Amerikaner zahlt Spottpreis für junge Japanerin Theater Augsburg

Transcription

Amerikaner zahlt Spottpreis für junge Japanerin Theater Augsburg
Kultur
16
NUMMER 228
Mahner
gegen das
Vergessen
Kultur kompakt
BILDHAUER-ARCHIV
Ulrich Rückriems
Geburtstagsgeschenk
Nobelpreisträger
Elie Wiesel wird 80
Zu seinem 70. Geburtstag am heutigen Dienstag schenkt der Bildhauer Ulrich Rückriem sein Archiv den
Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum. Von der „einmaligen Materialfülle zur Skulpturenkunst“, so die Hochschulleitung,
profitierten sowohl Forschung und
Lehre als auch die kunstinteressierte
Öffentlichkeit. (dpa)
VON NADA WEIGELT, DPA
THEATERAKADEMIE LUDWIGSBURG
Harald Schmidt rät
zum „Klinkenputzen“
Zur Eröffnung der neuen Theaterakademie in Ludwigsburg am
gestrigen Montag hat der TV-Entertainer Harald Schmidt den angehenden Schauspielern geraten,
sich von Kritik nicht entmutigen
zu lassen. Am Anfang der Karriere
müsse man auch „Klinken putzen“. An der Akademie werden
Schauspieler für Theater und Film
ausgebildet. Schmidt: „Die Stars
kommen alle vom Theater.“ (dpa)
STARREGISSEUR
Martin Kusej findet die
Institution Oper langweilig
Der österreichische Theater- und
Opernregisseur Martin Kusej übt
scharfe Kritik am Opernbetrieb.
Die „Institution Oper“ sei „über
weite Strecken reaktionär und langweilig“, sagte Kusej, der zurzeit an
der Bayerischen Staatsoper Giuseppe Verdis „Macbeth“ inszeniert.
Das Bestreben nach immer mehr
Effizienz ersticke jede Kreativität.
Das bürokratische Korsett sei viel
zu eng. (ddp)
WALDSCHLÖSSCHENBRÜCKE
Tunnel-Begehren für
Dresden ist rechtswidrig
Die Landesdirektion Dresden hat
gestern ihre Ablehnung des Bürgerentscheids über einen Tunnel
statt der Waldschlösschenbrücke
im Elbtal bekräftigt. Die Stadt
Dresden hatte der Beanstandung
des Bürgerbegehrens widersprochen. Die Behörde blieb jetzt aber
dabei, dass das Begehren, mit dem
der Weltkulturerbe-Titel erhalten
werden soll, gegen gesetzliche Vorgaben verstoße. Gegen die Entscheidung kann jetzt noch das Verwaltungsgericht Dresden angerufen werden. (dpa)
VERSTEIGERUNG BEI SOTHEBY’S
Über 20 Millionen Euro
für Picassos „Arlequin“
Pablo Picassos Gemälde „Arlequin“
kommt am 3. November in New
York unter den Hammer. Wie das
Auktionshaus Sotheby’s mitteilte,
soll das 1909 entstandene Werk
knapp 21 Millionen Euro erbringen. Das Gemälde sei eines der bedeutendsten Werke Picassos
(1881–1973), das auf dem Auktionsmarkt angeboten wurde. (ddp)
DIENSTAG, 30. SEPTEMBER 2008
Hin und her gerissen zwischen zwei Männern, die in unterschiedlicher Hinsicht über sie verfügen möchten: Butterfly (Sally du Randt, Mitte) im Kräftegeschiebe ihres Bräutigams Pinkerton (Ji-Woon Kim, links) und ihres japanischen Priesters Bonze (Per Bach Nissen, rechts).
Foto: A. T. Schaefer
Amerikaner zahlt Spottpreis
für junge Japanerin
Theater Augsburg Puccinis „Madama Butterfly“ als Pflichttermin
VON RÜDIGER HEINZE
Augsburg Um solche Abende zu erleben, dafür geht man ins Theater.
Zum Spielzeit-Start hat Augsburg
eine szenisch eindringliche und musikalisch ergreifende „Madama Butterfly“ herausgebracht.
