Tarnte die DGHS einen Mord? - Deutsche Gesellschaft für Humanes

Transcription

Tarnte die DGHS einen Mord? - Deutsche Gesellschaft für Humanes
AFFÄREN
Tarnte die DGHS einen Mord?
Hinweise zum Tod des früheren Ministerpräsidenten auffällig einseitig
D
schoben, überdeckt werden? So, wie damals im Gieren nach
Macht in einem Bundesland mit wichtiger Rüstungsindustrie so
manches verdeckt, gemauschelt, verschleiert wurde?
Kaum sind in einer Affäre so viele Köpfe gerollt: Der von Gert
Börnsen, Fraktionsvorsitzendem der SPD-Fraktion im Kieler
Landtag, der von Björn Engholm, Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der SPD, der von Ursula Gräfin Brockdorff,
Sozialministerin im Barschel Kabinett; der von
Norbert Gansel, von Günther Jansen, von
Klaus Klingner, dem schleswig-holsteinischen Justizminister; der von Klaus Nilius,
Stefan Pelny, Reiner Pfeiffer, Heribert
Ostendorf und Carl-Hermann Schleifer,
der als Finanzstaatssekretär unter Barschel 1988 in den Ruhestand versetzt
wurde.
Wenn wir hier den Fall Barschel zur
Sprache bringen, so auch, um ein faules
Stück DGHS-Geschichte aufzudecken,
das Widersprüche erkennbar macht. Das
Interview bringt es an den Tag: So oder so
wurde gelogen, „schamlos gelogen“ – so
der Leitende Oberstaatsanwalt Wille.
Ausriss vom bekannten Bild des toten Ministerpräsidenten in der Badewanne, noch mit Krawatte,
erwiesenermaßen jedoch nicht Tod durch Ertrinken, wie er in der damaligen Suizid-Broschüre der
DGHS und in einer konstruiert wirkenden Presseerklärung damals angedacht war. Die „Moderne“
hat es sich angewöhnt, Bilder von Toten nicht nur zu zeigen, sondern wie früher den Schaulustigen bei Hinrichtungen am Marktplatz der Sensationsgier zu offerieren. Mumien
und frühere Herrscher, die ihre Totenruhe in Pyramiden suchten, werden
in Museen fremder Länder verfrachtet – ohne dass dies als Störung der Totenruhe geahndet wird. Der Hinweis auf Wissenschaft oder Aufklärung wird
als Rechtfertigung genannt. Was ist ethisch gerechtfertigt? Was sinnvoll?
– Wie weit dürfen Medien gehen?
Bild: Ausriss Foto, Archiv
ie damaligen Presse-Infos der DGHS wirken abstrus, konstruiert, suiziddfixiert und -versessen:
Der Tod des damaligen Ministerpräsidenten von
Schleswig-Holstein, Dr. Dr. Uwe Barschel, wird vor
20 Jahren durch Presseerklärungen des damaligen DGHS-Präsidenten und -Geschäftsführers H. H. A. zur
Selbsttötung stilisiert. Angeblicher Ansatzpunkt war die damalige Freitodbroschüre
der DGHS „Menschenwürdiges und
selbstverantwortliches Sterben“. Darin
beschrieben war die Möglichkeit zum
Suizid durch Ertrinken in der Badewanne mittels Schlafmittel und Mitteln zur Erschlaffung der Muskeln,
die dazu führen sollten, dass die
Person nach Eintritt der Bewusstlosigkeit in das Badewasser rutscht und
dort friedlich ertrinkt. Friedlich? Ertrinken? – Das folgende, gerade nach
gut zwanzig Jahren dennoch sehr aktuelle Interview mit dem Leitenden
Oberstaatsanwalt in Lübeck, Heinrich
Wille, deutet nicht auf Selbst-Tötung
hin, sondern auf einen Tod durch Fremdeinwirkung, auf ein Kapitalverbrechen, auf Mord. Hier mag das Wort vom „SelbstMord“ einen Sinn machen: Heimtücke,
Hinterlist, niedrige Beweggründe gegen das Selbst
eines Menschen? Selbst-Entäußerter Tod? Mord?
