Erinnerungen an das Kriegsende im April 1945

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Erinnerungen an das Kriegsende im April 1945
Extrablatt
Frühjahr 2005
Erinnerungen an das
Kriegsende im April 1945
8 .Mai 1945, vor 60 Jahren, ist der Zweite
Weltkrieg zu Ende gegangen.
Die amtierende Reichsregierung unter
Hitlernachfolger Großadmiral Dönitz hatte
tags zuvor die bedingungslose Kapitulation
unterzeichnet.
Der größte Teil des damaligen Deutschen
Reiches war zu diesem Zeitpunkt bereits
von feindlichen Truppen, Amerikanern,
Engländern, Franzosen und Russen erobert
und besetzt.
Auch unser Heimatort stand zu diesem
Zeitpunkt bereits 2 Wochen unter französischer
Besatzung.
Das Kriegsende war keineswegs mehr überraschend
gekommen.
Nachdem
die
amerikanischen,
englischen
und
französischen Truppen am Ende des Jahres
1944 am Rhein standen und die Russen im
Januar in Ostpreußen und Oberschlesien
zum Angriff in Richtung Berlin ansetzten,
konnte man das Ende absehen.
Da nach dem missglückten Attentat auf Hitler
am 20.Juli 1944 auch nicht mehr mit einem
Waffenstillstand zu rechnen war, musste man
davon ausgehen, dass der Feind ins Land
und auch in unsere Heimat kam.
Die bange Frage war, wie wird das ablaufen?
Wird noch geschossen und gekämpft, Haus,
Hof, das Dach über dem Kopf noch zerstört und
zerschossen oder zerbombt werden?
Dann standen ja noch viele Familienangehörige
Väter, Brüder und Söhne an der Front. lebten
sie überhaupt noch oder wie würden sie das
Ende überleben.
Eine große Zahl der bei den kämpfenden
Truppen stehenden Soldaten, standen an der
Ostfront den Russen gegenüber. Wie würde es
ihnen ergehen?
Von Engländern, Amerikanern und auch den
Franzosen wurde ein gütigeres Schicksal für
unsere Soldaten erwartet.
Im Frühjahr 1945 standen noch 81 Familienangehörige aus dem Ort bei der Wehrmacht
oder deren Organisationen.
Von 20 hatten bis dahin die Angehörigen die
bittere amtliche Nachricht erhalten, dass sie
gefallen waren. Vier waren amtlich als Vermisst
gemeldet.
Die Verbindungen zu den im Feld stehenden
waren nur noch spärlich, denn Feldpost und
Post funktionierten 1945 kaum mehr. Als
Arbeitskräfte und Arbeitsersatz für die
einberufenen Angehörigen waren sei t 1940
belgische und französische Kriegsgefangene
auf verschiedenen Höfen und Anwesen
eingesetzt. Diese mussten jeden Abend ins
"Gefangenenlager" zum schlafen, von wo sie
am anderen Morgen wieder zur Arbeit kamen.
Für die meisten landw. Betriebe, 1945 waren es
noch über 50 Anwesen im Ort, waren die
Gefangenen unentbehrliche Arbeitskräfte und
oftmals eine große Hilfe.
Zwangsarbeiter
Als "Gefangenlager" diente das alte, 1963
abgebrochene "Meßmerhaus". Es stand in etwa
dort, wo heute der Kindergarten steht.
Ab 1942 waren polnische und später auch
russische Landarbeiter und -arbeitrinnen als
Arbeitskräfte in der Landwirtschaft hier im Ort
eingesetzt.
Bei Kriegsende waren etwa 20 belgische und
französische und fast ebenso viele polnische
und russische Arbeitskräfte im Ort beschäftigt.
Das Verhältnis zu den Kriegsgefangenen und
den Ostfremdarbeitern, wie Polen und Russen
bezeichnet wurden, war meist familiär, oder
zumindest nicht anders, als frührer zwischen
Dienstboten und Arbeitgebern.
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Evakuierungen
Weiter waren bei vielen Familien evakuierte aus
den bombardierten Städten des Ruhrgebiets,
Stuttgart,
Ulm
und
Friedrichshafen
untergebracht.
Als zu Beginn des Jahres 1945 auf breiter Front
am Rhein die Offensive begann, mussten dazu
noch Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder,
vom Saarland Bruchsal, Rastatt und anderen
Städten hier im Ort aufgenommen und
untergebracht werden. Die Zahl der hier
lebenden Personen war am Kriegsende fast
doppelt so hoch als in den Vorkriegsjahren und
der letzte bewohnbare Raum und das letzte
Bett waren voll belegt.
Der Frühling hatte 1945 schon früh seinen
Einzug gehalten und bei schönem trockenem
Wetter konnten schon Ende März Hafer und
Gerste gesät und die Frühkartoffeln gepflanzt
werden und man stellte sich die bange Frage,
wie wird es sein, wenn man die Ernte einbringt?
Dass bis dahin der Krieg auf irgendeine Weise
zu Ende ging, zu Ende gehen musste, war
sicher.
Bomben
Der Ort selber hatte bis dahin den Krieg heil
überstanden. Das Leid über die immer mehr
ansteigende Zahl der jungen, hoffnungsvollen
gefallenen Männer und der Vermissten teilte
der Ort mit den Nachbarorten gleichermaßen.
Berührungen mit dem Feind hatte man bis
dahin lediglich aus der Luft gemacht.
Schon seit dem Frühjahr 1944 zogen in
steigendem Maße feindliche Bombergeschwader auch am hellen Tag und in großer
Höhe, an manchen Tagen waren es über
tausend, leicht erkennbar an den nachziehenden Kondensstreifen, über den Ort hinweg.
Zunächst meist noch in Richtung München oder
Augsburg.
Nachts hatte es auch einige Male Fliegeralarm
gegeben und manche suchten dann die als
Luftschutzkeller ausgewiesenen Bierkeller an
der Oberessendorferstraße auf.
Einige Angst gab es, als einmal in der Nähe von
Hochdorf und Degernau nachts Bomben im
freien Feld einschlugen.
Schon seit 1942 hatten feindliche Flugzeuge
auch Flugblätter abgeworfen, die man dann in
Wald und Feld fand und deren Inhalt man nicht
verbreiten durfte und sofort abzuliefern waren.
Am Sonntag, 16.Juli 1944 hörte man während
des Gottesdienstes das zwar inzwischen
bekannte Geräusch feindlicher Flugzeuge über
den Wolken, das sich aber nicht wie sonst
monoton fortsetzte, sondern durch seine
Unterbrechungen Unruhe in der Kirche
verursachte.
Als dann auch noch Bombeneinschläge zu
hören waren, drängten die meisten Kirchgänger
beunruhigt aus der Kirche hinaus, obwohl der
Gottesdienst weiterging.
Ein
feindliches
Flugzeug
hatte
über
Steinhausen ein Bündel Sprengbomben
abgeworfen, die am Ortsausgang Richtung
Muttensweiler einschlugen. Einige Wohnhäuser
erlitten kleinere Schäden. Verletzt wurde
glücklicherweise niemand. Einen Eindruck vom
Schrecken eines gezielten Bombenangriffes
erhielt man als am 17.Dez.1944, dem
3.Adventsonntag gegen 21.00 Uhr Ulm
bombardiert worden ist.
Man hörte an diesem verhältnismäßig milden
Sonntagabend die feindlichen Flugzeuge
anfliegen und konnte erkennen, wie in der
Ferne
zunächst
die
so
genannten
"Christbäume", Zielmarkierungen für die
nachfolgenden Bomberpulks in die Luft gesetzt
wurden.
Alsbald
hörte
man
die
Bombeneinschläge als fernes Rollen und darauf
sah man auch den Feuerschein am
Nachthimmel.
Anderntags kamen von dort mit mehrere
ausgebombte Familien hier im Ort bei
Verwandten oder ein Obdach suchten.
