Burnout

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Burnout
Burnout
– Mythen und Fakten -
Ulrich Michael Hemmeter
St. Gallische kantonale Psychiatrische Dienste, Sektor Nord
Burnout: „Kurzdefinition“
I‘ve done…
• too much
• for too many
• for too long
• with too little regard for myself
Sotile, 2003
Kennen Sie das?
“Was soll das alles?”
“Die Anderen nerven mich!”
“Meine Batterien sind leer”
„Ich laufe auf dem Zahnfleisch“
Dann könnte es sein, dass Sie
an einem Burnout leiden !
Mythos - Burnout
• Mysteriöse Berufskrankheit
• Entschuldigung
• arbeitsorganisatorische Problematik
• falsche Lebenseinstellungen
• persönliche Problematik – den Aufgaben nicht
gewachsen
• Modediagnose
• alles Depression
Burnout eine begriffliche Qualle !
• Wie tranchiert man eine Qualle?
– Taxonomie sei die Kunst, die Natur an ihren Gelenken
zu tranchieren.
– Wie aber zerlegt
man eine Qualle ?
• Eine handhabbare konsistente Definition fehlt !
Burisch, 2010
5
Burnout-Syndrom:
Arbeitspsychologisches Konzept
Symptomatik (1): „Klassische“ Komponenten
• emotionale und körperliche Erschöpfung
• gleichgültige, negative und zynische Haltung
gegenüber der Arbeit und Mitmenschen
• überzeugt, vermindert leistungsfähig und überfordert
zu sein, beruflich versagt zu haben
Nach Maslach und Jackson 1981
Klinisches Bild
Frühsymptome
Schlafstörungen
Freudlosigkeit
Konzentrationsstörung
Müdigkeit
Schmerzen
Burnout
Erhöhte
Reizbarkeit
Spätfolgen
Substanz
missbrauch
Depression
Angststörungen
Infektanfälligkeit
Vielfältige körperliche
Funktionsstörungen
Herz-Kreislauferkrankungen
Der Begriff Burnout
www.google.com :
21.1.2012 Ungefähr 65'200'000 Ergebnisse (0.19 Sekunden)
• Keine offizielle Diagnose in der Medizin
– Keine etablierten diagnostischen Leitlinien
– ICD-10: Z* 73.0 Zustand der totalen Erschöpfung
(Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der
Lebensbewältigung)
– entspricht am ehesten einem depressiven Syndrom bei
Anpassungsstörung (ICD 10: F 43.2)
– weitere Differentialdiagnosen / Ueberschneidungen
Angststörungen, Neurasthenie, somatoforme Störung,
Schlafstörung, chronic fatigue syndrome, Fibromyalgie
U. Hemmeter, 2012
8
Burnout: Häufigkeit
Zahlen aus
Deutschland
und
der Schweiz:
Ärzte (D+CH):
Lehrer:
Pflegekräfte:
(Intensiv-/Aids-/
Krebsstationen)
15-30%
bis 35%
40-60%
Prävalenz in der
arbeitenden
Bevölkerung in
Finnland
Burnout leicht:
schwer:
Depression:
25,0%
2,4%
11,7%
(Ahola et al. 2005)
Depression
50% mit schwerem Burnout gleichzeitig
“Burnout“: eine häufige Selbstdiagnose
H.J. Freudenberger 1974
New Yorker Psychoanalytiker
R. Magritte, La belle captive, 1950
Burnout: Erschöpfung nach langfristiger emotionaler Überbelastung am Arbeitsplatz und Verlust
der Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns
Burnout-Konzepte
• individualzentrierte psychologische Ansätze
(Freudenberger 1974)
• Arbeits- und Institutions-zentrierte Ansätze
in der Tradition der Organisations- und
Sozialpsychologie
(Maslach & Jackson 1984)
• sozialpsychologische und soziologische Ansätze
Burnout als Ausdruck einer gesellschaftlichen
Fehlentwicklung (Oekonomisierung, Ethikwandel)
(Cherniss 1982)
• Psychosomatisch-psychiatrischer Ansatz ?
Burnout als chronologisch
ablaufender Stressprozess
1.
Stress
2.
Burnout
3.
Depressive
Symptomatik
4.
5.
6.
Klinische
Depression
7.