Dass sich eine Gesellschaft wie die DGHS, die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN, so
intensiv damals in mehreren Presseerklärungen für die SuizidThese einsetzte: War es Geschäftssinn? Effekthascherei? Profilierungssucht? Die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen? – Sollte gar die Überlegung fremdverschuldeten Tötens beiseite ge-
„Schamlos gelogen“ – Anatomie eines Falles
INTERVIEW
ZUM
„FALL BARSCHEL“
MIT DEM
HLS: Herr Wille, gestern wurde erneut in
3-sat zur besten Sendezeit der Film „Der
Tod des Uwe Barschel. Skandal ohne
Ende“ gezeigt. Sie kennen diesen Film sicherlich, zumal Sie auch darin zu Wort kommen. Ihr Eindruck?
Wille: Es gibt vier Filme darüber. Dieser ist
am häufigsten gesendet, am weitesten ver-
6
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
LEITENDEN OBERSTAATSANWALT HEINRICH WILLE, LÜBECK (12.2.2008)
breitet und nach meinem Dafürhalten der
schlechteste, weil er sich einerseits in der Sache um eine klare Stellungnahme herumdrückt, andererseits aber auch nicht so offen ist, wie er tut.
Er schildert angeblich drei Versionen. Das
ist ein Taschenspielertrick. Es gibt natürlich
nur zwei. Es gibt nur die Frage: Mord oder
Selbstmord? Sterbehilfe ist keine „dritte
Version“, sie beschreibt nur die Art und
Weise des Suizids. (…) Das zweite sind die
Modalitäten des Interviews mit Ihrem frü-
„Das ist ein Taschenspielertrick“
heren Vorsitzenden, Herrn Atrott. Dort hat
man, ich sage es, in Kenntnis dessen, dass
Bild: Ausriss Foto, Archiv
es ein schwerwiegender Vorwurf ist, dort hat
man manipuliert. Herr Atrott hat bereits im
Jahr 1987, kurz nach dem Tode Uwe Barschels, nach dem Mord an Uwe Barschel,
wie ich meine, Fragen der Staatsanwaltschaft Lübeck schriftlich beantwortet. Anlass dafür war ein Telefonat von Herrn
Pfeiffer, Reiner Pfeiffer, jenem ausführenden Organ, das sich dann vielleicht
verselbstständigt hat in der Barschel-Pfeiffer-Affäre, wie man jetzt sicherlich korrekt
sagt. Herr Pfeiffer hatte nämlich im August
des Jahres 1987 bei der DGHS angerufen.
Dieses Telefonat war dokumentiert in der
Aufzeichnungsanlage des Innenministeriums, das wusste man. Also hat die Staatsanwaltschaft Lübeck bei der DGHS schrift-
Barschels fragliches „Ehrenwort“ bei
der Pressekonferenz am 18.9.1987.
lich angefragt, was es damit auf sich hätte.
Und bereits im Oktober desselben Jahres,
also im Monat des Todes von Uwe Barschel, hatte Herr Atrott schriftlich auf
zwei Seiten geantwortet. Er hat im Kern geschrieben: Niemand könnte sich an dieses
Telefonat erinnern. Er habe recherchiert,
er habe mit Mitarbeitern gesprochen, man
könne sich nicht daran erinnern und das
würde sehr dafür sprechen, dass es kein Telefonat von besonderer Bedeutung gewesen wäre. Soweit die Fakten aus den Akten.
Nun hat der Norddeutsche Rundfunk,
der für die ARD diesen Film gemacht hat,
durch seine Autoren bei mir in Vorbereitung des Filmes nachfragen lassen, was es
denn mit diesem Telefonat von dem Apparat von Herrn Pfeiffer aus auf sich hätte und ich habe in meinem Antwortschreiben dieses Schreiben von Herrn
Atrott wörtlich zitiert, dass sich eben niemand erinnern könnte an irgend etwas. Vor
allem, und das wurde dann auch klargestellt,
seien weder Barschel noch Pfeiffer Mitglied
der DGHS. Dieses Schreiben liegt im Originaltext dem NDR, den Herren Kirsch und
Baap, vor. Gleichwohl hat man dieses
Interview so in den Film gestellt, wie es gestern zum fünften oder sechsten Mal dem
deutschen Fernsehpublikum präsentiert
wurde und ich habe das mitschreiben lassen. Das flüchtige Wort und Bild geht
vorüber, aber schwarz auf weiß ist es dann
doch etwas anders. Der Moderator – und
das ist ja der, der die Aussagen trifft für die
Fernsehleute, hiermit für den NDR, für die
ARD – der Moderator in diesem angeblichen Dokumentarfilm spricht von dem
Anruf, der Anruf gilt der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Augs-
Bild: Schobert
Bilder: Schobert
Der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in Lübeck, rechts die Staatsanwaltschaft.
