tagebuch josefine mutzenbacher
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Literatur- und Abkürzungsverzeichnis Aufsätze Frenzel, Eike Michael Von Josefine Mutzenbacher zu American Psycho: Das Jugendschutzgesetz 2002 und das Ende des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte?, in: AfP – Zeitschrift für Medienund Kommunikationsrecht, 2002, Heft 3, S. 191 (zitiert als: Frenzel AfP 2002) Ladeur, Karl-Heinz Was ist Pornographie heute? Zur Notwendigkeit einer Umstellung des strafrechtlichen Pornographieverbots auf Institutionenschutz, in: AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrechts, 2001, Heft 6, S. 471 (zitiert als: Ladeur AfP 2001) Lober, Andreas Jugendgefährdende Unerhaltungssoftware - Kein Kinderspiel - Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Indizierung jugendgefährdender Computerspiele, in: CR - Computer und Recht, 2002, Heft 6, S. 391 (zitiert als: Lober CR 2002) Raue, Peter Kunstfreiheit, Persönlichkeitsrecht und das Gebot der praktischen Kokordanz – Gedanken zum Esra-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und dem Contergan Fall, in: AfP – Zeitschrift für Medien und Kommunikationsrecht, 2009, Heft 1, S.1 (zitiert als: Raue AfP 2009) Risthaus, Stefan Spiele und Spielregeln im Urheberrecht - Rien ne va plus?, in: WRP - Wettberwerb in Recht und Praxis, 2009, S. 698 (zitiert als: Risthaus WRP 2009) Roback, Markus Von "Esra" zu "Rohtenburg" – Zu den Auswirkungen der "Esra"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf die jüngste Rechtsprechung zur Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, in: AfP – Zeitschrift für Medienund Kommunikationsrecht, 2009, Heft 4, S. 325 (zitiert als: Roback AfP 2009) I Schneider, Wilfried Entwicklung der Spruchpraxis...Bundesprüfstelle, in: BPjS-Aktuell 4/2001, S. 3 (zitiert als: Schneider BPjS-A 2001) Wittreck, Fabian Persönlichkeitsbild und Kunstfreiheit – Grundrechtskonflikte Privater nach den Enscheidungen Esra und Contergan des Bundesverfassungsgerichts, in: AfP – Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht, 2009, Heft 1, S. 6 (zitiert als: Wittreck AfP 2009) Zagouras, Georgios Rechtsfragen des Game-Designs - Die Gestaltung von Computerspielen und -animationen aus medien- und markenrechtlicher Sicht, in: WRP - Wettbewerb in Recht und Praxis, 2006, S. 680 (zitiert als: Zagouras WRP 2006) Bei den übrigen Abkürzungen wird Kirchner/Butz gefolgt. II Gliederung Einleitung 1 Rechtliche Vorüberlegungen 1 Systematik und Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 GG 1 Kunstbegriff 2 Gruppe 1: Pornographie und Gewalt 3 1954: Die Sünderin 4 1990: Josephine Mutzenbacher 5 1992: Tanz der Teufel 6 2001: American Psycho 7 2009: Manhunt 8 Zusammenfassung 8 Gruppe 2: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht 11 1971: Mephisto 12 2007: Esra 13 2007: Ehrensache 14 2009: Der Kannibale von Rothenburg 14 Zusammenfassung 15 Gruppe 3: Außenbereichsschutz und Delikt 18 Baukunst 1 (Graffiti) 18 Baukunst 2 (Artemis und Aurora-Denkmal) 18 Verunglimpfung des Staates (Deutschland muss sterben) 19 Gesundheitsschädigung (Goethe-Theater) 19 Ergebnis - Was darf der Künstler? Perspektivenwechsel III 20 Einleitung Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit den Grenzen der von Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Kunstfreiheit anhand von Fallbeispielen aus der Rechtsprechung. Ihr Ziel ist es, diese Grenzen praktisch und möglichst umfassend für den Künstler zu definieren. Es gibt in der Praxis der Gerichte als auch in anderen Fällen, in denen Kunst auf ihre rechtlichen Grenzen stößt, vielfältige Aspekte, die eine rechtliche Beurteilung der Frage nach der Kunstfreiheit ausmachen. Nach dem Dafürhalten des Verfassers lassen sich dennoch drei abstrakte Fallgruppen herausbilden, die der augenscheinlichen Unübersichtlichkeit Ordnung verleihen. Alle drei Fallgruppen dienen dem Gedanken der öffentlichen Sichherheit, jedoch auf einer unterschiedlichen Ebene der Abstraktion. Die öffentliche Sicherheit im allgemeinsprachlichen (nicht polizeirechtlichen) Sinne umfasst beispielsweise rechtliche Fragen von Gruppenversammlungen, Straßenkunst, Umweltschädigungen und Deliktsrecht. Diese Gruppe zeichnet sich durch eine direkte Öffentlichkeitsberührung aus, da Kunst unmittelbar auf die Gesellschaft trifft, was evidenter Weise nahezu unzählige Gestaltungsformen annehmen kann, weswegen diese Fälle hier vergleichsweise oberflächlich analysiert werden, da sonst der Rahmen gesprengt würde (Gruppe 3: Außenbereichsschutz und Delikt). Eine andere Gruppe betrifft den Schutz der Jugendlichen und Kinder, aber auch die sittliche Grundeinstellung. Hierbei wird zunächst auf den Schutz einer bestimmten Zielgruppe abgestellt, der dann aus einer Abstraktion heraus für die gesamte Bevölkerung Bedeutung hat (Gruppe 1: Pornographie und Gewalt). Zum Schluss wäre da noch der Schutz der Persönlichkeit des Individuums, getragen vom Gedanken der Menschenwürde. In diesen Fällen geht es konkret um Streitfragen zwischen zwei Parteien. Innerhalb dieser zivilrechtlichen, adversatorischen Konflikte lassen sich aber auch grundsätzliche Werte und Interessen der Allgemeinheit finden, die für den Staat von außerordentlichem Belang sind, weil sie auf die beiden wichtigsten Pfeiler der Verfassung abzielen: Art. 1 und Art. 2 GG (Gruppe 2: Allgemeines Persönlichkeitsrecht). In der praktischen Konkordanz bei einer Abwägung zwischen den jeweils widerstreitenden Grundrechten zeigen sich in jeder Fallgruppe Besonderheiten, die für die Bewertung und Gewichtung der Grundrechte tragende Rollen spielen und im Folgenden noch analysiert werden. Rechtliche Vorüberlegungen Systematik und Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 GG Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs.3 S.1 Var. 1 GG gilt als Spezialfall zum Grundrecht auf freie 1 2 Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG. Für eine Demokratie ist es schlechthin konstituierend. Es 3 gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede und damit erst Recht für die Kunst. Mehr sogar, 4 die Kunstfreiheit unterliegt keinem Gesetzesvorbehalt, wird also schrankenlos gewährt. Sie wird explizit nicht durch die Grundrechtsschanke des Art. 5 Abs. 2 GG tangiert und kann somit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht, d.h. durch Grundrechte Dritter und andere wichtige Güter von Verfassungsrang eingeschränkt werden. Diese „Gegnergruppe“ lässt sich - wie oben bereits angedeutet grob in drei Ausgestaltungen unterteilen. Bei der dritten Gruppe kommen zum Einen Konflikte mit dem 5 Verfassungsauftrag des Umweltschutzes nach Art. 20a GG oder aber Streitigkeiten in Bezug auf Versammlungen und Beschädigung von Privat- oder Staatseigentum gem. Art. 2 Abs. 2 GG in Betracht. 1 Die beiden praktisch am häufigsten anzutreffenden und wichtigsten Fallgruppen jedoch betreffen die Konfrontation von Kunstfreiheit mit dem Schutz der Familie sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Es geht in der Sache um den Schutz des elterliche Erziehungsrechts aus Art. 6 Abs. 2 S.1 GG bzw. das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen nach Art. 1 Abs. 6 1 S.1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG sowie die Achtung des Personenwürde aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S.1 GG. Diese Grundrechte werden zum Teil durch normale Gesetze wie Straftatbestände und Baurecht konkretisiert, oder aber praktisch von (auch privatrechtlichen) Institutionen verteidigt. Kunstbegriff Dem Wesen der Kunst widerspricht es eigentlich, den Begriff der Kunst zu definieren. Für die Rechtsanwendung ist eine Definition aber unerlässlich. Wie weit die Verfassungsgarantie der Kunstfreiheit reicht und was sie im Einzelnen bedeutet, läßt sich ohne tieferes Eingehen auf die sehr verschiedenen Äußerungsformen künstlerischer Betätigung in einer für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen Weise nicht erschöpfend darstellen. In mehreren Leitentscheidungen hat das BVerfG die Kunst versucht zu definieren, verwendet heutzutage aber mehrere Kunstbegriffe nebeneinander: Kunst kann zunächst materiell bestimmt werden. Danach ist jede künstlerischen Betätigung als freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers 7 durch das Medium einer bestimmten Formensprache zum Ausdruck gebracht werden, erfasst. Dieser Begriff ist jedoch zu unpräzise, da er eher eine Beschreibung als eine Definition ist. Des Weiteren kann Kunst formal bestimmt werden, und zwar, wenn das Wesentliche des betreffenden Werks einem bestimmten Werktyp zugeordnet werden kann (Malerei, Musik, Bildhauerei, Dichtung, Schauspiel etc.). 8 Dieser Begriff ist zu eng, da moderne Kunst gerade nach neuen Erscheinungsformen strebt. Ein dritter Ansatz sieht das kennzeichnende Merkmal einer künstlerische Betätigung darin, dass es wegen der Mannigfalitigkeit des Aussagegehalts möglich sei, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weitreichendere Bedeutungen zu entnehmen, sodass sich eine praktisch 9 unerschöpfliche, vielstufige Informationsvermittlung ergebe (sog. Offener Kunstbegriff). Leider ist bei diesem Begriff keine abschließende Beurteilung möglich, da es bei einer gewissen Argumenation immer möglich ist, dieses Kriterium zu bejahen. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, zu untersuchen, inwie weit das Werk als Kulturgut anzusehen ist. Dies birgt aber die Gefahr, dass kulturpolitische Leitideen freie künstlerische Entfaltung hemmen könnten. Solch eine Entwicklung konnte in Deutschland schon einmal beobachtet werden. „Entartete Kunst“ war während der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland der offiziell propagierte Begriff für mit rassentheoretischen Begründungen diffamierte Moderne Kunst. Die Nationalsozialisten entwickelten ein gesondertes Kunstideal und verfolgten diese entgegenstehende Kunst, die auch als „Verfallskunst“ und „artfremd“ bezeichnet wurde, weil sie von Pessimismus und Pazifismus geprägt sei. Um staatliches Kunstrichtertum wie im Nationalsozialismus auszuschließen, ist der heutige Begriff der Kunst jedenfalls weit zu verstehen. Unerheblich ist in jedem Fall, welches Niveau das Objekt hat. 10 2 11 Das schließt Pornographie genauso mit ein wie „Splatter“, Horror, unästhetische Objekte ,Satire, Persiflage, Parodie oder (populistische) Gesellschafts- und Staatskritik. Insbesondere spielt es keine Rolle, ob das Objekt als künstlerisch hochwertig oder als profan angesehen wird. Kunst ist einer staatlichen Stil- und Niveaukontrolle nicht zugänglich. 12 Bei einer rechtlichen Würdigung von mehreren Interpretationen eines Kunstwerks ist diejenige zugrunde zu legen, bei der das Kunstwerk fremde Rechte oder Allgemeininteressen nicht beeinträchtigt. 13 Um bei dem formellen Kunstbegriff anzuknöpfen, da er der Deutlichste ist, können folgende Werktypen theoretisch als Kunst angesehen werden: Malerei, Bildhauerei, Fotographie, Theater, Film, Literatur, Musik. Fraglich ist, ob auch Computer-Spiele unter den Kunstbegriff fallen. Dies wird teilweise bestritten ist 14 und jedenfalls noch nicht gerichtlich geklärt worden. Bei einer Subsumierung unter die obigen Kunstbegriffe ergibt sich folgendes: Computerspiele sind Gemeinschaftsprojekte und unterliegen heutzutage ähnlichen Strukturen wie die Filmbranche 15 (Produzenten, Storyboarder, Designer, Regiesseure etc.). Dieses Team an kreativen, wirtschaftlichen und technischen Experten betätigt sich in einer freien, künstlerischen Art und Weise. Hierbei werden genauso Eindrücke und Erfahrungen verarbeitet die dann durch ein Medium – den Computer bzw. die Grafikkarte – in einer bestimmten Formsprache zum Ausdruck gebracht werden. (Materieller Begriff). Spiele erzählen Geschichten und geben mittlerweile dem „Gamer“ die Möglichkeit, durch unterschiedliche Verhaltensweisen den Spielverlauf zu beeinflussen, mithin mehrere Szenarien und damit Interpretationsmöglichkeiten zu erschaffen (Offener Begriff). Nicht zuletzt hat der deutsche Kulturrat Computerspiele 2008 zum 16 Kulturgut erklärt: „Kunstfreiheit gilt auch für Computerspiele.“ Dem ist im Ergebnis zuzustimmen Gruppe 1: Pornographie und Gewalt Pornographie und Gewalt zählen seit je her zu Themen, die ein moderner Staat gezielt versucht zu kontrollieren und für die Bevölkerung zu dosieren. Um die Regeln der Gesellschaft - allen voran die objektive Rechtsordnung - zu bewahren, ist eine moralisch hochwertige, vielleicht sogar "tugendhafte" Grundhaltung essentielle Voraussetzung. Auch wenn beide Themen ohne Zweifel Teil der menschlichen Psyche und des Zusammenlebens sind, und Tugendhaftigkeit eine Frage des Standpunktes ist, so ist es auch schon eine Frage der Logik und der praktischen Notwendigkeit, friedliches Beisammenleben zu propagieren; Besonders wichtig ist dieser Punkt im Hinblick auf den Jugendschutz, da Kinder und Jugendliche leichter beeinflussbar sind als Erwachsene. Auf der anderen Seite steht (aus Angst vor und als Abkehr von autoritären Staatssystemen) der unbändige Wille der Bevölkerung in Freiheit zu Leben, was sich insbesondere auf die freie Meinungsäußerung und die Unterform der Kunstfreiheit bezieht. Beide Positionen stehen sich eigentlich diametral gegenüber, da konsequente Freiheit auch die natürlichen Erscheiungsformen menschlichen Zusammenlebens, nämlich Sex und Gewalt, beinhaltet. Um trotzdem ein Gleichgewicht zu erreichen, geht das deutsche Recht von der Überlegung aus, dass die Kunstfreiheit grundsätzlich unbeschränkt gewährt wird. Als mögliche Einschränkung dient der Jugendschutz, der durchaus ein Wert von Verfassungsrang ist. Trotzdem ist er – anders als im Falle bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen – nicht direkt, sonder höchstens mittelbar durch Art. 6 GG, greifbar in Form eines Grundrechts. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber zahlreiche Gesetze erlassen und es 3 wurden politische Instrumentarien erschaffen, um das Staatsschutzziel trotzdem durchzusetzen. Seit 1951 wurde dieser Jugendmedienschutz vor allem durch das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) und durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS) normiert. 17 Die Regelungen dieser Gesetze sind mit einigen Änderungen 2003 im Jugenschutzgesetz (JuSchG) aufgegangen: Es geht um die Abwehr einer angenommenen Gefährdung durch das Konsumieren von Medien. 18 Daneben sind Vorschriften des StGB von Bedeutung, die mittelbar jugendschützend wirken. Das JuSchG regelt unter anderem in Bezug auf Minderjährige und Kunst: • Verkauf und anderweitiges Zugänglichmachen von Filmen und Computer-/Videospielen in der Öffentlichkeit • Zuständigkeiten der Jugendschutz-Organisationen Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle als Pendant bei Computerspielen (USK) • Tätigkeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPJM, früher: BPJS), insbesondere das Instrument der Indizierung von Medieninhalten Das StGB kennt als für Pornographie und Gewalt relevante Tatbestände: • § 131 StGB - Die Menschenwürdende verletzende Gewaltdarstellungen • § 184 - § 184d StGB - Verbreitung pornographischer Schriften Im Bereich des Films lässt sich als Hauptinitiator der Berufsverband der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO) in Wiesbaden ausmachen. Diese betreibt in der Form einer Tochtergesellschaft (mbH) die FSK, welcher zwar nicht rechtlich verpflichtend, jedoch auf freiwilliger Basis dennoch für die Filmvertriebe obligatorisch Medieninhalte prüft. Desweiteren kann die SPIO auch selbstständig Medien überprüfen und zwar auf strafrechtlich relevante Inhalte. Eine Indizierung bzw. Beschlagnahmung erfolgt dann gegebenfalls durch ein Gericht. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, direkt hoheitlich tätig zu werden, und zwar durch die BPJM, welche eine Bundesoberbehörde darstellt. Im Gegensatz zur freiwilligen Arbeit der SPIO bzw. FSK handelt die BPJM nur auf Antrag des z.B. Jugendamtes und überprüft vor Allem nach dem StGB verbotene Inhalte. Allerdings bedeutet eine Alterskennzeichnung durch die FSK oder die USK ein Verfahrenshindernis, welches eine Indizierung verbietet. Diese „Verteidigungswälle“ gegen die sittliche Verrohung der Gesellschaft machen die rechtliche Beurteilung von Kunstfreiheit in Bezug auf Pornographie- und Gewaltdarstellungen aus. 1954: Die Sünderin 19 1. Verbot / Indizierung: 24.03.1951 durch das städische Ordnungsamt Grund: Art. 6 GG, Moralvorstellungen Letzte Entscheidung: 21.12.1954 durch das Bundesverwaltungsgericht Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: 4 Die Handlung des Films dreht sich um das Zusammenleben der Prostituierten Marina und ihrem Freund, dem Maler Gustav. Marina geht dem Prostitutionsgewerbe nach, leistet später Sterbehilfe und begeht anschließend Selbstmord. Aspekte: • Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) übt zwar hoheitliche Aufgaben als privatrechtlicher Verband aus, kann jedoch mit ihren Entscheidungen bezüglich einer Freigabe oder Nichtfreigabe eines Films keine für die Verwaltung bindende hoheitliche Entscheidung treffen. • Die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG unterliegt nicht den Schranken der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG und damit auch nicht der polizeilichen Generalklausel. • 20 21 Auch das Sittengesetz im Sinne der allgemeinen grundlegenden Anschauungen über die ethische Gebundenheit des Einzelnen in der Gemeinschaft und erst recht die Institution der Ehe und der Familie nach Art. 6 GG sind Werte von Verfassungsrang. Eine Verletzung solcher Werte findet nur dann statt, wenn der Film Vorgänge, die diesen Rechtsgütern zuwiderlaufen, verherrlicht und als erstrebenwert darstellt. Mithin muss eine Bekenntnis des Films zu diesen Un-Werten stattfinden. • 22 Moralische, religiöse und weltanschauliche Auffassungen einzelner Bevölkerungskreise, wie sie in den verschiedenen Landesteilen verschieden entwickelt sind, sind zwar innere Werte, aber nicht unter den besonderen Schutz der staatlichen Grundordnung gestellt und damit auch nicht in der Lage, die Kunstfreiheit einzuschränken. 23 1990: Josephine Mutzenbacher 24 1. Verbot / Indizierung: 1982 durch die BPJS (heute: BPJM) Grund: Art. 6 GG, jetzt: § 18 JuSchG Bundesverfassungsgericht: 27.11.1990 Letzte Entscheidung: 31.10.1991 durch das OVG Münster Sieger: Jugendschutz Sachverhalt: Das Buch schildert die tristen Lebensverhältnisse der Wiener Großstadt, denen ein junges Mädchen namens Josefine Mutzenbacher zu entkommen versucht. Nach vielen Jahren, in denen aus der IchPerspektive aus dem Prostituiertenleben erzählt wird, erreicht sie sogar einen gewissen Wohlstand und Ansehen, weshalb das Dirnenleben auch nicht als nur kritisch oder verwerflich dargestellt wird, sondern mitunter fröhlich konnotiert ist. Mutzenbacher macht bereits im Alter von Fünf Jahren erste sexuelle Erfahrungen und geht mit Vierzehn bereits dem Prostitutionsgewerbe nach. Aspekte: • Erforderlich ist eine werkgerechte Interpretation des Werks, ebenso wie eine Analyse des Echos und der Wertschätzung von Kritik und Wissenschaft, um keine Vorab-Zensur auf Grundlage eines Genres (Hier: Pornographie) zu schaffen. • 25 Es darf keine staatliche Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle geben. Kunst und Pornographie schließen sich nicht aus. Insbesondere die Vulgärsprache oder die Sexualphantasieen können als Stilmittel verstanden werden. 