Erste Warnzeichen
Gesteigerter Einsatz für Ziele, Zunahme der Überstunden,
Erschöpfung oder vegetative Überreaktion
Reduziertes Engagement
Reduzierte soziale Interaktion, negative Einstellung zur Arbeit,
Konzentration auf eigenen Nutzen
Emotionale Reaktionen
Insuffizienzgefühle, Pessimismus, Leere, Hoffnungslosigkeit,
Energiemangel, Gefühl von Hilflosigkeit, Schuldzuschreibung
an andere bzw. „das System“
Abnahme von …
…kognitiven Fähigkeiten, Motivation, Kreativität und
Differenzierungsfähigkeit
Abflachen …
… des emotionalen u. sozialen Lebens u. kognitiver Interessen
Psychosomatische Reaktionen
Spannung, Schmerzen, Schlafstörungen, keine Erholung in der
Freizeit mehr möglich, veränderte Essgewohnheiten,
Substanzgebrauch
Depression und Verzweiflung
Gefühl von Sinnlosigkeit, negative Lebenseinstellung,
existenzielle Verzweiflung, Suizidgedanken oder -absichten
Nach Burisch 2005; Shirom et al. 2005
Stress-Studie 2010,
Stress bei Schweizer Erwerbstätigen
Stressstudie 2010
Stress bei Schweizer Erwerbstätigen
Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit
Simone Grebner Ilana Berlowitz Vanessa Alvarado Manuel Cassina
14
Stresskonzepte
Physiologisch orientiert
Psychologisch orientiert
Cannon (ca. 1930)
Henry (1992)
Holmes & Rahe (1964)
Lazarus (1970)
Selye (1950)
Grundmodell für Stress
Stressoren
biologisch
psychologisch
sozial
Stressreaktion
Störung
psychisch
somatisch
psychosomatisch
Das Schema der Stressreaktion
(Janke 1983)
Die duale Theorie
der
Stressverarbeitung
als biologisches
Stresskonzept
(n. Henry 1992)
Das transaktionale Stressmodell
von Lazarus
- als psychologisches Stresskonzept Situation
Wahrnehmung
Bewertung
a) Stressor bedrohlich
b) verfügbare Strategie
Person
Interpretation
Einflüsse auf Bewertung
-motivationale Gründe
-Ziele und Werte
-Erwartungen, Bedürfnisse
-Arbeitszufriedenheit
-Organisationsstruktur, -klima
Kann ich mit meinen Ressourcen diesen Stressor bewältigen ?
Ja
Nein
Adäquates
Coping
Stress
Neuro-, Psychobiologie
des Burnout
Die Stresshormon Achse ist bei Depression
aktiviert und zeigt eine Dysregulation
Glucocorticoideffekte akut
- Gluconeogenese
- Lipolyse
- Immunsuppression
- Antiinflamatorische Wirkung
ACTH/
Cortisol
Depressiv
Kontrolle
Zeit
Glucocorticoideffekte chronisch
- Hypertonie
- Muskelschwäche
- Hemmung der Insulinwirkung
- Osteoporose, Hautatrophie
- Lern- und Gedächtnisstörung
- Depression und Angst
Holsboer et al 2001
Chronischer Stress
und systemische Erkrankungen
2. Nebenniere:
Hypersekretion von
Catecholaminen und
Cortisol
1. Hypophyse:
Hypersekretion von
ACTH und
Aktivierung von
Nebenniere nach
Überstimulation
durch Hypothalamus
3. Catecholaminerhöhung,
ev. Folgen:
- Myokardischämie
- Herzfrequenzvariabilität
- ventrikuläre Arrhythmien
4. Catecholaminerhöhung,
ev. Folgen:
- Thrombozytenaktivierung
- Zunahme von Zytokinen
und Interleukinen
- Artherosklerose
- Hypertension
5. Cortisolerhöhung, ev. Folgen:
- Insulinresistenz
- Dyslipidämie, Diabetes Typ II
- Übergewicht
- Verminderte Immunresistenz
Depression und KHK bis 3fach erhöhte KHK Mortalität
Musselman DL et al. Arch Gen Psychiatry 1998;55(7):580-592
Depression, Burnout und metabolisches Syndrom
Prestele et al. 2003
Burnout und BDNF
Das Neurotrophin BDNF
ist bei Stress, Depression
und bei Burnout reduziert
BDNF – ein Neurotrphin
Ist verantwortlich für
die Formation und Plastiziät
neuronaler Netzwerke
Cortisol und kognitive Leistung
– Modulierung des MR-Rezeptors Effekte von Fludrocortison, Spironolacton
und Placebo auf die Lernleistung unter Stress
Learning task: Number of trials to meet the learing criterion
12
p < 0.1
Number of trials
10
Placebo
Fludrocortison
Spironolacton
8
6
4
2
0
Condition
Hemmeter et al. 2008
Psychologische Aspekte
des Burnout
Persönlichkeitsmerkmale,
Attributionsstile
und
Bewältigungsstrategien
stressfördernd und stressprotektiv
Wer ist besonders gefährdet?
