Cholatse - DAV Sektion Berlin

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Cholatse - DAV Sektion Berlin
Thema
Cholatse
Im Tiefschnee zum Gipfel
Von Felix Berg
Khumbu, Nepal: Umgeben von den Berggiganten des Himalaja
steht der Cholatse, gerademal 6 640 m hoch, mitten in einer
grandiosen Bergkulisse. Als ich mit Robert Steiner nach einem
Ziel in Nepal suchte, dachten wir erst an den 7 850 m hohen Nuptse. Doch dann machten wir die Kostenrechnung auf:
4000 $ für das Besteigungspermit und 2500 $ für den Liaison
Officer. Ziemlich teuer zu zweit! Dann kam mir die erlösende
Idee: Bei einem Trekking Peak, und als solcher wird der Cholatse
trotz seiner relativ schweren Anstiege deklariert, müssten wir
keinen Liaison Officer und nur eine Gebühr von 500 $ bezahlen.
Die Nordwand des Cholatse bot auch ein ansprechendes Ziel.
Erst dreimal bestiegen, 1983 die Erstbegehung, 2005 die zweite
durch ein koreanisches Team und die dritte durch Ueli Steck im
Solo, wird die Route in Anspruch, Länge und Schwierigkeit mit der
Eiger-Nordwand verglichen. Dazu liegt der Gipfel auf über 6 000 m
Höhe und der Abstieg ist ebenfalls nicht leicht. Erst 1982 wurde
der Cholatse als letzter der namhaften Berge der Khumbu Region
bestiegen; der Normalweg führt über den Südwestgrat und wurde
seit der Erstbegehung nur fünfmal wiederholt.
Reise ins Ungewisse
Meinen Kletterpartner Robert Steiner kannte ich vor der Expedition nicht, doch mit jemandem seiner Erfahrung hatte ich keine
Bedenken, das Projekt anzugehen. So hatte er schon die Eiger-Nordwand in 6 Stunden solo geklettert, Khan Tengri und Peak Pobeda
bestiegen und eine namhafte Liste von schweren alpinen Routen
auf seinem Konto. Wir hatten uns über den Ausrüster „Mammut“
kennengelernt und nur per E-Mail und Telefon den Ablauf abgesprochen. Auf dem Weg nach Frankfurt trafen wir uns und flogen dann
gemeinsam nach Nepal für eine 50-tägig geplante Reise ins Ungewisse. In den Kellern des Flughafens fing beim Air India Check-In
das fernöstliche Chaos an. Der Check-In war überfüllt wie ein indisches Busterminal, nach vielen Mühen bekamen wir hier schließlich unser Boarding Ticket und hoben am 14. September 2009 ab,
um einen Tag später, nach langem nächtlichem Aufenthalt in Dehli
und kurzem Flug, in Katmandu anzukommen. Nach einem Tag in
den hektischen Gassen von Thamel, dem Touristenviertel von Katmandu, flogen wir am 17. September nach Lukla, mit seinem kleinen in den Berg gebauten Flughafen das Tor zur Khumbu Region.
Der Standard-Trek Richtung Everest Basislager brachte uns vorbei an Namche Bazar, Tengboche mit seinem großen buddhistischen Kloster, Pangboche, nach Pheriche und von dort zum Cho
Tse See und dem etwas nördlich davon gelegenen Basislager. Dank
der Unterstützung der Reiseagentur www.SummitClimb.de hatten
wir Material aus dem Lager in Pangboche ausleihen können, ein
großes Gruppenzelt, zwei Schlafzelte und die gesamte Küchenausrüstung, und richteten uns mit Hilfe unseres Nepali Kochs Dorje
bald sehr gemütlich ein.
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Auf dem Anmarsch zum Basislager: Der Cholatse mit seiner Nordwand im
Profil über dem Cho Tse See.
Dann wurde das Wetter wirklich schlecht…
Das Septemberwetter, meist noch etwas instabil, war anfänglich recht gut. Doch seitdem wir im Basislager angekommen waren, regnete es immer ab Mittag bis in die Nacht. Die guten Morgenstunden wollten wir zum Akklimatisieren nutzen. Mit schweren
Rucksäcken liefen wir in zwei kurzen Tagesetappen zum Cho La Col
(5 500 m) und erwischten dann am 26. September den einzigen
halbwegs passablen Tag zum Bergsteigen. Bei Sonnenaufgang brachen wir auf und kletterten den Westgrat auf den Nirekha Peak
(6 150 m). Unter blauem Himmel, im gleißenden Sonnenschein,
standen wir am Gipfel mit Aussicht auf Cho Oyu, Pumori, Everest,
Nuptse und Lhotse, Ama Dablam und Cholatse. Erst als wir, teilweise durch sehr aufgeweichten Matschschnee absteigend, um
15.00 Uhr das Zelt erreichten, fing es an zu schneien.
Im Basislager, es regnete wieder, dachten wir, das Wetter könnte
nicht mehr schlechter werden. Doch wir irrten uns. Der ersten
Woche Regen sollte eine zweite folgen. Robert hatte Schnupfen
und ich ging wandern. Und erst dann wurde das Wetter wirklich
schlecht. Es wurde kälter und über Nacht schneite es im Basislager.
Innerhalb von fünf Tagen hatten wir 120 Stunden Niederschlag.
Zuvor hatten wir schon eine Akklimatisationstour am Lobuche auf
5 800 m Höhe wegen der gefährlichen Schneeverhältnise abgebrochen, doch nun hörten wir es auch noch Tag und Nacht in der
Cholatse-Nordwand krachen. Langsam wurde uns klar, dass wir
eine Alternative brauchten. Denn selbst bei bestem Wetter würde
es in der schattigen Nordwand und im kalten Oktober zwei Wochen dauern, bis sich der Schnee dort halbwegs gesetzt hätte. Wir
entschieden, dass der Südwestgrat erstmal eine bessere Alternative sei. Diese Route wäre technisch um einiges einfacher und am
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Grat wären wir auch weniger den Lawinen ausgesetzt, somit sollten wir dort realistische Chancen haben, heil rauf und auch wieder
runter zu kommen. Einziges Problem war, dass wir dazu zunächst
auf die andere Seite des Berges mussten. Also packten wir unsere
Rucksäcke nicht nur mit dem notwendigen Klettermaterial (ein Seil,
vier Eisschrauben, zwei Firnanker und Persönliches), Schlafsäcken,
Zelt und Kocher, sondern auch noch mit dem Essen für fünf Tage.
Aufstieg im Tiefschnee
In miserablem Wetter passierten wir am 8. Oktober den Cho La Pass
(5 360 m), um dann nach Dranag abzusteigen. Dort übernachteten
wir in einer Lodge. In der Nacht wurden wir mit einem grandiosen
Sternenhimmel positiv eingestimmt und liefen dann am Morgen im
Sonnenschein guter Dinge dem Cholatse entgegen. Beim klassischen
Basislagerplatz bei Naktok betrachteten wir erst einmal den frisch
verschneiten Berg. Etwas oberhalb auf der Randmoräne des Gletschers (5 100 m Höhe) schlugen wir um die Mittagszeit unser Zelt
auf und beobachteten die Lawinenabgänge am Berg.
Früh am Morgen, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, gingen wir los.
Über den frisch verschneiten, aber ganz gut zugefrorenen Gletscher
gewannen wir schnell an Höhe und waren zum Sonnenaufgang am
Plateau unterhalb der Steilwände des Südwestgrats. Da der große
Felsturm nach dem Sattel, in dem wohl das Standardcamp liegt, die
Gefahr Neuschnee bedeckter Platten barg, entschieden wir uns, direkt am linkem Rand des Turms in einer Verschneidung aufzusteigen.
Diese führte anfänglich über 60° steiles Eis mit einigen steileren Aufschwüngen bis 75° in eine 55° steile Rinne mit tieferem
Schnee. Jetzt war Wühlen angesagt. Da ich voran ging, nannte
mich Robert irgendwann den „Bagger“ und meinte, ich hätte den
Titel nun offiziell verdient. Wir kletterten seilfrei, um zügig voranzukommen. Nicht mehr allzu weit vom Grat entfernt, mit inzwischen 400 m Wand unter uns, wurde der Schnee noch tiefer und
über uns tat sich senkrechter Fels auf. Eine Linksquerung durch
heikles Lawinengelände musste her. Nachdem wir eine metertiefe
Stufe gegraben hatten, standen wir gut und Robert fand sogar
eine Eis-Kies-Mischung, in der er zwei bombig feste Eisschrauben
versenkte. Wir seilten an und ich stieg los. Durch lockeren Schnee
grub ich mich nach oben bis unter eine senkrechte Schnee- und
Felsstufe. Beim Graben löste sich die Halterung eines meiner Karabiner am Eisgerät und schlug mir leicht ins Gesicht, doch hart
genug, dass ich bemerkte, wie mir der Schneidezahn abbrach und
im Schnee verschwand. Kurzer Moment der Panik, dann Konzentration! 30 m über dem Stand ohne Zwischensicherung musste
ich völlig aufs Klettern fixiert bleiben. Ein paar Schritte weiter
oben konnte ich eine schlechte Eisschraube setzen, ein paar Meter darüber eine gute. Durch einen Kamin, auf einer Seite in lockerem Schnee, auf der anderen im Fels, spreizte ich mich heikel
nach oben, während ich über mir den Schnee wegräumte. Ausstieg, dann ein paar Schritte und der Grat war erreicht. Nach
Fortsetzung auf S. 8
 Robert vor der Nordwand des Cholatse bei der Akklimatisierungstour
zum Nirekha Peak.
 Mit schwerem Rucksack auf dem Weg zur Normalroute (SW-Grat)
des Cholatse.
 Kurz vor dem Gipfel des Cholatse
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Fortsetzung von S. 7
fünf Stunden Kletterei schlugen wir unser Lager auf 5 700 m
auf. Wir mussten abwarten, bis die Nacht besseren Firn brachte,
um weiterzusteigen.
Zum eisumwehten Gipfel
Um 1.00 Uhr klingelte der Wecker und um 2.00 Uhr brachen wir
auf. Ich war noch etwas träge von der Anstrengung des Vortages,
also spurte Robert voran. Durch die Dunkelheit über steile Schneehänge, einen scharfen Grat, eine mit 15 cm Schnee belegte Granitplatte: Augen zu und hinterher folgte ich mit dem Gedanken:
„Was ihn hält, hält mich hoffentlich auch“. Bei Sonnenaufgang
wechselten wir die Führung. Dabei verloren wir das Erste Hilfe-Set
mit dem darin eingepackten Satellitentelefon. „Mist, 1000 € weg“,
war mein Gedanke. Dann stieg ich weiter durch steilen Schnee,
an einem Serac vorbei durch den nördlichen Hang. Aufgrund der
Lawinengefahr sicherten wir für eine lange Seillänge, in der ich im
Zick-Zack-Kurs eine metertiefe Spur durch den weichen Schnee
buddelte. Danach folgten wir weniger steilem Gelände zu einem
Plateau unter dem Gipfelgrat. Dort blies ein eisiger Wind harte
Eiskristalle umher. Den steilen und ausgesetzten Grat kletterten
wir meist auf der Ostseite Richtung Gipfel, so hatten wir zumindest etwas Sonne. Da der Grat dann teilweise stark überwechtet
war, kehrten wir kurz vor dem Gipfel auf die Nordseite zurück und
stiegen von dort über eine kleine Flanke zum Plateau unter dem
höchsten Punkt. Noch ein paar Meter entlang des Grats, dann
standen wir auf dem eisumwehten Gipfel! Endlich, nach sieben
Stunden mühsamen Aufstiegs! Doch wir ruhten nicht, machten
nur schnell Bilder und beeilten uns, um aus dem Wind zu verschwinden und den heiklen Grat noch bei guten Verhältnissen
abzusteigen. Zwar war es wegen des Windes bitterkalt, aber die
Sonne heizte stark und das brachte die Gefahr mit sich, dass die
Schneehänge aufweichten. Im Abstieg nochmals voll konzentriert, erreichten wir gegen 14.00 Uhr das Lager.
Felix (links) mit gebrochenem Zahn und Robert, nur leicht vereist,
am Gipfel des Cholatse
Am 12. Januar 2010 hält Felix um 19.30 Uhr in der Geschäftsstelle einen Vortrag über seine Expedition (siehe S. 17).
Das Ende
Die nächsten Tage vergingen schnell. Wir stiegen frühmorgens
ab. Erstaunlicherweise fand Robert das Erste-Hilfe-Set und das
Telefon hatte den 700-m-Sturz unbeschadet überstanden. Im Tal
erholten wir uns kurz auf den idyllischen Wiesen, dann trennten sich unsere Weg. Ich eilte zur Zahnklinik in Namche, wo ich
fachkundig behandelt wurde. Doch als ich mit reparierten Zähnen ins Nordwandbasislager zurückkam, sah ich Robert mit trüber
Miene und bandagiertem Knie. Abgestürzt beim Wäscheaufhängen - das Ende unserer ambitionierteren Pläne. Robert musste zur
Operation nach Deutschland, während ich noch allein durch das
Khumbu zog, den Island Peak (6 180 m) in unter 3 Stunden (für
1200 Hm) bestieg und einen Versuch in der Cholatse Nordwand
dann doch auf 5 500 m Höhe abbrach. Obwohl ich Robert vor
der Expedition nicht kannte, hatte unsere Kameradschaft bergsteigerisch sowie menschlich gut gepasst, darum war es schade,
dass wir, perfekt eingespielt und akklimatisiert, nicht weiter gemeinsam klettern konnten. Die Verhältnise waren so schlecht,
dass es ein mental sehr starkes Team für einen Erfolg gebraucht
hätte. Immerhin gelang uns mit der Besteigung des Cholatse im
reinen alpinen Stil doch eine sehr ordentliche und vor allem sehr
schöne gemeinsame Abschlusstour.
Felix Berg, Jahrgang 1980, ist Diplom Mathematiker und ausgebildeter Finanzanalyst. Seit 2001 als Expeditionsleiter tätig,
arbeitet er inzwischen Vollzeit für Summitclimb.de als Organisator und Leiter von Safaris, Trekkings und Expeditionen. Felix ist
seit 1992 Mitglied des DAV Berlin.
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Im Abstieg vom Gipfel entlang des ausgesetzten Grates
Alle Fotos: Felix Berg
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