Joop Snep Erinnerungen

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Joop Snep Erinnerungen
Joop Snep
Erinnerungen
Aufgezeichnet von Willem Peeters
Amsterdam, im Januar 2013.
Dieses Lebensbuch ist auf Initiative des ehrenamtlichen Amsterdamer Vereins
Vrijwilligers Centrale und der OsiraGroep entstanden.
Übersetzt von Diete Oudesluijs.
Text und Layout in LibreOffice.
© W.Peeters
2
Inhalt
Vorwort
4
Jugend
5
Tischlern, Sport und Tanzen
10
Krieg, Widerstand und Verhaftung
14
Sachsenhausen
19
Untertauchen in Amsterdam
23
Befreiung und Nachkriegsjahre
27
Familie, Arbeit, Kirche und Reisen
33
Zurück nach Sachsenhausen
41
Im Barbarahuis
45
3
Vorwort
Montagmorgen, 11.00 Uhr. Ich betrete das Gebäude von St. Jacob und laufe
nach rechts Richtung Barbarahuis. Beim Fahrstuhl angekommen, drehe ich mich
um und sehe, wie ein alter Mann im Rollstuhl näher kommt. Mit Mühe zieht er
sich an den Metallrohren, die gegen die Wände montiert sind, vorwärts. 'Kommen
Sie mit?' Ich schiebe den Rollstuhl in den Fahrstuhl und drücke auf den Knopf
zum fünften Stock. Der Mann wohnt einige Apartments vor dem von Joop. Ich
rolle ihn bis zur Tür seines Zimmers und fahre ihn herein. 'Danke', klingt es leise
und ich laufe weiter zu Nummer 540. Ich klingele und höre, wie immer, Joop
rufen dass die Tür offen ist. Joop sitzt an seinem Tisch und ist mit seinen
Unterlagen beschäftigt. Ich reiche ihm die Hand. 'Hallo Junge', sagt er. Ich
lächele, weil ich mit Junge angesprochen werde, als ich schon auf die siebzig
zugehe. Aber nun gut, Joop ist gut zwanzig Jahre älter und dann darf man so
etwas natürlich sagen. Ich leg meinen Mantel auf sein Bett, auf dem ein altes
Florett liegt, irgendwann Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
beim Auflösen der Wohnung der adligen Familie Schaumburg-Lippe in Bonn in
den Besitz von Joops Vater gekommen. Wir schieben einiges zur Seite und ich
setze mich ihm gegenüber, an der Ecke des Tisches. Notizblock und
Kugelschreiber parat. Joop macht den Fernseher aus und wir fangen an.
Joop ist ein guter Erzähler, der sich die Zeit nimmt, meine Fragen zu
beantworten. Ich schreibe schnell weiter und er gönnt mir gelegentlich eine
Pause, damit ich nicht allzu sehr ins Hintertreffen zu gelangen. Er zeigt mir ein
Bild einer Handballmannschaft, die am Anfang des Krieges gemacht worden ist.
Joop weist auf das Bild, seine Hand zittert als Folge der Parkinsonsche Krankheit.
'Das bin ich. Siehst du meine Turnerbizeps? Ich konnte mal sehr hart werfen!' Ich
frage ihn, ob ich das Bild mitnehmen darf, um es ein zu scannen. Gar kein
Problem. Joop gibt mir alles mit, von dem ich denke, es wäre nützlich. Es wird
geklopft. Der Arzt kommt herein und ich warte auf dem Flur. Nach zehn Minuten
ruft mich Joop, er entschuldigt sich. 'Ich kann den Arzt doch nicht einfach weg
schicken?' Wir machen weiter. Joop konzentriert sich und reibt über sein Gesicht.
'Mal kurz rekapitulieren'. Einiges, wie seine Kriegserinnerungen, steht natürlich in
seinem Gedächtnis geätzt, aber manchmal muss er über Daten nachdenken.
Joop seufzt. 'Ich habe so vieles zum Thema Krieg aufgehoben, aber ich muss es
für dich nachsehen'.
Nach etwa einer Stunde höre ich auf. Joop könnte problemlos weitermachen,
aber ich habe genügend Material für die kommende Woche. Ich stehe auf, ziehe
meinen Mantel an und verabschiede mich. Joop steht auf aus seinem Stuhl und
gibt mir die Hand. Danach begleitet er mich zur Tür. 'Bis nächste Woche Joop,
mach's gut' sage ich und er verabschiedet mich mit 'Saludos'.
Während der Monate März bis August 2012 habe ich mit Joop einige Gespräche
geführt. Dieses Buch ist das Ergebnis.
Es war mir ein Vergnügen, Joop kennen zu lernen.
Amsterdam, im Januar 2013.
Willem Peeters
4
Kapitel 1 Jugend
Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zog Peter Snep - der Vater von Joop über die niederländischen Grenze nach Deutschland, auf der Suche nach Arbeit:
die Gesellenwanderschaft. Es wurde eine jahrelanger Reise. Er hielt sich in vielen
deutschen, schweizer und italienischen Städten auf,
um dort das Handwerk eines Schreiners von der Pike
auf zu lernen, als Ergänzung auf seine Lehrschule.
Diese Methode, den heißbegehrten Meistertitel zu
erwerben, gab es bereits seit einigen Jahrhunderten
und bildete in Deutschland das Rückgrat der
handwerklichen Ausbildung. Peter Snep hat dies
zwar auf eigene Faust getan, wusste sich jedoch
vom St. Jozef Gesellenverein, dessen Mitglied er
war, unterstützt. Das war eine 1868 in Amsterdam
gegründete katholische Jugendbewegung, die Teil
des riesigen deutschen Kolpingnetzwerkes war. Der
St. Jozef Gesellenverein bekam 1876 Räume im
sogenannten Van Nispenhaus an der Stadhouderskade, das den Namen des ersten Direktor des
Van Nispenhaus
Vereins trägt: Pastor Jhr. van Nispen tot Sevenaer.
Zweck des Vereins war: 'Durch individuelles und
soziales Leben unter väterlicher priesterlicher Aufsicht das Streben nach
Fachwissen, Frommheit und Wohlfahrt zu fördern.' 1968 wurde der Verein
aufgelöst. Das monumentale Van Nispenhaus wurde 1977 durch Brand verwüstet
und abgerissen.
Peter Snep reiste gut zwölf
Jahre durch Europa herum,
bekam seinen Meistertitel
und arbeitete in einer Anzahl
von Städten als Meisterknecht. In Duisburg lernte er
seine Frau kennen, Gertrud
Scheeren,
die
er
1907
heiratete. Gertrud war genau
wie Peter Frühwaise und von
einer
Tante,
die
ein
Restaurant hatte, erzogen
worden. So wurde sie eine
hervorragende Köchin, der
die Familie später immer
nachsagte, sie könne aus
Straßensteinen noch etwas Leckeres zubereiten. Im gleichen Jahr wurde ihre
erste Tochter geboren, es folgten noch sieben Kinder. Joop war das jüngste und
sah das Lebenslicht am 24. September 1921 in Bonn, wo Familie Snep sich
niedergelassen hatte, nachdem man u.a. in Brüssel gewohnt hatte. Zwei seiner
Brüder, Peter und Henk, hat er leider nicht gekannt. Peter wurde 1910 in Brüssel
geboren, wo er fünf Jahr später verstarb. Henk war von 1916 (Brüssel) und starb
1918 in Göttingen.
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Peter Snep war ein guter Fachmann, der nach seiner Ehe für
die Schreinerei Onder de Sint Maarten arbeitete. Dieses
Familienunternehmen aus Zaltbommel stammte aus 1899 und
wuchs zu einem der größten Inneneinrichtungsfirmen in den
Niederlanden heraus, mit Sitz in Haarlem. Peter Snep
arbeitete an der Holzverkleidung eines des Räume des 1913
fertiggestellte Friedenspalasts in Den Haag mit. Ein
Gedenkmünze mit dem Bildnis von Königin Wilhelmina zeugt
davon. Auch fertigte er Mobiliar für den Palast des Gouverneurs von
Niederländisch Indien. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Sneps wieder nach
Deutschland, Gertrud konnte in den Niederlanden nicht heimisch werden.
Erwähnenswert ist auch das Lob, das Peter Snep für den Bau eines
Karnavalwagens in Bonn bekam. Darauf war eine Szene zu sehen, in der ein
reicher Geldgeber Präsident Ebert seine Hilfe anbietet. Eine Geste, die von
manchen Deutschen argwöhnisch beschnuppert wurde und Anlass zu
karnevalesker Spott bot.
In den zwanziger Jahren hatte Vater Peter eine eigene Möbelwerkstatt samt
Laden am Stiftsplatz in Bonn. Auf dem Stiftsplatz kam es regelmäßig zu einem
Schlägereien zwischen den Schlägertrupps der SA und den Mitgliedern von
RotFront (Roter Frontkämpferbund). Von ihrer Wohnung aus hatten die Sneps
darauf eine gute Sicht und die
Kinder
durften
sich
am
Samstag nach dem Bad den
spannenden
Schlägereien
immer kurz angucken.
Es war eine schwierige Zeit und
die Hyperinflation tat seine
vernichtende Arbeit. Dennoch
konnte sich die Familie über
Wasser halten. Joop weiß von
seinem Vater, dass bestellte
Möbel in Kisten zu den Kunden transportiert wurden, die anschließend voller
Banknoten wieder zurück kamen. Geld, das schnell ausgegeben werden musste,
denn es verlor jede Minute an Wert.
Das wertlose Geld diente später als
Spielzeug. Mit Banknoten, aber auch mit
Münzen haben die Sneps gespielt. 'Münzen'
war eines. Münzen, oft aus Aluminium,
wurden in Pyramidenform für jeden Spieler
auf den Tisch gelegt. Top 1, Basis 6. Ein
Wurf mit dem Würfel bestimmte, welche
50 Pfennig Münze aus 1921, mit der
Reihe weggenommen werden konnte. Wer
Aufschrift: Sich regen bringt Segen
all seine Münzen reingebracht hatte, durfte
anschließend bei anderen räubern; derjenige, der zum Schluss die meisten
Münzen hatte, war der Gewinner. Joop spielte dieses Spiel als Junge mit seiner
Familie und später auch mit den eigenen Kindern und Enkelkindern.
6
Als Joop etwa fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Koblenzerstraße um, wo
sie im oberen Stockwerk wohnten, mit der Werkstatt um die Ecke. Obwohl die
Zeit der Hyperinflation vorbei war, ging es wirtschaftlich weiterhin schlecht.
Dennoch kamen Aufträge herein. Ein Sonderauftrag war die Räumung der
ebenfalls an der Koblenzerstraße gelegenen Wohnung der Familie SchaumburgLippe. Als Andenken hat Peter Snep ein Florett der adligen Familie behalten, das
noch immer in Joops Besitz ist.
Als Joop sechs wurde, bekam er seine erste Laubsägeausrüstung zum Spielen,
von dem Augenblick an war er oft in der Werkstatt seines Vaters zu finden. Als
Zimmerlehrjunge oder um Einkäufe zu erledigen. Allmählich lernte er die Kniffe
des Schreinerfaches. Auch ging er zur Schule, zur Hindenburgerschule (einer
Jungensschule), wo sich herausstellte, dass er ein ausgezeichneter Schüler war.
Joop erinnert sich, dass er auf dem Weg zur Schule manchmal französischen
Soldaten begegnet ist. Westlich des
Rheins war Deutschland damals in
der Folge des Erste Weltkrieges
immer noch besetzt. Viele dieser
Soldaten waren Marokkaner aus der
Fremdenlegion. Mohren, so wusste
Joop, da macht man besser einen
Umweg.
Als Kind hatte Joop eine schwache
Gesundheit, zweimal hatte er eine
Lungenentzündung. 1930 - er war
damals noch keine zehn Jahre alt entschieden sich seine Eltern, es
Hindenburgschule in Bonn.
wäre an der Zeit, wieder in die
Unterste Reihe zweiter von rechts: Joop Snep Niederlande zurück zu kehren. Sie
fürchteten
den
Aufstieg
des
Nationalsozialismus, aber die wirtschaftliche Not war hoch gestiegen und Peter
und Gertrud hielten es für klug, in die Niederlande umzuziehen. Während Joops
Vater in die Schweiz ging, wo er vielleicht eine Anstellung finden könnte, reiste
seine Familie nach Amsterdam. Joop, der Gürtelrose hatte, wurde vom
Krankenhaus zum Bahnhof gebracht. In Amsterdam angekommen, konnten sie
vorübergehend bei einer Schwester von Joop in der Cabralstraat wohnen, aber
nicht lang danach - aus der Anstellung in der Schweiz wurde nichts - ließ sich die
Familie Snep in der Bestevâerstraat nieder, genau wie die Cabralstraat im
heutigen Bezirk Amsterdam-West. Joop sprach damals noch kein Wort
Niederländisch, denn zuhause in Bonn wurde Deutsch gesprochen.
Er hat die Sprache jedoch schnell aufgegriffen und weil er sie vor allem auf der
Straße hörte, führte das in der Klasse gelegentlich zu peinlichen Momenten. So
hat er einmal den Finger gehoben um zu fragen, ob er zur Toilette gehen durfte:
'Meister, darf ich scheißen?' Das brachte ihm einen Rüffel ein. Seine Eltern
wurden in die Schule zitiert und wurden gerügt. Die Schule war die römischkatholische Boomschule (Maria School) am Ende des Admiraal de Ruijterweg,
eine Distanz von gut einem Kilometer, die Joop täglich viermal laufen musste.
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Die Boomschule lag genau neben der Boomkirche,
die aus 1911 stammte und nach einem bereits im
sechzehnten Jahrhundert genutzte Schlupfkirche
in der Kalverstraat benannt worden ist. Diese
versteckte Kirche befand sich in einem Gebäude,
in dem vorher die Brauerei 't Boompje
untergebracht war. 1915 bekam die Pfarrgemeinde
Franciscus von Assisi De Boom, die bischöfliche
Genehmigung für den Bau der Boomschule, die
1916 fertiggestellt wurde.
In der Schule wurde Joop oft Mof geschimpft, den
Schimpfnamen für Deutsche. Nicht angenehm,
aber einer seiner Klassenkameraden, Hans Donk,
der die deutsche Nationalität hatte und schon gut
Die Boomkirche
eingebürgert war, verteidigte Joop. Bis zum Tod
von Hans haben sie den Kontakt gehalten. Joop konnte gut lernen und war in
Bonn immer Klassenbester gewesen. Das gelang in den Niederlanden natürlich
nicht sofort, aber in seinem letzten Jahr auf der Grundschule war er wieder die
Nummer eins. Eine Ehrenkarte zeugt von
Joops Fortschritte. Es war kein Wunder, dass
sowohl der Hauptschullehrer wie der Pastor
darauf drängte, dass Joop weiter lernen
sollte. Aber das war nicht drin, denn seine
Eltern konnten das schlicht und ergreifend
nicht bezahlen. Sie entschieden, dass Joop
zur römisch-katholische Handwerksschule
gehen sollte. Das wurde die Don Boscoschule, die jedoch erst noch fertiggestellt
werden musste. Somit war Joop gezwungen,
sich noch ein weiteres Jahr in der siebten
Klasse der Boomschule zu langweilen. Die
Don Boscoschule, gebaut auf dem ehemalige
Gelände der Oostergasfabrik, ist 2004 aufgrund von Problemen mit dem
verunreinigten Boden abgerissen. Dass Joop
niemals weiter lernen konnte, tut ihn nicht weiter
leid: 'Es war halt so, wie es war.'