Das scheint zunächst nicht
schwer angesichts eines Stoffes, der
– männlicherseits – bekannt perfide
ist: Der US-Marineoffizier Pinkerton kauft sich in Nagasaki für einen
Spottpreis eine Fünfzehnjährige
zum Heiraten, dazu ein Haus für
wenige Flitterstunden. Im Innersten
aber trachtet er bereits auf eine Ehe
mit einer „echten Amerikanerin“.
Die Stärke, aber auch die Tränentreibkraft des Stücks liegen nun darin, dass bei anhaltend musikalischer Rührung jeder im Raum, ob
oben auf der Bühne oder unten im
Publikum, anhaltend weiß: Das
kann nicht gut gehen. Jeder, bis auf
Butterfly selbst.
Dabei war es durchaus nicht von
Beginn an ausgemacht, dass dieser
Augsburger Abend „groß“ werden
würde. Der erste Akt blieb hälftig
noch des reflektierenden Fragens
würdig: Kann diese tragische Geschichte mit ihrem Lokalkolorit der
Kolonialzeit um 1900 schlüssig bis
zum Finale erzählt werden, wenn sie
transferiert wird ins Heute, da Japan
selbst eine Weltmacht darstellt?
Wirkt so der Kauf Butterflys und
die „Hierarchie“ zwischen Pinkerton und Butterfly noch plausibel?
Doch hat man erst einmal erkannt, dass die südkoreanische Regisseurin Yona Kim eine interkontinentale, grausam-einseitige Liebesgeschichte zwischen einem wirtschaftlich unabhängigen, brünstigen
Mann und einer wirtschaftlich abhängigen, liebenden Frau parabelhaft in Szene setzt und dies in der
Unwirtlichkeit einer modernen japanischen Stadt, dann beginnt die
Vorstellung schnell an die Nieren zu
gehen. Japan: Das ist hier nur ein
Beispiel exotischer Anziehungskraft. Es könnte auch Thailand sein.
Eine rüde
Ex- und Hopp-Gesellschaft
Und Pinkerton könnte ein Deutscher sein. Zumindest ist seine Macho-Attitüde, sein Macho-Habitus
weit verbreitet: Cowboy-Stiefel,
breitbeinig,
Whiskey-Flasche,
enorme Coolness, ziemlich ordinär.
Und er trifft, wie uns die Regisseurin zeigt, durchaus auf seinesgleichen: Auch Butterfly, stets hoffend,
ist tätowiert, und ihre Freundinnen
und Verwandten stehen dem Animier-Gewerbe ebenfalls nicht fern.
In dieser rüden, desillusionierten
Ex- und Hopp-Gesellschaft versucht nur Butterflys Dienerin Suzuki resolut und abgehärtet zu retten,
was noch zu retten ist. Vergeblich.
So reiht sich in David Hohmanns japanisch-„leichter“ Bühne ungeheuer eindringlich Szene an Szene: wie
Butterfly blond wird wie die Monroe und sich international kleidet
(Kostüme: Katharina Weißenborn);
wie ihr kleiner Sohn ein US-Flaggen-Magnetpuzzle
komplettiert;
wie sich Butterfly, Suzuki und das
Kind in ein Sternenbanner wickeln
und zu einem Denkmal der Heilserwartung erstarren; wie Pinkertons
Frau genau im modisch angepassten
Outfit der Butterfly aufkreuzt und
dem Buben ein Modell-Kriegsschiff
schenkt; wie schlussendlich Butterfly zu ihrer Tradition zurückkehrt,
ihre eigene Identität im Handspiegel
erkennt – und sich mit einer Spiegelscherbe
die
Halsschlagader
durchtrennt. Das alles: präzise,
schlagend, packend. MetropolenTheater, Pflichttermin.
Nun steht Augsburg aber auch
eine außerordentliche, eine fulminate Butterfly zur Verfügung: Sally du
Randt, die Stimmreinheit zu verbinden weiß mit einer vorgespiegelten
Stimmentwicklung von der 15-Jährigen bis zur Tragödin. Ihr gehören
die musikalisch intensivsten Momente des Abends – und auch den
Philharmonikern unter Rudolf
Piehlmayer, der mit hohem Einsatz
die Energie und – vor allem – die rosaroten Süßigkeiten von Puccinis
Partitur ausbreiten lässt. Gleichzeitig gilt: Würde Piehlmayer nicht regelmäßig Klangtürme vor den Sängern errichten, könnte der vokale
Eindruck noch gewaltiger sein.
