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Kurt Kowalsky:
Er brennt nicht!
Das Faszinosum militärischer Technik ist durch tiefes nasales Ein- und Ausatmen meist
binnen Sekunden verschwunden.
Eigentlich hatte ich beabsichtigt, einem Bekannten einen
gepfefferten Brief zu schreiben, da dieser mir zum »Fest der
Besinnung und des Friedens« eine frohe Zeit gewünscht
hatte. Leute, die mich wirklich kennen, hätten sich das sicher
zweimal überlegt. Jetzt ist daraus ein langer
Besinnungsaufsatz geworden, den man auch im Sommer am
Strand lesen kann. Mein Bekannter aber hat nie eine Antwort
erhalten.
Mein geschichtlicher Rückblick auf die beiden Weltkriege,
darf keineswegs dahingehend interpretiert werden, dass ich diese Zeit »aufarbeiten« will. Ich
will auch nicht vor den »Nazis« warnen, wie es heute üblich ist. Ich will vor dem Aberglauben
warnen, der jedem Herrschaftssystem die Nahrung gibt, um seine immanenten moralischen
Defekte kulturell zu verankern.
Tatsächlich habe ich mich als Kind auf Weihnachten gefreut. Da man mich angelogen hatte,
vermutete ich in diesem Zinnober auch noch irgendein Mysterium. Später wurde mir klar,
dass der gesamte Weihnachtszauber weniger ist als ein vorgeführter Kartentrick eines
Kleinkünstlers. Dann jedoch wurde mir gesagt, es wäre ein Fest der Besinnung, der
menschlichen Wärme und des Friedens.
Da es ständig Kriege gibt, hätte das Fest wohl in der Vergangenheit erst gar nicht stattfinden
dürfen. Vielleicht sind aber auch zu viele Ochsen und Esel am mörderischen Spiel beteiligt.
Man sollte die Intelligenz der am Kriegsgeschäft Beteiligten aber grundsätzlich nicht
unterschätzen. Ich selbst war bereits vor über 40 Jahren zu dumm dazu. Aber ich bin mir
sicher, sollte man mich als alten Mann irgendwann doch noch nötigen, eine Kriegswaffe
abzufeuern, würden dies die Befehlshaber nicht überleben.
Der Erste Weltkrieg dauerte vom 3. August 1914 bis 11. November 1918. Dazwischen wurde
viermal Weihnachten gefeiert. Der Zweite Weltkrieg dauerte vom 1. September 1939 bis 2.
September 1945. Dazwischen gab es sechs Weihnachtsfeste. Ich bin wohl kein Militärexperte,
doch möchte ich behaupten, dass Weihnachtsfeste Kriegsverläufe nicht wesentlich behindern.
Die Zahl der Kriegstoten lag zwischen 60 und 70 Millionen. Von Besinnung konnte also auch
nicht die Rede sein.
Natürlich sind solche Zahlen Statistik. Es zerreißt uns das Herz, stirbt einer unserer Lieben.
Wir schrecken auf, verunglückt auch nur ein Reisebus oder stürzt ein Passagierflugzeug ab.
Statistik aber kennt weder Schmerz noch Mitgefühl, sie hat nur die deskriptive Funktion,
Nachricht von einer zuvor definierten Gesamtheit zu geben, welche uns nicht wirklich
berührt.
Der wirkliche Tod riecht unangenehm und penetrant. Wer ihn einmal gerochen hat, vergisst
dies nicht so schnell. Und Sterben ist kein Umfallen, wie es die Filmemacher inszenieren.
Zerfetzt ein Sprengkörper den Bauchraum, so sind diese Menschen oft noch in der Lage, mit
beiden Händen ihr Gedärm an sich zu halten. Die Schwerverletzten richten sich wieder auf,
gehen noch ein paar Schritte: »He, Kamerad, hilf mir bitte …« Dann riecht es nicht nur nach
Blut, sondern auch nach Kot und Urin.
Das Faszinosum militärischer Technik ist durch tiefes nasales Ein- und Ausatmen meist
binnen Sekunden verschwunden.
Aber eine Gesamtheit blutet nicht, riecht nicht, verwest nicht und niemand trauert um sie. Im
Hokuspokus der großen Zahlen können dann gewisse Historiker wühlen, ohne dass ihnen
ständig übel wird. Wurde aus dem massenhaften Sterben dann wenigstens irgendeine
Konsequenz gezogen, welche einer näheren Erörterung wert wäre?
Nein! Nirgendwo in der Stadt und dem Erdkreis werden Soldaten geächtet, ihre Befehlshaber
gemeuchelt, noch wird auch nur der Versuch gemacht, den politischen Sumpf, aus dem sie
hervorgehen, nur ansatzweise auszutrocknen. Im Gegenteil: Nach dem Ende des sogenannten
Kalten Kriegs sind bis heute allein in Deutschland die Militärausgaben um über 40 %
gestiegen. 48 Milliarden Euro (48.000.000.000) gibt der Staat Deutschland jährlich für sein
Militär aus. 640 Milliarden investieren die USA jährlich in ihre Kriegsmaschinerie. Das ist
mehr, als China, Russland, Saudi-Arabien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und
Japan zusammen ausgeben.[1]
Wer glauben mag, dass derartige Rüstungsausgaben für präventive
Verteidigungsanstrengungen notwendig sind, glaubt auch daran, dass Maria in einem Kuhstall
in Bethlehem ein Kind zur Welt gebracht hat und danach noch Jungfrau war. Wer vermutet,
dass derartige Rüstungsanstrengungen notwendig sind, um irgendwelche, mit
Teppichmesserchen bewaffnete, islamistische Terroristen abzuwehren, ist
behandlungsbedürftig krank. [2]
Das eigentliche Mysterium von Leid, Blut, Sterben und Tod sitzt Weihnachten am Esstisch
und isst Gänsebraten. Es verbirgt sich nämlich im menschlichen Aberglauben, dass die vom
Staat aufgezwungene Ordnung wohl verbesserungswürdig wäre, doch insgesamt notwendig,
quasi heilig ist.
Kriege – sollte es sich noch nicht überall herumgesprochen haben – werden von Staaten
geführt. Kriege sind logische Folge staatlicher Ordnung. Ich weiß, wir hatten als Kinder
Angst vor dem bösen Wolf. Der »gute« Bürger fürchtet sich aber vor Räuberbanden:
Dunkelhäutige Ausländer, unchristlich und asozial, massakrieren bekanntlich ganze Familien.
Mag sein. Ich selbst bin in Berlin quasi von Türken, Arabern und Russen umzingelt. Noch
lassen sie mich in Ruhe. Aber ich habe mir eine Sonnenbank gekauft, damit ich nicht immer
so grau und deutsch aussehe.
Wie dem auch sei. Räuberbanden haben in den letzten 100 Jahren bestimmt keine 70
Millionen Menschen umgebracht. Und die Rolle der Wölfe (Canis lupus) beim Fressen von
kleinen Kindern möchte ich hier nicht untersuchen.
Im Gegensatz dazu soll es aber schon mal vorgekommen sein, dass Hinz oder Kunz am
Heiligen Abend seiner Gattin besoffen auf die dumme Fresse geschlagen hat, weil die
aufgesetzte Harmonie mit der fetten Gans nicht so richtig verdaut wurde. Spätestens am ersten
Weihnachtsfeiertag hat man sich dann aber mit seinem »Schätzchen« wieder versöhnt. Pack
schlägt sich – Pack verträgt sich.
Dasselbe Pack betrachtet jedoch die Harmonie im Ordnungsgefüge des Staates als etwas
Sakrosanktes. Wer sie bricht, hat sich gegen die verfassungsgemäße Ordnung versündigt, als
hätte ein Messdiener hinter einen Tabernakel geschissen. Was verfassungswidrig ist,
bestimmt wohl nicht der Weihnachtsmann, sondern ein sibyllinisch urteilendes
Verfassungsgericht. Doch wäre Deutschland in keiner guten Verfassung, hätte es sich wohl
herumgesprochen.
Ja, es müsste sich schon herumsprechen, denn eine diesbezügliche Lektüre ist nur einigen
Staatsrechtlern vorbehalten. Denn hätte man da einmal nachgelesen – es ist ja nicht verboten –
, hätte man festgestellt, dass die freiheitlich-demokratische Verfasstheit in ihrer hinterlistigen
Monstrosität im Grunde genommen aus ideologischen Leerformeln besteht und so wenig
messbar ist wie die Adjektive lang, kurz, groß oder klein.