26 5 • Bei dem Werk handelt es sich um Kinderpornografie. Sexueller Kindesmissbrauch wird ausführlich und in einer für pornographische Erzeugnisse üblichen aufreizenden Weise geschildet und einschränkungslos verharmlost. Die Hauptfigur agiert dabei im Alter zwischen 7 und 13 Jahren. Hinweise, die dem jugendlichen Leser signalisieren könnten, dass diese Aussagen problematisch sind, finden sich an keiner Stelle. Die erwachsenen Sexualpartner sind – bei Licht betrachtet – Kinderschänder. 1992: Tanz der Teufel 27 28 1. Verbot / Indizierung: 25.04.1984 durch die BPJS Grund: § 131 StGB Letzte Entscheidung: 20.10.1992 durch das BVerfG Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Der Film handelt von fünf Jugendlichen, die ein Wochenende in einer Waldhütte verbringen. In dem Haus finden sie ein Tonbandgerät, welches eine magische Formel abspielt, die die „Dämonen des Waldes“ zum Leben erweckt. Daraufhin werden die Freunde von Untoten heimgesucht, die mitunter sehr blutig Jagd auf die Überlebenden machen. Gegenstand der rechtlichen Bewertungen durch die Gerichte waren beispielhafte Szenen aus dem Film, wie etwa eine Großaufnahme, in der der Kopf einer weiblichen Bessessenen in Brand gerät und die Gesichtshaut dabei verbrennt. Einmal springt eine Besessene auf einen am Boden liegenden Mann, der einen Spaten abwehrend vor sich hält und durch den Sturz der Angreiferin deren Kopf abtrennt. Außerdem gibt es Szenen, in denen ein Mann erwürgt, ein Weiterer durch Axthiebe zerstückelt, ein Bessessener von einem Stilett erdolcht und der Kopf eines Anderen teilweise zerfetzt wird. Aspekte: • Die Tatbestandsmerkmale des § 131 StGB wurden ausgelegt, um den Vorwurf des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG zu beseitigen. Der § 131 StGB ist verfassungsmäßig: • 29 Das Tatbestandsmerkmal „Mensch“ umfasst nur den Begriff des biologischen Menschen, nicht dagegen menschenähnliche Wesen, wie z.B. Zombies oder Besessene. Dies gilt allerdings nur für die Opferseite, nicht so für die Täterseite. 30 Das Merkmal „grausam“ entspricht dem Mordmerkmal des § 211 StGB. 31 „Unmenschlich“ ist eine Handlung, die mit menschenverachtender, rücksichtsloser, roher oder unbarmherziger Gesinnung ausgeführt wird. 32 Der Begriff „Gewalttätigkeit“ bezeichnet ein aggressives, aktives Tun, durch das unter Einsatz oder Ingangsetzen physischer Kraft unmittelbar oder mittelbar auf den Körper eines Menschen in einer dessen leibliche oder seelische Unversehrtheit beeinträchtigenden oder konkret gefährdenden Weise eingewirkt wird. Es ist aber nicht nötig, dass die gezeigte Gewalt, um dem Telos der Norm gerecht zu werden, nur solche Darstellungen in Betracht kommen, die tatsächlich denkbare, in der Realität vorkommende Vorgänge zum Gegenstand haben. Vielmehr können auch Darstellungen, welche das Grausame und Unmenschliche rein fiktiver, erkennbar frei erfundener Gewalttätigkeiten in ihren Einzelheiten ausbreiten, eine gewaltverherrlichende oder - verharmlosende Tendenz ausdrücken oder das Gebot zur Achtung der Würde des Menschen verletzen und damit dem Verbot des § 131 Abs. 1 StGB unterfallen. 33 6 Trotz Nebulosität des Begriffes Menschenwürde, könne dieser – gemessen an Art. 1 GG – verfassungsmäßig ausgelegt werden. 34 Erforderlich ist eine (hier: filmische) Darstellung, die beim Betrachter eine Einstellung erzeugen soll, die den fundamentalen Wertund Achtungsanspruch der konkret dargestellten Person leugnet und ein sadistisches Vergnügen vermittelt. Als Beispiel wird das „genüssliche“ Verharren bei einem unmenschlichen Vorgang angeführt. 35 „Nur“ Darstellungen von Gewalt mit extremer Qualität, d.h. Brutalität und mit aufdringlicher Häufigkeit fallen grundsätzlich nicht schon unter das Merkmal der „Meschen(un)würde“ des § 131 StGB. • „The Evil Dead“ verstößt nicht gegen die Norm des § 131 StGB 2001: American Psycho 36 1. Verbot / Indizierung: 05.01.1995 durch die BPjS Grund: Art. 6 GG, jetzt: § 18 JuSchG Letzte Entscheidung: 15.02.2001 durch das OVG NRW Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Das Buch beschreibt aus der Perspektive des Protagonisten Patrick Bateman, ein reicher „Yuppi“ und „Vice-President“ eines nicht näher bestimmten Konzerns, dessen Lebensalltag im kapitalistischzynischen New York der 80er Jahre. Hierbei übt der Autor, Bret Easton Ellis, starke Kritik am Materialismus und sinnlos-größenwahsinnigen Konsumverhalten der Upper-Class aus, die gänzlich ohne Gefühle und Moral ihrem dekadenten Leben aus Drogen, Geld und Party fröhnt. Bateman ist sich dieser Sinnlosigkeit seines Lebens bewusst und versucht Gefühle dadurch zu bekommen, indem er unzählige Menschen auf z.T. äußerst grausame Art und Weise umbringt. Im Zentrum der Kritik stehen zwei rein pornografische Szenen und fünfzehn Mord-Schilderungen. So gibt es eine Szene, in der Bateman einer weiblichen Prostituierten, nachdem er diese mit Fesseln fixiert hat, ein langes, hohles Metallrohr in die Vagina rammt und anschließend eine ausgehungerte Ratte hindurchlaufen lässt, welche beginnt, die Innereien der Frau zu fressen – Diese ist noch bei Bewusstsein. Diese drastischen Darstellungen sind gepaart mit allerlei humoristischen Bemerkungen des Protagonisten sowie einer endlosen Aneinanderreihung von Besitztümern und den dazugehörigen Marken. Aspekte: • Eine Güterabwägung ist keine „Verrechnung“ von quasi-numerischen Rangplätzen auf einer Kunst- und einer Jugendgefährdnungsskale. Sie erfordert eine sorgsame Beurteilung der künstlerischen Elemente mit denjenigen, denen eine Jugendgefährdung innewohnt. • 37 Zwar wohnt American Psycho ein Schädigungspotential inne durch die außerordentliche Realitätsnähe der dargestellten Vorgänge sowie den kühlen und berechnenden Charakter der – im Übrigen nicht als Identifikationsfigur dienenden – Figur des Patrick Bateman. Allerdings zeigt das Werk die innere Nähe des zur Fassade erstarrten modernen Lebens zum totalen Amoralismus auf. Dieser künstlerische Wert des Buches rechtfertigt die dargestellten Grausamkeiten als Stilmittel. 7 38 2009: Manhunt 39 1. Verbot / Indizierung: 11.03.2004 durch die BPJM Grund: Art. 6 GG,§ 18 JuSchG Letzte Entscheidung: 19.07.2004 durch das AG München Sieger: Jugendschutz Sachverhalt: In dem Spiel schlüpft der Spieler in die Rolle eines verurteilten Gewaltverbrechers namens James Earl Cash, der auf seine Hinrichtung wartet. Ein reicher ehemaliger Hollywood Regisseur sorgt mit seinem Geld und Einfluss dafür, dass Cash der Vollstreckung des Todesurteils entfliehen kann. Im Gegenzug fordert er Cash – und damit den Spieler – auf, diverse Snuff-Filme zu produzieren. Der Spieler ist hierbei Hauptakteur und soll verschiedene Menschen vor laufender Kamera auf möglichst brutale Art und Weise ermorden; Namentlich Kopfschüsse mit großkalibrigen Waffen sowie das Flehen um Gnade von nur verletzten Gegnern. Die finalen Tötungssequenzen – unterteilt in 3 Stufen – zeigen Enthauptungen, Erwürgen und herausspritzende Gehirne. Die Tötung wird hierbei durch den Einsatz von kleinen Videosequenzen in die Länge gezogen. Aspekte: • Bereits die „normalen“ Handlungsabläufe, d.h. nicht die finalen Tötungssequenzen, fallen äußerst brutal aus. • 40 Dem Spiel wohnt eine äußerst menschenverachtende Grundhaltung inne. Held und Schurke sind nahezu identisch und durch die von Moral losgelösten Intentionen der Charaktere, welche sich primär auf den eigenen, egoistischen Überlebenstrieb beziehen, glorifiziert das Spiel Selbstjustiz und verneint die grundlegendsten Regeln menschlichen Zusammenlebens. 41 Zusammenfassung Es lässt sich festhalten, dass sich die Spruchpraxis im Laufe der Zeit zu Gunsten der Kunst in Bezug auf die Darstellung von sexuellen und gewaltätigen Inhalten verändert hat. Es ist zu einer Grenzverschiebung von zulässigen und verbotenen Formen gekommen. 42 Beide Themenkomplexe zielen,wie bereits mehrfach erwähnt, auf den Jugendschutz ab und sind rechtlich gleich zu bewerten. Trotzdem ist der Weg der Pornographie im Rahmen der Kunstfreiheit ein Längerer gewesen. Wie das Beispiel der „Sünderin“ verdeutlicht, galten in den 40er und 50er Jahren noch strenge, durch die Kirche vertretene Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen, die der Darstellung von Nacktheit allgemein eine Jugendgefährdung attestierten und kontraklerikale Themen wie Sterbehilfe und Suizid als schlechthin sittenwidrig abstempelten. 43 Immerhin markierte das Urteil einen ersten Grundpfeiler, der weg von der alleinigen Betrachtung der Rezeption und der Wirkung des Films in der Realität hin zu einer Verknüpfung mit Kunst- bzw. Filmtechnischer Werkanalyse führte. Es wurde untersucht, inwieweit der Film – und damit die Kunst – sittenwidrige Werte verherrlichte, d.h. die Darstellung an sich war nicht das 44 jugendgefährdende, sondern die dahinterstehende Intention. Zeitgleich veränderte sich die Strafnorm des § 184 StGB, der nunmehr nicht Bezug nimmt auf die „guten Sitten“, sondern konkret von „Pornographie“ spricht. 