Exkursion

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Exkursion
Academy of Life, 29. Oktober 2003
Nachlese zur Exkursion mit
Univ.-Prof. Dr. med. et Dr. phil. Karl Hermann Spitzy
Zum vierten Mal seit ihrem Bestehen ging die Academy of Life mit ihren Departmentleitern und eingeschriebenen
Mitgliedern auf Exkursion. Ziel war diesmal das Hotel Sauerhof in Baden bei Wien; Stargast war der Arzt und
Humanist Karl Hermann Spitzy.
Laudatio und Curriculum Vitae
Geboren wurde Karl Hermann Spitzy im November des Jahres 1915 in Wien als Sohn des Universitätsprofessors
für Orthopädie Hans Spitzy. Als Absolvent des benediktinischen Schottengymnasiums 1933 in Wien war ihm von
engagierten Lehrern eine umfassende humanistische Bildung vermittelt worden. Das "ora et labora", der
Wahlspruch des Heiligen Benedikt, blieb für sein Leben insofern bestimmend als er bis in sein hohes Alter nicht
aufhörte, den Sinn seiner vielfältigen Tätigkeiten ständig zu hinterfragen. Das zeigt sich schon in seinem
Studienweg von der Technik zur Medizin und weiter zur Philosophie.
"Herr Doktor, haben Sie was zu essen?" war 1933/34, in der Zeit der Wirtschaftskrise, eine oft gestellte Frage,
und so entschloß sich Spitzy parallel zum Medizinstudium einen zweijährigen Werkmeisterkurs für Maschinenbau
und Elektrotechnik zu absolvieren. Gleich darauf inskribierte er zusätzlich Philosophie, wo Erich Heintel und
Ferdinand Wagner seine Lehrer wurden. Das Medizinstudium schloß er 1939 ab, arbeitete als Gastarzt in
Fortsetzung seiner Hospitantentätigkeit mit bereits zwei Publikationen an der Ersten Medizinischen Klinik und
kam im selben Jahr als Truppenarzt zur Waffen SS. Dann folgte bis Kriegsende ein Einsatz an der russischen
Front als Bataillonsarzt, Regimentsarzt und im letzten Jahr als Internist im Korpslazarett. Anschließend wirkte er
als Leitender Internist zwei Jahre am Krankenhaus Peine/Hannover und kehrte dann wieder nach Wien an die
Erste Medizinische Klinik unter Ernst Lauda zurück. An der hämatologischen Abteilung unter Edwin Keibl tätig,
waren seine frühen Arbeiten, in Zusammenarbeit mit Alfred Locker, Untersuchungen des Stoffwechsels von
Leukämiezellen unter dem Einfluß von Cytostatika. 1955 hatte Spitzy so nebenbei sein Philosophiestudium mit
dem Absolutorium abgeschlossen und im selben Jahr eine Forschungsstelle für Antibiotika an der Klinik
gegründet.
Die Forschungsstelle für Antibiotika beschäftigte sich vorwiegend mit dem Problem der Möglichkeiten, Penicillin in
Tabletten verabreichen zu können. Der Biologe Brandl und der Chemiker Magreiter hatten säurefeste Penicilline
entdeckt und es galt, das beste auszuwählen und pharmakokinetische, toxikologische und weitere klinische
Daten zu erheben. Als Resultat ergab sich das sogenannte Penicillin V, das heute noch weltweit als klassisches
Oralpenicillin im Gebrauch ist. Spitzy erhielt für seine bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet 1960 den
Theodor-Körner-Preis und habilitierte 1962 zum Dozenten für Chemotherapie, gründete 1970 eine selbständige
Lehrkanzel für Chemotherapie, wurde 1970 außerordentlicher und 1973 ordentlicher Professor und verwandelte
1979 die Lehrkanzel in eine Universitätsklinik für Chemotherapie, in der Patienten mit Infektionen und Tumoren
chemotherapeutisch behandelt wurden. Zahlreiche Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Infektions- und
Tumortherapie haben Spitzy und seine Mitarbeiter, vor allem K. Moser, G. Hitzenberger, H. Pichler, H. Rainer, St.