Zugegeben, mancher Systemtrottel wird Derartiges als semantische Spitzfindigkeiten abtun,
liest er doch auch auf den Zigarettenpackungen als staatlich verordneten Warnhinweis
»Raucher sterben früher!«
Früher als wer oder was? Die Komparation wird von den meisten Linguisten als Flexion
angesehen. Und warum sollte die sinnlose Beugung des Adjektivs nicht mit der
wohlkalkulierten Beugung des »Rechts« einhergehen?
Eigentlich kann man eine Leerformel so wenig beugen, wie man eine Null teilen kann. Wer
weder etwas von Mathematik noch von Juristerei versteht, sollte einmal in Artikel 26
Grundgesetz nachlesen. Dort heißt es: »Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht
vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die
Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu
stellen.«
Man könnte also meinen, dass ein Angriffskrieg verboten wäre.
Als nun – ohne Billigung des UN-Sicherheitsrates – die NATO mit deutscher Beteiligung
1999 einen Angriffskrieg gegen die jugoslawische Armee führte und so nebenher 54 Objekte
der Verkehrsinfrastruktur, 148 Gebäude, 300 Schulen, Krankenhäuser und
Verwaltungseinrichtungen sowie 176 Kulturdenkmäler, darunter 23 mittelalterliche Klöster,
zerstörte oder beschädigt (36-mal wurde alleine das aus dem 15. Jahrhundert stammende
Kloster von Rakovica bombardiert), stellten nun zahlreiche Bürger Strafantrag beim
Generalbundesanwalt. Doch dieser nahm keine Ermittlungen auf.
Warum nicht? Serbien hatte bestimmt weder die NATO noch Deutschland angegriffen.
Folglich führte die NATO einen Angriffskrieg. Der Herr Generalstaatsanwalt meinte, dass
damals das »friedliche Zusammenleben der Völker« bereits gestört gewesen sei, es folglich
die Bundesrepublik Deutschland gar nicht mehr stören konnte.
Mit welcher Geschwindigkeit breitet sich eigentlich Dunkelheit aus?
Aber ich möchte den damaligen Generalstaatsanwalt nicht kritisieren. Er verstand sein
Handwerk, das eben das des Staates ist. Doch stellen wir uns einmal vor (nur so aus Spaß),
der Herr hätte Anklage erhoben. Und irgendein Gericht hätte geurteilt, dass der
Straftatbestand des § 80 StGB erfüllt gewesen wäre. Darauf stehen mindestens zehn Jahre
Freiheitsstrafe. Was wäre dann passiert? Hätte man den Bundeskanzler verhaftet? Oder die
Parlamentarier, welche dafür gestimmt haben? Oder das gesamte Lumpenpack? Oder
vielleicht doch nur die Pinguine, welche im Bundestag immer das Wasser bringen?
Fazit: Die Heilsbotschaft der staatlichen Verfassung enthält alle Elemente, die notwendig
sind, es den jungen Männern und Frauen irgendwo in einem fremden Land zukünftig
ebenfalls zu ermöglichen, ihr Gedärm in den Bauchraum zurückzudrücken.
Weihnachten ist ohne Gänsebraten durchaus vorstellbar. Es ist aber fraglich, ob man dabei
einer Gans das Leben rettet. Sicher ist jedoch, dass ohne die sakrosankte staatliche Ordnung
sich die Tötungsverlangen innerhalb der staatlichen Machttrivialität in den egozentrischen
Nutzenkalkülen vereinzeln. »Was? Ich soll einen Russen ermorden? Tut mir leid, aber meine
Frau ist krank und ich muss noch den Gänsebraten einkaufen. Ein andermal gerne.«
Was haben aber nun die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen mit Krieg zu tun? Genau
so viel, wie Autofahrer feststellen können, dass so manche durchaus sinnvolle
Geschwindigkeitsbegrenzung vor Schulen auch noch nachts gültig ist, und, gerade nachts,
dort dann die Radarfallen aufgestellt werden. Oder man als Fußgänger an der roten Ampel
stehen zu bleiben hat, obwohl kein Auto kommt. Oder man verpflichtet ist, stapelweise
amtliche Dokumente herbeizuschaffen, wenn man heiraten will. Oder sich der Staat
einmischt, will man sich scheiden lassen. Oder man nach Sonnenuntergang nicht am See
angeln darf. Oder der Polizist seinen Namen nicht nennen muss. Oder die Steuergesetze sogar
für manche Juristen unverständlich sind, aber der Richter den Steuersünder im Namen des
Volkes verurteilt. Oder es Berufsverbote gibt. Oder es Sondergesetze für Abgeordnete gibt.
Ich könnte die Aufzählung seitenweise fortsetzen. Stets handelt es sich um Exerzitien des
Machterhalts.
Bereits der Tyrann Gessler in Friedrich Schillers Drama »Wilhelm Tell« konnte keinen
unmittelbaren Nutzen daraus ziehen, dass die Untertanen seinen Hut grüßen mussten.
Mittelbar war diese Anordnung jedoch wichtig, um Gefolgschaft und Gehorsam einzuüben.
An dieser Systematik hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Die Bürger haben die
vom Staat gesetzten Regeln zu befolgen, haben sich möglichst gegenseitig zu kontrollieren,
zu bevormunden und zu denunzieren.
Es ist noch nicht so lange her, als der Staat Parkbänke gelb anstreichen ließ, auf denen die
Juden zu sitzen hatten. Noch in den 60er Jahren waren in den USA für die Neger in
öffentlichen Verkehrsmitteln bestimmte Plätze (und nur die) vorbehalten. Haben wir das
hinter uns?
Ja, vielleicht. Das Wort »Neger« (von französisch »nègre«, spanisch, »negro«, lateinisch
»niger« für »schwarz«) wurde von bestimmten Herrschaften wegretuschiert. Am
kolonialistischen Weltbild hat sich jedoch nichts geändert, wie man an den
Handelsbeschränkungen der USA und der EU zulasten Schwarzafrikas belegen kann. Wie
einfach ist es doch, seinen Nachbarn zu rügen, weil er sich politisch unkorrekt ausgedrückt
hat. Und wie zwecklos ist es, gegen den Protektionismus der EU und der USA vorgehen zu
wollen.
»But one hundred years later the Negro still is not free«, hatte Martin Luther King gerufen.
Vom heuchlerischen Frisieren der Sprache hatte er nicht gepredigt.
Aber das nur nebenher. Was machen eigentlich Sie, wenn morgen in der Stadt, in der Sie
wohnen, der Park für Türken gesperrt wird? Und bevor Sie antworten: Sind Sie nicht auch die
Person, die sich gegen die letzte Steuererhöhung nicht gewehrt hat? Das traf Sie persönlich.
Jetzt träfe es »nur« die anderen.
Jede dieser Vorschriften ist für sich genommen zur Erhaltung der staatlichen Herrschaft
vollkommen unwichtig. In ihrer Gesamtheit sind sie jedoch konditional für das Denken der
Menschen. Der so eingeübte Gehorsam ist bereits hinreichender Garant, dass sich Menschen
ohne direkte Gewaltanwendung nicht so verhalten, wie sie sich aus freiem Antrieb verhalten
würden, sondern so, wie es die Machthaber anordnen. Jede kriegerische Auseinandersetzung
ist jedoch ohne An- und Unterordnung nicht denkbar.
Natürlich ist die Widerrede ausdrücklich erlaubt. Ist doch der meist verhallende, deshalb
sinnlose Protest der Bürger Pflichtlektüre der politischen Nomenklatura. Fordert eine kritische
Masse zum Bespiel kostenlosen Gänsebraten für die Armen, findet sich im Verzeichnis der
Lügner und Beutelschneider auch eine Figur, welche genau dieses Anliegen aufnimmt,
geschickt moderiert und bis zur Unkenntlichkeit für seine Zwecke ausschlachtet.
Kostenloser Gänsebraten hat genau diese Qualität, welche der Psychologismus der Politik
benötigt. Beschäftigt sich das Volk mit Gänsebraten, mit verschleierten Frauen,
schnauzbärtigen Männern, mit Fußball oder anderen Spielen, spürt es wenig Verlangen, sich
über Grundsätzliches zu empören. Denn würde man die Finanzierung des militärischindustriellen Komplexes von freiwilligen Spenden der Bürger abhängig machen, so hätte sich
das Thema schnell erledigt. Mit anderen Worten: Massenvernichtungswaffen gäbe es nicht,
hinge ihre Finanzierung von der stets freien Entscheidung jedes einzelnen Steuerzahlers ab.