45 Das bedeutet, abstrakte, nebulöse Rechtsbegriffe, die weniger einen 8 Sachverhalt beschreiben sondern eine außerrechtliche Wertung voraussetzen und dem gesellschaftlichsozialen Wandel unterliegen, wurden eingetauscht gegen qualifizierte Bedingungen, die eine Grenze der Strafbarkeit insbesondere im Hinblick auf Art. 103 Abs.2 GG verfassungsmäßiger definieren. 46 Im weiteren Verlauf der Geschichte begegnen uns zwei Grundsatzurteile, die diesen Weg weiter ebnen sollten. Im sog. Opus Pistorum Urteil von 1992 wurde die Abwägung in jedem einzelnen Fall zwischen Pornographie und Kunst gefordert – Allerdings nur für Grenzfälle. 47 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall der „Josephine Mutzenbacher“ konstituierte schließlich den bis heute geltenden Grundsatz: „Pornographie und Kunst schließen sich nicht aus“. Es sei generell eine Einzelabwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem Jugendschutz zu führen, wobei diese Abwägung festen Kriterien unterliegen solle. Interpretation wurde: • 49 48 Diese Kriterien zeichnen sich durch eine werkgerechte aus, welche auch an der anderen Front – Kunst gegen Persönlichkeitsrecht – Leitbild 50 Das Maß der Einbindung der gefährdenden Schilderungen in ein künstlerisches Konzept, was Wahl und Bearbeitung eines Gewalt und Sexualität thematisierenden Sujets beinhalte • Die künstlerische Gestaltung und Einbettung der jugendgefährdenden Inhalte in die Gesamtkonzeption • Das Ansehen des Werkes beim Publikum • Echo und Wertschätzung in Kritik und Wissenschaft Während also auf der prozessualen Seite vor Gericht der Künstlerische Wirkungsbereich stärker betont wurde, mithin der Kunst juristische Liberalität geschenkt wurde, wurde dem Verständnis von Sexualität und Pornographie auf der materiellen Seite das schlechte Image genommen. Die Liberalisierung und Säkularisierung der Gesellschaft sowie der schwindende Einfluss der Kirche veränderten den Blickwinkel auf Pornographie in Medien im Allgemeinen und Kunst im Besonderen. 51 Es galt nunmehr zu trennen zwischen echtem „Porno“ und künstlerische Gestaltung von Sexualität. „Porno“ ist heutzutage das Genre, das primär über getrennte Läden, Kinos und Versandhäuser verbreitet wird und in der Regel nicht von der allgemeinen Presse rezensiert wird. Es ist eine mehr oder weniger verzeihliche Schwäche, nicht aber eine bewusst gewählte Form der Lebensgestaltung, die der Ausübung von Meinungs- und Informatonsfreiheit dient. 52 Durch die Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 sowie der Trend, 53 private, selbstgedrehte Videos im Internet zu verbreiten , dürfte der "Sittenwidrigkeit" von Pornographie weitgehend der Boden genommen sein. All das führt zu der heute geltenden Maxime: In Dubio pro Arte. Je höher der künstlerische Wert, desto höher die Freiheit. 54 Wenn man sich die anhaltende Sexualisierung der Gesellschaft durch die Medien anschaut, scheint es mittlerweile eher unwahrscheinlich, dass Kunst in Bezug auf Pornographie großartig eingeschränkt werden könnte. Einige Tabubereiche verbleiben aber nachwievor, was sich insbesondere aus den differenzierten Vorschriften der §§ 184 f. StGB ergibt. Einer dieser Tabubereiche davon führte auch zur endgültigen Indizierung des Mutzenbacher-Romans: Kinderpornographie. Wie die Spruchpraxis der BPjM zeigt, geht der Staat davon aus, dass in der Darstellung von nackten Kinderkörpern, unabhängig in welchem Medium, jedenfalls die Gefahr gegeben sei, dass Kinder und Jugendliche zu Schauobjekten herabgewürdigt werden, was der unbedingten Unverletzlichkeit der Menschenwürde widerspreche. Das Problem hierbei sei die 9 Signalwirkung für die Kinder selbst, die von solchen Werken oder Bildern ausgehe, die letztendlich dazu führe, dass Kinder sich den Wünschen von Erwachsenen in Bezug auf pädosexuelle Bedürfnisse nicht widersetzen könnten. Selbst wenn es sich bei dieser gefährdeten Gruppe von Kindern um eine 55 Minderheit handele, so habe diese dennoch einen Anspruch auf Schutz. Letztendlich differenziert man also zwischen Kinder- und Jugendlichen auf der Einen und Erwachsenen auf der anderen Seite und zwar sowohl auf der Protagonisten- als auch auf der Rezipientenseite, obwohl es um den selben Gegenstand geht. 56 Darin könnte man eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sehen. Problematisch ist nämlich die Frage nach der wissenschaftlichen Beweisbarkeit über die Folgen der Konfrontation gerade junger Menschen mit pornographischen oder gewaltverherrlichenden Medien. 57 Diese Frage entzündet sich heutzutage vor allem im Bereich der Gewaltmedien und -kunst. Kunst und Gewalt haben eine vergleichweise kleine gemeinsame Konfrontationsgeschichte im Vergleich zur Pornographie. Es lässt sich aber ebenfalls festhalten, dass der unbestimmte Begriff von „verrohender Wirkung“ einer Gewaltdarstellung ersetzt wurde durch genaue Tatbestandsvoraussetzungen im heutigen § 131 StGB. Hintergrund der Gewaltproblematik in der Kunst ist die Angst des Staates vor Nachahmung der gezeigten Gewalttaten. 58 Der Staat will verhindern, dass Mord, Totschlag, Vergewaltigung und andere schwere Kapitalstraftaten überhaupt erst entstehen. Der präventive Eingriff in die Kunstfreiheit soll also die repressive Ahndung unterstützen und fördern. Aus diesem Grund messen sich die Tatbestandsmerkmale des § 131 StGB u.a. auch am § 211 StGB oder an der Menschenwürde des Art. 1 GG. Die Frage, wie weit diese Prävention gehen darf, richtet sich nach der Wahrscheinlichkeit der schädlichen Wirkung, insbesondere auf den Jugendlichen. Es besteht die Angst vor einer Selbstzensur – der sog. „Schere im Kopf“ - bereits in der Anfangsphase des künstlerischen Schaffens. 59 Bücher haben durch ihren zeitaufwändigen Charakter sowie dem schwindenden Interesse von Kindern und Jugendlichen (jedenfalls was Gewaltliteratur angeht) einen bescheidenen Anteil an dieser Diskussion. Insbesondere das Urteil im Falle „American Psycho“ konstituiert dem Medium des Buches einen gewissen Freischein in Sachen Literatur und Gewalt. Die dort dargestellten Grausamkeiten sind – auch in pornographischer Hinsicht – nicht zu überbieten. Dennoch ging das Gericht 2001 davon aus, dass der künstlerische Kontext der Brutalität der Schilderungen gerecht wird. Ebenso wurden bei „Tanz der Teufel“ die Darstellungen unter den Tatbestand des § 131 StGB subsumiert, mit dem Ergebnis, dass der Film ausgestrahlt werden dürfe. Beiden Werken ist eine positive Kritik und große Anhängermeinschaft beim Publikum gemeinsam – Beide Kunstwerke sind Kult. Dies ist insofern interessant, als dass es auch Gegenbeispiele gibt: Der Film „Cannibal – Aus dem Tagebuch des 60 Kannibalen“ wurde aufgrund der extremen, pornographischen Gewaltdarstellungen mittlerweile nach 61 62 § 184a StGB beschlagnahmt. Gleiches galt für einen gewalttätigen "PornoComic" . Streng genommen gibt es keinen Unterschied zu den oben genannten Werken, weder in der Kunstgattung noch in den Darstellungen, mit einer Ausnahme: Einen Erfolg, sowohl in kommerzieller als auch künstlerische Hinsicht, wie American Psycho oder Tanz der Teufel konnten diese beiden Werke nicht verbuchen. Ein Zusammenhang darf vermutet werden. Im Übrigen wird an der Genese und dem Aufbau der einschlägigen Strafnormen deutlich, wie weit die Grenze der Strafbarkeit zu Gunsten der Kunstfreiheit zurückgedrängt wurde. Während der § 131 StGB 10 noch von „die menschenwürde verachtender Gewalt“ spricht und sich mit dieser immer noch recht altmodischen – da unbestimmten und abstrakten – Formulierung selbst ins Bein schneidet, teilt sich der § 184 nunmehr in sieben Untertatbestände von „a“ bis „f“ auf, um erstens möglichst konkret zu sein und zweitens explizite Randerscheinungen von medialer Gewaltdarstellung zu bestrafen, wie z.B. „Gewaltpornographie“. Diesen äußerst weiten Rahmen, der für das Medium Film und Literatur gilt, hat die neue Erscheinungsform von Kunst – Computerspiele – noch nicht erreicht. Grund dafür ist die noch nicht einheitlich geklärte Frage nach der Kunstfähigkeit dieses Mediums sowie der für Kunst untypischen Form des Konsums von solchen Werken. 63 Die Frage nach der Gewaltverherrlichung möglicher Nachahmungstaten bei Jugendlichen entzündet sich heutzutage fast ausschließlich an Computerspielen 64 und wird genährt durch Amokläufe an deutschen Schulen, aber auch im Ausland. Die Rechtsprechung steht auf dem Standpunkt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Spielen von gewaltätigen „Games“ 65 und realer Nachahmung nicht ausgeschlossen werden kann. Erwähnenswert ist am Beispiel des Falles „Manhunt“ die fast schon anachronistisch anmutende Entscheidung des Gerichts. Das Amtsgericht befand in Einklang mit der BPjM, dass die dem Spiel innewohnende menschenverachtende Tendenz und die fehlende Vorbildfunktion des Protagonisten, den man als Spieler steuert, jugendgefährdend sei. Dies erinnert zu Recht stark an "American Psycho", allerdings wurde im Gegensatz dazu nichtmal versucht, auf einen künstlerischen Wert des Spiels einzugehen. Es werden wie zuvor auch in den anderen Darstellungsformen abstrakte, wenig konkrete Begriffe verwendet. Die Gewalt selbst im Spiel fällt letztendlich gar nicht so brutal aus, was allein schon der relativ schwachen Grafik im Vergleich mit heutigen Werken geschuldet ist. Aufgrund der langen Verfahrensdauer kommen Gerichtsentscheidungen im schnelllebigen Markt der Computerspiele für einen effektiven Rechtsschutz oft zu spät, so dass das JuSchG und die BPjM präventiv arbeiten 66 – was eine rechtliche, zusammenfassende Beurteilung erschwert. Gruppe 2: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde im Wesentlichen von der Rechtsprechung entwickelt. Es stellt – aus einer wertenden Zusammenschau des Art. 2 Abs.1 i.V.m. 1 Abs.1 GG heraus – ein umfassendes ideeles und kommerzielles Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit dar und umfasst daher vor allem die Befugnis, sich herabsetzender, fälschlicher und unerbetener öffentlicher 67 68 Darstellungen erwehren zu können. Insbesondere durch die sog. Lebach - und Volkszählungsurteile 69 von 1973 und 1983 wurde das Allgemeine Persönlichkeitsrecht in drei geschützte Spären unterteilt: 1. Die Individualsphäre (z.B. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches besagt, dass jeder Mensch selbst entschieden darf, welche Informationen von ihm in der Öffentlichkeit preisgegeben werden). 2. Die Privatssphäre (z.b. das Leben im häuslichen Bereich, was insbesondere bei Maßnahmen des Staates nach der Strafprozessordnung tangiert sein kann). 3. Die Intimssphäre (Welche sich u.a. auf die Veröffentlichung von privaten Gedanken in Tagebüchern bezieht). Bei Eingriffen in den Schutzbereich durch Dritte muss eine praktische Konkordanz hergestellt werden zwischen dem Grundrecht aus Art. 2 Abs.1 i.V.m. 1 Abs.1 GG und dem Recht auf Kunstfreiheit. Nach der Vorstellung 11 70 des Staates soll keines der beiden Grundrechte generellen Vorrang vor dem Anderen besitzen. Ebenso wie die Rechtsprechung das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt hat, genauso lag und liegt es an ihr, dieses Institut mit Leben zu füllen. Erfreulicherweise bekam bei dieser - noch lange nicht abgeschlossenen Arbeit - auch das Recht auf Kunstfreiheit deutliche Konturen. 1971: Mephisto 71 1. Verbot / Indizierung: 10.03.1966 durch das OLG Hamburg Grund: Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG Letzte Entscheidung: 24.02.1971 durch das BVerfG Sieger: Unentschieden (Kunstfreiheit) Sachverhalt: Der Roman schildert den Aufstieg des bekannten Schauspielers Hendrik Höfgen, der seine politische Überzeugung verleugnet und alle menschlichen und ethischen Bindungen abstreift, um im Pakt mit den nationalsozialistischen Machthabern eine künstlerische Karriere zu starten. Der Romanfigur Hendrol Höfgen hat der Schauspieler Gustaf Gründgens als Vorbild gedient. Zahlreiche Einzelheiten wie seine äußere Erscheinung, die Theaterstücke, an denen er mitwirkte, und ihre zeitliche Reihenfolge, der Aufstieg zum Preußischen Staatsrat und zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater entsprechen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebenslauf von Gründgens. Auch an Personen aus der damaligen Umgebung von Gründgens lehnt sich der Roman an. 72 Aspekte : • Der Roman ist Kunst. Auch der Bereich der „engagierten“ Kunst ist nicht von der Freiheitsgarantie ausgenommen. 73 74 • Im Gegensatz zu Art. 1 Abs. 1 GG scheidet Art. 2 Abs. 1 GG für bereits verstorbene Personen aus. • Grundsätzlich steht es der Kunstfreiheit nicht im Wege, dass ein Künstler Vorgänge des realen Lebens schildert und hierbei teilweise an der Realität vorbeigeht. • Erkennbar ist eine Romanfigur jedenfalls dann, wenn sie von einem nicht unbedeutenden Leserkreis erkannt werden kann. • 75 76 Der Einstieg in die rechtliche Prüfung erfolgt nicht bei einem Abgleich zwischen Ab- und Urbild, sondern bei dem Kunstwerk (kunstspezifischer, ästhetischer Maßstab) selbst, da ein Kunstwerk Realität nicht nur im außerkünstlerischen Wirkbereich, sondern vorwiegend auf der ästhetischen Ebene besitzt. • 77 Der Roman „Mephisto“ schafft keine Identitäten oder Portraits sondern erschafft Typen, d.h. personifizierte Themen. Außerdem ist es notwendig, die Umstände des Schaffensprozesses zu verstehen. Der Mephisto-Roman ist ein Werk der Exilliteratur. • 78 Ein Vorwort kann sehr wohl einer Verringerung der möglicherweise nachteiligen Wirkungen für die Personenwürde des Betroffenen sein. 2007: Esra 79 80 1. Verbot / Indizierung: 15.10.2003 durch das LG München Grund: Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG 12 Letzte Entscheidung: 13.06.2007 durch das BVerfG Sieger: Allgemeines Persönlichkeitsrecht Sachverhalt: In dem Roman geht es um eine Liebesgeschichte zwischen dem Schriftsteller Adam und der Schauspielerin Esra. In einem Zeitraum von vier Jahren wird die schwierige und turbulente Beziehungsgeschichte der beiden aus der Ich-Perspektive von Adam erzählt, wobei intime und private Familienprobleme geschildert werden. Esra wird als eine unselbstständige, dem Willen ihrer Mutter unterworfene Frau dargestellt. Sie sei nicht in der Lage, eine richtige Beziehung zu Adam aufbauen zu können. Es wird auch Bezug auf das gespaltene Verhältnis zu Esra und ihrer todkranken Tochter genommen, welche sie nach den Überlegungen des Erzählers im Innersten ablehnt. Ebenso Bestandteil der Schilderungen sind mehrere sexuelle Handlungen zwischen Esra und dem Ich-Erzähler. Auch die Mutter Esras – Lale – wird beschrieben und als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin dargestellt, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert. Der Autor Max Biller räumte ein, dass er von seiner Liebesbeziehung zu Ayse Romey und deren Mutter Birsel Lemke inspiriert worden sei, was auch durch eine persönliche Widmung seinerseits an Frau Romey in einem Buchexemplar belegt werden kann. Aspekte: • Durch den hohen Stellenwert der Kunstfreiheit kann im Wege der Wechselwirkung von Grundrechten der Eingriff möglicherweise gerechtfertigt sein. Hierbei muss eine kunstspezifische Betrachtungsweise angelegt werden. • 81 Es ist nicht erforderlich, dass – wie noch in der Mephisto-Entscheidung für entscheidend erklärt – die dargestellten Personen „von einem nicht unbedeutenden Leserkreis unschwer“ als Vorbild der Romanfigur erkannt werden. Vielmehr ist für eine Betroffenheit des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes ausreichend, dass der Betroffene „erkennbar zum Gegenstand einer medialen Darstellung“ wird. 82 Hierfür genügt es, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- und Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar werden, z.B. durch eine hohe Auszeichnung (Der Bundesfilmpreis). Die Kläger sind eindeutig in den Protagonisten des Buches zu erkennen, mithin liegt eine Betroffenheit vor. • 83 Dabei wird zugunsten des Autors eine Fiktionalität des Werkes vermutet, soweit er selbst keinen Faktizitätsanspruch erhebe. Dies kann dann anders sein, wenn sich aus dem Werk selbst ergibt, dass der Autor dem Leser gegenüber einen Wahrheitsanspruch an seine Schilderungen erhebe. • 84 Im Falle der Mutter ist diese Fiktionalität dem Leser gegenüber klar hervorgetreten. Im Falle der Tochter hingegen greift die Fiktionalitätsvermutung nicht, da eine Beeinträchtigung des Wesenskerns des Persönlichkeitsrechts, der Intimsphäre, durch Beschreibungen des Sexuallebens vorliegt, die der Leser für wahr halten muss. 85 86 • Die Tochter ist in ihrem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. • Hieraus ergibt sich die Formel: Je mehr eine künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts [d.h. die Intimsphäre] berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen. 13 87 2007: Ehrensache 88 1. Verbot: 16.05.2007 durch das OLG Hamm Grund: Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG Letzte Entscheidungen: 19.12.2007 (BVerfG) und 16.09.2008 (BGH) Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Das Theaterstück „Ehrensache“ verarbeitet den realen, sog. „Hagener-Mädchenmord“-Fall. Dort hatte ein junger Mann türkischer Herkunft im Mai 2004 seine 14-jährige Freundin mit 30 Messerstichen getötet, nachdem diese ihm offenbart hat, sie sei schwanger. Nach der Familientradition wäre er verpflichtet gewesen, das Mädchen zu heiraten. Das LG Hagen verurteilte ihn zu zehn Jahren Jugendstrafe. Aspekte: • 89 Der postmortale Persönlichkeitsschutz beruht allein auf Art. 1 Abs. 1 GG und entspricht nicht dem allgemeinem Persönlichkeitsrecht. Würdeverletzung. • Die Prüfung einer Verletzung entspricht Den Zuschauern des Theaterstücks stellt sich nicht die Frage, ob die dargestellten sexuellen Handlungen als Berichte von Erlebnissen des Autors zu verstehen sind. • einer üblichen 90 91 Das Theaterstück selbst thematisiert die Unzuverlässigkeit der Figuren, die über Ellena – welche das Opfer darstellen soll – berichten und erhebt dadurch keinen Anspruch auf vollständige Faktizität. 