Breyer, Ch. Dittrich, A. Georgopoulos, W. Graninger u.a. vorlegen können. Hervorzuheben sind dabei Arbeiten,
vor allem mit Hitzenberger, über die Hochdosierung von Penicillin, die Spitzy den Namen "Millionenspitzy"
eintrugen.
Die österreichische Antibiotikaforschung hatte vor allem durch die Entwicklung der Oralpenicilline internationales
Ansehen gewonnen, denn die säurefesten Penicilline waren nicht nur gegen den sauren Magensaft
widerstandsfähig, sondern machten diese für chemische Synthesen und Halbsynthesen brauchbar. Eine Flut von
neuen Beta-Lactam-Antibiotika, besonders von Penicillinen und Cephalosporinen, wurden in Halbsynthese
entwickelt und überschwemmen bis heute den Markt.
Wie alle neuen Medikamente, denen höchste Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit zugesprochen werden kann,
wurden die neuen Antibiotika mißbräuchlich angewandt. Für rasch auftretende Resistenzen wurden immer wieder
neue Substanzen eingesetzt, und so ein Wettlauf mit der natürlichen Selektion unempfindlicher Varianten
entfesselt. Da tat Aufklärung not, denn Antibiotika sollten gezielt eingesetzt werden und nicht zu Fiebermitteln
verkommen. Spitzy setzte sich voll ein. Er reiste von einem Fortbildungsvortrag zum anderen, sprach im
Rundfunk, im Fernsehen und verfaßte an die 200 Fortbildungsfilme. Er karrte Ärzte auf Hochseeschiffe zu 12
Kreuzfahrten, bei denen die Teilnehmer nicht entkommen konnten, organisierte Hunderte von Kongressen, wie
1967 den Internationalen Kongress für Chemotherapie in Wien, dem er als Präsident vorstand, und der so
erfolgreich war, dass Wien ihn 1983 ein zweites Mal ausrichten durfte. Waren das erste Mal etwa 3.500
Teilnehmer gekommen, fanden sich beim zweiten Mal 12.000 Autoren und Coautoren ein. Spitzy, als
Ehrenpräsident, setzte eine Präpublikaton der Referate in 18 Bänden durch.
Spitzys organisatorische Fähigkeiten wurden von internationalen und nationalen Gesellschaften benützt. Er
wurde von der Internationalen Paul-Ehrlich-Gesellschaft 1974 zum Präsidenten gewählt und leitete die
traditionsreiche Gesellschaft der Ärzte in Wien neun Jahre lang ab 1982. Es häuften sich die Ehrungen wie
Ehren-Obmannschaften und Ehren-Mitgliedschaften, Billroth-Medaille, Wilhel-Exner-Medaille, Vesalius-Medaille,
höchste Orden der Stadt Wien und der Ärztekammer etc. All das konnte nicht dazu führen, dass Spitzy sich
zurücklehnte; seine Rastlosigkeit und sein Optimismus blieben ungebrochen. Nach der Emeritierung mit 71
Jahren nahm er bald sein Philosophiestudium wieder auf, machte in Deutschland an der Gustav-SiewerthAkademie in Bierbronnen unter der Leitung von Frau Univ.Prof. Dr. Alma von Stockhausen seinen Magister
artium mit Hauptfach Philosophie und promovierte mit seiner Dissertation "Dämon und Hoffnung" bei Peter
Kampits an der Wiener Universität. Seither liest er nun "Klinische Philosophie" im Neuen AKH.
