Joop Snep Erinnerungen
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Joop Snep Erinnerungen
Joop Snep Erinnerungen Aufgezeichnet von Willem Peeters Amsterdam, im Januar 2013. Dieses Lebensbuch ist auf Initiative des ehrenamtlichen Amsterdamer Vereins Vrijwilligers Centrale und der OsiraGroep entstanden. Übersetzt von Diete Oudesluijs. Text und Layout in LibreOffice. © W.Peeters 2 Inhalt Vorwort 4 Jugend 5 Tischlern, Sport und Tanzen 10 Krieg, Widerstand und Verhaftung 14 Sachsenhausen 19 Untertauchen in Amsterdam 23 Befreiung und Nachkriegsjahre 27 Familie, Arbeit, Kirche und Reisen 33 Zurück nach Sachsenhausen 41 Im Barbarahuis 45 3 Vorwort Montagmorgen, 11.00 Uhr. Ich betrete das Gebäude von St. Jacob und laufe nach rechts Richtung Barbarahuis. Beim Fahrstuhl angekommen, drehe ich mich um und sehe, wie ein alter Mann im Rollstuhl näher kommt. Mit Mühe zieht er sich an den Metallrohren, die gegen die Wände montiert sind, vorwärts. 'Kommen Sie mit?' Ich schiebe den Rollstuhl in den Fahrstuhl und drücke auf den Knopf zum fünften Stock. Der Mann wohnt einige Apartments vor dem von Joop. Ich rolle ihn bis zur Tür seines Zimmers und fahre ihn herein. 'Danke', klingt es leise und ich laufe weiter zu Nummer 540. Ich klingele und höre, wie immer, Joop rufen dass die Tür offen ist. Joop sitzt an seinem Tisch und ist mit seinen Unterlagen beschäftigt. Ich reiche ihm die Hand. 'Hallo Junge', sagt er. Ich lächele, weil ich mit Junge angesprochen werde, als ich schon auf die siebzig zugehe. Aber nun gut, Joop ist gut zwanzig Jahre älter und dann darf man so etwas natürlich sagen. Ich leg meinen Mantel auf sein Bett, auf dem ein altes Florett liegt, irgendwann Anfang der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts beim Auflösen der Wohnung der adligen Familie Schaumburg-Lippe in Bonn in den Besitz von Joops Vater gekommen. Wir schieben einiges zur Seite und ich setze mich ihm gegenüber, an der Ecke des Tisches. Notizblock und Kugelschreiber parat. Joop macht den Fernseher aus und wir fangen an. Joop ist ein guter Erzähler, der sich die Zeit nimmt, meine Fragen zu beantworten. Ich schreibe schnell weiter und er gönnt mir gelegentlich eine Pause, damit ich nicht allzu sehr ins Hintertreffen zu gelangen. Er zeigt mir ein Bild einer Handballmannschaft, die am Anfang des Krieges gemacht worden ist. Joop weist auf das Bild, seine Hand zittert als Folge der Parkinsonsche Krankheit. 'Das bin ich. Siehst du meine Turnerbizeps? Ich konnte mal sehr hart werfen!' Ich frage ihn, ob ich das Bild mitnehmen darf, um es ein zu scannen. Gar kein Problem. Joop gibt mir alles mit, von dem ich denke, es wäre nützlich. Es wird geklopft. Der Arzt kommt herein und ich warte auf dem Flur. Nach zehn Minuten ruft mich Joop, er entschuldigt sich. 'Ich kann den Arzt doch nicht einfach weg schicken?' Wir machen weiter. Joop konzentriert sich und reibt über sein Gesicht. 'Mal kurz rekapitulieren'. Einiges, wie seine Kriegserinnerungen, steht natürlich in seinem Gedächtnis geätzt, aber manchmal muss er über Daten nachdenken. Joop seufzt. 'Ich habe so vieles zum Thema Krieg aufgehoben, aber ich muss es für dich nachsehen'. Nach etwa einer Stunde höre ich auf. Joop könnte problemlos weitermachen, aber ich habe genügend Material für die kommende Woche. Ich stehe auf, ziehe meinen Mantel an und verabschiede mich. Joop steht auf aus seinem Stuhl und gibt mir die Hand. Danach begleitet er mich zur Tür. 'Bis nächste Woche Joop, mach's gut' sage ich und er verabschiedet mich mit 'Saludos'. Während der Monate März bis August 2012 habe ich mit Joop einige Gespräche geführt. Dieses Buch ist das Ergebnis. Es war mir ein Vergnügen, Joop kennen zu lernen. Amsterdam, im Januar 2013. Willem Peeters 4 Kapitel 1 Jugend Am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zog Peter Snep - der Vater von Joop über die niederländischen Grenze nach Deutschland, auf der Suche nach Arbeit: die Gesellenwanderschaft. Es wurde eine jahrelanger Reise. Er hielt sich in vielen deutschen, schweizer und italienischen Städten auf, um dort das Handwerk eines Schreiners von der Pike auf zu lernen, als Ergänzung auf seine Lehrschule. Diese Methode, den heißbegehrten Meistertitel zu erwerben, gab es bereits seit einigen Jahrhunderten und bildete in Deutschland das Rückgrat der handwerklichen Ausbildung. Peter Snep hat dies zwar auf eigene Faust getan, wusste sich jedoch vom St. Jozef Gesellenverein, dessen Mitglied er war, unterstützt. Das war eine 1868 in Amsterdam gegründete katholische Jugendbewegung, die Teil des riesigen deutschen Kolpingnetzwerkes war. Der St. Jozef Gesellenverein bekam 1876 Räume im sogenannten Van Nispenhaus an der Stadhouderskade, das den Namen des ersten Direktor des Van Nispenhaus Vereins trägt: Pastor Jhr. van Nispen tot Sevenaer. Zweck des Vereins war: 'Durch individuelles und soziales Leben unter väterlicher priesterlicher Aufsicht das Streben nach Fachwissen, Frommheit und Wohlfahrt zu fördern.' 1968 wurde der Verein aufgelöst. Das monumentale Van Nispenhaus wurde 1977 durch Brand verwüstet und abgerissen. Peter Snep reiste gut zwölf Jahre durch Europa herum, bekam seinen Meistertitel und arbeitete in einer Anzahl von Städten als Meisterknecht. In Duisburg lernte er seine Frau kennen, Gertrud Scheeren, die er 1907 heiratete. Gertrud war genau wie Peter Frühwaise und von einer Tante, die ein Restaurant hatte, erzogen worden. So wurde sie eine hervorragende Köchin, der die Familie später immer nachsagte, sie könne aus Straßensteinen noch etwas Leckeres zubereiten. Im gleichen Jahr wurde ihre erste Tochter geboren, es folgten noch sieben Kinder. Joop war das jüngste und sah das Lebenslicht am 24. September 1921 in Bonn, wo Familie Snep sich niedergelassen hatte, nachdem man u.a. in Brüssel gewohnt hatte. Zwei seiner Brüder, Peter und Henk, hat er leider nicht gekannt. Peter wurde 1910 in Brüssel geboren, wo er fünf Jahr später verstarb. Henk war von 1916 (Brüssel) und starb 1918 in Göttingen. 5 Peter Snep war ein guter Fachmann, der nach seiner Ehe für die Schreinerei Onder de Sint Maarten arbeitete. Dieses Familienunternehmen aus Zaltbommel stammte aus 1899 und wuchs zu einem der größten Inneneinrichtungsfirmen in den Niederlanden heraus, mit Sitz in Haarlem. Peter Snep arbeitete an der Holzverkleidung eines des Räume des 1913 fertiggestellte Friedenspalasts in Den Haag mit. Ein Gedenkmünze mit dem Bildnis von Königin Wilhelmina zeugt davon. Auch fertigte er Mobiliar für den Palast des Gouverneurs von Niederländisch Indien. Nach dem Ersten Weltkrieg zogen die Sneps wieder nach Deutschland, Gertrud konnte in den Niederlanden nicht heimisch werden. Erwähnenswert ist auch das Lob, das Peter Snep für den Bau eines Karnavalwagens in Bonn bekam. Darauf war eine Szene zu sehen, in der ein reicher Geldgeber Präsident Ebert seine Hilfe anbietet. Eine Geste, die von manchen Deutschen argwöhnisch beschnuppert wurde und Anlass zu karnevalesker Spott bot. In den zwanziger Jahren hatte Vater Peter eine eigene Möbelwerkstatt samt Laden am Stiftsplatz in Bonn. Auf dem Stiftsplatz kam es regelmäßig zu einem Schlägereien zwischen den Schlägertrupps der SA und den Mitgliedern von RotFront (Roter Frontkämpferbund). Von ihrer Wohnung aus hatten die Sneps darauf eine gute Sicht und die Kinder durften sich am Samstag nach dem Bad den spannenden Schlägereien immer kurz angucken. Es war eine schwierige Zeit und die Hyperinflation tat seine vernichtende Arbeit. Dennoch konnte sich die Familie über Wasser halten. Joop weiß von seinem Vater, dass bestellte Möbel in Kisten zu den Kunden transportiert wurden, die anschließend voller Banknoten wieder zurück kamen. Geld, das schnell ausgegeben werden musste, denn es verlor jede Minute an Wert. Das wertlose Geld diente später als Spielzeug. Mit Banknoten, aber auch mit Münzen haben die Sneps gespielt. 'Münzen' war eines. Münzen, oft aus Aluminium, wurden in Pyramidenform für jeden Spieler auf den Tisch gelegt. Top 1, Basis 6. Ein Wurf mit dem Würfel bestimmte, welche 50 Pfennig Münze aus 1921, mit der Reihe weggenommen werden konnte. Wer Aufschrift: Sich regen bringt Segen all seine Münzen reingebracht hatte, durfte anschließend bei anderen räubern; derjenige, der zum Schluss die meisten Münzen hatte, war der Gewinner. Joop spielte dieses Spiel als Junge mit seiner Familie und später auch mit den eigenen Kindern und Enkelkindern. 6 Als Joop etwa fünf Jahre alt war, zog die Familie in die Koblenzerstraße um, wo sie im oberen Stockwerk wohnten, mit der Werkstatt um die Ecke. Obwohl die Zeit der Hyperinflation vorbei war, ging es wirtschaftlich weiterhin schlecht. Dennoch kamen Aufträge herein. Ein Sonderauftrag war die Räumung der ebenfalls an der Koblenzerstraße gelegenen Wohnung der Familie SchaumburgLippe. Als Andenken hat Peter Snep ein Florett der adligen Familie behalten, das noch immer in Joops Besitz ist. Als Joop sechs wurde, bekam er seine erste Laubsägeausrüstung zum Spielen, von dem Augenblick an war er oft in der Werkstatt seines Vaters zu finden. Als Zimmerlehrjunge oder um Einkäufe zu erledigen. Allmählich lernte er die Kniffe des Schreinerfaches. Auch ging er zur Schule, zur Hindenburgerschule (einer Jungensschule), wo sich herausstellte, dass er ein ausgezeichneter Schüler war. Joop erinnert sich, dass er auf dem Weg zur Schule manchmal französischen Soldaten begegnet ist. Westlich des Rheins war Deutschland damals in der Folge des Erste Weltkrieges immer noch besetzt. Viele dieser Soldaten waren Marokkaner aus der Fremdenlegion. Mohren, so wusste Joop, da macht man besser einen Umweg. Als Kind hatte Joop eine schwache Gesundheit, zweimal hatte er eine Lungenentzündung. 1930 - er war damals noch keine zehn Jahre alt entschieden sich seine Eltern, es Hindenburgschule in Bonn. wäre an der Zeit, wieder in die Unterste Reihe zweiter von rechts: Joop Snep Niederlande zurück zu kehren. Sie fürchteten den Aufstieg des Nationalsozialismus, aber die wirtschaftliche Not war hoch gestiegen und Peter und Gertrud hielten es für klug, in die Niederlande umzuziehen. Während Joops Vater in die Schweiz ging, wo er vielleicht eine Anstellung finden könnte, reiste seine Familie nach Amsterdam. Joop, der Gürtelrose hatte, wurde vom Krankenhaus zum Bahnhof gebracht. In Amsterdam angekommen, konnten sie vorübergehend bei einer Schwester von Joop in der Cabralstraat wohnen, aber nicht lang danach - aus der Anstellung in der Schweiz wurde nichts - ließ sich die Familie Snep in der Bestevâerstraat nieder, genau wie die Cabralstraat im heutigen Bezirk Amsterdam-West. Joop sprach damals noch kein Wort Niederländisch, denn zuhause in Bonn wurde Deutsch gesprochen. Er hat die Sprache jedoch schnell aufgegriffen und weil er sie vor allem auf der Straße hörte, führte das in der Klasse gelegentlich zu peinlichen Momenten. So hat er einmal den Finger gehoben um zu fragen, ob er zur Toilette gehen durfte: 'Meister, darf ich scheißen?' Das brachte ihm einen Rüffel ein. Seine Eltern wurden in die Schule zitiert und wurden gerügt. Die Schule war die römischkatholische Boomschule (Maria School) am Ende des Admiraal de Ruijterweg, eine Distanz von gut einem Kilometer, die Joop täglich viermal laufen musste. 7 Die Boomschule lag genau neben der Boomkirche, die aus 1911 stammte und nach einem bereits im sechzehnten Jahrhundert genutzte Schlupfkirche in der Kalverstraat benannt worden ist. Diese versteckte Kirche befand sich in einem Gebäude, in dem vorher die Brauerei 't Boompje untergebracht war. 1915 bekam die Pfarrgemeinde Franciscus von Assisi De Boom, die bischöfliche Genehmigung für den Bau der Boomschule, die 1916 fertiggestellt wurde. In der Schule wurde Joop oft Mof geschimpft, den Schimpfnamen für Deutsche. Nicht angenehm, aber einer seiner Klassenkameraden, Hans Donk, der die deutsche Nationalität hatte und schon gut Die Boomkirche eingebürgert war, verteidigte Joop. Bis zum Tod von Hans haben sie den Kontakt gehalten. Joop konnte gut lernen und war in Bonn immer Klassenbester gewesen. Das gelang in den Niederlanden natürlich nicht sofort, aber in seinem letzten Jahr auf der Grundschule war er wieder die Nummer eins. Eine Ehrenkarte zeugt von Joops Fortschritte. Es war kein Wunder, dass sowohl der Hauptschullehrer wie der Pastor darauf drängte, dass Joop weiter lernen sollte. Aber das war nicht drin, denn seine Eltern konnten das schlicht und ergreifend nicht bezahlen. Sie entschieden, dass Joop zur römisch-katholische Handwerksschule gehen sollte. Das wurde die Don Boscoschule, die jedoch erst noch fertiggestellt werden musste. Somit war Joop gezwungen, sich noch ein weiteres Jahr in der siebten Klasse der Boomschule zu langweilen. Die Don Boscoschule, gebaut auf dem ehemalige Gelände der Oostergasfabrik, ist 2004 aufgrund von Problemen mit dem verunreinigten Boden abgerissen. Dass Joop niemals weiter lernen konnte, tut ihn nicht weiter leid: 'Es war halt so, wie es war.' Anfang der dreißiger Jahre wohnte Familie Snep in der Reinier Claeszenstraat, nicht weit vom alten Haus, wo sein Vater im Keller eine Werkstatt hatte. Im Garten stand eine Reckstange, mit dem Joop und sein zwei Jahre älterer Bruder Wim Übungen machten. Das blieb nicht unbemerkt. Herr Van de Wetering, Schatzmeister des Gymnastikvereins Jong Leven hat die Jungs spitz Roothaanhaus gekriegt und lud sie ein, Mitglied im Verein zu werden. Zu teuer für die Eltern. 