Die regelmäßige Möglichkeit des Plebses, aus einer Menge soziopathischer Figuren das
»Gesocks« auszuwählen, das dann angeblich vier Jahre lang seine Interessen vertritt,
befördert die Illusion, man wäre Teilhaber und Nutznießer der staatlichen Ordnung. Was
unterscheidet eigentlich eine Aufziehmaus von einer Armbanduhr? An der Aufziehmaus fehlt
der Zeiger.
Ähnlich unterscheidet sich das Phänomen der Wahlen zu den Parlamenten von der
individuellen Wahl, welche die Leute täglich treffen. Das Grundelement einer freien Wahl
zwischen verschiedenen Möglichkeiten besteht nämlich darin, keines der Angebote zu wählen
und damit Grundsätzliches entschieden zu haben. Der Inhaber eines Ladengeschäftes macht
sich deshalb wenig Gedanken darüber, welche seiner Waren vom Kunden ausgewählt werden.
Von existenzieller Bedeutung ist für ihn, ob die Kunden überhaupt sein Geschäft präferieren
oder daran vorbeigehen.
Sind die Kunden jedoch gezwungen, aus den ihnen vorgesetzten Waren zu wählen, so hat dies
etwas mit Begriffen wie Nötigung oder räuberischer Erpressung zu tun, keinesfalls jedoch
etwas mit dem Begriff Wahl. In Analogie zur politischen Wahl spielt es selbstverständlich
keine Rolle, ob man das Geschäft präferiert oder nicht oder irgendwo ein Sack Reis umfällt –
zu bezahlen sind die Waren immer. Und zwar keinesfalls die, welche irgendwelche Kunden
dann doch gewählt haben, sondern andere, welche nirgends in der Auslage zu finden waren:
Massenvernichtungswaffen zum Beispiel. So gesehen war das Beispiel mit der Aufziehmaus
illusionär.
Geheimnis des Glaubens. Tatsächlich könnte man in einem medial inszenierten Feldversuch
auch die Erfahrung machen, dass durch einfaches Anhalten der Luft des Nachbarn
Weihnachtsbaum Feuer fängt. Uri Geller hatte Ähnliches vorgemacht und Hunderttausende
fanden in ihrer Küche verbogene Löffel, Gabeln und Messer. Und ist es analog nicht so, dass
man an den Stammtischen dieser Republik millionenfach seine Erkenntnisdefizite zum Besten
gegeben hat und dann irgendwann vielleicht doch feststellen konnte, dass sie (diese
Erkenntnisdefizite) politischen Niederschlag fanden? Wer kennt eigentlich den Unterschied
zwischen Korrelation und Kausalität?
Der Parlamentarismus ist gezwungen eine Politik zu exekutieren. Unabhängig der
Wahlergebnisse, unabhängig der Parteienkonstellation und ihrer durchaus differenzierten
Verheißungen wird genau die Politik exekutiert, welche den Machterhalt zu sichern in der
Lage ist. Die Spielräume sind denkbar eng. Sie werden immer enger, weil die Verschuldung
steigt, die Kompetenzen an supranationale Vereinigungen abgegeben werden oder die
Regierung von ›ihren Freunden‹ einfach erpresst wird. (Vgl. Was ist politischer Wettbewerb?)
Das offene Machtsystem des Demokratismus ermöglicht es theoretisch wohl jedem Bürger,
an den Entscheidungsprozessen teilzuhaben (zum Beispiel für einen Sitz im Parlament zu
kandidieren), doch wird er bei der Umsetzung seiner Wahlversprechen an der seinen
Absichten zugrunde liegenden moralisch defekten Rechtfertigung scheitern. Zugegeben, nicht
leicht zu verstehen, doch ich komme darauf zurück.
Die Durchsetzung der Interessen unseres obigen Gänsefleischliebhabers ist nicht
grundsätzlich, jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit moralisch defekt. Das fällt ihm nicht auf,
weil er einerseits überhaupt nicht weiß, was man darunter versteht, anderseits glaubt, dass die
Rituale und Regeln des Demokratismus eine gesellschaftliche Vereinbarung wären.
Das ist selbstverständlich nicht wahr. Es ist jedoch zu akzeptieren, dass große Teile der
Gesellschaft diese Regeln als die ihren akzeptieren. Die Entstehungsgeschichte des
Grundgesetzes (1949), die Verabschiedung der Notstandsgesetze (1968) mit dem angeblichen
Verzicht der Westmächte auf ihre Vorbehaltsrechte sowie der Abschluss des Zwei-plus-vierVertrags (1991) belegen, dass Deutschland nach der Kapitulation 1945 nie wieder souverän
war. Kein Land, das seit 1945 von den USA besiegt wurde, hat jemals seine volle
Souveränität wieder erreicht.
Ich möchte jedoch davor warnen, daraus den Umkehrschluss zu ziehen und zu glauben, dass
die Verfasstheit Deutschlands oder der deutschen Gesellschaft ohne das Diktat der
Besatzungsmächte, ohne Vorbehaltsrechte, bei voller Souveränität heute in irgendeiner
Beziehung freiheitlicher wäre.
Es ist auch ein Trugschluss, dass sich mit einer Zunahme plebiszitärer Elemente innerhalb des
Staates an der ihm wesenstypischen Unterdrückung, Bevormundung und willkürlichen
Einmischung in die Lebensgestaltung der Individuen etwas ändern würde. Die moralisch
defekte Rechtfertigung der jeweiligen Machthaber zwingt sie geradezu, bestimmte Fragen
dem Volk nicht zur Abstimmung vorzulegen.
In Deutschland bestimmt zum Beispiel § 3 der Abgabenordnung, was Steuern sind. Es gibt
wohl keinen Wahlkampf, in dem nicht irgendein politisches Lager irgendwelche angeblichen
Missstände aufzeigt und direkt oder indirekt fordert, zur Behebung dieses Missstandes
irgendeine Steuer zu erhöhen. Derartige Aussagen sind dreiste Lügen. Wären sie wahr, wären
sie ein Gesetzesverstoß und nach § 111 StGB strafbar. In der besagten Abgabenordnung steht
nämlich ausdrücklich: »Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine
besondere Leistung darstellen …«
Und deshalb wird sich auch nur noch selten jemand erinnern, dass die Tabaksteuer einmal
wegen der inneren Sicherheit erhöht wurde, ein anderer Mal wegen des Jugendschutzes und
die Mineralölsteuer wegen des Lochs in der Rentenkasse angehoben wurde. Die Sektsteuer
wurde übrigens 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt.
Nachdem die entsprechenden Steuererhöhungen verabschiedet sind, bestehen die
vorgeschobenen Missstände nämlich weiter, nur schwatzen die politischen Claqueure eine
Zeitlang nicht mehr davon.
Keine Frage, dass man mit wenigen propagandistischen Mitteln jeden beliebigen Sachverhalt
problematisieren könnte und zu seiner Beseitigung Steuermittel fordert. Allen steht das jedoch
bereits morgen frei. Wer den Dreck auf Kinderspielplätzen beklagt, kann sich selbst aufrufen,
mit einem Sack zum nächsten Kinderspielplatz gehen, um dort den Unrat einzusammeln. Man
kann zum Beispiel auch die geringe Unterstützung von sozial Schwachen anprangern und als
unbürokratische Soforthilfe dem nächsten Obdachlosen einen Hunderter schenken. Doch so
haben die sogenannten Demokraten ja nicht gewettet. Man möchte ja nicht selbst seinen Teil
zur Behebung eines Missstandes beitragen, sondern lediglich seine faule Hand heben, damit
andere (die »Reichen«) das bezahlen.
Das Plebiszit ist moralisch genauso defekt wie jede andere sogenannte demokratische
Abstimmung, bei der eine absolute oder relative Mehrheit über die Minderheit entscheidet,
ohne dass alle zur Feststellung aufgerufenen Beteiligten diesem Verfahren vor der
Abstimmung zugestimmt haben.