Organisation Todt
Sicher zum Glück für unseren Ort und die
nähere Umgebung hat sich ein Vorgang
entwickelt, der sich bereits im Frühjahr 1943
abgespielt hatte. Im Frühjahr 1943 waren auf
dem Bahnhof Essendorf große Mengen
Baumaterial,
Baugeräte
und
Teile für
Baubaracken eingetroffen und dort ausgeladen
worden. Zum Teil nagelneue Planierraupen und
Raupenbagger, wie man sie bisher kaum zu
Gesicht bekommen hatte standen bereit oder
wurden durch den Ort Richtung Ingoldingen
transportiert.
Vom Bahnhof aus war mit Fluchtstäben eine
Linie über das Schiggenfeld ebenfalls Richtung
Ingoldingen aufgesteckt gewesen. Angeblich für
den Bau eines Bahngleisanschlußes in
Richtung Ingoldingen.
Angehörige der OT.("Organisation Todt") waren
ins Ort und die Häuser verlegt worden und es
ging das Gerücht um vom Bau einer
kriegswichtigen Fabrik, die im Bereich des
heute dort abgebauten Kiesgeländes entstehen
sollte.
Etwa 3 Wochen später wurden Material und
Menschen wieder verladen und abtransportiert ,
nachdem im Mai ein "FieseIer Storch" auf dem
"Kreuzacker" von V. Zinser, heute unterhalb
des Ränkle für einige Stunden lang gelandet
und dann wieder abgeflogen war.
Noch bevor mit direkten Bauarbeiten begonnen
worden war, wurde das Unternehmen
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abgeblasen, angeblich wegen dem im Bereich
des Kiesgeländes auftretenden Grundwassers.
Der Standort einer größeren Fabrikanlage wäre
im weiteren Verlauf des Krieges sicher das Ziel
feindlicher Luftangriffe geworden.
Gefährlich wurden einige Male die ab dem
Herbst 1944 zunehmenden Tieffliegerangriffe,
die vor allem der Eisenbahnlinie und den Zügen
galten.
Etwa Anfang Sept.1944 wurde um die Mittagszeit kurz vor dem Bahnhof Wattenweiler die
Lokomotive eines Güterzuges angegriffen und
beschossen. Der Heizer oder Lokführer fand
dabei den Tod, der Andere wurde schwer
verletzt.
In den ersten Oktobertagen 1944 wurde der
"Acht
UhrPersonenzug"
Richtung
Friedrichshafen kurz nach dem Bahnwärterhaus
im Bachlet angegriffen. Vor allem im ersten
Personenwagen nach der Lokomotive gab es
über zehn Tote und eine Anzahl Verletzte. Wie
viele es genau waren, hat man nicht erfahren.
Die Personenzüge waren damals stets ziemlich
voll gewesen.
Mehrere male, bis zum Frühjahr 1945 ist der
Bahnhof Essendorf von Tieffliegern mit
Bordwaffen angegriffen worden. Auf der Höhe
des früheren Bahnhof-Holzlagerplatzes waren
zwei ausgediente französische Lokomotiven
abgestellt gewesen, auf die immer wieder mit
Bordwaffen gefeuert worden ist.
Passiert ist dort zwar nie etwas, aber es war nie
angenehm, vor allem mit einem Pferdegespann
in der Nähe eines Tieffliegerangriffes zu sein.
Der Volkssturm
Nach dem 20.Juli 1944 ist ein Wach- und
Streifendienst
eingeführt
worden,
der
hauptsächlich nachts von 2 Männern mit einem
Gewehr ohne Munition ausgeführt werden
musste. Die Eisenbahnlinie und die Brücken
sollten dabei besonders kontrolliert werden.
Im Herbst 1944 waren die noch übrigen Männer
zwischen 16 bis 60 Jahren im "Volkssturm"
erfasst worden.
Die "Ausbildung" für dieses "letzte Aufgebot"
fand an den Sonntagen statt, wobei der
Umgang mit der Panzerfaust und Karabiner von
meist verwundeten Offizieren vorgeführt wurde.
Der Volkssturm hat neben den Straßen, die aus
dem Ort führten, an verdeckten Stellen so
genannte Schützenlöcher ausheben müssen.
Wenige Wochen vor Kriegsende wurden noch
zwei Volkssturmmänner, einer im Alter von 50
Jahren einberufen.
Am 28. Januar 1945 sind die damals kaum 17
Jahre alten Jugendlichen des Jahrganges 1928
noch zum RAD einberufen worden.
Ende Febr. oder Anfang März 1945 ist an der
Schule der Unterricht ganz eingestellt worden.
Er war schon vorher nur noch dürftig aufrecht
erhalten worden.
WehrmeIdeamt Ludwigsburg
In das Schulhaus zog darauf hin das
WehrmeIdeamt
Ludwigsburg
mit
seiner
Büroeinrichtung und seinen Wehrmachtsbediensteten und einigen dort angestellten Frauen
ein, die ebenfalls im Ort bei den Familien
untergebracht werden mussten.
Am 12.April vormittags 9.30 Uhr konnte man
vom freien Feld aus den schweren' Luftangriff
auf Biberach beobachten. Man sah die
Maschinen im Pulk zusammen und einzeln in
niedriger Höhe fliegen. und hörte wie die
Bomben einschlugen. Die Bomben waren
zwischen Ulmer Tor und der Kirche
niedergegangen und hatten noch über 60
Menschenleben gefordert. Auch davon erfuhr
man nur von den Leuten, die dort zur Arbeit
hingefahren sind.
Auch die Zugverbindungen waren bis April
immer unregelmäßiger geworden. Die meist
überfüll ten Züge waren ungeheizt und bei
Nacht ohne Licht und die Fenster großen Teils
mit Brettern vernagelt.
Am Do.19. April konnte man am Radio noch die
den "Endsieg“ verkündende Rede von Dr.
Göbbels aus Anlaß von Hitlers Geburtstag
hören. Am 20. April vernahm man am Abend
schon
Kanonendonner
und
teilweise
Maschinengewehrfeuer aus dem Raume
Saulgau und dem Donautal, wohin die
Franzosen vorgedrungen waren. An diesem
Tag war auch die aus Papiermangel auf ein
Blatt geschrumpfte letzte Ausgabe der
Tageszeitung erschienen.
Die Radios im Ort waren noch die einzige
Verbindung nach draußen. Diese brach dann
auch ab, als am So.22.April der Strom
ausgefallen ist.
Das
man
sehr
wahrscheinlich
von
französischen Truppen besetzt werden würde,
stand zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich
sicher fest.
In den kommenden Tagen drängten sich dann
die Ereignisse.
Deutsche Soldaten
Hauptsächlich in den Nächten zogen neben
einigen Truppenresten auch Angehörige der
Wlassowarmee und zivile Flüchtlinge durch den
Ort immer in Richtung Oberessendorf.
Als letzte deutsche Wehrmachtseinheit kam am
Vormittag
des
23.
April,
mit
einem
Wehrmachtlastwagen von Grodt her ein Trupp
deutscher Soldaten in Halders Hof, heute
Fachwerkhaus, die sich aber nicht lange
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aufhielten sondern bald, wie sie angaben, sich
in Richtung Iller abzusetzen versuchten.
Im Gespräch mit den Soldaten dieser Gruppe
meinte eine hier evakuierte junge Frau, sie, die
Soldaten sollten doch nicht mehr weitermachen.
Der die Gruppe befehlende Leutnant trat auf die
Frau zu und rief sie an: "Verschwinden sie hier,
oder ich bringe sie wegen Wehrkraftzersetzung
vor ein Standgericht". Im übrigen tauchten
deutschen Soldaten nur noch versprengt, und
meist in der Nacht hier im oder um den Ort auf
um essen und trinken zu können und um dann
eilends weiter zu ziehen um möglichst der
Gefangenschaft, vor allem der französischen,
zu entgehen.
