Ende der Lebzeiten der Überlebenden ihnen nochmals eine ganz besondere Aufmerksamkeit zukommt. Wie wichtig ist es unter diesem Gesichtspunkt zum Beispiel, dass möglichst viele der Überlebenden noch die Gelegenheit bekommen, ihre Foto: Helping Hand Coalition In Israel leben heute noch etwa 200.000 Holocaust-Überlebende Wannsee-Konferenz. Den Abschluss dieser besonderen Serie bildet dann der Mai 2015 mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und damit verbunden mit dem Ende des Holocaust. In der Bibel selbst finden wir zahlreiche Hinweise, dass Gott selbst mit besonderen Daten und Momenten arbeitet. Das fängt bei der Einsetzung des Schabbat und damit verbunden Was die biblischen Epochen und Zeitabschnitte betrifft, liegt eine besondere Betonung auf dem 40. Jahr (eine Generation), auf dem 50. Jahr (Jahr des Schuldenerlasses) und auf dem 70. Jahr (Vollständigkeit, Abschluss). Für uns heute gilt zu beachten, dass dann, was das biblische Zeugnis zu diesem Thema betrifft, eine längere Pause eintritt. Die nächs- in der jüdischen Kultur bis heute prägend vorhanden. Dies bietet uns eine hervorragende Grundlage zur Zusammenarbeit sowohl mit jüdischen als auch mit gesellschaftlichen Institutionen und Persönlichkeiten. Zurück jedoch nochmals zum biblischen Befund: Wie wir aus dem Bericht des Propheten Daniel (Daniel 9) ersehen können, steckt in den Jahrestagen an sich kein mystischer Automatismus. Man darf diese Jahrestage biblisch gesehen eher als Angebote Gottes verstehen, die man annehmen und nutzen oder bleiben lassen darf. Natürlich mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen. Daniel hat zu seiner Zeit das Angebot Gottes, heute könnte man vielleicht sagen das geistliche „Potential“, dieses Zeitpunktes verstanden – und entsprechend gehandelt! Erst hat er geistlich gehandelt, indem er sich und sein Volk in die Sündenerkenntnis, in Reue und Buße geführt hat. Das wiederum öffnete die Tür dafür, dass danach praktische Schritte der Veränderung (sprich: Die Rückführung der jüdischen Exilanten in ihre Heimat) möglich wurden. Dieses Zusammen- Leidensgeschichte zu dokumentieren. Und noch ein weiterer sehr konkreter und hilfreicher Aspekt mag beachtet werden: Diese biblisch verankerte Kultur des Erinnerns und Gedenkens hat unsere Zivilisation geprägt. Es sind diese biblischen Schlüsselzahlen, die bis heute in der Gedenkkultur unserer Gesellschaft aufgegriffen werden. Und natürlich sind sie auch wirken der geistlichen und der praktischen Dimension haben wir, die wir uns über die Jahre in dieser Weise engagiert haben, immer wieder erlebt. Sowohl im Persönlichen als auch auf größerer Ebene. Wer dazu ganz aktuelle, sehr eindrucksvolle Beispiele auf persönlicher, familiärer wie auch auf Stadtebene nachlesen möchte, dem kann ich nur das Buch von Jobst die letzten Jahre 3 lsraelaktuell · Dossier Judenvernichtung in dieser Zeit, bis hin zu den Todesmärschen im Herbst/ Winter 1944/45 gibt es kaum eine Stadt oder Region in Deutschland, in der es kein Unrecht und keine Blutschuld gegenüber jüdischen Menschen und Mitbürgern gegeben hat. Ich werde, vor allem von Christen, oft gefragt, was denn der tiefere Sinn dessen sein soll, dass wir uns immer wieder unter die Schuld der Väter und der Vergangenheit beugen. Manchmal schließt sich die Frage an, wann es denn endlich genug damit sei. Gerade auch junge Christen tun sich schwer, sich mit dieser Art des geistlichen und praktischen Engagements zu identifizieren. Ich kann hier nur ein paar kurze Hinweise geben, keine umfassende Antwort. Aber ich gebe zu bedenken: Das Cover des Buches „Die Decke des Schweigens“ von Jobst Bittner Bittner, „Die Decke des Schweigens“, empfehlen. Ich selbst habe meine eigene Geschichte und meinen eigenen Zugang zu dieser Dimension des Erlösungshandelns Gottes. Vielleicht ist es hilfreich, diese kurz zu erzählen: Ich kam Mitte der 1970er Jahre als junger Teenager zum lebendigen Glauben an Jesus. Meine Mutter und meine Großmutter legten wohl schon eine kostbare Saat in mein Leben – aber richtig aufgegangen ist diese Saat im Kontext der Jesus-PeopleBewegung und der Charismatischen Erneuerung in München während der geistlichen Aufbrüche dieser Zeit. Sehr schnell kam ich in Kontakt mit einem englischen Bibellehrer namens Derek Prince (später wurde ich sein Mitarbeiter und gründete den deutschen Arbeitszweig seines Dienstes mit Namen „Internationaler Bibellehrdienst“). Es war auch in dieser Zeit, dass sich eine biblische Verheißung in mein Herz brannte, die mir bis heute ein innerer Leitfaden für mein Leben und meinen Dienst geblieben ist: „Wo Sünde mächtig geworden ist, möchte die Gnade Gottes umso mächtiger werden!“ (s. Röm. 5, 20 b). Ich wusste schon damals, dass das etwas mit der deutschen Geschichte und dem jüdischen Volk zu tun hat. Und mit dem Auftrag, den wir Christen in diesem Kontext haben. Dieser Mann lebte teils in den USA, teils in Israel und bot zweimal im Jahr zweiwöchige Israelrundreisen an. Nach meinem Abitur hatte ich Interesse, mich an einer solchen Rundreise zu beteiligen, und war dabei, mich dafür anzumelden. Kurz zuvor wurde ich jedoch von einem starken inneren Impuls überrascht, den ich als Reden Gottes deutete, mit folgendem Inhalt: „Harald, geh jetzt noch nicht nach Israel. Warte bis ich Dir eine Tür aufmache. Und wenn Du durch diese Tür gehst, wird das etwas mit meiner Berufung für Dein Leben zu tun haben.“ Das war Ende der 1970er Jahre. Zum ersten Mal kam ich nach Israel im Januar 1992. Ich musste mich in Geduld üben. Aber die Verheißung erfüllte sich dann für mich auf sehr eindrucksvolle Art und Weise! Am 20. Januar 1992 jährte sich die Wannsee-Konferenz zum 50. Mal. Ich war damals Mitarbeiter bei „Fürbitte für Deutschland“. Die Frage nach der Schuld Deutschlands und Gottes gnädigen Absichten im Kontrast dazu beschäftigte uns als Leiterschaft und auch mich persönlich intensiv. Als dann ein junger Mann meines Alters im Herbst 1991 auf mich zukam und mich einlud, mit ihm und einigen anderen jungen Christen der Nachkriegsgeneration am 50. Jahrestag der Wannsee-Kon- unsere Bewährungsprobe: Haben wir als deutsches Volk tatsächlich die Substanz, wenn es darauf ankommt, dem entgegenzutreten? Biblisch gefragt: Sind die „Früchte der Buße“ so eindeutig, dass der Prozess der Buße als abgeschlossen gelten kann? Foto: TOS Dienste 1. Dass wir als Christen gerufen sind, „Priester und Prophet“ und „Salz und Licht“ zu sein. Dieser Aspekt unserer Berufung hat zutiefst etwas damit zu tun, dass wir Gottes Erlösungshandeln ersuchen auf dem Hintergrund von Sünde und Schuld. Aus der Seelsorge wissen wir: Je konkreter, desto wirksamer. Manchmal gilt es, mehrere Schichten abzutragen. Der Durchbruch erfolgt, wenn sichtbare Änderungen geschehen. Was für die ganz persönliche Situation gilt, hat auch eine Relevanz auf familiärer, regionaler und nationaler Ebene. 