burg, und jetzt kommt es: „ihr damaliger
Chef, Hans-Henning Atrott, nimmt das Telefonat entgegen.“ Und dann berichtet
Herr Atrott: „Ich werde da verbunden, da
sei ein Herr Pfeiffer dran und so weiter, es
wird über Zyankali geredet“, dann fragt der
Moderator: „War das Herr Pfeiffer?“ Herr
Atrott druckst ein bisschen rum und meint,
es wäre wohl Herr Barschel gewesen. Und
nun, der Moderator, scheinobjektiv, sage ich
mal, sagt: „Atrott muss sich irren“, sehr zurückhaltend. Aber Sie haben es gemerkt,
es kann nicht Barschel gewesen sein, weil
er an diesem Tag gar nicht im Landeshaus
war. Also, es ist eindeutig und diese Darstellung, deswegen sage ich scheinobjektiv,
spart natürlich den Kern aus. Es wird
unterstellt, dass diese Möglichkeit bestanden hätte.
Der Teufel als Sinnbild und Symbol des
Bösen, Hinterhältigen, Schamlosen. Hier
die berühmte Teufelfigur bei der Marienkirche in Lübeck.
Wissen Sie, Herr Barschel, wie jeder andere Chef, aber gerade ein Ministerpräsident und erst recht Herr Barschel, hätte den
Teufel getan, nun ausgerechnet von dem Telefon seines untergeordneten Referenten
Pfeiffer die DGHS anzurufen, das ist so weit
von der Realität entfernt, dass das Unterlassen dieses Hinweises für das unkundige
Fernsehpublikum natürlich diese Möglichkeit sehr ins Zentrum rückt. Also, an
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
7
AFFÄREN
Bild: Schobert
Dr. Dr. Uwe Barschel wurde vor gut 20 Jahren im Genfer Hotel Beau Rivage tot aufgefunden. Der Fall erregte weltweit Aufsehen, u. a. durch das Foto des toten
CDU-Politikers in der Badewanne. Hat Sie
der Fall auch persönlich betroffen gemacht?
Der Löwe gilt als Sinnbild von Heldenmut und Tapferkeit. Dieser schlafende Löwe vor dem Holstentor könnte auf ein Ruhen dieser Tugenden hinweisen. Was wurde im Fall Barschel verschlafen?
Welche Tugenden nicht geweckt?
Barschel kam man überhaupt nicht ran, er
war abgeschirmt. Sein Staatssekretär Hebbeln hat das wirklich grandios geschafft. Er
ging immer voran und der Rest, der trottet so einen Schritt dahinter und er hat diese Distanz zelebriert in einem Maße, dass
also dieser Hinweis schon völlig schief
liegt. Nun, es wird also unterstellt, Herr
Atrott nehme das Telefonat entgegen und
so wird weiterhin getan, es wird also die Tatsache, dass entweder Herr Atrott in diesem
Interview schamlos lügt oder dass er, und
ich sage auch im Jahre 1987, im Monat des
Todes von Uwe Barschel, schriftlich schamlos gelogen hat.
HLS: Herr Wille, Sie haben sich jahrelang
in einen der aufregendsten Politskandale
mit strafrechtlich denkbarer Relevanz hineingekniet, in diesen Fall Barschel, der im
doppelten Sinn des Wortes ein Fall war,
denn Barschel ist politisch mit diesem Fall
auch gefallen bzw. fallengelassen worden.