Anfang der dreißiger Jahre wohnte Familie Snep in
der Reinier Claeszenstraat, nicht weit vom alten
Haus, wo sein Vater im Keller eine Werkstatt
hatte. Im Garten stand eine Reckstange, mit dem
Joop und sein zwei Jahre älterer Bruder Wim
Übungen machten. Das blieb nicht unbemerkt.
Herr Van de Wetering, Schatzmeister des
Gymnastikvereins Jong Leven hat die Jungs spitz
Roothaanhaus
gekriegt und lud sie ein, Mitglied im Verein zu
werden. Zu teuer für die Eltern. 'Macht nichts,' sagte Van de Wetering und zahlte
für sie den Beitrag. So kamen beide Brüder zum Roothaanhaus an der
Rozengracht, wo im dritten Stock alle Arten Turngeräte aufgestellt waren.
8
Das
römisch-katholische
Vereinsgebäude
Joannes
Roothaan bzw. Roothaanhaus wurde 1929 eingeweiht und
verdankt sein Name Pater Johannes Philip Roothaan, der
1785 im Jordaanviertel in Amsterdam das Lebenslicht
erblickte und 1829 zum General-Oberst des Jesuitenordens
aufstieg; er war der mächtigste Jesuit der ganzen Welt.
Das Gebäude bietet jetzt Platz für trendy Gastronomie und
Feste. Roothaan würde sich in seinem Grab umdrehen.
Joop turnte auf allen Geräten, war jedoch am besten an
der Brücke. Er trainierte unter der Leitung von Piet Olthof,
Vorsitzender von Jong Leven und Gymnastik-lehrer der
Boomschule. Joops kleine Gestalt - er maß 1.68 m und
war stark wie ein Bär - war vorteilhaft; fast alle guten
Turner sind klein. Er hat sich bei den Junioren so gut
gemacht, dass er bei den großen Jungs eingeteilt wurde,
wo sein Bruder, der immerhin 1.90 m lang war, bereits
turnte. Das geschah einige Wochen, bevor in dieser
Gruppe Wettkämpfe abgehalten wurden. Die ältere Jungs
übersahen Joop und versuchten, sich gegenseitig zu
übertrümpfen; aber halbwegs rief der Kamporganisator
Joops Mutter zu sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass Joop
bereits oben auf der Liste stand. Er gewann seine erste
Medaille und sollte noch zahlreiche weitere Preise
heimbringen.
Wie schon erwähnt, konnte Joop gut lernen. In der Werkstatt seines Vaters er
hatte er so viel Erfahrung gesammelt, dass er die Handwerksschule mühelos
schaffte. In Handzeichnen war er ein As. Auch jetzt ging Joop zweimal am Tag auf dem Fahrrad - zur Schule, weil der Groschen für die Schulpause für seine
Eltern zu teuer war. Ihm war die Schule sogar so wenig anstrengend, dass Joop
es überhaupt nicht schwerfiel, regelmäßig
zu schwänzen. Die Familie war umgezogen
und wohnte damals auf Leliegracht Nr. 7 in
einem
Haus,
das
teilweise
einem
Deutschen, Fred Klenne, einem Dreißiger,
der in Amerika gewohnt hatte und gut
Baseball spielen konnte, vermietet war.
Während der Zeiten in der Joop die Schule
schwänzte, brachte Fred dem lerngierigen
Joop auf der Gracht die Kunst des Werfens
bei. Auch nahm Fred ihn mit ins Ajaxstadion, wo Joop zusammen mit den
Ajaxspielern üben durfte. Erst später stellte sich heraus, dass Fred Klenne
Mitglied einer Bande von Autodieben war; das hat die angenehme Erinnerung am
Baseball jedoch nicht verdorben. Während des Sommerurlaubs der
Handwerksschule war das Roothaanhaus für Turnen geschlossen, Joop spielte
dann auf dem Feld des Fußballvereins The Unity allerhand Ballspiele. Handball
gehörte dazu, das war ein Sport, der gerade aus Deutschland rüber gekommen
war. Es fiel auf, dass Joop sehr hart werfen konnte und er wurde in ein Team von
Spielern von Jong Leven, die im Schnitt etwa zehn Jahre älter waren,
aufgenommen Joop hat noch lange Handball für Jong Leven gespielt.
9
Kapitel 2 Tischlern, Sport und Tanzen
Noch während seiner Zeit in der Handwerksschule lernte Joop einen Nachbarn,
Herrn Jacobs, kennen, einem Postboten, der zum Spaß Kasten für
Lautsprecherboxen des Drahtsenders fertigte. Joop half ihm dabei, und als
Jacobs 1937 eine Werkstatt begann, wurde
Joop von ihm eingestellt. Ein Wunsch
seines Vaters, der Joop nach dem
Abschluss der Handwerksschule Erfahrung
sammeln lassen wollte. Das Geschäft lief
gut und Joop hatte als Meisterknecht mit
seinen sechzehn Jahren im Grunde die
Führung über Jacobs und dessen Söhne,
die
noch
wenig
Ahnung
vom
Schreinerhandwerk
hatten.
Neben
Lautsprecherboxen ging das Unternehmen
dazu über, kompliziertere Produkte wie
Schallplattenschränke anfertigen. Für diese
Schallplattenschrank aus die Jahre 30
Schränke sägte Joop Furnier, das er auf die
Vorderseite klebte. Das machte er abends auf dem Dachboden nach dem Sport.
Für jedes Teil bekam er fünf Cent bis einen Groschen dazu und so verdiente er
jede Woche zwanzig bis fünfundzwanzig Gulden dazu - sein Lohn, das übrigens
nicht mehr als zehn Gulden betrug. Diesen Zehner gab er seinen Eltern, den Rest
durfte er behalten.
Während in Deutschland die Juden in die
Enge getrieben wurden, lief es Mitte der
dreißiger Jahre mit der Schreinerei von
Vater Snep nicht so gut. Das Geschäft
drohte in Konkurs zu gehen, als ein
großer Kunde ohne zu zahlen auf
Nimmerwiedersehen verschwand. Ein
Onkel von Joop, Alois Snep, der - wie
sich später herausstellte - für den
englischen Geheimdienst arbeitete und
damit viel Geld verdient hatte, konnte
glücklicherweise aushelfen. Dieser Alois
war 1914 schon einmal für Spionage
verhaftet worden.
Joops Vater riss das Ruder teilweise um,
indem er sich bei einem Busunternehmen, das Reisen nach Deutschland
Utrechts Nieuwsblad, 9 Juli 1914
organisierte, bewarb. Eine Form von
Freizeitbeschäftigung, die damals im Kommen war. Peter Snep wurde sofort als
Reiseleiter engagiert aufgrund seiner großen Kenntnisse von Europa und seines
perfekten Deutsch: 'Er sprach die Sprache besser als Niederländisch.'
10
Im August 1939 fuhr die Familie Snep in die Schweiz für einen Urlaub von drei
Wochen. Das war damals eine Ausnahme, aber sie konnten sich das leisten, weil
Joops Vater durch seine Funktion als Reiseleiter gute Beziehungen zu Schweizer
Hotels hatte; sie konnten dort umsonst übernachten.
Joop hatte im Voraus ordentlich
zugepackt, so dass er den ganzen
Urlaub mitfahren konnte. Sein
Bruder Wim kam eine Woche
später; dessen Verlobte fuhr auch
mit, zusammen mit ihrer Schwester,
Hetty Millenaar. Hetty war sechs
Jahr älter als Joop, mit dem sie eine
innige Freundschaft schloss; die
besteht noch immer, auch wenn sie
sich lange Zeit nicht begegneten.
Hetty
arbeitete
damals
in
Amsterdam
und
zusammen
Schaffhausen, Urlaub 1939. Vlnr: Joop, Hetty, machten sie oft einen Spaziergang
in der Mittagspause. Im Urlaub
Ria, Gertrud, Peter, Wim
reiste die Familie durch die ganze
Schweiz und Joop genoss in vollen
Zügen. Während die Eltern noch kurz in der Schweiz blieben, reisten die anderen
am 1. September 1939 mit dem Zug zurück, völlig in Unkenntnis der Tatsache,
dass die Deutschen genau an dem Tag in Polen einmarschiert waren und der
Zweite Weltkrieg angefangen hatte. In Köln musste die Familie umsteigen, das
war jedoch bei dem großen Gedränge nicht einfach und sie hatten große Angst,
dass sie nicht mehr in Niederlande zurückkehren konnten. Joop wusste in ein
Abteil einzudringen und schob das Fenster herunter, damals war das im Zug noch
möglich. Sein Bruder hob die Frauen dann hinein und drängte sich wie Joop in
den Zug. Sie kamen sicher in Amsterdam an.
Vor dem Urlaub hatte sich Joop bereits bei der Tanzschule Sandman an der Ecke
Ferdinand Bolstraat/Van Hillegaertstraat angemeldet. Es stellte sich heraus, dass
er gut tanzen konnte. Manchmal besuchte Joop seinen Patenonkel Joop Snep in
Eindhoven, der ein Tanzinstitut hatte. Beabsichtigt war, dass Joop diese Schule
später übernehmen würde. Leider ging es schief; Joops Onkel wurde 1943 wegen
Spionage verhaftet und nach Berlin
überstellt, ins Gefängnis gesteckt und zum
Tode verurteilt. Genau wie seine 185
Mithäftlinge haben ihn die Deutschen in
der Nacht vom 3. zum 4. September
aufgehängt.
Diese
Mordpartie
an
Häftlinge, die auf die Antwort auf ihr
Gnadengesuch warteten - eine der
Blutnächte von Plötzensee - wurde
vollzogen, nachdem die Alliierten das
Gefängnis bombardiert hatten.
Tanzinstitut Snep in Eindhoven
11
Weihnachtsball1939. Vorne vlnr: Hetty,
Joop, Wiesje.
Von dem Geld, das er mit dem Schneiden
der Vorderseiten der Boxen verdient hatte,
kaufte Joop einen Smoking, damit er
schick auf der Tanzfläche erscheinen
konnte. Es war Mode, in der Westentasche
des Smokings ein silbernes Zigarettenetui
zu tragen, dessen Rand klar sichtbar war.
Obwohl Joop sein ganzes Leben nie
geraucht hat, hat er dieses Ritual
mitgemacht. Nachdem er einer Zigarette
angeboten hatte, zündete er selbst eine
an, oder tat so, als ob. Dann verschwand
er sofort zur Toilette und warf die
Zigarette
weg.
Es
waren übrigens teure
Zigaretten, ägyptische,
von der Marke Dubec.
Joop hatte eine feste
Tanzpartnerin:
Wiesje
van Tilburg. Mit ihr und mit seiner
Freundin Hetty, die auch gerne tanzte,
ging Joop zu seinem ersten Weihnachtsball
im
Wintergarten
des
Grandhotels
Krasnapolsky.
Joop war in dieser Zeit sehr beschäftigt.
Tagsüber arbeitete er in der Schreinerei,
nach dem Essen gab es Sport und
meistens anschließend noch Furniersägen.
Am Montag von halb sechs bis halb elf
Turnen beim Verein ODIN (Onze Daad ist
Nodig: Unsere Tat ist erforderlich) wo er
unterrichtete.
Das
tat
er
in
der
Gymnastikhalle an der Passeerdersstraat,
heute bekannt als Jugendtheater De
Krakeling,
das
sein
Name
der
nahegelegenen Koekjesbrücke verdankt.
De Krakeling stammt aus 1887 und ist
gebaut, nachdem der Gymnastikunterricht
für
Jungen
und
ODIN Früstück. Hinten Joop Snep
Mädchen der Grundschulen Pflichtfach geworden war. Für den Entwurf haben
deutsche Turngebäude Pate gestanden. Bei ODIN war Joop
bereits
mit
achtzehn
Vorsitzender
der
technischen
Kommission, er organisierte dort das traditionelle jährliche
Frühstück.
12
Am Dienstag spielte Joop abends Tennis beim Verein Gold Star, ein vornehmer
Club, wo er als angehender Architekt introduziert wurde, weil er als Schreiner
vermutlich nicht akzeptiert worden wäre. Tischtennis am Mittwoch, den ganzen
Abend bei Jong Leven, aber auch für die Liga an andere Orten. Wieder Tennis am
Donnerstag und am Freitagabend Vorturnen im Roothaanhaus für Jungen und
Herren. Am Samstagnachmittag trainierte Joop mit seinem Handballteam,
abends ging er tanzen.
Der Sonntag stand im
Zeichen
des
Kirchenbesuchs und das Spielen
von
Handballturnieren.
Genau wie Tennis wurde
das draußen gespielt, auf
einem Fußballplatz mit
zwei Mannschaften.
Um die Zeit erfolgten in
der Sportwelt Fusionen
zwischen katholischen und
neutralen Sportvereinen.
Beim Fußball hatte dies
dazu geführt, dass die
katholischen Vereine am
Handballteam Amsterdam vom Katholischen Turnbunde.
Sonntagmorgen
spielen
Auf den Knien zweiter von links: Joop Snep.
mussten,
aber
dieses
Aufrecht im weissen Trikot: Wim Snep; 1941
Irrtum wurde vermieden,
als im Handball fusioniert wurde. Joops Bruder Wim spielte dabei als Mitglied der
Kommission, die den Zusammenschluss des Katholische Turnbundes und des
Niederländischen Handballverbandes vorbereitete, eine wichtige Rolle. Es wurde
festgelegt, dass Wettkämpfe von katholischen Vereinen am Sonntag nicht vor
12.00 Uhr anfangen durften. Somit hatten die römisch-katholischen Spieler
genügend Zeit, zur Messe zu gehen.
Durch diese Sportarten hatte Joop in dem Moment, als der Krieg die Niederlande
erreichte, eine eiserne Kondition. Es sollte ihm das Leben retten.
13
Kapitel 3 Krieg, Widerstand und Verhaftung
Auf seinen Reisen nach Deutschland für das Reiseunternehmen besuchte Joops
Vater in seiner Freizeit zahlreiche alte Bekannte aus der Zeit, als er in Bonn seine
Firma hatte. Es waren ehemalige Lieferanten von Materialien wie Leim, Lack und
Eisenwaren - unter ihnen viele Menschen jüdischer Herkunft. Um diese Juden in
die Niederlande zu bringen entwickelte Peter Snep ein schlaues System, das
funktionierte, weil die Grenzkontrollen damals noch nicht von SSlern, sondern
von Grenzbeamten durchgeführt wurden. Die waren nicht unbedingt darauf aus,
Juden festzunehmen. Beim Grenzübergang nutzte Peter einen Kollektivpass, d.h.,
von allen Insassen eines Touringcars waren die Personendaten auf einer Liste
notiert, die jedoch kaum kontrolliert wurde. Wenn ein Bus nicht voll besetzt war,
ergänzte Peter die Liste - die maximal vierzig Namen enthalten konnte - auf dem
Rückweg mit den Daten der Juden, die auf dem Rückweg in die Niederlande
mitfuhren. Peter Snep war bekannt und populär. Wenn er mit seinem Bus an die
Grenze kam, klang es oft: 'Ah, der Peter, weiter fahren!' Wie viele Juden auf
diese Weise in die Niederlande einreisen konnten, ist kaum zu schätzen, es muss
sich
jedoch
um
eine
erhebliche Anzahl gehandelt
haben. Von dieser Aktivität
seines Vaters wusste die
Familie nichts, auch Joop
hat das erst nach dem
Krieg erfahren.