2009: Der Kannibale von Rothenburg 92 93 1. Verbot / Indizierung: 05.07.2007 durch das LG Kassel Grund: Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG Letzte Entscheidung: 26.05.2009 durch den BGH Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Der Kinofilm orientiert sich an den tatsächlichen Ereignissen im Fall Armin Meiwes, welcher aufgrund der Ermordung eines Menschen und späteren Verspeisung von Teilen der Leiche als „Kannibale von Rotenburg“ bekannt wurde. Die Verstümmelungen und Schlachtung des Opfers werden im Film nicht direkt gezeigt. Die Gerichte hatten sich viel mehr mit der Frage auseinander zu setzen, ob das Persönlichkeitsrecht von Armin Meiwes, inbesondere in Bezug auf die damals noch laufenden Strafprozesse, verletzt wurde. Der Film weist im Vorspann darauf hin, dass der Film lediglich von wahren Ereignissen inspiriert sei. Aspekte: • Das Persönlichkeitsrecht ist nicht schon allein deswegen verletzt, weil die Darstellung von Person, Leben und Handeln eines Menschen Gegenstand eines „Horrorfilms“ ist. Die Kunstfreiheitsgarantie umfasst grundsätzlich auch die freie Themengestaltung, insbesondere verbietet es sich auf Methoden, Inhalte 14 94 und Tendenzen der künstlerischen Tätigkeit einzuwirken. Das schließt die Wahl des Sujets mit ein. Die wahren Ereignisse legen bereits für sich genommen das Genre des Horrorfilms nahe. • Im Film „Rothenburg“ werden die Ereignisse zuweilen sogar empathisch und sachlich geschildert und die Verarbeitung ist nicht darauf ausgelegt, den Handelnden zu verhöhnen. • 95 96 Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass nach rechtskräftigem Urteil über seine Tat geschwiegen wird. Er muss das durch seine Tat, welche den Rechtsfrieden gebrochen und die Rechtsgüter der Gemeinschaft angegriffen hat, entstandene Informationsinteresse der Öffentlichkeit nach dem Prinzip der freien Kommunikation dulden. Dies gilt auch für die entsprechenden Einzelheiten der Tat, seien sie auch noch so intim. • 97 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person - etwa für den Abschluss von Exklusivverträgen über die Berichterstattung aus ihrer Privatsphäre gewährleistet. 98 Zusammenfassung Die Beziehung zwischen Kunstfreiheit und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist geprägt von Uneinigkeit und Unübersichtlichkeit in der Kasuistik. 99 Es scheint, dass noch andere Faktoren als rein juristische Betrachtungsweisen eine Rolle spielen. Vier Themenkomplexe sollten unabhängig voneinander bewertet werden: Erstens die Prüfungskompetenzen des BverfG (1). Zweitens die Grenzen des Schutzbereichs beider Grundrechte (2). Drittens die Maßstäbe, an denen sich misst, ob es sich bei dem Werk um Fiktion oder Dokumentation handelt (3). Viertens die Grundsätze, nach denen die Kunstfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht miteinander abgewogen werden (4). Bezüglich der ersten drei Fragen ist eine gewisse Konstanz und Konsequenz in der Rechtsprechung eingetreten, wobei der Ausgangspunkt – wie bei allen oben angesprochenen Themenkomplexen – die MephistoEntscheidung ist. (1) In der Mephisto-Entscheidung befand sich die eine Hälfte des Senats für nicht zuständig im Hinblick auf eine konkrete Abwägung der Grundrechtsgüter. Spätestens seit der Esra-Entscheidung ist dieser Streit obsolet geworden, da das BverfG sich seitdem selbst das Recht zugesteht „die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts“ zu prüfen. 100 (2) Die zweite Frage nach den Schutzbereichen wurde durch das Esra Urteil zwar nachhaltig erweitert, allerdings zielen alle zitierten Entscheidungen in die gleiche Richtung. 101 Während bei Mephisto die „Betroffenheit“ i.S. von Art. 2 Abs.1 GG, Art. 1 Abs.1 GG nur dann bejaht wurde, wenn „ein nicht unbedeutender Leserkreis“ die Person als Urbild der Romanfigur wiedererkennt, reicht es nach Esra aus, das ein „mehr oder minder großer Bekanntenkreis“ die Person erkennt. Das spricht zwar zunächst für eine Ausdehnung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zulasten der Kunstfreiheit, allerdings schränken weitere Anforderungen diesen „breiteren Flaschenhals“ danach ganz erheblich ein. So wird seit Esra verlangt, dass dieser Kreis von Lesern nicht bloß die Möglichkeit einer Identifikation hat, sondern es muss ihm geradezu aufdrängen durch eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen. 15 102 Damit einher geht die Forderung, dass eine gewisse Bagatellgrenze überschritten worden sein muss, d.h. es darf keine bloß geringfügige Beeinträchtigung sein. 103 (3) Die wirkliche Innovation des Esra-Urteils im Vergleich zu Mephisto liegt beim Fiktionalitätsanspruch des Werkes. 104 Die sondervotierenden Richter bei Mephisto forderten damals – in Ablehnung der Auffassung ihrer Kollegen – eine kunstspezifische Betrachtung bei der Beantwortung der Frage, ob der Roman (und damit das Kunstwerk) Fiktion oder aber Dokumentation sei. Nur bei der Fiktion käme das Werk in den Genuss der Kunstfreiheit. Diese strebe eine gegenüber der Realität "werkinterne" Wirklichkeit an. Die künstlerische Darbietung könne daher nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden. Es ging um die Frage, ob man an die Rezeption des Werkes (d.h. im Wirkbereich) anknüpft, oder aber an das Werk selbst (d.h. den Werkbereich) anknüpft. Würde man Ersteres präferieren, so läge es am Autor, die Erkennbarkeit zu beseitigen, d.h. die Brücke zwischen Kunstwerk und Realität abzutragen oder ganz zu sprengen. Die heute herrschende Ansicht will jedoch jene Brücke erhalten wissen und dem Autor stattdessen die Aufgabe zukommen lassen, die Brücke als „Phantasie“, d.h. Fiktion, zu kennzeichnen – und zwar mit einem großen, gut lesbaren Schild für Jeden, der sie passieren will. Anders ausgedrückt: Entscheidend ist heutzutage, dass der Autor zu verstehen gibt, dass die betreffenden Schilderungen keinen Faktizitätsanspruch erheben. 105 Das erfordert eine Werkanalyse, nicht einen Vergleich zwischen Kunst und Realität. Diese kunstspezifische Betrachtung wird seit Esra nicht nur konsequent angwendet, sondern ist zu einer „widerlegbaren Vermutung für die Fiktionalität“ ausgebaut worden. 106 Dies sei deswegen sachgerecht, weil der Leser sehr wohl mündig sei, Fiktion und Fakt zu trennen. 107 So harmonisch sich die Entwicklung bis hierhin anhört ist sie allerdings nicht. Die Fiktionalitätsvermutung knüpft unmittelbar an die fraglichen Kriterien der praktischen Konkordanz an. Sowohl die Güterabwägung selbst als auch der Schwellenbereich zwischen diesen beiden Komplexen ist äußerst unübersichtlich. Die entscheidenen Fragestellungen dabei lauten: Wie sehr legt der Autor den Lesern, nahe, dass es sich um Fiktion handelt? Und: Wie intensiv ist die Persönlichkeitsbeeinträchtigung? Bei Mephisto gingen die Richter noch ohne eine Fiktionalitätsvermutung lediglich von letzterer Frage aus. Seit Esra werden beide Fragen gleichzeitig gestellt in Form einer quasi praktischen Konkordanz auf einer Meta-Ebene. (4) Das Postulat lautet: Je schwerer der Eingriff in die Intimssphäre, desto mehr Verfremdung ist erforderlich. 108 Dieses Postulat hat die ursprüngliche Aufgabenstellung schon sehr stark konkretisiert, aber letzendlich haben sich nur neue verschlossene Türen aufgetan und die Fragezeichen haben sich vermehrt. Der Vergleich mit der weiteren Kasuistik nach Esra belegt, dass die Richter noch andere Erwägungen anstellen, als die oben gezeigten. Fraglich ist nämlich, mit welchen Maßstäben gerechnet werden soll. 109 Erneut bietet es sich an, die Themen in Oberstrukturen zu gliedern. Wie „leicht“ ist es, die Fiktionalitätsvermutung zu widerlegen? Wie „schwer“ ist es, den unantastbaren Intimbereich zu verletzen? Welche Rolle spielt der Leser hierbei? Im Fall Esra wurde die Fiktionalitätsvermutung widerlegt. Trotzdem wurde eine Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts nur bei der Tochter, nicht aber bei der Mutter attestiert. Begründet wurde dies zum Einen mit dem Stilmittel der IchPerspektive. Dieses deute auf ein autobiographisches Erlebnis hin und wirke gegen die Vermutung. 16 110 Die Mutter „scheiterte“ aber dennoch, weil es sich Erstens nicht um ebenso intime Aussagen handelte wie bei der Tochter – wobei vor Allem der Sex und die Mutter-Kind Beziehung als gravierend empfunden wurden – und Zweitens verwendete der Autor bei der Mutter auch Rückblenden und andere indirekte Erzählstrukturen, welche fiktionalisierend wirken würden. Diese beiden Anknüpfungsmomente – künsterlisches Stilmittel und „Tabu-Themen“ – sind äußerst problematisch. Erstens wird die Entscheidung damit abhängig gemacht vom Literaturverständnis der Richter 112 111 und zweitens hält die Rechtsprechung ihre eigenen Maßstäbe nicht aufrecht. Im späteren Contergan-Urteil wird die apodiktische Behauptung, eine „Darstellung der Krankheit des Kindes hat in der Öffentlichkeit nichts zu suchen“ 113 schlichtweg ignoriert, wenn mit keinem Wort problematisiert wird, dass dort intensiv auf das Verhältnis zwischen einem Hauptdarsteller und einem Contergan-geschädigten Kind eingegangen wird. 114 Ebenso fragwürdig ist, wieso die Darstellung als „herrschsüchtigte, alkoholkranke, Tyrannin, Brandstifterin und Betrügerin“ seitens der Mutter im Esra-Fall, die Darstellung von sexuellen Handlungen mit verstorbenen Minderjährigen in der Ehrensache-Entscheidung oder aber die Straftat des Kannibalen von Rothenburg nicht zur absoluten Intimsspähre gehören sollen bzw. die Kunstfreiheit dennoch gesiegt hat. 115 Desweiteren stellen die Gerichte schlichtweg fest, dass im Ehrenmord-Fall sowie auch im Baader-Meinhof-Komplex-Film handele. 117 116 dem Zuschauer jederzeit klar wird, dass es sich um Fiktion Dies mag mit der unterschiedlichen Werkart erklärt werden. So bedeute die Präsentation durch Schauspieler vor einer Kulisse automatisch eine Verfremdung im Sinne eines Signals für den Zuschauer, welche der Leser bei einem Roman nicht hat. 118 Das Abstellen auf den Rezipienten als Maßstab ist aber ebenfalls ungeeignet, da es sich letzendlich immer nur um Mutmaßungen handeln kann. Er kann nicht wissen – und oft interessiert es ihn auch nicht – welche Handlungen jetzt mit dem Urbild übereinstimmen und welche nicht. 