'Macht nichts,' sagte Van de Wetering und zahlte für sie den Beitrag. So kamen beide Brüder zum Roothaanhaus an der Rozengracht, wo im dritten Stock alle Arten Turngeräte aufgestellt waren. 8 Das römisch-katholische Vereinsgebäude Joannes Roothaan bzw. Roothaanhaus wurde 1929 eingeweiht und verdankt sein Name Pater Johannes Philip Roothaan, der 1785 im Jordaanviertel in Amsterdam das Lebenslicht erblickte und 1829 zum General-Oberst des Jesuitenordens aufstieg; er war der mächtigste Jesuit der ganzen Welt. Das Gebäude bietet jetzt Platz für trendy Gastronomie und Feste. Roothaan würde sich in seinem Grab umdrehen. Joop turnte auf allen Geräten, war jedoch am besten an der Brücke. Er trainierte unter der Leitung von Piet Olthof, Vorsitzender von Jong Leven und Gymnastik-lehrer der Boomschule. Joops kleine Gestalt - er maß 1.68 m und war stark wie ein Bär - war vorteilhaft; fast alle guten Turner sind klein. Er hat sich bei den Junioren so gut gemacht, dass er bei den großen Jungs eingeteilt wurde, wo sein Bruder, der immerhin 1.90 m lang war, bereits turnte. Das geschah einige Wochen, bevor in dieser Gruppe Wettkämpfe abgehalten wurden. Die ältere Jungs übersahen Joop und versuchten, sich gegenseitig zu übertrümpfen; aber halbwegs rief der Kamporganisator Joops Mutter zu sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass Joop bereits oben auf der Liste stand. Er gewann seine erste Medaille und sollte noch zahlreiche weitere Preise heimbringen. Wie schon erwähnt, konnte Joop gut lernen. In der Werkstatt seines Vaters er hatte er so viel Erfahrung gesammelt, dass er die Handwerksschule mühelos schaffte. In Handzeichnen war er ein As. Auch jetzt ging Joop zweimal am Tag auf dem Fahrrad - zur Schule, weil der Groschen für die Schulpause für seine Eltern zu teuer war. Ihm war die Schule sogar so wenig anstrengend, dass Joop es überhaupt nicht schwerfiel, regelmäßig zu schwänzen. Die Familie war umgezogen und wohnte damals auf Leliegracht Nr. 7 in einem Haus, das teilweise einem Deutschen, Fred Klenne, einem Dreißiger, der in Amerika gewohnt hatte und gut Baseball spielen konnte, vermietet war. Während der Zeiten in der Joop die Schule schwänzte, brachte Fred dem lerngierigen Joop auf der Gracht die Kunst des Werfens bei. Auch nahm Fred ihn mit ins Ajaxstadion, wo Joop zusammen mit den Ajaxspielern üben durfte. Erst später stellte sich heraus, dass Fred Klenne Mitglied einer Bande von Autodieben war; das hat die angenehme Erinnerung am Baseball jedoch nicht verdorben. Während des Sommerurlaubs der Handwerksschule war das Roothaanhaus für Turnen geschlossen, Joop spielte dann auf dem Feld des Fußballvereins The Unity allerhand Ballspiele. Handball gehörte dazu, das war ein Sport, der gerade aus Deutschland rüber gekommen war. Es fiel auf, dass Joop sehr hart werfen konnte und er wurde in ein Team von Spielern von Jong Leven, die im Schnitt etwa zehn Jahre älter waren, aufgenommen Joop hat noch lange Handball für Jong Leven gespielt. 9 Kapitel 2 Tischlern, Sport und Tanzen Noch während seiner Zeit in der Handwerksschule lernte Joop einen Nachbarn, Herrn Jacobs, kennen, einem Postboten, der zum Spaß Kasten für Lautsprecherboxen des Drahtsenders fertigte. Joop half ihm dabei, und als Jacobs 1937 eine Werkstatt begann, wurde Joop von ihm eingestellt. Ein Wunsch seines Vaters, der Joop nach dem Abschluss der Handwerksschule Erfahrung sammeln lassen wollte. Das Geschäft lief gut und Joop hatte als Meisterknecht mit seinen sechzehn Jahren im Grunde die Führung über Jacobs und dessen Söhne, die noch wenig Ahnung vom Schreinerhandwerk hatten. Neben Lautsprecherboxen ging das Unternehmen dazu über, kompliziertere Produkte wie Schallplattenschränke anfertigen. Für diese Schallplattenschrank aus die Jahre 30 Schränke sägte Joop Furnier, das er auf die Vorderseite klebte. Das machte er abends auf dem Dachboden nach dem Sport. Für jedes Teil bekam er fünf Cent bis einen Groschen dazu und so verdiente er jede Woche zwanzig bis fünfundzwanzig Gulden dazu - sein Lohn, das übrigens nicht mehr als zehn Gulden betrug. Diesen Zehner gab er seinen Eltern, den Rest durfte er behalten. Während in Deutschland die Juden in die Enge getrieben wurden, lief es Mitte der dreißiger Jahre mit der Schreinerei von Vater Snep nicht so gut. Das Geschäft drohte in Konkurs zu gehen, als ein großer Kunde ohne zu zahlen auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ein Onkel von Joop, Alois Snep, der - wie sich später herausstellte - für den englischen Geheimdienst arbeitete und damit viel Geld verdient hatte, konnte glücklicherweise aushelfen. Dieser Alois war 1914 schon einmal für Spionage verhaftet worden. Joops Vater riss das Ruder teilweise um, indem er sich bei einem Busunternehmen, das Reisen nach Deutschland Utrechts Nieuwsblad, 9 Juli 1914 organisierte, bewarb. Eine Form von Freizeitbeschäftigung, die damals im Kommen war. Peter Snep wurde sofort als Reiseleiter engagiert aufgrund seiner großen Kenntnisse von Europa und seines perfekten Deutsch: 'Er sprach die Sprache besser als Niederländisch.' 10 Im August 1939 fuhr die Familie Snep in die Schweiz für einen Urlaub von drei Wochen. Das war damals eine Ausnahme, aber sie konnten sich das leisten, weil Joops Vater durch seine Funktion als Reiseleiter gute Beziehungen zu Schweizer Hotels hatte; sie konnten dort umsonst übernachten. Joop hatte im Voraus ordentlich zugepackt, so dass er den ganzen Urlaub mitfahren konnte. Sein Bruder Wim kam eine Woche später; dessen Verlobte fuhr auch mit, zusammen mit ihrer Schwester, Hetty Millenaar. Hetty war sechs Jahr älter als Joop, mit dem sie eine innige Freundschaft schloss; die besteht noch immer, auch wenn sie sich lange Zeit nicht begegneten. Hetty arbeitete damals in Amsterdam und zusammen Schaffhausen, Urlaub 1939. Vlnr: Joop, Hetty, machten sie oft einen Spaziergang in der Mittagspause. Im Urlaub Ria, Gertrud, Peter, Wim reiste die Familie durch die ganze Schweiz und Joop genoss in vollen Zügen. Während die Eltern noch kurz in der Schweiz blieben, reisten die anderen am 1. September 1939 mit dem Zug zurück, völlig in Unkenntnis der Tatsache, dass die Deutschen genau an dem Tag in Polen einmarschiert waren und der Zweite Weltkrieg angefangen hatte. In Köln musste die Familie umsteigen, das war jedoch bei dem großen Gedränge nicht einfach und sie hatten große Angst, dass sie nicht mehr in Niederlande zurückkehren konnten. Joop wusste in ein Abteil einzudringen und schob das Fenster herunter, damals war das im Zug noch möglich. Sein Bruder hob die Frauen dann hinein und drängte sich wie Joop in den Zug. Sie kamen sicher in Amsterdam an. Vor dem Urlaub hatte sich Joop bereits bei der Tanzschule Sandman an der Ecke Ferdinand Bolstraat/Van Hillegaertstraat angemeldet. Es stellte sich heraus, dass er gut tanzen konnte. Manchmal besuchte Joop seinen Patenonkel Joop Snep in Eindhoven, der ein Tanzinstitut hatte. Beabsichtigt war, dass Joop diese Schule später übernehmen würde. Leider ging es schief; Joops Onkel wurde 1943 wegen Spionage verhaftet und nach Berlin überstellt, ins Gefängnis gesteckt und zum Tode verurteilt. Genau wie seine 185 Mithäftlinge haben ihn die Deutschen in der Nacht vom 3. zum 4. September aufgehängt. Diese Mordpartie an Häftlinge, die auf die Antwort auf ihr Gnadengesuch warteten - eine der Blutnächte von Plötzensee - wurde vollzogen, nachdem die Alliierten das Gefängnis bombardiert hatten. Tanzinstitut Snep in Eindhoven 11 Weihnachtsball1939. Vorne vlnr: Hetty, Joop, Wiesje. Von dem Geld, das er mit dem Schneiden der Vorderseiten der Boxen verdient hatte, kaufte Joop einen Smoking, damit er schick auf der Tanzfläche erscheinen konnte. Es war Mode, in der Westentasche des Smokings ein silbernes Zigarettenetui zu tragen, dessen Rand klar sichtbar war. Obwohl Joop sein ganzes Leben nie geraucht hat, hat er dieses Ritual mitgemacht. Nachdem er einer Zigarette angeboten hatte, zündete er selbst eine an, oder tat so, als ob. Dann verschwand er sofort zur Toilette und warf die Zigarette weg. Es waren übrigens teure Zigaretten, ägyptische, von der Marke Dubec. Joop hatte eine feste Tanzpartnerin: Wiesje van Tilburg. Mit ihr und mit seiner Freundin Hetty, die auch gerne tanzte, ging Joop zu seinem ersten Weihnachtsball im Wintergarten des Grandhotels Krasnapolsky. Joop war in dieser Zeit sehr beschäftigt. Tagsüber arbeitete er in der Schreinerei, nach dem Essen gab es Sport und meistens anschließend noch Furniersägen. Am Montag von halb sechs bis halb elf Turnen beim Verein ODIN (Onze Daad ist Nodig: Unsere Tat ist erforderlich) wo er unterrichtete. Das tat er in der Gymnastikhalle an der Passeerdersstraat, heute bekannt als Jugendtheater De Krakeling, das sein Name der nahegelegenen Koekjesbrücke verdankt. De Krakeling stammt aus 1887 und ist gebaut, nachdem der Gymnastikunterricht für Jungen und ODIN Früstück. Hinten Joop Snep Mädchen der Grundschulen Pflichtfach geworden war. Für den Entwurf haben deutsche Turngebäude Pate gestanden. Bei ODIN war Joop bereits mit achtzehn Vorsitzender der technischen Kommission, er organisierte dort das traditionelle jährliche Frühstück. 12 Am Dienstag spielte Joop abends Tennis beim Verein Gold Star, ein vornehmer Club, wo er als angehender Architekt introduziert wurde, weil er als Schreiner vermutlich nicht akzeptiert worden wäre. Tischtennis am Mittwoch, den ganzen Abend bei Jong Leven, aber auch für die Liga an andere Orten. Wieder Tennis am Donnerstag und am Freitagabend Vorturnen im Roothaanhaus für Jungen und Herren. Am Samstagnachmittag trainierte Joop mit seinem Handballteam, abends ging er tanzen. Der Sonntag stand im Zeichen des Kirchenbesuchs und das Spielen von Handballturnieren. Genau wie Tennis wurde das draußen gespielt, auf einem Fußballplatz mit zwei Mannschaften. Um die Zeit erfolgten in der Sportwelt Fusionen zwischen katholischen und neutralen Sportvereinen. Beim Fußball hatte dies dazu geführt, dass die katholischen Vereine am Handballteam Amsterdam vom Katholischen Turnbunde. Sonntagmorgen spielen Auf den Knien zweiter von links: Joop Snep. mussten, aber dieses Aufrecht im weissen Trikot: Wim Snep; 1941 Irrtum wurde vermieden, als im Handball fusioniert wurde. Joops Bruder Wim spielte dabei als Mitglied der Kommission, die den Zusammenschluss des Katholische Turnbundes und des Niederländischen Handballverbandes vorbereitete, eine wichtige Rolle. Es wurde festgelegt, dass Wettkämpfe von katholischen Vereinen am Sonntag nicht vor 12.00 Uhr anfangen durften. Somit hatten die römisch-katholischen Spieler genügend Zeit, zur Messe zu gehen. Durch diese Sportarten hatte Joop in dem Moment, als der Krieg die Niederlande erreichte, eine eiserne Kondition. Es sollte ihm das Leben retten. 13 Kapitel 3 Krieg, Widerstand und Verhaftung Auf seinen Reisen nach Deutschland für das Reiseunternehmen besuchte Joops Vater in seiner Freizeit zahlreiche alte Bekannte aus der Zeit, als er in Bonn seine Firma hatte. Es waren ehemalige Lieferanten von Materialien wie Leim, Lack und Eisenwaren - unter ihnen viele Menschen jüdischer Herkunft. Um diese Juden in die Niederlande zu bringen entwickelte Peter Snep ein schlaues System, das funktionierte, weil die Grenzkontrollen damals noch nicht von SSlern, sondern von Grenzbeamten durchgeführt wurden. Die waren nicht unbedingt darauf aus, Juden festzunehmen. Beim Grenzübergang nutzte Peter einen Kollektivpass, d.h., von allen Insassen eines Touringcars waren die Personendaten auf einer Liste notiert, die jedoch kaum kontrolliert wurde. Wenn ein Bus nicht voll besetzt war, ergänzte Peter die Liste - die maximal vierzig Namen enthalten konnte - auf dem Rückweg mit den Daten der Juden, die auf dem Rückweg in die Niederlande mitfuhren. Peter Snep war bekannt und populär. Wenn er mit seinem Bus an die Grenze kam, klang es oft: 'Ah, der Peter, weiter fahren!' Wie viele Juden auf diese Weise in die Niederlande einreisen konnten, ist kaum zu schätzen, es muss sich jedoch um eine erhebliche Anzahl gehandelt haben. Von dieser Aktivität seines Vaters wusste die Familie nichts, auch Joop hat das erst nach dem Krieg erfahren. Das Reich überfiel die Niederlande am 10. Mai 1940. Am Tag darauf - die Familie wohnte damals auf der Blauwburgwal genau an der Ecke mit der Herengracht - sammelte Joop seine erste Kriegserfahrung. Er erinnert es sich wie der Tag von Der Bombenangriff nauf dem Blauwburgwal, gestern. Er lief auf der 11. Mai 1940. Prinsengracht und sah, wie ein Flugzeug einige Bomben fallen ließ; er fragte sich, wo die herunter kommen würden. Er rannte nach Hause und sah zu seinem Erschrecken, dass die Bomben das Eckhaus Herengracht 105 völlig zerstört hatten. Das Dachgeschoss im Haus der Familie Snep, das einige Häuser weiter lag, war verschwunden und auch das Stockwerk darunter hatte großen Schäden. Als er ins Wohnzimmer trat, fand er dort zu seiner großen Erleichterung seine Mutter und Schwester von einigen leichten Schrammen abgesehen unverletzt vor. Das Radio auf dem Tisch vor dem Fenster spielte einfach weiter, trotz der Tatsache, dass ein durch den Luftdruck reingedrückte Holztür den Apparat an der Vorderseite getroffen hatte und dort stehengeblieben war, ein bizarrer Anblick. 