Skript - Seelsorge am Klinikum rechts der Isar der TUM
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Manuskript Evangelische Perspektiven Der Glaube – ein Wundermedikament? Spiritualität in Krankheit und Pflege Autor/in: Rita Homfeldt Redaktion: Tilmann Kleinjung / Religion und Kirche Sendedatum: Sonntag, 25. Oktober 2009 / 08.30 Uhr www.br-online.de/bayern2/religion Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 1 Musik: Coco avant Chanel / Alexandre Desplat Musik: 3 Sprecherin: Spiritualität hat etwas Geheimnisvolles: Sie ist sinnlich nicht erfassbar, doch erfahrbar. Man kann sie weder testen, noch messen. Selbst die Definition ist bis heute nicht abgeschlossen. Spiritualität heißt nicht nur "das Geistliche", sondern heißt auch atmen, lebendig und achtsam sein. Lange Zeit war Spiritualität in der Medizin ein Tabu. Man sah eher die krankmachenden Aspekte der Religion, so Psychiater und Jesuitenpater Eckhard Frick: Zuspielung 1: Beispielsweise in der klassischen psychoanalytischen Religionskritik, also die Analogie zwischen Zwangsneurose und Religion, die Freud gesehen hat. Wir haben weniger die Ressourcen gesehen, die gläubige Menschen haben. Und das wird nun stärker inzwischen, dass wir die Ressourcen sehen, für die Krankheitsbewältigung, für die Sinngebung, für die Mobilisierung der sozialen Unterstützung. Sprecherin: Trotzdem hatte Spiritualität keinen Platz in der Medizin. Sie setzte auf Neutralität. Weder der Arzt noch die Krankenschwester sollten in weltanschaulichen Fragen den Patienten bevormunden oder gar beeinflussen. Zuspielung 2: Für uns in Europa ist Neutralität ein sehr hohes Gut. Deshalb hat der klassische Arzt, so wie als ich noch Medizin studierte, schon einige Zeit her, das gern dem Seelsorger überlassen, delegiert gewissermaßen und gesagt, wir sind doch keine Pfarrer, wir beschäftigen uns mit so etwas nicht. Das hat sich vollständig geändert, so dass wir heute an der Universität München die Beschäftigung mit der Spiritualität der Patienten als Pflichtinhalt im ärztlichen Unterricht haben. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 2 Sprecherin: Heute versteht die Medizin unter Spiritualität nicht mehr nur eine konfessionell geprägte Frömmigkeit. Spiritualität ist mehr als evangelisch-katholisch. Und die Wissenschaft interessiert sich zunehmend für dieses Phänomen: Spiritualität und Glaube. Viele Jahre meinte man, dass der Glaube mit dem Placeboeffekt - einem unwirksamen Scheinmedikament - gleichzusetzen wäre. Religionspsychologe Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin: Zuspielung 3: Wir wissen ja, dass der Glaube an positive Heilkräfte oder dass starke Erwartungshaltungen ganz wesentlich für Heilungsprozesse sind. Die Forschung möchte aber natürlich herausfinden, ob ein Medikament oder irgendeine therapeutische Maßnahme etwas in Gang setzt, was über den Placeboeffekt hinausgeht. Und deswegen hat man eben sehr genau analysiert, welche Faktoren bei Heilungsprozessen eine Rolle spielen und hat eben auch sehr genau hingeschaut und versucht Placeboeffekte auszuschalten, weil man das nicht wissen wollte. Und bei solchen Placebo kontrollierten Studien hat sich eben ergeben, dass Menschen, die religiös spirituell praktizieren, über ein Gesundheitsplus verfügen, was doch erstaunliche Effekte nach sich ziehen kann, die man nicht mit dem Placeboeffekt begründen kann. Sprecherin: Forscher führten beispielsweise bei Nonnen eine Studie durch. Sie überprüften die medizinische und psychologische Gesundheit bei den heute Hochbetagten Franziskanerinnen. Parallel dazu wurden die Nonnen gefragt, warum sie sich damals als junge Frauen entschlossen hatten, ihr Leben Gott und dem Orden zu weihen. Die Antworten teilten die Frauen in zwei Gruppen. Das Ergebnis überraschte: Zuspielung 4: Die eine Gruppe von Frauen sagte, ich weihe mein Leben Gott, weil es meine Pflicht ist, ich unterwerfe mich Gott, um gehorsam zu sein, es ist meine Schuldigkeit mein Leben Gott zu weihen. Die andere Gruppe, deren Beschreibung war sehr deutlich geprägt von Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 3 positiven Emotionen. Dankbarkeit, Glück und Freude spielten in erster Linie eine Rolle. Und die Forscher haben daraus geschlossen, als sie nämlich feststellten, dass bei der zweiten Gruppe, wo die positiven Gefühle im Vordergrund standen, ein deutlich besserer Gesundheitszustand vorhanden war, dass diese Frauen, die ein positives Gottesbild, die in ihrem Glauben positive Gefühle erleben konnten, dass es denen einfacher möglich war, mit altersbedingten Einschränkungen umzugehen. Das heißt, ich kann nur dann von der gesundmachenden Kraft des Glaubens profitieren, wenn ich ein positives Gottesbild habe, wenn das mit einer Person individuell verbunden ist, nicht aber wenn es aus Pflicht, Gehorsam oder Unterwerfung erfolgt. Sprecherin: Eine weitere Erkenntnis ist: gläubige Menschen haben einen besseren Blutdruck und eine höhere Lebenserwartung. Bei gläubigen Tumorpatienten stellten Forscher außerdem fest, dass ihre Überlebenschance steigt. Soweit die Empirie. Doch der Umkehrschluss, wer glaubt, wird gesund, funktioniert nicht. Nein, Spiritualität lässt sich nicht einfach wie ein Medikament verordnen. Zuspielung 5: Aus theologischer Sicht lässt sich Glauben nicht verordnen.// Aber auch aus medizinischer Sicht ist es ein Unsinn, weil ich es nicht so kontrollieren kann. All das ist versucht worden. Es gab auch Studien darüber, dass man zum Beispiel das Führ-BittGebet aus der Ferne getestet hat wie ein Medikament. Ich halte das für einen Unsinn, weil Beten und Glauben im Dialog stehen, kann man es nicht isolieren als einen einzelnen Effekt, sondern es ist immer eine zwischenmenschliche Erfahrung auch, und soll es auch bleiben. Spiritualität hat mit Freiheit zu tun. Freiheit Gott gegenüber und Freiheit den Mitmenschen gegenüber, d.h. wir dürfen mit diesem Bereich nicht so umgehen wie mit irgendeiner Therapiemaßnahme. Sprecherin: Sagt Professor Eckhard Frick von der Hochschule für Philosophie in München. Spiritualität ist kein Medikament. Es gibt sie nicht, die bestimmte Dosis Spiritualität, die Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 4 man nach einem festgelegten Zeitplan einnehmen kann, erklärt Pia Heußner, Ärztin und Leiterin der Psycho-Onkologie am Klinikum Großhadern in München. Zuspielung 6: Spiritualität ist ja zunächst einmal etwas mit dem jeder Mensch im Laufe seiner Persönlichkeitsentwicklung und Reifung konfrontiert wird, d.h. die allermeisten Menschen haben für sich ihre eigene spirituelle Dimension verinnerlicht, wenn sie in einer Notsituation versuchen wollen, darauf zurückzugreifen. Es kann dann zusätzlich noch in Form eines Medikaments einer Dosis hinzugenommen werden, wenn wir es jetzt auf Religiosität beziehen, auf religiöse Symbolik auf religiöse Rituale beziehen, dann mag es so einen medikamentenähnlichen Effekt haben. Ich glaube, dass es für Menschen, die sich selbst spirituell in ihrer Religion gebunden und aufgehoben fühlen, ist es mehr als ein Placeboeffekt, da hat es eine tatsächlich Trostspendende heilende Wirkung, wenn sie ein Ritual für sich wahrnehmen. Sprecherin: Was ist ein Ritual? Ein Gebet, ein Gottesdienst, eine Kerze, die angezündet wird? Und wie kommt es zur heilenden Wirkung? Dazu kann die Wissenschaft heute noch wenig sagen. Man kann allenfalls mutmaßen, dass bei manchen schwerkranken Menschen eine spirituelle Verankerung zu einem ausgeglichenen Gemüt, also zu besseren Heilungschancen führt. Ärztin Pia Heußner erlebt immer wieder Patienten, die psychisch ausgeglichen sind, deren Erkrankung aber unaufhaltsam fortschreitet. Heilung bedeutet also nicht unbedingt wieder gesund werden. Es hat eher etwas mit Heil-Werden, wieder Ganz-Werden zu tun. Jesuitenpater und Psychoanalytiker Eckard Frick spricht vom sogenannten inneren Heiler. Zuspielung 7: Vielleicht dürfen wir daran erinnern, dass auch in der Sprache des Glaubens sehr häufig von Heilung die Rede ist. Und dass, wenn wir ins Neue Testament hineinschauen, da geht es ganz oft um die Überraschung, dass etwas plötzlich in einem anderen Licht erscheint, sich ganz anders darstellt. Zum Beispiel, dass einer krank ist und dann von Jesus gefragt wird, was willst du, dass ich dir tun soll. Und dann kommen ganz andere Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 5 Dinge plötzlich. Denken Sie an diesen Gelähmten, am See … der sagt, da muss jemand das Wasser in Bewegung bringen und das geschieht nur alle paar Jahrzehnte und erwartet von Jesus, dass er irgendwie herumrührt im Wasser, dass er gesund wird. Und Jesus sagt, nein, steh auf und geh. Er überrascht und das setzt diesen inneren Heiler in Gang. Die Heilkraft scheint mir die Mobilisierung des inneren Heilers zu sein. In dem ich nicht mehr nach außen verschiebe, projiziere würden wir mit dem Fachwort sagen, sondern in mir selber die eigenen Ressourcen entdecke. Musik: Sprecherin: Patienten auf der Krebsstation befinden sich in einer Krisensituation. Die Diagnose oder ein Rezidiv - also die Rückkehr der Krankheit - stellt ihr Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf. Operationen, Chemotherapie und Bestrahlungen bestimmen ihren Alltag. Das kostet Kraft und geht an die eigenen Grenzen. Zuspielung 8: Wenn jemand mit einer Krebserkrankung aus seinem aktuellen Lebenskontext gerissen wird, dann bedeutet das, dass er möglicherweise derzeit nicht arbeiten gehen kann, dass er nicht weiß, wann er jemals wieder arbeiten kann, dass er in der Familie seine Rollen und Funktionen vorübergehend nicht ausüben kann. Dass er im Freundeskreis plötzlich nicht präsent ist, d.h. all das, was einen Menschen im Leben auch mit definiert hat, gerät ins Wanken. Sprecherin: Man verliert den Boden unter den Füßen und stürzt in die Tiefe, erzählt PsychoOnkologin Pia Heußner. Zuspielung 9: Wenn es uns dann gelingen kann, in einem Gespräch einem Menschen ganz vorsichtig die Tür zu öffnen und zu sagen, es geht gar nicht darum keine Fragen zu stellen und es geht nicht darum den rechten Glauben leben zu müssen, sondern es geht darum Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 6 vielleicht einfach ins Gespräch zu kommen, es geht vielleicht darum in Kontakt zu kommen, dann gelingt es Menschen, wenn wir ihnen an der Stelle die Angst und Verantwortung nehmen können, sie müssten jetzt im rechten Sinne Gläubige und praktizierende Gläubige sein, dass sie dann tatsächlich zurückgreifen können auf etwas, was sie in anderen Lebensphasen für sich erlernt haben, erworben haben an spiritueller Bindung. Menschen, die bislang keinen Kontakt gehabt haben oder jeglichen Kontakt verweigert haben, werden dass in dieser Situation selten spontan schaffen können. Sprecherin: Spirituelle Bindung entwickelt sich im Laufe der Zeit. Sie ist nicht einfach da. Man muss sich damit beschäftigen und auseinandersetzen. Oft ist dieser Prozess von Glaubenszweifeln begleitet. Trotzdem: Viele Menschen entdecken dadurch wieder ihre religiösen Wurzeln. Sie erinnern sich an die Bibel, an ein Kirchenlied, an Rituale und finden darin Trost. Pater Eckhard Frick: Zuspielung 10: Wenn ich mich auseinandergesetzt habe zum Beispiel mein Gottesbild sich geändert hat und habe es vielleicht auch gelernt zu klagen und zu trauern, dann finde ich auch zu einer anderen Einstellung der Krankheit gegenüber. Ich kann dann zum Beispiel besser mitarbeiten, das zeigt zum Beispiel die Forschung, dass gläubige Menschen dann auch besser in der Lage sind, Ressourcen, die von außen angeboten werden, zu nutzen. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit und Gott führt Patienten an ihre Kraftquellen. Das kann ein Gebet oder ein Bibeltext sein, ein Stück Natur oder Musik. Es ist das Vertrauen in eine Kraft, die größer ist als man selbst. Die Vorstellung von Gott behütet, geschützt und getragen zu sein. Religionspsychologe Michael Utsch spricht hier von einem positiven Gottesbild, Zuspielung 11: was mir vermittelt, dass diese Kraft es gut mit mir meint, und dass ich dadurch profitieren kann, dass dadurch mein Gesundheitszustand verbessern kann. Auf der anderen Seite ist es auch so, dass Vieles sich nicht so erfüllt, wie ich es wünsche, und insofern ist auch Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 7 dieses Vertrauen wichtig, sich das Ergebnis nicht schön zu reden und nicht zu glauben dass Gott ein Automat ist, dass man oben ein Gebet reinschmeißt und unten kommt die Wunderheilung raus. Viel wichtiger wäre eine Haltung nach dem Motto Herr dein Wille geschehe, das heißt dass ich mich auch im Ausgang und im Ergebnis mich dem überlasse wie es passiert. Sprecherin: Und da ist er wieder: der Zweifel. Dein Wille geschehe? Was ist dein Wille: Krankheit, Krebs? Nein, mein Wille geschehe. Ich will gesund werden. Was heißt: dein Wille geschehe. Jesuitenpater Eckard Frick: Zuspielung 12: Dann heißt das ja, dass ich dieses Haben-wollen loslasse. Und bereit bin durch Hiob, auch das Schwere und Ungute anzunehmen. Und sie spüren, wenn wir darüber reden, dass das ganz schwer werden kann für den einzelnen Menschen, der sich in dieser Situation befindet. Das sagt sich jetzt hier, relativ leicht, dein Wille geschehe. Aber was heißt das, wenn der Wille Gottes für mich dunkel ist, oder feindlich oder vollkommen unverständlich. Was heißt dann ein solches Gebet. Wir müssen uns also verabschieden davon, dass das Gebet so etwas ist, mit dem ich einen Effekt erzeugen kann. Darum geht es gerade nicht. Beten ist eine Entwicklung, die mich in Bereiche und Tiefen führen kann, die ich mir gar nicht vorstelle, wenn ich sage, jetzt bete ich mal und dann erreiche ich schon, dass ich gesünder werde. Das ist für einen gläubigen Menschen viel zu oberflächlich gedacht. Musik Sprecherin: Spiritualität kann helfen, einen Sinn im Leben zu entdecken, auch in der Krankheit. Menschen fühlen sich getragen, auch wenn die äußeren Umstände schwierig geworden sind. Dabei sind es die kleinen alltäglichen Dinge, die helfen, nicht unbedingt die großen, frommen Gefühle. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 8 Zuspielung 13: Spiritualität wäre das, was mich als Lebenskraft durchfließt. Die ich mir nicht selber herstellen kann, sondern die mir von außen in schier unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung steht. Ich muss es nur wahrnehmen. Was immer Lebenskraft für den Einzelnen bedeuten mag, vom Blumenstrauß bis zum gemeinsamen Essen bis zu dieser spirituellen Erfahrung hin, die eine Krankheit mir schenken kann, ich habe bewusster leben gelernt. Sprecherin: Pastoralreferent Bruno Durst vom Klinikum Großhadern nennt das Alltagsspiritualität. Was braucht der Patient? Welche Ressourcen hat er? Manche würden das vielleicht gar nicht als spirituell bezeichnen, erklärt er. Seine Kollegin Claudia Zierer denkt dabei an eine Mutter und ihr herzkrankes Kind, die sie betreut. Zuspielung 14: Das Kind braucht ein neues Herz und die erzählte mir, sie lebt im Mc Donalds Haus, drüben in der Stiftung, und kommt rüber in das Haus und sieht auf dem Tisch einen frischen Strauß Blumen stehen und sagt zu mir, ich habe mich so gefreut diese Blumen zu sehen und dass sie das kann, das ist eine Riesen Ressource für diese Frau, dass sie trotz dieser schweren Erkrankung ihres Kindes, trotz der Lebensgefahr, in der ihr Kind ist, sehen kann, da stehen Blumen. Und wie wichtig es ist, dass es Menschen gibt, die sie