Die bisher uniformierten Bediensten beim
WehrrneIdeamt Ludwigsburg, niedere und
höhere Dienstgrade, hatten sich ebenfalls in
diesen Tagen abzusetzen begonnen.
Während man diese zuvor noch in ihren
Uniformen gesehen hatte, tauchten sie nun zum
Teil in nagelneuer Zivilkleidung auf und
versuchten durch die feindlichen Linien, zu Fuß,
oder manchmal besaßen sie auch ein Fahrrad,
in ihre Heimat, meist im Raum Stuttgart, zu
gelangen.
„Kriegsbeute“
Unser Ort lag zu diesem Zeitpunkt gewissermaßen im Niemandsland und in diesen
Tagen öffneten sich auch die im Ort oder in der
Umgebung bisher verdeckt gehaltenen Lager.
Die
teils
nagelneue
Kleidung
der
Wehrmeldeamtsbediensteten, so erfuhr man,
stammte aus Unteressendorf aus einem dort
ausgelagerten Depot eines Bekleidungshauses,
das dort einen Teil seiner Herrenbekleidung
ausgelagert hatte.
Vom Bahnhof Essendorf kam die Nachricht,
daß auf dem Bahnhofgelände ein Waggon
Hochzucht-Futtersaaterbsen stehen geblieben
sei. Am späten Abend, bei Dunkelheit fuhr ein
Pferdefuhrwerk
dahin,
belud
den
Brückenwagen mit Erbsensäcken und - fuhr
zurück ins Ort. Die Futtererbsen wurden an die
Landwirte im Ort verteilt.
Die Schreinerei Zinser ist während des Krieges
stillgelegt gewesen. Alle dort Beschäftigten
waren zur Wehrmacht eingezogen worden.
Dort in der Werkstatt hatte die württ.
Schuhmacheru.
Sattlereinkaufsgenossenschaft mit Sitz in oder
bei
Stuttgart
ihre
bis
dahin
zwangsbewirtschafteten Vorräte an Leder,
Zwilch und Nähgarn ausgelagert.
Die Materialien dort sind in diesen Tagen
wiederum auf mehrere Anwesen ausgelagert
worden, um sie nicht in Feindeshand fallen zu
lassen, wobei sie diesmal in Empfang
genommen und versteckt wurden in der leisen
Hoffnung, daß sie vielleicht auch vergessen
werden könnten. Ebenfalls noch am Vormittag
des Mo. 23. April wurde in Oberessendorf beim
"Hirsch" aus Beständen der "Organisation Todt"
ein Pferdefuhrwerk von hier mit Holzschuhen,
Handschuhen, Lederschuhen und -Stiefeln,
Uniformteilen,
eine
größere
Menge
Regenschutzumhängen
und
anderen
Kleidungsstücken
beladen
und
hierher
gefahren, und dann hinter dem "Lamm" mit dort
eingelagerten Pelzwesten aus Kaninchen- und
Katzenfellen und wattierten Westen und Hosen
an die Leute hier verteilt. Alles Dinge die man
nötig brauchen konnte und äußerst rar waren.
Die Verteilung dieser "OT-Sachen" unterstand
einem höheren OT.-Mann namens Knobel.
Dieser besaß auch immer noch ein Motorrad
und trug ab dem Abend des 23.April eine weiße
Armbinde mit dem Aufdruck "Süddeutsche
Freiheitsbewegung".
Eine Anzahl nagelneuer Kradmäntel, damals
äußerst wertvoll, war ebenfalls bei dieser Fuhre
gewesen. Diese sollen angeblich die hiesigen
französischen und belgischen Gefangenen
erhalten haben.
An diesem Mo.23. April hatte vormittags noch
deutsche Artillerie die Straße von Muttensweiler
nach Grodt beschossen.
Am Abend erfuhr man dann, daß am Vormittag
und Mittag in Steinhausen und Ingoldingen
französische Panzer und Panzerspähwagen
aufgetaucht waren und Ingoldingen bereits
übergeben worden sei.
Am Abend konnte man vom "Linseler" aus
französische Panzer beobachten und rasseln
hören, die von Degernau Richtung Biberach
fuhren.
Der Einmarsch
Am Mi.25.April war vormittags dann ein Trupp
französischer Kriegsgefangener, der sich
irgendwie
bewaffnet
hatte,
auf
einem
gummibereiften Leiterwagen, der von einem
Lanz-Aulendorf-Schlepper, mit einem zivilen
deutschen Fahrer, gezogen worden ist, von
Winterstettendorf her zum Stadelhof unterwegs.
Im Stadelhof saßen zur gleichen Zeit noch
einige
deutsche
Soldaten
die
ein
pferdebespanntes Fahrzeug im Hof stehen
hatten, in der Stube beim Vespern.
Die Franzosen drangen in die Stube ein. Einer
der deutschen Soldaten soll nach seinem
Karabiner gegriffen haben.
Sicher ist, daß die Franzosen in der Stube auf
die Deutschen geschossen haben und einer
davon getroffen wurde und schwer verletzt
darauf gestorben ist. Es war dies der Soldat
Karl Schwarz, der hier auf dem Friedhof vor der
Friedhofkappelle seine letzte Ruhestatt gefunden hat.
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Ein weiterer hatte einen Armdurchschuss
erhalten. Die Franzosen nahmen die Deutschen
als Gefangene mit und fuhren mit ihnen weiter
bis zu unserem Ortseingang, dort wo die Straße
von Ingoldingen her einmündet. Von dort aus
jagte der Anführer eine Maschinenpistolensalve
durch den Ort, die im "Adler" eingeschlagen
hat.
Die Übergabe
Teilweise hingen im Ort schon weiße Fahnen
aus den Fenstern. Im Schulhof blieb das
Fahrzeug
mit
den
Gefangenen
unter
Bewachung stehen und die anderen unter
ihrem Anführer, mit der Maschinenpistole
bewaffnet, gingen weiter zum Rathaus.
Im Rathaus wurde der Ort dann den Franzosen
übergeben. Der Hergang dieser Übergabe ließ
sich nicht mehr im Einzelnen rekonstruieren.
Sicher ist, daß die im Rathaussaal aufgestellte
Hitlerbüste vorn Sockel geholt und auf die
Straße geworfen wurde. wo der bronzierte
Gipskopf zerbrochen neben der Straße lag. Die
hinter
der
Büste
aufgestellten
Hackenkreuzflaggen
wurden
ebenfalls
zusammengerollt aus dem Rathaus getragen
und in den damals
gemeindeeigenen
Bräuhauskeller, heute Haus Meseck, geworfen.
Herr Georg Mohr (Vater von Eugen Mohr) war
stellv. Bürgermeister und mußte Bürgermeister
Scheffold aus Oberessendorf vertreten. Schon
einige Tage vor der Übergabe ist bei Familie
Mohr
ein
Übergabe-Schreiben
der
Landkreisverwaltung gelegen, auf welchem die
Übergabe des Ortes gemäß der "Haager
Landkriegsordnung" formuliert war.
Herr Mohr u. Sebastian Zinser haben das
Rathaus
im
Rathaus
den
Franzosen
übergeben.
Sebastian Zinser musste die Übergabe
Ausschellen. Bei diesem Vorgang hat ihn einer
der bewaffneten Franzosen mit Gewehr
begleitet.
Einer der hiesigen Kriegsgefangenen hat nach
dieser Übergabe an die Eingangstür vorn
"Adler" die Trikolore genagelt Der verwundete
deutsche Soldat bei der Schule durfte von einer
hier evakuierten Krankenschwester ordentlich
verbunden werden.