14 Diese Bombe war keine Folge eines gezielten Bombenangriffs. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ein vermutlich englischer Bomber in Not seine Bomben abgeworfen hat um Höhe zu gewinnen; eine traf dabei genau die Stelle, wo Joop wohnte. Die Familie Snep hat Glück gehabt, sie überlebte die Bombe, aber es gab viele Tote. In den Geschichtsbüchern ist von etwa vierzig die Rede, aber Joop, der bei der Beseitigung der Schäden behilflich war, hat viel mehr Tote gezählt. Das Abräumen des Schütts war übrigens gar nicht so einfach. Die Konstruktionen hoch oben an der Giebel der getroffenen Häusern, die zum Hochziehen dienten, waren zerstört und der ganze Schütt musste somit die Treppen hinunter getragen werden. 1952 wurde an der Stelle der verwüsteten Wohnungen von der Kaffeehandelsgesellschaft Matagalpa ein neues Gebäude errichtet. Vierzig Jahre später enthüllte der Amsterdamer Bürgermeister Van Thijn an der Seite des Herengracht dann ein Giebelstein: die Papiermühle. Dabei war Joop als einziger derjenigen, die den Bombenangriff gesehen bzw. überlebt hatten, anwesend. Der Stein kommt aus der Fassade des Hauses des Papierhändlers Pieter Haack am Damrak und stammt aus 1649. Im Gebäude hatte 1992 das Werbebüro Wunderman WorldGiebelstein die Papiermühle wide seinen Sitz, der Stein kam somit wieder zur Papierverarbeitung zurück. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges baute Joops Vater eine neue Fluchtlinie für Juden auf, diesmal handelte es sich jedoch um den Transport von Juden aus den Niederlanden über Belgien und Frankreich in die Schweiz; es musste für falsche Papiere gesorgt werden. Er besuchte Juden, die in Gruppen im Apollobezirk zusammen kamen und die über die Grenze wollten, notierte ihre Daten, die er dann beim Widerstand bracht. Innerhalb einiger Wochen waren die falsche Papiere fertig. Weil dies viel Zeit in Anspruch nahm, bat Vater Snep seinen Sohn Joop, ihm dabei zu helfen. Auch wurde Joop dabei eingesetzt, die Juden zur belgischen Grenze zu begleiten. Drei oder vier Menschen reisten gleichzeitig mit Joop per Zug nach Eijsden in Limburg, wo auf der Grenze ein Bauernhof lag - mit der Vordertür in den Niederlanden und die Hintertür in Belgien. Vor dem Bauernhof lag ein Stück Land auf niederländischem Gebiet, das an einem Weg grenzte, an dem eine Kneipe stand. Für die Flüchtlinge war es eine Art Haltestelle; sie warteten dort, bis es dunkel Büro Jüdische Angelegenheiten wurde. Anschließend brachte Joop sie einzeln zum Bauernhof, wo sie auf der anderen Seite abgeholt werden sollten. Von wem und wie wusste Joop nicht. Bei seiner Arbeitsstelle in der Firma Jacobs wusste keiner etwas davon. Seine Abwesenheit - Joop war manchmal zwei bis drei Tage in der Woche unterwegs - rief keine Verwunderung hervor. Denn Joop war sehr mit seinem Sport beschäftigt, zudem war er im Grunde der Chef des Unternehmens. Dennoch ging es schief. 15 Im Juni 1942 meldete sich jemand bei Joop, der es sehr eilig hatte und sagte, er brauche nicht auf falsche Papieren zu warten. Der Mann gab an, er kenne zwei Agenten der Amsterdamer Polizei, die mit ihm nach Eijsden reisen konnten und bei einer Kontrolle sagen würden, sie hätten einen Häftling dabei. Während der Reise versuchten die Polizisten, Joop darüber aus zu horchen, wie alles vor sich ging, aber er reagierte nicht und erzählte ihnen nichts Wichtiges. Nachdem alle Flüchtlinge in der Kneipe abgeliefert waren, reisten die beiden ab Richtung Amsterdam, Joop brachte seine 'Kunden' zum Bauernhof. Am nächsten Morgen warteten die Polizisten Joop am Zentralbahnhof in Amsterdam auf und spazierten ein Stück mit ihm zusammen. Als sie den Polizeipost am Bahnhof passierten, griffen sie Joop und zerrten ihn herein. Das war schlau, denn eine Verhaftung im übervollen Bahnhof wäre wahrscheinlich nicht gelungen. Joop: 'Ich bin davon überzeugt, dass es mir gelungen wäre, mich loszureißen und in der Menge zu entkommen.' Einmal in der Wache musste sich Joop völlig nackt ausziehen. Er wurde mit einem Knüppel verprügelt und vernommen, sagte jedoch nichts. Danach kam er ins Bureau Jüdische Angelegenheiten an der Nieuwe Doelenstraat 13. Bei Ankunft sah Joop von der Vordertür aus, wie am Ende eines langen Flures eine Tür geöffnet wurde; zu seinem Erschrecken sah er, dass im Zimmer dahinter seine Mutter und Schwester saßen. Ob das nun Zufall war oder Absicht - Joop glaubt, es war beabsichtigt; die Idee, dass die Deutschen seine Familie in der Gewalt hatte, ließ ihn das Allerschlimmste vermuten. Andere waren für vergleichbare Vergehen erschossen worden. Es folgte eine zweite Vernehmung und erneut Dresche, und wieder hielt er den Mund. Einige Tage verbrachte Joop auf der Polizeiwache an der Elandsgracht. Eingesperrt in einer kleinen Zelle mit noch vier anderen Häftlingen hing er ein bisschen gegen die Wand. Völlig lahm geschlagen, konnte er nicht einmal sitzen. Offensichtlich war es den Deutschen klar geworden, dass Joop ihre Sprache perfekt beherrschte. Das war der Grund, dass er im Gebäude des Sicherheitsdienstes in der damaligen Euterpestraat dem Leiter der Gebäude des Sicherheitsdienstes SD, Willy Lages, vorgeführt wurde. Lages war freundlich, entschuldigte sich für das brutale Vorgehen der Polizei und bot ihm ein Glas Wein und eine Zigarette an, die Joop nicht akzeptierte - um seinen Häftling dann ein Kompliment mit seiner Kenntnis der deutschen Sprache zu machen und ihn zu fragen, ob er nicht für die Deutschen arbeiten wollte. Natürlich hat Joop sich geweigert. 'Abführen', war Lages' Reaktion. Danach wurde Joop zum Gefängnis an der Havenstraat überführt, wo er eine Zelle mit vier Mithäftlingen teilte - unter ihnen ein Einbrecher, ein Anwalt und ein Seemann. Der Seemann brachte den anderen bei, wie man aufwischen musste damit die Zelle sauber blieb. 16 Zusammen mit seinem Vater, der ebenfalls verhaftet worden war, wurde Joop dann ins Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort bzw. PDA überführt. Das fungierte nicht nur als Durchgangslager zur Weitertransport nach Deutschland, sondern war auch ein Arbeitsund Straflager, wo verhaftete Untertaucher arbeiten mussten bis zum Transport in ein Durchgangslager Amersfoort anderes Lager oder zum Arbeitseinsatz im Reich. Bei Ankunft im Lager musste man alles ausziehen und wurden uralte Uniformen der niederländischen Armee verteilt. 'Mit einer Tondöse schoren sie eine Haarbahn mitten auf dem Kopf. Von dem Augenblick an war man eine Nummer und bekam man ein Stofffetzen, den man auf die Uniform nähen musste.' Juden trugen den bekannten gelben Davidstern, Joop bekam als politischer Gefangene ein rote Dreieck, Schwarzgeldhändler ein schwarzes, Einbrecher ein grünes, Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas ein lila und Schwule eine rosa Dreieck. Wer zum Tode verurteilt worden war, trug einen roten Zirkel oder Ball auf dem Rücken, im Grunde eine Art Schießscheibe. Wenn einer dieser Häftlinge zu nah an die Absperrung kam, wurde ohne weiteres erschossen. Schiessbahn Amersfoort In Gruppen von 20 bis 40 Mann wurde außerhalb des Lagers marschiert, auch mussten die Häftlinge Steine von der einen auf die andere Seite der Straße schleppen, um sie am nächsten Tag wieder zurückzutragen: das Steinekommando, ausschließlich dazu erdacht, die Gefangenen zu ermüden und zu zermürben. Von diesem Weg, dem späteren Loes van Overeemlaan, ging 1943 eine Schiessbahn von 320 Meter Länge ab, zwischen Erdwallen vom ausgegrabenen Sand. Der Stellvertreter des Lagerkommandanten war der gefürchtete Joseph Kotälla. Das Schleppen mit den Steinen fiel Joop nicht sonderlich schwer, aber für viele der ausgemergelten Häftlinge war es unmöglich. Einer von ihnen war der damals schon 67jährige Monne de Miranda, ehemaliger Beigeordneter der Stadt Amsterdam, der genau wie Joop beim Steinekommando eingeteilt worden war. 'Ich sah, dass Menschen wie De Miranda das nicht schafften, nach meinem Abtransport ist er dann auch zusammengebrochen und von Monne de Miranda den SSlern von Kotälla unheimlich getreten worden. Sie 1875-1942 hievten ihn in einen Schubkarren und kippten ihn vor dem Hang der Schiessbahn. Am Ende des Tages holten ihn Mithäftlinge zum Appell, danach haben ihn die Bewachern im Waschlokal nochmal zusammengeschlagen. Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass er gestorben war.' 17 Einige Tage nach Ankunft von De Miranda gingen Vater und Sohn Snep wieder auf Transport. Alle Häftlinge bekamen ein Brot für unterwegs. Joop ging klug vor und aß jedes Mal nur eine oder zwei Schnitte, aber es gab Häftlinge, die dermaßen ausgehungert waren, dass sie all ihr Brot sofort aufaßen. Das haben sie bereut, denn der Transport sollte noch Tage andauern. De erste Tag ging es mit dem Zug (ein ganz normaler Zug, keine Viehwaggons), zum Gefängnis in Düsseldorf, wo sie in mit Holzpritschen ausgestatteten Zellen für einige Nächte untergebracht wurden. Der nächste Abschnitt war per Lastwagen. Die Häftlinge wurden einfach rein gepfercht, beim Zuschlagen der Hintertüren achteten die Deutschen nicht darauf, ob ein Hand oder Fuß eingeklemmt wurde. Joop: 'Das Berlin Alexanderplatz, 1941 Krachen der Knochen klingt mir noch immer in den Ohren.' Schließlich ging es weiter nach Berlin, wo der Zug auf dem Alexanderplatz anhielt. Die Häftlinge wurden von einigen Hunderten Schupos, Beamte der Schutzpolizei, die mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den deutschen Großstädten beauftragt waren, bewacht. Gefesselt an den Handgelenken der Schupos bildeten die Häftlinge lange Häftlinge unterwegs nach Menschenketten, die sich zur anderen Sachsenhausen Seite des Platzes in Bewegung setzten, wo das Polizeipräsidium stand. Dort wurden sie in einen fürchterlich heißen Keller geschoben, wo es vor Läuse nur so wimmelte. Auf Straßenhöhe waren schmale Fenster. Es gelang Joop, mit seinem in einem Handtuch gewickelten Kopf - er hatte eins dabei eines dieser Fenster einzuschlagen. So konnte etwas frische Luft herein kommen. Konzentrationslager Sachsenhausen Mit der Straßenbahn ging es dann zum Bahnhof von Oranienburg, von dort liefen die Häftlinge zum Konzentrationslager Sachsenhausen. Dort kamen sie am 28. Oktober 1942 an. Joop hatte die lange Reise aus den Niederlanden überlebt und hatte am letzten Reisetag noch ein einziges Stückchen Brot übrig. Aber viele seiner Mithäftlinge starben während der furchtbaren Fahrt. 'Sie starben wie die Fliegen.' 18 Kapitel 4 Sachsenhausen Nach Ankunft in Sachsenhausen wurden alle Häftlinge vollständig kahlrasiert. Danach mussten sie sich in einem Zebra-Anzug hüllen, auf dem - genau wie in Amersfoort zusätzlich zur Personsnummer auch ein Dreieck genäht werden musste. Das zeigte, zu welcher Kategorie ein Häftling gehörte. Am zweiten Tag wurden Joop und sein Vater im Schuhläuferkommando eingeteilt, was beinhaltete, dass sie jeden Tag von sechs Häftlinge in Sachsenhausen Uhr morgens bis fünf Uhr abends auf allen möglichen Schuhen marschieren mussten. Diese Schuhe waren u.a. von der Salamanderfabrik in Kornwestheim produziert. Die testeten ihre Schuhe zwar auch in ihrem Fabrikgelände, ließen das jedoch auch gerne von Häftlingen in Sachsenhausen tun. Im Schuhkammer befanden sich Regale mit Militärschuhen, normale Schuhe, Stiefel, Sandalen usw. Die Häftlinge mussten ihre Schuhgröße angeben und bekamen dann von einem Mithäftling jeder ein Paar für sich auf den Tisch geschmissen. Wer sich traute zu sagen, dass ein Paar Schuhe ihm nicht gefiel oder nicht passte, kriegte sofort einen Tritt oder einen Schlag von einem SSler. Joop erinnert sich, dass die Häftlinge beim Fehlen von Socken Lappen um ihre Füße wanden oder die Schuhe über ihren nackten Füssen anzogen. Anschließend Abmarsch zum Appellplatz, wo sie sich in Reihen von etwa zwanzig Mann aufstellten, dann konnte das Zählen seinen Anfang nehmen. Nummer eins der ersten Reihe fing an zu zählen: 'Eins', bis das Ende der Reihe erreicht war. Dann die zweite Reihe, usw. Die Summen der Reihen wurden notiert und zusammengezählt, danach begannen die Häftlinge an ihre endlose Märsche. Sie marschierten über einer speziell dazu angelegte Schuhprüfstrecke, einem Streifen von 700 Meter Länge rund um den Appellplatz, mit verschiedenen Arten Belag wie Beton (58%), Schlacken (10%), Sand (12%), Lehm, (8%), Schotter (4%), Kies (4%) und Pflastersteine (4%). Es war ein Durchschnitt aller europäischen Straßen, die Salamanderfabrik die deutschen Soldaten bei ihren Eroberungen nutzen sollten. Durch Wind und Wetter liefen die ausgemergelten Männer in Marschtempo an die 40 Kilometer pro Tag, dabei mussten sie deutsche Lieder singen. 