Der frühere holsteinische Ministerpräsident
„dass entweder Herr Atrott in
diesem Interview schamlos lügt oder
dass er (…) schamlos gelogen hat.“
8
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
Wille: Also, das Geschehen, wie es damals
war, zur Tatzeit, hat mich weitgehend kalt
gelassen. (…) Als ich Behördenleiter war,
und so ganz allmählich diese Geschichte in
die Realität zurückkam, zunächst einmal
dadurch, dass Stasi-Akten der Bespitzelung
Uwe Barschels, auch der Telefonüberwachung, bekannt wurden, das war im Jahre
1993, haben wir erst Überprüfungen hier
begonnen. (…) Wir haben alte Hinweise in
neuem Lichte gesehen. Es kamen dann vom
Bundesnachrichtendienst eine ganze Menge zusätzlicher Informationen, wir wurden
regelrecht angefüttert, sage ich mal. Das
führte dann dazu, dass wir beim Bundesgerichtshof einen Antrag auf Zuständigkeit
gestellt haben, weil wir ja keinen Tatort in
Deutschland hatten und insofern der Anknüpfungspunkt des letzten Wohnsitzes in
unserem Bezirk hier eine mögliche Zuständigkeit begründet hatte. Also, ab da hat
es mich natürlich sehr stark geprägt, ich hatte eine hochqualifizierte Ermittlungsgruppe, klein, aber beste Kriminalisten und ein
Staatsanwalt, heute Oberstaatsanwalt, später noch einen zweiten und dritten Staatsanwalt zu Teilen, die hier engagiert mitarbeiteten. Und ich denke mal, man hätte eine
gewisse, wenn auch geringe Chance gehabt,
das aufzuklären, wenn man die ungeteilte
Unterstützung der vorgesetzten Dienststellen gehabt hätte, was dann sehr bald sich
eben nicht mehr realisierte.
HLS: Im Kern geht es ja, und Sie haben es
bereits angeschnitten, um die Frage, war es
Suizid, gegebenenfalls Beihilfe zum Suizid,
in Deutschland und in der Schweiz grundsätzlich nicht strafbewährt oder war es
Mord? Ihre Einschätzung?
Wille: Zunächst will ich sagen, dass ich an
die Sache offen herangegangen bin. Ich hatte also kein Vorverständnis. Ich war insbesondere nicht in irgendeiner Weise beeinflusst oder geprägt durch die Mehrheitsmeinung der Medien, durch die öffentliche Meinung, die ja in einer Art massenhysterischem Phänomen hier auf die
Selbstmordthese aufgesprungen war. (…)
Es ist auch darauf hinzuweisen, dass wir als
Ermittler Suizid damals uninteressant fanden. Suizid, also alles das, was in dem Zusammenhang strafrechtlich relevant sein
könnte, wie Tötung auf Verlangen usw., war
ja längst verjährt, war uninteressant. Suizid
wäre ein Argument gewesen, wenn er
denn sicher gewesen wäre, das uns dazu gebracht hätte, gar nicht anzufangen zu ermitteln. (…)
Krawatte oben und möglicherweise das
Hemd sogar geschlossen bleibt. Ob das
Hemd geschlossen war, wurde seinerzeit bei
Uwe Barschel nicht gesondert festgestellt.
Wenn aber der erste Hemdknopf von
oben geöffnet war, wäre es noch schwieriger gewesen, wenn er aber geschlossen war,
warum sollte man sich gerade den zweiten
von oben abreißen? Wenn Barschel in einer letzten Verzweiflung vor dem Tode ein
Engegefühl gehabt hätte und den zweiten
Knopf abgerissen hätte, dann wäre das so
gar nicht möglich gewesen. Er muss mit einer gewissen Kraft abgerissen worden
sein. Das hat man auf den Fotos gesehen
und der NDR hat sie auch gezeigt. Es war
ein Ausriss von oben nach unten festzustellen, also nicht etwa seitlich gerissen, son-
HLS: Er wurde aber aus dem nächsten
Freundes- und Bekanntenkreis als ein sehr
hartnäckiger Kämpfer dargestellt. Das
würde ja auch dieser Suizidmotivation
widersprechen?
Wille: Das ist eins der Argumente. (…)
Man muss seine Persönlichkeit qualifiziert beurteilen, von dem, was man weiß
und da ist natürlich ein Punkt, was Sie sagen in der Frage: „Er war ein harter
Hund“, er war eine Kämpfernatur. (…) Er
hatte Alternativen beruflicher Art, wissenschaftliche. Ob er nun mit diesen ganzen Aktivitäten noch hätte Notar bleiben
können, weiß ich nicht. Als Rechtsanwalt
hätte er wahrscheinlich bald wieder praktizieren können, als angestellter Rechtsanwalt allemal in einer größeren Kanzlei
mitarbeiten können. Nein, aber er war wissenschaftlich qualifiziert, er war doppelt promoviert, juristisch, philosophisch, er hatte
auch publiziert. (…) Oder er hätte in der
Wirtschaft sein können.