Als erster Befehl der Franzosen wurde durch
Ausschellen im Ort bekannt gegeben, daß
sämtliche Waffen, Munition, Fotoapparate,
Ferngläser und Radios sofort auf dem Rathaus
abzuliefern seien.
Deutsche Soldaten dürften nicht mehr
aufgenommen oder Verpflegt werden. Wer dem
Befehl zuwiderhandelt wird erschossen. Für die
Bevölkerung
wurde
eine
nächtliche
Ausgangsperre befohlen. Zuerst von abends
18.00 Uhr bis morgens 7.00 Uhr und später von
20.00 Uhr bis 6.00 Uhr.
Die bisher Kriegsgefangenen Franzosen hatten
Waffen erhalten und bildeten für einige Tage
die Besatzung hier. Nach einigen Tagen kamen
sie nach Biberach, von wo sie dann heimkehren
konnten. Zumindest an diesem Übergabetag
hatte sich das gute Verhältnis, das schon in den
Kriegsjahren zwischen den Gefangenen und
der Bevölkerung geherrscht hatte bewährt.
Die von den Besatzern geforderten Dinge
wurden großen Teils auf dem Rathaus
abgegeben.
Einige deutsche Soldaten, die sich ebenfalls
noch im Ort befanden, suchten durch
Obstgärten hindurch weiterzukommen. Zu
Widerstand oder zu einem aufeinander treffen
zwischen deutschen Soldaten und den
Franzosen kam es glücklicherweise nicht.
Es fanden glücklicherweise auch keine weiteren
Gefechte mehr außerhalb des Ortes statt.
Man hoffte, dass damit dieser letzte Teil des
Krieges für den Ort glimpflich abgelaufen sei.
Am Donnerstag 26. April ist der gefallene Karl
Schwarz beerdigt worden.
Weil kein Schreiner im Ort war, mußte
Wagnermeister Paul Strobel für ihn einen Sarg
anfertigen.
Am Frei.27.April kamen am späten Nachmittag
von Ingoldingen her französische Panzer
angerollt. Die erste Kolonne fuhr weiter in
Richtung Winterstettendorf und die zweite
Kolonne fuhr durch den Ort weiter in Richtung
Oberessendorf. Die Leute standen an der
Straße und sahen mehr oder weniger
beeindruckt zu. Passiert ist nichts, außer daß
die Nachhut im Mühlekanal einige Enten zur
Bereicherung ihres Speisezettels geschossen
hatte.
Am Sa. 28. April kam französische Infanterie,
durchweg junge Franzosen, hier ins Quartier.
Sie verhielten sich ziemlich korrekt und
verlangten von den Quartierleuten neben
Betten hauptsächlich warmes Essen und
Trinken, Eier mit Speck und Most. Schnaps
wurde auch verlangt, aber dieser war, wenn
man solchen besaß, meist irgendwo vergraben
worden.
Am Sonntag sah man einige der Soldaten und
einen der Offizier beim Gottesdienst in der
Kirche. Bevor diese Truppe abzog kam der
Befehl, daß alle Fahrräder und Motorräder beim
Bräuhaus abgeliefert werden müssen.
Die Soldaten suchten sich davon die besten
aus und fuhren auf ihnen davon.
In der Woche nach So. 29. April zog dann
französische Artillerie mit Fahrzeugen und
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mehreren Geschützen hier ein. Darunter waren
auch pechschwarze Afrikaner. Diese Truppe
schlief nicht in den Häusern, aber sie kamen
tags über ins Haus und verlangten Essen und
Most.
Man gab den Franzosen was sie begehrten,
zumeist in der Hoffnung, daß auch die eigenen
Angehörigen draußen in einem ungewissen
Schicksal irgendwo her ein Stück Brot
bekommen würden.
Diese Truppe war ebenfalls nur wenige Tage
hier und als sie mit ihren Fahrzeugen aus dem
Ort weg zogen, schwenkte ein Soldat von
einem der Fahrzeuge aus die Fahne des
hiesigen Kriegervereins, die 1910 geweiht
worden war und die auf einer Seite das
eingestickte Bild von St.Michael und auf der
anderen das Gemeindewappen trug.
Die Fahne hatte sich vermutlich in der Schule
befunden und dort waren Soldaten dieser
Truppe einquartiert gewesen.
Der Musikverein besaß vor dem Krieg für die
Fasnetsumzüge
verschiedene
Tierköpfe,
Hennen, Hahn, Esel, Enten und anderes. Diese
Köpfe hatten sich ebenfalls in der Schule
befunden und die Soldaten hatten sich
dieselben aufgesetzt als sie aus dem Ort
abzogen und von ihren Lastwagen winkten.
Diese Truppe hatte sich in ihrem Auftreten
wesentlich mehr Freiheiten erlaubt als die erste
Einquartierung, aber direkte Übergriffe sind
nicht bekannt geworden.
Von diesen, oder schon von den vorhergehenden
Truppen
war
der
1937
in
Zwangsruhestand versetzte Bürgermeister F.J.
Müller als ziviler Bevollmächtigter für die
Gemeinde eingesetzt worden. Auch dieser
Vorgang ließ sich nicht mehr genau
rekonstruieren.
Die Marrokaner
Am Sa.05. und So.6.Mai kamen von
Schussenried und Muttensweiler her durch
Karreswald und Schwende marokkanische
Truppen gezogen.
Es waren fremd anmutende dunkelbraune
Männer in langen gelbbraun gestreiften
Kapuzenmänteln und meist den Turban auf
dem Kopf. Andere waren bis auf ein kleines
Haarbüschel am Hinterkopf kahl geschoren.
Diese Soldaten führten Eselskarren und voll
bepackte Maulesel und zum Teil auch Pferde in
ihrem Tross mit. Die Vorhut lagerte im
"Wolfsgarten" im zu der Zeit schon hohen Gras
und in den Rotkleeäckern. Die anderen zogen
weiter ins Dorf.
Befehligt wurden sie von französischen
Offizieren. Die niederen Dienstgrade waren
ebenfalls Farbige.
Diese Truppe zog mit ihren Zug- u. Lasttieren in
den Scheuern und Schöpfen im Ort ein und sie
schliefen und lagerten auch dort und in den
Höfen und Gärten. In den Wohnungen durften
die Farbigen kein Quartier nehmen.
Die Offiziere waren im "Lamm" und teils auch
anderen Privathäusern einquartiert und im
Rathaus befand sich eine Ortskommandantur.
Bei ihrem Einzug hatten sie einige Kühe
mitgebracht und eine davon geschlachtet, die
sie dann am Bach bei der Mühle einfach liegen
ließen, als sie sich mit den besten Stücken
bedient hatten. Das restliche Fleisch, es war
Notzeit, wurde von Bürgermeister Müller dann
an die Leute ohne Landwirtschaft, damals hieß
es auch „ohne Selbstversorgung“, verteilt.
Eine kleine Schafherde hatten sie ebenfalls
mitgebracht, aus der sie sich auch mit
Frischfleisch versorgten.
Daneben passte insbesondere Geflügel in ihren
Speisezettel und dasselbe konnte in der Regel
nicht mehr frei laufen, weil es sonst schnell
gefehlt hat. Hühner und Schaffleisch wurde von
den Marokkanern an offenen Feuern gebraten,
das sie nicht nur im Freien sondern zum
Entsetzen einiger Hausbesitzer auch in den
Scheuern unterhalten haben. Schweineställe
wurden fast furchtsam gemieden. Dagegen war
frische Milch ebenfalls gefragt.
Milch konnte seit den Tagen der Besetzung
nicht mehr an die Molkerei abgeliefert werden,
weil der dort anfallende Rahm nicht mehr
abgeholt worden ist und so wurde in diesen
Wochen die täglich anfallende Milch in den
Haushalten
selbst
verwertet.