'Der heutige Vier-Tages-Lauf der Stadt Nijmegen ist im Vergleich dazu Kinderspiel', so Joop, der hinzufügt, dass manchen Häftlinge auch noch einen mit Steinen gefüllten Rucksack umgehängt wurde. In Joops Zeit liefen 120 Häftlinge auf diese Weise täglich etwa 4.000 Km. Jeden Tag bekamen die Häftlinge andere Schuhe, um individuelle Effekte auf den Zerschleiß aus zu schalten. Teils verschlissene Sohlen wurden repariert und erneut genutzt, bis sie völlig verbraucht waren. So konnten die Deutschen für jede Art von Material berechnen, wievielte Kilometer damit gelaufen werden konnte. 19 Die Einteilung zum Schuhkommando bedeutete eigentlich ein verkapptes Todesurteil. Täglich fielen dabei 10 bis 20 Häftlinge um, sie wurden zusammengeschlagen oder direkt mit einem Nackenschuss erledigt. Mithäftlinge mussten die Leichen auf einen Holzkarren laden und zum Krematorium bringen. Täglich kontrollierten die Bewachern, ob niemand entflohen war. Wenn sich herausstellte, dass es einem Häftling gelungen war, zu fliehen, dann mussten die anderen genau so lange warten, bis die SSler ihn gefasst hatten. 'Wir mussten einmal stundenlang in der Kälte und im Regen auf dem Appellplatz stehen, weil sich der Flüchtling gut versteckt hatte.' Das Essen war sehr schlecht und bestand aus Joop auf die Schuhprüfstrecke, 2010 nicht mehr als zwei Schnitten Brot und einer Schale wässriger Kohlsuppe. Kein Wunder, dass Joop rasch an Gewicht verlor; bei Ankunft wog er 72 Kilo, nach einigen Monaten nur noch 49. Vier Wochen später wurden Fachleute gesucht, die sich für die Erledigung von allerhand Reparationsarbeiten melden sollten, denn zu der Zeit wurde Berlin ordentlich bombardiert. Joop und sein Vater landeten im Lager Lichterfelde an der Wismarer Straße in Berlin, einem Außenlager von Sachsenhausen, das streng bewacht wurde. Erst bauten sie dort Baracken, aber danach mussten sie außerhalb des Lagers auf einem Bauplatz an der Brahmsstraße arbeiten. Dieses Werksgelände war nicht umzäunt, und das bedeutete, dass sich drumherum ein Ring von SS-Bewachern befand, der nicht durchbrochen werden durfte. Vater und Sohn Snep mussten in einer gesonderten Werkstatt Werkzeug reparieren: kaputte hölzerne Stielen von Hammern oder Barakkenlager Lichterfelde Spaten ersetzen und dergleichen. Mit primitiven Mitteln sägten sie diese aus Holz, das von Deichseln von Pferdenkarren stammte. 'Wir hatten eben mazzel, eine gehörige Portion Glück, erzählt Joop, 'denn wir konnten drinnen arbeiten, geschützt gegen Kälte und zudem durften die SSler nicht herein' - denn dann wäre der Bewachungszirkel durchbrochen worden. Die Werkstatt hatte ein Fenster, davor ständig SSler, die Wache standen. Eines Tages klopfte ein Bewacher auf das Fenster. Joop öffnete die Tür, woraufhin der Deutsche zu Joops Erstaunen bat, das Spielzeugwägelchen seines Sohnes zu reparieren. Es war ein Rad abgebrochen; so eine Reparatur war für Joop natürlich einfach. Als Belohnung bekam er etwas Brot. 'Nicht alle SSler waren Schuften', sagt Joop. 'Manche hatten sich aus Idealismus zur SS gemeldet, fühlten sich dann im nachhinein schwer enttäuscht und benahmen sich nicht allzu sehr daneben.' Auf den Lastern, mit denen die Häftlinge im Stehen zur Arbeit gebracht wurden wie Heringe in einer Tonne, saßen die Bewachern auf einer Holzbank. Das brachte Joop auf eine tolle Idee. 20 Der Holzvorrat im Lager Lichterfelde war durch einen Zaun gesichert, aber Joop hatte den Schlüssel und es gab niemals Kontrollen. Er klaute ein Brett aus dem Vorrat, sägte es passgenau und nagelte es auf der Bank in den Lastern. Ob die Bewachern nun auf einem oder auf zwei Brettern saßen, bemerkten sie nicht. Am nächsten Tag wiederholte Joop dies und in der Barak zimmerte er die Bretter zu einer Bank. Also mehr Bequemlichkeit für die Häftlinge, denn Banken fehlten an allen Ecken und Enden. Die nächste Arbeitsstelle für Joop und seinen Vater gab es im Sanitätshauptamt an de Knesebeckstraße, dem medizinischen Hauptquartier der SS, wo sie mit Hilfe von zwei russischen jungen Männern Reparaturen an Türen und Fenstern ausführten. Ihre Bewachern waren zwei junge Österreicher, Transport Häftlinge in Lastwagen 'die schon in Ordnung waren'. Es entstand sogar eine gewisse Beziehung zwischen den Häftlingen und den Bewachern, 'Wie verrückt das vielleicht auch klingen mag', sagt Joop, 'sie waren wirklich nicht böse'. Eines Tages saßen die Österreicher im Keller, in dem Joop und sein Vater bei der Arbeit waren, entspannt auf einer Kiste und hatten ihre Gewehre an die Wand gelehnt. Durch das Fenster auf Straßenhöhe sah Joop plötzlich die glänzenden Stiefel von SSlern, die offensichtlich auf Kontrollgang waren. Schnell schob Joop den dösenden Österreichern ihr Gewehr in die Hände, gerade noch rechtzeitig. Die SSler die reinkamen, stellten fest, alles sei in Ordnung und verschwanden wieder. Wenn die Österreicher bei Nachlässigkeit ertappt worden, dann hätte das für sie selbst, aber auch für die Häftlinge zweifellos böse Folgen gehabt. Joop kam so gut mit seinen Bewachern aus, dass sie ihn losschickten, an der anderen Straßenseite in der Küche des Sanitätshauptamtes Essen für sie zu holen. Das war kein Problem, denn Joop konnte in seiner Ehemalig SS-Sanitätshauptamt Gefängniskleidung und mit seinem kahlrasierten Kopf sowieso nicht fliehen. Joop ließ einen kleinen Kessel mit den Resten die in den großen Kesseln zurückgeblieben waren, auffüllen. 'Das Beste vom Essen gab es unten in den Kesseln, es sackte nach unten.' Später ließ er einfach einen großen Kessel füllen: 'Ich habe mich vollgefressen.' Bevor die Häftlinge von Lichterfelde aus zu ihrer Werkstatt gebracht wurden, gab es natürlich Appel, genau wie in Amersfoort und Sachsenhausen. Joop hat sich total erschrocken, als eines Tages beim Appell seine Nummer ausgerufen wurde. Das hieß zum Rapport kommen. 'Ich dachte, dass sie den Holzdiebstal entdeckt hatten, dafür konnte man Stockschläge bekommen.' Zum Rapportführer: 'Häftling Nummer 52058 meldet sich.' Zu seiner enormen Überraschung hörte Joop, dass er nach Sachsenhausen gehen sollte um seine Sachen abzuholen und dass er sich in Amsterdam für den Arbeitseinsatz anzumelden hatte. 21 Bereits 1942 war allen Kommandanten der Konzentrationslager den schriftlichen Befehl der SS erteilt, Häftlinge, die im Lager nicht strikt erforderlich waren, in die Heimat zurück zu schicken. Joops erste Reaktion auf den Befehl, nach Amsterdam zurück zu kehren, war: 'Und wie geht es jetzt weiter mit meinem Vater?' Daraufhin bekam er sofort einen schweren Tritt eines Bewachers. 'Man hatte nichts zu fragen, nur Befehle zu gehorchen.' Am 7. Mai 1943 verließ Joop das KZ. 22 Kapitel 5 Untertauchen in Amsterdam Nachdem die Niederlande von den Deutschen besetzt worden war, übten die Geschäftsgruppe Sozialverwaltung des Reichskommissariats und das Sozialministerium immer mehr Druck auf Arbeitslose aus, Arbeit in Deutschland zu akzeptieren, unter Androhung einer Sperre des Arbeitslosengeldes. 1941/42 wurden Betriebe 'ausgekämmt', d.h. sie mussten einen Teil des Personals für den Arbeitseinsatz zur Verfügung stellen. Im Mai 1943 wurde die Einziehung der Jahrklassen 1920-1924 für den Arbeitseinsatz verkündet; auch Studenten, die nicht die Loyalitätserklärung unterschrieben hatten, galten als arbeitslos und mussten nach Deutschland gehen. In Deutschland bestand bereits seit Beginn des Hitlerregimes der Reichsarbeitsdienst, ein Pflichthalbjahr im Arbeitsdienst für Männer zwischen 18 und 25 Jahren, für Frauen war es freiwillig. Unter dem Motto 'Mit Spaten und Ähre' zogen diese jungen Menschen durch Deutschland um Sümpfe trocken zu legen, Bauland zu erschließen oder beim Bau des Autobanen und des Westwalls zu helfen. Diese Maßnahme war ursprünglich dafür gedacht, die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, entwickelte sich jedoch schon bald zu einer Instanz zur Förderung von nationalsozialistischen Erziehungsidealen, zum 'Ehrendienst am deutschen Volke'. Ab 1939 war der Arbeitsdienst auch für Frauen Pflicht; sie arbeiteten als Haushaltshilfe, in der Landwirtschaft oder machten ehrenamtliche Arbeit: die Arbeitsmaiden. Die Männer wurden mehr und mehr zur Unterstützung der Wehrmacht eingesetzt. Bevor der Zweite Weltkrieg ausbrach, hat der deutsche Arbeitsmarkt bereits Niederländer angezogen, die im eigenen Lande keine Arbeit finden konnten - es war Krise und es gab sehr viele Arbeitslose, und die hatten es außerordentlich schwer, ihre Familie durchzubringen. Passende Arbeit war eben auch Arbeit über der Grenze. Und so ging Joop nach Hause, übrigens ohne Bewachung. 'Von al dem Essen hatte ich einfach ein dicken Kopf bekommen.' Ganz alleine mit Straßenbahn und Zug in die Niederlande - als er sich dann in Berlin auf dem Weg machte, wurde er sich schon bald bewusst, wie scharf die Bewachung geworden war. Weil er warten musste bis der Zug abfahren würde, spazierte Joop im Bahnhof ein wenig herum. Die Gestapo hielt ihn sofort an; 'Das war nicht unlogisch, denn was macht ein junger Mann in einem ordentlichen Kostüm an der Stelle?' Joop wusste jedoch zu erklären, was es damit auf sich hatte und stieg in den Zug. Einmal zuhause, musste er sich sofort melden und wurde dann zur Handwerksschule an der Meeuwenlaan in Amsterdam-Nord geschickt. Er sollte in einem Schnellkurs von einigen Wochen zum Metallarbeiter ausgebildet werden. Der Direktor der Handwerksschule hatte die Angewohnheit, die Schüler zu informieren, wann sie vom Besatzer nach Deutschland geschickt werden sollten. Als Joop hörte, dass er an der Reihe war, berief er sich auf medizinische Gründe und zwar mit einem Brief, den Joop von einem Arzt des Wilhelmina Gasthuis bekommen hatte: Er sollte an der Nase operiert werden, weil er ständig erkältet war. 23 Die im Atlanta-Gebäude an der Stadhouderskade ansässige deutsche Kommission, die mit der Aussendung von Arbeitern beauftragt war, zeigte sich jedoch nicht beeindruckt: 'Mit diesem Brief kannst du genauso gut nach Deutschland' und Joop wurde aufgerufen, los zu fahren. Das hat er jedoch nicht gemacht. Die Gestapo stand schon sehr bald vor der Tür des Elternhauses, um ihn fest zu nehmen. In dem Moment warnte ein Nachbarmädchen Joop. Er ließ sich umgehend im Weesperpleinkrankenhaus aufnehmen um dort operiert zu werden, mit Unterstützung des Leiters der GGD, Professor Tuntler. Dieser Operation hat Joop seine Boxernase zu verdanken, denn die Nasenscheidewand wurde entfernt und nicht, wie heute üblich, durch eine von Kunststoff ersetzt. De Gestapo ließ nicht locker, nach einem zweiten Aufruf, sich zu melden tauchte Joop unter. Vor dem Krieg hatte Joops Vater ein Lager an der Prinsengracht 204 gemietet. Das war ein geeigneter Tauchplatz. Zudem konnte Joop dort seine Arbeit als Schreiner weiter ausführen. Es gab dort noch zwei andere Untertaucher, John Wagenaar und Henk Ottenga. Henk war Zeichner, John Konditor. Henk war mit Annie, einer Nichte von Joop, verlobt. Nach dem Krieg wurde John Chef in der Konditorei der Familie Schäfer. 'Die Familie Schäfer wohnte bei uns um die Ecke und ich habe Jan (den späteren Beigeordnete und Staatssekretär) aufwachsen sehen.' Die drei Untertaucher kamen gut miteinander aus. Wenn Gefahr drohte, versteckten sie sich unter dem Boden. 'In der Mitte der Arbeitsräume gab es eine kleine Treppe nach unten, die entfernt werden konnte; wenn man unter den Boden gekrochen war, zog man sie wieder an seine Stelle und sicherte man sie mit einigen großen Riegeln.' Joops Schwester brachte ihnen immer das Essen. Gefängnis an der Weteringschans Zum Erstaunen der Familie kehrte Vater Snep Weihnachten 1943 nach Amsterdam zurück. Wie das passieren konnte, ist niemals klar geworden. Vielleicht hat ein hoher Offizier des Sanitätshauptamtes, mit dem sich Peter Snep während der Arbeit gut verstanden hatte, nachgeholfen. Dieser Offizier war möglicherweise ein Sympathisant von Von Stauffenberg, dem Mann, der am 20. Juli 1944 ein (gescheitertes) Attentat auf Hitler verübte. Joops Vater meldete sich wieder beim Widerstand, wurde jedoch als zu alt für aktive Teilnahme betrachtet. Er war jedoch involviert beim Überfall auf das Gefängnis, das Huis van Bewaring an der Weteringschans zu Amsterdam in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 1944. Peter Snep wusste, dass im Gefängnis ein niederländischer SSler als Gefängniswärter arbeitete, der vermutlich etwas für den Widerstand tun wollte. 