Das Reich überfiel die
Niederlande am 10. Mai
1940. Am Tag darauf - die
Familie wohnte damals auf
der Blauwburgwal genau an
der
Ecke
mit
der
Herengracht - sammelte
Joop seine erste Kriegserfahrung. Er erinnert es
sich wie der Tag von
Der Bombenangriff nauf dem Blauwburgwal,
gestern. Er lief auf der
11. Mai 1940.
Prinsengracht und sah, wie
ein Flugzeug einige Bomben
fallen ließ; er fragte sich, wo die herunter kommen würden. Er rannte nach
Hause und sah zu seinem Erschrecken, dass die Bomben das Eckhaus
Herengracht 105 völlig zerstört hatten. Das Dachgeschoss im Haus der Familie
Snep, das einige Häuser weiter lag, war verschwunden und auch das Stockwerk
darunter hatte großen Schäden. Als er ins Wohnzimmer trat, fand er dort zu
seiner großen Erleichterung seine Mutter und Schwester von einigen leichten
Schrammen abgesehen unverletzt vor. Das Radio auf dem Tisch vor dem Fenster
spielte einfach weiter, trotz der Tatsache, dass ein durch den Luftdruck
reingedrückte Holztür den Apparat an der Vorderseite getroffen hatte und dort
stehengeblieben war, ein bizarrer Anblick.
14
Diese Bombe war keine Folge eines gezielten Bombenangriffs. Im Nachhinein
stellte sich heraus, dass ein vermutlich englischer Bomber in Not seine Bomben
abgeworfen hat um Höhe zu gewinnen; eine traf dabei genau die Stelle, wo Joop
wohnte. Die Familie Snep hat Glück gehabt, sie überlebte die Bombe, aber es
gab viele Tote. In den Geschichtsbüchern ist von etwa vierzig die Rede, aber
Joop, der bei der Beseitigung der Schäden behilflich war, hat viel mehr Tote
gezählt. Das Abräumen des Schütts war übrigens gar nicht so einfach. Die
Konstruktionen hoch oben an der Giebel der getroffenen Häusern, die zum
Hochziehen dienten, waren zerstört und der ganze Schütt musste somit die
Treppen hinunter getragen werden.
1952 wurde an der Stelle der verwüsteten Wohnungen von der Kaffeehandelsgesellschaft Matagalpa ein neues Gebäude errichtet. Vierzig Jahre später
enthüllte der Amsterdamer Bürgermeister Van Thijn an der Seite des
Herengracht dann ein Giebelstein: die Papiermühle. Dabei war Joop als einziger
derjenigen, die den Bombenangriff gesehen
bzw. überlebt hatten, anwesend. Der Stein
kommt aus der Fassade des Hauses des
Papierhändlers Pieter Haack am Damrak
und stammt aus 1649. Im Gebäude hatte
1992 das Werbebüro Wunderman WorldGiebelstein die Papiermühle
wide seinen Sitz, der Stein kam somit
wieder zur Papierverarbeitung zurück.
Unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges baute Joops Vater eine neue
Fluchtlinie für Juden auf, diesmal handelte es sich jedoch um den Transport von
Juden aus den Niederlanden über Belgien und Frankreich in die Schweiz; es
musste für falsche Papiere gesorgt werden. Er besuchte Juden, die in Gruppen im
Apollobezirk zusammen kamen und die über die Grenze wollten, notierte ihre
Daten, die er dann beim Widerstand bracht. Innerhalb einiger Wochen waren die
falsche Papiere fertig. Weil dies viel Zeit in Anspruch nahm, bat Vater Snep
seinen Sohn Joop, ihm dabei zu helfen. Auch
wurde Joop dabei eingesetzt, die Juden zur
belgischen Grenze zu begleiten. Drei oder
vier Menschen reisten gleichzeitig mit Joop
per Zug nach Eijsden in Limburg, wo auf der
Grenze ein Bauernhof lag - mit der Vordertür
in den Niederlanden und die Hintertür in
Belgien. Vor dem Bauernhof lag ein Stück
Land auf niederländischem Gebiet, das an
einem Weg grenzte, an dem eine Kneipe
stand. Für die Flüchtlinge war es eine Art
Haltestelle; sie warteten dort, bis es dunkel
Büro Jüdische Angelegenheiten
wurde. Anschließend brachte Joop sie einzeln
zum Bauernhof, wo sie auf der anderen Seite abgeholt werden sollten. Von wem
und wie wusste Joop nicht. Bei seiner Arbeitsstelle in der Firma Jacobs wusste
keiner etwas davon. Seine Abwesenheit - Joop war manchmal zwei bis drei Tage
in der Woche unterwegs - rief keine Verwunderung hervor. Denn Joop war sehr
mit seinem Sport beschäftigt, zudem war er im Grunde der Chef des
Unternehmens. Dennoch ging es schief.
15
Im Juni 1942 meldete sich jemand bei Joop, der es sehr eilig hatte und sagte, er
brauche nicht auf falsche Papieren zu warten. Der Mann gab an, er kenne zwei
Agenten der Amsterdamer Polizei, die mit ihm nach Eijsden reisen konnten und
bei einer Kontrolle sagen würden, sie hätten einen Häftling dabei. Während der
Reise versuchten die Polizisten, Joop darüber aus zu horchen, wie alles vor sich
ging, aber er reagierte nicht und erzählte ihnen nichts Wichtiges. Nachdem alle
Flüchtlinge in der Kneipe abgeliefert waren, reisten die beiden ab Richtung
Amsterdam, Joop brachte seine 'Kunden' zum Bauernhof.
Am nächsten Morgen warteten die Polizisten Joop am Zentralbahnhof in
Amsterdam auf und spazierten ein Stück mit ihm zusammen. Als sie den
Polizeipost am Bahnhof passierten, griffen sie Joop und zerrten ihn herein. Das
war schlau, denn eine Verhaftung im übervollen Bahnhof wäre wahrscheinlich
nicht gelungen. Joop: 'Ich bin davon überzeugt, dass es mir gelungen wäre, mich
loszureißen und in der Menge zu entkommen.'
Einmal in der Wache musste sich Joop völlig nackt ausziehen. Er wurde mit
einem Knüppel verprügelt und vernommen, sagte jedoch nichts. Danach kam er
ins Bureau Jüdische Angelegenheiten an der Nieuwe Doelenstraat 13. Bei Ankunft
sah Joop von der Vordertür aus, wie am Ende eines langen Flures eine Tür
geöffnet wurde; zu seinem Erschrecken sah er, dass im Zimmer dahinter seine
Mutter und Schwester saßen. Ob das nun Zufall war oder Absicht - Joop glaubt,
es war beabsichtigt; die Idee, dass die Deutschen seine Familie in der Gewalt
hatte, ließ ihn das Allerschlimmste
vermuten. Andere waren für vergleichbare
Vergehen erschossen worden. Es folgte
eine zweite Vernehmung und erneut
Dresche, und wieder hielt er den Mund.
Einige Tage verbrachte Joop auf der
Polizeiwache
an
der
Elandsgracht.
Eingesperrt in einer kleinen Zelle mit noch
vier anderen Häftlingen hing er ein
bisschen gegen die Wand. Völlig lahm
geschlagen, konnte er nicht einmal sitzen.
Offensichtlich war es den Deutschen klar
geworden, dass Joop ihre Sprache perfekt
beherrschte. Das war der Grund, dass er
im Gebäude des Sicherheitsdienstes in der
damaligen Euterpestraat dem Leiter der
Gebäude des Sicherheitsdienstes
SD, Willy Lages, vorgeführt wurde. Lages
war freundlich, entschuldigte sich für das
brutale Vorgehen der Polizei und bot ihm ein Glas Wein und eine Zigarette an, die
Joop nicht akzeptierte - um seinen Häftling dann ein Kompliment mit seiner
Kenntnis der deutschen Sprache zu machen und ihn zu fragen, ob er nicht für die
Deutschen arbeiten wollte. Natürlich hat Joop sich geweigert. 'Abführen', war
Lages' Reaktion. Danach wurde Joop zum Gefängnis an der Havenstraat
überführt, wo er eine Zelle mit vier Mithäftlingen teilte - unter ihnen ein
Einbrecher, ein Anwalt und ein Seemann. Der Seemann brachte den anderen bei,
wie man aufwischen musste damit die Zelle sauber blieb.
16
Zusammen mit seinem Vater, der ebenfalls
verhaftet worden war, wurde Joop dann ins
Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort bzw.
PDA überführt. Das fungierte nicht nur als
Durchgangslager zur Weitertransport nach
Deutschland, sondern war auch ein Arbeitsund Straflager, wo verhaftete Untertaucher
arbeiten mussten bis zum Transport in ein
Durchgangslager Amersfoort
anderes Lager oder zum Arbeitseinsatz im
Reich. Bei Ankunft im Lager musste man alles
ausziehen und wurden uralte Uniformen der niederländischen Armee verteilt. 'Mit
einer Tondöse schoren sie eine Haarbahn mitten auf dem Kopf. Von dem
Augenblick an war man eine Nummer und bekam man ein Stofffetzen, den man
auf die Uniform nähen musste.'
Juden
trugen
den
bekannten
gelben
Davidstern,
Joop
bekam
als
politischer
Gefangene
ein
rote
Dreieck,
Schwarzgeldhändler ein schwarzes, Einbrecher ein
grünes, Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas ein
lila und Schwule eine rosa Dreieck. Wer zum
Tode verurteilt worden war, trug einen roten
Zirkel oder Ball auf dem Rücken, im Grunde
eine Art Schießscheibe. Wenn einer dieser
Häftlinge zu nah an die Absperrung kam, wurde
ohne weiteres erschossen.
Schiessbahn Amersfoort
In Gruppen von 20 bis 40 Mann wurde außerhalb des Lagers marschiert, auch
mussten die Häftlinge Steine von der einen auf die andere Seite der Straße
schleppen, um sie am nächsten Tag wieder zurückzutragen: das Steinekommando, ausschließlich dazu erdacht, die Gefangenen zu ermüden und zu
zermürben. Von diesem Weg, dem späteren Loes van Overeemlaan, ging 1943
eine Schiessbahn von 320 Meter Länge ab, zwischen Erdwallen vom
ausgegrabenen Sand. Der Stellvertreter des Lagerkommandanten war der gefürchtete Joseph Kotälla.
Das Schleppen mit den Steinen fiel Joop nicht sonderlich
schwer, aber für viele der ausgemergelten Häftlinge war es
unmöglich. Einer von ihnen war der damals schon 67jährige Monne de Miranda, ehemaliger Beigeordneter der
Stadt
Amsterdam,
der
genau
wie
Joop
beim
Steinekommando eingeteilt worden war. 'Ich sah, dass
Menschen wie De Miranda das nicht schafften, nach meinem
Abtransport ist er dann auch zusammengebrochen und von
Monne de Miranda
den SSlern von Kotälla unheimlich getreten worden. Sie
1875-1942
hievten ihn in einen Schubkarren und kippten ihn vor dem
Hang der Schiessbahn. Am Ende des Tages holten ihn Mithäftlinge zum Appell,
danach haben ihn die Bewachern im Waschlokal nochmal zusammengeschlagen.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass er gestorben war.'
17
Einige Tage nach Ankunft von De Miranda gingen Vater und Sohn Snep wieder
auf Transport. Alle Häftlinge bekamen ein Brot für unterwegs. Joop ging klug vor
und aß jedes Mal nur eine oder zwei Schnitte, aber es gab Häftlinge, die
dermaßen ausgehungert waren, dass sie all ihr Brot sofort aufaßen. Das haben
sie bereut, denn der Transport sollte noch Tage andauern. De erste Tag ging es
mit dem Zug (ein ganz normaler Zug,
keine Viehwaggons), zum Gefängnis in
Düsseldorf, wo sie in mit Holzpritschen
ausgestatteten Zellen für einige Nächte
untergebracht
wurden.
Der
nächste
Abschnitt
war
per
Lastwagen.
Die
Häftlinge wurden einfach rein gepfercht,
beim Zuschlagen der Hintertüren achteten
die Deutschen nicht darauf, ob ein Hand
oder Fuß eingeklemmt wurde. Joop: 'Das
Berlin Alexanderplatz, 1941
Krachen der Knochen klingt mir noch
immer in den Ohren.'
Schließlich ging es weiter nach Berlin, wo
der Zug auf dem Alexanderplatz anhielt.
Die
Häftlinge
wurden
von
einigen
Hunderten Schupos, Beamte der Schutzpolizei, die mit der Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung in den deutschen
Großstädten beauftragt waren, bewacht.
Gefesselt an den Handgelenken der
Schupos bildeten die Häftlinge lange
Häftlinge unterwegs nach
Menschenketten, die sich zur anderen
Sachsenhausen
Seite des Platzes in Bewegung setzten, wo
das Polizeipräsidium stand. Dort wurden
sie in einen fürchterlich heißen Keller geschoben, wo es vor Läuse nur so
wimmelte. Auf Straßenhöhe waren schmale
Fenster. Es gelang Joop, mit seinem in einem
Handtuch gewickelten Kopf - er hatte eins dabei eines dieser Fenster einzuschlagen. So konnte
etwas frische Luft herein kommen.
Konzentrationslager
Sachsenhausen
Mit der Straßenbahn ging es dann zum Bahnhof
von Oranienburg, von dort liefen die Häftlinge
zum Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort
kamen sie am 28. Oktober 1942 an. Joop hatte
die lange Reise aus den Niederlanden überlebt
und hatte am letzten Reisetag noch ein einziges
Stückchen
Brot
übrig. Aber viele
seiner
Mithäftlinge starben während der furchtbaren
Fahrt. 'Sie starben wie die Fliegen.'
18
Kapitel 4 Sachsenhausen
Nach Ankunft in Sachsenhausen wurden alle
Häftlinge vollständig kahlrasiert. Danach
mussten sie sich in einem Zebra-Anzug
hüllen, auf dem - genau wie in Amersfoort zusätzlich zur Personsnummer auch ein
Dreieck genäht werden musste. Das zeigte,
zu welcher Kategorie ein Häftling gehörte.
Am zweiten Tag wurden Joop und sein Vater
im Schuhläuferkommando eingeteilt, was
beinhaltete, dass sie jeden Tag von sechs
Häftlinge in Sachsenhausen
Uhr morgens bis fünf Uhr abends auf allen
möglichen Schuhen marschieren mussten.
Diese Schuhe waren u.a. von der Salamanderfabrik in Kornwestheim produziert.
Die testeten ihre Schuhe zwar auch in ihrem Fabrikgelände, ließen das jedoch
auch gerne von Häftlingen in Sachsenhausen tun.
Im Schuhkammer befanden sich Regale mit Militärschuhen, normale Schuhe,
Stiefel, Sandalen usw. Die Häftlinge mussten ihre Schuhgröße angeben und
bekamen dann von einem Mithäftling jeder ein Paar für sich auf den Tisch
geschmissen. Wer sich traute zu sagen, dass ein Paar Schuhe ihm nicht gefiel
oder nicht passte, kriegte sofort einen Tritt oder einen Schlag von einem SSler.