Jedoch auch wenn dies der Fall wäre, ist ein derartiges Verfahren nicht davor gefeit,
missbraucht zu werden. Der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels warf am 18. Februar
1943 in seiner berühmt gewordenen Rede im Berliner Sportpalast die Frage auf: »Wollt ihr
den totalen Krieg?«
Bereits im Oktober 1941 war es Adolf Hitler mit der Gegenoffensive der Roten Armee vor
Moskau klar, dass dieser Krieg nicht mehr zu gewinnen war. Der weitere Kriegsverlauf
speiste sich aus einer Mischung von irrationalen Hoffnungen, Wundergläubigkeit und Adolf
Hitlers strukturfunktionalistischer Destruktivität. Im Rückblick verbieten sich sämtliche
Planspiele, da die USA ab 1942 den Bau von Atombomben forcierten, während Deutschland
die entsprechenden Wissenschaftler aus dem Land vertrieben hatte.
Trotzdem war Goebbels’ Rede eher von sozialpolitischer Bedeutung, weil der Begriff
»Totaler Krieg« nicht darauf abzielt, ein größeres Gemetzel zu veranstalten, sondern eine
Kriegsführung bezeichnet, welche möglichst alle gesellschaftlichen Ressourcen mobilisiert.
Der amerikanische Präsident Roosevelt hatte übrigens diesen Begriff sechs Tage zuvor
gebraucht. Da die historische Aufarbeitung im zwangsfinanzierten deutschen
Bildungsfernsehen jedoch aus einer Mischung aus Lügen, Halbwahrheiten und falschen
Rücksichtnahmen besteht, werden die wenigsten Menschen die entsprechenden
Zusammenhänge kennen. Und natürlich waren in den Sportpalast nur überzeugte
Nationalsozialisten geladen worden. In die Veranstaltungen heutiger Parteiführer wird
ebenfalls nicht die Opposition geladen.
Nehmen wir jedoch an, diese Frage wäre 1943 zur Volksabstimmung gestanden. Geheim, frei
und fair hätten alle stimmberechtigten Deutschen – auch die Soldaten an der Front – mit Ja
oder Nein abstimmen können. Die Mehrheit der Leute hätte für Ja gestimmt.
Warum? Die letzten Ressourcen zu mobilisieren ist eine zutiefst menschliche Strategie, ist ein
Kampf noch nicht endgültig verloren. Den Aufruf, nochmals gemeinsam alles zu geben, kennt
man von jedem Mannschaftssport. Dass bei einer derartigen Übermacht der Alliierten es
schon lange keine realistische Gewinnchance mehr gab, konnten die Leute damals nicht
wissen. Sie hätten es auch nicht wissen wollen, weil dann die Alternative Kapitulation
geheißen hätte, deren Auswirkungen sich die Menschen weit schlimmer vorstellten, als es
dann tatsächlich kam.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir können jede größere Entscheidung des damaligen
Kriegsverlaufes einer Volksabstimmung aussetzen. Immer haben die Menschen die
aufbereiteten Informationen der staatlichen Machthaber zur Verfügung und die zum Teil sich
widersprechenden, schwach koordinierten Informationen einer Opposition. Und stets werden
die Machthaber die Abstimmung in ihrem Sinne gewinnen.
Der Minister nimmt flüsternd den Bischof beim Arm:
Halt du sie dumm, – ich halt’ sie arm!
- Reinhard Mey -
Solange den Individuen nicht bewusst wird, dass ihre sogenannte Volkszugehörigkeit –
sowohl in der territorialen wie auch in der kulturellen Verortung – größtenteils Produkt
gewaltsamer, administrativer Willkür ist, und die von ihnen empfundenen identitätsstiftenden
Merkmale nur zu einem geringen Teil selbstbestimmt sind, ist es für jeden einmal etablierten
Machthaber möglich, seine Nutzenkalküle manipulativ auf die Beherrschten zu überwälzen.
Im Wechselspiel von Dazugehören und Abgrenzen, in dem sich Personalität entwickelt,
degeneriert diese zugunsten einer abstrakten und entfremdeten Sozialität.
Das Individuum selbst verortet sich in einer Phantomgemeinschaft, einer administrativen
Floskel, in der es beschönigend »Mitbürger« genannt wird, wobei lediglich seine Funktion als
Steuerzahler, Wahlberechtigter oder eben Rekrut gemeint ist.
Liegt die Produktivität eines solchen Mitbürgers über einem administrativ verordneten
Mittelmaß, führt dies nicht zu Dank und Anerkennung dieser gespenstischen Sippschaft,
sondern zu Neid und Missgunst. Während die Steuer- und Abgabenbelastung
überproportional steigen, beschäftigt sich ein übermächtiger – von dem Opfer zu
finanzierender – Kontroll- und Regulierungsapparat mit seinem Dasein, seinen
Lebensverhältnissen, sowie seiner Produktivität.
Die soziale Orientierung ist vom Staat sowohl dem Grunde als dem Grade nach verordnet.
Den so den Bürgern abgepressten Sozialleistungen mangelt es an jedweder positiven
Eigenschaft. Sie werden weder mitmenschlich empfunden, noch sind sie Tugend. Sie sind
weder Bestandteil der Kultur, noch theologisch geboten, geschweige denn, verstandesmäßig
fassbar. Der zur Sozialleistung erpresste Leistungsträger gleicht einem in Ketten gelegten
Elefanten, der mit spitzen Metallhaken und Elektroschocks in die Manege getrieben wird,
ohne jemals wenigstens Applaus zu bekommen. Was er leistet, ist selbstverständlich, nie
genug, keines Dankes wert.
Die Logik des Demokratismus führt zwangsläufig zu einer Art Sozialismus, welcher mit einer
zunehmenden Entrechtung und dem moralischen Zerfall seiner sogenannten Mitbürger
einhergeht. Bettler werden misstrauisch beäugt, bekommen sie doch »schon genug«
Sozialhilfe.[3] Unternehmer werden der Ausbeutung bezichtigt. Reiche werden aus dem Land
geekelt und trotzdem noch vom Staat verfolgt. Konzerne werden erpresst. Bürgerbewegungen
diffamiert. Selbsthilfegruppen in die Illegalität getrieben. Nur die geheimdienstliche
Überwachung ist flächendeckend. Was Erich Mielke (Minister für Staatssicherheit der DDR)
nie zu träumen gewagt hätte, ist heute hingenommene Realität. Doch die Mauer und der
Stacheldraht an der damaligen Grenze zwischen der BRD und der DDR waren Ausdruck
dieses Misstrauens, welches durch die fortgesetzt erpresste soziale Orientierung entstehen
musste.
Unter dem Vorwand des Umwelt-, Tier-, Natur-, Verbraucher-, Arbeits- und Gesundheitsund Minderheitenschutzes sowie dem Postulat von sogenannten Menschenrechten
verwirklicht eine kryptofaschistische Meinungselite heute ihre Gewaltfantasien. Wenn die
eigenen Kinder nach Hause kommen, einen Joghurt essen und den Becher – bevor sie ihn in
den Müll schmeißen – auswaschen, bekommen die Eltern bereits einen Vorgeschmack von
dem, was Indoktrination bedeutet.
Wie in allen indoktrinierenden Systemen sinken Leistung und Kreativität. Diesem Phänomen
wurde mit einer flächendeckenden Senkung der schulischen Leistungsanforderungen
begegnet. Da Universitäten in der Vergangenheit stets Keimzellen diverser politischer
Proteste waren, wurden sie systematisch verschult. Lehre und Forschung wurden zugunsten
von Auswendiglernen und Repetieren zurückgestellt.
Nach einer über 20-jährigen Dressur und begleitender medialer Indoktrination sind sich
nahezu alle darin einig, dass es legitim ist, seinen Mitmenschen in die persönliche
Lebensgestaltung hineinzureden. Was er essen und trinken darf, bestimmt nicht er, sondern
die politisch korrekte Vorgabe. Rauchen ist selbstverständlich verboten, Fleisch essen ebenso.
Abweichende Meinungen gelten als dümmlich. Wer Zweifel an den
Klimaerwärmungsvorgaben der Umweltschützer äußert, gilt als Verschwörungstheoretiker
und potenzieller Weltzerstörer. Wer militärische Einsätze im Ausland kritisiert, unterstützt ein
neues Auschwitz.
Ein Narr, der glaubt, dass die Verkündung der frohen Botschaft von Demokratie und Freiheit,
vom Heil der Bevormundung, von der Anleitung zum Denunziantentum, vom Umweltschutz
und dem Weltuntergang, von der Inquisition der Steuersünder, vom Segen der Mitgliedschaft
in der NATO, von den Vorteilen einer EU-Mitgliedschaft, sowie die Verklärung
amerikanischer Hegemonie kostenlos wären.