- Persönlichkeitsmerkmale -
Burnout trifft oft die besten Mitarbeiter
•
•
•
•
Hohe Leistungsbereitschaft
Hohes Verantwortungs- /Pflichtgefühl
Hohes Engagement im Umgang mit anderen Menschen
Abhängigkeit von Bestätigung durch Andere
(Selbstwert, Ängstlichkeit)
• Neigung zu Perfektionismus
• Schlechte Abgrenzungsfähigkeit
• Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
Bauer et al 2002
Wer ist besonders gefährdet?
- Arbeits- und Umfeldmerkmale -
• hohe Belastung und Eintönigkeit der Arbeit
• gleichzeitig geringe Einflussnahmemöglichkeit auf den
Arbeitsprozess
• fehlende Anerkennung durch Vorgesetzte
• fehlende soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und
im persönlichen Umfeld
• geringe Entlohnung
• geringe Aufstiegmöglichkeiten
• ineffizienter Mitteleinsatz in der Institution
Bauer et al 2002
Burnout – Therapie I
Grundsätze:
• Integrative multidimensionale psychosomatische Therapie
• allgemeine und individuelle Therapiestrategien
• Behandlungsteam: Psychiater, psychologische
Psychotherapeuten, Neurologen, Internisten
übergeordnetes Ziel
• Normalisierung der entgleisten
Stresshormonregulation und Korrektur
biologischer Folgeprozesse
Burnout – Therapie II
Normalisierung der entgleisten
Stresshormonregulation
• durch Entspannungsverfahren
progressive Muskelrelaxation, autogenes
Training, Yoga, Qi-Gong,
• aktives Stressbewältigungstraining
• Antidepressiva
(primär SSRI und Johanniskraut)
Burnout – Therapie III
Psychotherapeutische Verfahren
• kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren
- bezogen auf die individuelle Situation mit individuellen
negativen Bewertungen der Situationen
• Schematherapie
- Modifizierung Burnout begünstigender
Verhaltensweisen und Persönlichkeitseigenschaften
(Perfektionismus, übermässige Leistungsbereitschaft)
Arbeitspsychologische Interventionen
• Analyse der Arbeitsplatz-assoziierten Stressoren und
daraus abzuleitende Massnahmen
Uebersicht – Burnout-Therapie
Schutzfaktoren beim Individuum
• gute Bewältigungsfähigkeiten
(Priorisierung, Affektregulation, Abgrenzungsfähigkeit,
realistische Einschätzung der Ressourcen)
• allgemeine Widerstandsfähigkeit und innere Autonomie
• ein stabiles Selbst
(positives Selbstbild, Selbstwertgefühl,
Kontrollüberzeugungen)
• soziale Kompetenz und Problemlösefähigkeiten
• Flexibilität
• ausgewogene Ernährung, regelmässige Bewegung,
ausreichende Entspannung
• Verstehbarkeit und Sinnhaftigkeit der Lebenserfahrungen
Burnout – Therapie IV
Salutogentischer Ansatz
• Stärkung der gesunden Anteile des Individuums
• Freizeitverhalten
• Herausarbeiten positiver Ressourcen und
individueller Stressbewältigungsstrategien
•
•
•
•
Phyto- und Hydrotherapie
Elemente der chinesischen Medizin,
Massagen und Aromatherapie
Hypnotherapie
Burnout-Zusammenfassung
• Burnout ist nicht nur ein individual-psychologisches bzw.
arbeitspsychologisches Konstrukt
• Es beschreibt ein psychosomatisches Geschehen auf der
Basis eines chronischen Stressprozesses bei spezifischer
Stresskonstellation (arbeitsbezogen)
• Es wirken biologische, psychologische und soziale Faktoren
zusammen
• Mit zunehmender Intensivierung des Prozesses entwickelt
sich das Vollbild einer Stressdepression und/oder weiterer
Stress bezogener Erkrankungen
• Burnout und Stressdepression sind Risikofaktoren für das
Auftreten weiterer Stressfolgeerkrankungen wie
Myokardinfarkt, Schlaganfall, Osteoporose, Diabetes mell.
Typ II
• Eine frühzeitige, intensive, nachhaltige und individuelle –
wissenschaftlich fundierte- Therapie
unter Einbezug von Resilienz- und salutogenetischen
Aspekten- ist daher erforderlich
Wenn Sie mit dem Kopf
gegen die Wand rennen,
hat es wenig Sinn den
Anlauf zu verlängern!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit
Zentral für jeden Einzelnen:
Körperliche Aktivität
Wichtig: 1. Spass
2. Regelmässig = Regel + mässig!
0.00 Uhr
24.00 Uhr
1/2
Stunde
täglich
1/2 Stunde arbeitet 24 Stunden für Sie !
Zahlen und Fakten
zu Stress in der Arbeitswelt
• Volkswirtschaftliche Folgen
–
–
–
–
Kosten von Stress: CHF 4.2 Mio/Jahr = 1,2% BIP*
Gut 1/4 fühlt sich häufig oder sehr häufig gestresst*
1/8 kann den Stress nicht bewältigen*
Über 40% der IV-Renten infolge psychischer
Störungen**
• Schweizer Gesundheitsbefragung 2007 (seco)
– 41% psychisch belastet durch Beruf
– 23% körperlich belastet durch Beruf
– 2/3 beklagen Stress oder Zeitdruck
*: seco-Studie 2002, **: IV-Statistik 2009
Anzeichen für Burnout am
Arbeitsplatz
• Klagen über Arbeitsunlust und Überforderung
• Im Vergleich zu früher keine neuen Ideen und
Projekte
• Negative Grundeinstellung, Dienst nach Vorschrift
• Widerstand gegen Veränderungen
• Weniger Kontakt mit Kollegen
• Vermehrt krankheitsbedingte Absenzen
• „innere Kündigung“
Neurogenese/Neuroplastizität
Einfluss von Stress und Antidepressiva
Normal
Antidepressiva
Stress
NA and 5-HT
Glucocorticoide
BDNF
Glucocorticoide
BDNF
5-HT
und NA
Stress
Neuron mit normalem
Lebenszyklus und
Wachstum
Genetische
Faktoren
degeneriertes
Neuron
Weitere neuronale Noxen
• Hypoxie-Ischämie
• Hypoglykämie
• Neurotoxine
• Viren
regeneriertes
Neuron
NA
= Noradrenalin
5HT = Serotonin
BDNF = brain derived
neurotrophic factor
nach Duman et al. 1997
Regulation der HypothalamusHypohysen-Nebennierenrinden- Achse
durch
GR und MR- Rezeptoren
Depression
- Basalcortisol ↑
- DST ↑
- CRH-Stimulation ↓
- DEX/CRH-Test ↑
- CRH im CSF↑
- CRH-Bindung↓
Stresseffekte von CRH
F. Holsboer 2000
Depression und KHK
Epidemiologie/Therapie
Depression:
Depression und KHK
(Häufigkeit ∼ 25%):
signifikanter Risikofaktor für
Entwicklung von KHK (2fach
)
kardiovaskuläre Mortalität
(2, 3fach)
Depression:
Depressionstherapie: -
Risiko für plötzlichen Herztod
kardiovaskuläres Risiko
Lebensqualität bei
Herzpatienten
Rudish B, Nemeroff Ch: Epidemiology of coronary artery disease and depression
Biol Psychiatry 2003;54;227-40
Roose S: Treatment of depression in patients with heart disease
Biol Psychiatry 2003;54;262-68
Cortisol und kognitive Leistung
Lernstress Cortisolresponse
Anzahl der Richtigen Interferenzliste
Cortisol Verlauf LS-Resp. vs. Non-Resp.
LS Resp.
PS-Responder
LS Non-Resp.
11
11
10
10
Cortisol ng/ml
Ruhe
9
9
*
8
8
7
7
6
6
5
5
4
4
3
3
2
prä 1
prä 2
post 1
post 2
Messzeitpunkt
post 3
post 4
1
0
Hemmeter et al 2012 in preparation
Entwicklung und Verlauf
• Langsame Entwicklung, oft über Jahre hinweg
• Keine Reaktion auf einmalige und extreme
Belastungen, sondern individuelle Reaktion auf
andauernde bzw. wiederholte (v.a.) emotionale
Belastungen im (beruflichen) Alltag.
• Im Burnout-Prozess schaukeln sich die drei
Komponenten (Erschöpfung, negative
Einstellung, reduzierte Leistungsfähigkeit)
gegenseitig hoch.
Therapie von Burnout (1)
3xE
Entlastung
Reduktion / Ausschaltung von Stressfaktoren
Erholung
Entspannung, Sport usw.
Ernüchterung
Perfektionismus / Idealismus verkleinern
Hilert & Marwitz, 2006
Therapieziele
• Reduktion des „Anspruches auf
unbegrenzte Leistungsfähigkeit“
• Vermehrt auf eigene Bedürfnisse und
Befindlichkeit hören
• Erkennen, wo Muster her kommen
• Identifikation mit neuen Lebensinhalten
• Selbstwertgefühl aufbauen