119 Im Rothenburg-Urteil schließlich haben die erkennenden Gerichte gar nicht nach kunstrechtlichen Grundsätzen argumentiert sondern eine „presserechtliche Lösung“ verwendet. Und auch hier gab es Unterschiede zwischen den Instanzen: Während das BVerfG der Kunstfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht umso eher den Vorrang gewährt, je stärker der Verfremdungsgrad zwischen Ur- und Abbild ausfällt, sieht das OLG Frankfurt a. M. quasi im Gegensatz dazu den Mangel im Dokumentarischen als Verletzung des Persönlichkeitsrechts an. 120 Es lässt sich also festhalten, dass im Bereich der Kollision von Kunstfreiheit und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht vieles ungeklärt ist. Auch wenn die Rechtsprechung Regeln konstituiert hat und diese auch mittlerweile rechtseinheitlich anwendet, so ist an entscheidender Stelle eigentlich nichts geklärt, sodass eine Rechtsunsicherheit bestehen bleibt. Eine Prognose erschwert sich zusätzlich vor zwei Hintergründen: 1. Die Personen in der Gesellschaft bauen freiwillig immer mehr „Intimssphäre“ ab, indem sie ihre persönlichen Daten bis hin zu selbstgedrehten Videofilmen aus dem Schlafzimmer ins Internet stellen. Ein echter „Eingriff“ in diese Intimssphäre erscheint da schon schwieriger. 2. Auf europäischer Seite könnte es zu erheblicher Gegenwehr kommen, wenn man bedenkt, dass der europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine eigene Kunstfreiheit kennt – sondern nur die in Art. 10 konstituierte Meinungsfreiheit als Oberrecht – dafür aber eine Achtung des Privat- und Familienlebens, Art. 8. Wenn der Kläger also nach Straßburg geht um eine Verletzung seiner Persönlichkeit zu rügen, könnte er eher erhört werden, als in Karlsruhe. 121 17 Gruppe 3: Außenbereichsschutz und Delikt Die letzte Fallgruppe deckt alle übrigen möglichen Konfliktfelder der Kunstfreiheit ab. Als grobe Richtschnur lässt sich sagen, dass es häufig um deliktisches Handeln geht (z.B. Graffiti oder Körperverletzungen) oder aber um Beeinträchtigungen der Umwelt und des urbanen Erscheinungsbildes. Beispielhaft seien die folgenden Fälle. Baukunst 1 (Artemis und Aurora-Denkmal) 122 1. Verbot: 12.10.1993 durch das VG Regensburg Grund: § 35 BauGB, Art. 20a GG Letzte Entscheidung: 13.04.1995 durch das BVerwG Sieger: Baurecht Sachverhalt: Ein Eigentümer eines mit einem Wochenendhaus bebauten Grundstücks beabsichtigte zwei Monumentalfiguren auf seinem Grundstück aufzustellen. Die Figuren sind mit Sockel jeweils 13 m hoch und 7 m Lang. Es handelt sich um die Darstellung von Artemis und Aurora, die Arno Becker zugerechnet werden. Aspekte: • Das Aufstellen der Figuren, mithin die Vermittlung des Kunstwerks an Dritte, gehört zum sog. Wirkbereich der Kunst und ist grundsätzlich auch geschützt durch Art. 5 Abs. 3 GG. • 123 Als Werte von Verfassungsrang, die als Schranken der Kunstfreiheit eingesetzt werden können, sind sowohl die Aufgabe des Staates, einen Beitrag zum allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger zu leisten aus Art. 2 Abs. 2 GG, als auch das Staatsschutzziel Art. 20a GG zu klassifizieren. § 35 BauGB ist eine Ausprägung davon. Baukunst 2 (Graffiti) 124 125 1. Verbot: 22.02.1995 durch die Bauaufsichtsbehörde Eingriffsgrund: § 5 RhPfBauO Letzte Entscheidung: 24.07.1997 durch das OVG Koblenz Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Ein Grundstückseigentümer hat die zu einer Straße ausgerichtete Außenwand seines eigenen Hauses mit im Sprühverfahren aufgebrachten Graffiti-Motiven bemalt. In unmittelbarer Nähe des Hauses befinden sich andere Wohnhäuser mit überwiegend heller Fassade sowieso Laub- und Nadelbäume. Die Motive bestehen u.a. aus einem Nebeneinander von Blumen, Tieren, Portraits, Comicfiguren sowie dem Ausspruch: „We want it...“. Aspekte: • Die durch Spraytechnik hergestellte Graffiti-Malerei ist eine moderne Form bildender Kunst. Sie erfüllt auch im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des „materialen“ Kunstbegriffs. 18 126 • Es liegt keine Verkehrsgefährdung vor, was sich vor allem aus den Ortsgegebenheiten ergibt: Die zulässige Höchstgeschwindigkeit vor Ort; Allgemeine Ablenkungen durch Bebauung und Schilder. • 127 Auch wenn § 5 II RhPfBauo – welcher dem allseitigen psychischen Wohlbefinden der Bürger und damit dem sozialen Frieden dient – grundsätzlich die Kunstfreiheit einschränken kann, bedarf es einer sorgfältigen Abwägung. Hierbei ergibt sich ebenfalls keine Rechtfertigung, die Kunstfreiheit zu beeinträchtigen, was sich erneut aus den Ortsgegebenheiten ergibt: Das Haus liegt am Ortsrand; Die direkten Nachbarn haben die Möglichkeit, an dem Haus vorbeizuschauen. Verunglimpfung des Staates (Deutschland muss sterben) 128 129 1. Verbot: 02.11.1998 durch das AG Berlin Grund: § 90a StGB Letzte Entscheidung: 03.11.2000 durch das BVerfG Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Bei einer angemeldeten Versammlung im September 1997 spielte der Versammlungsleiter das Lied „Deutschland muss sterben“ der Hamburger Punkrock-Gruppe „Slime“ ab. Auszug aus demLiedtext: „Wo Faschisten und Multis das Land regieren, wo Leben und Umwelt keinen interessieren, wo alle Menschen ihr Recht verlieren, da kann eigentlich nur noch eins passieren: Deutschland muss sterben, damit wir leben können. [...] Deutschland verrecke [...] !“ Aspekte: • Die Berufung auf die Kunstfreiheit ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Tatbestand des § 90a StGB erfüllt ist. Es darf nicht zu einer Immunisierung des Staates gegen Kritik oder Ablehnung führen. Es bedarf stets einer einzellfallbezogenen Abwägung, wobei der verborgene Aussagenkern zu ermitteln ist. • 130 Das Lied „Deutschland muss sterben“ übt - wenn auch undifferenziert und plakativ - Kritik aus durch eine karikaturhafte Überzeichnung der Ausdrücke sowie die gesamte künstlerische Einkleidung. • 131 Es ist vergleichbar mit dem Gedicht „Die schlesischen Weber“ von Heinrich Heine und zieht auch daraus seinen künstlerischen Anspruch. 132 Gesundheitsschädigung (Goethe-Theater) 133 1. Verbot: 10.10.2003 durch das LG Wiesbaden Grund: § 823 I BGB Letzte Entscheidung: 08.11.2005 durch den BGH Sieger: Kunstfreiheit Sachverhalt: Ein Besucher einer Theateraufführung des „Faust“ von Goethe klagte auf Schmerzensgeld, nachdem er eine Verschlimmerung seines Tinnitus – der bis dahin nahezu beschwerdefrei vorgelegen haben soll – 19 festgestellt hatte. Dies war zurückzuführen auf einen Schreckschuss als Teil der Aufführung, der am Sitzplatz des Besuchers 129 dB laut war. Aspekte: • Grundsätzlich hat derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, dafür zu sorgen, dass Schädigungen anderer möglichst verhindert werden. Allerdings ist eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, praktisch nicht möglich. • 134 Bei einem Schuss mit einer Schreckschusspistole lässt sich eine besondere Eignung zur Schädigung der Ohren eines Theaterbesuchers bejahen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit eines Hörschadens sehr gering und führt nicht bei einer Abwägung mit Art. 5 Abs. 3 GG zu einem notwendigen Verbot eines Schusses als künstlerisches Gestaltungsmittel. 135 Ergebnis – Was darf der Künstler? Perspektivenwechsel Aus allen oben angestellten Überlegungen und der Kasuistik lässt sich zunächst die nüchterne Erkenntnis ableiten, dass es theoretisch leicht ist, die Kunstfreiheit einzuschränken. Die so viel hochgehaltene „Schrankenlosigkeit“ des Art. 5 Abs. 3 GG ist grundsätzlich nicht viel wert, da sich aus anderen Grundrechten oder Staatszielbestimmungen mittelbar oft Werte von Verfassungsrang ableiten lassen, die dann konkretisiert werden durch normale Gesetze. Der Wert dieser Schrankenlosigkeit besteht viel mehr in der stets gebotenen Einzelfallabwägung mit starkem Fokus auf die Umstände des Falls. Man sieht an den Ausgängen der oben genannten Fälle, dass in der Praxis die Kunstfreiheit sukzessive an Boden gewonnen hat und einen hohen Stellenwert in Deutschland einnimmt. Dies erkennt man gerade auch an der letzten Fallgruppe, die sogar Körperverletzungen oder Graffiti in bestimmten Fällen als geringer einstuft. Hier ergeben sich, im Gegensatz zu den ersten beiden Fallgruppen, auch weniger Schwierigkeiten was die Vorhersehbarkeit angeht. Aus diesem Grund sei dem Künstler nun die folgende (unverbindliche) Auflistung gewidmet, grob unterteilt in die wichtigsten Werkarten: Bücher: Ein Autor muss sich seit „American Psycho“ keine allzu großen Gedanken mehr um Gewalt, Pornographie oder die Verbindung der Beiden machen. Die Unterkategorie der Comiczeichner hat es da etwas schwerer, sollte aber, bei einer ausreichenden, künstlerischen Einkleidung des Ganzen – am Besten mit irgendeiner Art von kritischer „Botschaft“ – auch keine Probleme haben. Problematisch wird es bei der Verwendung realer Biographien. Hier ist eine rechtliche Prognose äußerst schwierig. Sicher ist der Autor jedenfalls dann, wenn er – sofern er überhaupt ein reales Vorbild nimmt – Jenes ausreichend verfremdet. Dies tut er alleine schon dadurch, in dem er die Person Erstens nicht persönlich kennt und sich Zweitens stilistisch von ihr distanziert, d.h. nicht aus der Ich-Perspektive erzählt und besonders intime Charakterisierungen eventuell durch z.B. sogenanntes „unzuverlässiges Erzählen“ 136 ausdrückt. Als „intim“ gelten jedenfalls sexuelle Handlungen (je detaillierter desto problematischer) sowie (problematische) Eltern-Kind-Beziehungen. Sollten einzelne Aspekte entscheident für den Künstler sein (z.B. eine Sexszene oder die Erzählperspektive), so sollte er versuchen an anderer Stelle kompromissbereit entgegenzuwirken. Sollte die Vorbild-Person bereits verstorben sein, so sinkt die Schwelle für einen Konflikt. 