3. Vielleicht wichtiger noch: Wie geht es uns als „Kirche“, als „Leib Jesu“, als Gemeinschaft der Gläubigen? Sind wir auf dem Hintergrund unseres kirchengeschichtlichen Antisemitismus und auch unseres weitgehenden Versagens während des „Dritten Reiches“ so weit geläutert und verändert, dass wir innerhalb unseres deutschen Volkes, das um diese Fragen ringt, ein Vorbild und eine Orientierungshilfe sein können? Können wir gemeinschaftlich im Verhältnis zum jüdischen Volk und zu Israel unserem deutschen Volk einen Weg weisen, der geprägt ist von gesunder biblischer Fundierung, vom Leben aus Gottes Gnade und seinen Erlösungskräften, vom „Wandel im Licht“ und all dem Segen, der daraus fließt? Es ist meine Sicht der Dinge, dass wir als Gläubige in diesen Schicksalsfragen unseres Volkes einen einzigartigen Beitrag haben – auf Grund unseres besonderen Zugangs zum Wort Gottes und zum Gott Israels in Jesus und im Heiligen Geist. Christen aus der Kirchengeschichte und in der Nazizeit am Holocaust. Diese Konstellation „Deutschland, das jüdische Volk, der Holocaust, Jesu Gnadenverheißungen und wir Christen“ wurde in der Tat zu einem der prägenden Merkmale meiner Lebensberufung, der ich bis heute versuche, treu zu bleiben. Was die kommenden drei Jahre betrifft, bieten sich eine Reihe von Gelegenheiten an, schuldhafte 2.Was die größeren Ebenen betrifft: Wie sicher können wir uns sein, dass das deutsche Volk sich wirklich tief von innen her gewandelt hat? Aktuelle Untersuchungen besagen, dass 20 % der Bevölkerung offensichtlich antisemitisch ausgerichtet sind. Über 50 % der Deutschen glauben, dass die Israelis den Palästinensern in gleicher Weise Unrecht tun wie damals die Nazis den Juden. Die Medien stellen Israel fortwährend auf manch- Um zusammenzufassen: Es gibt gute biblische und gute praktische Gründe dafür, die sich anbietenden Jahrestage von Schuld und Unrecht gegenüber jüdischen Menschen zu nutzen, um Dinge, die noch schuldhaft im Dunkeln liegen, ans Licht zu bringen, unseren jungen Menschen die besondere Verantwortung und Verbundenheit zu vermitteln, die wir als Christen und als Deutsche in Bezug auf das jüdische Volk haben, um den noch lebenden Opfern mal manipulative Weise in ein schlechtes Licht. Weite Teile der moslemischen Welt betreiben oder befürworten zumindest innerlich die auf breiter Basis angestrebte Vernichtung Israels. Im Gewand einer anderen Religion bzw. Ideologie wiederholt sich vor unseren Augen Geschichte. Ein zweiter Holocaust wird angestrebt. Dies ist der Verbrechen von damals, den Holocaust-Überlebenden, ein Segen zu sein und um in diesem Geist auch die deutsch-israelischen Beziehungen positiv zu beeinflussen. Ich möchte uns allen Mut machen – mit Gottes Hilfe! –, dieses außergewöhnliche Zeitfenster 2012–2015 als ein Gnadenangebot Gottes zu erkennen und zu ergreifen! Die Gedenkkuppel im Archiv der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ferenz in die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nach Jerusalem zu gehen, spürte ich sehr schnell, dass dies die offene Tür ist, auf die ich so lange gewartet habe. Und so stand ich am 50. Jahrestag der WannseeKonferenz als einer von drei Referenten im Auditorium von Yad Vashem und bekannte als Christ öffentlich den schuldhaften Anteil der historische Ereignisse in Folge der Wannsee-Konferenz und der damit verbundenen „Endlösung“ gegenüber jüdischen Menschen aufzugreifen und auf segensvolle Weise zu nutzen. Angefangen von den Deportationen der Jahre 1942–1944 in Deutschland über die Aufrichtung, den Betrieb und die Endphase von KZs und KZ-Außenstellen mit dem Schwerpunkt der 4 Rückblick auf lsraelaktuell · Dossier Holocaust-Überlebende in Israel heute von Harald Eckert A ktuelle Statistiken aus Israel (Frühjahr 2012) sagen uns, dass es derzeit in Israel noch etwa 200.000 Holocaust-Überlebende gibt. Diese setzen sich zusammen aus ehemaligen KZ-Insassen, Ghetto-Überlebenden, Flüchtlingen vor dem Nazi-Terror, jüdischen Partisanen (zum Teil auch Veteranen) sowie „child-survivors“, also Kindern, die ihren Familien entrissen wurden und innerhalb oder außerhalb des NaziEinflussbereiches versteckt worden sind. Die exakte Definition ist nicht immer einfach – aber dies ist das von der israelischen Regierung und den zuständigen Behörden derzeit akzeptierte Bild. Grob gesagt kann man zwei Hauptgruppen von Holocaust-Überlebenden in Israel unterscheiden. Zum einen diejenigen, die nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges in das neugeborene Israel gekommen sind und mitgeholfen haben, den Staat zu verteidigen und aufzubauen. Zum zweiten diejenigen, die das Schicksal hinter den „Eisernen Vorhang“ verschlagen hat und die als ältere Menschen in den letzten 15–20 Jahren nach Israel gekommen sind. Die erste Gruppe ist im Wesentlichen zentraler und tragender Bestandteil der israelischen Gesellschaft, repräsentiert durch jemanden wie den aktuellen Präsidenten Israels, Shimon Peres, zum Beispiel. Die zweite Gruppe lebt oft am Rand der israelischen Gesellschaft, spricht häufig die Sprache nicht und kämpft gegen Altersarmut, obwohl sie früher oft sehr hochstehende berufliche Tätigkeiten ausgeübt haben. Die erste Gruppe war den meisten von uns, die sich mit Israel und dem Holocaust beschäftigt haben, bekannt. Die zweite Gruppe war vielen von uns bis vor kurzem noch sehr fremd. Im April 2007 bin ich auf überraschende Weise auf die zweite Gruppe aufmerksam gemacht worden. Eines Morgens nahm ich um die Frühstückszeit herum die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) zur Hand und stieß auf Seite 1 auf einen Artikel, in dem von Israel die Rede war. Mit wachsender Überraschung und schließlich Betroffenheit las ich davon, dass von derzeit in Israel lebenden 240.000 HolocaustÜberlebenden etwa ein Drittel, also 80.000 in großer Armut leben. Der Artikel berichtete davon, dass dies in Israel selbst bisher kaum bekannt war. Ein Fernsehbericht um die Passah-Zeit herum, der diese Tatsachen ans Licht brachte, sorgte für großen Aufruhr in Israel selbst. Diese innergesellschaftliche Diskussion war so stark und heftig, dass internationale Medien darauf aufmerksam wurden – und so kam es, dass meine Münchner Tageszeitung davon auf der Titelseite berichtete. Mich wühlte dieser Bericht immens auf. Zum einen war mir nicht klar, dass es noch so viele HolocaustÜberlebende gibt. Zum zweiten fand ich es schockierend, dass ein Drittel davon an oder unter der Armutsgrenze lebt. Aber instinktiv und ohne weiteres Nachdenken war mir sofort eine Sache klar: Dies ist für mich und sollte für uns Christen kein Anlass sein, mit dem Finger auf irgendwelche Regierungen zu zeigen. Nein! Dies ist eine einzigartige Chance – gerade für uns Deutsche und gerade für uns Christen, in den letzten Lebensjahren dieser Menschen ihnen zugute wirksam zu werden und Zeichen des Mitgefühls und der Fürsorge zu setzen. Aber was tun? Mich trieb diese Frage zum Herrn wie selten etwas. Ich durfte erleben und staunen, wie gerne und wie stark er sich in dieser Frage finden ließ und mir Herzen und Türen öffnete, von denen ich nicht zu träumen wagte. In Israel wie auch in Deutschland. Kurze Zeit nachdem ich diesen Artikel las, sollte ich wieder einmal als Leiter einer Reisegruppe nach Israel kommen. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter entschlossen wir uns, uns auf die Suche nach Personen in Israel matherapie“ und Mitgründer von AMCHA, einem von Psychologen betreuten Netzwerk von Gesprächs- und Selbsthilfegruppen unter HolocaustÜberlebenden. Wir luden ihn später zu einer öffentlichen Vortragsveranstaltung nach München ein. Unter vier Augen erläuterte er mir allerdings dann, dass er bis vor kurzem von den Nöten der Überlebenden aus der ehemaligen Sowjetunion auch nur wenig Kenntnis hatte. Bei unserer Recherche im Vorfeld der Reise im Internet stießen wir noch auf einen zweiten Namen: Noah Flug, Holocaust-Überlebender mehrerer Lager, einschließlich Auschwitz, und langjähriger Leiter des internationalen Auschwitz-Komitees. Uns gelang es zu Beginn der Reise, telefonisch mit ihm in Kontakt zu treten, und wenige Tage später saßen mein Mitarbeiter und ich gemeinsam mit seiner Frau in dessen Wohnzimmer. Er erzählte mir von seinen zahlreichen Begegnungen mit Rau, Merkel, Köhler und anderer deutscher Prominenz. Wir erzählten ihm von dem Zeitungsartikel und unserer Suche. Ihm war die Situation, von der die Zeitung sprach, im We- Eine von vielen tausend verarmten Holocaust-Überlebenden in Israel zu machen, die als Gesprächspartner und als mögliche Partner für eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit geeignet sein könnten. Den ersten Hinweis fanden wir in dem erwähnten Artikel der SZ: Einen Mann namens Nathan Durst, selbst Holocaust-Überlebender (child survivor), Professor der Psychologie, weltweit anerkannt für seine Arbeit zum Thema „Trau- Foto: Andreas Bartel sentlichen bekannt – aber von ihm erfuhr ich erstmals von diesen zwei