Seine Philosophie ist kein theoretisches Geplänkel, sondern zielt auf das praktische Arzt-Patient-Verhältnis, auf
die Ethik in der Medizin und die unabschüttelbare Verantwortung des Arztes. Dabei geht es dem
unverbesserlichen Humanisten nicht nur um die Verantwortung für den kranken Mitmenschen im Zeichen der
paracelsischen und hildegartschen Liebe, sondern auch und vor allem um die Verantwortung "wovor". Die
Gesetze, die Gesellschaftsnormen, der unrückgebundene Humanismus, selbst das eigene Gewissen, reichen
nicht aus, um diese Verantwortung für einen Menschen übernehmen zu können. Da sind die österreichischen
Philosophen Vorbilder: Martin Buber, Ferdinand Ebner und Hans Jonas vertreten im Gegensatz zu den
Destruktionisten ein metaphysisch bezogenes Denken, das dem Expertentum langsam aber sicher abzugehen
beginnt. Das Ich und Du im dialogischen Denken steht nicht nur als Dyade da, sondern ist immer eine Triade, und
wenn Gott auch nur, wie Buber sagt, "in das Zwischen einweht".
So schließt Spitzy heute seinen Lebenskreis, nicht mit erhobenem Zeigefinger, nicht mit dem Gefühl "man kann
eh nichts machen", sondern predigt mit glühendem Optimismus von einer Symbiose von Technik, Medizin und
Philosophie, die seinen Lebensweg begleitet haben.
Wesentliche Aussagen
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"Von den Patienten beim Arzt ist der überwiegende Anteil eigentlich gesund. Glücklicherweise repariert
sich das meiste von selbst, wie schon Galen, der Leibarzt des römischen Kaisers Mark Aurel, sagte: ‚Die
Natur heilt drei Viertel aller Krankheiten und schimpft nicht über den Kollegen'. Solche Spontanheilungen
werden natürlich vom Arzt gerne als Erfolg der von ihm vorgeschlagenen - und vom Patienten mehr oder
weniger durchgeführten - Therapien zurückgeführt. Bei ehrlicher Durchsicht solcher ‚Erfolge' stellt sich
heraus, dass sie auf etwa 90 Prozent der Patienten in einer Allgemeinpraxis zutreffen."
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"Ein Arzt aus der Schule des antiken Alexandria, Rufus von Ephesus, wies bereits darauf hin, dass es
viel wesentlicher sei, zu schauen, wie der Kranke etwas sagt, als auf das zu achten, was er sagt."
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"Der kategorische Imperativ eines Arztes sollte heißen: ‚Handle so, dass es auch ein Gebet sein könnte'.
Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass ich zeit meines Berufslebens keine Honorarnote
geschrieben habe, obwohl ich natürlich Tausende von Patienten behandelt habe."
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"Das Arzttum als Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient ist, ontologisch gesehen, in einem
zirkulären Vorgang von Vertrauen und Verantwortung zu suchen. Zirkulär insofern, als das Vertrauen als
Geschenk des Partners immer wieder neu erkämpft werden muss und die Verantwortung
dementsprechend immer wieder eine neue ist."
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"Ich habe bald 10 Jahre hindurch TV-Sendungen gemacht. Natürlich konnte ich aus taktischen Gründen
nicht immer deutlich meine Meinung sagen, sondern musste diese indirekt zur Geltung bringen. So
zeigte ich Fälle, die relativ selten vorkamen, dadurch von Ärzten nicht immer rechtzeitig diagnostiziert
wurden und lebensbedrohend waren, etwa ein Gesichtsfurunkel in der Nähe einer Vene, die ihren
Abfluss in eine Hirnvene hat und bei einem chirurgischen Eingriff zu einer Hirnhautentzündung führen
kann. Österreichweit wurden einige Gesichtsfurunkeln ins Spital eingeliefert, wo sie konservativ
behandelt wurden. Eine weitere Sendung brachte eine Hirnblutung durch einen Riss eines Aneurismas
an einer bestimmten Stelle. Dies führt zu einer primären Bewusstlosigkeit, die sich wieder auflöst, aber
nach einiger Zeit neuerlich in bedrohlicher Form wieder auftritt. Man nennt das ein ‚luzides Intervall'.