bereitstellen, diese Blumen und das möglich machen. Sprecherin: Es sind die Blumen, die Lebensfreude auslösen. Das kann aber auch der Blick in den blauen Himmel sein, die Erinnerung an ein schöne Bergtour oder das Anzünden einer Kerze. Es sind die kleinen Dinge, die tragen. Bei Hilde Schramm* ist es das Foto ihrer Enkelin auf dem Nachtkästchen. Die 75-Jährige liegt auf der Station für Strahlentherapie im Klinikum Großhadern. Bei ihr wurde Brustkrebs festgestellt. Das war vor 11 Jahren. Jetzt ist der Krebs zurück. Metastasen haben sich in ihren Knochen gebildet. Viele Bestrahlungen stehen an. Doch sie lässt sich nicht entmutigen. Schließlich hat sie den Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 9 Krebs schon einmal besiegt. Und dann ist da noch ihre Enkelin, die sie über alles liebt. Dafür lebe man dann auch, erzählt sie, und blickt auf das Foto. Zuspielung 15: Meine Familie ist mein ein und alles, mein Enkelkind, die haben einen schönen Hund, einen Bobtel, das ist ein treues Tier. Und der Vorgänger von dem hat mir sehr geholfen als ich den Krebs hatte, den Brustkrebs. Mit dem bin ich spazieren gegangen und er ist keinen Schritt von mir weg. Das hat sehr geholfen. Sprecherin: Diese Erinnerung macht sie stark. Sie möchte wieder mit dem Hund in der Natur spazieren gehen und für ihre Enkelin da sein. Das sind Ziele, die sie tragen. Sie hofft, dass die Strahlentherapie anschlägt und sie danach wieder ganz normal leben kann. Sie ist eine Kämpferin. Sie will den Krebs besiegen, und vertraut dabei auch auf Gott. Sie sei zwar keine, die ständig in die Kirche gehe, betont sie, aber die persönlichen Gespräche mit Gott seien ihr sehr wichtig. Zuspielung 16: Gott ist ein höheres Wesen, was alles lenkt und in die Wege leitet. Und ich habe Gott gedankt, was er für mich getan hat und ich bitte ihn auch, dass er mir weiterhilft. Sprecherin: Was in schwerer Krankheit trägt, ist sehr individuell. Seelsorger Bruno Durst vom Klinikum Großhadern versucht herauszufinden, was die persönlichen Kraftquellen des Patienten sind. Oft sind sie durch Angst, Trauer und Wut verschüttet. Schwere Krankheiten können auch Glaubenskrisen verursachen. "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen." Hadern und Zweifeln. Seelsorger Bruno Durst gelingt es immer wieder auch bei solchen Glaubenszweifeln den Dialog herzustellen. Manchmal aber fehlen einfach die Worte. Da geht es schlicht um das mit aushalten. Doch je länger die Begleitung dauert, desto mehr wächst das Vertrauen. Der Patient ist offener und spricht über seine Verzweiflung, seine Ängste, aber auch über seine Hoffnung und seine Sehnsucht nach Leben. Er setzt sich mit seiner Situation auseinander. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 10 Zuspielung 17: Wenn ich die Dinge, die ich in meinem Leben durch die Krankheit infrage gestellt worden sind, auf einmal neu, wenn auch vielleicht verändert wiedergewinne. Wenn ich das Gefühl wieder dafür kriege, dann gewinne ich im übertragenen und geistlichen Sinn wieder Sicherheit und Boden unter den Füßen, darauf kommt es an. Es ist nicht das Ziel nach der Krankheit wieder ganz der Alte zu werden. Eine Analogie zu dieser geistigen Entwicklung sieht Bruno Durst im körperlichen Heilungsprozess. In dem Maße wie die körperliche Genesung voranschreitet, in dem Maße kehrt auch das Körpergefühl zurück, auch wenn es sich durch den Krankheitsprozess verändert hat. Zuspielung 18: Ich habe im Laufe des letzten Jahres dreimal erlebt, bei Patienten, die eine Knochenmarktransplantation erhalten mussten, dass sie diese wirkliche schwerwiegende medizinische Behandlung als einen Läuterungsprozess bezeichnet haben für sich. Das ist ein schmerzhafter, ganz leidvoller Reinigungsvorgang, der mir die Chance zu einem Neuanfang in meinem Leben gibt. Interessant ist, wie da das körperliche Erleben mit dem geistlichen Erleben eigentlich parallel läuft. Sprecherin: An Krebs erkrankte Menschen haben oft einen langen Leidensweg hinter sich. Doch im Rückblick erleben manche ihren Krankheitsweg als spirituelle Erfahrung, erklärt Seelsorger Bruno Durst. Sie sagen zum Beispiel zu ihm, Zuspielung 19: wenn ich so auf meinen Weg zurückschaue, dann hat mich meine Krankheit eines gelehrt, nämlich ich nehme jeden Tag das Leben, was auf mich zukommt viel bewusster wahr, als vor meiner Krankheit. Ich lebe viel mehr mit offenen Augen, mit offenen Sinnen, mit einer größeren Dankbarkeit, mit größerer Demut. Ich habe andere Augen, andere Ohren bekommen, für das, was um mich rum ist. Ich bin viel behutsamer Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 11 geworden, auch in den Beziehungen. Und ich habe das Gefühl, dass ich meinen Alltag viel tiefer erlebe als vor meiner Krankheit, dass fast so etwas mitspürten möchte wie eine Art Dankbarkeit diese Erfahrung gemacht zu haben, wenn auch über das Leid einer Erkrankung. Das ist eine spirituelle Erfahrung. Musik: 13 Sprecherin: Körper, Geist und Seele. Für den Heilungsprozess ist der ganze Mensch gefragt. Auch wenn wissenschaftliche Antworten fehlen, so wächst inzwischen doch das Bewusstsein, dass nicht nur Naturwissenschaft und Technik für den Heilungsprozess wichtig sind. Es ist entscheidend, den ganzen Menschen wahrzunehmen. Traditionell haben sich Seelsorger um den geistig-seelischen Bereich gekümmert. Heute werden Pflegende, Ärzte, Psychologen und Therapeuten miteingebunden. Die Reaktionen der Patienten auf Fragen vom Arzt etwa: Was macht Ihnen Freude? Was gibt Ihnen Kraft? Oder: Was trägt Sie im Leben? sind unterschiedlich, weiß Psychiater und Psychoanalytiker Eckhard Frick. Zuspielung 20: Es kann zum Beispiel sein, dass ein Patient sagt, ich möchte mit ihnen über diese Frage sprechen, weil sie als Arzt objektiv sind. Oder es kann sein, ne, da bin ich im Gespräch mit meiner Seelsorgerin, da kümmern sie sich um meine Blutwerte. Wir gehen davon aus, dass jeder Arzt eine Grundkompetenz in diesen Fragen braucht oder möchte eigentlich sagen, jeder in einem helfenden Beruf, der in der Medizin tätig ist, in der Pflege, in der Sozialarbeit sollte eine Grundkompetenz haben, d.h. einzuschätzen wie sind die spirituellen Ressourcen, Nöte, Optionen dieses Patienten. Sprecherin: Doch wie realistisch ist es, den Patienten im ärztlichen Alltag nach seiner spirituellen Erfahrung zu fragen? Wie zeitraubend, belastend oder hilfreich ist eine solche spirituelle Anamnese für alle Beteiligten? Das sollte eine Pilotstudie am Klinikum Großhadern herausfinden. Das Ergebnis der Studie überzeugt. Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 12 Zuspielung 21: Es kam heraus, sowohl bei den Ärzten als auch bei den Patienten, es ist hilfreich und es nicht belastend, weil oft gesagt wird, ja du liebe Zeit darüber dürfen wir nicht reden, das bringt die Leute durcheinander oder das überfordert vollkommen die Ärzte, weil sie nicht drauf vorbereitet sind. Wir konnten in dieser kleinen Pilotstudie zeigen: es ist hilfreich und es ist nicht belastend und es ist praktisch möglich. Es ist in 5 bis 10 Minuten machbar. Häufig wird als Generalargument gesagt, dafür haben wir keine Zeit. Selbstverständlich spielt der Zeitfaktor eine Rolle, aber er wird gerne vorgeschoben, überall dort, wo man sich nicht beschäftigen möchte. Und wir meinen, dass ein Arzt gerade, wenn er einen Patienten länger kennt, gerade einen chronisch kranken Menschen begleitet oder wenn es in Richtung das Lebensende geht, sollte sich für diese Fragen interessieren. Musik stopp * fiktiver Name Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunkpreise abweichend) Fax: 089/5900-3862 [email protected] www.bayern2.de © Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! Bayerischer Rundfunk 2009 Seite 13