einleitend erwähnten Großgruppen von Überlebenden, die in Israel wie in zwei verschiedenen Welten leben würden. Zu der Masse der verarmten Überlebenden beziehungsweise entsprechenden Organisationen oder Schlüsselpersonen könne er leider keinen direkten Kontakt herstellen. Doch dann ergab sich Folgendes: Auf unserer Rundreise kamen wir eines Abends in einem Hotel in Jerusalem an. Während ich auf dem Weg zum Buffet war, sprach mich ein Mann aus Deutschland an, der ebenfalls mit einer christlichen Reisegruppe in Israel unterwegs war. Er lud mich zu sich an den Tisch ein und wir kamen ins Gespräch. Dabei erzählte ich ihm von dem Zeitungsartikel und der besonderen Recherche, die wir gerade anstellten, und dass ich trotz guter Begegnungen zu der eigentlichen Zielgruppe, den Armen unter den Überlebenden, noch keinen Kontakt herstellen konnte. Zu meiner Überraschung berichtete mir mein Gegenüber, dass er im Rahmen einer christlichen Hilfsorganisation, die bisher vorwiegend Juden in der Ukraine unterstützt hat, seit kurzem gerade auch verarmte Überlebende in Israel mit humanitären Hilfsgütern unterstützt. Und wenn ich möchte, könnte er mich in zwei Tagen mit seinem Partner in Israel bekannt machen, der für eine Besprechung in das Hotel kommen wird. Genau so geschah es auch: Zwei Tage später lernte ich das Ehepaar Gasiorowski kennen, Leiter der „Helping Hand Coalition“ in Israel. Und diese erzählten mir, dass sie gerade dabei sind, in Zusammenarbeit mit den kommunalen Sozialbehörden ein humanitäres Netzwerk aufzubauen mit dem Ziel, den 5.000 Bedürftigsten unter den in Armut lebenden Holocaust-Überlebenden in Israel auf monatlicher Basis materielle und/oder finanzielle Hilfe zur Linderung der größten Not zukommen zu lassen. In den folgenden Jahren entwickelte sich mit allen drei Männern und deren Organisationen eine rege Zusammenarbeit. Nathan Durst und Noah Flug sind inzwischen leider verstorben. Die Zusammenarbeit mit den von ihnen bis dahin geprägten und geleiteten Organisationen hat sich verändert. Aber inzwischen konnten wir noch weitere geeignete Partner zur Unterstützung bedürftiger Holocaust-Überlebender kennenlernen, und das Netzwerk der Hilfe und der Fürsorge für sie in Israel hat sich bis heute weiter verbreitert (s. Kapitel 6). Darüber hinaus sind in den letzten fünf Jahren viele andere christliche Hilfsorganisationen aus Deutschland und vielen anderen Ländern auf die Nöte der Überlebenden in Israel aufmerksam geworden. Auch die Regierungen in Israel und Deutschland haben sich weitergehend engagiert – und von daher ist die rein materielle Not nicht mehr ganz so extrem, wie das vor fünf Jahren der Fall war. Dadurch hat sich auch der Schwerpunkt der Hilfeleistungen, insbesondere unter den russischsprechenden Überlebenden, im Laufe der letzten Zeit verändert. Neben der weiter fortlaufenden Begegnung der größten materiellen Not steht jetzt das Bemühen um Linderung von Einsamkeit und Depression im Mittelpunkt, z. B. durch Ausrichtung von kostenlosen Kulturveranstaltungen, gemeinsamen Ausflügen, Begegnungen mit Christen (gerade auch aus Deutschland), wöchentlichen betreuten Nachbarschaftstreffen und manchem mehr. Mit Hilfe der israelischen Regierung sind auf Leiterebene auch die Kontakte zwischen den verschiedenen Verbänden und damit auch zwischen den beiden „Welten“ unter den Überlebenden deutlich enger geworden. In den letzten fünf Jahren hat sich einiges bewegt. Einen besonderen Ausdruck dieser erfreulichen Veränderungen in der Zusammenarbeit und Wirksamkeit zwischen der israelischen Regierung, christlichen Hilfsorganisationen für Holocaust-Überlebende und humanitären Organisationen in Israel gab es am 22. November 2011. Die Regierung Israels, repräsentiert durch sieben verschiedene Ministerien, lud christliche Leiter, die sich mit ihren Organisationen für Holocaust-Überlebende in Israel engagiert haben, zu einer besonderen Ehrung in die Knesset, in das israelische Parlament, ein. Über 20 Organisationen aus verschiedenen Teilen der Welt waren repräsentiert – darunter sieben aus Deutschland. Eingerahmt von kulturellen Darbietungen, informativen Kurz-Präsentationen und mehreren Ansprachen wurde im Auditorium der Knesset allen eingeladenen Organisationen eine offizielle Urkunde der israelischen Regierung überreicht. Höhepunkt dieses Nachmittags war, dass die Repräsentanten dieser Organisationen anschließend in den Plenarsaal der Knesset eingeladen waren, in dem eine halbstündige Sondersitzung zu ihren Ehren anberaumt war. Mehrere Knesset-Abgeordnete, zum Teil selbst Nachkommen von HolocaustÜberlebenden, brachten dort auf gleichermaßen persönliche wie offizielle Weise ihre Anerkennung für die gute Zusammenarbeit zum Ausdruck. Es war in diesem Kontext, im Auditorium der Knesset und im Bewusstsein des baldigen 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz, dass es mir gestattet war, erstmals die in diesem Dossier weiter ausgeführte Vision für das Zeitfenster 2012–2015 öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Herausgeber: Christen an der Seite I sraels e. V. Ehlener Str. 1 34289 Zierenberg Telefon: (0 56 06) 37 59 eMail: [email protected] Dezember 2012 die letzten Jahre 5 lsraelaktuell · Dossier Ursprünge und Grundlagen der Marsch des Lebens Lebens -Bewegung Marsch des von Jobst Bittner W as war eigentlich passiert, dass wir als Gründer und Initiatoren der „Marsch des Lebens“-Bewegung für unser Engagement an Holocaust-Überlebenden von der israelischen Regierung eingeladen wurden, um mit zahlreichen anderen Organisationen dafür geehrt zu werden? Ich erinnere mich, wie ich lange an der Kurzansprache, die ich in der Knesset zu halten hatte, feilen musste, um die Idee des „Marschs des Lebens“ in richtiger Weise darzustellen. Ich möchte Sie in einige Überlegungen mit hineinnehmen, die zur Grundlage der „Marsch des Lebens“Bewegung geworden sind. Meine Generation bezeichnet man als die Nachkriegsgeneration. Zu ihr gehören die zwischen 1945 und 1960 Geborenen. Unsere Väter trugen einen Hut, bauten ihre neue Existenz auf und sprachen vom Krieg. Ihre schuldhaften Verstrickungen, Traumata und verdrängte Ängste kamen in ihren Geschichten kaum vor – vielleicht haben wir deshalb nicht genau hingehört. Auf jeden Fall legte sich über unsere Familien in Deutschland und die nachfolgenden Generationen ein nahezu undurchdringbarer Nebel, der uns bis heute mehr zu schaffen macht, als wir denken. Ich nenne ihn die „Decke des Schweigens“. Ich erwähne das, weil wir bei dem „Marsch des Lebens“ zu schnell bei der Aufarbeitungs- und Versöhnungsarbeit stehenbleiben. Der Startpunkt von dem Marsch des Lebens war die Erfahrung, dass Transformation und Veränderung – ob im persönlichen oder familiären Bereich oder auch auf lokaler und nationaler Ebene – nur geschehen kann, wenn es uns gelingt, diese Decke beiseite zu schieben und über uns zu zerbrechen. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass faschistische und autoritäre Systeme nur funktionieren können, wenn sie auf Einschüchterung und das daraus resultierende Schweigen von Mitläufern aufgebaut sind? Jede Art von Missbrauch stößt das Opfer in einen Abgrund von Schweigen. Die Bibel verbindet das Schweigen – im Gegensatz zur anbetenden Stille – mit einer krankmachenden Finsternis (Ps. 32,3). Ob in der Ehe, der Familie oder in unseren Kirchen und Gemeinden: Schweigen isoliert, entmündigt Menschen und beraubt sie ihrer Persönlichkeit. Ich bin davon überzeugt, dass wir in unseren Kirchen und Gemeinden neue geistliche Autorität und Kraft gewinnen, wenn es uns gelingt, die „Decke des Schweigens“ zu überwinden. Aber – wie kann das geschehen? Unsere Geschichte ist an dieser Stelle schnell erzählt. In einer Zeit der Krise wurde uns als Gemeinde im Gebet folgender Satz zu einem geistlichen Schlüssel: „Das Schweigen eurer Väter ist in euch!