Wird hier nicht rechtzeitig operativ eingegriffen, bedroht es das Leben. Nach der Sendung wurden einige
Fälle mit günstigem Ausgang bekannt. Nie habe ich darauf hingewiesen, dass es Ärzte gäbe, die dies
nicht erkennen. Es genügte es zu zeigen. Überhaupt waren meine TV-Sendungen nicht zuletzt darauf
ausgerichtet, dass Ärzte gezwungen waren, sie sich anzusehen, weil tags darauf Patienten mit der
Frage kamen: ‚Herr Doktor, können sie mir erklären, was da der Fernsehdoktor meinte?'. Da war es gar
nicht so leicht eine Antwort zu geben ohne die eigene Unwissenheit zu verbergen. Natürlich muss dabei
zugegeben werden, dass es gar keine vollständige Diagnose geben kann, da bekanntlich jede
Erkrankung einmalig und persönlich ist. Stets ist also die Diagnose als ‚Krankheitsbild' unvollständig."
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"Das Entwerfen eines Krankheitsbildes aufgrund von Beobachtungen (Befunden) kann nie mit absoluter
Sicherheit, sondern immer nur aufgrund von Wahrscheinlichkeiten möglich sein. Das gilt nicht nur für
räumliche Befunde, sondern auch für zeitliche, die dem Verlauf einer Erkrankung folgen. Ein Innewerden
verlangt vom Arzt erst einmal lediglich, dass er sich bewusst ist, in seinem Gegenüber ein anderes Ich
vor sich zu haben. Man kann in diesem Zusammenhang auch von ‚Liebe' sprechen, sagt doch schon
Hildegard von Bingen ‚Ohne Liebe geht gar nichts' und nimmt damit Paracelsus vorweg, der die Liebe
als die höchste aller Arzneien bezeichnet."
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"Mich hat ein Hinweis von Franz Rosenzweig auf die Genesis im ‚Stern der Erlösung (1923)' besonders
beeindruckt: Die wesentliche Gesprochenheit des Du ist Rosenzweig in Gottes an Adam gerichtetes ‚Wo
bist Du?' gefasst. Wie oft habe ich mich gegenüber dem Patienten gefragt: ‚Bin ich auch wirklich da?'
oder besser zu mir selbst gesagt: ‚Bist Du auch wirklich da vor dem und für das anderen Ich - und das
ausgehend vom Ich bin?"
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"Selbst Martin Buber, der sonst sehr konsequent ist, sieht in der Seelsorge und im Arzt-PatientVerhältnis Asymmetrie zugunsten des Pfarrers respektive des Arztes. Ich sehe das nicht so. Bei allem
Professionalismus, der eine gewisse Distanz bedingt, genügt meist eine kleine Geste, um aus der
Asymmetrie auszubrechen. Als Arzt sehe ich das z.B. in einer behutsamen Berührung. Ich habe mich
stets bemüht, bei Visiten nicht den großen Chef zu spielen, der in kompletter Distanz mit Krawatte unter
dem weißen Mantel und den frisch geputzten Schuhen dem Vortrag des bettenführenden jüngeren
Arztes und den Erläuterungen des Oberarztes zuhört und der in seinen spärlichen Kommentaren sich an
den Rattenschwanz der Studenten wendet, um das Allgemeine (oder Wahrscheinliche) aus diesem
speziellen Fall zu erläutern, was wiederum Angst erzeugt, sondern versuchte mich immer mit dem
Patienten im Krankenbett zu verbünden und, wenn nötig, sogar gegen die Vortragenden, so unter dem
Motto: ‚Mein Gott, lass sie doch in ihrer unverständlichen und damit Angst erregenden Sprache reden,
wichtig ist doch wie es uns geht'. Dabei ein kleiner Streichler über das Haar oder ein kleiner Zwicker in
die aus der Decke herausragende Zehe. Oder, wenn einer Patientin anscheinend eine Berührung nicht
zu passen schien, ein aufmerksames Pulsfühlen während des Fachvortrags der Anderen. Pulsfühlen ist
immer gut, da hat man Zeit sich den Patienten zu vergegenwärtigen, als ein Portrait als Vorstufe zum
Innewerden, aber vor allem zur Überwindung einer momentanen Asymmetrie. Mein Oberarzt
beschwerte sich wiederholt über diese Verbrüderung meinerseits mit den Patienten auf Kosten der