HLS: Es kommen noch andere Details hinzu, die aber das Mosaik ergänzen.
„er ist nicht ertrunken. Was im Übrigen
auch gegen Sterbehilfe spricht“
HLS: Sie halten heute am 12. Februar
2008 auf der DGHS-Veranstaltung in Lübeck zum Fall Barschel einen Vortrag.
Lassen sich für HLS-Leser, die nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen können, Ihre
Erkenntnisse in kurzen Worten zusammenfassen?
dern von oben nach unten. Für einen Krawattenträger ist die Vorstellung, die Krawatte hochzuheben und dann den zweiten
Knopf von oben abzureißen, völlig absurd.
Der Rechtsanwalt Dr. Warburg hat bei
Spiegel-TV gesagt: „Das war die Faust des
Mörders.“
Wille: Es gibt keine Spuren von Wasser in
der Lunge, er ist nicht ertrunken. Was im
Übrigen auch gegen Sterbehilfe spricht,
denn gerade da wird ja dargestellt, dass das
Hineinrutschen in das Wasser eben in
Kombination mit Tabletten den sicheren
Tod beinhaltet.
HLS: Hinzu kommt ja noch das Hämatom
am Kopf, an der Stirnseite.
HLS: Diese Kombinations-Methode mit suizidtauglichen Medikamenten in Überdosis und Badewanne hat ja in der damaligen
Beschreibung der DGHS [= Broschüre
„Menschenwürdiges
und selbstverantwortliches Sterben“, vergriffen; d. Red.] auch
den Hinweis gebracht,
dass man im angezogenen Zustand leichter festklebt – Klebeeffekt in der Badewanne – und dann
eben nicht reinrutscht.
Barschel war angezogen.
Wille: Das ist das zweite. Dieses Hämatom
Wille: Ja, also, die
Interpretation, auch
die Versuche von
Herrn Atrott, das
stimmig zu machen,
sind ja hilflose Versuche, die eigentlich
scheitern müssen und
Bild: Ermittlungsbehörden
Wille: Ich würde empfehlen, dass Sie in der
Zeitung die Tatortskizze publizieren. Das
macht es übersichtlicher. Wenn Sie sich diese offizielle Skizze der Schweizer Polizei ansehen, dann werden Sie sehen, an einer Stelle ist ein Knopf, le bouton. Mit diesem
Knopf begann im Übrigen auch die publizistische Aufarbeitung des Falles. Report
München befasste sich als erster damit und
das ist auch ein gutes Beispiel dafür, mit welcher Blindheit man damals gesegnet gewesen sein muss. Jeder Krawattenträger
kann es nachvollziehen, wie man den zweiten Hemdknopf von oben als Selbstmörder,
der Barschel ja angeblich sein sollte, abreißen kann und zwar so abreißen, dass die
ist prämortal entstanden [= vor dem Tod;
d. Red.]. (…) Also, dieses Hämatom, woher? Die Schweizer Rechtsmediziner haben
gesagt, er mag ja auf dem Badewannenrand
aufgeschlagen sein, in einer Zuckung, einer
Jaktation [= unwillkürliches Gliederzucken;
d. Red.]. Nun hatte er gerade Medikamente
genommen, die das ja verhindern sollten
und insofern, wenn es dann wirklich so gewesen wäre, der Lübecker Rechtsmediziner hält das für absurd. Er meint, das
wäre nicht vorstellbar gewesen und ich denke, es ist auch so. Also beides Indizien für
gewaltsames Vorgehen von dritter Hand.
Skizze der Ermittlungsbehörden zum Todes-Hotelzimmer.