“ Gemeint war: Es gibt in euch ein Schweigen, das euch ebenso zu passiven und oft auch gleichgültigen Mitläufern macht wie die Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus. Konnte es sein, dass wir beinahe 70 Jahre danach immer noch unter dem Schatten des Holocaust lebten? Gab es, trotz all der Aufarbeitung, der Bußveranstaltungen und Gebetskonferenzen, noch eine andere Ebene, die wir, vielleicht weil wir selbst zutiefst Betroffene sind, noch nicht wahrgenommen hatten? Wir entdeckten, dass sich hinter unseren Familienwahrheiten Geschichten verbargen, die uns zutiefst erschütterten. Viele mussten lernen, diese Wahrheiten zu entdecken und ohne Anklage und Bitterkeit auszusprechen. Sie erlebten erstaunlicherweise Befreiung von Lasten, die sie mit sich herumtrugen und aufgrund ihrer eigenen Biographie nicht hatten erklären können. Vergebung und Gnade wurde für sie zu einer neuen beglückenden Erfahrung. Psychotherapeuten erzählen, wie in den letzten Jahren das Aufarbeiten der Familiengeschichte zu einem wichtigen Thema geworden ist. Medien berichten immer wieder eindrücklich davon. Ihre Erfah- Es gibt drei Ebenen des Schweigens, die wir durchbrechen müssen. Tun wir es nicht, werden wir das Erbe Gottes der Veränderung, Transformation und – wie ich glaube, auch das einer neuen geistlichen Ernte – nicht ergreifen können. Die ersten beiden Ebenen habe ich erwähnt, die dritte führt uns zur Entstehung vom „Marsch des Lebens“: • Die 1. Ebene: Das persönliche Schweigen (Psalm 32, 3) • Die 2. Ebene: Das Schweigen in der Familie (Jesaja 53, 7) • Die 3. Ebene: Das Schweigen zu Israel (Genesis 12, 3; Jesaja 62, 1) „Das Schweigen unserer Väter ist in uns!“ Dieser Satz hatte auch etwas mit der nationalsozialistischen Geschichte unserer Stadt Tübingen zu tun. Die Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933 wurde in Tübingen lautlos vollzogen. Das war auch nicht weiter verwunderlich, da die Rassenpolitik der Nationalsozialisten in Tübingen auf einen Jahrhunderte alten latenten judenfeindlichen Nährboden fiel, der zum „kulturellen Kodex“ des Bürgertums gehörte. Die Routen des Marsch des Lebens in Polen 2012 (bilden einen Davidstern) rungen stimmen mit dem biblischen Zeugnis überein: Immer, wenn wir bereit sind, unser Schweigen zu beenden und die Wahrheit auszusprechen, kommt Licht in die Finsternis und die „Decke des Schweigens“ zerbricht. Als Gott sprach, wurde es Licht – so berichtet der Schöpfungsbericht – und verwandelte Chaos und Finsternis in einen neuen Tag! (Genesis 1, 1) Foto: TOS Dienste Die Universität Tübingen lieferte den ideologischen Unterbau für den Holocaust. Sie stellte zahlreiche, vielleicht sogar die meisten fanatischen und die effizientesten Massenmörder, die an vorderster Front der SS-Einsatzgruppen und des Sicherheitsdienstes an der sogenannten „Endlösung“ teilnahmen. Sie wurden die Tübinger „Exekutoren der Endlösung“ genannt. Tübingen tat sich mit der Aufarbeitung der Nazigeschichte schwer. Wenn Christen, die für ihre Stadt und ihr Land beten, Transformation und Veränderung sehen möchten, wird neben der Bereitschaft, sich von der eigenen Familiengeschichte persönlich treffen und erschüttern zu lassen, die Aufarbeitung der Judenfeindlichkeit ihrer Stadt und das eindeutige Bekenntnis, in Freundschaft an der Seite Israels zu stehen, eine entscheidende Rolle spielen. Erst wenn wir bereit sind, unsere positive Haltung zu Israel in ein aktives Bekenntnis zu verändern, das wir im wahrsten Sinne in der Öffentlichkeit auf die Straße tragen, werden wir in einer Zeit des wieder aufblühenden Antisemitismus über unseren Städten und Nationen Decken zerbrechen können. Wir sahen in unserer Stadt erstaunliche Veränderungen, ich berichtete an anderer Stelle darüber. Wie aber begann der „Marsch des Lebens“? Die Todesmärsche können als das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords bezeichnet werden. Die SS ließ am Ende des Zweiten Weltkriegs die Konzentrationslager evakuieren. Sie wollte die Spuren des Massenmords beseitigen. Die Gefangenen irrten im harten Winter 1944/45 wochenlang hungernd und völlig entkräftet und nahe dem Zusammenbruch über die Straßen und Wege des im Chaos versinkenden Deutschlands. Die Routen der Todesmärsche waren von Blut getränkt. Von den 700.000 Häftlingen, die es bis 1945 geschafft hatten, in den Konzentrationslagern zu überleben, ließen 250.000 von ihnen bei den Todesmärschen vor den Augen der Zivilbevölkerung ihr Leben. Diese reagierte meistens passiv, gleichgültig, wurde manchmal zu aktiven Tätern – und schwieg über das, was sie gesehen hatte. Mehrere dieser Todesrouten führten von den in der Nähe Tübingens liegenden KZ-Außenlagern Richtung Süden bis in die Nähe von München, wo sich das KZ Dachau befand. Wir starteten mit dem ersten „Marsch des Lebens“ im Jahr 2007 auf der Route der Todesmärsche in Süddeutschland und liefen zusammen mit 300 Teilnehmern, Juden und Nichtjuden, HolocaustÜberlebenden und Nachfahren der Tätergeneration von Tübingen bis zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Wir wollten auf dieser Route ein Zeichen der Versöhnung setzen. Dieses Zeichen konnte nur sichtbar werden, wenn wir Holocaust-Überlebende ehrten, unsere persönliche Familienwahrheit beim Namen nannten und sie stellvertretend um Vergebung baten. Das geschah bei den Gedenkveranstaltungen auf beeindruckende Weise. Auf der Hauptseite der Jerusalem Post war anschließend zu lesen: „Eine deutsche Nazistadt bittet um Vergebung!“ Das öffentliche Bekenntis auf der Straße und die aus einer tiefen Betroffenheit formulierte Bitte um Vergebung wurde für die Nachfahren der Tätergeneration und für die Holocaust-Überlebenden und ihre Nachfahren in der zweiten und dritten Generation zu einer für sie eindrücklichen und lebensverändernden Erfahrung . Wie der „Marsch des Lebens“ entstanden ist, ist für mich immer noch ein Phänomen. Er breitete sich in den kommenden Jahren – man kann wirklich sagen explosionsartig – in andere Städte und Nationen aus. Wir konnten dabei zusehen, wie er sich innerhalb von fünf Jahren multiplizierte und aus einer kleinen Gebetsaktion eine Bewegung wurde, an der bereits Zehntausende in mindestens achtzig Städten und in zwölf Ländern beteiligt waren. Millionen wurden durch die Medien erreicht. Gerade liegt der „Marsch des Lebens“ in Polen hinter uns. Er wurde von der Vizesprecherin der Knesset begleitet. Polnische Politiker bezeichneten ihn als einen wertvollen Versöhnungsschritt zwischen Polen und Deutschland. Der „Marsch des Lebens“ in Polen war der erste Meilenstein zu weiteren Veranstaltungen und Märschen, die bis zum Jahr 2015 stattfinden werden. Der „Marsch des Lebens“ beinhaltet alles, was wir in den Jahren über die Decke des Schweigens lernen durften. Ob es die persönliche Aufarbeitung der Familiengeschichte, die Frage nach dem Erbe der Täter- oder Opfergenerationen des Holocaust oder das gemeinsame Bekenntnis von Juden und Christen gegen den modernen Antisemitismus unserer Tage und für Israel ist: Der „Marsch des Lebens“ ist zu einem machtvollen Werkzeug geworden, mit dem wir das Schweigen brechen und der Finsternis ihr Fundament entziehen können. Mit seiner Botschaft steht er: 1. für Versöhnung, Heilung und Wiederherstellung zwischen den Nachkommen der Täterund Opfergeneration 2. für die Aufarbeitung der Vergangenheit und gegen das Vergessen 3. für Israel und für ein unüberhörbares „Nie wieder!“ gegen den modernen Antisemitismus unserer Zeit Wer die Geschichte von HolocaustÜberlebenden gehört hat, versteht, wie wenig Zeit uns bleibt, diese Zeitzeugen der Geschichte zu ehren, wertzuschätzen und von ihnen zu lernen. In den nächsten drei Jahren sollten wir ein Zeitfenster der Gnade in möglichst vielen Städten Deutschlands nutzen. Bis jetzt haben in dreißig Städten Multiplikatoren ihr Interesse angemeldet, einen „Marsch des Lebens“ durchzuführen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit einer gemeinsamen Stimme über unserem Land eine „Decke des Schweigens“ durchbrechen und nachhaltigen Segen für unsere Nation herbeiführen können. 6 lsraelaktuell · Dossier Rückblick auf die letzten Jahre 20.–21. Januar 2012 – Tage des Gedenkens und der Begegnung in Berlin Foto: Initiative 27. Januar Die Gedenkveranstaltung am 20. Januar 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche (Berlin) D ie Initiative 27. Januar hat im Januar 2012 aus Anlass des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz, bei der die „Endlösung der Judenfrage“ besprochen worden war, zwei Gedenk- und Begegnungsveranstaltungen in Berlin durchgeführt, bei denen Holocaust-Überlebende aus Israel, Repräsentanten aus Politik und Zivilgesellschaft und viele weitere Besucher zu Gast waren. Im Mittelpunkt standen das gemeinsame Gedenken an den Holocaust und die Information über die heutige Situation von Holocaust-Überlebenden. Mit jeweils mehr als 300 Teilnehmenden aus verschiedenen Orten Deutschlands und auch aus dem Ausland sowie aufgrund der Öffentlichkeitsarbeit und Medienberichterstattung vor und nach den Veranstaltungen (u. a. BILD, Jüdische Allgemeine und mehrere christliche Medien) konnte eine breite Öffentlichkeit mit diesen Themen und dem konkreten praktischen Anliegen der Unterstützung für Holocaust-Überlebende in Israel erreicht werden. Die erste der beiden unter dem Titel „Gedenken und Begegnen – 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz“ stehenden Veranstaltungen fand am 20. Januar 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt in Berlin in Kooperation mit dem ökumenischen Netzwerk Gemeinsam für Berlin e.V. und unter der Schirmherrschaft des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Dr. h. c. Wolfgang Thierse statt. Es sprachen folgende Rednerinnen und Redner (Reihenfolge gemäß der Rednerliste): • Harald Eckert (1. Vorsitzender der Initiative 27. Januar) • Pfarrer Axel Nehlsen (Geschäftsführer Gemeinsam für Berlin) • Oberkonsistorialrat i. R. Jochen Muhs (Französische Friedrichstadtkirche) • MdB a. D. Prof. Gert Weisskirchen (früherer außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und 2004 bis 2008 Persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus) • Bundestagspräsidentin a. D. Prof. Dr. Rita Süssmuth • Bastiaan Belder (Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der EU-Israel-Parlamentariergruppe) • Emmanuel Nahshon (Gesandter der Botschaft des Staates Israel in Deutschland) • Aaron Azulay (Executive General Manager, Ministry for Senior Citizens) • Lia Shemtov (Knesset-Abgeordnete) • Gita Koifmann (Holocaust-Überlebende, Präsidentin der Association of Concentration Camps and Ghetto Survivors in Israel) Weitere Gäste waren u. a. die Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag, Marie-Luise Beck, Bettina Kudla und Stefan Liebich, Landtagspräsident a. D. Dieter Steinecke, Lothar Klein, ehemaliger Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Stadtrat in Dresden, sowie Michael Joachim, Vorsitzender der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Am 21. Januar 2012 folgte in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ein „Abend der Freundschaft und Begegnung – zu Ehren von Holocaust-Überlebenden 70 Jahre nach der Wannsee-Konferenz“ im Crowne Plaza Berlin City Centre. Grußworte und Reden kamen von der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Lala Süsskind, dem Direktor der European Coalition for Israel, Tomas Sandell (Video-Grußwort), der Knesset-Abgeordneten Lia Shemtov sowie den Holocaust-Überlebenden Alexander Berman (Präsident Front of Respect/Hazit HaKavod) und Sergey Sushon (Vizepräsident Association of Concentration Camps and Ghetto Survivors in Israel). Zudem wurde das Engagement der Organisationen AMCHA, Hadassah, Helping Hand Coalition und Keren Hayesod zur Unterstützung bedürftiger Holocaust-Überlebender in Israel und das Engagement der Initiative 27. Januar vorgestellt. Bereits vor den beiden Veranstaltungen hatte es am Vormittag des 20. Januar im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages auf Einladung des Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe, Jerzy Montag, ein Treffen der israelischen GästeDelegation sowie von Vertretern der Initiative 27. Januar und der European Coalition for Israel mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages gegeben. Einer der Teilnehmenden bei dieser Begegnung war auch der Vorsitzende der EU-Israel-Delegation des Europäischen Parlaments, Bastiaan Belder. Am 22. Januar besuchten die Holocaust-Überlebenden aus der Die Veranstaltungen der Initiative 27. Januar am 20. und 21. Januar 2012 sind mit Texten, Fotos, Videos und Medienberichten auf der Website www.initiative27januar.org dokumentiert. Im Februar 2012 ist in der Zeitung Israelaktuell.de eine Dokumentation erschienen, die auch online zu finden ist unter www.israelaktuell.de/images/stories/veranstaltungen/wannsee.pdf israelischen Delegation die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz und trafen deren Direktor Dr. Norbert Kampe. Am 19. Januar hatten sie bereits an der Gedenkveranstaltung dieser Gedenkstätte zum 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz in der Akademie der Künste teilgenommen. Während ihres viertägigen Aufenthalts in Berlin wurden die HolocaustÜberlebenden aus Israel von einem Team junger Erwachsener des Begegnungsreisen-Projekts Israel Connect betreut. Im Rahmen der offiziellen Veranstaltungen und Treffen, zu denen die Holocaust-Überlebenden von Teammitgliedern begleitet wurden, und insbesondere auch beim weiteren Rahmenprogramm (gemeinsames Schabbat-Essen und eine Gruppentour durch Berlin) kam es zu vielen guten und herzlichen Begegnungen und Gesprächen. Beim Abschied und in den weiteren Kontakten und Berichten wurde deutlich, wie sehr die Holocaust-Überlebenden aus Israel, die weiteren Gäste und Gastgeber und nicht zuletzt auch die jungen Erwachsenen aus dem Israel Connect Team von der besonderen Gemeinschaft im Rahmen dieser Tage des Gedenkens und Begegnens in Berlin bereichert worden sind. Auszug aus der Rede von Harald Eckert zum 70.Jahrestag der Wannsee-Konferenz am 20. 1. 2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche Sehr geehrte Damen und Herren, 70 Jahre nach der Wannsee-Konferenz, angesichts der großen Herausforderungen, denen sich Israel gegenübersieht, und damit verbundener Herausforderungen, denen wir uns auf unsere Weise in Deutschland und Europa gegenübersehen, stellt sich die Frage: Was können wir tun? Ich möchte einen ganz praktischen Aspekt herausgreifen, wie jeder von uns angesichts der aktuellen Herausforderungen positiv tätig werden kann. Das Schlüsselwort ist „Vernetzung“. „Strategische Vernetzung“. Ein Netzwerk der Versöhnung, der Freundschaft und der Zusammenarbeit. Auf zwei Ebenen: Die erste Ebene ist eine noch stärkere Verzahnung zwischen Deutschland und Israel. Sowohl auf zivilgesellschaftlicher Ebene, zwischen Juden, Christen und allen Menschen guten Willens, als auch in Zusammenarbeit mit der Politik und Organisationen wie Yad Vashem, diversen KZ-Gedenkstätten oder sonstigen Institutionen der Erinnerung und Erziehung. Solange dies möglich ist, sollten aktive Überlebende des Holocaust, wie unsere Gäste hier, eine sehr aktive Rolle im Zentrum die- ses deutsch-israelischen Netzwerkes bilden. Als Zeugen und Zeitzeugen dessen, was „schon einmal“ geschehen ist. Die zweite Ebene ist die internationale Ebene. In Europa gibt es schon seit acht Jahren eine Europäische Koalition für Israel. Eine asia-pazifische Koalition für Israel ist in Vorbereitung. Auch in Afrika gibt es vergleichbare Ansätze. Meistens sind die Initiatoren christlich motiviert. Aber überall sind gute Beziehungen zu Politik und Regierung vorhanden oder angestrebt sowie zu Fachleuten verschiedenster Fachbereiche. Auf der Basis eines Netzwerkes der Versöhnung, der Freundschaft und der Zusammenarbeit entsteht eine weltweite Koalition gegen das Vergessen und die Unwissenheit, gegen zynisch-manipulative Umdeutungen und gegen die zerstörerischen Kräfte des Antisemitismus und Antiisraelismus. Bei meiner Ansprache in der Knesset am 22. November 2011 habe ich vorgeschlagen, dass wir unser Bemühen um konstruktive und zielgerichtete Zusammenarbeit in den kommenden drei Jahren intensiv verstärken. Von jetzt an bis zum Mai 2015, wenn sich das Ende des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust zum 70. Mal jährt. In diesen drei Jahren gibt es zahlreiche 70. Jahrestage. Jahrestage von Deportationen aus vielen Städten Deutschlands und Europas. Jahrestage von Beginn und Ende von Vernichtungslagern, dem Warschauer Ghetto-Aufstand, Todesmärschen und ähnlichen Ereignissen. Heute gibt es noch Überlebende dieser Ereignisse als Zeitzeugen. Gemeinsam können wir eine Botschaft in die Welt setzen wie wahrscheinlich nie mehr danach. Danach, wenn keine Überlebenden mehr unter uns sind. Danach, wenn solch markante Jahresdaten sich auf längere Zeit nicht mehr anbieten. Liebe Überlebende, verehrte Ehrengäste aus Kirche, Politik und Gesellschaft, sehr geehrte Damen und Herren – wäre es nicht eine großartige Reaktion auf den 70. Jahrestag des schrecklichsten Koordinierungstreffens in der Geschichte der Menschheit, wenn wir uns heute nicht zum Bösen, sondern zum Guten, nicht zum Tod, sondern zum Leben, nicht zum Fluch, sondern zum Segen besser miteinander koordinieren würden? Dazu wünsche ich uns allen viel Mut, Kreativität und Weisheit und über allem den Segen von oben. Ausblick: 2012–2015 7 lsraelaktuell · Dossier Perspektiven der Marsch des Lebens-Bewegung 2012–2015 M it dem Titel: „Der Marsch des Lebens in meiner Stadt! Erinnern – Versöhnen – die Zukunft gestalten!“ fand in Tübingen eine Konferenz von Multiplikatoren statt, die in ihrer Stadt in Deutschland einen „Marsch des Lebens“ durchführen wollten. Wussten Sie, dass es in den meisten Städten Deutschlands „Todesrouten“ gibt, die wir mit unserem Bekenntnis und Gebet in Wege des Lebens verwandeln können? Die systematische Deportation von Juden aus Deutschland in den Osten begann Mitte Oktober 1941, also noch vor der Wannsee-Konferenz. Die aus Deutschland deportierten Juden wurden unter widrigen Bedingungen in Arbeitslagern und Ghettos untergebracht. Viele starben dort, andere wurden in Vernichtungslager weitertransportiert und ermordet, nur wenige überlebten. Zur sogenannten „Endlösung der Judenfrage“, dem Holocaust, trugen scheinbar politikferne, pflichtbewusste Fachleute bei. Bei der Deportation von Juden wirkten neben den Gestapobeamten auch Zollbeamte, Verwaltungsbeamte, Polizisten, Wachpersonal und viele andere mit, die für den reibungslosen Ablauf unbedingt notwendig waren. Die Deportation fand vor den Augen der deutschen Bevölkerung statt. Als „Auffanglager“, in dem sich die zur „Evakuierung“ bestimmten Juden am Vortag der Deportation einzufinden hatten, dienten Schulen, angemietete Säle oder auch jüdische Gemeindehäuser. Gerichtsvollzieher und Finanzbeamte wurden herangezogen, um die Enteignung ihres Vermögens vorzunehmen. Am nächsten Tag wurden die Juden gedemütigt und ihres Lebensrechts beraubt, meist in größeren Gruppen durch die Straßen vom „Auffanglager“ zum Bahnhof geführt, wo sie in die Deportationszüge gepfercht ihrem Tod entgegensahen. 70 Jahre nach dem Holocaust hat in vielen Städten der Jahrestag der ersten Deportation der Juden kaum eine Bedeutung. Deswegen möchten wir dazu ermutigen, in möglichst vielen Städten Deutschlands diesen Anlass zu nutzen, um auf dem Weg der Deportation einen „Marsch des Lebens“ durchzuführen. Was wäre, wenn in zahlreichen Städten in Deutschland Juden und Christen zusammenkommen würden, um in Gedenkveranstaltungen Zeitzeugen der Holocaust-Generation zu ehren? Welche Auswirkungen könnte es haben, wenn Christen aus unterschiedlichen Kirchen und Denominationen gemeinsam auf den Wegen der Deportation gehen würden, um die ehemaligen Todesrouten mit ihrem Gebet und dem Bekenntnis zu den jüdischen Wurzeln ihre Glaubens und zu Israel in Wege des Lebens zu verwandeln? Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie ergab, dass heute 20 % der Bundesbürger in irgendeiner Weise antisemitisch eingestellt sind. Das sind genau 20 % zu viel. Was wird die Antwort von uns Christen auf die jüngsten antisemitischen Attacken gegen Rabbiner sein? Wir dürfen es nicht zulassen, dass in den jüdischen Gemeinschaften verstärkt das Gefühl entsteht, in Deutschland unsicher zu sein und bedroht zu werden. Aus der Vergangenheit zu lernen heißt, nie wieder zu Antisemitismus, Hass auf Israel und Relativierung des Holocaust zu schweigen. Dafür steht der „Marsch des Lebens“. Wir möchten das Zeitfenster der nächsten drei Jahre von 2012 bis 2015 nutzen, um in möglichst vielen Teilnehmer beim „Marsch des Lebens“ in Ostdeutschland 2008 Foto: TOS-Dienste Städten auf den Routen der Deportation „Märsche des Lebens“ und Gedenkveranstaltungen durchzuführen. Als Modell kann der „Marsch des Lebens“ in Leipzig dienen, der am 70. Jahrestag der Deportation der Juden nach Riga stattgefunden hat. Das städtische Kulturamt, die jüdische Gemeinde und der Leipziger Pastorenkreis waren an der Durchführung beteiligt. Der „Marsch des Lebens“ Marsz wurde von vielen offiziellen VertreZycia tern aus Politik und Wissenschaft 2012 sehr positiv aufgenommen und von vielen als ein herausragendes Ereignis in der Stadt empfunden. Eine Dokumentation über den „Marsch des Lebens“ in Leipzig mit bewegenden Videolinks können Sie auf www. marschdeslebens.org nachlesen. Polska - Polen - Poland Marsch des Lebens - March of Life Weitere Informationen unter www.marschdeslebens.org For further information see www.marchoflife.org Best.-Nr. 413027 © 2012 TOS Medien Eisenbahnstr. 124 • 72072 Tübingen tel +49 7071/36093 • fax +49 7071/31179 [email protected] • www.tos-medien.de 4280000057228 Der Ablauf könnte folgendermaßen gestaltet werden: Freitagabend: • Vorbereitender Gebetsabend aller Kirchen und Gemeinden der Stadt Samstagabend: • Offizielle Gedenkveranstaltung mit den jüdischen Gemeinschaften, öffentlichen Vertretern und Holcaust-Überlebenden sowie anderen Zeitzeugen Sonntagmorgen: • Themenbezogende Gottesdienste in der Stadt Sonntagnachmittag: • Der „Marsch des Lebens“ auf der Deportationsroute oder auf einem anderen für die Stadt signifikanten Ort • Eine Open Air-Kundgebung: Zu Beginn und/oder zum Ende des Marsches bietet sie Gelegenheit zum Gebet und einer öffentlichen stellvertretenden Buße seitens Kirchen und Gemeinden sowie dazu, Zeitzeugen bzw. Historiker zu hören und offiziellen Vertretern eine Stimme zu geben Medien zum „Marsch des Lebens“: • Video mit den wichtigsten Botschaften der Multiplikatorenkonferenz: https://vimeo.com/46478738 • Buch: „Die Decke des Schweigens“ von Jobst Bittner, 16,95 € Marsz Der Marsch des Lebens – The March of Life von Jobst Bittner Zycia2012 Polska - Polen - Poland Marsch des Lebens - March of Life • DVD: Die Decke des Schweigens zerbrechen, Seelsorgeseminar mit Jobst Bittner, 25,00 € • DVD: Marsz Zycia, Eine Reportage über den Marsch des Lebens in Polen 2012, 5,00 € Eine Reportage über den Marsch des Lebens A report from the March of Life INFOProgramm gemäß § 14 JuSchG Bestelladresse: TOS MedienShop, Eisenbahnstr. 124, 72072 Tübingen, oder Bestellhotline Tel. 07071-360933, oder unter www.tos-medien.de Was sind die Ziele für den „Marsch des Lebens“ in meiner Stadt? 1. Die Geschichte aufarbeiten und aus ihr lernen 2. Holocaust-Überlebende und mit ihnen jüdische Gemeinschaften ehren 3. Mit einer persönlichen stellvertretenden Buße die „Decke des Schweigens“ zerbrechen 4. Das gemeinsame Bekenntnis gegen Antisemitismus und in Freundschaft an der Seite Israels zu stehen Was sind die Schritte zu einem „Marsch des Lebens“ in meiner Stadt? 