24 Es handelte sich dabei um Jan Boogaard, der nach einer Verwundung an der Ostfront in die Niederlande zurückgeschickt worden war. Peter gab diese Informationen an die Widerstandsgruppe weiter, es schien ein goldener Tipp zu sein. Man zögerte zunächst noch, dann wurde jedoch entschieden, es mit Boogaard zu versuchen. Nach dem Überfall sollten sich die neunzehn Widerstandskämpfer in der Werkstatt der Sneps melden. Sie hatten alle einen Schlüssel bekommen. Der Angriff wurde ausgeführt, aber Boogaard hatte alles Willy Lages verraten, dessen Mannschaften die Widerstandskämpfer mit Maschinengewehren erwarteten. Der ungleiche Kampf war schnell zu Ende. Fast alle Teilnehmer am Überfall wurden verhaftet und hingerichtet. Nur einer von ihnen, Jaap Haarsma, wusste mit einer Schusswunde im Bein die Werkstatt zu erreichen. Boogaard ist nach dem Krieg zum Tode verurteilt. Prinsengracht 204 diente auch als Lager für die illegale Zeitung Je Maintiendrai und Lebensmittel und Kohle, die für die Teilnehmer am Bahnstreik, der von September 1944 bis zur Befreiung gedauert hat, bestimmt waren. Joops Vater organisierte die Verteilung im Auftrag von Je Maintiendrai. Die Werkstatt wurde durch Schiffe, die in der Gracht fuhren, beliefert, danach sorgten Kuriere für die Distribution. Joop arbeitete vom Anfang seiner Untertauchperiode bis zum Ende des Krieges einfach weiter in der Schreinerei seines Vaters und verdiente gutes Geld. Ein Bekannter der Familie Snep aus der Zeit, in der sie auf der Blauwburgwal wohnten, hatte einen riesigen Vorrat Lampenhalterungen aufgekauft und bat Joop, in den Holzarmen ein Kanal für die Bedrahtung anzubringen und die Lampen fertig zu stellen. Pro Lampe brachte das Joop 10 Gulden ein, so verdiente er bis zu 100 Gulden pro Woche zusätzlich - damals eine Riesensumme. Manchmal war es ungeheuer spannend. Joop erinnert sich an einen außerordentlich heißen Tag, an dem die Fenster weit offen standen, d.h. sie wurden hoch geschoben bis sie sich verklemmten; die Gegengewichte fehlten. Nachts kühlte es ein wenig ab und dann kam mit einem fürchterlichen Krach ein Fenster herunter. Die drei Untertaucher flogen aus ihren Betten, aus Angst vor einen Bombenangriff. Auch weiß Joop noch gut, wie sie im Winter von 1943 zu Dritt den Baum gegenüber der Werkstatt umsägten, um Brennholz zu bekommen. Mitten in der Nacht gelang es ihnen, im Erdedunkeln den Baum um zu sägen. Sie zogen ihn mit dem Stamm nach vorne in die Werkstatt. 'Wir dachten, dass die Krone schon durch die Tür passen würde, aber auf einmal blieb alles stecken'. Und dann geschah, vor dem sie Angst gehabt hatten: Es nahte ein Streifen weißes Licht von einer Fahrradlampe. Fahrradlampe aus dem Zweiten Weltkrieg 25 Der Fahrradfahrer, der natürlich fast nichts sehen konnte, fuhr mit hoher Geschwindigkeit in die Baumkrone und stellte zur Erleichterung der Untertaucher nur in affektiertem Ton fest: 'So, hier wird ein Baum organisiert'; danach zog er sein Fahrrad aus den Baumblättern und fuhr weiter. Der Baum wurde schließlich herein gezerrt und von Henk und John, die die Zeit an sich hatten, zerkleinert. Henk Ottenga machte von einem Teil des Holzes einen bequemen Sitz, so dass er in aller Ruhe den Rest des Holzes mit einem Beil zu Brennholz hacken konnte. Eine Arbeit, auf die er sich sehr freute, aber gerade an dem Tag kam Joops Vater vorbei, der sich sofort an die Arbeit machte. Henk war sauer, wollte aber Vater Snep nicht vor dem Kopf stoßen. Über der Werkstatt wohnte eine Frau, die in Joops Augen bereits sehr alt war. Sie versicherte den Untertauchern, sie würde immer gut aufpassen, dass kein Einbrecher sein Unwesen trieb. Sie sagte ihnen, es sei auf der Gracht immer sehr ruhig gewesen. Stocktaub also, war Joops Schlussfolgerung: 'Als wir den Baum reinholten, fegten die Zweige einen großen Haufen Lampenhalterungen, die am Fenster gestapelt waren um; das verursachte einen Höllenlärm. Die Nachbarin hatte jedoch nichts bemerkt.' Kurz nach dem Krieg hörte Joop, sie sei verstorben; es stellte sich heraus, dass sie erst 69 war. 'Nun ja', sagt Joop, 'sie war so ein echtes altes Weiblein, ein bisschen krumm, mit einem Kopftuch ... .' Der Niederländische Ministerpräsident Gerbrandy Joop kann sich natürlich noch gut erinnern, dass am 5. September 1944 plötzlich Berichte über eine kurz bevor stehende Befreiung aufkamen. Er kramte das Radio, das unter dem Boden der Werkstatt verborgen war, hervor, stieg auf sein Fahrrad und radelte mit dem Radio auf seinem Lenkrad pfeifend und singend zu seinem Elternhaus in der Trompstraat überall begeisterte Menschen, die Deutschen legten ihm keinerlei Schwierigkeiten. Auf der Rozengracht kam ihm ein Mädchen entgegen, das Mitglied im Turnverein war. Sie winkte ihm zu und rief fröhlich hallo. Die Berichte von Radio Oranje über die Befreiung, die schon bald erfolgen würde, waren vom Ministerpräsidenten Gerbrandy in London verkündet. Das gab überall in den Niederlanden Anlass zur Freude, zu Emotionen und Fahnen. Dieser Tag, der 5. September 1944, sollte als Dolle Dinsdag, den Verrückten Dienstag, in die Geschichte eingehen. Deutsche und Mitglieder der niederländischen Nazi-Partei NSB gerieten in Panik, was zu einem überstürzten Abzug vieler dieser Leute führte. Aber es war noch zu früh, Radio Oranje hatte sich auf falsche Informationen verlassen. Die Befreiung der Niederlande sollte noch lange auf sich warten lassen, auf jeden Fall für die nördlichen Provinzen, die den schweren Hungerwinter 1944-1945 noch vor sich hatten. Joop erreichte das Elternhaus, musste jedoch schnell wieder verschwinden, denn von Befreiung keine Spur. Radio Oranje war falsch informiert worden. Das Radio von Joop blieb in der Trompstraat zurück. 26 Kapitel 6 Befreiung und Nachkriegsjahre In der letzten Woche des Krieges, vor dem 5. Mai 1945 wohnte Joop wieder zuhause. Die Gefahr schien vorüber, von alliierten Flugzeugen wurden bereits Lebensmittel gedropt. Am 5. Mai 1945 hörte Joop bei dem Nachbarsjungen, der einen Kristallempfänger hatte, um halb neun abends den deutschen Radiosender aus London von der Kapitulation. Somit wusste er schon früh, dass der Krieg zu Ende war, denn Radio Oranje brachte die Nachricht eine Viertelstunde später. Er stürzte raus und schrie die Nachricht von den Dächern. Im Handumdrehen sah die Trompstraat schwarz vor Menschen, die die Befreiung feiern wollten. An der Straßenecke dirigierte ein Polizist, der auf einem Fensterbrett stand, den Chorgesang. Die Ausgelassenheit war jedoch nur von kurzer Dauer, denn schon nach zehn Minuten fuhr die SS in die Straße rein und schoss um sich. Die meisten Menschen stürzten herein. Mit einer Kurierin, die Je Maintiendrai distribuierte, ging Joop zwei Tage später zum Dam, wo er Zeuge der Schießerei war, die zwanzig Menschen das Leben kostete. Nach der Befreiung war Joop auf einem Motorrad einige Tage Kurier für das Bureau Nationale Veiligheid, der Vorläufer des Sicherheitsdienstes, des Binnenlandse Veiligheidsdienst B.V.D. Dieses Büro war beauftragt, Kollaborateure und Kriegsverbrecher auf zu spüren. Joops Freund Jan Couton arbeitete für diesen Dienst. Als man einen Offizier verhaften konnte, von dem man annahm, es sei Willy Lages, wurde Joop gebeten, ihn zu identifizieren. Jan wusste nämlich, dass Lages Joop 1942 vernommen hatte. 'Er sah ganz anders aus, so ohne Uniform, aber ich erkannte ihn sofort. Manchmal ließ man einen Deutschen kurz allein mit demjenigen, den er identifizieren sollte, was gelegentlich zu einem blauen Auge oder Schlimmeres führte, das war aber nichts für mich. So sollte man sich doch nicht erniedrigen?' Nach der Befreiung wurde in Bellevue ein Festabend veranstaltet, um die Widerstandszeitung Je Maintiendrai zu verabschieden. Ein Auftritt des Gesangsduos Berry Kievits und Gerard Walden, ein Bruder von Willy Walden der bekannten Snip&Snap-Revue, sollte dem Abend Glanz verleihen. Danach wurden die Tische an die Seite geschoben und konnte getanzt werden auf Musik eines Orchesters. 'Das lief nicht gerade flott, es gab niemand, der sagte, wo es lang ging. Man fragte mich, ob ich damit Erfahrung hatte. Ich hatte das öfter gemacht und übernahm die Führung.' Für die Polonaise koppelte er Ko Suurhoff - den späteren Sozialminister - an Berry Kievits und ließ sie der Gracht entlang wirbeln. Für Joop änderte sich nach dem Krieg eigentlich nicht viel. Natürlich gab es am Anfang diese und jene Feier, aber er machte Schrank gemacht von Joop in 1946 einfach weiter mit der Schreinerei. Ein wichtiger Abnehmer war das Möbelgeschäft von Drieling in der De Clercqstraat. Schon bald stellte er zwei Knechte ein. Einer war sein Bruder Wim, der andere Lex Selhorst, ein erfahrener Schreiner, mit dem er schon früher bei Jacobs gearbeitet hatte. 27 Gutes Material war damals knapp, aber sein Vater hatte vor dem Krieg bereits eine ordentliche Vorrat Lacken der Firma Zweihorn eingekauft. Das war ein renommiertes Unternehmen, das heute zu AkzoNobelkonzern gehört. Alles war damals rationiert und die Sneps, die für die Elektrizität einen Privattarif zahlten, konnten ordentlich sparen, indem sie es in einen geschäftlichen Tarif umsetzten. Lex hat bis 1958 bei Joop gearbeitet, danach wurde er Marktkaufmann. Zweihorn wollte sich in den Niederlanden niederlassen und fragte Joop, ihn dabei zu unterstützen. Aber er konnte sein eigenes Unternehmen nicht im Stich lassen. Letztendlich nahm Bruder Wim 1950 diese Herausforderung an. Joop: 'Er war dazu auch mehr geeignet. Wim war sehr genau und er war ein geborener Organisator.' Joops anderer Bruder Hans ersetzte ihn und hat bis Ende 1961 bei Joop gearbeitet. 1948 holte Joop seinen Meistertitel. Dafür musste er während 24 Stunden seine praktische Fähigkeiten an der Werkbank zeigen, dann wurde er nochmal 24 Stunden in theoretischen Fächern geprüft. Die Prüfung hat Joop in Rotterdam zusammen mit 35 anderen abgelegt. Nur vier von ihnen haben bestanden! Joop meint, es hätten sich viele Menschen für die Prüfung angemeldet, die eine Schreinerei führten, denen Die erfolgreiche Prüflinge in Rotterdam 1948. jedoch die erforderliche Rechts Joop Snep praktische Erfahrung fehlte. Bei der Bekanntgabe der Ergebnisse waren natürlich zahlreiche Familienmitglieder der Kandidaten aus dem ganzen Land anwesend. 'Viele weinten los wegen der herben Enttäuschung', erzählt Joop, ' für die war es sehr schade.' Nach den Protesten wurde beschlossen, diese Prüfung niemals mehr abzunehmen. Zu seinem Meistertitel schaffte Joop auch sein Diplom als Gewerbetreibende. 'Im Handumdrehen.' Das Jahr 1948 war für Joop auch in anderer Hinsicht besonders. Die beiden Polizisten, die ihn 1942 den Deutschen verraten hatten, wurden aufgegriffen und zu zehn Jahre verurteilt. 'Ich weiß nicht, ob sie ihre Strafe tatsächlich angetreten haben, aber verdient hatten sie die.' 28 Joop hatte während eines Teils des Krieges weiterhin bei Jong Leven Handball gespielt, aber als 1948 seine viel ältere Teamgenossen aufhörten, ging Joop zu NILOC (Nederlands Instituut Lichamelijke Opvoedkunde Club), dem damaligen Mekka des Handballsportes. Joop spielte im zweiten, u.a. mit Dick van Rijn, dem bekannten späteren Präsentator der Morgengymnastik im Radio und vom NOSFußballprogramm im Fernsehen, Langs de Lijn. Inzwischen hatten einige Mitglieder von Jong Leven einen neuen Verein gegründet: VDO (Vaardig door Oefening: Fähig durch Übung). Bruder Wim war Vorsitzender und die Gründer beknieten Joop, für VDO zu spielen. Weil sich Joop bei NILOC nicht richtig wohl fühlte, spielte er gelegentlich für einen anderen Verein, was ihm übel genommen wurde. Nachdem er dafür zur Schnecke gemacht worden war, traf Joop die Entscheidung und verließ NILOC 1952. Im ersten Kampf mit dem Team von VDO wusste keiner, wer er war. Zum Erstaunen aller machte er sofort vier Tore hinter einander! Mit diesem Verein wurde Joop verschiedene Male Meister. Ein Mal geschah das durch ein entscheidendes Tor von Joop in einem des letzten Minuten des Kampfes. Joop turnte bei Jong Leven und gehörte zu einer Elitetruppe des römisch-katholischen Turnkreises, der aus vier Turnern aus Volendam und zwei aus Amsterdam bestand. 