Anderen und noch dazu unter vollem Einsatz des persönlichen Charismas. Das führe dazu, dass bei
Ankündigung einer Chefvisite sich die Patienten und vor allem die Patientinnen ordentlich herrichteten,
frisierten und schminkten, um dem Chef zu gefallen. Sie sagten, freundlich lächelnd, es gehe ihnen
schon viel besser, um dann, wenn die Visite vorbei war, in den alten Jammer zurück zu verfallen und
dem übrigen Personal mehr oder weniger auf die Nerven zu gehen. ‚Lernt halt auch die Tricks', war
meist meine Antwort. Ich stellte es als Trick dar, das war aber nicht nur Trick, sondern ich sah es als Teil
der Therapie an. Es war nicht nur ein Buhlen um die Gunst, sondern um eine Bitte, mir Vertrauen zu
schenken, damit ich Verantwortung übernehmen kann, denn die ‚Haltung' des Arztes basiert auf dem
ständig sich drehenden Zirkel ‚Vertrauen und Verantwortung', die immer wieder gegenseitig neu
erworben werden müssen."
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"Heilen kann nach dem Motto ‚medicus curat, natura sanat' nur die Natur. Der Arzt kann nur Sorge
(cura) tragen, dass die Sanierung durch die Natur erfolgt."
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"Der Patient fragt ‚Was fehlt mir, Herr Doktor?' - und er will eine Diagnose. Diese ist manchmal nur ein
Wort oder auch mehrere, wie etwa die Diagnose ‚Erythrodermatosis crurum puellarum', was nichts
anderes als ‚Rötung der Haut des Unterschenkels bei jungen Mädchen' bedeutet. Eine empirisch
beschreibende Diagnose, die meist, aber nicht immer, mit den dünnen Strümpfen im Winter
zusammenhängt und damit eine chronische Erfrierungsschädigung ist. Die Reaktionen auf diese
Diagnose sind unterschiedlich. Dadurch, dass Latein nicht verstanden wird, imponiert der Patientin die
rasche und ‚eindeutige' Feststellung ihrer Krankheit. Ob sie sich dann den therapeutischen
Empfehlungen unterwirft und in Zukunft im Winter wadenverstärkende Wollsocken anziehen wird, ist
mehr als fraglich und es ist geradezu unwahrscheinlich, dass diese Unterwerfung länger anhält. Man
weiß, dass selbst jeder zweite Herzkranke nach einem halben Jahr sein ursprüngliches risikoreiches
Leben - Adipositas, Hochdruck, Rauchen, Alkohol, Bewegungsarmut etc. - wieder aufnimmt und zu
Kontrollen nicht mehr erscheint, wenn kein Rückfall eingetreten ist. Diese Unsicherheit bringt manche
erfahrene Ärzte dazu, zu übertreiben und den Patienten zu bedrohen, er würde sterben, wenn er die
therapeutischen Empfehlungen nicht einhält. Trotz der Bedrohung achtet der Patient nicht darauf, stirbt
nicht und verliert, zwar mit schlechtem Gewissen, an Vertrauen zum Arzt. Dass er aber seine
Verantwortungspflicht sich selbst gegenüber verletzt, kommt ihm kaum zum Bewusstsein. Natürlich
leidet vice versa auch das Vertrauen des Arztes zum Patienten. Das verändert auch die gegenseitige
Haltung, die ja aus dem Zirkel ‚Vertrauen und Verantwortung' gespeist wird. Man nennt das dann
‚mangelnde Compliance' und muss sie leider oft genug zur Kenntnis nehmen. Dazu kommt noch eine
immer wieder zu beobachtende extrem unverlässliche Einnahme von Medikamenten. Auch hier wird
etwa die Hälfte der Verordnungen nicht eingehalten, natürlich mit unzähligen Ausreden, meist mit dem
Hinweis auf mehr oder weniger tatsächlich auftretende Nebenerscheinungen, die dem Arzt aber nicht
mitgeteilt werden. Man könnte ihn damit vielleicht kränken. So unsicher ist es also, ob eine empfohlene
Therapie überhaupt eingehalten wird. Das beweist auch wieder die Notwendigkeit einer engen Bindung
zwischen Arzt und Patient, die eine Art magische, schamanenhafte Zuwendung sein muss. Dabei hat
jeder ‚Zauberer' seine Tricks und seine Rituale."