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
9
AFFÄREN
das hätte eigentlich auch Herr Atrott begreifen müssen, das ist so weit von dem entfernt, was dort empfohlen wird. Auch die
Schweizer Rechtsmediziner haben sich ja
letztlich selbst widersprochen. Sie waren
versucht, durch ihre Erfahrung, dass Selbstmorde in der Badewanne passieren, dieses
da so einzusortieren. Und sagten aber
selbst, ja, diese Medikamente gibt es in der
Schweiz schon seit langen Jahren nicht
mehr. Damit haben sie indirekt gesagt, ein
Schweizer Sterbehelfer kann das nicht gewesen sein. Denn ein ordentlicher Schweizer Sterbehelfer wird sicher keine abgelaufenen Medikamente nehmen oder sie
aus dem Ausland holen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Uwe Barschel
es selbst da hingeworfen hat, tendiert gegen Null. Es ist kaum vorstellbar, dass er aus
der Badewanne vielleicht noch mal herausgegangen ist, das Handtuch rausgenommen und sich wieder reingelegt hätte
oder überhaupt aus dem Badezimmer, wo
es ja war und wo es auch verschmutzt wurde, hinausgebracht hat. (…)
Dieses Szenario spricht dagegen, dass er allein gewesen ist und dieses Szenario spricht
auch gegen Sterbehilfe. Warum sollte ein
Sterbehelfer hier versuchen, mit dem
Handtuch irgendwelche Verschmutzungen zu beseitigen? Das würde für mich auch
keinen Sinn machen. (…) Ich meine, dieses Spurenbild reicht aus um zu sagen, allein von daher ist ein Selbstmord höchst unwahrscheinlich. Ich meine, aus meiner
Sicht ist dies doch wohl auszuschließen.
Bild: Archiv
HLS: Ob Mord oder Suizid: Wenn ein Ministerpräsident eines wichtigen Bundeslandes in Deutschland auf unnatürliche Art
und Weise zu Tode kommt, belasten solche
Umstände auch die politische Landschaft.
Langjährige Untersuchungen mit Landtagsuntersuchungsausschüssen, staatsanwaltschaftlich umfänglichen Ermittlungen
und immer wieder rege Begleitmusik der
Medien bestätigen dies. Als Leitender
Oberstaatsanwalt war und ist ein solch brisanter Fall für Sie sicherlich keine leichte
Aufgabe. Belastet die öffentliche Aufmerksamkeit die Ermittlungen oder ist
sie diesen tendenziell eher förderlich?
Spiegel-Ausgabe vom 8.10.2007,
nun mit der These vom Mord.
„Spieglein, Spieglein in der Hand:
Wahrheit? Lügen-Mix im Land?“
HLS: Zurück zum Szenario. (…)
Wille: Da ist dieses Spurenbild. Bemerkenswert: Der rechte Schuh ist verschnürt
und steht draußen…. Der linke Schuh ist
auf und steht zwar beeinträchtigt auf dem
Badewannenvorleger, seinerseits bräunlich verschmutzt. Das weitere Merkwürdige
ist ein Handtuch mit identischen Verschmutzungen, das sich in der Abseite vor
der Ausgangstüre des Hotelzimmers befindet, innerhalb des Hotelzimmers. Dieses Szenario, das wir nicht abschließend aufklären können, sagt aber eines: Dieses
Handtuch, von der Lage her, ist achtlos
beim Hinausgehen hingeworfen worden.
10
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
Wille: Ich hatte zunächst die Hoffnung, dass
das öffentliche Interesse den Ermittlungen
zugute kommen könnte, auch durch Aufrufe, Appelle und Unterstützung aus der
Öffentlichkeit. Das stellte sich bald als
Fehleinschätzung heraus. Weil wir eben
nicht die Unterstützung der vorgesetzten
Dienststelle hatten. (…) Wir haben die
Gauckbehörde durchsucht und wurden
nachher gnadenlos zurückgepfiffen, und damit war unsere Autorität als Ermittlungsbehörde von vornherein dahin und außerdem kriegte ich Sprechverbot zu wesentlichen Dingen. Ich durfte mich nur noch in
platten Wortformeln öffentlich äußern,
weil man schon Bedenken hatte, dass ich
das sagen könnte, was ich damals meinte
und heute auch meine, dass deutlich mehr
für Mord spricht als für Selbstmord. Das
habe ich dann auch im Jahr 1994, im Frühjahr, so öffentlich gesagt. Das hat für viel
Aufregung gesorgt, das sollte sich ja nun
nicht mehr wiederholen, das wurde mir
untersagt.