Joop erinnert sich, dass die Häftlinge beim Fehlen von Socken Lappen um ihre
Füße wanden oder die Schuhe über ihren nackten Füssen anzogen. Anschließend
Abmarsch zum Appellplatz, wo sie sich in Reihen von etwa zwanzig Mann
aufstellten, dann konnte das Zählen seinen Anfang nehmen. Nummer eins der
ersten Reihe fing an zu zählen: 'Eins', bis das Ende der Reihe erreicht war. Dann
die zweite Reihe, usw. Die Summen der Reihen wurden notiert und
zusammengezählt, danach begannen die
Häftlinge an ihre endlose Märsche. Sie
marschierten über einer speziell dazu
angelegte Schuhprüfstrecke, einem Streifen
von 700 Meter Länge rund um den
Appellplatz, mit verschiedenen Arten Belag
wie Beton (58%), Schlacken (10%), Sand
(12%), Lehm, (8%), Schotter (4%), Kies
(4%) und Pflastersteine (4%). Es war ein
Durchschnitt aller europäischen Straßen, die
Salamanderfabrik
die
deutschen
Soldaten
bei
ihren
Eroberungen nutzen sollten. Durch Wind und
Wetter liefen die ausgemergelten Männer in Marschtempo an die 40 Kilometer
pro Tag, dabei mussten sie deutsche Lieder singen. 'Der heutige Vier-Tages-Lauf
der Stadt Nijmegen ist im Vergleich dazu Kinderspiel', so Joop, der hinzufügt,
dass manchen Häftlinge auch noch
einen mit Steinen gefüllten Rucksack
umgehängt wurde. In Joops Zeit liefen 120 Häftlinge auf diese Weise täglich etwa
4.000 Km. Jeden Tag bekamen die Häftlinge andere Schuhe, um individuelle
Effekte auf den Zerschleiß aus zu schalten. Teils verschlissene Sohlen wurden
repariert und erneut genutzt, bis sie völlig verbraucht waren. So konnten die
Deutschen für jede Art von Material berechnen, wievielte Kilometer damit
gelaufen werden konnte.
19
Die Einteilung zum Schuhkommando bedeutete eigentlich ein verkapptes
Todesurteil. Täglich fielen dabei 10 bis 20 Häftlinge um, sie wurden
zusammengeschlagen oder direkt mit einem Nackenschuss erledigt. Mithäftlinge
mussten die Leichen auf einen Holzkarren laden und zum Krematorium bringen.
Täglich kontrollierten die Bewachern, ob
niemand
entflohen
war.
Wenn
sich
herausstellte, dass es einem Häftling
gelungen war, zu fliehen, dann mussten die
anderen genau so lange warten, bis die
SSler ihn gefasst hatten. 'Wir mussten
einmal stundenlang in der Kälte und im
Regen auf dem Appellplatz stehen, weil sich
der Flüchtling gut versteckt hatte.' Das
Essen war sehr schlecht und bestand aus
Joop auf die Schuhprüfstrecke, 2010 nicht mehr als zwei Schnitten Brot und einer
Schale wässriger Kohlsuppe. Kein Wunder,
dass Joop rasch an Gewicht verlor; bei Ankunft wog er 72 Kilo, nach einigen
Monaten nur noch 49.
Vier Wochen später wurden Fachleute gesucht, die sich für die Erledigung von
allerhand Reparationsarbeiten melden sollten, denn zu der Zeit wurde Berlin
ordentlich bombardiert. Joop und sein Vater landeten im Lager Lichterfelde an
der Wismarer Straße in Berlin, einem Außenlager von Sachsenhausen, das streng
bewacht wurde. Erst bauten sie dort Baracken, aber danach mussten sie
außerhalb des Lagers auf einem Bauplatz an der Brahmsstraße arbeiten. Dieses
Werksgelände war nicht umzäunt, und das
bedeutete, dass sich drumherum ein Ring
von SS-Bewachern befand, der nicht
durchbrochen werden durfte.
Vater und Sohn Snep mussten in einer
gesonderten Werkstatt Werkzeug reparieren:
kaputte hölzerne Stielen von Hammern oder
Barakkenlager Lichterfelde
Spaten ersetzen und dergleichen. Mit
primitiven Mitteln sägten sie diese aus Holz,
das von Deichseln von Pferdenkarren stammte. 'Wir hatten eben mazzel, eine
gehörige Portion Glück, erzählt Joop, 'denn wir konnten drinnen arbeiten,
geschützt gegen Kälte und zudem durften die SSler nicht herein' - denn dann
wäre der Bewachungszirkel durchbrochen worden. Die Werkstatt hatte ein
Fenster, davor ständig SSler, die Wache standen. Eines Tages klopfte ein
Bewacher auf das Fenster. Joop öffnete die Tür, woraufhin der Deutsche zu Joops
Erstaunen bat, das Spielzeugwägelchen seines Sohnes zu reparieren. Es war ein
Rad abgebrochen; so eine Reparatur war für Joop natürlich einfach. Als
Belohnung bekam er etwas Brot. 'Nicht alle SSler waren Schuften', sagt Joop.
'Manche hatten sich aus Idealismus zur SS gemeldet, fühlten sich dann im
nachhinein schwer enttäuscht und benahmen sich nicht allzu sehr daneben.'
Auf den Lastern, mit denen die Häftlinge im Stehen zur Arbeit gebracht wurden
wie Heringe in einer Tonne, saßen die Bewachern auf einer Holzbank. Das
brachte Joop auf eine tolle Idee.
20
Der Holzvorrat im Lager Lichterfelde war durch einen Zaun gesichert, aber Joop
hatte den Schlüssel und es gab niemals Kontrollen. Er klaute ein Brett aus dem
Vorrat, sägte es passgenau und nagelte es auf der Bank in den Lastern. Ob die
Bewachern nun auf einem oder auf zwei Brettern saßen, bemerkten sie nicht. Am
nächsten Tag wiederholte Joop dies und in der Barak zimmerte er die Bretter zu
einer Bank. Also mehr Bequemlichkeit für
die Häftlinge, denn Banken fehlten an allen
Ecken und Enden.
Die nächste Arbeitsstelle für Joop und seinen
Vater gab es im Sanitätshauptamt an de
Knesebeckstraße, dem medizinischen Hauptquartier der SS, wo sie mit Hilfe von zwei
russischen jungen Männern Reparaturen an
Türen und Fenstern ausführten. Ihre
Bewachern waren zwei junge Österreicher,
Transport Häftlinge in Lastwagen
'die schon in Ordnung waren'. Es entstand
sogar eine gewisse Beziehung zwischen den Häftlingen und den Bewachern, 'Wie
verrückt das vielleicht auch klingen mag', sagt Joop, 'sie waren wirklich nicht
böse'. Eines Tages saßen die Österreicher im Keller, in dem Joop und sein Vater
bei der Arbeit waren, entspannt auf einer Kiste und hatten ihre Gewehre an die
Wand gelehnt. Durch das Fenster auf Straßenhöhe sah Joop plötzlich die
glänzenden Stiefel von SSlern, die offensichtlich auf Kontrollgang waren. Schnell
schob Joop den dösenden Österreichern ihr Gewehr in die Hände, gerade noch
rechtzeitig. Die SSler die reinkamen, stellten fest, alles sei in Ordnung und
verschwanden wieder. Wenn die Österreicher
bei Nachlässigkeit ertappt worden, dann
hätte das für sie selbst, aber auch für die
Häftlinge zweifellos böse Folgen gehabt.
Joop kam so gut mit seinen Bewachern aus,
dass sie ihn losschickten, an der anderen
Straßenseite in der Küche des Sanitätshauptamtes Essen für sie zu holen. Das war
kein Problem, denn Joop konnte in seiner
Ehemalig SS-Sanitätshauptamt
Gefängniskleidung
und
mit
seinem
kahlrasierten Kopf sowieso nicht fliehen. Joop ließ einen kleinen Kessel mit den
Resten die in den großen Kesseln zurückgeblieben waren, auffüllen. 'Das Beste
vom Essen gab es unten in den Kesseln, es sackte nach unten.' Später ließ er
einfach einen großen Kessel füllen: 'Ich habe mich vollgefressen.'
Bevor die Häftlinge von Lichterfelde aus zu ihrer Werkstatt gebracht wurden, gab
es natürlich Appel, genau wie in Amersfoort und Sachsenhausen. Joop hat sich
total erschrocken, als eines Tages beim Appell seine Nummer ausgerufen wurde.
Das hieß zum Rapport kommen. 'Ich dachte, dass sie den Holzdiebstal entdeckt
hatten, dafür konnte man Stockschläge bekommen.' Zum Rapportführer:
'Häftling Nummer 52058 meldet sich.' Zu seiner enormen Überraschung hörte
Joop, dass er nach Sachsenhausen gehen sollte um seine Sachen abzuholen und
dass er sich in Amsterdam für den Arbeitseinsatz anzumelden hatte.
21
Bereits 1942 war allen Kommandanten der Konzentrationslager den schriftlichen
Befehl der SS erteilt, Häftlinge, die im Lager nicht strikt erforderlich waren, in die
Heimat zurück zu schicken.
Joops erste Reaktion auf den Befehl, nach Amsterdam zurück zu kehren, war:
'Und wie geht es jetzt weiter mit meinem Vater?' Daraufhin bekam er sofort
einen schweren Tritt eines Bewachers. 'Man hatte nichts zu fragen, nur Befehle
zu gehorchen.' Am 7. Mai 1943 verließ Joop das KZ.
22
Kapitel 5 Untertauchen in Amsterdam
Nachdem die Niederlande von den Deutschen besetzt worden war, übten die
Geschäftsgruppe
Sozialverwaltung
des
Reichskommissariats
und
das
Sozialministerium immer mehr Druck auf Arbeitslose aus, Arbeit in Deutschland
zu akzeptieren, unter Androhung einer Sperre des Arbeitslosengeldes. 1941/42
wurden Betriebe 'ausgekämmt', d.h. sie mussten einen Teil des Personals für den
Arbeitseinsatz zur Verfügung stellen. Im Mai 1943 wurde die Einziehung der
Jahrklassen 1920-1924 für den Arbeitseinsatz verkündet; auch Studenten, die
nicht die Loyalitätserklärung unterschrieben hatten, galten als arbeitslos und
mussten nach Deutschland gehen.
In Deutschland bestand bereits seit Beginn des Hitlerregimes der
Reichsarbeitsdienst, ein Pflichthalbjahr im Arbeitsdienst für Männer zwischen 18
und 25 Jahren, für Frauen war es freiwillig. Unter dem Motto 'Mit Spaten und
Ähre' zogen diese jungen Menschen durch Deutschland um Sümpfe trocken zu
legen, Bauland zu erschließen oder beim Bau des Autobanen und des Westwalls
zu helfen. Diese Maßnahme war
ursprünglich dafür gedacht, die hohe
Arbeitslosigkeit
zu
bekämpfen,
entwickelte sich jedoch schon bald zu
einer Instanz zur Förderung von
nationalsozialistischen
Erziehungsidealen,
zum
'Ehrendienst
am
deutschen Volke'. Ab 1939 war der
Arbeitsdienst auch für Frauen Pflicht;
sie arbeiteten als Haushaltshilfe, in
der Landwirtschaft oder machten
ehrenamtliche Arbeit: die Arbeitsmaiden. Die Männer wurden mehr und mehr zur
Unterstützung der Wehrmacht eingesetzt. Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach,
hat der deutsche Arbeitsmarkt bereits Niederländer angezogen, die im eigenen
Lande keine Arbeit finden konnten - es war Krise und es gab sehr viele
Arbeitslose, und die hatten es außerordentlich schwer, ihre Familie
durchzubringen. Passende Arbeit war eben auch Arbeit über der Grenze.
Und so ging Joop nach Hause, übrigens ohne Bewachung. 'Von al dem Essen
hatte ich einfach ein dicken Kopf bekommen.' Ganz alleine mit Straßenbahn und
Zug in die Niederlande - als er sich dann in Berlin auf dem Weg machte, wurde er
sich schon bald bewusst, wie scharf die Bewachung geworden war. Weil er warten
musste bis der Zug abfahren würde, spazierte Joop im Bahnhof ein wenig herum.
Die Gestapo hielt ihn sofort an; 'Das war nicht unlogisch, denn was macht ein
junger Mann in einem ordentlichen Kostüm an der Stelle?' Joop wusste jedoch zu
erklären, was es damit auf sich hatte und stieg in den Zug. Einmal zuhause,
musste er sich sofort melden und wurde dann zur Handwerksschule an der
Meeuwenlaan in Amsterdam-Nord geschickt. Er sollte in einem Schnellkurs von
einigen Wochen zum Metallarbeiter ausgebildet werden. Der Direktor der
Handwerksschule hatte die Angewohnheit, die Schüler zu informieren, wann sie
vom Besatzer nach Deutschland geschickt werden sollten. Als Joop hörte, dass er
an der Reihe war, berief er sich auf medizinische Gründe und zwar mit einem
Brief, den Joop von einem Arzt des Wilhelmina Gasthuis bekommen hatte: Er
sollte an der Nase operiert werden, weil er ständig erkältet war.
23
Die im Atlanta-Gebäude an der Stadhouderskade ansässige deutsche
Kommission, die mit der Aussendung von Arbeitern beauftragt war, zeigte sich
jedoch nicht beeindruckt: 'Mit diesem Brief kannst du genauso gut nach
Deutschland' und Joop wurde aufgerufen, los zu fahren. Das hat er jedoch nicht
gemacht. Die Gestapo stand schon sehr bald vor der Tür des Elternhauses, um
ihn fest zu nehmen. In dem Moment warnte ein Nachbarmädchen Joop. Er ließ
sich umgehend im Weesperpleinkrankenhaus aufnehmen um dort operiert zu
werden, mit Unterstützung des Leiters der GGD, Professor Tuntler. Dieser
Operation hat Joop seine Boxernase zu verdanken, denn die Nasenscheidewand
wurde entfernt und nicht, wie heute üblich, durch eine von Kunststoff ersetzt. De
Gestapo ließ nicht locker, nach einem zweiten Aufruf, sich zu melden tauchte
Joop unter.
Vor dem Krieg hatte Joops Vater ein Lager an der Prinsengracht 204 gemietet.
Das war ein geeigneter Tauchplatz. Zudem konnte Joop dort seine Arbeit als
Schreiner weiter ausführen. Es gab dort noch zwei andere Untertaucher, John
Wagenaar und Henk Ottenga. Henk war Zeichner, John Konditor. Henk war mit
Annie, einer Nichte von Joop, verlobt. Nach dem Krieg wurde John Chef in der
Konditorei der Familie Schäfer. 'Die Familie Schäfer wohnte bei uns um die Ecke
und ich habe Jan (den späteren Beigeordnete und Staatssekretär) aufwachsen
sehen.' Die drei Untertaucher kamen gut miteinander aus. Wenn Gefahr drohte,
versteckten sie sich unter dem Boden. 'In der Mitte der Arbeitsräume gab es eine
kleine Treppe nach unten, die entfernt werden konnte; wenn man unter den
Boden gekrochen war, zog man sie wieder an seine Stelle und sicherte man sie
mit einigen großen Riegeln.' Joops Schwester brachte ihnen immer das Essen.
Gefängnis an der Weteringschans
Zum Erstaunen der Familie
kehrte Vater Snep Weihnachten
1943 nach Amsterdam zurück.
Wie das passieren konnte, ist
niemals
klar
geworden.
Vielleicht hat ein hoher Offizier
des Sanitätshauptamtes, mit
dem sich Peter Snep während
der Arbeit gut verstanden hatte,
nachgeholfen. Dieser Offizier
war möglicherweise ein Sympathisant von Von Stauffenberg,
dem Mann, der am 20. Juli 1944
ein (gescheitertes) Attentat auf
Hitler verübte.