Kindern
gegenüber waren die Marokkaner freundlich
und freigebig. Einige der Männer hatten auch
eine Violine dabei, auf denen sie stundenlang
fremde eintönige Melodien fiedelten. Wie aus
einem langen Schal geradezu zeremoniell um
den Kopf ein Turban entstand, konnte man
auch sehen. Ihr Ausspruch "la Querre nix gut"
war eines der wenigen Wörter auf die man sich
verständigen konnte und mit ihnen auch einer
Meinung war.
Alleinstehende Frauen und Mädchen sind vor
Gewalttätigkeiten gewarnt worden und konnten
sich nachts in eine bewachte Sammelunterkunft
bei Bürgermeister Müller begeben.
Insgesamt dürften es mindestens 700 Mann
gewesen sein, die in diesen Tagen mit ihrem
Tross im Ort gelagert haben. Außer den
fehlenden Hühnern sind im Ort keine Übergriffe
oder Gewalttätigkeiten bekannt geworden. Von
dieser Truppe erfuhr man dann am 8.Mai auch
"la guerre est fini" – „Der Krieg ist aus".
Am Abend des 8.Mai feierten die Marokkaner
den Sieg hauptsächlich mit einer länger
anhaltenden Knallerei in die Luft. Neben einer
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berechtigten Furcht vor dem Geknalle, teilweise
mit Leuchtspurmunition, entstand Schaden
dadurch, dass eine Stromleitung abgeschossen
wurde und auf dem Boden lag. Dieselbe ist
dann schon bereits am Tag darauf von
Monteuren der damaligen OEW wieder instand
gesetzt worden. Zu dieser Siegesfeier am
Abend musste auch die einzige noch auf dem
Kirchturm verbliebene alte Glocke aus dem
Jahre 1490 geläutet werden.
Adolf Stern
Am Abend dieses Tages war dann noch ein
weiteres Todesopfer zu beklagen.
Der 14 Jahre alte Adolf Stern hatte bei den im
elterlichen Hof lagernden Marokkanern eine
Eierhandgranate gefunden und sicher aus
Unkenntnis an ihr herumhantiert und dabei den
Tod gefunden.
Diese marokkanischen Truppen sind dann
bereits ab 8.Mai laufend auf dem Bahnhof
Essendorf
auf
Züge
verladen
und
abtransportiert worden.
Wenn es auch im Ort selber zu keinen
Gewalttätigkeiten gekommen ist, so atmete die
ganze Bevölkerung nach dem Abzug erleichtert
auf und war recht froh, daß man unbefangen
seiner Arbeit nachgehen konnte. Es war dies
die letzte reguläre Besatzung im Ort gewesen.
Nochmals: „Kriegsbeute“
In den Tagen, nachdem diese Truppen
abgezogen waren, der Zeitpunkt konnte auch
nicht mehr genau ermittelt werden, gab es eine
neue Überraschung im Ort, vor allem für die
Häuser, in denen Leder und andere Materialien
aus der Schreinerei Zinser eingelagert worden
waren.
Von Winterstettendorf kamen unter Deckung
franz. Militärpolizei der ehemalige OT.Chargierte Knobel mit zivilen Helfern und diese
suchten gezielt nach den Häusern, in die
solches Material verbracht worden war.
Als diese Kunde durch den Ort ging, versuchte
noch mancher "Lederaufbewahrer" aus den
großen Lederrollen einige Häute für seinen
Bedarf herauszuziehen. Als man versuchte von
den
Zwilchrollen
einen
"Eigenbedarf"
abzurollen, entdeckte man darin ein mit
aufgewickeltes Maßband, von dem man
unschwer die Menge des abgerollten Materials
abzulesen vermochte. Doch trotzdem wurde
verschiedentlich "abgewickelt" und die Rollen
wieder sauber verpackt abgegeben.
Die dann zurückgegebenen Materialien wurden
auf ein Pferdefuhrwerk aus Winterstettendorf
verladen. Da nach berechtigter Meinung von
Herrn Knobel dann ziemlich Material fehlte,
tobte dieser zwar, aber zu weiteren
Durchsuchungen oder gar Repressalien kam es
deswegen nicht.
Die Militärpolizei hatte sich verhältnismäßig
passiv verhalten und es wußte auch niemand,
woher dieselbe gekommen war. Das Fuhrwerk
fuhr nach Winterstettendorf zurück, und was
dort mit dem Material geschah weiß niemand.
Im Jahre 1953 hat Bürgermeister A. Harsch zu
den Ereignissen zum Kriegsende hier in einem
Fragebogen folgende Anmerkung gemacht:
"Von der OT.(Organisation Todt) waren
versprengte im Ort u.a. einer namens Knobel,
welcher sich mit einem Nichtarier Jakobs,
einem Müller aus Waldsee zusammentat,
bildeten den Schrecken der Umgebung.
Dieselben legten sich den Namen "Deutsche
Freiheitskämpfer" bei und verübten unter
Deckung der Besatzungstruppen Erpressungen
und Plünderungen".
Vor allem in den Nächten, aber auch am Tage
wenn man auf dem Feld oder im Wald
arbeitete, tauchten im ganzen Monat Mai über,
und vereinzelt bis Mitte Juni immer noch
deutsche Soldaten auf. Manche noch
bewaffnet, andere ohne Waffen. Sie wollten
nach Hause und der Gefangenschaft entgehen.
Die
Eisenbahnlinie
diente
oftmals
als
Orientierungspunkt und unser Ort und die
Häuser direkt daran liegend wurden als Stützund Versorgungspunkt genutzt. Franzosen
begegnete man draußen in Feld und Wald
ebenfalls manchmal, aber die machten
vorrangig Jagd auf Rehe.
Warten auf Angehörige
Auch wenn man in Gefahr stand, große
Schwierigkeiten und Repressalien mit der
Besatzung oder wenn keine solche da war, mit
deren Dienststellen zubekommen, teilte man
auch die hier im Dorf knapp werdenden
Lebensmittel mit den auftauchenden Soldaten.
Wartete doch fast jede Familie auf ein
Lebenszeichen oder die Heimkehr eines oder
mehrer Angehöriger.
Bereits in den letzten Tagen vor und in den
Tagen nach Kriegsende hatten sich einige
wenige Soldaten von hier bis in die Heimat
durchschlagen können. Manche waren in der
Nähe im Lazarett gelegen und kamen noch
nicht ausgeheilt nach Hause. Andere waren mit
ihrer Einheit in der näheren oder weiteren
Umgebung gelandet und vermochten sich
abzusetzen. Einigen gelang es aus den
Eisenbahnwaggons abzuspringen, als sie als
Gefangene auf der Bahn am Ort vorbei
transportiert worden sind.
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Wieder andere gerieten noch kurz vor ihrem
Heimatort in Gefangenschaft, die bei den
Franzosen noch Jahre dauern konnte. Die
Wenigen, die schon in den April u. Maitagen bis
nach Hause durchgekommen waren, durften
sich kaum aus dem Haus wagen und mußten
sich über Wochen hin in den Häusern oder
draußen in Feldscheuern verstecken, bis die
Luft im Ort rein, von Besatzung frei, war.
Nach dem Abzug der Marokkaner hat es im Ort
keine ständige Besatzung mehr gegeben, aber
die Aufnahme deutscher Soldaten stand bei
den Franzosen weiterhin unter schwerer Strafe
und nicht nur die Heimgekehrten, sondern auch
die
Angehörigen
konnten
in
große
Schwierigkeiten
kommen
weil
die
Heimgekehrten meist immer noch als
Wehrmachtsangehörige galten und in den
wenigsten Fällen von ihren letzten deutschen
Einheiten; Entlassungspapiere erhalten hatten.
Dazu soll festgehalten sein, daß es während
dieser schweren Zeit weder aus solchem noch
aus anderem Anlass im Ort nie zu
Denunziationen gekommen ist.
