Lebenslauf der Margarete Steiff
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Lebenslauf der Margarete Steiff
Lebenslauf der Margarete Steiff Am 24. Juli 1847 wird Appolonia Margarete Steiff als drittes von vier Kindern in Giengen an der Brenz geboren. Sie hat zwei ältere Schwestern, etwas später als sie kommt ihr Bruder zur Welt. Der Vater Friedrich Steiff ist Bau- werksmeister in Giengen, die Mut- ter Maria Margarete Steiff, geb. Hähnle, führt den Haushalt und un- terstützt den Vater bei der Arbeit. Der Ort Giengen - zwischen Ulm und Heidenheim auf der Ostalb gelegen - besitzt damals zwar Stadtrecht, weist aber einen noch sehr dörflichen Cha- rakter auf. Margarete ist ein lebhaftes Kind, kräftig gebaut und wächst unbeschwert auf, bis sie im Alter von 1 ½ Jahren an Kinderlähmung erkrankt. Sie wird niemals laufen können und ihr Leben lang an den Rollstuhl gebunden sein. Vor allem für die Mutter ist die Nachricht schwer zu fassen. Sie wird Margarete ihr Leben lang pflegen müssen. Und das Kind wird niemals die damals typische Rolle einer Hausfrau und Mutter einnehmen können, sie besitzt aus damaliger Sicht also praktisch keinerlei Zukunftsperspektiven. Die scheinbar hilflose Margarete entwickelt sich aber ganz anders und ist ein lebensfrohes Kind. Sie besitzt eine positive Ausstrahlung - ihr geselliges, hei- teres Wesen macht sie beliebt. Das Geburtshaus von Margarete Steiff in der Ledergasse vor dem Umbau Sie will bei jedem Wetter am Leben draußen teilnehmen, bittet alle Haus- genossen und Freunde, sie doch nach draußen zu tragen - auch im Winter. Dennoch verbringt sie große Teile der kalten Jahreszeit bei den Großeltern und bei verschiedenen Nachbarn. Als Margarete in die Schule kommen soll, stellt sich wie so oft zu- nächst die Organisationsfrage. Aber es klappt: Sie wird von Nachbarskindern und Geschwistern mitgenommen und von einer Frau, die nahe der Schule wohnt, die Treppen hinauf getragen. Die Schule macht ihr viel Spaß. Ihre Leistungen erweisen sich schnell als überdurchschnittlich. Schulhaus am Kirchplatz. Das Schulgebäude ist nahezu authentisch erhalten. Hier besuchte Margarete Steiff die Volksschule. In ihrer Freizeit spielt sie, wann immer möglich, mit den anderen Kindern. Sie ist eine kreative Spielerfinderin. Ständig hat sie neue Ideen und organisiert die Abläufe so, dass sie teilnehmen kann. Dabei zeigt sich eine Gabe, die ihr im späteren Leben sehr helfen wird: Mar- garete kann ihren Mitmenschen auf motivierende Weise sagen, was getan werden muss. Margarete betreut Kleinkinder, während ihre Mütter bei der Arbeit sind. Sie liebt das Nahe und Kleine und bemerkt in ihren Tagebuchaufzeich- nungen auch folgenden Aspekt. „Es war für mich auch deshalb ein wichtiges Amt, musste ich doch nicht in der Zeit häkeln, denn ge- wöhnlich war meine Aufgabe, so und so viel fertig zu bringen.“ Weil Margarete zu Hause streng gehalten wird, genießt sie den Sommer 1856 besonders. Sie bleibt in Ludwigsburg bei der Familie von Dr. Werner, einem Kinderarzt und hat dort wesentlich mehr Freiraum. Sie ist voll in die Familie integriert, wird auch unterrichtet und verspürt kein Heimweh. Nach einer vergeblichen Operation ihrer Beine fährt sie zur Kur nach Wild- bad. Die Kur empfindet sie als großen Genuss. Margarete reift geistig und seelisch, die Krankheit aber bessert sich nicht. Immer wieder pendelt sie zwischen Ludwigsburg und Wildbad, im November 1856 kehrt sie nach Gien- gen zurück. Nach ihren Sommeraufenthalten hat sie in der Schule viel aufzuholen, aber als ebenso lebenslustiger wie ehrgeiziger Mensch erreicht sie rasch das ge- forderte Niveau. Die Zither von Margarete Margaretes nächster Wunsch ist es, eine Nähschule zu besuchen. Ihr Vater wehrt sich zuerst, um sie vor Erfolgslosigkeit zu schützen. Doch sie setzt ihren Willen durch und zeigt wieder einmal, dass die Eltern sie unterschätzt haben. Zwar braucht sie wesentlich länger als die anderen und muß oft ihre Schwestern um Hilfe rufen, aber nach einigen Jahren