Joops Vater meldete sich wieder
beim Widerstand, wurde jedoch als zu alt für aktive Teilnahme betrachtet. Er war
jedoch involviert beim Überfall auf das Gefängnis, das Huis van Bewaring an der
Weteringschans zu Amsterdam in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1944. Peter
Snep wusste, dass im Gefängnis ein niederländischer SSler als Gefängniswärter
arbeitete, der vermutlich etwas für den Widerstand tun wollte.
24
Es handelte sich dabei um Jan Boogaard, der nach einer Verwundung an der
Ostfront in die Niederlande zurückgeschickt worden war. Peter gab diese
Informationen an die Widerstandsgruppe weiter, es schien ein goldener Tipp zu
sein. Man zögerte zunächst noch, dann wurde jedoch entschieden, es mit
Boogaard zu versuchen. Nach dem Überfall sollten sich die neunzehn
Widerstandskämpfer in der Werkstatt der Sneps melden. Sie hatten alle einen
Schlüssel bekommen. Der Angriff wurde ausgeführt, aber Boogaard hatte alles
Willy Lages verraten, dessen Mannschaften die Widerstandskämpfer mit
Maschinengewehren
erwarteten.
Der
ungleiche Kampf war schnell zu Ende.
Fast alle Teilnehmer am Überfall wurden
verhaftet und hingerichtet. Nur einer von
ihnen, Jaap Haarsma, wusste mit einer
Schusswunde im Bein die Werkstatt zu
erreichen. Boogaard ist nach dem Krieg
zum Tode verurteilt.
Prinsengracht 204 diente auch als Lager für die illegale Zeitung Je Maintiendrai
und Lebensmittel und Kohle, die für die Teilnehmer am Bahnstreik, der von
September 1944 bis zur Befreiung gedauert hat, bestimmt waren. Joops Vater
organisierte die Verteilung im Auftrag von Je Maintiendrai. Die Werkstatt wurde
durch Schiffe, die in der Gracht fuhren, beliefert, danach sorgten Kuriere für die
Distribution.
Joop arbeitete vom Anfang seiner Untertauchperiode bis zum Ende des Krieges
einfach weiter in der Schreinerei seines Vaters und verdiente gutes Geld. Ein
Bekannter der Familie Snep aus der Zeit, in der sie auf der Blauwburgwal
wohnten, hatte einen riesigen Vorrat Lampenhalterungen aufgekauft und bat
Joop, in den Holzarmen ein Kanal für die Bedrahtung anzubringen und die
Lampen fertig zu stellen. Pro Lampe brachte das Joop 10 Gulden ein, so
verdiente er bis zu 100 Gulden pro Woche zusätzlich - damals eine
Riesensumme.
Manchmal war es ungeheuer spannend. Joop erinnert sich an einen außerordentlich heißen Tag, an dem die Fenster weit offen standen, d.h. sie wurden hoch
geschoben bis sie sich verklemmten; die Gegengewichte fehlten. Nachts kühlte
es ein wenig ab und dann kam mit einem fürchterlichen Krach ein Fenster
herunter. Die drei Untertaucher flogen aus ihren Betten, aus Angst vor einen
Bombenangriff. Auch weiß Joop noch gut, wie sie im Winter von 1943 zu Dritt
den Baum gegenüber der Werkstatt umsägten, um Brennholz zu bekommen.
Mitten in der Nacht gelang es ihnen,
im Erdedunkeln den Baum um zu
sägen. Sie zogen ihn mit dem Stamm
nach vorne in die Werkstatt. 'Wir
dachten, dass die Krone schon durch
die Tür passen würde, aber auf einmal
blieb alles stecken'. Und dann
geschah, vor dem sie Angst gehabt
hatten: Es nahte ein Streifen weißes
Licht von einer Fahrradlampe.
Fahrradlampe aus dem Zweiten Weltkrieg
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Der Fahrradfahrer, der natürlich fast nichts sehen konnte, fuhr mit hoher
Geschwindigkeit in die Baumkrone und stellte zur Erleichterung der Untertaucher
nur in affektiertem Ton fest: 'So, hier wird ein Baum organisiert'; danach zog er
sein Fahrrad aus den Baumblättern und fuhr weiter.
Der Baum wurde schließlich herein gezerrt und von Henk und John, die die Zeit
an sich hatten, zerkleinert. Henk Ottenga machte von einem Teil des Holzes
einen bequemen Sitz, so dass er in aller Ruhe den Rest des Holzes mit einem Beil
zu Brennholz hacken konnte. Eine Arbeit, auf die er sich sehr freute, aber gerade
an dem Tag kam Joops Vater vorbei, der sich sofort an die Arbeit machte. Henk
war sauer, wollte aber Vater Snep nicht vor dem Kopf stoßen.
Über der Werkstatt wohnte eine Frau, die in Joops Augen bereits sehr alt war. Sie
versicherte den Untertauchern, sie würde immer gut aufpassen, dass kein
Einbrecher sein Unwesen trieb. Sie sagte ihnen, es sei auf der Gracht immer sehr
ruhig gewesen. Stocktaub also, war Joops Schlussfolgerung: 'Als wir den Baum
reinholten, fegten die Zweige einen großen Haufen Lampenhalterungen, die am
Fenster gestapelt waren um; das verursachte einen Höllenlärm. Die Nachbarin
hatte jedoch nichts bemerkt.' Kurz nach dem Krieg hörte Joop, sie sei
verstorben; es stellte sich heraus, dass sie erst 69 war. 'Nun ja', sagt Joop, 'sie
war so ein echtes altes Weiblein, ein bisschen krumm, mit einem Kopftuch ... .'
Der Niederländische
Ministerpräsident Gerbrandy
Joop kann sich natürlich noch gut erinnern,
dass am 5. September 1944 plötzlich Berichte
über eine kurz bevor stehende Befreiung
aufkamen. Er kramte das Radio, das unter dem
Boden der Werkstatt verborgen war, hervor,
stieg auf sein Fahrrad und radelte mit dem
Radio auf seinem Lenkrad pfeifend und singend
zu seinem Elternhaus in der Trompstraat überall begeisterte Menschen, die Deutschen
legten ihm keinerlei Schwierigkeiten. Auf der
Rozengracht kam ihm ein Mädchen entgegen,
das Mitglied im Turnverein war. Sie winkte ihm
zu und rief fröhlich hallo.
Die Berichte von Radio Oranje über die Befreiung, die schon bald erfolgen würde,
waren vom Ministerpräsidenten Gerbrandy in London verkündet. Das gab überall
in den Niederlanden Anlass zur Freude, zu Emotionen und Fahnen. Dieser Tag,
der 5. September 1944, sollte als Dolle Dinsdag, den Verrückten Dienstag, in die
Geschichte eingehen. Deutsche und Mitglieder der niederländischen Nazi-Partei
NSB gerieten in Panik, was zu einem überstürzten Abzug vieler dieser Leute
führte. Aber es war noch zu früh, Radio Oranje hatte sich auf falsche
Informationen verlassen. Die Befreiung der Niederlande sollte noch lange auf sich
warten lassen, auf jeden Fall für die nördlichen Provinzen, die den schweren
Hungerwinter 1944-1945 noch vor sich hatten.
Joop erreichte das Elternhaus, musste jedoch schnell wieder verschwinden, denn
von Befreiung keine Spur. Radio Oranje war falsch informiert worden. Das Radio
von Joop blieb in der Trompstraat zurück.
26
Kapitel 6 Befreiung und Nachkriegsjahre
In der letzten Woche des Krieges, vor dem 5. Mai 1945 wohnte Joop wieder
zuhause. Die Gefahr schien vorüber, von alliierten Flugzeugen wurden bereits
Lebensmittel gedropt. Am 5. Mai 1945 hörte Joop bei dem Nachbarsjungen, der
einen Kristallempfänger hatte, um halb neun abends den deutschen Radiosender
aus London von der Kapitulation. Somit wusste er schon früh, dass der Krieg zu
Ende war, denn Radio Oranje brachte die Nachricht eine Viertelstunde später. Er
stürzte raus und schrie die Nachricht von den Dächern. Im Handumdrehen sah
die Trompstraat schwarz vor Menschen, die die Befreiung feiern wollten. An der
Straßenecke dirigierte ein Polizist, der auf einem Fensterbrett stand, den
Chorgesang. Die Ausgelassenheit war jedoch nur von kurzer Dauer, denn schon
nach zehn Minuten fuhr die SS in die Straße rein und schoss um sich. Die
meisten Menschen stürzten herein. Mit einer Kurierin, die Je Maintiendrai
distribuierte, ging Joop zwei Tage später zum Dam, wo er Zeuge der Schießerei
war, die zwanzig Menschen das Leben kostete.
Nach der Befreiung war Joop auf einem Motorrad einige Tage Kurier für das
Bureau Nationale Veiligheid, der Vorläufer des Sicherheitsdienstes, des
Binnenlandse Veiligheidsdienst B.V.D. Dieses Büro war beauftragt, Kollaborateure
und Kriegsverbrecher auf zu spüren. Joops Freund Jan Couton arbeitete für
diesen Dienst. Als man einen Offizier verhaften konnte, von dem man annahm,
es sei Willy Lages, wurde Joop gebeten, ihn zu identifizieren. Jan wusste nämlich,
dass Lages Joop 1942 vernommen hatte. 'Er sah ganz anders aus, so ohne
Uniform, aber ich erkannte ihn sofort. Manchmal ließ man einen Deutschen kurz
allein mit demjenigen, den er identifizieren sollte, was gelegentlich zu einem
blauen Auge oder Schlimmeres führte, das war aber nichts für mich. So sollte
man sich doch nicht erniedrigen?'
Nach der Befreiung wurde in Bellevue ein Festabend veranstaltet, um die
Widerstandszeitung Je Maintiendrai zu verabschieden. Ein Auftritt des
Gesangsduos Berry Kievits und Gerard Walden, ein Bruder von Willy Walden der
bekannten Snip&Snap-Revue, sollte dem Abend Glanz verleihen. Danach wurden
die Tische an die Seite geschoben und konnte
getanzt werden auf Musik eines Orchesters.
'Das lief nicht gerade flott, es gab niemand,
der sagte, wo es lang ging. Man fragte mich,
ob ich damit Erfahrung hatte. Ich hatte das
öfter gemacht und übernahm die Führung.' Für
die Polonaise koppelte er Ko Suurhoff - den
späteren Sozialminister - an Berry Kievits und
ließ sie der Gracht entlang wirbeln.
Für Joop änderte sich nach dem Krieg
eigentlich nicht viel. Natürlich gab es am
Anfang diese und jene Feier, aber er machte
Schrank gemacht von Joop in
1946
einfach weiter mit der Schreinerei. Ein
wichtiger Abnehmer war das Möbelgeschäft
von Drieling in der De Clercqstraat. Schon bald stellte er zwei Knechte ein. Einer
war sein Bruder Wim, der andere Lex Selhorst, ein erfahrener Schreiner, mit dem
er schon früher bei Jacobs gearbeitet hatte.
27
Gutes Material war damals knapp, aber sein Vater hatte vor dem Krieg bereits
eine ordentliche Vorrat Lacken der Firma Zweihorn eingekauft. Das war ein
renommiertes Unternehmen, das heute zu AkzoNobelkonzern gehört. Alles war
damals rationiert und die
Sneps, die für die Elektrizität
einen
Privattarif
zahlten,
konnten
ordentlich
sparen,
indem
sie
es
in
einen
geschäftlichen Tarif umsetzten.
Lex hat bis 1958 bei Joop
gearbeitet, danach wurde er
Marktkaufmann.
Zweihorn wollte sich in den
Niederlanden niederlassen und
fragte Joop, ihn dabei zu
unterstützen. Aber er konnte sein eigenes Unternehmen nicht im Stich lassen.
Letztendlich nahm Bruder Wim 1950 diese Herausforderung an. Joop: 'Er war
dazu auch mehr geeignet. Wim war sehr genau und er war ein geborener
Organisator.' Joops anderer Bruder Hans ersetzte ihn und hat bis Ende 1961 bei
Joop gearbeitet.
1948
holte
Joop
seinen
Meistertitel. Dafür musste er
während 24 Stunden seine
praktische Fähigkeiten an der
Werkbank zeigen, dann wurde
er nochmal 24 Stunden in
theoretischen Fächern geprüft.
Die Prüfung hat Joop in
Rotterdam zusammen mit 35
anderen abgelegt. Nur vier von
ihnen haben bestanden! Joop
meint, es hätten sich viele
Menschen für die Prüfung
angemeldet,
die
eine
Schreinerei
führten,
denen
Die erfolgreiche Prüflinge in Rotterdam 1948.
jedoch
die
erforderliche
Rechts Joop Snep
praktische Erfahrung fehlte. Bei
der Bekanntgabe der Ergebnisse waren natürlich zahlreiche Familienmitglieder
der Kandidaten aus dem ganzen Land anwesend. 'Viele weinten los wegen der
herben Enttäuschung', erzählt Joop, ' für die war es sehr schade.' Nach den
Protesten wurde beschlossen, diese Prüfung niemals mehr abzunehmen. Zu
seinem Meistertitel schaffte Joop auch sein Diplom als Gewerbetreibende. 'Im
Handumdrehen.'
Das Jahr 1948 war für Joop auch in anderer Hinsicht besonders. Die beiden
Polizisten, die ihn 1942 den Deutschen verraten hatten, wurden aufgegriffen und
zu zehn Jahre verurteilt. 'Ich weiß nicht, ob sie ihre Strafe tatsächlich angetreten
haben, aber verdient hatten sie die.'
28
Joop hatte während eines Teils des Krieges weiterhin bei Jong Leven Handball
gespielt, aber als 1948 seine viel ältere Teamgenossen aufhörten, ging Joop zu
NILOC (Nederlands Instituut Lichamelijke Opvoedkunde Club), dem damaligen
Mekka des Handballsportes. Joop spielte im
zweiten, u.a. mit Dick van Rijn, dem
bekannten
späteren
Präsentator
der
Morgengymnastik im Radio und vom NOSFußballprogramm im Fernsehen, Langs de Lijn.
Inzwischen hatten einige Mitglieder von Jong
Leven einen neuen Verein gegründet: VDO
(Vaardig door Oefening: Fähig durch Übung).
Bruder Wim war Vorsitzender und die Gründer
beknieten Joop, für VDO zu spielen. Weil sich
Joop bei NILOC nicht richtig wohl fühlte, spielte
er gelegentlich für einen anderen Verein, was
ihm übel genommen wurde. Nachdem er dafür
zur Schnecke gemacht worden war, traf Joop
die Entscheidung und verließ NILOC 1952. Im
ersten Kampf mit dem Team von VDO wusste
keiner, wer er war. Zum Erstaunen aller machte
er sofort vier Tore hinter einander! Mit diesem
Verein wurde Joop verschiedene Male Meister.
Ein Mal geschah das durch ein entscheidendes
Tor von Joop in einem des letzten Minuten des
Kampfes.
Joop turnte bei Jong Leven und gehörte zu
einer Elitetruppe des römisch-katholischen
Turnkreises, der aus vier Turnern aus
Volendam und zwei aus Amsterdam bestand. 1949 machte diese Gruppe einen
Ausflug nach Frankreich, im Schlösserdistrikt entlang der Loire das Turnen zu
demonstrieren. Met einer Gruppe aus Genf turnten die Niederländer vor einem
großen Publikum in einem herrlichen Schlossgärten. Die Kommunikation mit den
Franzosen verlief mühselig, denn keiner der Niederländer sprach Französisch,
aber es gab Französischdeutsche
Wörterbücher
und so konnte Joop das
ins Deutsche übertragene
Französisch ins Niederländische übersetzen. Unvergesslich war während
der Reise die Wanderung
auf einen Berg, auf dem
ein Mahnmal aus dem
Ersten Weltkrieg stand. Joop kletterte mit seinen Kameraden nach oben und
hatte eine tolle Aussicht auf einen Zug von Hunderten in weiß gekleideten
Turnern, die allen anfingen zu beten: O Maria sei gegrüßt. Wie eine Reihe von
Dominosteinen knieten sie nieder.
29
Im gleichen Jahr legte Joop mit Erfolg die Fähigkeitsprüfung 1. Grades ab, das
Diplom für Turner auf dem allerhöchsten Niveau. Wenig später existierte die
Turnabteilung von Jong Leven nicht mehr, und Joop turnte dann beim 1941
gegründeten Club Sport Staalt Spieren (SSS). Einige Male holte er den zweiten
Platz bei Vereinskämpfen, hinter dem Mann, der später niederländischer Meister
werden sollte.
Die
Schreinerei
machte
weiterhin gute Umsätze und
Joop
bekam
besondere
Auftrage. Einer war von Frau
Menco, die eine Gesangsausbildung machte; für sie
schreinerte
Joop
einen
speziellen Musikschrank. Sie
heiratete
Anfang
der
fünfziger Jahre einen Belgier
mit dem Namen Prins und
zog nach Antwerpen, wo sie
von Joop ein Musikzimmer
einrichten ließ. Später zog
die Familie Prins in ein
Appartement in Ukkel. Die
Inneneinrichtung wurde von
einem
Innenarchitekten
entworfen und Joop wurde
gebeten, für die Umsetzung
zu sorgen. Alles wurde in der
Werkstatt
in
Amsterdam
vorbereitet und in zehn
Fahrten mit dem Auto nach
Belgien
überführt,
dort
wurde alles montiert. Das
machte Joop zusammen mit
seinem Arbeitnehmer Koen
Rigterink in einer gemieteten
amerikanischen Limousine.
30
'Das erste Mal hielt ich mit dem Wagen zufällig auf der Keizerlei vor einem
großen Hotel, daraufhin öffnete der Pförtner des Hotels höflich die Autotür für
Koen, der nicht wusste, wie ihm geschah'. Kurz darauf kaufte Joop sein erstes
Auto, ein Ford Taunus für achthundert Gulden. Das zahlte er mit dem Geld der
Versicherung, nachdem er versehentlich ein Stück seines Daumes abgesägt
hatte.
Ein Jahr, nachdem die Arbeit in Ukkel beendet war, kam plötzlich ein 'Notruf' des
Herrn Prins. Er hatte jemanden beauftragt, eine Gardine aufzuhängen, aber das
ging nicht so wie er wollte. Prins schickte den Mann nach Hause. Ob Joop mal
kurz nach Belgien kommen wollte, um nach dem Rechten zu sehen.
'Offensichtlich war ich der einzige, der so
etwas konnte und ich habe es natürlich gern
getan. Aber ja, sie waren auch sehr
vermögend.'
In der Zeit lernte Joop eine Krankenpflegerin kennen, Leny Hendriks. Sie kam
aus Wijchen und hatte in Amsterdam eine
Anstellung
beim
Weiß-Gelben
Kreuz
bekommen. Sie hatte eine vorübergehende
Unterkunft im Büro ihres Arbeitgebers an der
Paulus Potterstraat gefunden. Leny pflegte
Joops Vater, als sich 1956 herausstellte, dass
er Krebs hatte. Peter Snep konnte sich kaum
noch bewegen und um ihn einigermaßen
bequem sitzen lassen zu können, hatte Joop eine Sonderanfertigung eines Stuhls
für seinen Vater gemacht. Weil Leny es alleine nicht schaffte, Peter aus seinem
Stuhl ins Bett zu hieven, wurde Joop oft gebeten, ihr dabei zu helfen. So gab es
Kontakt zwischen Leny und Joop, aber 'da war damals noch nichts im Gange', so
Joop. Eine Geste von Leny, als Peter Snep im gleichen Jahr verstarb, wird Joop
niemals vergessen. Sie bot an, zuhause für seine kranke Mutter zu sorgen, so
konnte Joop ohne Bedenken zum Begräbnis
gehen. Danach hat Joop Leny eigentlich erst
richtig kennengelernt. Es stellte sich heraus,
dass sie einige Monaten älter war.
Einige Zeit später erzählte Leny Joops
Schwester Ria, dass sie eine Wohnung an der
Marnixkade
hatte
bekommen
können.
Daraufhin riet ihr Ria, Joop zu bitten, die
Wohnung auf Vordermann zu bringen. Das
machte sie und Joop hat die Wohnung von
Leny
dann
in
ein
einigen
Monaten
eingerichtet. Während dieser Zeit blühte die
Liebe auf, aber konkrete Hochzeitspläne gab
es noch nicht. 1958 lud Joop Leny ein, ihn
zur Weltausstellung in Brüssel zu begleiten.
Von dem Augenblick an waren sie so gut wie
verlobt.
31
Leny stellte Joop ihrer Familie vor. An sich lief das prima, nur fing alles an mit
einem seltsamen Missverständnis. Eine Schwester von Leny fragte, was Joops
Nachname war. 'Snep', sagte Leny, woraufhin ihre Schwester erstaunt ausrief,
dass sie so etwas nicht akzeptieren würde. Das Wort snep bedeutet im Dialekt
nämlich Quatschtante und so etwas ließ sie sich von ihrer Schwester nicht sagen.
Obwohl Leny und Joop vorhatten, zu heiraten, entschieden sie sich erst einmal,
sich probehalber einen Monat nicht zu sehen. Das haben sie jedoch nicht
durchgehalten. Jeden Tag radelten beide zur Arbeit, und sie begegneten sich
unweigerlich. Nach einer Woche beschlossen sie, diesem Zirkus ein Ende zu
setzen; dann kam die Ehe schnell näher. Um gesetzlich heiraten zu können
mussten sie jedoch lange warten, bis im Rathaus einen Termin frei war. Aber am
4. Mai 1960 ging das Telefon und teilte ein
Schwager von Joops Bruder Hans, der Bote
im Rathaus war, mit, dass um halb elf
morgens eine Lücke gefunden war. Joop und
Leny radelten von ihrer Arbeit zum Rathaus
auf der Oudezijds Voorburgwal, um dort
schnell getraut zu werden. Danach gingen sie
wieder normal an die Arbeit.
Am 18. Juni 1960 wurde die kirchliche Ehe
von Pater Beijersbergen van Henegouwen in
der Kapelle des Ignatiuskollegs eingesegnet.
Weil Lenys Vater Anfang des Jahres
verstorben war, wurde es eine schlichte Feier,
bei der nur die beiden Zeugen anwesend
waren: Loes Wagenaar, eine gute Freundin
der Familie und Frau van Grevenbroek, eine
Patientin von Leny. Nach der Einsegnung
tranken sie mit den Zeugen eine Tasse Kaffee
in der Kneipe am Roelof Hartplein (dem
heutigen Café Wildschut). Einige Wochen
Auf dem Drachenfels 1960
später zogen sie Richtung Rheinland. Joop
musste dort mit seinem Team Handball
spielen und das war eine gute Gelegenheit, das mit einer verspäteten
Hochzeitsreise und Ausflügen zu kombinieren. Nach etwa fünf Tagen mussten sie
die Reise jedoch abbrechen, weil Joop, der zuhause angerufen hatte, hörte, dass
seiner Mutter das Bein amputiert worden war. Sie war zuckerkrank und verstarb
1969.
Nach der Hochzeitreise zog Joop, der bis dahin bei seinen Eltern in der
Trompstraat gewohnt hatte, zu Leny in die Marnixkade Nummer 89.
32
Kapitel 7 Familie, Arbeit, Kirche und Reisen
Wie damals üblich, hörte Leny nach der
Hochzeit auf, als Krankenpflegerin zu
arbeiten. Sie konnte jedoch sofort damit
anfangen, Gardinen zu nähen, die Joop für
die Einrichtung einer von Jan Couton
gebauten Fabrik liefern musste. Das auf
Zuschneiden von Hunderten von Metern
Stoff und die Berechnung, wie die Falten
eingearbeitet werden mussten, war Joops
Aufgabe. Leny für das Säumen und die
weiteren Stickarbeiten. Dafür kaufte Joop
eine industrielle Nähmaschine. Sie hat
diese Arbeit seit 1960 bis einige Jahre vor
ihrem Tod 1999 gemacht.
Prinsengracht 198 (das niedrige
Gebäude)
Leny und Joop blieben nicht lange auf der
Marnixkade, denn auf Prinsengracht 198, genau neben der Werkstatt, wurde
Weihnachten 1960 eine Wohnung im ersten Stock frei. Joop renovierte die
Wohnung, danach zogen sie im April des darauffolgenden Jahres um. Leny
erwartete damals ihr erstes Kind, Marjolein, das im August geboren werden
sollte. Sie wurde jedoch schon nach sechs Monaten geboren und wog nur drei
Pfund. Mit heulender Sirene ging es ins Emma Kinderkrankenhaus, wo das Baby
einige Monaten im Brutkasten bleiben musste.
Joop spielte immer noch
Handball bei VDO. Kurz nach
der Heirat saß Leny auf der
Tribüne und schaute sich
den Wettkampf an, wobei sie
hinter sich ein Fan der
Gegenseite
sagen
hörte:
'Dieser
Alte
(Joop
war
damals vierzig) ist schon
sehr gut, den müssen wir im
Auge behalten.'
Die Familie Prins, für die Joop schon mal ein Musikzimmer im Haus in Antwerpen
und das Appartement zu Ukkel eingerichtet hatte, hatte Grund und Boden in
Chailly in der Schweiz gekauft und ließ dort 1961 eine neue Villa bauen. Joop und
sein Bruder Hans bekamen eine Einladung, nach Chailly zu kommen, um auch
diese Wohnung für die Familie Prins einzurichten. Sie demontierten dafür die
Einrichtung des Appartements in Ukkel, das von einer Umzugsfirm in die Schweiz
transportiert wurde. Ursprünglich war beabsichtigt, im August nach Chailly zu
gehen, aber durch eine Verzögerung beim Bau wurde es Dezember. Es sollte ein
Job von einigen Monaten werden, darum mietete Prins für die Familie Snep ein
Chalet in Blonay, wo sie wohnen konnten. 'Alles war umsonst und das Geld war
prima, von den ersten drei Monaten Lohn konnte ich so ein neues Auto kaufen.'
Gegen Weihnachten kehrte Hans in die Niederlande auszuschweißende und
entschloss sich, dort zu bleiben.
33
Der Bauunternehmer, der die Villa hatte bauen lassen, hatte zu der Zeit kein
Personal und Joop konnte seine Werkstatt benutzen. Die Arbeit kam gut voran
und nach vier Monaten kehrte die Familie Snep heim. Aber nicht für lange.
Die Nachbarn der Familie Prins, das Ehepaar Van
Crefeld - der Mann war Direktor der Firma Proctor
& Gamble - riefen sofort, nachdem die Sneps
zuhause angekommen waren an und fragten, ob
Joop auch ihre Villa einrichten wollte. Daher
kehrten sie wieder in die Schweiz zurück. Das
Chalet stand noch zur Verfügung, aber das Haus
der Van Crefelds hatte eine Unterkunft für das
Personal und auf Bitte der Sneps konnten sie dort
wohnen. Hierdurch wurde der Aufenthalt in der
Schweiz bis auf acht Monate verlängert. Beide
Familien waren jüdisch und aufgrund der
Joop, Leny und Marjolein
Vorbereitungen im Rahmen des Sabbats konnte
in der Schweiz 1962
Joop am Freitag bereits um drei Uhr Feierabend
machen. So hatte er Gelegenheit, an den
Wochenenden zusammen mit Leny das Land zu verkennen. Von dem Jahr an
gingen Joop und seine Familie jedes Jahr einen Monat in der Schweiz in Urlaub.
Das machten sie, bis die Kinder etwa achtzehn Jahre alt waren. 'Ich nahm immer
meine Werkzeugkiste mit und weil wir in dem Land viele Bekannten hatten, die
immer irgendetwas zu reparieren
oder zu bauen hatten, verdiente
ich damit unseren Urlaub.'
Am 11. März 1965 wurde Yvonne
geboren. Er war schon nicht mehr
damit gerechnet worden, dass
noch ein Kind kommen würde,
denn Leny war bereits 44, aber
Yvonne kam gesund zur Welt.
Die Schreinerei lief gut in diesen
Jahren. Joop hatte wenig Lust,
das Geschäft noch auszuweiten, und daher beschäftigte er nie mehr als einige
Knechte. Die Familie konnte gut davon leben. Als Yvonne etwa zehn Jahre alt
war, brachte Joop die Mädchen zum Gymnastikverein, das war ziemlich weit weg.
Daher blieb Joop einfach da, wenn Marjolein und Yvonne ihre Übungen machten.
Er hatte das Turnen im Laufe der Zeit ein wenig vernachlässigt, aber Trainer
Gerard Sallee lud Joop ein, als Vorturner einzusteigen. 'Nimm deinen
Trainingsanzug mit, dann können wir die Gruppe teilen'. Es stellte sich heraus,
dass Yvonne genau wie ihr Vater ein Turntalent war. 1978, als sie bei DOS turnte,
wurde sie als Kandidat für eine eventuelle Mannschaft, die im nationalen
Sportzentrum Papendal trainieren sollte, vorgeschlagen. 'Von mir aus durfte sie
hingehen, aber ich habe es ihr nicht geraten, ich hielt ihre Ausbildung für
wichtiger.' Zu Joops Erleichterung entschied sich Yvonne für ihr Studium. 'Es
wäre für mich auch sehr schwer geworden, denn dann hätte ich zwei Abende pro
Woche und am Samstag beim Training anwesend sein müssen.'
34
Ende der sechziger Jahre wohnten de Sneps vorübergehend in der Bosboom
Toussaintstraat. Diese Wohnung war Eigentum von Joops Freund Chris Willems,
Vater von Sopran und Opernsängerin Mary Willems (1943). Joop hatte Musik
schon immer geliebt, aber nun war er von dem Augenblick an ein Liebhaber der
Oper. 'Mary hatte eine tolle Stimme', sagt Joop. Er
begleitete sie oft. Und er ist nicht nur ein Liebhaber, sondern
auch ein Kenner. Beim Hören der ersten Noten einer Aria
kann Joop bereits sagen, aus welcher Oper sie stammen
und wer sie singt.
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hatte Joop die
Firma Hapé an der Nieuwe Herengracht als Kunde. Dabei
freundete er sich an mit Frans Peters, Eigentümer des
Unternehmens, für den Joop ein Bungalow in Amstelveen
Jan van Poorten
eingerichtet hat. Später wurde der Betriebsleiter von Hapé,
Wim de Jong, Haushaltsvorsteher bei der Firma AgfaGevaert, die in Rijswijk ein neues Betriebsgebäude bauen ließ. Joop durfte dieses
Gebäude vollständig einrichten: 'Böden, Wände, Gardinen, alles mussten wir
organisieren', erzählt Joop, der dann jahrelang täglich hin und her nach Rijswijk
unterwegs war. Jan van Poorten half ihm dabei. Jan war ein Teppichleger, mit
dem Joop schon seit Anfang der sechziger Jahre
zusammenarbeitete. 'Unser erster gemeinsamer Job - im
strengen Winter von 1963 - war die Herstellung von 500
Werbungsbakken für Schaufenster.' Damals arbeitete Jan oft
zusammen in der Werkstatt an de Prinsengracht. 'In der
Mittagspause nach oben um bei mir zuhause eine Stulle zu
essen.' Die Kinder liebten ihn. Sie nannten ihn Onkel Jan.
1988 ist er gestorben. Ein anderer Kumpel war Hans Donk,
sein Kamerad der Boomschule. Nach dem Krieg hatte Hans
Hans Donk
ein Malerbetrieb, Joop heuerte ihn oft zu verschiedenen
Arbeiten an.
Als die Arbeit bei Agfa-Gevaert fertig war - Joop hat in der Zeit auch Foto- und
Filmkameras bekommen - kam er durch seinen alten Freund Jan Couton zu
einem neuen Großkunden: Die Hollandse Betonmaatschappij, mit Sitz auf der
anderen Seite des IJ-Flusses.
Joop wurde regelmäßig hinbestellt. Genau wie Hans Donk
hatte sich Jan Couton nach dem
Krieg selbständig gemacht. Weil
er selbst keine Werkstatt hatte,
arbeitete Jan bei Joop; als das
Bauunternehmen von Jan dann
später
ordentlich
florierte,
wurden die Rollen gewechselt.
1985
Jan einen Umbau des
Schifffahrtmuseums, Joop legte
dort Linoleum. Auch bat Jan
Joop, Innenausstattung von
sechs
Niederlassungen
der
Joop und Leny Snep, 1980
Firma Blokker zu übernehmen
35
Seit Joop und Leny an de Prinsengracht
wohnten, gingen sie zur Messe in der Onze
Lieve Vrouwekerk an der Keizersgracht Nr.
220, einer Klosterkirche, die Eigentum der
Redemptoristen war. Die Anzahl der Brüder
dieses Klosterordens war stark rückgängig,
daher verließen sie die Stadt.
Mutter-Gottes-Kirche
1985 verkaufte der Vorstand des Ordens die
Kirche an die Syrisch-Orthodoxe Gemeinde,
die sie von dem Augenblick an die MutterGottes-Kirche nannten. Das konnten de
Redemptoristen ohne die Genehmigung des
Bischofs, der hinsichtlich der Eigentümer des
Klosterordens keinerlei Befugnisse hatte,
selbst beschließen. 'Wahrscheinlich haben sie
die Kirche für einen symbolischen Gulden
verkauft.'
Die römisch-katholischen Gemeindemitglieder waren wütend und beschlossen,
sich zu wehren. Joop, der als Draufgänger bekannt war, wurde gebeten, dem
Komitee, das den Widerstand organisierte, beizutreten. Nach langem Zögern 'wenn man zusagt, hängt man schon bald bis über die Ohren mit drin' - war
Joop einverstanden. Er wohnte genau hinter der Kirche, und weil es dort keine
Toiletten gab, musste alles von seinem Hause aus organisiert werden. Während
der Aktion bat Bischof Bomers Joop, die Lage vor einer voll besetzten Kirche zu
erläutern. Nach einer Besatzung, die
einen Monat andauerte, wobei die
Besatzer
den
Syrisch-Orthodoxen
übrigens
erlaubten,
ihre
Dienste
weiterhin abzuhalten, stimmten die
neuen Eigentümer zu und erlaubten,
dass auch die Römisch-Katholischen
die Kirche für ihren Ehrendienst
nutzten. Es entstand daraufhin ein
gutes Einvernehmen zwischen beiden
Gemeinschaften. Joop machte sich
geliebt, indem er eine Installation zum
Aufhängen einer Altargardine anfertigte und dafür keinerlei Vergütung haben
wollte. Die Instandhaltung hat er viele Jahre besorgt. Im Grunde war er der
Verwalter des Kirchengebäudes, war jedoch nicht Mitglied im Vorstand. 'Der
Direktor, so nannten sie mich.' Erst 1992 horte er auf.
1989 bat der Verein Willenskraft (Wilskracht) Joop, ob er bereit war sechs Jungs
zu betreuen, die von ihm die Feinheiten des Turnens lernen wollten. Joop hat das
mit Begeisterung getan, ein unglücklicher Vorfall beendete jedoch seine eigene
aktive Turnkarriere. Einer der Jungs hat ihm während einer Übung an den Ringen
versehentlich einen Leistenbruch getreten, danach musste Joop das Turnen
aufgeben. Als Berater und Coach ist er jedoch noch lange aktiv geblieben.
36
Die Töchter von Leny und Joop heirateten recht bald nach einander. Marjolein
heiratete 1992 Jaap Swank, sie bezogen eine Wohnung in der Nieuwe Kerkstraat.
Sie waren bereits etwas länger auf der Suche nach einer Etage in der Nähe, und
als über der Werkstatt eines Freund
von Joop zwei Etagen frei kamen,
zögerten sie keinen Augenblick. 1994
wurde das erste Enkelkind geboren:
Anne, und 1997 folgte die zweite
Enkelin: Marije.
Yvonne ehelichte 1993 Wim Koopman
in der Schlosskapelle von Egmond aan
de Hoef, wo sie von Bischof Bomers
getraut wurden. Sie haben kurze Zeit
auf der Bloemgracht gewohnt, zogen
jedoch schon bald nach Zaltbommel an
der Waal. Yvonne, die für das Katholisch Nieuwsblad arbeitete, wilde gerne in der
Nähe von Herzogenbusch wohnen, und Wim hatte sich auf ein geräumiges Hause
mit einem großen Garten.
Bis er 83 war, hielt Joop seine Werkstatt auf der
Prinsengracht beibehalten, aber dann hat er seine
Firma geschlossen. Material und Werkzeug brachte
er nach Zaltbommel, wo er eine Werkstatt in der
großen Scheune neben dem Haus von Yvonne und
Wim einrichtete. Von dort aus nahm Joop sich ihre
Wohnung vor. Später kamen die Enkel: 2002 wurde
Helena geboren, 2003 kam Simon zur Welt.
Leny hat noch einige Jahre von ihren beiden
ältesten Enkelkinder genießen können, aber die
beiden jüngsten hat sie nie gekannt. Sie starb ein
paar Jahre vor ihrer Geburt an Lungenkrebs, nach
einer dreimonatigen Krankheit. Joop hat sie die
ganze Zeit zuhause gepflegt. Dass die Gesundheit
von Leny nicht in Ordnung war, hatte sich
schon einige Jahre vorher herausgestellt, als
sie von einem sogenannten Schaufensterbein
geplagt wurde - das ist ein populärer Name
für die Verengung der Blutgefäße, die sich
beim Laufen bemerkbar macht. Stillstehen
hilft dann einigermaßen, und damit das nicht
auffällt, bleibt man natürlich vor einem
Schaufenster stehen. 'Leny hat ganz schön
geraucht', so Joop. 'Als Krankenpflegerin
machte sie ganz oft ein Schwätzchen mit ihren
Kunden, dann konnte sie eine Tasse Kaffee
und eine Zigarette nicht ausschlagen.' Ein
paar Jahre vor ihrem Tod diagnostizierte ein
Neurologe die Krankheit, da musste sie mit
Leny Snep und Marije, 1998
dem Rauchen aufhören.
37
'Leny hatte ein starken Charakter, denn als wir draußen standen, gab sie mir ihre
Zigaretten und bat mich, die weg zu werfen.' Am Nikolaustag 1998 kam die
Mitteilung des Arztes, dass er nichts mehr für sie tun konnte. Sie ist nach Hause
gebracht, wo Joop sie drei Monate gepflegt hat. Am 3. März 1999 ist sie
gestorben. 'Während ihrer Krankheit
bin ich selbst noch eine Woche im
Krankenhaus gewesen wegen einer
Prostatoperation, Yvonne hat mich
dann abgelöst.'
Das Jahr 2001 begann für Joop mit
einer Reise nach Amerika. Sein
Schwiegersohn Wim arbeitete als ICTConsultant bei einem Unternehmen in
Bilthoven; das wurde von einem
amerikanischen
Unternehmen,
das
großes Interesse für Wims Kapazitäten
als Dozent hatte, übernommen. So
geschah es, dass Wim für ein halbes
Jahr in die Staaten reiste, um dort Arbeitnehmer in der Anwendung von
Programmen auszubilden. Glücklicherweise konnte Yvonne ihrer Arbeit für das
Katholieke Nieuwsblad auch von dort aus teilweise noch nachgehen.
Sie ließen Joop nach Seattle kommen, um
ihm das Olympic National Park zu zeigen.
Joop lernte die ausgedehnten Wälder, die
riesigen Bäume und den Schnee, der dort
im Staat Washington sehr lange liegen
bleibt, kennen und lieben. Es ist ein
vulkanisches Gebiet und als einmal ein
Erdbeben stattfand, rief Yvonne zur
Beruhigung von Joop direkt in Amsterdam
an um zu sagen, dass mit ihnen alles in
Ordnung war.
Joop feierte seinen achtzigsten Geburtstag
am 24. September 2001 in Zaltbommel,
wo die Kinder ein großes Fest organisiert
hatten. 'Ich weiß nicht mehr, wie viele
Menschen da waren, aber von den Brüdern
und Schwestern von Leny waren damals
noch 16 am Leben, die mit ihren Familien
gekommen waren. Auch waren viele alte
Freunde und Kollegen anwesend, kurz, es
müssen Dutzende Leute da gewesen sein.'
Für Joop war es ein unvergesslicher Tag.
Ein Nachbar hatte ein 80-Km Verkehrsschild im Garten aufgestellt.
Joop achtzig Jahre. Vlnr: Wim,
Yvonne, Joop, Marije, Jaap, Anne und
Marjolein.
38
Einige Wochen vor dem Begräbnis von Leny verstarb die Mutter von Henk van
der Kroon, eine Frau, die Joop aus der Kirche kannte. Joop war zu ihrem
Begräbnis gegangen. Nicht viel später verstarb auch Henks Vater. Joop hatte den
alten Mann, der in einem Rollstuhl saß, oft mit dem Manövrieren in der Kirche
geholfen. So war eine Freundschaft zwischen Joop und Henk entstanden. Henk
van der Kroon war Präsident der Federation of European Carnival Cities (FECC)
und er fragte Joop, ob er Lust hätte, mal zu einem Treffen der Föderation mit zu
kommen. Obwohl Joop nichts mit Karneval am Hut hat oder hatte, hat er Henk
dann auf einer eintägigen Reise - die Feier des dies natalis - nach Köln begleitet.
Während des Besuches war ein schwarzer Anzug vorgeschrieben. Joop erinnert
sich, dass ihm der Anzug ein wenig eng war und dass er beim Einstieg in den Bus
aus seinen Hosen platzte. Glücklicherweise konnten sie sofort repariert werden.
2001 folgte die dies natalis in Ivrea in Italien, bei der Gelegenheit besuchte die
Gesellschaft de Fiatfabriken in Turin. Nachher besuchten Joop und Henk alte
Freunden von Joop in der Schweiz: seine Nachbarn, als er sich mit Leny 1961 im
Chalet zu Blonay aufhielt.
Auch begleitete Joop Henk van der Kroon zwei Jahr später nach Slowenien.
Diesmal nicht für die FECC, sondern auf Einladung eines Mitgliedes dieser
Organisation, der sie zur Feier der örtlichen St. Georgsfeste einlud. Es war ein
ordentlicher Empfang: morgens wurden Joop und Henk auf dem Platz vor ihrem
Hotel von zwei Fanfaren erwartet, wonach sie die Fahrt zum auszuschweißend
Dorf in einer Kutsche antraten, um das Spiel von St. Georg zu genießen.
'Anschließend gingen wir noch etwas essen, Forelle, irgendwo in den Bergen
abends um etwa elf Uhr.'
Joop Snep, zweiter von rechts, während der
Convention der FECC in Portugal, 2003
Joop hat das hervorragend gefallen.
Seitdem ist er viele Malen mit Henk
zu den dies-Feiern sowie auch zu
den ebenfalls jährlich abgehaltenen
Konventionen der FECC, die gut
eine Woche dauerten, mitgegangen.
So hat Joop Länder wie Belgien,
Deutschland,
Bulgarien,
Italien,
Mazedonien,
Malta,
Kroatien,
Montenegro und Portugal besucht.
Auch gab es natürlich Treffen in den
Niederlanden.
2003
war
Joop
während der Konvention in Portugal
zum ersten Mal offiziell Delegierter
der Niederlande.
An den Sommerkarneval in Montenegro, ebenfalls 2003, hat Joop schöne
Erinnerungen. Die FECC war dort auf Einladung des Tourismusministers, der
genau wie Joop hervorragend Deutsch sprach. Der Minister hat sich um die
Niederländer gekümmert: 'Weil er mit der Qualität unserer Hotels nicht zufrieden
war, hat er uns mitten in der Nacht zu einem anderen Hotel überbringen lassen.'
39
Tief beeindruckt war Joop von der Bootsreise über die Bucht von Kotor und von
dem Karnevalszug, der die Montenegriner speziell für die Gesellschaft organisiert
hatten. Es war eine Sommerreprise des früher im Jahr gehaltenen Aufzuges;
Joop saß auf der Tribüne neben Henk van der Kroon und dem Minister. Als die
beiden sich für ein Fernsehinterview kurz verabschiedeten, ist Joop ganz alleine
als Gastherr aufgetreten. Ein dicker Kuss einer Teilnehmerin am Aufzug war seine
Belohnung.
Eine besondere Reise mit der FECC war die nach Pernik in Bulgarien für die
Konvention im Jahre 2004. Während einer der Sitzungen bat die Bürgermeisterin
Joop, den Studenten eines örtlichen Ausbildungslehrgangs für Dolmetscher und
Übersetzer über seine Kriegserlebnisse zu berichten. 'Als ich im darauffolgenden
Jahr sehr krank wurde, bekam ich eine Karte der Bürgermeisterin, die mir gute
Besserung wünschte.' Auch gab es Tanzfesten, wo Joop - der damals bereits 83
war - zeigen konnte, was fuer ein guter Tänzer er immer noch war.
Bevor Joop krank wurde, besuchte er 2005 mit der FECC Malta, wo er als Chef
d'équipe auftrat. Nachher ist er noch zum dies in Zevenaar 2006 und die in 2008
zu Ptuj in Slowenien gereist, aber von da an hinderte ihn sein
Gesundheitszustand, weiter an den Reisen der FECC teilzunehmen. Immerhin
war er bei der Verleihung einer Auszeichnung an Henk van der Kroon durch die
Luxemburger Botschaft anwesend, ein Ereignis, bei dem auch Kardinal Simonis
anwesend war.
Sitzend links: Henk van der Kroon, rechts Kardinal Simonis,
stehend in der Mitte Joop Snep
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Kapitel 8 Zurück nach Sachsenhausen
Nach dem Krieg ging Joop am 4. Mai zwar oft zur zentralen Kundgebung des
Totengedenktages auf dem Dam in Amsterdam, aber er war lange Zeit nicht bei
Gedenkveranstaltungen in Deutschland anwesend. Erst 1992 hat er
Sachsenhausen wieder gesehen. In dem Jahr fuhr er in einem von Jan Couton
geliehenen Bus mit Herman, Lenys Bruder, nach Polen, um Geschenkgüter ab zu
liefern, die Frau Bonsen eingesammelt hatte. Auf dem Rückweg, auf dem Ring
um Berlin, sah Joop einen Wegweiser nach Oranienburg. Sie nahmen die Abfahrt
und so kam es, dass Joop das Lager wieder durch die Zugangspforte mit der
Aufschrift Arbeit macht Frei betrat: 'Ich realisierte mich, dass es genau fünfzig
Jahr her war, dass ich durch diese Pforte das Lager betrat.'
Sieben Jahre später begegnete Joop
nach dem Begräbnis seiner Frau ein
Bekannter, der ihn auf die Stiftung
Niederländischer Freundeskreis Sachsenhausen hinwies. Sie war 1970
gegründet worden und hatte zum
Zweck, die Kontakte zwischen den
Überlebenden unter einander aufrecht
zu erhalten und die Toten des Lagers
zu gedenken. Der Verein organisierte
ein jährliche Gedenkfeier und hat sich
für ein Monument im Reeburgpark in
Vught eingesetzt. Das wurde 1994
enthüllt. Joop hat diese Treffen seit
1999 besucht. Zehn Jahre später wurde der Verein aufgehoben. Heute ist Joop
das älteste Mitglied des Vereins Kinderen van Verzetsdeelnemers (Kinder von
Widerstandskämpfern) und in deren Namen legt er jährlich am 4. Mai, bei der
Totengedenkfeier der Niederländer in Sachsenhausen, einen Kranz.
Nach der Wende war das Gelände, wo damals die
Baracken des Lagers Lichterfelde gestanden
hatten, vernachlässigt. Ein Bauunternehmer aus
Bonn kaufte es um dort Wohnungen zu bauen
fuer Beamte, die wegen des Regierungsumzugs
von Bonn nach Berlin umziehen mussten.
Es war der Historiker Klaus Leutner, der die
Bauarbeiter bat, ihm das, was auf dem Gelände
während des Baus vorgefunden wurde, zu geben.
Viel Material ist ins Heimatmuseum Lichterfelde
gebracht. Leutner kam mit dem Bauunternehmer
ins Gespräch, und dieser versprach ihm, auf dem
Baugelände eine Gedenksäule hinzustellen. Die
Einweihung des Gedenksteins war für das Jahr
1999
geplant
und
Leutner
hatte
sich
vorgenommen, zu der Gelegenheit alle noch
Überlebende des Lagers Lichterfelde auf zu
spüren und einzuladen.
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Klaus Leutner und Joop Snep
Das ist ihm zwar nicht gelungen, aber
im darauffolgenden Jahr hatte er nach
Forschung in europäischen Archiven die
letzten elf Überlebende gefunden. Joop
war der letzte, den er fand. Leutner rief
Joop an und war erfreut, als er merkte,
dass dieser fließend Deutsch sprach.
Am Tag nach dem Telefonat stand
Leutner bereits in Amsterdam vor der
Tür, er blieb eine Woche als Gast bei
Joop.
'Wir
sind
Busenfreunde
geworden.'
Leutner wollte eine Plakette auf dem Mahnmal von Lichterfelde anbringen lassen.
Das geschah 2000. Joop war anwesend, wie die andere zehn Überlebende, in
deren Namen Joop spontan ein Dankeswort sprach. Seitdem macht er das jedes
Jahr am 8. Mai, als in Deutschland des Krieges gedacht wird. Dann werden die
Überlebende vom Bürgermeister empfangen und wird ihnen ein Ausflug zu Orten,
die im Krieg eine Rolle spielten, angeboten. Auch besuchten sie die Parlamentsgebäude. Joop kam in Kontakt mit dem niederländischen Botschafter Marnix
Krop, der ihn einlud, am 4. Mai in Sachsenhausen eine Rede zu halten. Das
macht Joop jetzt jedes Jahr; als auf
dem Dam in Amsterdam die Gedenkfeier stattfindet, spricht Joop dort.
Gedenkfeier Amersfoort
2004 wurde Joop angesprochen vom
Direktor
der
Stichtung
Nationaal
Monument Kamp Amersfoort, Cees
Biezeveld, der ihn bat, bei der
jährlichen Gedenkfeier am 19. April
anwesend zu sein. Zusammen mit
seiner Enkelin Anne hat Joop einen
Kranz beim Monument 'Gefangener der
vor dem Erschießungskommando steht'
das auch 'Der Mann aus Stein' genannt
wird, gelegt. Ministerpräsident Willem
Drees hat das Denkmal 1953 enthüllt.
Die Stiftung hat später ein Interview
auf Video machen lassen, in dem Joop
seine Kriegserfahrungen berichtet.
Für all seine Verdienste wurde Joop
2007 ausgezeichnet. Der Amsterdamer
Bürgermeister Job Cohen hat ihn
zeitgleich mit anderen in der Beurs van
Berlage empfangen, in Anwesenheit
von Familie und Freunden heftete er
Joop das zur Auszeichnung gehörenden
Band an: Mitglied des Ordens von Oranien-Nassau. Joop ist stolz auf seine
Auszeichnung und hat damals eine kleine Ausfertigung der Medaille bestellt, die
er auf seinem Smoking tragen kann.
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Zum letzten Mal geschah das 2011, als er Königin Beatrix
während ihres Staatsbesuches in Deutschland im April
2011 vorgestellt wurde. 'Wir waren in der Berliner
Philharmonie, wo das Amsterdamer Concertgebouworchester ein Konzert gegeben hatte, und nahmen an, dass
Beatrix bereits gegangen war, aber plötzlich klopfte mir
Botschafter Krop auf den Arm und sagte, dass er mich
noch kurz der Königin vorstellen wollte. 'Davor hatte ich
bereits interessante Gespräche mit Alexander und Maxima
gehabt'.
2010 fand überall die 65. Totengedenkfeier statt. Am 19. April war Joop in
Amersfoort und Anfang Mai in Berlin, wo der Vorsitzende des Internationale
Sachsenhausen Komitees (ISK) ihn bat, als Vizepräsident für die Niederlande
einzutreten. Dieses Komitee strebt an, die Erinnerungen an das KZ
Sachsenhausen zu bewahren und die moralischen und materiellen Rechte von
Überlebenden und ihren Familien zu garantieren. Es wurde 1974 gegründet und
hat seinen formalen Sitz in Paris. Weil immer mehr ehemalige Häftlinge
wegsterben, ist nach der Aufhebung der Stiftung niederländischen Freundeskreises Sachsenhausen auf die Bitte des niederländischen Vereins Kinder von
Wiederstandsteilnehmern 1940-1945 eine Kommission unter dem Vorsitz von
Joop gegründet, um nicht nur die Gedenkfeier in Vught weiterführen zu können,
aber auch das Engagement von Jugendlichen zu vergrößern.
Gedenkfeir Berlin,2010
Vlnr Anne, Joop und Marije.
Die Sprache ist für das Sachsenhausen
Komitee immer ein Problem. Als Joops
Tochter Marjolein zur Gedenkfeier 2011
kam, waren die ehemaligen Häftlinge
daher sehr froh. 'Marjolein spricht
fließend Französisch; sie hat vieles für
die Anwesenden übersetzt, die zum
großen
Teil
Französischsprachigen
waren'. Joop ist schon seit Jahren ein
geschätzter Sprecher in Schulen, wo
junge
Kinder
fasziniert
seinen
Erzählungen über den Horror der drei
Lager, die er überlebt hat, lauschen. Von
deutschen und niederländischen Schulen
wird er regelmäßig eingeladen.
'Voriges Jahr noch habe ich in einer Amsterdamer Schule gesprochen. Als ich
meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, wurden alle Schüler gebeten, mir einen
Brief zu schreiben - ich habe Dutzende erhalten. Es rührt mich immer wieder an,
wenn ich sie lese.'
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Kapitel 9 Im Barbarahuis
Joop ist bis zu seinem 84. Lebensjahr eigentlich nie ernsthaft krank gewesen. Die
einzige Krankheit, die ihn gelegentlich plagte, war sein Magen; das stammte
schon aus der Zeit kurz nach der Befreiung. Ab und zu war es derart schlimm,
dass er seiner Arbeit nicht gut nachgehen konnte. 'Ich war einmal bei einem
Kunden und sagte zum Betriebsleiter, dass wir aufhören sollten, ich fühlte mich
so elend.' Auch Leny hat sich darüber ständig Sorgen gemacht. Puder, die er
nahm, halfen manchmal, aber es passierte schon mal, dass so ein Medikament
wieder vom Markt genommen wurde, dann musste etwas Neues gesucht werden.
1980 wurde entdeckt, was die Ursache dieser oft vorkommenden Krankheit war.
Es handelte sich um eine schon in jungen Jahren erfolgte Infektion mit einer
Bakterie. Es sollte jedoch noch zehn Jahre dauern, bis eine Lösung gefunden
wurde: eine einwöchige Prednisonkur, die ihn sofort von seiner Qual erlöste.
2005 feierte Joop seinen 84. Geburtstag mit der Familie in Zaltbommel. Nachts,
nach einem gemütlichen Abend mit Kindern und Enkeln wurde Joop wach, es war
wirklich etwas los mit hem, zum ersten Mal in seinem Leben. Eine seltsame
Erfahrung. Die Kinder handelten sofort und brachten Joop ins Krankenhaus. Dort
stellte der Arzt fest, dass er Herzrhythmusstörungen hatte. Später stellte sich
heraus, dass sie einer nicht gut funktionierenden Schilddrüse zuzuschreiben
waren. Joop erholte sich, als jedoch eine Lungenentzündung hinzukam,
fürchteten
allen
das
Schlimmste, er empfing das
Heilige
Sakrament
der
Sterbenden. Glücklicherweise
hat er es überlebt. Joop hat
sich noch Monate erholen
müssen. In einem Pflegeheim
in Kerkdriel und bei Yvonne
und Wim zuhause, um dann
nach Amsterdam zurück zu
kehren. Da stellte sich schon
bald heraus, dass Heimpflege
erforderlich war.
Kurz nach seiner Heimkehr
wurde Joop von einigen
Projektentwicklern
besucht,
die Pläne hatten mit dem
Boden, auf dem Joops Haus
stand.
Ob
er
ausziehen
Familie Snep, 2008.
Vlnr, hinten: Wim en Jaap; mitte: Marije, Yvonne,
könnte, sie würden ihm eine
Anne, Joop und Marjolein; vorne: Simon en Helena.
andere Wohnung besorgen.
'Kommt
nächste
Woche
wieder', sagte Joop 'dann ist meine Tochter dabei.' Marjolein, eine erfahrene
Juristin, hat das Ganze abgewickelt und handelte für ihren Vater einen
ordentlichen Betrag aus. Nach siebenundvierzig Jahren verließ Joop seine
vertraute Umgebung und zog im Frühling 2008 ins Barbarahuis an der Plantage
Middenlaan. Dort wohnte damals schon sein alter Klassenkamerad Hans Donk,
der inzwischen verstorben ist.
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Das Barbarahuis ist Teil von Sankt Jacob, einem
Wohnheim der Osira-Gruppe. Die Geschichte der
römisch-katholischen Altenpflege in St. Jacob geht
zurück auf 1839, als vier Schwestern der Liebe sich in
Amsterdam niederließen, um kranke ältere Frauen zu
pflegen und sich für dem Bau des heutigen St. Jacob,
das 1866 die Türen öffnete, einsetzten. Es ist ein
monumentales Gebäude, in dem sich mehr als 250
Appartements befinden. Ein kleines Kirchenmuseum
vermittelt einen Eindruck der Altenpflege aus der
damaligen Zeit. Joops Appartement befindet sich auf
der Rückseite des Gebäudes im fünften Stock; er hat
viel Sonne.
Es ist ein kleines Appartement mit Sanitär, für die
Mahlzeiten kann Joop zum Essraum gehen oder das
Essen vom Flur durch eine Luke hinstellen lassen, so
dass er es nur noch aufwärmen muss. 'Ich esse lieber
in meinem Zimmer ' sagt Joop, der sich zwischen
älteren Menschen, die nicht mehr ordentlich mit
Messer und Gabel essen können, unwohl fühlt. 'Aber
das kann mir natürlich auch passieren.' Joop leidet
unter der Parkinsonschen Krankheit und das spielt ihm
natürlich übel mit. In seinem Zimmer stehen neben
dem Bett auch ein Tisch mit Stühlen, ein großes
Wandmöbel und ein Fernseher, der auf einem von
Joop selbst gefertigten Schrank steht. 'Ich werde dir
das Wunder zeigen', danach macht er die Tür auf. Eine Art Karussell kommt zum
Vorschein, mit einer Anzahl runder Regale mit Dutzenden alten Schallplatten.
Joop hat sehr viele Platten aufgehoben, darunter natürlich die Aufnahmen von
Mary Willems. Die vor einiger Zeit von Schwiegersohn Wim installierte Hifi-Anlage
leistet gute Dienste.
Die Besuche an Deutschland sind für
Joop immer beschwerlicher. Er läuft
schwer und sich mit einem Rollator über
Bahnsteige bewegen fällt ihm schwer:
'Vor allem, wenn es die Ansage gibt,
dass der Zug von einem anderen Gleis
fahren
wird,
dann
ist
es
sehr
unangenehm, denn diese Bahnsteige
sind derart lang.' Glücklicherweise sind
Familienmitglieder oft bereit, ihn zu
fahren, aber: 'Sie haben alle ihre Arbeit
und es gelingt nicht immer.' Eddy
Wijnhof, ein Freund von Joop, fährt ihn
jeden Sonntagmorgen zur Kirche auf der
Keizersgracht. Darüber ist Joop froh.
Familiereunion, 2010
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2010 gab es auf Initiative von Joops Nichte Bernadette - einer Tochter seines
Bruders Wim - eine Familienfeier, bei der viele Familienmitglieder von Joop
anwesend waren. Es war ein Erfolg und sollte nochmal wiederholt werden.
Am 24. September 2011 feierte Joop seinen 90.
Geburtstag, und genau wie vor zehn Jahren hat
die Familie das ordentlich gefeiert. In dem Saal
neben der Kirche empfing er seine Familie und
zahlreiche Freunde aus Deutschland und den
Niederlanden. Ein besonderer Moment war die
Verleihung einer bischöfliche Auszeichnung an
Joop durch Vikar Steinkamp, im Namen des
Bischofs Punt, für seine vielen Verdienste für
das Bistum. Das Buffet wurde von der Tochter
von Jan von Poorten und ihr Ehemann
organisiert.
Joop und Bernadette
Joop hat vor, die Papiere,
die er aufgehoben hat, zu
ordnen. 'Aber ich habe jetzt
wenig Zeit.' Es ist August
2012, es ist die Zeit der
Olympischen Spiele. Joop
schaut sich das gerne an.
Logischerweise schaut er
sich das Turnen an. 'In
meiner
Zeit
lag
die
Betonung auf eine perfekte
Ausführung, jetzt ist alles
viel
akrobatischer.'
Die
Übung des niederländischen
Turners auf der Brücke - vor
vielen
Jahren
Joops
Spezialität - hat er sehr
aufmerksam
betrachtet.
'Toll! Ich erkannte viele
Dinge, die ich damals auch
machte, sah aber doch auch
einiges, das nicht ganz
stimmte.' Joop ist und bleibt
mit Herz und Seele Turner.
Als letzte Erinnerung erzählt
Joop von dem am Samstag, dem 1. September 2012 erfolgten zweiten
Familientreffen, auch diesmal organisiert von seiner Nichte Bernadette. 'Vor
allem meine Enkelin Marije war total begeistert; sie hat Familienmitglieder
getroffen, die sie noch nie gesehen hatte.' Am nächsten Tag kommt er am
Nachmittag nach Hause. Er ist müde, aber froh, dass er das noch tun kann.
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