Grenze in Oberschwaben
Zeitgleich mit den Franzosen in unseren Raum,
waren auch die Amerikaner nach Ulm und ins
Illertal vorgestoßen und diese hielten ihre
eroberten Räume besetzt. Schon mitte Mai war
zwischen Franzosen und Amerikanern eine
Grenze als amerikanische und französische
Besatzungszonen vereinbart worden, die dann
im Juli in etwa Deckungsgleich mit den
Oberamtsgrenzen geworden war.
Die Amerikaner waren insgesamt großzügiger
mit der Entlassung der gefangenen deutschen
Soldaten verfahren.
Die amerikanischen Entlassungspapiere sind
aber von den Franzosen erst zögernd
anerkannt worden und vor allem jüngere
Soldaten die von den "Amis" entlassen wurden,
standen noch bis Ende 1945 in Gefahr, in
französische Gefangenschaft zu kommen.
Bis August 1945 saßen mehrere Soldaten von
hier im Raum Laupheim an der „Grenze“ zur
französischen Besatzungszone fest und
konnten erst nach Hause, als die Franzosen
dann die amerikanischen Entlassungspapiere
akzeptierten.
Polen und Russen
Im Gegensatz zu den hier im Krieg
eingesetzten Kriegsgefangenen Franzosen und
Belgier sind die Ostarbeiter, vor allem die Polen
nach der Besetzung nicht immer in angenehmer
Erinnerung geblieben. Die Russen und Ukrainer
fielen hier weniger auf. Dieselben sind auch
ziemlich früh zurückgeführt worden.
In Unteressendorf war in den ersten
Kriegsjahren auf dem Gelände wo sich heute
die Fa. Schott befindet, ein Barackenlager für
den weiblichen RAD (Reichsarbeitsdienst)
eingerichtet worden, das dann bei Kriegsende
leerstand.
Dort zogen bald nach der Besetzung der größte
Teil der Polen und Polinnen aus der Umgebung
ein.
Die Polen hatten sich bewaffnet und holten vor
allem in den ersten Wochen nach Kriegsende
gewaltätigerweise auf Einzelhöfen und Weilern
das was sie brauchten. Zu Recht oder Unrecht,
danach zu fragen wäre zumindest in den ersten
Wochen müßig gewesen.
Hier im Ort selber kam es zu nächtlichen
Überfällen auf das hiesige Pfarrhaus und das
"Lamm". Beim Lammwirt Sproll holten sie
dessen bis dahin stehen gebliebenes Auto,
einen DKW. Was im Pfarrhaus gesucht wurde,
wo außer Pfarrpensionär Jakob Düchs noch ein
evakuiertes Ehepaar(Erwin Stiefel, Rechts- u.
Erziehungsberater) aus Stuttgart wohnten, ist
nicht bekannt.
Im ganzen Ort in nicht angenehmer Erinnerung
geblieben ist der 30. Mai, der Mittwoch vor dem
Fronleichnamsfest 1945.
Am späten Nachmittag waren im Ort auf
französischen Lastwagen eine größere Anzahl
Polen, gedeckt von Franzosen erschienen und
begannen Haus für Haus zu durchsuchen,
angeblich nach den von den OT.-Leuten
ausgegebenen Kleidungsstücken.
Bei diesen Durchsuchungen ist mehrmals aus
geringfügigem Anlass Personen gegenüber
ziemlich rücksichtslos vorgegangen worden.
Außerdem wurden in den Häusern Schränke
und Kästen aufgerissen und oftmals Kleider und
Wäsche auf den Boden geworfen und
zertrampelt.
Was als brauchbar angesehen wurde, teilweise
auch
Uhren
und
Schmuck,
wurde
mitgenommen und dann abtransportiert. Woher
die Polen mit ihrer französischen Deckung
kamen, aus dem Lager in Unteressendorf oder
sonst wo hat man nie erfahren. Man hatte den
Eindruck, daß die Franzosen den Polen diese
rigorose Durchsuchung erlaubt hatten, damit
diese sich gewissermaßen schadlos halten
konnten.
Polen die hier im Ort gearbeitet hatten, waren
bei dieser Aktion nicht dabei gewesen. Das
Auftreten
der
Polen
gegenüber
ihren
ehemaligen Dienstherren und gegenüber der
Bevölkerung war unterschiedlich. Während sich
Einzelne noch längere Zeit nach Kriegsende bei
ihren früheren Arbeitgebern aufhielten und dort
auch arbeiteten, war der große Teil ins
Polenlager nach Unteressendorf umgezogen.
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Wieder andere, vor allem Frauen, wurden von
ihren Landsleuten mehr oder weniger genötigt,
dorthin ins "Lager" zu gehen.
Flüchtlingshilfsorganisation
Ab Frühherbst 1945 sind die Polen von der
"UNRRA"
versorgt
worden,
einer
Flüchtlingshilfsorganisation für nichtdeutsche
Flüchtlinge der im Juni 1945 neu entstandenen
UN.
In Biberach befand sich eine UNRRA-Stelle und
Bauern von Unteressendorf mussten noch bis
Ende 1946 jede Woche Fuhrwerke stellen um
nach Biberach zufahren und dort für die Polen
die Verpflegung holen.
Passierscheine
Seit der Ortsübergabe hat neben der
nächtlichen Ausgehsperre auch das Verbot,
sich nicht außerhalb des Gemeindebereichs zu
begeben, außer zu Feldarbeiten, bestanden.
Wer nach auswärts, etwa nach Biberach wollte,
brauchte einen Passierschein dazu.
Passierscheine für auswärtige Besorgungen
stellte auch Bürgermeister Müller aus. Ob er
dazu befugt war weiß man nicht mehr.
Jedenfalls geschah dies in der Absicht,
Einwohnern zu helfen und das hatte für ihn ein
böses Nachspiel.
Mitte Juni wurde er von den Franzosen
verhaftet und ins Lager Birkendorf verbracht,
wo er mit den dort inhaftierten politischen
Häftlingen bis November 1945 festgehalten und
dort gleich "gut" wie diese behandelt worden ist.
In einer Gerichtsverhandlung am 29.Juni vor
dem damaligen franz. Militärgericht in Biberach
war ihm vorgeworfen worden, mit den
ausgestellten Passierscheinen den Widerstand
gegen die Besatzungsmacht begünstigt zu
haben. Bei dem Urteil hatte auch (der spätere
SPD-Politiker Fritz Erler (gest. 1964) mitgewirkt.
Er war damals von den Franzosen als Landrat
in Biberach eingesetzt gewesen.
Für eine Begnadigung von BM Müller hatte sich
der damalige Pfarrer Rothmund eingesetzt. Die
Kirche und die Pfarrer waren damals die
einzigen Instanzen, die in solchen Fällen noch
etwas zu erreichen vermochten.
Durch die Haftzeit gesundheitlich sehr
angeschlagen ist BM. F.J. Müller im Nov. 1945
entlassen worden.
Nach der Verhaftung von BM Müller war Anton
Marx als Bürgermeister eingesetzt worden, der
dieses damals äußerst schwierige Amt bis Juli
1945 versah.
Ab August amtierte dann der spätere BM. Anton
Harsch im Rathaus. Verhältnismäßig früh
verkehrten
auf
der
Bahnlinie
Ulm-
Friedrichshafen wieder Züge. Die Lokomotiven
sind aus Mangel an Kohle großenteils mit dem
Papierholz, welches vielfach auf den Bahnhöfen
lagerte, beheizt worden.
Mit den ersten Zügen die am Bahnhof
Essendorf zunächst noch unregelmäßig halt
machten, versuchten die Evakuierten aus dem
Rhein- u. Ruhrgebiet, Saarland und Oberrhein
wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Diese
Heimkehr in eine oft zerstörte Heimat, in
überfüllten Personen- und Viehwaggons
dauerte oft mehrere Tage und war mit allerlei
Schwierigkeiten verbunden. Aber diese Leute
konnten zumindest wieder in ihre Heimat
zurückkehren.