1949 machte diese Gruppe einen Ausflug nach Frankreich, im Schlösserdistrikt entlang der Loire das Turnen zu demonstrieren. Met einer Gruppe aus Genf turnten die Niederländer vor einem großen Publikum in einem herrlichen Schlossgärten. Die Kommunikation mit den Franzosen verlief mühselig, denn keiner der Niederländer sprach Französisch, aber es gab Französischdeutsche Wörterbücher und so konnte Joop das ins Deutsche übertragene Französisch ins Niederländische übersetzen. Unvergesslich war während der Reise die Wanderung auf einen Berg, auf dem ein Mahnmal aus dem Ersten Weltkrieg stand. Joop kletterte mit seinen Kameraden nach oben und hatte eine tolle Aussicht auf einen Zug von Hunderten in weiß gekleideten Turnern, die allen anfingen zu beten: O Maria sei gegrüßt. Wie eine Reihe von Dominosteinen knieten sie nieder. 29 Im gleichen Jahr legte Joop mit Erfolg die Fähigkeitsprüfung 1. Grades ab, das Diplom für Turner auf dem allerhöchsten Niveau. Wenig später existierte die Turnabteilung von Jong Leven nicht mehr, und Joop turnte dann beim 1941 gegründeten Club Sport Staalt Spieren (SSS). Einige Male holte er den zweiten Platz bei Vereinskämpfen, hinter dem Mann, der später niederländischer Meister werden sollte. Die Schreinerei machte weiterhin gute Umsätze und Joop bekam besondere Auftrage. Einer war von Frau Menco, die eine Gesangsausbildung machte; für sie schreinerte Joop einen speziellen Musikschrank. Sie heiratete Anfang der fünfziger Jahre einen Belgier mit dem Namen Prins und zog nach Antwerpen, wo sie von Joop ein Musikzimmer einrichten ließ. Später zog die Familie Prins in ein Appartement in Ukkel. Die Inneneinrichtung wurde von einem Innenarchitekten entworfen und Joop wurde gebeten, für die Umsetzung zu sorgen. Alles wurde in der Werkstatt in Amsterdam vorbereitet und in zehn Fahrten mit dem Auto nach Belgien überführt, dort wurde alles montiert. Das machte Joop zusammen mit seinem Arbeitnehmer Koen Rigterink in einer gemieteten amerikanischen Limousine. 30 'Das erste Mal hielt ich mit dem Wagen zufällig auf der Keizerlei vor einem großen Hotel, daraufhin öffnete der Pförtner des Hotels höflich die Autotür für Koen, der nicht wusste, wie ihm geschah'. Kurz darauf kaufte Joop sein erstes Auto, ein Ford Taunus für achthundert Gulden. Das zahlte er mit dem Geld der Versicherung, nachdem er versehentlich ein Stück seines Daumes abgesägt hatte. Ein Jahr, nachdem die Arbeit in Ukkel beendet war, kam plötzlich ein 'Notruf' des Herrn Prins. Er hatte jemanden beauftragt, eine Gardine aufzuhängen, aber das ging nicht so wie er wollte. Prins schickte den Mann nach Hause. Ob Joop mal kurz nach Belgien kommen wollte, um nach dem Rechten zu sehen. 'Offensichtlich war ich der einzige, der so etwas konnte und ich habe es natürlich gern getan. Aber ja, sie waren auch sehr vermögend.' In der Zeit lernte Joop eine Krankenpflegerin kennen, Leny Hendriks. Sie kam aus Wijchen und hatte in Amsterdam eine Anstellung beim Weiß-Gelben Kreuz bekommen. Sie hatte eine vorübergehende Unterkunft im Büro ihres Arbeitgebers an der Paulus Potterstraat gefunden. Leny pflegte Joops Vater, als sich 1956 herausstellte, dass er Krebs hatte. Peter Snep konnte sich kaum noch bewegen und um ihn einigermaßen bequem sitzen lassen zu können, hatte Joop eine Sonderanfertigung eines Stuhls für seinen Vater gemacht. Weil Leny es alleine nicht schaffte, Peter aus seinem Stuhl ins Bett zu hieven, wurde Joop oft gebeten, ihr dabei zu helfen. So gab es Kontakt zwischen Leny und Joop, aber 'da war damals noch nichts im Gange', so Joop. Eine Geste von Leny, als Peter Snep im gleichen Jahr verstarb, wird Joop niemals vergessen. Sie bot an, zuhause für seine kranke Mutter zu sorgen, so konnte Joop ohne Bedenken zum Begräbnis gehen. Danach hat Joop Leny eigentlich erst richtig kennengelernt. Es stellte sich heraus, dass sie einige Monaten älter war. Einige Zeit später erzählte Leny Joops Schwester Ria, dass sie eine Wohnung an der Marnixkade hatte bekommen können. Daraufhin riet ihr Ria, Joop zu bitten, die Wohnung auf Vordermann zu bringen. Das machte sie und Joop hat die Wohnung von Leny dann in ein einigen Monaten eingerichtet. Während dieser Zeit blühte die Liebe auf, aber konkrete Hochzeitspläne gab es noch nicht. 1958 lud Joop Leny ein, ihn zur Weltausstellung in Brüssel zu begleiten. Von dem Augenblick an waren sie so gut wie verlobt. 31 Leny stellte Joop ihrer Familie vor. An sich lief das prima, nur fing alles an mit einem seltsamen Missverständnis. Eine Schwester von Leny fragte, was Joops Nachname war. 'Snep', sagte Leny, woraufhin ihre Schwester erstaunt ausrief, dass sie so etwas nicht akzeptieren würde. Das Wort snep bedeutet im Dialekt nämlich Quatschtante und so etwas ließ sie sich von ihrer Schwester nicht sagen. Obwohl Leny und Joop vorhatten, zu heiraten, entschieden sie sich erst einmal, sich probehalber einen Monat nicht zu sehen. Das haben sie jedoch nicht durchgehalten. Jeden Tag radelten beide zur Arbeit, und sie begegneten sich unweigerlich. Nach einer Woche beschlossen sie, diesem Zirkus ein Ende zu setzen; dann kam die Ehe schnell näher. Um gesetzlich heiraten zu können mussten sie jedoch lange warten, bis im Rathaus einen Termin frei war. Aber am 4. Mai 1960 ging das Telefon und teilte ein Schwager von Joops Bruder Hans, der Bote im Rathaus war, mit, dass um halb elf morgens eine Lücke gefunden war. Joop und Leny radelten von ihrer Arbeit zum Rathaus auf der Oudezijds Voorburgwal, um dort schnell getraut zu werden. Danach gingen sie wieder normal an die Arbeit. Am 18. Juni 1960 wurde die kirchliche Ehe von Pater Beijersbergen van Henegouwen in der Kapelle des Ignatiuskollegs eingesegnet. Weil Lenys Vater Anfang des Jahres verstorben war, wurde es eine schlichte Feier, bei der nur die beiden Zeugen anwesend waren: Loes Wagenaar, eine gute Freundin der Familie und Frau van Grevenbroek, eine Patientin von Leny. Nach der Einsegnung tranken sie mit den Zeugen eine Tasse Kaffee in der Kneipe am Roelof Hartplein (dem heutigen Café Wildschut). Einige Wochen Auf dem Drachenfels 1960 später zogen sie Richtung Rheinland. Joop musste dort mit seinem Team Handball spielen und das war eine gute Gelegenheit, das mit einer verspäteten Hochzeitsreise und Ausflügen zu kombinieren. Nach etwa fünf Tagen mussten sie die Reise jedoch abbrechen, weil Joop, der zuhause angerufen hatte, hörte, dass seiner Mutter das Bein amputiert worden war. Sie war zuckerkrank und verstarb 1969. Nach der Hochzeitreise zog Joop, der bis dahin bei seinen Eltern in der Trompstraat gewohnt hatte, zu Leny in die Marnixkade Nummer 89. 32 Kapitel 7 Familie, Arbeit, Kirche und Reisen Wie damals üblich, hörte Leny nach der Hochzeit auf, als Krankenpflegerin zu arbeiten. Sie konnte jedoch sofort damit anfangen, Gardinen zu nähen, die Joop für die Einrichtung einer von Jan Couton gebauten Fabrik liefern musste. Das auf Zuschneiden von Hunderten von Metern Stoff und die Berechnung, wie die Falten eingearbeitet werden mussten, war Joops Aufgabe. Leny für das Säumen und die weiteren Stickarbeiten. Dafür kaufte Joop eine industrielle Nähmaschine. Sie hat diese Arbeit seit 1960 bis einige Jahre vor ihrem Tod 1999 gemacht. Prinsengracht 198 (das niedrige Gebäude) Leny und Joop blieben nicht lange auf der Marnixkade, denn auf Prinsengracht 198, genau neben der Werkstatt, wurde Weihnachten 1960 eine Wohnung im ersten Stock frei. Joop renovierte die Wohnung, danach zogen sie im April des darauffolgenden Jahres um. Leny erwartete damals ihr erstes Kind, Marjolein, das im August geboren werden sollte. Sie wurde jedoch schon nach sechs Monaten geboren und wog nur drei Pfund. Mit heulender Sirene ging es ins Emma Kinderkrankenhaus, wo das Baby einige Monaten im Brutkasten bleiben musste. Joop spielte immer noch Handball bei VDO. Kurz nach der Heirat saß Leny auf der Tribüne und schaute sich den Wettkampf an, wobei sie hinter sich ein Fan der Gegenseite sagen hörte: 'Dieser Alte (Joop war damals vierzig) ist schon sehr gut, den müssen wir im Auge behalten.' Die Familie Prins, für die Joop schon mal ein Musikzimmer im Haus in Antwerpen und das Appartement zu Ukkel eingerichtet hatte, hatte Grund und Boden in Chailly in der Schweiz gekauft und ließ dort 1961 eine neue Villa bauen. Joop und sein Bruder Hans bekamen eine Einladung, nach Chailly zu kommen, um auch diese Wohnung für die Familie Prins einzurichten. Sie demontierten dafür die Einrichtung des Appartements in Ukkel, das von einer Umzugsfirm in die Schweiz transportiert wurde. Ursprünglich war beabsichtigt, im August nach Chailly zu gehen, aber durch eine Verzögerung beim Bau wurde es Dezember. Es sollte ein Job von einigen Monaten werden, darum mietete Prins für die Familie Snep ein Chalet in Blonay, wo sie wohnen konnten. 'Alles war umsonst und das Geld war prima, von den ersten drei Monaten Lohn konnte ich so ein neues Auto kaufen.' Gegen Weihnachten kehrte Hans in die Niederlande auszuschweißende und entschloss sich, dort zu bleiben. 33 Der Bauunternehmer, der die Villa hatte bauen lassen, hatte zu der Zeit kein Personal und Joop konnte seine Werkstatt benutzen. Die Arbeit kam gut voran und nach vier Monaten kehrte die Familie Snep heim. Aber nicht für lange. Die Nachbarn der Familie Prins, das Ehepaar Van Crefeld - der Mann war Direktor der Firma Proctor & Gamble - riefen sofort, nachdem die Sneps zuhause angekommen waren an und fragten, ob Joop auch ihre Villa einrichten wollte. Daher kehrten sie wieder in die Schweiz zurück. Das Chalet stand noch zur Verfügung, aber das Haus der Van Crefelds hatte eine Unterkunft für das Personal und auf Bitte der Sneps konnten sie dort wohnen. Hierdurch wurde der Aufenthalt in der Schweiz bis auf acht Monate verlängert. Beide Familien waren jüdisch und aufgrund der Joop, Leny und Marjolein Vorbereitungen im Rahmen des Sabbats konnte in der Schweiz 1962 Joop am Freitag bereits um drei Uhr Feierabend machen. So hatte er Gelegenheit, an den Wochenenden zusammen mit Leny das Land zu verkennen. Von dem Jahr an gingen Joop und seine Familie jedes Jahr einen Monat in der Schweiz in Urlaub. Das machten sie, bis die Kinder etwa achtzehn Jahre alt waren. 'Ich nahm immer meine Werkzeugkiste mit und weil wir in dem Land viele Bekannten hatten, die immer irgendetwas zu reparieren oder zu bauen hatten, verdiente ich damit unseren Urlaub.' Am 11. März 1965 wurde Yvonne geboren. Er war schon nicht mehr damit gerechnet worden, dass noch ein Kind kommen würde, denn Leny war bereits 44, aber Yvonne kam gesund zur Welt. Die Schreinerei lief gut in diesen Jahren. Joop hatte wenig Lust, das Geschäft noch auszuweiten, und daher beschäftigte er nie mehr als einige Knechte. Die Familie konnte gut davon leben. Als Yvonne etwa zehn Jahre alt war, brachte Joop die Mädchen zum Gymnastikverein, das war ziemlich weit weg. Daher blieb Joop einfach da, wenn Marjolein und Yvonne ihre Übungen machten. Er hatte das Turnen im Laufe der Zeit ein wenig vernachlässigt, aber Trainer Gerard Sallee lud Joop ein, als Vorturner einzusteigen. 'Nimm deinen Trainingsanzug mit, dann können wir die Gruppe teilen'. Es stellte sich heraus, dass Yvonne genau wie ihr Vater ein Turntalent war. 1978, als sie bei DOS turnte, wurde sie als Kandidat für eine eventuelle Mannschaft, die im nationalen Sportzentrum Papendal trainieren sollte, vorgeschlagen. 'Von mir aus durfte sie hingehen, aber ich habe es ihr nicht geraten, ich hielt ihre Ausbildung für wichtiger.' Zu Joops Erleichterung entschied sich Yvonne für ihr Studium. 'Es wäre für mich auch sehr schwer geworden, denn dann hätte ich zwei Abende pro Woche und am Samstag beim Training anwesend sein müssen.' 34 Ende der sechziger Jahre wohnten de Sneps vorübergehend in der Bosboom Toussaintstraat. Diese Wohnung war Eigentum von Joops Freund Chris Willems, Vater von Sopran und Opernsängerin Mary Willems (1943). Joop hatte Musik schon immer geliebt, aber nun war er von dem Augenblick an ein Liebhaber der Oper. 'Mary hatte eine tolle Stimme', sagt Joop. Er begleitete sie oft. Und er ist nicht nur ein Liebhaber, sondern auch ein Kenner. Beim Hören der ersten Noten einer Aria kann Joop bereits sagen, aus welcher Oper sie stammen und wer sie singt. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre hatte Joop die Firma Hapé an der Nieuwe Herengracht als Kunde. Dabei freundete er sich an mit Frans Peters, Eigentümer des Unternehmens, für den Joop ein Bungalow in Amstelveen Jan van Poorten eingerichtet hat. Später wurde der Betriebsleiter von Hapé, Wim de Jong, Haushaltsvorsteher bei der Firma AgfaGevaert, die in Rijswijk ein neues Betriebsgebäude bauen ließ. Joop durfte dieses Gebäude vollständig einrichten: 'Böden, Wände, Gardinen, alles mussten wir organisieren', erzählt Joop, der dann jahrelang täglich hin und her nach Rijswijk unterwegs war. Jan van Poorten half ihm dabei. Jan war ein Teppichleger, mit dem Joop schon seit Anfang der sechziger Jahre zusammenarbeitete. 