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"Eine Dame gestand mir, dass sie ihren reichen Freund jedes Mal, wenn er ihr ein großes Geschenk
machte, etwa ein neues Auto oder ein teures Schmuckstück, mit einem ärmeren Mann betrog - eine
durch und durch weibliche Logik der Gerechtigkeit, die ein Mann überhaupt nicht verstehen kann. Es
scheint aber auch eine Art von ‚Befreiung' aus einer ‚ungerechten', vielleicht bedrückenden Situation zu
sein. Schon sonderbar, Bedrückendes durch Betrügendes zu kompensieren. Zum Glück gehörte ich
weder zu den reichen noch zu den armen Freunden. Da mag Mittelmaß von Vorteil sein."
•
"Ein Arzt muss sich bei einem sterbenden Menschen genau überlegen, ob er mit seiner
Schmerzbekämpfung die Lebensspanne des Patienten bewusst verkürzt oder nicht. Verkürzt er das
Leben, ist es, juristisch gesehen, eindeutig Mord. Diesen Mord kann er auf sich nehmen, muss ihn aber,
zumindest vor sich selber oder vor seinem Gott, verantworten. Ich habe mir alle Patienten gemerkt,
deren Leben ich zur Erreichen der Schmerzfreiheit das Leben verkürzt habe. Wer weiß, welche
Möglichkeiten der Reue oder für letzte Verfügungen dadurch verunmöglicht wurden?"
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"Ethik findet Antlitz zu Antlitz statt. Sie hat nichts mit Mitleid zu tun, sondern nur mit dem Anerkennen
des Anderen als anderes Ich. Als oberstes ethisches Gebot gilt ‚Du sollst nicht töten'."
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"In der Praxis des Arztes ist es unvermeidlich, das Leben des Patienten in einer obsoleten,
schmerzreichen Situation durch den Einsatz hochwirksamer Schmerzmittel bewusst zu verkürzen. Wenn
das in Liebe und voller Verantwortung geschieht, ist es ethisch, wenn auch nach den Gesetzen
unmoralisch. Dabei muss man sich aber des ebenso vollen Vertrauens des Patienten sicher sein. Das
bleibt in der Praxis vom informed consens. Rein formal freilich ist dies Mord. Jeder Mensch, der einem
anderen das Leben, und wenn es noch so lebensunwert erscheint, auch nur zum Teil nimmt, hat dies
vor seinem Schöpfer oder vor der Schöpfung zu verantworten hat. Jeder Arzt, der sich dessen bewusst
ist, kann nur beten lernen, denn auch ein Mord aus Liebe bleibt ein Mord und die Gesellschaft darf ihn
nicht tolerieren. Ich bin im Krieg oft genug vor dieser Entscheidung gestanden, wenn ich vor Schmerzen
brüllende Sterbende ‚erlösen' musste. Da brauchte ich kein Team und keine Vorschrift. Jeder
diesbezügliche Fall der Gabe einer tödlichen Morphiumlösung belastet mich freilich mein ganzes Leben
lang, denn es gibt nur einen ‚Erlöser'."
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"Mein Philosophieren hat den Sinn, den Ärzten verständlich zu machen, dass es noch mehr als den
naturwissenschaftlichen Weg in der Heilkunde gibt. Damit entstehen gewisse Verwandtschaften mit der
sogenannten Ganzheitsmedizin, der Homöopathie, dem Schamanentum und manch anderen
medizinischen Methoden, zu denen auch die Psychotherapie oder Hypnose etc. gehört. Ich will ja nur
den Menschen in der Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient retten! Die Kontrolle meines
Denkens liegt dabei sicher immer wieder bei der Medizin, in der Diagnosestellung, der Anpassung der
Therapie an den einzelnen Patienten, der steten Kontrolle der Verifizierung und Falsifizierung. Dass
dabei die ärztliche Hodegetik, das heißt der Umgang mit dem Patienten eine Rolle spielt, ist klar."
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"Einmal wurde ich auf die Chirurgie gerufen und kam ganz zufällig in eine Vorstellung einer jungen
Psychologin, die als Aufgabe übernehmen sollte, Patienten psychologisch zu betreuen, weil die Herren
Chirurgen dazu nicht Zeit hätten - als wenn Zuwendung Zeit brauchen würde. Ich bin komplett
ausgerastet und habe laut nachgedacht, ob denn die Chirurgen keine Ärzte mehr wären oder nie
gewesen sind, wie das ja in England vor gar nicht allzu langer Zeit auch angenommen wurde. Damals
gehörten die Chirurgen zu den Barbieren und nicht zu den Ärzten. Dann wäre es ja auch überflüssig,
dass Chirurgen ein Medizinstudium absolvieren müssen, denn die sollten halt, wie die Zahnärzte in den
USA, nur ihr Handwerk lernen: Bauchaufschneiden, Kopfaufbohren, Fußamputieren etc. Der Skandal
war perfekt, wie Du Dir denken kannst. Manche allerdings, wie z.B. der Intensivmediziner Pauser
wurden sehr nachdenklich. Die meisten aber fürchteten sich vor dem Burn-out-Syndrom und sprachen
von ihrer Überlastung und den vielen Überstunden. Warum sind sie dann aber Ärzte geworden, wenn
ihnen das alles zu viel ist?"
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"Du sollst nicht töten' ist das oberste Gebot der jüdisch-christlichen Tradition und ich erinnere mich an
ein nachtlanges Gespräch mit meinem Kommandeur, der russische Gefangene töten lassen wollte, weil
sie unsere Stellungen graben mussten und diese daher kannten. Die Länge des recht heftig geführten
Gesprächs führte zur Ermöglichung der Flucht der Gefangenen. Am Ende war auch der
Standartenführer Polewatsch eher erleichtert, dass er die armen Teufel nicht liquidieren - so hieß es
damals - musste, obwohl er es für seine Pflicht gehalten hätte, die eigenen Leute dadurch zu schützen.
Ich sage das nicht zu meiner Verteidigung, denn das Töten von Soldaten habe ich zwar selber nie
gemacht, aber musste es wohl oder übel akzeptieren. Manchmal, wenn es nicht ganz gelang, versorgten
wir die verwundeten Feinde ebenso wie die eigenen Leute."
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"Ich kann dieses heute übliche Morden und Totschlagen im TV nicht mehr ertragen und Amerikaner, die
vom sauberen Krieg sprechen, wenn sie die Bomben aus unerreichbarer Höhe auf Menschen werfen,
seien dies nun Soldaten oder Zivilisten, sind mir verhasst. Wo bleibt da die Achtung des Menschen vor
dem Menschen. Einen gerechten Krieg kann es ebenso wie einen gerechten Mord oder Totschlag nicht
geben. Wir haben schon darüber gesprochen, dass sich auch der Arzt dessen bewusst sein musst,
wenn er wegen Schmerzlinderung das Leben seines Patienten zu verkürzen gezwungen ist. Er, nur er
allein, muss es vor seinem Schöpfer oder vor der Schöpfung verantworten."