In der Landwirtschaft fehlten vor allem in der
sommerlichen
Erntezeit
vielfach
noch
Arbeitskräfte.
Im August durften vorn Kriegsgefangenenlager
in Biberach gefangene. deutsche Soldaten in
den umliegenden Dörfern für sechs Wochen bei
den Bauern zur Arbeit eingesetzt werden.
Etwa 15 kamen auch hierher. Mit einem
Pferdefuhrwerk von hier sind sie am Lager in
Biberach abgeholt worden. Sie aßen und
schliefen bei ihren Arbeitgebern.
Daß diese Situation, Gefangener im eigenen
Land zu sein, bei manchen Soldaten
Fluchtgedanken weckte ist verständlich. Doch
die von den Franzosen festgesetzten Strafen
für einen entwichenen Gefangenen waren für
die gesamte Bevölkerung so hoch, daß es
zumindest hier im Ort zu keiner Flucht
gekommen ist. Nach diesem Arbeitseinsatz
mußten sie wieder ins Lager nach Biberach
gefahren werden. Von dort wurden sie nach
wenigen Tagen weiter nach Frankreich
transportiert von wo sie oft erst in den Jahren
1947/48 entlassen wurden.
Hamster
Die Versorgungslage mit Lebensmitteln,
Kleidung und anderen Dingen des täglichen
Lebens war schon in den letzten Kriegsjahren
schlecht gewesen. Nach der Besetzung wurde
sie noch schlechter.
Hier auf dem Land brauchte zwar selten jemand
direkten Hunger leiden, aber nun forderte auch
die Besatzungsmacht ihren Anteil.
Zu den festgelegten Ablieferungen an
Schlachtvieh, Schweinen, Milch, Getreide und
Kartoffeln kamen oft noch zusätzliche
Forderungen, die von den Kommandanturen
auf die örtlichen Rathäuser weitergegeben
wurden und von diesen unter Androhung von
Zwangsmaßnahmen zu erfüllen waren. Eier und
Geflügel mußten oftmals kurzfristig beschafft
werden und auch Kleidungsstücke und Wäsche
mußten bereitgestellt werden.
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Neben Schlachtvieh ist auch Nutzvieh, trächtige
Jungkühe und Kalbinnen von einer franz.
Kommission ausgesucht und
beschlagnahmt worden.
Im November war in Schussenried eine
Pferdemusterung bei welcher von dem schon
durch den Krieg dezimierten Pferdebestand die
Besten ausgesucht und abgeliefert werden
mußten.
Im Winter 1945/46 mußte jedes 10. Bienenvolk
abgeliefert werden.
Die Abgaben waren oft drückend, aber eine
unzerstörte Heimat war uns geblieben.
In unseren vom Krieg wenig betroffenen Raum
sind in den Nachkriegsjahren hauptsächlich mit
der Bahn bis 1948 viele hungrige Menschen
aus den Städten gekommen, um Essbares,
Fett, Kartoffeln, Mehl, oder auch Futtererbsen
zu ergattern oder einzutauschen. Mit diesen
Gütern im Rucksack oder Handgepäck fuhren
sie, oft von weit her gekommen, wieder nach
Hause. Dieses so genannte "Hamstern" war
aber verboten und mancher oder manche
"Hamsterin" büßte auf der Heimfahrt bei einer
Kontrolle das mühselig Erworbene wieder ein.
Kriegsgefangenschaft und Tod
Die
unterschiedlichen
Schicksale
der
Angehörigen die den Zusammenbruch im Felde
erlebt hatten klärten sich nur zögernd auf. Die
Sorge um sie war groß.
Ende Sept.1945 konnte die Post wieder den
Dienst aufnehmen und mit ihr kamen dann.
vermehrt Lebenszeichen, vor allem aus den
Gefangenenlagern der Briten, Amerikanern und
Franzosen.
Aus russischer Gefangenschaft waren bis Ende
des Jahres 1945 auch einige Angehörige, teils
verwundet und krank, heimgekehrt. Andere
konnten erst im laufe der Jahre 1946-49
heimkehren. Als letzter aus unserem Dorf ist
Hubert Hopp am 31.Mai 1949 aus Rußland
heimgekehrt. Von sechs Angehörigen kam kein
Lebenszeichen und keine Nachricht mehr. Sie
gelten als vermisst.
Außer den 6 Vermissten mit ungeklärtem
Schicksal hatte der Krieg 22 Gefallene Väter
und Männer, Brüder und Söhne aus unserem
Ort gefordert. Die meisten davon starben in
Rußland. Der Jüngste, Franz Harsch war 20
Jahre alt als er in Rußland gefallen ist. Der
Älteste, Otto Müller blieb mit 48 Jahren als
Volkssturmmann in Ostpreußen vermißt. Laut
Standesamt ist als letzter Kriegsteilnehmer
Josef Zinser (Schlossers) noch am 28.April
1945 in Berlin gefallen.
Die
Schicksale
der
nahezu
hundert
heimgekehrten Kriegsteilnehmer, die als
Jugendliche oder Männer oft zehn und mehr
Jahre
ihres
Lebens
in
Krieg
und
Gefangenschaft zugebracht haben, das ist ein
weiteres Kapitel aus dieser Zeit, an das am
Ende dieses Berichtes auch erinnert sein soll.
Zigeuner
Nach so langer Zeit noch wirklichkeitsgetreu
über einen Vorgang zu berichten ist nicht leicht.
Aber es ist mir während meiner Dienstzeit im
Rathaus ein Vorgang aus den Kriegsjahren ins
Gedächtnis
gerufen
worden,
dessen
Zusammenhänge mir erst nachträglich klar
geworden sind. Unter den Geschehnissen der
Kriegsjahre darf man ihn wohl auch deshalb als
denkwürdigen betrachten, weil das schwere
Schicksal der Betroffenen eigentlich erst
nachträglich ins Bewusstsein gerufen worden
ist.
Im Juni 1969 erging vom "Landesamt für
Wiedergutmachunng Baden Württemberg" an
das hiesige Bürgermeisteramt eine Anfrage
wegen der hier wohnhaften Emilie Christina
Reinhardt geb. Kreuzer, geb.am 28.Febr.1913
in Heideren/Elsass. 1913 war das Elsass
deutsches Staatsgebiet gewesen.
In dem Schreiben wurde angeführt, daß Frau
Reinhardt 1942 hier wohnhaft gewesen sei. Am
12.März 1943 sei sie hier verhaftet und
anschließend in ein Konzentrationslager
verbracht worden.
Am 11.Apri1945 sei aus dem KZ Buchenwald
entlassen worden. Außer den Fragen nach
polizeilicher Anmeldung in W. und nach der
Staatsangehörigkeit war am Schluss noch
vermerkt, die Antragstellerin gehöre zum
Volksstamm der Zigeuner.
Bei der Suche nach Unterlagen zu diesem
Vorgang fiel mir ein Schriftstück aus dem Jahre
1943 in die Hände, das Erinnerung an zwei
Zigeunerfamilien weckte, die zumindest im
Herbst 1942 beim Bahnhof Essendorf in einer
Holzbaracke, ca. 6x4 m in der Grundfläche,
gewohnt haben. Die Baracke hat auf dem
ehemaligen Holzlagerplatz beim Bahnhof
gestanden.
Die Leute in der Baracke, Männer, Frauen und
Kinder mußten mit der Handsäge das dort
lagernde Stangenholz zu Grubenholz, 3 m lang
aufbereiten und in Eisenbahnwaggon verladen.
Mit den Menschen im Ort hatten die Leute
eigentlich keinen Kontakt und waren auch
vorher hier nicht bekannt gewesen.. Es kamen
lediglich, meist gegen Abend einige Mädchen,
etwa 12 bis 14 Jahre alt in einige Häuser. Die
Mädchen bettelten nicht, aber sie sangen in den
Häusern und spielten dazu auf ihren Gitarren
und waren schon für ein Stück Brot recht
dankbar. Diese Kinder sind noch einigen
Personen hier in Erinnerung.
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Als das Holz hier auf dem Bahnhof aufbereitet
war, mußten die Leute täglich mit dem Zug in
der Frühe nach Wolfegg fahren und dort
ebenfalls Grubenholz aufbereiten.
Darüber kann ich aus eigenem Erleben
berichten, weil ich im Winter
1942/43 in Waldsee die Landwirtschaftsschule
besucht habe und auch mit dem Zug nach
Waldsee gefahren bin. Die Leute sind am
Morgen mit mir in den Zug gestiegen und
fuhren am Abend zur gleichen Zeit zurück.
Auf der Fahrt in der Eisenbahn sind die Leute
besonders deshalb aufgefallen, weil sie auf
ihren Musikinstrumenten, Violinen, Mandolinen
und Gitarren, während der ganzen Fahrt, Musik
gemacht haben. Die Musik hat mich angezogen
und ich saß meist in der Nähe der Leute und
kam mit ihnen ab zu auch ins Gespräch. Die
Musikinstrumente haben sie neben ihren
Handsägen, Beilen, Zapis u.a. immer auch
mitgeführt und Musik gemacht. Ob sie schon
von einem schlimmen Schicksal eine Ahnung
hatten, vermag ich nicht zu beurteilen. Die
Zigeuner, seit eh und je ein fahrendes Volk,
mussten schon einige Jahre vor dem Krieg
einen
festen
Wohnsitz
haben.
Der
Holzlagerplatz auf dem die Baracke stand, ist
noch hiesige Markung. Sie dürfte den Leuten
zwangsweise als Wohnung zugewiesen worden
sein.
Es muß einige Zeit vor dem 12.März 1943
gewesen sein, als die zwei Familienväter
gefesselt, die Hände auf dem Rücken und jeder
von zwei Polizisten an einem Strick dahinter
geruhet, an einem Sonntagmittag von der
Baracke weg in Richtung Bahnhof abgeführt
worden sind.
An diesem Sonntagnachmittag war ich und Paul
Maucher hinter den Bahngeleisen übers
"Schiggenfeid" vom Lindenweiher zurück nach
Hause gegangen. Wir waren dort beim fischen
gewesen. Zufällig wurden wir von der
Verhaftung der beiden Männer Augenzeuge,
die mir auch in der Eisenbahn begegnet waren.
In der Baracke haben zwei Familien, Reinhardt
und Winter zusammen gewohnt.
Wie aus dem genannten Schreiben hervorgeht,
sind am 12.März 1943 dann die übrigen
Familienmitglieder, Frauen und Kinder abgeholt
worden.
Auf Anordnung einer nicht bekannten,
übergeordneten Dienststelle muß darauf an den
damals zuständigen Gendarmerieeinzelposten,
damals
Gendarmeriemeister
Dempel
in
Ingoldingen, die Anweisung ergangen, das in
der Baracke zurückgelassene Eigentum der
Familien
sicherzustellen.
Über
diese
Sicherstellung ist von Herrn Dempel ein
Verzeichnis erstellt worden, das noch im Archiv
im hiesigen Rathaus liegt. Es war vor allem
dieses Verzeichnis, das mich an die
Zigeunerfamilien erinnert hat. Es sind darin
nämlich außer den Musikinstrumenten auch die
Werkzeuge, Handsäge, Beil u.a. aufgeführt, die
sie auch im Zug mitgeführt haben. Die übrigen
Habseligkeiten sind ebenfalls genau aufgeführt.
Alles zusammen ist nach hier ins damals
gemeindeeigene alte "Bräuhaus", heute Haus
Meseck verbracht worden.
Einige Zeit später erschien in der damaligen
Tageszeitung eine Anzeige über die öffentliche
Versteigerung der im Verzeichnis aufgeführten
Gegenstände in Winterstettenstadt beim
"Bräuhaus". Dieser Versteigerung habe ich
auch beigewohnt, weil ich mich für eine Gitarre
interessiert habe. Die Musikinstrumente haben
dabei das größte Käuferinteresse gefunden und
ich ging ohne Gitarre heim. Wer diese
Versteigerung durchgeführt hat ist nicht
bekannt. Es gibt auch auf dem Rathaus hier
keine Unterlagen darüber. Man darf jedoch als
sicher annehmen, daß auch über diese
Versteigerung ein Verzeichnis angelegt wurde
und noch irgendwo existiert. Nach einiger Zeit
war dann auch die Baracke auf dem
Bahnhofgelände verschwunden.
Aus dem Schriftverkehr mit dem "Landesamt für
Wiedergutmachung"
und
aus
eigenen
Erkundigungen konnte ich in Erfahrung bringen,
daß nicht nur die Emilie Christina Reinhardt das
KZ. Buchenwald überlebt hat, sondern auch
ihre Schwester Karolina. Diese ist 1918
geboren und bestätigt in einem Schreiben, daß
sie "mit ihrer Mutter 1943 in Essendorf am
Bahnhof bei der Verladestation für Grubenholz
der Wehrmacht gearbeitet habe und von dort
mit der Mutter und Geschwistern abtransportiert
worden sei",
Nach ihrer Befreiung aus dem KZ. und nach
Aufenthalten in Singen und Freiburg/Brsg.
wohnte Karoline Reinhardt seit 1957 in
Pfullendorf. Ihre Schwester Emilie Chrstina ist
schon vor einigen Jahren gestorben.
Von KaroIine Reinhardt konnte ich erfahren,
daß damals auf dem Bahnhof Essendorf
insgesamt 11 Personen verhaftet worden seien.
4 Frauen hätten überlebt. Über das Schicksal
der Männer konnte sie keine Auskunft mehr
geben.
Sie und ihre Mutter und Schwestern sind
zunächst in verschiedene Lager bei Stuttgart
verbracht worden. Später arbeitete sie in einem
Rüstungsbetrieb bis sie nach Buchenwald
gekommen ist.
Karotine Reinhardt
ist
inzwischen auch bettlägerig. Ihre Tochter Maria
ist nun die Kontaktperson und gibt nur noch
überlieferte Auskünfte. Auch daß das jüngste
der Geschwister, die Tochter Sofie in Ulm
überlebt habe.
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Außer in Essendorf hätten auch Angehörige der
Sippe 1942 in Otterswang in einer Kiesgrube
gelebt. Andere in Leutkirch. Als dort die Männer
abgeholt wurden, sei einer geflohen, aber auf
der Flucht erschossen worden.
Es ist zwar nur wenig, was mir über das
Schicksal der beiden Familien Reinhardt und
Winter bekannt ist. Aber schlimm genug, um es
vor dem Vergessen zu bewahren.
Im Anschluss ist eine Kopie des Verzeichnisses
der Habseligkeiten der beiden Familien
beigefügt, die hier dann versteigert worden
sind.
Nachtrag.
Es war nicht ganz einfach, nach 60 Jahren die
damaligen Ereignisse in Erinnerung zu rufen.
Der Bericht ist das Ergebnis vieler Gespräche
und Befragungen mit Personen die diese Zeit
als Kinder, Jugendliche oder Erwachsene
miterlebt haben.
Das
hier
Aufgezeichnete
erfüllt
auch
keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit
sondern ist nur ein Teil des Erinnerns.
Auf Namensnennungen oder persönliche
Erlebnisse ist außer in notwendigen Einzelfällen
bewusst
verzichtet
worden.
Allen
die
mitgeholfen
haben,
diesen
Bericht
zusammenzustellen, danke ich für ihre immer
bereitwillige Auskunft, ohne die er nicht möglich
gewesen wäre.
E. Mohr.
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