ist sie eine perfekte Schneiderin. Immer wieder versucht Margarete Grenzen zu überwinden. Auch der Heraus- forderung, dass Zither spielen zu erlernen ist sie gewachsen. Sie spielt schließlich so gut, dass sie selbst in der Lage ist, Unterricht zu geben. Margarete geht teilweise zu anderen Familien, um dort die Aussteuer zu nähen - zunächst zu ihrer Tante Appolonia Hähnle, später arbeitet sie beim Stadtpfarrer Gross. Dort gefällt es Margarete. Margarete hat im Alter von nun et- wa 17 Jahren erkannt, dass es keine Heilung geben wird. Sie spürt, dass sie die Krankheit ak- zeptieren muss, um Ruhe zu fin- den und ihren eigentlichen Weg gehen zu können. Im Jahre 1874 plante der Vater Friedrich Steiff sein Haus um und baute unter anderem im ersten Stock ein Arbeitszimmer als Schneiderei ein. Zusammen mit Marie und Pauline beginnt sie, zu Hause Näharbeiten auszuführen. Die Werkstatt wird im- mer bekannter, die Mädchen können sich als erste in Giengen eine eigene Nähmaschine anschaffen. Da Margarete das Rad nicht mit der rechten Hand drehen kann, wird die Maschine umgedreht: die linke Hand treibt sie an, die rechte führt den Stoff. Die Kundschaft wird immer zahlreicher. Margarete näht auch moderne, viel lieber aber Kinderklei- der. 1870 heiratet Pauline, 1873 Marie. Margarete beginnt im Sommer zu reisen. Zunächst nach Geislingen, Heidenheim, Gerstetten - in großem zeitlichen Abstand nach Neckarsulm, Stuttgart, Hochberg, Ludwigsburg, Augsburg und - wesentlich später - nach Hörbranz und Lindau, immer zu Bekannten und Verwandten. Noch immer arbeitet Margarete im Haus der Eltern. 1877 gründet sie auf Anregung von Adolf Glatz - einem angeheirateten Vetter und Fabrikanten in der örtlichen Filzfabrik - ein Filzgeschäft und stellt die ersten Hilfskräfte ein. Er unterstützte Margarete einige Jahre lang nach Kräften; natürlich auch finanziell. Aus Filz entstehen Frauenunterröcke (für Ch. Siegle in Stuttgart und für den Einzelhandel) und Kindermäntel. Der Umsatz steigt dauernd - aus der Nähwerkstatt wird eine kleine Fabrik. Ihr Bruder Fritz wird nach und nach Vater von sechs Söhnen, zu denen Margarete eine sehr enge Beziehung hat. Sie sind häufig bei ihr zu Hause und in der Werkstätte. 1880 ist es, als sie in einer Modezeitschrift ein Modell für einen Filzelefanten entdeckt und beschließt, acht dieser Elefanten als Nadelkissen zu Weihnachten zu nähen. Die Elefanten werden sehr hübsch und mit Begeisterung in Empfang genommen. Schon kurz nach Weihnachten fragt man in der Werkstätte nach den Filzelefanten. Ab dieser Zeit werden die Elefanten auf Vorrat hergestellt, wenn die Nachfrage nach Kleidern Zeit dazu lässt. Fritz hat die Idee, die Elefanten auf dem Heidenheimer Markt zu verkaufen und Margarete fertigt mit ihren Mit- arbeiterinnern zwei Säcke voll mit Tieren an. Der Erfolg ist riesig - die Filzelefanten sind rasch ausverkauft. In dieser Zeit sind weiche Spieltiere etwas ganz Neues. Margarete wird gebeten, auch andere Tiere zu entwerfen. Ein Kätzchen, lebensechte Hunde und ein rosa Schwein entstehen. Die Werkstätte wird zur „Filzsachen und Spielwarenfabrik.“ Fritz bleibt derjenige, der seiner manchmal zögernden Schwester immer wieder neue Ziele nahe bringt. 1883 sorgt er dafür, dass ihre Artikel in einem Ex- port-Musterlager in Stuttgart ausgestellt werden. Jahr für Jahr steigt nun der Umsatz, die Kollektion wird immer größer. 1886 kauft Margarete für 1460 Mark Filzbezug, 1888 für 3700 Mark, 1890 schon für 5 070 Mark. 1888 übernimmt Fritz das Baugeschäft seines Vaters. Er ist in Giengen sehr angesehen und drängt bald auch Margarete, aus dem viel zu kleinen Betrieb im elterlichen Haus aus zu ziehen. Er erstellt ein Wohn- und Geschäftshaus in der Mühlstrasse - genau auf die Bedürfnisse von Margarete zugeschnitten. In den Folgejahren entwickelt sich die Firma weiter positiv. 1892 wird ein erster illustrierter Katalog gedruckt. Neben Elefanten gehören Affen, Esel, Pferd, Kamel, Schwein, Maus, Hund, Katze, Hase und Giraffe inzwischen zum Sortiment. Am 3. März 1893 wird die Werkstätte als „Margarete Steiff, Filzspielwaren- fabrik Giengen/Brenz“ ins Handelsregister eingetragen. 1894 wird Margarete von einer großen Spielzeughandlung nach St. Gallen eingeladen. Wenig später treffen Bestellungen aus Berlin, Rothenburg und aus dem Ausland ein. Als die sechs Söhne von Fritz erwachsen sind, bittet Margarete sie, ins Unternehmen einzutreten. Fünf von ihnen sind bereit dazu und lassen sich zunächst ihren Neigungen entsprechend ausbilden - als Gestalter, Ingenieure und Betriebswirte. Der Grundstein für ein Familienunternehmen ist gelegt. Der erste Vertreter beginnt 1894/95 Muster von Steiff Produkten zu präsentieren - zusätzlich zu den Waren einer anderen Firma. Ab 1895 werden die Tiere in Berliner Firmen mitvertrieben, 1897 tritt Richard Steiff, der zweitälteste Sohn von Fritz, in die Firma ein. Er verbindet nüchternen Geschäftssinn mit viel Kreativität, hat die Kunstgewerbeschule in Stuttgart besucht und danach in England stu- diert. In Folge treten auch seine Brüder Franz, Otto, Hugo und Paul ins Unterneh- men ein zuständig für Einkauf und Absatz, Werbung, Verbesserungen im Produktionsablauf und in der Produktionstechnik. Dennoch behält Margarete den Überblick über das gesamte Betriebsgeschehen. Ihr Motto lautet: „Für unsere Kinder ist das Beste gerade gut genug“ Demgemäss wird auch nur Material von höchster Güte verwendet. Zunächst werden die Tiere mit Schafwolle, ab den neunziger Jahren mit Holzwolle gestopft. Zunächst in Europa und bald auch in Amerika halten die Stofftiere Einzug in die Märkte. Kraft für ihre Arbeit schöpft Margarete nach dem Tod von Fritz (1900) vor allem aus der engen familiären Bindung zu seinen Söhnen. Besonders Richard bringt viele Ideen ein und arbeitet intensiv am Ausbau der Produktpalette. Die ersten Modelle näht Margarete meist selbst. Die 1903 erbaute Fabrikhalle wird behindertengerecht mit Auffahrtsrampe gebaut. 1903 beginnt man, ein neues Geschäftsgebäude zu bauen: einen zweistöckigen Bau aus Beton und Glas mit einer Zufahrtsrampe in den Oberstock. Margarete lässt sich täglich in den Betrieb fahren. Sie prüft die Modelle, die Innengestelle, die Farben - mit Spritzpistolen auf das fertige Fell auf- gebracht. Sie besucht die Stimm- Macher, Ausstopfer, Stickerinnen. 1902 entwickelt Richard Steiff eine neue Art von Stofftier: mit beweglichen Armen und Beinen und ei- nem richtigen Fell aus Mohairplüsch, dazu Glasaugen. Margarete ist skeptisch, ob der Markt diese relativ teuren und für ihr Empfinden plumpen Tiere annehmen wird. Die Entscheidung birgt ein hohes Risiko, denn bei einem Misserfolg ist die Finanzkraft des Unternehmens gefährdet. Sie entscheidet sich auf Richards Drängen hin dennoch dafür - und zunächst ohne Erfolg. Man packt die Tiere auf der Leipziger Messe schon wieder ein, als buchstäblich im letzten Moment ein Amerikaner alle 3.000 Stück aufkauft. Der Bär PB wird zum Verkaufsschlager bei der Weltausstellung in St. Louis. 12.000 Stück werden verkauft, Margarete und Richard erhalten je eine Goldmedaille, der Firma wird der Grand Prix, die höchstmögliche Auszeichnung, verliehen. Der zunehmende Konkurrenzdruck macht bald neue Maßnahmen er- forderlich. Man möchte sich auf einen Preiskampf keinesfalls ein- lassen und sinnt nun nach einer Möglichkeit, die Tiere unverwech- selbar zu machen. Franz Steiff kommt auf die Idee, jedem Steiff Tier einen Knopf ins Ohr zu nieten. Der „Knopf im Ohr“ ist geboren - bis heute das Markenzeichen echter Steiff Tiere. 1908 gerät die amerikanische Wirtschaft unter Druck - mit harten Folgen für die Firma: Bestellungen werden annuliert, große Mengen bereits gefertigter Bären nicht ab- genommen. Margarete erlebt Aufschwung und Krise noch voller Aktivität mit. Am 9.5.1909 stirbt Margarete Steiff im Alter von erst 61 Jahren. Ein hoffnungslos erscheinendes Leben wurde zum Beispiel dafür, was mit Mut, Kraft, Herz und Willen erreicht werden kann. Die Firma wird in ihrem Sinne weitergeführt - bis heute.