Kein Wunder, dass in einer solchen Zeit eine Abgabe gefunden werden musste, der sich wohl
noch nicht einmal mehr erblindete Taubstumme entziehen können. Niemand hat sie wohl
gefordert – die Demokratieabgabe –, in keinem Wahlkampf wurde sie je thematisiert, doch sie
brach über die Gesellschaft herein, wie seinerzeit der Engel des Herrn den biblischen Hirten
auf dem Feld verkündet hatte: »Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren …«
Da sind Zahlungsbefehle an eine ganze Nation zur zwangsweisen Finanzierung der staatlichen
Radio- und Fernsehanstalten mehr als rechtens. Natürlich rechtens. Immer rechtens. Was
sonst?
Auch in der geschichtlichen Aufarbeitung leistet man Großes. Man zeigt quasi in
Endlosschleifen diesen einen Adolf Hitler, bringt diesen einen oben erwähnten Satz von
Goebbels und will der verdummten Bevölkerung klarmachen, dass der eine Mann und dieser
Satz zu einer Schreckensherrschaft geführt hätte. Dass ohne Volkszählung und
Meldepflichten keine Einwohner jüdischen Glaubens geortet und deportiert werden können,
verschweigt man. Weil ja beides heute immer noch die Regel ist. Dass ohne
Staatsverschuldung und Staatsbank nicht aufgerüstet werden kann, verschweigt man, weil das
ja heute ebenfalls die Regel ist. Dass ohne Gräuelpropaganda über ausländische Staaten kein
»gerechter Krieg« inszeniert werden kann, verschweigt man, weil man sich – seit dem oben
erwähnten Tabubruch von 1999 – ständig aktiv an der Dämonisierung ausländischer Staaten
beteiligt.
Und natürlich wird der Volksstaatscharakter des Dritten Reichs verschwiegen. Denn kein
Machthaber dieser Welt kann derartige monströse Ziele auch nur ansatzweise verwirklichen,
leistet das Volk Widerstand. Auch ein solcher ist heute natürlich verboten.
Dass die Nationalsozialisten ihre Macht dadurch festigten, indem sie genau diese »sozialen
Errungenschaften« einführten, auf die sich heute das gesamte sozialfaschistische Pack immer
noch stützt, wird selbstverständlich ebenfalls verschwiegen.
Dieselben Sendeanstalten verherrlichten seit 1945 ausnahmslos jeden von den USA geführten
Angriffskrieg so lange, bis man dann doch irgendwann notgedrungen einräumen musste, dass
der metaphysische Zauber im Namen der Freiheit in die Kategorie Lüge, Manipulation und
Kriegsverbrechen fällt.
Es wird auch keine islamistische Terrorbande geben, welche von diesen staatlichen Medien
nicht irgendwann einmal als Kämpfer im Namen der Freiheit glorifiziert wurde. Und so
finden die Machthaber stets ihre Kindlein in der ersten Reihe, auf einem Auge blind, weil man
ja bekanntlich mit einer unüberschaubaren Anzahl von nahezu gleichgeschalteten
Sendeanstalten »besser sieht«.
Wo sind die Zusammenhänge? »Ich fürchte«, schrieb Friedrich Nietzsche, »wir werden Gott
nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben.« Diese Grammatik, verstanden als die
Kunst, sich systematisch zu verständigen, ist Wesenszug, ja Voraussetzung jeder
Unterdrückung. Der Turmbau zu Babel scheiterte bekanntlich nicht an der Tatsache, dass die
Bauleiter den Konjunktiv der englischen Sprache nicht beherrschten, sondern an einer
allgemeinen Sprachverwirrung. Aber er scheiterte – und zwar unblutig.
Was für eine Chance! Das Volk versteht nicht, gegen wen es sich zu »verteidigen« hätte. Die
Einberufungsbefehle werden von den jungen Männern ignoriert. Die Feldjäger saufen mit
dem Fahnenflüchtigen. Und ist nun doch mal jemand durch Zufall an der Front, geht er
spätestens Weihnachten nach Hause.
Erst durch die Fähigkeit der Arbeitsteilung erwachsen dem Menschen Möglichkeiten, über
seine Begrenzungen hinauszugehen. Je größer das Projekt, desto präziser muss die Planung
erfolgen und deren Ausführung überwacht werden. Arbeitsteilung erfordert sowohl
Verständigung als auch Unterordnung. Arbeitsteilung erfordert Kooperation. Wer dies nicht
sofort versteht, sollte ein weitgehend unbeachtetes Tier in seiner Nachbarschaft beobachten.
Nein, es sind nicht die Hunde, es sind die Spatzen, welche nicht nur als Singvögel
kategorisiert sind, sondern auch als besonders gesellige und soziale Wesen gelten. Die
Nahrungssuche erfolgt in Trupps von zirka 20 Tieren, weil dann die verwendete Zeit für die
Sicherung am effizientesten ist. Stößt ein Mitglied nun einen Warnton aus, wäre es
vollkommen sinnlos, dass die anderen in der Truppe den Grund dieser Warnung erst einmal
selbst eruieren wollten. Verständigung und Unterordnung bedingen sich also.
Ohne Arbeitsteilung ist der technische Fortschritt des Menschen nicht denkbar. Die Fähigkeit
der präzisen Verständigung, der Konzentration auf den übertragenen Arbeitsschritt, ohne
vielleicht den Gesamtprozess überblicken zu können, macht industrielle Produktion erst
sinnvoll.
Leider ist Krieg mit arbeitsteiliger Güterproduktion vergleichbar. Ein paar wesentliche
Unterschiede gibt es. Krieg schafft keine Güter, sondern Zerstörung. Krieg schafft keine
Werte, sondern Leid und Elend. Und jeder im industriellen Arbeitsprozess Tätige kann ohne
Weiteres seine ehemalige Entscheidung revidieren und kündigen. Wäre eine solche
jederzeitige Kündigung bei militärischen Auseinandersetzungen möglich, das mörderische
Handwerk hätte sich schnell erledigt.
Doch genau darin ist die Grammatik der unterschiedlichen Verbrechersysteme im Einklang.
Es gibt quasi eine universelle Ethik des Unmenschen, die es den Rindviechern verübelt, sich
widerstandslos zur Schlachtbank führen zu lassen. Dieser Schlachthoflogik folgend (wo
kämen wir denn sonst hin?) wurden auch noch nach der Kapitulation der deutschen
Streitkräfte 1945 Deserteure zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die jeweiligen
Gerichtsherren wurden nicht zur Rechenschaft gezogen. Deutschland benötigte dann auch fast
53 Jahre, nämlich bis 1998, um ehemalige Deserteure der Wehrmacht zu rehabilitieren.
Es ist beinahe schon nebensächlich, ob sich die jungen Männer und Frauen freiwillig zur
Ausübung des Kriegshandwerks meldeten oder gezwungen wurden. Sicher ist die Truppe voll
unangenehmer Überraschungen, eignet man sich Wissen beim Militär bekanntlich nicht über
den Umweg des Denkens, sondern durch »Schleifen« an.
Der Begriff Schleifung bezeichnet das Einebnen militärischer Befestigungsanlagen des
Feindes. Und da ist es nur folgerichtig, dass die zivilen Vorstellungen der frischen Rekruten
von Rede und Gegenrede, von These, Antithese und Synthese, von Höflichkeit und Anstand
quasi feindlich sind und erst einmal von den Vorgesetzten eingeebnet, sprich: geschleift,
werden müssen.
Aber kein Zwang sollte für einen Systemtrottel fremd sein. Haben sie doch, ob unter dem
Kaiser, unter dem Führer oder im heutigen Demokratismus, die staatliche Ordnung nie als
aufgezwungene, ungerechtfertigte Gewaltherrschaft empfunden. Wer es als legitim betrachtet,
dass die staatliche Ordnung in die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der Mitbürger
eingreift, den darf es nicht verwundern, richtet sich dieser Zwang eines Tages gegen die
Befürworter selbst.
Ich habe bereits oben ausgeführt, wie die Schleifung außerhalb des Militärs in der
sogenannten Zivilgesellschaft erfolgt. Jetzt sollte auffallen, dass Auswendiglernen und
Repetieren wesentliche Elemente des Militärs sind. Auch wird dort gefressen, was andere
befehlen. Rauchverbote und Sport sind elementar. Diskussionen sind überflüssig. Der
Schwachkopf steht vorne und darf nicht infrage gestellt werden.
Kommen wir nun zu einem wesentlichen Teil der kriegsgrammatikalischen Lektion. Wer
fremd und Feind ist, wird genauso befohlen wie die Tatsache, dass dieser Feind immer keine
Kinder mag, immer Frauen misshandelt und immer Andersgläubige verstümmelt. Logisch,
dass hier interveniert werden muss und das Unrecht vergolten.
Hitler hatte bekanntlich am 1. September 1939 verkündet: »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt
zurückgeschossen.« Und es wurde Bombe mit Bombe vergolten, wie das gesamte spätere
Kriegsgeschehen ein einziges Vergelten sein musste, wollten die jeweiligen politischen
Machthaber auf allen Seiten verdeutlichen, dass es im Sinne des Friedens, der Freiheit und der
Menschlichkeit wäre, tötete und verstümmelte man die wehrlosen Kinder und Frauen des
Kriegsgegners.
Nein, dieses Gemetzel war kein Versehen, weil unvermeidbare Folge der Kriegshandlung. Es
war das alltägliche Morden Unschuldiger, gleichzusetzen mit dem zwangsläufigen Komma in
der Grammatik, welches Appositionen und Nachstellungen vom Rest des Satzes abtrennt.
Die Kriegsparteien beherrschen die Grammatik des Krieges perfekt. Man redet vom Frieden,
während man aufrüstet. Man redete von Verteidigung, während man angreift. Man redet
immer von Freiheit! Und während weltweit jeder Polizist verurteilt würde, der zur Abwehr
eines Aggressors zuerst einmal dessen Kinder und die seiner Nachbarn erschießt, steigen
weltweit die Piloten aus ihren Militärmaschinen und sind stolz darauf, ihre Bomben und
Raketen ins angeordnete Ziel transportiert zu haben.
Die Kriege, welche die unterschiedlichen Machthaber dem Volk nicht als Verteidigungskriege
verständlich machen konnten, fanden erst gar nicht statt. So gesehen sind die Ansichten des
Plebses moralisch einwandfrei. Ohne entsprechende Manipulationen und Lügen bekommt
man die breite Masse nicht zur systematischen und organisierten Aggression überredet.
Keine Frage, Deutschland verfolgte eine aggressive menschenverachtende Expansionspolitik
auf Kosten seiner östlichen Nachbarstaaten. Großbritannien hatte aufgrund seines
Beistandsvertrages mit Polen, Deutschland daraufhin den Krieg erklärt.
Hatte doch gerade Großbritannien das Selbstbestimmungsrecht der Völker weltweit
akzeptiert, sieht man einmal von Ägypten, dem Sudan, dem heutigen Botswana, Kenia,
Somalia, Togo, Gambia, Nigeria, Sierra Leone, Kamerun, Mauritius, Malawi, Sambia,
Sansibar, den Seychellen, Südafrika, Südrhodesien, Südwestafrika, St. Helena, Tansania,
Tanger, Uganda, Belize, Guayana, Bahrain, Bhutan, Indien, Brunei, Ceylon, Katar, Kuwait,
den Malediven, Nord-Borneo, Oman, Palästina, Singapur, Transjordanien, Helgoland, Irland,
den Kanalinseln, Zypern und Malta ab. (Große Teile Nordamerikas sowie Australien und
Ozeanien sind hier noch gar nicht erwähnt.)
Die meiste Zeit des Jahres, also vor und nach Weihnachten, war folglich nicht nur für die
Bewohner in Afrika klar, was der Christenmensch unter Frieden verstand. Und die britische
Herrenrasse ließ auch keinen Zweifel darüber aufkommen, wer hier der kulturell Überlegene
ist. Die Annahme der eigenen rassischen Höherwertigkeit hatte ein verkappter Kunstmaler aus
Österreich nicht erfunden, sondern weltweit vorgefunden.
Und immer war Hinz und Kunz nebst Gattinnen für die verübten Gewalttaten der staatlichen
Herrschaftsapparate so wenig verantwortlich wie der deutsche Michel, welcher seinen
jüdischen Nachbarn zum Bahnhof begleitete und dann von nichts wusste. Das Bedürfnis, sich
einer Sippschaft anschließen zu müssen, ihren Führern zu vertrauen, führt zwangsläufig zu
einer durchaus rationalen Ignoranz (Ökonomen würden vom kalkulierten
Informationsverzicht sprechen).
Ich habe bereits erörtert, dass Arbeits- und Aufgabenteilung anders nicht vorstellbar sind. Der
moralische Defekt tritt dort zutage, wo Mitglieder dieser Kooperative sich separieren wollen,
weil sie der Führung nicht mehr trauen, die Rangordnung infrage stellen oder lediglich keine
Lust mehr haben mitzumachen. Jetzt greifen die Gewaltoptionen der Machthaber. Hier ist also
der »elektrische Weidezaun« gespannt, über den der »Landwirt« nicht diskutieren wird. Die
von den Machthabern vorsorglich gesetzten Regeln schließen einen Austritt aus dem
Machtbereich kategorisch aus. Wer sich nicht fügt, dem droht die existenzielle Vernichtung.
Die Grammatik des Krieges, des organisierten Massenmordes, der Unterdrückung und
Knechtschaft folgt seit jeher den gleichen Regeln.
1. Die Identifikation des Plebses unter Konzepten wie Volk, Rasse und oder Religion.
2. Die Vorstellung, dass Gefolgschaft und Treue den individuellen Nutzen mehren.
3. Indoktrination und Mobilisierung der Jugend.
4. Verbot von Sezessionsbestrebungen.
5. Kollektiver Aufbau von Bedrohungs- und Benachteiligungszuständen.
6. Legitimation der jeweiligen Politik durch das vom Staat bezahlte akademische Gesindel.
7. Aufrüstung.
8. Förderung diverser Machttrivialitäten.
9. Zensur der Berichterstattung.
Aber eigentlich sollte dieser Artikel eine Weihnachtsbotschaft werden. Wie bekomme ich nun
die Kurve? Fällt in die Zeit des Krieges das Weihnachtsfest, einigen sich die Befehlshaber der
Kriegsparteien auf eine Feuerpause. Diese sogenannten Arms-Control-Maßnahmen dienen
dann nicht nur dazu, die verstümmelten Leichen der eigenen Truppe vom Felde zu bergen,
sondern ermöglichen den verführten und angelogenen Dumpfbacken beider Seiten, den
Weihnachtsliedern der Gegenseite zu lauschen. Wenn nicht gerade einer der Helden in die
Hose geschissen hat, weil Heldenblut bekanntlich braun ist, schwant auch aus dem nahe
gelegenen Offizierscasino noch der Duft von Gebratenem herüber.
Ja, im Kessel von Stalingrad war das 1942 auch so. Während draußen im Feld die Soldaten
vor Hunger ihre toten Kammeraden aufschlitzten, um deren Innereien zu essen, gab es im
Bunker von General Paulus noch leckeres Essen und ein Gläschen feinsten Cognacs.
Nachdem der feine Herr Generalfeldmarschall sich dann den Russen ergab und dabei völlig
»vergessen« hatte, den versprengten deutschen Armeeeinheiten das Ende der
Kampfhandlungen anzuordnen, kämpften diese bis Anfang März 1943 dumm weiter.
Während der Herr Generalfeldmarschall wohlbehalten nach Kriegsende in seine Heimat
zurückkehrte, kamen von 110.000 deutschen Kriegsgefangenen lediglich 6.000 zurück.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, werden diese Zahlenverhältnisse bekannt sein. Was nun
regelmäßig in der Berichterstattung fehlt, ist die Tatsache, dass etwa 600.000 russische
Soldaten allein bei dieser Schlacht gefallen waren. Die Stadt selbst hatte jedoch damals
lediglich etwa 450.000 Einwohner.
Vielleicht geben diese Tatsachen auch dem letzten Systemtrottel zu denken. Wird ihm doch
täglich erzählt, dass Staaten zur Verteidigung des Vaterlandes notwendig sind. In Wirklichkeit
geht es den Machthabern – ob im Demokratismus oder im Stalinismus ist dabei einerlei –
lediglich um die Erhaltung und mögliche Erweiterung ihres Herrschaftsbereiches. Die
Einwohner einer Stadt sind einer Herrscherclique so einerlei wie einer Katze die Qualen einer
Maus.
Der amerikanische Präsident Truman ließ durch den Befehl des Abwurfs von Atombomben
über 200.000 Zivilisten ermorden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Stalin bereits über acht
Millionen Menschen verhungern und in der Zeit der »großen Säuberung« nochmals 1,5
Millionen Menschen liquidieren lassen. Was allerdings den Demokraten Roosevelt nicht
davon abhielt, mit diesem Herrn freundschaftlich und gedeihlich zu alliieren. Und da nun die
späteren US-Präsidenten planten, einen militärischen Konflikt mit der Sowjetunion,
gegebenenfalls auf europäischen Boden, atomar zu entscheiden, erübrigt sich jede weitere
Erörterung des Wertes von Menschenleben und Stadtbewohnern für Machthaber jeder
Couleur.
Das obige Missverhältnis zwischen Einsatz und vorgegebenem Ziel ist nur dadurch zu
erklären, dass das Symbol des Ziels für den Machterhalt entscheidend war und die
eingesetzten Mittel (tote Soldaten) in der Bilanzierung nicht ins Gewicht fielen.
Tolstoi hat dieses Phänomen am Beispiel des Bauern Pachom bereits 1885 verdeutlicht.[4]
Die potenzielle Habgier der meisten Menschen begrenzt sich nur an ihrer eigenen
Sterblichkeit.
Wenn wir nun selbst derart verabscheuungswürdige Eigenschaften bei unserer
introspektivischen Nabelschau nicht finden können, so kann es daran liegen, dass wir
vielleicht aus der Art geschlagen sind. Vielleicht sind wir auch derart intelligent, dass wir uns
in die potenziellen Opfer unserer Machtambitionen hineinversetzen können – und Mitleid
empfinden. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass uns zu keinem Zeitpunkt diese Macht
verliehen wurde, sodass wir sie in Herrschaft umwandeln konnten. (Und deshalb können wir
weiter davon träumen, wir wären ein guter Herrscher.)
Wäre diese Herrschaft nämlich gesichert, arbeiteten wir mit Mitteln, welche uns allesamt
wesensgleich sind – nämlich mit Menschen. Wir werden es deshalb vermeiden, die
Faszination unserer Macht durch nasales Durchatmen infrage zu stellen, wenn es diesen
»Mitbürgern« oder »Genossen« das Gedärm zerfetzt. Wir wären dann weit weg vom Leid der
Unterdrückung, vom Elend der Gefolgschaft und vom Geruch des Todes. All unser Denken
wäre bestimmt von Zweckmäßigkeitsüberlegungen. Würden wir uns nicht täglich Gedanken
darüber machen, wie wir unsere Konkurrenten mit ihren Herrschaftsambitionen besänftigen
oder eliminieren könnten, würden wir den ersten Sonnenuntergang erst gar nicht erleben.
Dann gälte es, möglichst viele der Beherrschten in unseren Herrschaftsapparat
miteinzubinden. Da alle unsere Maßnahmen nie vollumfänglichen Erfolg garantierten, würden
wir uns um die Kindergärten, die Schulen und Universitäten bemühen. Und letztendlich
würden wir auch das schrecklichste Ereignis dazu missbrauchen, unsere Herrschaft zu sichern
und unseren Machtbereich auszubauen.
Die in unserem Machtbereich befindlichen Personen sind deshalb auf eine einzige Funktion
reduziert: Sie sind polarkomplementärer Gegensatz unserer Zielsetzung. Wie ein Schwimmer
das Wasser benötigt, aber dieses auch seinen sicheren Tod bedeuten kann, benötigen wir die
Menschen und dann ihre Gefolgschaft. Jede Person in unserer Nähe kann uns gefährlich
werden, aber auch jede Person kann uns in unserer Zielsetzung unterstützen und diente sie nur
als Kanonenfutter. In dieser Spannungseinheit wird Führerschaft/Gefolgschaft erlebt und
gelebt.
Ohne moralische Defekte ist unsere Führerschaft folglich fragil. Täglich entscheiden sich die
uns folgenden Menschen neu, ob sie dies in Zukunft auch tun wollen. Wir kennen das alle aus
kooperativen Beziehungen des Alltags. Gestern war der Fußballtrainer noch der große Star,
nach dem verlorenen Spiel jagt man ihn in die Wüste. Heute sind alle noch bereit, für eine
gute Sache Geld zu spenden, morgen kommen die ersten mit irgendwelchen Ausreden. Der
größte Konzern kommt vielleicht übermorgen bereits in eine existenzielle Krise, weil der
Markt einbricht und er die Leute nicht zwingen kann, seine Produkte zu kaufen.
Es liegt also nahe, diese Unsicherheit, diese Fragilität der Gefolgschaft gewaltsam zu
überbrücken, indem wir einen Austritt aus der Gefolgschaft untersagen. Jetzt ist die
Kooperation wohl moralisch defekt, doch bis es die Leute erkennen, haben wir den größten
Teil der Massen davon überzeugt, dass sie von unserer Herrschaft profitieren, dass alles einem
höheren – von ihnen nicht recht verstandenen – Zweck diene, dass man einig sei, dass es sich
für sie nicht lohne, Widerstand zu riskieren.
Der Demokratismus ist eine moderne Form der Staatsführung. Er funktioniert nur, wenn
potenzielle Konkurrenten davon überzeugt werden können, dass sie eine faire Chance hätten,
an der Macht teilzuhaben. Ferner muss die große Masse der Bevölkerung dazu gebracht
werden, ihre kulturelle Verortung zugunsten einer größeren, übergeordneten Zugehörigkeit
zurückzustellen. Gelingt dies nicht, weil sich bestimmte Volksgruppen,
Glaubensgemeinschaften, Standeszugehörige oder soziale Gruppen »schon immer« von und
durch die anderen benachteiligt sahen, erscheinen die Regeln des Demokratismus als
durchsichtiges Manöver der Unterdrückung und werden entweder sofort missbraucht oder erst
gar nicht akzeptiert.
Sozialistische, faschistische, theokratische oder monarchistische Systeme funktionieren nach
dem gleichen Muster, obwohl sie aus der Perspektive eines heutigen Deutschen allesamt als
Diktaturen erscheinen mögen. Niemand auf dieser Welt kann seine Herrschaft dauerhaft auf
die Macht einer Soldateska stützen. Alle haben ihre Macht in der Spannungseinheit des
beschriebenen polarkomplementären Gegensatzes zwischen Herrscher und Beherrschtem.
Auch die Herrschaft Stalins oder Hitlers war zu keinem Zeitpunkt gesichert. Nur die
Hoffnung der Tiere im Schlachthaus reduziert sich auf die Unwahrscheinlichkeit, dass sich
die Schlächter selbst massakrieren oder von ihrem Tun ablassen. Jeder Machthaber ist stets
auf das Wohlwollen seiner Herrscherclique angewiesen. Und wenn nicht, dann zumindest auf
die Gunst seiner Leibwächter, welche jeder noch so hoffnungsvollen Führerkarriere ein Ende
machen könnten. Letzteres ist in der Geschichte die seltene Ausnahme. Zu gut funktionieren
die Mechanismen des Machterhalts.
Bereits den sogenannten Eid – eine banale Bekundung, welche sich von der, dass im Himmel
Jahrmarkt wäre, prinzipiell nicht unterscheidet – empfindet die Mehrheit der Menschen als
eine Art Selbstverfluchung.
Ich möchte hier am Schluss dieses Artikels nicht noch satirisch werden, doch verliert man den
Glauben an die Zukunft. Zuerst verorten sich die Menschen in einer gespenstischen
Sippschaft, welche geografisch so willkürlich ist wie sprachlich oder religiös. Dann ordnen
sie sich einer Führung unter, deren einziges unbezweifelbares Merkmal ihr Gewaltpotenzial
ist. Diese Unterordnung – das wissen sie – kann nur mit dem Risiko der eigenen
existenziellen Vernichtung revidiert werden. Danach verdingt man sich gegen ein gewisses
Salär diesen Machthabern. Doch diese verlangen, man möchte im Namen Gottes schwören,
stets den Zielen der Machthaber und der gesamten Sippschaft zu dienen. Es ist wohl wie im
Kindergarten (huch, ich bin der Osterhase), doch ich habe nichts dagegen, dass erwachsene
Menschen zwei Finger in die Luft halten.
Ich zweifle jedoch an der Kreatur dieses Homo sapiens, der nun auch noch glaubt, dass dieses
abgedungene eigene Geschwätz so etwas wie einen Fluch auslösen könnte, hält man sich
nicht mehr daran.
Genug der Perversionen. Der amerikanische Präsident Roosevelt hat von seiner Macht und
seinen Weltbeherrschungsfantasien trotz fortschreitender Krankheit nichts abgegeben. Seine
letzte Tätigkeit hatte darin bestanden, sich für eine Porträtmalerin in Pose zu setzen.
Winston Churchill, ein entschiedener Verfechter des britischen Kolonialismus und
zweifelhafter Kriegsstratege, wurde 1951 wiedergewählt. Der von ihm in Kenia militärisch
niedergeschlagene Mau-Mau-Aufstand forderte nach neusten Schätzungen zwischen 20.000
und 100.000 Tote aufseiten der Aufständischen. 1,5 Millionen Menschen – nahezu die
gesamte als »nicht-loyal« klassifizierte Bevölkerung – wurde interniert. Wie es ihm opportun
erschien, wechselte er die politischen Lager. Nach mehreren Schlaganfällen wurde er von
seiner eigenen Partei 1955 zum Rücktritt gedrängt. Bis 1959 ließ er sich nochmals ins
Unterhaus wählen. Danach lebte er zurückgezogen bis 1965 und starb dann im Alter von 91
Jahren.
Josef Stalin hatte die Unterdrückung und den Terror nicht erfunden, nur perfektioniert. Da er
den Krieg gegen Deutschland gewann und mit Billigung der Westalliierten halb Europa dazu,
wird er heute immer noch von etwa 30 % der Russen als positiv bewertet.
Am 5. März 1953 starb er offiziell. Davor lag er noch eine Nacht und einen Tag auf dem
Fußboden herum. Als ein Bediensteter sich endlich getraut hatte, das Zimmer zu betreten,
verlor er das Bewusstsein. Lawrenti Beria, einer seiner Schlächter, ordnete bald darauf die
Entstalinisierung an, begann Häftlinge freizulassen und verbot die Folter. Hatte nichts
genutzt, denn der Rest der Clique ließ ihn noch im selben Jahr verurteilen und liquidieren.
Behauptet hatte Beria, er hätte Stalin vergiftet.
Adolf Hitler hatte die große Sorge, dass er den Russen lebend in die Hände falle und ihn
Stalin im Moskauer Panoptikum ausstellen würde. Im April 1945 begann sich langsam, aber
sicher die Ordnung im Führerbunker aufzulösen. Bezeichnend war, dass das Rauchverbot
nicht mehr beachtet wurde. Hatte doch der Führer seine Gäste seit mehr als zehn Jahren
darüber belehrt, wie schädlich das Tabakrauchen, wie verwerflich die Jagd sei und wie
heimtückisch die Juden wären.
Wie dem auch sei. Einer seiner letzten militärischen Befehlshaber im Führerbunker war
General Wilhelm Burgdorf. Bevor er sich erschoss, besoff er sich noch mal kräftig und
schimpfte: »Vor einem dreiviertel Jahr bin ich mit meiner ganzen Kraft und mit grenzenlosem
Idealismus an meine jetzige Aufgabe herangegangen …« Er sei so weit gegangen, dass ihm
schließlich seine Offizierskameraden vorgeworfen hätten, Verräter am deutschen
Offiziersstand zu sein. Jetzt müsse er einsehen, dass seine Arbeit umsonst, sein Idealismus
falsch und dass er naiv und dumm gewesen sei.
»Einmal muss es doch alles gesagt werden«, so der General weiter. »Vielleicht ist es in 48
Stunden schon zu spät. Unsere jungen Offiziere sind zu Hunderttausenden in den Tod
gegangen. Aber wofür denn? Für ihr Vaterland, für unsere Größe und Zukunft? Für ein
anständiges, sauberes Deutschland? In ihrem Herzen ja, aber sonst nein. Für euch sind sie
gestorben!« Millionen von unschuldigen Menschen seien geopfert worden, während die
Führer der Partei sich am Volksvermögen bereichert und im Überfluss geschwelgt hätten.
»Der Mensch war für euch nur noch das Werkzeug eurer unersättlichen Machtgier. Unsere
jahrhundertealte Kultur, das deutsche Volk habt ihr vernichtet. Das ist eure furchtbare
Schuld!«
Am Vormittag des 30. April 1945 sollte nun Hitlers Chauffeur Kempka 200 Liter Benzin
besorgen. Kempka hielt das zuerst für einen Witz, denn Benzin könne man erst besorgen,
wenn das Artilleriefeuer der Russen nachließe. Gegen 15.30 Uhr hatte er dann doch etwa 170
Liter Benzin zusammengetragen und Hitler hatte sich mit seiner kurz zuvor geheirateten Frau
erschossen. Man trug die beiden Leichname nach oben und legte sie in eine Mulde …[5]
In dem ausgezeichneten Film von Helmut Dietl »Schtonk« wurde diese Szene in die Nacht
verlegt und persifliert.
Während ringsherum Granaten einschlagen, versucht ein Soldat, mit einem Streichholz des
Führers Schnürsenkel anzuzünden. Nach dem zweiten missglückten Versuch steht er entnervt
auf und rennt in gebückter Haltung zu einem SS-Obersturmbannführer, der sich, auf einem
Hügel stehend, eben gerade seiner Uniform entledigt.
»Melde gehorsamst – er brennt nicht!«
Der SS-Scherge blickt sich nervös um: » Was? Wer brennt nicht?«
»Der Führer, Herr Obersturmbannführer. Und die Frau Braun, die Frau Führer, Herr
Obsturmbannführer.«
»Na, dann schütten Sie Benzin drüber. Dann brennen die schon.«
»Benzin? Über den Führer?«
»Es gibt keinen Führer mehr, Sie Ignorant«, schimpft der SS-Mann und macht sich dran, die
Benzinkanister zu öffnen.
Soweit der Filmausschnitt. Tatsächlich konnten die Leichname nicht vollständig verbrannt
werden, weil das meiste Benzin wohl im Erdreich versickerte, anstatt die ihm zugewiesene
Aufgabe zu erfüllen.
Einen Führer aber kann man nicht verbrennen …
Dieses Mysterium von Leid, Blut, Sterben und Tod verbirgt sich im menschlichen
Aberglauben, dass die vom Staat aufgezwungene Ordnung wohl verbesserungswürdig wäre,
doch insgesamt notwendig, quasi heilig ist.
***
[1] Die Angaben beziehen sich auf das Jahr 2013.
[2] Die schweren Waffen, welche der Islamische Staat (IS) besitzt, haben die Herrschaften
nicht durch den Handel mit Kameldung. »Die Vereinigten Staaten sind Mitspieler in diesem
Spiel der Stammes- und Religionskriege. 40 Länder haben sich gegen den IS verbündet,
dennoch passieren dessen Waffen die Türkei. 40 Länder schaffen es nicht, einen sogenannten
Islamischen Staat zu schlagen«, so der arabische Schriftsteller Adonis in der Zeitschrift DIE
ZEIT (51/2014). Und analysiert sodann: »Und warum nicht? Weil sie gar kein Interesse daran
haben. Das ist alles nur Theater.«
[3] Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass eine gewisse Anzahl von sogenannten
Sozialhilfeempfängern gar keine wären, zwänge sie der Staat nicht in diese Kategorie hinein.
Mit etwa 400 Euro pro Monat kann man – bescheiden – aber ohne Weiteres auskommen,
ohne staatliche Hilfe zu beanspruchen. Es funktioniert deshalb nicht, weil man dann sofort
von der Krankenversicherungspflicht und der Rundfunkzwangsabgabe eingeholt wird.
Bezahlte man diese Zwangsabgaben, kann man nur noch verhungern. Freigestellt wird man
jedoch nur, wenn man sich arbeitslos meldet. Wer sich jedoch arbeitslos meldet, dem ist die
Möglichkeit, mit 400 Euro irgendwie zu überleben, genommen. Denn man wird ihm
nachstellen, ihn zu sogenannten Fortbildungsmaßnahmen nötigen und ihn zwingen,
Bewerbungen zu schreiben.
[4] Lew Nikolajewitsch Tolstoi: Wieviel Erde braucht der Mensch? (1885)
[5] Zitat Burgdorf und Daten Kempka aus: John Toland: Adolf Hitler. Bd. 2. Bergisch
Gladbach 1977