'Unser erster gemeinsamer Job - im strengen Winter von 1963 - war die Herstellung von 500 Werbungsbakken für Schaufenster.' Damals arbeitete Jan oft zusammen in der Werkstatt an de Prinsengracht. 'In der Mittagspause nach oben um bei mir zuhause eine Stulle zu essen.' Die Kinder liebten ihn. Sie nannten ihn Onkel Jan. 1988 ist er gestorben. Ein anderer Kumpel war Hans Donk, sein Kamerad der Boomschule. Nach dem Krieg hatte Hans Hans Donk ein Malerbetrieb, Joop heuerte ihn oft zu verschiedenen Arbeiten an. Als die Arbeit bei Agfa-Gevaert fertig war - Joop hat in der Zeit auch Foto- und Filmkameras bekommen - kam er durch seinen alten Freund Jan Couton zu einem neuen Großkunden: Die Hollandse Betonmaatschappij, mit Sitz auf der anderen Seite des IJ-Flusses. Joop wurde regelmäßig hinbestellt. Genau wie Hans Donk hatte sich Jan Couton nach dem Krieg selbständig gemacht. Weil er selbst keine Werkstatt hatte, arbeitete Jan bei Joop; als das Bauunternehmen von Jan dann später ordentlich florierte, wurden die Rollen gewechselt. 1985 Jan einen Umbau des Schifffahrtmuseums, Joop legte dort Linoleum. Auch bat Jan Joop, Innenausstattung von sechs Niederlassungen der Joop und Leny Snep, 1980 Firma Blokker zu übernehmen 35 Seit Joop und Leny an de Prinsengracht wohnten, gingen sie zur Messe in der Onze Lieve Vrouwekerk an der Keizersgracht Nr. 220, einer Klosterkirche, die Eigentum der Redemptoristen war. Die Anzahl der Brüder dieses Klosterordens war stark rückgängig, daher verließen sie die Stadt. Mutter-Gottes-Kirche 1985 verkaufte der Vorstand des Ordens die Kirche an die Syrisch-Orthodoxe Gemeinde, die sie von dem Augenblick an die MutterGottes-Kirche nannten. Das konnten de Redemptoristen ohne die Genehmigung des Bischofs, der hinsichtlich der Eigentümer des Klosterordens keinerlei Befugnisse hatte, selbst beschließen. 'Wahrscheinlich haben sie die Kirche für einen symbolischen Gulden verkauft.' Die römisch-katholischen Gemeindemitglieder waren wütend und beschlossen, sich zu wehren. Joop, der als Draufgänger bekannt war, wurde gebeten, dem Komitee, das den Widerstand organisierte, beizutreten. Nach langem Zögern 'wenn man zusagt, hängt man schon bald bis über die Ohren mit drin' - war Joop einverstanden. Er wohnte genau hinter der Kirche, und weil es dort keine Toiletten gab, musste alles von seinem Hause aus organisiert werden. Während der Aktion bat Bischof Bomers Joop, die Lage vor einer voll besetzten Kirche zu erläutern. Nach einer Besatzung, die einen Monat andauerte, wobei die Besatzer den Syrisch-Orthodoxen übrigens erlaubten, ihre Dienste weiterhin abzuhalten, stimmten die neuen Eigentümer zu und erlaubten, dass auch die Römisch-Katholischen die Kirche für ihren Ehrendienst nutzten. Es entstand daraufhin ein gutes Einvernehmen zwischen beiden Gemeinschaften. Joop machte sich geliebt, indem er eine Installation zum Aufhängen einer Altargardine anfertigte und dafür keinerlei Vergütung haben wollte. Die Instandhaltung hat er viele Jahre besorgt. Im Grunde war er der Verwalter des Kirchengebäudes, war jedoch nicht Mitglied im Vorstand. 'Der Direktor, so nannten sie mich.' Erst 1992 horte er auf. 1989 bat der Verein Willenskraft (Wilskracht) Joop, ob er bereit war sechs Jungs zu betreuen, die von ihm die Feinheiten des Turnens lernen wollten. Joop hat das mit Begeisterung getan, ein unglücklicher Vorfall beendete jedoch seine eigene aktive Turnkarriere. Einer der Jungs hat ihm während einer Übung an den Ringen versehentlich einen Leistenbruch getreten, danach musste Joop das Turnen aufgeben. Als Berater und Coach ist er jedoch noch lange aktiv geblieben. 36 Die Töchter von Leny und Joop heirateten recht bald nach einander. Marjolein heiratete 1992 Jaap Swank, sie bezogen eine Wohnung in der Nieuwe Kerkstraat. Sie waren bereits etwas länger auf der Suche nach einer Etage in der Nähe, und als über der Werkstatt eines Freund von Joop zwei Etagen frei kamen, zögerten sie keinen Augenblick. 1994 wurde das erste Enkelkind geboren: Anne, und 1997 folgte die zweite Enkelin: Marije. Yvonne ehelichte 1993 Wim Koopman in der Schlosskapelle von Egmond aan de Hoef, wo sie von Bischof Bomers getraut wurden. Sie haben kurze Zeit auf der Bloemgracht gewohnt, zogen jedoch schon bald nach Zaltbommel an der Waal. Yvonne, die für das Katholisch Nieuwsblad arbeitete, wilde gerne in der Nähe von Herzogenbusch wohnen, und Wim hatte sich auf ein geräumiges Hause mit einem großen Garten. Bis er 83 war, hielt Joop seine Werkstatt auf der Prinsengracht beibehalten, aber dann hat er seine Firma geschlossen. Material und Werkzeug brachte er nach Zaltbommel, wo er eine Werkstatt in der großen Scheune neben dem Haus von Yvonne und Wim einrichtete. Von dort aus nahm Joop sich ihre Wohnung vor. Später kamen die Enkel: 2002 wurde Helena geboren, 2003 kam Simon zur Welt. Leny hat noch einige Jahre von ihren beiden ältesten Enkelkinder genießen können, aber die beiden jüngsten hat sie nie gekannt. Sie starb ein paar Jahre vor ihrer Geburt an Lungenkrebs, nach einer dreimonatigen Krankheit. Joop hat sie die ganze Zeit zuhause gepflegt. Dass die Gesundheit von Leny nicht in Ordnung war, hatte sich schon einige Jahre vorher herausgestellt, als sie von einem sogenannten Schaufensterbein geplagt wurde - das ist ein populärer Name für die Verengung der Blutgefäße, die sich beim Laufen bemerkbar macht. Stillstehen hilft dann einigermaßen, und damit das nicht auffällt, bleibt man natürlich vor einem Schaufenster stehen. 'Leny hat ganz schön geraucht', so Joop. 'Als Krankenpflegerin machte sie ganz oft ein Schwätzchen mit ihren Kunden, dann konnte sie eine Tasse Kaffee und eine Zigarette nicht ausschlagen.' Ein paar Jahre vor ihrem Tod diagnostizierte ein Neurologe die Krankheit, da musste sie mit Leny Snep und Marije, 1998 dem Rauchen aufhören. 37 'Leny hatte ein starken Charakter, denn als wir draußen standen, gab sie mir ihre Zigaretten und bat mich, die weg zu werfen.' Am Nikolaustag 1998 kam die Mitteilung des Arztes, dass er nichts mehr für sie tun konnte. Sie ist nach Hause gebracht, wo Joop sie drei Monate gepflegt hat. Am 3. März 1999 ist sie gestorben. 'Während ihrer Krankheit bin ich selbst noch eine Woche im Krankenhaus gewesen wegen einer Prostatoperation, Yvonne hat mich dann abgelöst.' Das Jahr 2001 begann für Joop mit einer Reise nach Amerika. Sein Schwiegersohn Wim arbeitete als ICTConsultant bei einem Unternehmen in Bilthoven; das wurde von einem amerikanischen Unternehmen, das großes Interesse für Wims Kapazitäten als Dozent hatte, übernommen. So geschah es, dass Wim für ein halbes Jahr in die Staaten reiste, um dort Arbeitnehmer in der Anwendung von Programmen auszubilden. Glücklicherweise konnte Yvonne ihrer Arbeit für das Katholieke Nieuwsblad auch von dort aus teilweise noch nachgehen. Sie ließen Joop nach Seattle kommen, um ihm das Olympic National Park zu zeigen. Joop lernte die ausgedehnten Wälder, die riesigen Bäume und den Schnee, der dort im Staat Washington sehr lange liegen bleibt, kennen und lieben. Es ist ein vulkanisches Gebiet und als einmal ein Erdbeben stattfand, rief Yvonne zur Beruhigung von Joop direkt in Amsterdam an um zu sagen, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Joop feierte seinen achtzigsten Geburtstag am 24. September 2001 in Zaltbommel, wo die Kinder ein großes Fest organisiert hatten. 'Ich weiß nicht mehr, wie viele Menschen da waren, aber von den Brüdern und Schwestern von Leny waren damals noch 16 am Leben, die mit ihren Familien gekommen waren. Auch waren viele alte Freunde und Kollegen anwesend, kurz, es müssen Dutzende Leute da gewesen sein.' Für Joop war es ein unvergesslicher Tag. Ein Nachbar hatte ein 80-Km Verkehrsschild im Garten aufgestellt. Joop achtzig Jahre. Vlnr: Wim, Yvonne, Joop, Marije, Jaap, Anne und Marjolein. 38 Einige Wochen vor dem Begräbnis von Leny verstarb die Mutter von Henk van der Kroon, eine Frau, die Joop aus der Kirche kannte. Joop war zu ihrem Begräbnis gegangen. Nicht viel später verstarb auch Henks Vater. Joop hatte den alten Mann, der in einem Rollstuhl saß, oft mit dem Manövrieren in der Kirche geholfen. So war eine Freundschaft zwischen Joop und Henk entstanden. Henk van der Kroon war Präsident der Federation of European Carnival Cities (FECC) und er fragte Joop, ob er Lust hätte, mal zu einem Treffen der Föderation mit zu kommen. Obwohl Joop nichts mit Karneval am Hut hat oder hatte, hat er Henk dann auf einer eintägigen Reise - die Feier des dies natalis - nach Köln begleitet. Während des Besuches war ein schwarzer Anzug vorgeschrieben. Joop erinnert sich, dass ihm der Anzug ein wenig eng war und dass er beim Einstieg in den Bus aus seinen Hosen platzte. Glücklicherweise konnten sie sofort repariert werden. 2001 folgte die dies natalis in Ivrea in Italien, bei der Gelegenheit besuchte die Gesellschaft de Fiatfabriken in Turin. Nachher besuchten Joop und Henk alte Freunden von Joop in der Schweiz: seine Nachbarn, als er sich mit Leny 1961 im Chalet zu Blonay aufhielt. Auch begleitete Joop Henk van der Kroon zwei Jahr später nach Slowenien. Diesmal nicht für die FECC, sondern auf Einladung eines Mitgliedes dieser Organisation, der sie zur Feier der örtlichen St. Georgsfeste einlud. Es war ein ordentlicher Empfang: morgens wurden Joop und Henk auf dem Platz vor ihrem Hotel von zwei Fanfaren erwartet, wonach sie die Fahrt zum auszuschweißend Dorf in einer Kutsche antraten, um das Spiel von St. Georg zu genießen. 'Anschließend gingen wir noch etwas essen, Forelle, irgendwo in den Bergen abends um etwa elf Uhr.' Joop Snep, zweiter von rechts, während der Convention der FECC in Portugal, 2003 Joop hat das hervorragend gefallen. Seitdem ist er viele Malen mit Henk zu den dies-Feiern sowie auch zu den ebenfalls jährlich abgehaltenen Konventionen der FECC, die gut eine Woche dauerten, mitgegangen. So hat Joop Länder wie Belgien, Deutschland, Bulgarien, Italien, Mazedonien, Malta, Kroatien, Montenegro und Portugal besucht. Auch gab es natürlich Treffen in den Niederlanden. 2003 war Joop während der Konvention in Portugal zum ersten Mal offiziell Delegierter der Niederlande. An den Sommerkarneval in Montenegro, ebenfalls 2003, hat Joop schöne Erinnerungen. Die FECC war dort auf Einladung des Tourismusministers, der genau wie Joop hervorragend Deutsch sprach. Der Minister hat sich um die Niederländer gekümmert: 'Weil er mit der Qualität unserer Hotels nicht zufrieden war, hat er uns mitten in der Nacht zu einem anderen Hotel überbringen lassen.' 39 Tief beeindruckt war Joop von der Bootsreise über die Bucht von Kotor und von dem Karnevalszug, der die Montenegriner speziell für die Gesellschaft organisiert hatten. Es war eine Sommerreprise des früher im Jahr gehaltenen Aufzuges; Joop saß auf der Tribüne neben Henk van der Kroon und dem Minister. Als die beiden sich für ein Fernsehinterview kurz verabschiedeten, ist Joop ganz alleine als Gastherr aufgetreten. Ein dicker Kuss einer Teilnehmerin am Aufzug war seine Belohnung. Eine besondere Reise mit der FECC war die nach Pernik in Bulgarien für die Konvention im Jahre 2004. Während einer der Sitzungen bat die Bürgermeisterin Joop, den Studenten eines örtlichen Ausbildungslehrgangs für Dolmetscher und Übersetzer über seine Kriegserlebnisse zu berichten. 