HLS: Bei den Ermittlungen der Schweizer
Behörden soll es empfindliche Pannen gegeben haben, möglicherweise dann auch in
der Abstimmung mit den deutschen Behörden. Konnte man für grenzübergreifende Fälle mit Verdacht auf Kapitalverbrechen daraus für die Zukunft lernen, d.
h., das Problem war ja auch die Zuständigkeit, das Problem ist aber mutmaßlich
weiter greifend, wenn es ähnliche Fälle gibt,
kann man dann aus dem Fall Barschel und
wie es ermittlungsmäßig in Deutschland gelaufen ist, lernen, um eine bessere Koordination der Ermittlungsbehörden länderübergreifend zu ermöglichen?
Wille: Das war nicht das Problem seinerzeit.
Also, wenn man seine Arbeit gemacht
hätte, hätte es auch gut funktioniert. Es ist
hier von vornherein auf die falsche Schiene gekommen. Es ist auf die Schiene
Selbstmord gekommen, im Bereich der Ermittler, und so hat man dann eben auch die
Sache behandelt. Das heißt nicht mit der
Akribie, der Sorgfalt und vor allem dem
Nachdruck und der breiten Fächerung der
Ermittlungen, wie das bei einem Mordfall
gemacht wird. (…) Die Schwierigkeit war
eben dieses kollektive Vorurteil, diese kollektive Fixierung – wie ein massenpsychologisches Phänomen – auf Suizid.
Der juristische Hintergrund
Die Staatsanwaltschaft ist eine Verwaltungsbehörde und als solche weisungsgebunden. Ein Staatsanwalt handelt im Auftrag oder in Vertretung des Behördenleiters. Die Leitung und Dienstaufsicht steht dem Bundesjustizminister
gegenüber der Bundesanwaltschaft
beim Bundesgerichtshof zu, den Landesjustizministern hinsichtlich der Staatsanwaltschaft ihres Landes, den Generalstaatsanwälten hinsichtlich der Staatsanwaltschaften ihres Bezirks. Staatsanwälte sind grundsätzlich an Weisungen
ihrer Vorgesetzten gebunden. Der Fall
Barschel hatte hochbrisante politische
Auswirkungen bis hin zur Frage, welche
der großen Parteien über den Bundesrat und die Ländervertretungen maßgeblichen Einfluss auf Mehrheitsverhältnisse im politischen Willensbildungsprozess ausüben.
Das 2005/06 renovierte Holstentor, Wahrzeichen Lübecks, u. a. auf den von 1960 bis 1991
produzierten 50-DM-Scheinen zu sehen, Symbol für Eintracht und Friede (Concordia domi
foris pax, Aufschift Feldseite).
HLS: Aus Ihrer Sicht, Herr Wille, welche
Lehren sind zu ziehen aus diesem hochbrisanten, sowohl öffentlich-rechtlichen,
medienpolitisch, politisch und bis in die
Ebenen auch der Rechtsverfolgungsbehören und Ermittlungsbehörden hinein
hochbrisanten Fall? Welche Lehren sind
daraus zu ziehen, auch für die Zukunft?
Wille: Intern meine ich, wir müssen die
rechtlichen Voraussetzungen verbessern,
um das Legalitätsprinzip umzusetzen, um
ihm wirklich zur Geltung zu verhelfen.
„wir müssen die rechtlichen
Voraussetzungen verbessern“
Das Grundproblem im Lande war ja,
dass es unterschiedliche Auffassung zwischen mir und dem Generalstaatsanwalt
gab, wie weit das Legalitätsprinzip ging, dass
es mündliche Weisungen gab, dass es Hinweise gab, schriftliche Weisungen. Man
müsste also gesetzlich vorsehen, dass nur
Über den Fall Barschel sind
viele hochrangige Politiker
und Personen zu Fall gekommen. Es war nicht allein der
Fall Barschels, sondern der
tödliche Ernst der für Außenseiter schier unentwirrbaren
Kontakte und Konzepte im
damaligen Ost-West-Konflikt,
an dem sich auch der bayerische
Ministerpräsident
Strauß verschluckt hatte, weil
er einesteils gegen das SEDRegime wetterte, andernteils diesem mit einem Milliardenkredit die Existenz verlängerte.
Rezension siehe rechts.
Mueller, