Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Benner

Transcription

Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Benner
1
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Deckblatt
[…]
Sachverhalt:
Sozialarbeiter Stefan Ernst (E) arbeitet seit längerer Zeit nebenbei in der Kanzlei des Rechtsanwaltes Rainer
Richards (R) in Berlin Prenzlauer Berg und hilft ihm insbesondere bei den Arbeiten rund um das Thema:
Betreuung.
Da R in Paris eine zweite Kanzlei aufzuziehen will, gehört es neben vielem anderen aber auch zur Aufgabe
des E, die Bibliothek des R auf dem aktuellsten Stand zu halten, entsprechende Neuauflagen zu kaufen und
einzusortieren. Die Rechnungen legt er dann, wie von R vorgesehen, der Rechtsanwalts- und
Notarsfachangestellten Nadine Sommer (S) vor, die diese über die Kanzlei begleicht.
Bert Beyer, ein Bekannter des E aus Köln, betreibt dort ein Antiquariat und hat E, da er weiß, dass jener für
die Bibliothek zuständig ist, schon häufig Sonderangebote über seltene juristische Werke zugeschickt. Dem
B ist nicht bekannt, dass der E lediglich Neuauflagen zu beschaffen hat.
E hat dann auch jeweils zugegriffen und darum gebeten, dass B die Bücher nach Berlin schickt. Dabei wurde
vereinbart, dass auch die Kosten für die Anlieferung durch die Kanzlei übernommen würden.
Die Rechnungen wurden von der ahnungslosen S beglichen und auch von R nicht kontrolliert. Nachdem B
wieder einmal vorab ein Sonderangebot über ein günstiges antiquarisches dreibändiges Werk schickt, greift
E erneut zu.
Als B nach Lieferung auch die entsprechende Rechnung schickt, ist S wegen Krankheit nicht anwesend. Der
erstaunte R, der sich ausnahmsweise in seiner Kanzlei aufhält und die Post liest, weigert sich, die Bücher zu
bezahlen, da er diese nie bestellt habe.
Kann B - und wenn: von wem ? - Bezahlung der Bücher verlangen ?
[… - Sachverhalt gekürzt]
Gliederung:
1. Teil: Ansprüche des B gegen R und E auf Bezahlung der Bücher
A. Anspruch des B gegen R aus § 433 II BGB
I. Wirksamer Kaufvertrag
1. Angebot
a) Angebot durch B
b) Angebot durch R
c) Angebot durch E als Stellvertreter des R
aa) Abgabe einer eigenen Willenserklärung
bb) Offenkundigkeitsprinzip
cc) Handeln mit Vertretungsmacht
(1) Innenvollmacht
(2) Außenvollmacht
dd) Zwischenergebnis
ee) Rechtsscheinvollmacht
(1) Duldungsvollmacht
(2) Anscheinsvollmacht, Meinungsstreit
(a) Erste Meinung - Ablehnung der Anscheinsvollmacht
(b) Zweite Meinung - Anscheinsvollmacht nur im kaufmännischen Verkehr
2
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner (c) Dritte Meinung - Befürwortung der Anscheinsvollmacht
(d) Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht
(e) Zwischenergebnis
(f) Diskussion der Meinungen
ff) Ergebnis
2. Annahme
3. Wirksamkeit des Kaufvertrags
II. Rechtsvernichtende Einwendungen
1. Anfechtung
a) Anfechtungserklärung
b) Anfechtungsfrist
c) Meinungsstreit über die Anfechtbarkeit der Anscheinsvollmacht […]
[…]
B. […]
Literturverzeichnis […]
Gutachten
1. Teil : Ansprüche des B auf Zahlung des Kaufpreises gegen R und E
A. Anspruch des B gegen R aus § 433 II BGB
I.
B könnte gegen R einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises der Bücher
aus § 433 II 1 haben.
Dann müßte ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihnen zustande gekommen
sein.
Ein Kaufvertrag besteht aus mindestens zwei übereinstimmenden, wechselseitigen Willenserklärungen, wobei man die zeitlich erste Erklärung als Angebot oder Antrag und die spätere, sich darauf beziehende als Annahme
bezeichnet 2 .
1.
a)
Zu prüfen ist, ob ein Angebot des B gemäß § 145 vorliegt.
Ein Angebot ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die so
bestimmt sein muß, dass lediglich die Zustimmung des anderen Teils zur Einigung der Parteien und damit zum Zustandekommen des Vertrags führt 3 .
1Alle
Paragraphen ohne Kennung sind im Folgenden solche des BGB.
AT, Rn. 356.
3Brox, AT, Rn. 168 f.
2Medicus,
3
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Das Zuschicken der Sonderangebote über seltene juristische Werke durch B
könnte ein Angebot sein.
Damit ein Angebot vorläge, müßte der rechtsgeschäftliche Bindungswille
des B erkennbar sein.
Durch lebensnahe Auslegung des Sachverhalts wird deutlich, dass sich B
den Vertragsschluß mit anderen potientiellen Käufern ebenfalls vorbehalten
möchte. Er kann und will sich also nicht mit jedem Interessenten für die von
ihm vertriebenen Werke, vertraglich binden.
Beim Versenden von Sonderangeboten über antiquarische Werke handelt es
sich daher lediglich um eine Aufforderung zur Abgabe von
Willenserklärungen, also um eine invitatio ad offerendum 4 .
Es liegt daher kein Angebot des B im Sinne des § 145 vor.
b)
R könnte jedoch gemäß § 145 wirksam angeboten haben.
R selbst hat gegenüber B keinen Kaufwunsch bezüglich des antiquarischen
Werkes geäußert.
c)
Ein Kaufangebot könnte jedoch durch E als Stellvertreter des R nach
§ 164 I mit der Bestellung der Bücher gemacht worden sein.
Ein Stellvertrreter muß nach § 164 im Gegensatz zum Boten 5 eine eigene
Willenserklärung in fremdem Namen mit Vertretungsmacht abgegeben haben, die unmittelbar für und gegen den Vertretenen wirkt.
aa)
Aus dem Sachverhalt ist zu ersehen, dass E eine eigene Willenserklärung,
abgegeben hat. Diese Tatsache schließt auch eine Botenfunktion des E aus.
bb)
Desweiteren müßte B aus dem Verhalten des E nach dem Offenkundigkeitsprinzip auf seine Stellvertreterfunktion schließen können.
Diesem Prinzip zufolge muß der Stellvertreter kenntlich machen, dass er bei
der Abgabe seiner Willenserklärung für einen anderen handelt 6 .
Laut Sachverhalt weiß B, dass es Aufgabe des E ist, für R bestimmte Bücher
einzukaufen.
cc)
Fraglich ist, ob E mit Vertretungsmacht gehandelt hat.
4Brox,
AT, Rn. 170.
AT, Rn. 868.
6Rüthers, Rn. 494.
5Medicus,
4
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Eine Vertretungsmacht kann sich aus dem Gesetz (ex lege) ergeben oder ex
contractu, also durch ein Rechtsgeschäft erteilt worden sein.
Eine Vertretungsmacht ex lege kommt hier nicht in Frage, da sie sich vor
allem auf Fälle, in denen eine Person nicht rechtsgeschäftlich handeln kann
bezieht 7 .
Dies ist hier nicht der Fall.
Die Erteilung einer Vollmacht, also einer Vertretungsmacht kraft Rechtsgeschäft, wie es in § 166 II definiert ist, kann nach § 167 als Innen- oder
Außenvollmacht erfolgen.
(1)
Bei der internen oder Innenvollmacht wird nach § 167 I 1.Alt
dem Bevollmächtigten durch Erklärung des Vollmachtgebers eine Vollmacht
erteilt.
Die Vertretungsmacht, die E von R erteilt wurde, beschränkte sich lediglich
auf die Besorgung von Neuauflagen juristischer Werke.
(2)
Bei der externen oder Außenvollmacht wird nach § 164 I 2. Alt. einem Dritten gegenüber vom Vollmachtgeber erklärt, dass er eine bestimmte Person
bevollmächtige.
Eine solche Erklärung, die ausdrücklich oder konkludent erfolgen kann 8 ,
wurde von R gegenüber B bezüglich E nicht abgegeben.
dd)
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass E ohne Vertretungsmacht gehandelt hat und der Kaufvertrag, da auch keine nachträgliche Genehmigung des
R gemäß § 177 I erfolgte, unwirksam ist.
ee)
Es könnte jedoch eine Vertretungsmacht des R fingiert werden, wenn der
Rechtsschein einer Vollmacht bestünde.
Dieser liegt unter folgenden Voraussetzungen vor:
Es darf keine Vollmacht vergeben worden sein, die äußeren Umstände müssen auf eine erteilte Vollmacht schließen lassen und der Rechtsschein muß
dem Vertretenen zurechenbar sein.
Aus dem Sachverhalt ist ersichlich, dass R dem E keine Vollmacht erteilt
hat.
7Brox,
8Brox,
AT, Rn. 487.
AT, Rn. 499.
5
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Die Büchereinkäufe des E bei B wurden von der Kanzlei des R bezahlt und
abgenommen, außerdem wußte B von der Zuständigkeit des E für die Bibliothek des R.
Somit konnte B aus dem äußeren Erscheinungsbild, dass sich ihm bot, auf
eine Vollmacht des E schließen.
Wegen Bezahlung der bisherigen Büchereinkäufe des E durch R, muß
diesem auch der Rechtsschein der Vollmacht zugerechnet werden.
Da die allgemeinen Voraussetzungen für den Rechtsschein einer Vollmacht
gegeben sind, könnte eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht Anwendung
finden.
Beide Institute, deren Rechtsgedanke vor allem aus §§ 170 ff. stammt,
wurden entwickelt, um die Interessen Dritter gegenüber den Vertretenen zu
schützen 9 .
Sie unterscheiden sich im Punkt der Zurechenbarkeit des Rechtsscheins dem
Vertretenen gegenüber.
Bei der Duldungsvollmacht muß der Vertretene das Verhalten des für ihn
Handelnden kennen und dulden 10 .
Die Anscheinsvollmacht hingegen setzt voraus, dass der Vertretene das Verhalten des für ihn Handelnden zwar nicht kennt, es aber bei Anwendung der
erforderlichen Sorgfalt hätte kennen müssen 11 .
Zu prüfen ist nun, ob das Institut der Duldungsvollmacht im vorliegenden
Fall Anwendung findet.
(1)
R wußte nichts von der Bestellung des antiquarischen Werkes durch E.
Man kann daher aus seinem Nichtstun nicht auf ein Dulden des Verhaltens
des E schließen.
Es liegt also keine Duldungsvollmacht vor.
(2)
Es könnte jedoch eine Anscheinsvollmacht vorliegen.
Über die Existenz einer Anscheinsvollmacht ergibt sich ein Meinungsstreit.
(a)
Eine Meinung in der Literatur lehnt die Lehre der Anscheinsvollmacht strikt
ab 12 .
9Brox,
AT, Rn. 518.
LM, § 167, Nr.13.
11BGH LM, § 167, Nr. 3, 4, 15, 17.
12Flume, § 49, 4; Medicus AT Rn. 971.
10BGH
6
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Man könne die Geltung einer rechtsgeschäftlichen Regelung nicht auf die
Erfüllung pflichtgemäßer Sorgfalt gründen, da diese im bürgerlichen Recht
lediglich den Ansatzpunkt einer Haftung auf Schadensersatz bilde.
Die Anhänger dieser Meinung wollen den Vertretenen nicht nach den Regeln wirksamer Stellvertretung an den Vertrag binden.
Sie sprechen dem schutzwürdigen Dritten keine Erfüllungsansprüche gegen
den Vertretenen, sondern Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo
zu.
Unter Anwendung dieser Meinung gelangt man im vorliegenden Fall zu dem
Ergebnis, dass E ohne Vertretungsmacht gehandelt hat und daher kein Kaufvertrag zwischen R und B wirksam zustande gekommen ist.
B hätte also keinen Anspruch gegen R auf Zahlung des Bücherkaufpreises
aus § 433 II.
Er hätte allerdings einen Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse
und bekäme die Lieferkosten für die Bücherzustellung ersetzt.
(b)
Einer weiteren Meinung zufolge wird die Lehre der Anscheinsvollmacht
zwar bejaht, jedoch wird ihre Verknüpfung von Vertreterwirkungen nur im
kaufmännischenVerkehr zugelassen, da hier bei der Sorgfaltspflicht strengere Maßstäbe gelten können 13 .
Canaris begründet die ausschließliche Anwendung der Lehre auch damit,
dass dort im Gegensatz zum Zivilrecht eine Bindung an bestimmte typisierte
Erklärungsformen bei Fehlen des Erklärungsbewußtseins existiert.
Beiden Meinungen zufolge ist das fehlende Erklärungsbewußtsein des Vertretenen ausschlaggebend dafür, dass dieser nicht an den Vertrag gebunden
werden darf.
Da es sich im vorliegenden Fall nicht um Kaufleute handelt und daher auch
die Regeln des Handelsrecht nicht anwendbar sind, treffen R keine Vertreterwirkungen aus einer Anscheinsvollmacht.
B hätte also keinen Anspruch gegen R aus § 433 II.
(c)
Nach der Rechtssprechung und der herrschenden Meinung wird der Vertretene, der den Rechtsschein einer Anscheinsvollmacht in zurechenbarer
Weise gesetzt hat, so an den Vertrag gebunden, wie er stünde, wenn sein
Vertreter in wirksamer Stellvertretung gehandelt hätte 14 .
13Larenz,
14
AT § 33, I a; Canaris, Vertrauenshaftung S. 52.
RGZ 170, 284; BGHZ 5, 111; BGH NJW 81, 1728; Palandt-Heinrichs
7
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Dies ist nach den Vertretern dieser Meinung einer der wenigen Fälle, bei
denen rechtsgeschäftliche Wirkungen auf ein nicht rechtsgeschäftliches
Handeln folgen 15 .
Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Geschäft für den Vertretenen wirksam
ist und ein Erfüllungsanspruch oder Schadensersatzanspruch auf das Erfüllungsinteresse für den Geschäftsgegener besteht.
Würde man dieser Auffassung folgen, müßte man feststellen, dass B und R
Vertragspartner geworden wären.
Folglich hätte B, wenn auch die übrigen Voraussetzungen eines Kaufvertrags und einer Anscheinsvollmacht erfüllt wären, gegen R einen Anspruch
auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 II oder einen Schadensersatzanspruch
auf das Erfüllungsinteresse.
Es ist nun zu prüfen, ob die von der die Anscheinsvollmacht
befürwortenden, herrschenden Meinung aufgestellten Voraussetzungen für
diese erfüllt sind.
(d)
Das Institut der Anscheinsvollmacht ist gegeben, wenn erstens der Vertretene das Handeln seines angeblichen Stellvertreters nicht kennt, es aber bei
Aufwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können
und zweitens der Geschäftsgegener das Verhalten des Vertreters nach Treu
und Glauben so auffassen durfte, als handle dieser mit Vertretungsmacht 16 .
R kannte das Handeln des E nicht.
Fraglich ist jedoch, ob er die Büchereinkäufe des E hätte kennen müssen.
Einerseits ist es sicher schwierig für R neben seinen neu hinzugekommenen
beruflichen Aufgaben auch noch alle Einkäufe bezüglich der Bibliothek des
bei ihm schon seit längerer Zeit arbeitenden E zu beaufsichtigen.
Andererseits ist die Buchbestellung des E auch nicht die erste dieser Art,
insofern hätte er auch schon mehrfach Gelegenheit gehabt sich über den
aktuellen Bibliotheksbestand zu informieren. Desweiteren hätte R seine Sekretärin, die schließlich mit der Begleichung der Rechnungen betraut ist,
über den genauen Aufgabenbereich des E informieren können.
§ 173, Rn. 13 ff.; Grimme JuS 1989; Staudinger-Dilcher § 167 Rn. 34; v.
Craushaar, AcP 174, 2; Enneccerus-Nipperdey, § 184 II 3c.
15Schwab,
Rn. 656.
16Palandt-Heinrichs,
§ 173, Rn. 13.
8
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner R hätte also bei Anwendung plichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass
E ohne Vollmacht in seinem Namen private Büchereinkäufe tätigt.
Zu prüfen ist nun, ob B aus dem Verhalten des E annehmen durfte, dass dieser von R bevollmächtigt wurde.
Entscheidend ist hierbei, dass der Vertreter schon mehrfach während einer
gewissen Zeitdauer im Namen des Vertretenenen aufgetreten ist. Der
Geschäftsgegner schließt dann vom wiederholten Vertreterhandeln über die
Kenntnis des Vertretenen auf eine Vollmachtserteilung oder zumindest eine
Vollmacht kraft Rechtsschein 17 .
E hat schon mehrfach bei B im Namen des R eingekauft. Bisher wurden alle
Rechnungen des E über die Kanzlei des R widerspruchslos beglichen.
B mußte also nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass die Bestellung
des antiquarischen Werkes durch E dem R bekannt ist.
(e)
Alle von der herrschenden Meinung geforderten Voraussetzungen für das
Rechtsinstitut der Anscheinsvollmacht sind gegeben.
Es ist nun eine Entscheidung des Meinungsstreites erforderlich, da die zuerst
dargestellten Meinungen andere Rechtsfolgen auslösen, als die herrschende.
(f)
Für die Anscheinsvollmacht befürwortende Meinung spricht, dass B, der auf
die Vertretungsmacht vertraut hat, als schutzwürdiger gegenüber R
angesehen werden muß. Man kann B nicht bei jedem Vertragsschluß
zumuten, beim Vertretenen rückzufragen, ob dieser einen Stellvertreter
geschickt hat und auf welchen Bereich sich dessen Vertretungsmacht
bezieht. Zwar gebührt einem zu Unrecht Vertretenen ebenfalls Schutz,
jedoch hätte dieser das Handeln seines Stellvertreters ja kennen müssen, wie
es die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht verlangen. R hatte das
Handeln des E mehrfach übersehen, daher ist er als nicht so schutzwürdig
wie sein Geschäftsgegner anzusehen.
Für die Gegenmeinung, welche die Anscheinsvollmacht ganz ablehnt bzw.
sie nur im kaufmännischen Verkehr gelten lassen will, spricht vor allem ihre
Anlehnung an die Grundsätze der Privatautonomie, des Schweigens im
Rechtsverkehr und an die Regelung des culpa in contrahendo.
Ihr kann jedoch nicht gefolgt werden, da dies eine Beeinträchtigung des
Rechtsverkehrs bedeuten würde. Dem Geschäftsgegner, der ja ohnehin
immer auf die Aussagen des mit ihm in direkten, geschäftlichen Kontakt
17BGH
LM § 164, Nr. 9, 34; MüKo-Thiele § 167 Rn. 47;
9
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner stehenden Stellvertreters angewiesen ist, muß die ständige Rückfrage beim
Vertretenen erspart bleiben.
Es ist auf den Empfängerhorizont des gutgläubigen Geschäftsgegeners
abzustellen 18 und der herrschenden Meinung Folge zu leisten.
ff)
Es liegt daher eine Rechtsscheinvollmacht in Form einer
Anscheinsvollmacht vor und somit ist der Tatbestand des § 164 I erfüllt.
E hat als Stellvertreter des R gehandelt und folglich durch seine
Bücherbestellung im Sinne des § 145 wirksam angeboten.
2.
Zu prüfen ist nun, ob B dieses Angebot auch angenommen hat. Die
Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die mit dem
Zugang beim Antragenden wirksam wird. Sie kann, wenn eine Erklärung
nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist, oder der Antragende auf sie
verzichtet hat, konkludent erfolgen 19 .
B nahm, wie schon öfter, die bestellten Bücher mit, um sie in der Kanzlei
des R abzuliefern, somit hat er das Angebot des R konkludent angenommen.
3.
Ein Kaufvertrag zwischen B und R ist daher wirksam zustandegekommen.
B hat also gegen R einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises und auf
Abnahme der Kaufsache aus § 433 II.
II.
Dieser Anspruch könnte jedoch gemäß § 142 I untergegangen sein, da
als rechtsvernichtende Einwendung im zugrundeliegenden Fall eine
Anfechtung in Betracht käme.
1.
Eine Anfechtung läge vor, wenn eine Anfechtungserklärung innerhalb einer
bestimmten Frist abgeben wurde und ein Anfechtungsgrund besteht 20 .
a)
R weigert sich den Kaufpreis der antiquarischen Werke zu bezahlen, da er
selbst diese nie bestellt habe.
In dieser Aussage könnte eine Anfechtungserklärung liegen.
18Brox,
AT, Rn. 134.
19Brox,
AT, Rn. 182 ff.
AT, Rn. 339; Thoma, S. 181.
20Brox,
10
Auszug aus einer Musterhausarbeit – Prof. Dr. Susanne Benner Eine Anfechtungserklärung ist eine formfreie, empfangsbedürftige
Willenserklärung 21 .
Als solche muß eine Aussage gegenüber dem Anfechtungsgegner erfolgen,
aus der dieser entnehmen kann, dass der Erklärende ein bestimmtes
Rechtsgeschäft wegen Willensmangels von Anfang an beseitigen möchte.
Die Erklärung braucht nicht den Ausdruck "anfechten " zu enthalten 22 .
Es liegt also eine gültige Anfechtungserklärung des R vor.
b)
Die Anfechtung muß durch den Anfechtungsberechtigten gemäß § 121 I 1
unverzüglich erfolgen.
Das bedeutet, dass dieser die Anfechtungserklärung abzugeben hat, sobald er
vom Anfechtungsgrund erfahren hat.
Auch dies ist laut Sachverhalt durch R geschehen.
c)
Fraglich ist es jedoch, ob eine Anscheinsvollmacht überhaupt angefochten
werden kann.
An dieser Stelle existiert ein Meinungstreit. […]
21Jauernig,
22BGH
§ 143, Anm. 2.
91, 331 f.; Brox, AT, Rn. 385 f.