'Als ich im darauffolgenden Jahr sehr krank wurde, bekam ich eine Karte der Bürgermeisterin, die mir gute Besserung wünschte.' Auch gab es Tanzfesten, wo Joop - der damals bereits 83 war - zeigen konnte, was fuer ein guter Tänzer er immer noch war. Bevor Joop krank wurde, besuchte er 2005 mit der FECC Malta, wo er als Chef d'équipe auftrat. Nachher ist er noch zum dies in Zevenaar 2006 und die in 2008 zu Ptuj in Slowenien gereist, aber von da an hinderte ihn sein Gesundheitszustand, weiter an den Reisen der FECC teilzunehmen. Immerhin war er bei der Verleihung einer Auszeichnung an Henk van der Kroon durch die Luxemburger Botschaft anwesend, ein Ereignis, bei dem auch Kardinal Simonis anwesend war. Sitzend links: Henk van der Kroon, rechts Kardinal Simonis, stehend in der Mitte Joop Snep 40 Kapitel 8 Zurück nach Sachsenhausen Nach dem Krieg ging Joop am 4. Mai zwar oft zur zentralen Kundgebung des Totengedenktages auf dem Dam in Amsterdam, aber er war lange Zeit nicht bei Gedenkveranstaltungen in Deutschland anwesend. Erst 1992 hat er Sachsenhausen wieder gesehen. In dem Jahr fuhr er in einem von Jan Couton geliehenen Bus mit Herman, Lenys Bruder, nach Polen, um Geschenkgüter ab zu liefern, die Frau Bonsen eingesammelt hatte. Auf dem Rückweg, auf dem Ring um Berlin, sah Joop einen Wegweiser nach Oranienburg. Sie nahmen die Abfahrt und so kam es, dass Joop das Lager wieder durch die Zugangspforte mit der Aufschrift Arbeit macht Frei betrat: 'Ich realisierte mich, dass es genau fünfzig Jahr her war, dass ich durch diese Pforte das Lager betrat.' Sieben Jahre später begegnete Joop nach dem Begräbnis seiner Frau ein Bekannter, der ihn auf die Stiftung Niederländischer Freundeskreis Sachsenhausen hinwies. Sie war 1970 gegründet worden und hatte zum Zweck, die Kontakte zwischen den Überlebenden unter einander aufrecht zu erhalten und die Toten des Lagers zu gedenken. Der Verein organisierte ein jährliche Gedenkfeier und hat sich für ein Monument im Reeburgpark in Vught eingesetzt. Das wurde 1994 enthüllt. Joop hat diese Treffen seit 1999 besucht. Zehn Jahre später wurde der Verein aufgehoben. Heute ist Joop das älteste Mitglied des Vereins Kinderen van Verzetsdeelnemers (Kinder von Widerstandskämpfern) und in deren Namen legt er jährlich am 4. Mai, bei der Totengedenkfeier der Niederländer in Sachsenhausen, einen Kranz. Nach der Wende war das Gelände, wo damals die Baracken des Lagers Lichterfelde gestanden hatten, vernachlässigt. Ein Bauunternehmer aus Bonn kaufte es um dort Wohnungen zu bauen fuer Beamte, die wegen des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin umziehen mussten. Es war der Historiker Klaus Leutner, der die Bauarbeiter bat, ihm das, was auf dem Gelände während des Baus vorgefunden wurde, zu geben. Viel Material ist ins Heimatmuseum Lichterfelde gebracht. Leutner kam mit dem Bauunternehmer ins Gespräch, und dieser versprach ihm, auf dem Baugelände eine Gedenksäule hinzustellen. Die Einweihung des Gedenksteins war für das Jahr 1999 geplant und Leutner hatte sich vorgenommen, zu der Gelegenheit alle noch Überlebende des Lagers Lichterfelde auf zu spüren und einzuladen. 41 Klaus Leutner und Joop Snep Das ist ihm zwar nicht gelungen, aber im darauffolgenden Jahr hatte er nach Forschung in europäischen Archiven die letzten elf Überlebende gefunden. Joop war der letzte, den er fand. Leutner rief Joop an und war erfreut, als er merkte, dass dieser fließend Deutsch sprach. Am Tag nach dem Telefonat stand Leutner bereits in Amsterdam vor der Tür, er blieb eine Woche als Gast bei Joop. 'Wir sind Busenfreunde geworden.' Leutner wollte eine Plakette auf dem Mahnmal von Lichterfelde anbringen lassen. Das geschah 2000. Joop war anwesend, wie die andere zehn Überlebende, in deren Namen Joop spontan ein Dankeswort sprach. Seitdem macht er das jedes Jahr am 8. Mai, als in Deutschland des Krieges gedacht wird. Dann werden die Überlebende vom Bürgermeister empfangen und wird ihnen ein Ausflug zu Orten, die im Krieg eine Rolle spielten, angeboten. Auch besuchten sie die Parlamentsgebäude. Joop kam in Kontakt mit dem niederländischen Botschafter Marnix Krop, der ihn einlud, am 4. Mai in Sachsenhausen eine Rede zu halten. Das macht Joop jetzt jedes Jahr; als auf dem Dam in Amsterdam die Gedenkfeier stattfindet, spricht Joop dort. Gedenkfeier Amersfoort 2004 wurde Joop angesprochen vom Direktor der Stichtung Nationaal Monument Kamp Amersfoort, Cees Biezeveld, der ihn bat, bei der jährlichen Gedenkfeier am 19. April anwesend zu sein. Zusammen mit seiner Enkelin Anne hat Joop einen Kranz beim Monument 'Gefangener der vor dem Erschießungskommando steht' das auch 'Der Mann aus Stein' genannt wird, gelegt. Ministerpräsident Willem Drees hat das Denkmal 1953 enthüllt. Die Stiftung hat später ein Interview auf Video machen lassen, in dem Joop seine Kriegserfahrungen berichtet. Für all seine Verdienste wurde Joop 2007 ausgezeichnet. Der Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen hat ihn zeitgleich mit anderen in der Beurs van Berlage empfangen, in Anwesenheit von Familie und Freunden heftete er Joop das zur Auszeichnung gehörenden Band an: Mitglied des Ordens von Oranien-Nassau. Joop ist stolz auf seine Auszeichnung und hat damals eine kleine Ausfertigung der Medaille bestellt, die er auf seinem Smoking tragen kann. 42 Zum letzten Mal geschah das 2011, als er Königin Beatrix während ihres Staatsbesuches in Deutschland im April 2011 vorgestellt wurde. 'Wir waren in der Berliner Philharmonie, wo das Amsterdamer Concertgebouworchester ein Konzert gegeben hatte, und nahmen an, dass Beatrix bereits gegangen war, aber plötzlich klopfte mir Botschafter Krop auf den Arm und sagte, dass er mich noch kurz der Königin vorstellen wollte. 'Davor hatte ich bereits interessante Gespräche mit Alexander und Maxima gehabt'. 2010 fand überall die 65. Totengedenkfeier statt. Am 19. April war Joop in Amersfoort und Anfang Mai in Berlin, wo der Vorsitzende des Internationale Sachsenhausen Komitees (ISK) ihn bat, als Vizepräsident für die Niederlande einzutreten. Dieses Komitee strebt an, die Erinnerungen an das KZ Sachsenhausen zu bewahren und die moralischen und materiellen Rechte von Überlebenden und ihren Familien zu garantieren. Es wurde 1974 gegründet und hat seinen formalen Sitz in Paris. Weil immer mehr ehemalige Häftlinge wegsterben, ist nach der Aufhebung der Stiftung niederländischen Freundeskreises Sachsenhausen auf die Bitte des niederländischen Vereins Kinder von Wiederstandsteilnehmern 1940-1945 eine Kommission unter dem Vorsitz von Joop gegründet, um nicht nur die Gedenkfeier in Vught weiterführen zu können, aber auch das Engagement von Jugendlichen zu vergrößern. Gedenkfeir Berlin,2010 Vlnr Anne, Joop und Marije. Die Sprache ist für das Sachsenhausen Komitee immer ein Problem. Als Joops Tochter Marjolein zur Gedenkfeier 2011 kam, waren die ehemaligen Häftlinge daher sehr froh. 'Marjolein spricht fließend Französisch; sie hat vieles für die Anwesenden übersetzt, die zum großen Teil Französischsprachigen waren'. Joop ist schon seit Jahren ein geschätzter Sprecher in Schulen, wo junge Kinder fasziniert seinen Erzählungen über den Horror der drei Lager, die er überlebt hat, lauschen. Von deutschen und niederländischen Schulen wird er regelmäßig eingeladen. 'Voriges Jahr noch habe ich in einer Amsterdamer Schule gesprochen. Als ich meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, wurden alle Schüler gebeten, mir einen Brief zu schreiben - ich habe Dutzende erhalten. Es rührt mich immer wieder an, wenn ich sie lese.' 43 44 Kapitel 9 Im Barbarahuis Joop ist bis zu seinem 84. Lebensjahr eigentlich nie ernsthaft krank gewesen. Die einzige Krankheit, die ihn gelegentlich plagte, war sein Magen; das stammte schon aus der Zeit kurz nach der Befreiung. Ab und zu war es derart schlimm, dass er seiner Arbeit nicht gut nachgehen konnte. 'Ich war einmal bei einem Kunden und sagte zum Betriebsleiter, dass wir aufhören sollten, ich fühlte mich so elend.' Auch Leny hat sich darüber ständig Sorgen gemacht. Puder, die er nahm, halfen manchmal, aber es passierte schon mal, dass so ein Medikament wieder vom Markt genommen wurde, dann musste etwas Neues gesucht werden. 1980 wurde entdeckt, was die Ursache dieser oft vorkommenden Krankheit war. Es handelte sich um eine schon in jungen Jahren erfolgte Infektion mit einer Bakterie. Es sollte jedoch noch zehn Jahre dauern, bis eine Lösung gefunden wurde: eine einwöchige Prednisonkur, die ihn sofort von seiner Qual erlöste. 2005 feierte Joop seinen 84. Geburtstag mit der Familie in Zaltbommel. Nachts, nach einem gemütlichen Abend mit Kindern und Enkeln wurde Joop wach, es war wirklich etwas los mit hem, zum ersten Mal in seinem Leben. Eine seltsame Erfahrung. Die Kinder handelten sofort und brachten Joop ins Krankenhaus. Dort stellte der Arzt fest, dass er Herzrhythmusstörungen hatte. Später stellte sich heraus, dass sie einer nicht gut funktionierenden Schilddrüse zuzuschreiben waren. Joop erholte sich, als jedoch eine Lungenentzündung hinzukam, fürchteten allen das Schlimmste, er empfing das Heilige Sakrament der Sterbenden. Glücklicherweise hat er es überlebt. Joop hat sich noch Monate erholen müssen. In einem Pflegeheim in Kerkdriel und bei Yvonne und Wim zuhause, um dann nach Amsterdam zurück zu kehren. Da stellte sich schon bald heraus, dass Heimpflege erforderlich war. Kurz nach seiner Heimkehr wurde Joop von einigen Projektentwicklern besucht, die Pläne hatten mit dem Boden, auf dem Joops Haus stand. Ob er ausziehen Familie Snep, 2008. Vlnr, hinten: Wim en Jaap; mitte: Marije, Yvonne, könnte, sie würden ihm eine Anne, Joop und Marjolein; vorne: Simon en Helena. andere Wohnung besorgen. 'Kommt nächste Woche wieder', sagte Joop 'dann ist meine Tochter dabei.' Marjolein, eine erfahrene Juristin, hat das Ganze abgewickelt und handelte für ihren Vater einen ordentlichen Betrag aus. Nach siebenundvierzig Jahren verließ Joop seine vertraute Umgebung und zog im Frühling 2008 ins Barbarahuis an der Plantage Middenlaan. Dort wohnte damals schon sein alter Klassenkamerad Hans Donk, der inzwischen verstorben ist. 45 Das Barbarahuis ist Teil von Sankt Jacob, einem Wohnheim der Osira-Gruppe. Die Geschichte der römisch-katholischen Altenpflege in St. Jacob geht zurück auf 1839, als vier Schwestern der Liebe sich in Amsterdam niederließen, um kranke ältere Frauen zu pflegen und sich für dem Bau des heutigen St. Jacob, das 1866 die Türen öffnete, einsetzten. Es ist ein monumentales Gebäude, in dem sich mehr als 250 Appartements befinden. Ein kleines Kirchenmuseum vermittelt einen Eindruck der Altenpflege aus der damaligen Zeit. Joops Appartement befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes im fünften Stock; er hat viel Sonne. Es ist ein kleines Appartement mit Sanitär, für die Mahlzeiten kann Joop zum Essraum gehen oder das Essen vom Flur durch eine Luke hinstellen lassen, so dass er es nur noch aufwärmen muss. 'Ich esse lieber in meinem Zimmer ' sagt Joop, der sich zwischen älteren Menschen, die nicht mehr ordentlich mit Messer und Gabel essen können, unwohl fühlt. 'Aber das kann mir natürlich auch passieren.' Joop leidet unter der Parkinsonschen Krankheit und das spielt ihm natürlich übel mit. In seinem Zimmer stehen neben dem Bett auch ein Tisch mit Stühlen, ein großes Wandmöbel und ein Fernseher, der auf einem von Joop selbst gefertigten Schrank steht. 'Ich werde dir das Wunder zeigen', danach macht er die Tür auf. Eine Art Karussell kommt zum Vorschein, mit einer Anzahl runder Regale mit Dutzenden alten Schallplatten. Joop hat sehr viele Platten aufgehoben, darunter natürlich die Aufnahmen von Mary Willems. Die vor einiger Zeit von Schwiegersohn Wim installierte Hifi-Anlage leistet gute Dienste. Die Besuche an Deutschland sind für Joop immer beschwerlicher. Er läuft schwer und sich mit einem Rollator über Bahnsteige bewegen fällt ihm schwer: 'Vor allem, wenn es die Ansage gibt, dass der Zug von einem anderen Gleis fahren wird, dann ist es sehr unangenehm, denn diese Bahnsteige sind derart lang.' Glücklicherweise sind Familienmitglieder oft bereit, ihn zu fahren, aber: 'Sie haben alle ihre Arbeit und es gelingt nicht immer.' Eddy Wijnhof, ein Freund von Joop, fährt ihn jeden Sonntagmorgen zur Kirche auf der Keizersgracht. Darüber ist Joop froh. Familiereunion, 2010 46 2010 gab es auf Initiative von Joops Nichte Bernadette - einer Tochter seines Bruders Wim - eine Familienfeier, bei der viele Familienmitglieder von Joop anwesend waren. Es war ein Erfolg und sollte nochmal wiederholt werden. Am 24. September 2011 feierte Joop seinen 90. Geburtstag, und genau wie vor zehn Jahren hat die Familie das ordentlich gefeiert. In dem Saal neben der Kirche empfing er seine Familie und zahlreiche Freunde aus Deutschland und den Niederlanden. Ein besonderer Moment war die Verleihung einer bischöfliche Auszeichnung an Joop durch Vikar Steinkamp, im Namen des Bischofs Punt, für seine vielen Verdienste für das Bistum. Das Buffet wurde von der Tochter von Jan von Poorten und ihr Ehemann organisiert. Joop und Bernadette Joop hat vor, die Papiere, die er aufgehoben hat, zu ordnen. 'Aber ich habe jetzt wenig Zeit.' Es ist August 2012, es ist die Zeit der Olympischen Spiele. Joop schaut sich das gerne an. Logischerweise schaut er sich das Turnen an. 'In meiner Zeit lag die Betonung auf eine perfekte Ausführung, jetzt ist alles viel akrobatischer.' Die Übung des niederländischen Turners auf der Brücke - vor vielen Jahren Joops Spezialität - hat er sehr aufmerksam betrachtet. 'Toll! Ich erkannte viele Dinge, die ich damals auch machte, sah aber doch auch einiges, das nicht ganz stimmte.' Joop ist und bleibt mit Herz und Seele Turner. Als letzte Erinnerung erzählt Joop von dem am Samstag, dem 1. September 2012 erfolgten zweiten Familientreffen, auch diesmal organisiert von seiner Nichte Bernadette. 'Vor allem meine Enkelin Marije war total begeistert; sie hat Familienmitglieder getroffen, die sie noch nie gesehen hatte.' Am nächsten Tag kommt er am Nachmittag nach Hause. Er ist müde, aber froh, dass er das noch tun kann. 47