Ji-Woon Kim (ein Koreaner als
Pinkerton!) und Alex Sanmarti als
Sharpless hatten mitunter Mühe, ihren tenoral-markanten bzw. baritonal-väterlichen Mann zu stehen. Als
Sängerdarsteller abermals beglückend: Kerstin Descher als Suzuki
sowie Roman Payer als FrauenSchacherer Goro.
Ovationen für einen klaren Fall.
O Weitere Vorstellungen 3., 8., 12.,
18. und 24. Oktober
Zum Werk
Obwohl Puccini kaum Englisch verstand, war er im London des Jahres 1900 von dem David-BelascoTheaterstück „Madame Butterfly“
so ergriffen, dass er 1901 die Vertonungsrechte erwarb und ein Libretto von Giacosa/Illica verfassen
ließ. Nach langen Recherchen
über Japan komponierte er auf Italienisch „Madama Butterfly“ – enthaltend eine „altdeutsche“ Fuge zu
Beginn, die amerikanische und japanische (Kaiser-)Hymne, Pentatonik. (rh)
New York Elie Wiesel hat Auschwitz
überlebt. Sein Vater Schlomo, seine
Mutter Sarah und seine kleine
Schwester starben in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Seither
hat Wiesel, der am heutigen Dienstag 80 Jahre alt wird, sein Leben
dem Kampf gegen das Vergessen
gewidmet.
Weltweit wirbt der amerikanische Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger dafür, die Erinnerung
an die sechs Millionen Opfer des
Holocaust wachzuhalten – als Lehre
für alle Zukunft. „Wer sich dazu
herbeilässt, die Erinnerung an die
Opfer zu verdunkeln, der tötet sie
ein zweites Mal“, sagte er im Jahr
2000 in einer denkwürdigen Rede
vor dem Deutschen Bundestag.
Elie Wiesels wichtigstes Werk ist
das Erinnerungsbuch „Die Nacht“
(1958). Eindringlich schildert er darin seine Erlebnisse im Vernichtungslager Auschwitz. Der Bericht
wurde in 30 Sprachen übersetzt und
ist bis heute eines der meistgelesenen Bücher zum Holocaust.
„Man muss Partei ergreifen“
1928 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Siebenbürgen geboren,
hätte Elie eigentlich Rabbiner werden sollen. Doch seine behütete religiöse Erziehung brach jäh ab: 1944
wurde die Familie nach Auschwitz
deportiert; nur der Junge überlebte.
Die Schuldgefühle der Überlebenden, Zweifel an der Existenz Gottes
in solchem Grauen, jüdische Identitätsfindung – diese Themen bearbeitete er in fast 50 Büchern.
1986 erhält Wiesel für seinen
Kampf gegen Gewalt, Unterdrückung und Rassismus den Friedensnobelpreis. Auch in die deutsche
Politik schaltet er sich mehrfach ein,
etwa im sogenannten Historikerstreit 1986/1987 oder bei der Diskussion um Martin Walsers Roman
„Tod eines Kritikers“.
Wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag nahm er an einem Jugendparlament der Vereinten Nationen
in New York teil. „Man muss Partei
ergreifen“, sagte er da. „Neutralität
hilft dem Unterdrücker, niemals
dem Opfer.“
Der heute 80-jährige Schriftsteller Elie
Wiesel.
Foto: dpa
Von seltener Innigkeit
Wo ist Gerechtigkeit?
Bach in Rokoko Die Augsburger Domsingknaben in der Günzburger Frauenkirche
Kammerspiele 18 Autoren mit „Brandherden“
VON HELMUT KIRCHER
Günzburg Johann Christian Bach,
jüngster Spross des Thomaskantors,
war kein bedeutender Kirchenmusikkomponist. So blieb sein Magnificat, trotz hochdelikater Ausführung durch die Augsburger Domsingknaben, am ersten Tag des
„Bach in Rokoko“-Festivals in der
Günzburger Frauenkirche im Schatten seines Konkurrenten Haydn,
der dreimal erklang: Zuerst mit seinem Trompetenkonzert, das Konrad Müller mit Verve und sprudelnder Heiterkeit anging, dann mit dem
C-Dur-Violinkonzert, dessen enormer Anspruch mit Doppelgriffen,
Passagen in hohen Lagen und heiklen Triolenfigurationen Solist Michael Christians dankbar zur Kenntnis nahm, schließlich mit der „Missa
Cellensis“ in festlichem Glanz und
melodischer Kraft.