20 Film und Theater: Durch die eingeschränkten Vorstellungsmöglichkeiten bei Film und Theater (und vermutlich auch einem PC-Spiel) scheint eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht weitaus weniger naheliegend. Alleine schon durch die Inszenierung des Regisseurs und die Darstellung von Schauspielern liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verfremdung vor – Jedenfalls lässt sich eine Identifikation leichter steuern und der Rezipient hat bei einer begrenzten Vorführungsdauer weniger Zeit aktiv selbst zu recherchieren, im Gegensatz zum Buch, welches er tage- oder wochenlang „konsumiert“. Die beim Buch möglichen „Fallgruben“ sind hier weit weniger problematisch. Doch der Vorteil der Inszenierung bezüglich eines Konflikts mit dem Persönlichkeitsrecht, bedeutet gleichzeitig eine Verschärfung im Hinblick auf den Jugendschutz. Bei einem Buch ist der Prozess der Vorstellung oft limitiert, da er von der eigenen Vorstellungskraft abhängig ist; Bei einem Film wird die Gewalt oder die Sexualität an sich als Bild „nur“ konsumiert und aufgesogen. Die Vorstellung des Regisseurs wird eins zu eins übernommen und das innerhalb einer relativ kurzen Zeit. Eine selbstständige Reflektion und Verarbeitung des Gesehenen – insbesondere bei Kindern – erscheint seltener und schwieriger. Daher sind gewalttätige und pornographische Inhalte stets problematisch. Doch die Grenze liegt zur Zeit sehr weit unten, und zwar bei: (Vorausgesetzt, es handelt sich nicht um das Genre eines „Pornofilms“) „Hardcore“, Kinderpornographie oder allen Szenen, die sich theoretisch unter die Begriffe der § 184 ff. StGB subsumieren lassen könnten. Aufgrund der aufkeimenden Brisanz im Computerspielgenre und der Tatsache, dass eine Altersfreigabe ab 18 Jahren durch die FSK bereits einen wirtschaftlichen Nachteil für die Filmemacher bedeutet 137, es mithin also oft im Interesse der Produzenten liegt, die Gewalt nicht zu sehr darzustellen, lassen sich Konflikte oft schon durch Kommunikation mit dem Regisseur während des Schaffungsprozesses vermeiden. Für alle oben genannten Werkarten sei noch hinzugefügt, dass es auch wertbildende Faktoren gibt, die nicht juristischer Natur sind, z.B. Gewinnstreben und Kritikerecho. Je mehr ein Künstler bloß versucht „schnelles Geld“ zu machen, desto eher wird ihm die Kunstfreiheit verwehrt werden. Dies gilt umgekehrt im Übrigen auch für die „Betroffenenseite“, sofern es um die Vermarktung der eigenen Persönlichkeit geht. Daher sei dem Künstler geraten innovative, kritische Ideen jedenfalls mitumzusetzen. Dies erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, ein positivies Kritikerecho zu erhalten und gegenenfalls beim Publikum Sympathien zu sammeln. Dies wiederum bedeutet mehr öffentlichen Druck auf die Richter und damit eine stärkere Position für den Künstler. 21 Fußnoten 1 BverfGE 30, 173 (191 f.); 33, 52 (70 f.); 75, 369 (377) 2 BVerfGE 30, 173 (193 f.) 3 BverfGE 30, 336 (347) 4 BverfGE 30, 173 (191); BverfG NJW 2001, 596 (597) 5 BverfG NJW 1995, 2648 (2649) 6 BverfGE 83, 130; BVerfGE 30, 336 (347 f.); 77, 346 (356); BTDrucks. 10, 722; BTDrucks. 10, 2546 (S. 16); Frenzel AfP 2002, 191 (192) 7 BVerfGE 30, 173 (189) 8 BVerfGE 67, 213 (227) 9 BVerfGE 67, 213 (225 f.) 10 BVerfG NJW 2001, 596 (597), BVerfG NJW 1991, 1471 (1472) 11 Z.B. „Fettecke“ von Joseph Beuys 12 BverfGE 75, 369 (377); OLG Hamm 3 U 169/03: Darin heißt es, dass auch eine satirische Einzelepisode einer Fernsehsendung (TV Total) grundsätzlich Kunst sein kann. 13 BVerfG NJW 2002, 3767 f.; BverfGE 81, 298 (397) 14 Zagouras WRP 2006, 680 (681) 15 Risthaus WRP 2009, 698 (700) 16 So der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann 17 Ein Vorläufer des JÖSchG war das nach dem zweiten Weltkrieg aufgehobene Lichtspielgesetz von 1920, das die öffentliche Vorführung von Filmen erst nach der Überprüfung durch zentrale Prüfstellen erlaubte. Eine aufgrund der Strafandrohungen gegen Jugendliche umstrittene Polizeiverordnung aus dem Jahr 1943, die unter anderem Ausgangsbeschränkungen enthielt, wurde erst 1951 aufgehoben und floss in Teilen in die neuformulierten Regelungen ein. 18 Frenzel AfP 2002, 191 (193) 19 BVerwG I C 14/53; BVerwG NJW 1955, 1203 20 BVerwG I a.a.O. (Rn.11) 21 BVerwG I a.a.O. (Rn.14) 22 BVerwG I a.a.O. (Rn.15) 23 BVerwG I a.a.O. (Rn.15) 24 BVerfG I 1 BvR 402/87; BVerfG NJW 1991, 1471; OVG 20 A 2078/90 25 BVerfG I a.a.O. (Rn.53, 54) 26 BVerfG I a.a.O. (Rn.30) 27 OVG a.a.O. (Rn. 67) 28 BVerfG I 1 BvR 698/89; BVerfG NJW 1993, 1457 29 BVerfG I a.a.O. (Rn.97 f.) 30 BT-Drucks. 10/2546 (22), BGH 2 StR 365/99 (Rn.10) 31 BVerfG I a.a.O. (Rn.102) 22 32 BVerfG I a.o.O. (Rn.103);BTDrucks. 6/3521 (7) 33 BGH 2 StR 365/99 (Rn.12) 34 BVerfGE 6, 32 (36 f.); 45, 187 (227) 35 BVerfG I a.a.O. (Rn.109); (BTDrucks. 10/2546, S. 21 f.) 36 OVG NRW 20 A 3635/98 37 OVG NRW a.a.O. (Rn.13) 38 OVG NRW a.a.O. (Rn.20) 39 AG München 853 Gs 261/04 40 AG München a.a.O. (Rn.6) 41 AG München a.a.O. (Rn.9) 42 Ladeur AfP 2001, 471 43 Schneider BPjS-A 2001 (3); Ladeur AfP 2001, 471 (473) 44 BVerwG NJW 1955, 1203 (1204) 45 BVerwG JMS-Report 2002, 2 (7) 46 Ladeur AfP 2001, 471 47 BVerwGE 91, 211; Frenzel AfP 2002, 191 (192) 48 BVerfG NJW 1991, 1471 (); Frenzel AfP 2002, 191 (192) 49 Frenzel AfP 2002, 191 (193); BVerfG a.a.O. () 50 Dort postuliert durch das "Mephisto-Urteil" BVerfGE 30, 173 ff.; Frenzel AfP 2002, 191 (192) 51 Ladeur AfP 2001, 471 (473) 52 Ladeur AfP 2001, 471 (477) 53 Siehe insbesondere www.youporn.com oder www.redtube.com 54 Frenzel AfP 2002, 191 (193) 55 Schneider BPjS-A 2001, 3 (6) 56 BVerwG JMS-Report 2002, 2 (7); Schneider BPjS-A 2001, 3 (6), Frenzel AfP 2002, 191 (194) 57 Frenzel AfP 2002, 191 (195); BverfGE 90, 1 (16) 58 Frenzel AfP 2002, 191; Lober CR 2002, 397 59 Frenzel AfP 2002, 191 (194) 60 Der Film ist eine zweite künstlerische Verarbeitung der Morde des "Kannibalen von Rothenburg", jedoch mit Schwerpunkt auf blutigen "Schlachtszenen" 61 Indiziert durch die BPJM im Juni 2007 62 BGH 2 StR 365/99 63 Zagouras WRP 2006, 680 (681) 64 Die Rede ist insbesondere vom Massaker an der Littleton Highschool, USA, aber auch Erfurt und Winnenden, Deutschland; Lober CR 2002, 397 ff. 65 Lober CR 2002, 397 (398) 66 Lober CR 2002, 397 67 BverfGE 35, 202; BverfGE 101, 361 ff.; BverfG NJW 2006, 3409 (3410); 23 68 BVerfG I 1 BvR 536/72 69 BVerfG I 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 70 Dies wird insbesondere in den dargestellten Fällen deutlich und auch immer wieder erwähnt 71 BVerfG I 1 BvR 435/68; BverfGE 30, 173 72 Da der Senat sich in zwei Lager aufteilte, werden nur die Leitgedanken wiedergegeben, die später auch fortgeführt wurden 73 BVerfG I a.a.O. (Rn. 52) 74 BVerfG I a.a.O. (Rn. 61) 75 BVerfG I a.a.O. (Rn. 51) 76 BVerfG I a.a.O. (Rn. 68) 77 BVerfG I a.a.O. (Rn. 75) 78 BVerfG I a.a.O. (Rn. 89) 79 BVerfG I a.a.O. (Rn. 89) 80 BVerfG I 1 BvR 1783/05; BVerfG NJW 2008, 39 81 BVerfG I a.a.O. (Rn. 82) 82 BVerfG I a.a.O. (Rn. 75) 83 BVerfG I a.a.O. (Rn. 77, 93) 84 BVerfG I a.a.O. (Rn. 99) 85 BVerfG I a.a.O. (Rn. 96,100) 86 BVerfG I a.a.O. (Rn. 100 f.) 87 BVerfG I a.a.O. (Rn. 90) 88 BVerfG I 1 BvR 1533/07; BVerfG NVwZ 2008, 549;BGH VI ZR 244/07; BGH NJW 2009, 751 89 Da es zwei parallele Rechtszüge gab, werden nur die gemeinsamen Leitlinien wiedergegeben 90 BVerfG I a.a.O. (Rn. 7) 91 BGH IV a.a.O (Rn. 20) 92 BGH IV a.a.O. (Rn. 19) 93 BGH VI ZR 191/08; BGH MDR 2009, 1040 94 BGH VI a.a.O. (Rn. 22) 95 BGH VI a.a.O. (Rn. 23) 96 BGH VI a.a.O. (Rn. 23) 97 BGH VI a.a.O. (Rn. 24) 98 BGH VI a.a.O. (Rn. 26) 99 Raue AfP 2009, 1; Wittreck AfP 2009, 6 100 BVerfG NJW 2008, 39 (42) 101 Roback AfP 2009, 325 f. 102 Raue AfP 2009, 1 (2); Wittreck AfP 2009, 6 (7) 103 Wittreck AfP 2009, 6 (7) 104 Wittreck AfP 2009, 6 24 105 Raue AfP 2009, 1 (3); Wittreck AfP 2009, 6 (8); Roback AfP 2009, 325 (330) 106 Wittreck AfP 2009, 6 (10) 107 Raue AfP 2009, 1 (3) 108 Roback AfP 2009, 325 (330); Wittreck AfP 2009, 6 (10); Raue AfP 2009, 1 (3) 109 Wittreck AfP 2009, 6 (10) 110 Raue AfP 2009, 1 (4) 111 Wittreck AfP 2009, 6 (9); Roback AfP 2009, 325 (330, 331) 112 Wittreck AfP 2009, 6 (10) 113 BVerfG NJW 2008, 39 114 Wittreck AfP 2009, 6 (11) 115 Raue AfP 2009, 1 (4 f.); Roback AfP 2009, 325 (331) 116 Roback AfP 2009, 325 (335) 117 Roback AfP 2009, 325 (332) 118 Roback AfP 2009, 325 (332) 119 Wittreck AfP 2009, 6 (11) 120 Roback AfP 2009, 325 (334) 121 Wittreck AfP 2009, 6 (13) 122 BVerwG IV 4 B 70/95; BVerwG NJW 1995, 2648 123 BVerwG IV a.a.O. (Rn. 5) 124 BVerwG IV a.a.O. (Rn. 8) 125 OVG Koblenz 8 A 12820/96; NJW 1998, 1422 126 NJW 1998, 1422 127 NJW 1998, 1422 128 NJW 1998, 1422 (1423) 129 BVerfG I 1 BvR 581/00; BVerfG NJW 2001, 596 130 BVerfG I a.a.O. (Rn. 16) 131 BVerfG I a.a.O. (Rn. 21) 132 BVerfG I a.a.O. (Rn. 23) 133 BGH VI ZR 332/04; BGH NJW 2006, 610 134 BGH IV a.a.O. (Rn. 9) 135 BGH VI a.a.O. (Rn. 22) 136 http://de.wikipedia.org/wiki/Unzuverlässiges_Erzählen 137 Sogenannte "Blockbuster" haben in der Regel eine Freigabe ab 12 Jahren, weswegen Filme mit besonders hohem Einspielergebnis meist in der Altersfreigabe gedrückt werden; Stichwort: Publikumsecho 25