1.Informieren Sie sich auf unserer Webseite über Rahmenbedingungen für den „Marsch des Lebens“ (www.marschdeslebens.org) 2.Stellen Sie sich selbst, bzw. Ihre Kirche und Gemeinde, als Multiplikationsträger für den „Marsch des Lebens“ in Ihrer Stadt zur Verfügung 3.Der „Marsch des Lebens“ sollte ein gemeinsames Zeugnis sein. Suchen Sie das Interesse anderer Kirchen und Gemeinden 4.Registrieren Sie sich auf www. marschdeslebens.org oder im TOS Büro unter 0 70 71-36 09 20, um weiteres Trainingsmaterial und persönliche Beratung für den Marsch in Ihrer Stadt zu erhalten 5. Führen Sie gegebenenfalls in Ihrer Stadt ein vorbereitendes „Decke des Schweigens“-Seminar durch Wir können Ihnen mit unserer Erfahrung und unserem Rat bei der Organi sation zur Seite stehen. Die „Marsch des Lebens“-Veranstaltung soll jedoch in organisatorischer Eigenverantwortung durchgeführt werden. Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Teilnehmerzahl an. Christen können mit ihrem Gebet und ihrem gemeinsamen Bekenntnis das Licht in ihrer Stadt durchbrechen lassen und zu einem einzigartigen Zeugnis werden! Wir möchten Sie ermutigen, in Ihrer Stadt einen „Marsch des Lebens“ durchzuführen, und laden Sie herzlich ein, sich mit uns in Verbindung zu setzen. 8 lsraelaktuell · Dossier Ausblick: 2012–2015 Gemeinsam gedenken – versöhnt handeln! Zusammenfassung und Ausblick 2012–2015 von Harald Eckert Hinter dem Kernanliegen dieser 3-Jahres-Initiative steckt in seinem tiefsten Kern die Frage: „Wie kann auf dem Boden einer abgrundtief schuldhaften und tragischen Geschichte etwas Versöhnliches, etwas Heilsames, etwas Gutes erwachsen?“ Im Sinne des Urbekenntnisses des modernen Europa: „Nie wieder!“ Oder im Sinne der neutestamentlichen Hoffnung: „Wo Sünde mächtig geworden ist, möchte sich die Gnade Gottes umso mächtiger erweisen“ (Röm. 5, 20). Oder auch im Sinn alttestamentlicher Zeugen. Der Prophet Daniel als Inspiration Das Zeugnis des jüdischen Propheten Daniel, an der Wende von der Zeit des Exils hin zur Zeit der Rückkehr in die Heimat, 70 Jahre nach dem Beginn der Wegführung, bietet hierfür eine gewaltige Inspiration und ein außerordentliches Vorbild: Das offene Bekenntnis der Schuld der Väter, die zum Exil geführt hat, führte auf die richtige Spur. Die demütige Identifikation Daniels mit der Schuld der Väter („Wir haben gesündigt …“, Dan. 9, 5) ohne Überheblichkeit und billige Anklage war der nächste Schritt hin zu einer weitreichenden Wende, deren Agent schließlich Nehemia werden durfte: Die Kinder Israels wurden aus dem Exil entlassen. Ein gewaltiges Ereignis für das Volk Israel! Über den Weg der jüdisch-christlichen Tradition unserer Gesellschaft prägte sich die Einzigartigkeit des 70-Jahres-Datums in unsere westliche Gesellschaft ein. Christen, Juden und säkulare Menschen guten Willens sind eingeladen, auf der Grundlage dieses markanten Gedenkdatums gemeinsam aktiv zu werden: Gemeinsam können sie – in Deutschland wie überall im von NaziDeutschland besetzten Europa – in den wenigen Jahren bis zum Mai 2015 schuldhafte Geschichte ans Licht bringen, um heilsamen und versöhnlichen Prozessen Raum zu machen. Deren Wirkungen können ganz persönlicher und familiärer Natur sein, aber auch kollektiv wirksam werden bis hinein in die Dimension der Völkerverständigung als einer generationenübergreifenden Grunderfahrung. Deutschland und Europa bietet sich hier – um 70 Jahre zeitversetzt zwischen WannseeKonferenz und Ende des Zweiten Weltkrieges – eine Chance, die in dieser Form einzigartig ist! Das letzte Kapitel der Geschichte des Holocaust Dies gilt insbesondere auf dem Hintergrund der Tatsache, dass heute noch Zeitzeugen, insbesondere Opfer des Holocaust, leben, die sehr gerne bereit sind, sich in dieses Geschehen mit einzubringen. Die vielleicht darin sogar einen Höhepunkt ihres Lebens entdecken, Teil dieses Prozesses sein zu dürfen. Man darf vielleicht sogar so weit gehen und sagen: „Das letzte Kapitel der Geschichte des Holocaust ist noch nicht geschrieben, solange noch HolocaustÜberlebende unter uns leben. Es liegt – mit Gottes Hilfe – primär in unserer Hand als Deutsche, wie dieses letzte Kapitel gefüllt sein wird: Ob primär von einem Lebensgefühl der Einsamkeit, Armut und Depression oder von einem Lebensgefühl der Versöhnung, Wertschätzung und Hoffnung.“ Weitere Projekte in Vorbereitung Ergänzend zu diesem Netz von Gedenkveranstaltungen „70 Jahre danach“ sind weitere Möglichkeiten, sich zu engagieren, im Werden. Zum Beispiel sind wir sehr von einer Initiative aus Israel inspiriert. Dort unternimmt man erhebliche Anstrengungen, um den heute noch lebenden HolocaustÜberlebenden die Möglichkeit zu geben, ihre Leidensgeschichten für die Nachwelt festzuhalten. Innerhalb von Was können wir tun? Es gibt viele Möglichkeiten, sich in diese Bewegung des Gedenkens, der Verständigung und vielleicht sogar der Versöhnung mit einzubringen. Nachfolgend einige Anregungen: tiv werden und wo es passt, auf mögliche andere Partner (jüdische Gemeinde, politische Ebene etc.) zugehen. Der erste Schritt ist dann allerdings meistens, dass man eine kleine Gruppe Gleichgesinnter anspricht und ein Team bildet, das sich gemeinsam auf den Weg macht. 1) Recherchieren 3) Kreativ werden In Deutschland ist in den letzten Jahren viel historisch gearbeitet worden. Im großen Stil von Historikern und Akademikern unterschiedlicher Gattung; aber darüber hinaus auch durch Geschichtslehrer und Schulklassen, durch Studenten, Repräsentanten verschiedener Berufsgruppen, jüdische oder christliche Gemeinden und ungezählte Einzelne, die bereit waren, sich zu engagieren. In aller Regel lässt sich inzwischen ohne viel Aufwand ermitteln, wo es Deportationen, Konzentrationslager, Außenlager, Zwangsarbeiter-Einsatz, Todesmärsche etc. gegeben hat. Will man (z. B.) zum 70. Jahrestag eines Ereignisses aktiv werden, so gibt es ein breites Spektrum von Möglichkeiten, dies in die Tat umzusetzen. Angefangen von einer klassischen Gedenkveranstaltung mit historischen Informationen, evtl. Zeitzeugen, evtl. einem kulturellen Rahmen etc., bis hin zu Open-Air Veranstaltungen am Ort des Geschehens, bis hin zu Veröffentlichungen aus gegebenem Anlass, bis zu Projektarbeiten (zum Beispiel mit Schulen) und manches mehr. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. 2) Unterstützen und/oder initiieren Eine besondere Form der Gestaltung eines Gedenkereignisses ist der „Marsch des Lebens“, wie er in dieser Veröffentlichung ausführlich vorgestellt wird. Diese Vorgehensweise bietet sich vor allem an, wenn man verschiedene Orte des Gedenkens miteinander verknüpfen möchte bzw. bei Ereignissen, die nicht an einen bestimmten Ort gebunden sind, wie z. B. die Todesmärsche gegen Ende des Krieges. Natürlich Wenn Sie ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Situation auf dem Herzen haben, zu dessen Gedenken Sie aktiv werden wollen, mag es sein, dass von offizieller Seite schon Gedenkveranstaltungen geplant sind. Dann stellt sich die Frage, wie man diese von christlicher Seite unterstützen oder ergänzen kann. Anderenfalls heißt es, selbst die Initiative ergreifen, ak- 4) „Marsch des Lebens“ ausrichten drei Jahren – bis Frühjahr 2015 – sollen noch viele Zehntausende von Überlebenden in Israel die Möglichkeit dazu erhalten. Wäre es nicht großartig, wir könnten uns in Deutschland diesem Vorhaben anschließen? Vorbereitungen dazu sind im Gange. Die internationale Dimension des Geschehens Die Vision für das 70-Jahres-Gedenken zwischen dem 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs (= Ende des Holocaust) in Europa im Mai 2015 hat einerseits eine spezifisch deutsche Dimension, andererseits aber auch eine internationale Dimension. Diese Publikation konzentriert sich auf die deutsche Seite des Geschehens. Die internationale sei abschließend nur kurz angedeutet: ● Die erste öffentliche Erwähnung dieser Vision geschah am 22. November 2011 während einer Ehrung in der Knesset, dem israelischen Parlament. Die zweite am Gedenktag anlässlich des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz in Berlin, am 20. Januar 2012, bei der eine hochrangige Delegation aus Israel zugegen war. Dies gibt zu erkennen, dass die Mitte dieser Dynamik auf der Achse Deutschland-Israel liegt, mit den Holocaust-Überlebenden aus Israel im Zentrum des Geschehens. Abschluss kam, erregte viel positive Aufmerksamkeit in Polen und in Israel. Der 70. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstandes im April/Mai 2013 möchte diese Dynamik fortsetzen. Die deutsch-polnische Aussöhnung ergänzt die deutsch-jüdisch/israelische Aussöhnung. Ein Dreieck des Gedenkens und der Versöhnung entwickelt sich (weiter). ● Im Juni 2012 haben 40 Repräsentanten aus 12 europäischen Ländern die Vision des gemeinsamen Gedenkens und Handelns bis 2015 gehört. Unter anderem aus Ungarn, Rumänien, Ukraine, Bulgarien und Russland – aber auch aus Italien, Österreich, Holland und anderen mitteleuropäischen Ländern. Viele von ihnen kamen aus ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Regionen. Prozesse wurden angestoßen, wie Christen aus diesen Ländern diese Vision ergreifen und umsetzen können. Was dürfen wir bis 2015 erwarten? Mit Blick auf das Frühjahr 2015 erwarten wir folgende Entwicklungen: In Deutschland: Die Gedenkbewegung im allgemeinen und die „Marsch des Lebens“-Bewegung im besonderen möge in Dutzenden von Städten und Regionen in Deutschland ihren jeweils besonderen, individuellen Ausdruck finden. Insbesondere möchten wir dazu anregen, dass gegen Ende dieser Zeit ein besonderes Augenmerk auf die Todesmärsche des Winters/Frühjahrs 1944/45 gelegt wird. Möglichst unter Einbeziehung noch lebender Opfer der damaligen Gräueltaten. ● Im Verlauf des Jahres 2012 weitete sich diese Dynamik auf Deutschlands Nachbarland Polen aus, dem Ort, an dem in der Verantwortung von NaziDeutschland die meisten jüdischen Opfer des Holocaust zu beklagen waren. Ein „Marsch des Lebens“ im August 2012, der in Auschwitz seinen Ausgang nahm, Todeslager wie Sobibor, Treblinka und Majdanek mit einschloss, und in Warschau in Anwesenheit der Bürgermeisterin, von Parlamentsabgeordneten aus Polen sowie höchsten jüdischen und israelischen Repräsentanten zum In Polen: Die Ghettos und Orte der Deportation, die KZs und Todeslager hatten ihre (ge-)denkwürdigen Momente in den Jahren des Krieges bis 1945. Immer mehr Christen in Polen setzen sich mit dieser Chance und Herausforderung auseinander – angeregt durch den „Marsch des Lebens“. Besonders bewegend ist die Möglichkeit, dass Deutsche und Polen gemeinsam die Orte der Blutschuld lässt sich so ein Marsch auch mit lokalen Veranstaltungen (zum Auftakt, zum Abschluss oder zwischendrin) gut kombinieren. Hierzu bietet die TOS in Tübingen einiges an hilfreichem Material und beratender Unterstützung an. kommt einer begleitenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Bedeutung zu. Suchen Sie den Kontakt zu Journalisten, die dem Anliegen offen gegenüberstehen, und lassen Sie sich in den damit verbundenen Fragen beraten. 5) Gegenwartsbezug herstellen 7) Höhepunkte dokumentieren Wir empfehlen sehr, im Rahmen von Gedenkveranstaltungen auch möglichst eine Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Im Rahmen des Gedenkens an den Holocaust liegt es nahe, Wege zu suchen, wie man mit noch lebenden Opfern von damals eine Verbindung aufbaut. Und wo dies nicht möglich ist, gibt es allgemeinere Möglichkeiten, Opfern des Holocaust Zeichen der Zuwendung zukommen zu lassen. Verschiedene Gruppen engagieren sich dafür – unter anderem auch wir als Christen an der Seite Israels. Bitte erkundigen Sie sich nach unseren diesbezüglichen Programmen. Aber auch andere Signale gegen Antisemitismus, Antiisraelismus, Rechtsradikalismus oder sonstige Ausdrucksformen von Juden- oder Israelfeindlichkeit können integriert werden. 6) Medien und Öffentlichkeit informieren In der Regel möchte man den Anlass und das Anliegen des Gedenkens in die Öffentlichkeit tragen und die Zeitgenossen dafür sensibilisieren. Von daher Bei Veranstaltungen, die einen gewissen Neuigkeitswert haben, mag es sinnvoll sein, bestimmte Inhalte zu dokumentieren und dadurch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dadurch kann der Effekt einer solchen Veranstaltung nochmals erheblich verstärkt werden. Ob in Bild, Ton, Video oder in gedruckter Form – Hauptsache ist, dass wichtige Informationen die Chance haben, ihren Weg in das breitere Umfeld zu finden, um auch dort wirksam zu werden. Und wer auch immer noch in Zukunft sich noch in diesen Fragen engagieren mag, wird dankbar sein, wenn er auf derartige Informationen aufbauen kann. 8) Generationenübergreifend arbeiten Eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und der nächsten Jahre besteht darin, das Anliegen des Gedenkens und der Ausgestaltung der besonderen Beziehungen zum jüdischen Volk in die nächste Generation hinein zu vermitteln. Aus diesem Grund ermutigen wir dazu, ganz bewusst Wege besuchen und – in einem Prozess der Versöhnung untereinander – der Not und der Schuld gedenken und zum Segen für das jüdische Volk heute handeln. Mögen von Deutschland aus diese Impulse weiter in andere Länder in der Mitte Europas ausstrahlen und von Polen aus gen Osten, so dass nach und nach das gesamte ehemalige von Nazis besetzte Europa sich für diese Bewegung öffnet. Für das Frühjahr 2015 erwarten wir, dass dieses Netzwerk seinen hoffentlich bis dahin weiter gewachsenen Einfluss in den Monaten zwischen dem 27. Januar 2015 (70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz; internationaler Holocaust-Gedenktag) und dem 8./9. Mai 2015 (70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs) entfaltet. Dabei erhoffen wir uns – und arbeiten darauf hin –, dass zusätzlich zu dem Dreieck Israel-Polen-Deutschland Christen aus den Ländern der Alliierten mit den Hauptstädten Moskau, Paris, London und Washington ihren besonderen Beitrag in dieser Bewegung des Gedenkens und der Versöhnung leisten werden. Sowohl in ganz eigenständiger Weise. Aber auch integriert oder involviert im offiziellen Geschehen im Zusammenhang mit diesem historischen Jahrestag. Ich lade dazu ein, unsere Gebete schon jetzt in diese Richtung zu lenken. In diesem Prozess liegt eine große Chance und Hoffnung, dass wir Christen öffentlich bedeutsamen Einfluss als „Salz und Licht“ entfalten werden. Zum Segen und zur Ermutigung für das jüdische Volk und für Israel. Und zum Segen für die Völker, aus denen wir jeweils kommen. Sehr dankbar wären wir für die finanzielle Unterstützung dieser Vision. Spendenkonto: Christen an der Seite I sraels e. V., Konto-Nr. 140 000 216, Kasseler Sparkasse (BLZ 520 503 53) zu suchen, wie die jüngere Generation in die Vorbereitung und Durchführung von Gedenkveranstaltungen im Rahmen des 70-Jahres-Gedenkens mit einbezogen werden kann. In der Regel ist das für alle Beteiligten eine große Bereicherung und für die Veranstaltungen selbst ein Gewinn. 9) Finanzierung sicherstellen Für diese Form der Gedenkarbeit gibt es unter Umständen die Möglichkeit, von Stiftungen sowie von Töpfen auf Länderund Bundesebene Gelder zu beantragen. Das ist zum Teil mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand verbunden – kann sich aber durchaus lohnen. Auf jeden Fall ist es wert, sich bei Bedarf über diese Möglichkeiten zu informieren. Darüber hinaus mag es auch private Sponsoren oder Firmen geben, die bereit sind, ein derartiges Ereignis finanziell zu unterstützen. 10) Beten Unsere Erfahrung ist, dass auf dem Anliegen des Gedenkens und der Verarbeitung schuldhafter Verstrickungen ein besonderer Segen liegt. Wir als Christen dürfen hierbei für unser gesellschaftliches Umfeld oft so etwas wie eine „priesterliche“ Rolle wahrnehmen. Wir ermutigen dazu, den ganzen damit verbundenen Prozess im Gebet zu begleiten und darauf zu vertrauen, dass der Gott Israels und der Nationen gerne seine Hand darüber hält.