Hier erklangen das Kyrie mit
sanfter Wehmut und feierlicher Erhabenheit, dazu ein leuchtendes
Gloria, ein lieblich beschwingtes
Sanctus und ein wunderschönes Benedictus mit vier Knabensolisten.
Wem das nicht genug war, dem
blieb, am zweiten Tag des Festivals,
der Heiligenschein aller Musik:
Bach und seine mit Pauken und
Trompeten bestückte Suite Nr. 3 in
D-Dur. Ausgestattet mit einer repräsentativen Ouvertüre und dem
populären „Air“, wob das mit Verve
und verinnerlichtem Bach-Esprit
aufspielende Residenz-Kammerorchester München einen silbrig fei-
Die Augsburger Domsingknaben, die Solisten Markus Göppel (l.) und Sebastian Maurer mit ihrem Dirigenten Reinhard Kammler beim Günzburger Konzert. Foto: Fuchs
nen Klangteppich. Momente zarten
Zaubers.
Dann der Höhepunkt: Kyrie und
Gloria aus Bachs „Hoher Messe in
h-Moll“. Sie atmeten anscheinend
Authentizität: kleines Orchester,
Knaben-Chor, Solisten aus den eigenen Reihen. Feinnervige Pianokultur, frische Jugendlichkeit, leidenschaftliches Schwärmen und fulminante Virtuosität ertönten.
Es gelang Domkapellmeister
Reinhard Kammler, vom Cembalo
aus leitend, etwas heute schon fast
Altmodisches: Innigkeit. Wohltuend die klare Schlichtheit, mit der er
das behutsam angehauchte „Kyrie
eleison“ auf einem Spannungsbogen
in die Fulminanz einer fünfstimmigen Fuge führte; wie er die verschlungene Melodik des „qui tollis
peccata mundi“ zu einer Art Edelstein machte – um den herum sich
die anderen Teile des Gloria wie eine
Fassung legten.
München l rei l Geschieht ihm recht,
dem alten Stenz (André Jung), dass
er vom Fahrrad stürzt und stirbt –
meint Autor Händl Klaus in seinem
Mini-Dramolett. Aber wo bleibt die
Gerechtigkeit, wenn Wirtschaftsbosse zur Verantwortung gezogen
werden sollen, fragt Elfriede Jelinek. Gibt es ein Grundrecht auf eine
Ehefrau, das Laura de Weck einen
Bauernburschen einfordern lässt?
Und warum fühlt sich Kriegsverbrecher Karadzic im Recht, wenn er
verkündet „Ich bin kein Monster,
ich bin Poet“ (Michael Tregor)?
Zum Spielzeitauftakt baten die
Münchner Kammerspiele 18 namhafte Autoren, darunter Paul Brodowsky, Anja Hilling und Feridun
Zaimoglu, um Kurztexte zum Motto „Brandherde: Geschieht dir
recht“ und richteten diese als Theater-Parcours mit 18 Stationen ein.
Zwar war das Mammutprogramm in
zwei Stunden nicht zu schaffen, ging
es manchmal chaotisch zu, schien
der Weg oft das Ziel. Doch der war
genauso spannend wie die Kurz-Inszenierungen an Spielorten wie Unterbühne, Garderoben, Scheinwerfer-Depots oder Kulissen-Magazinen.
Besser als jede TV-Talk-Show
organisierte die Gruppe „Kulturmaßnahmen“ am Schluss die
„Haushaltsdebatte“ um die Abendeinnahmen von 2100 Euro, in der
fünf Bürger in einem Live-Schaukampf um Geld für ihre Projekte
kämpften.
Unter dem Motto „Geschieht
dir recht“ lenken Stücke wie Kafkas
„Prozess“ oder Jelineks „Rechnitz –
Der Würgeengel“ die ZuschauerAufmerksamkeit auf die Verlässlichkeit des Rechtsstaats. Vergangene Saison zielte das Motto „Da
kann ja jeder kommen“ in den
Kammerspielen auf das Thema Migration.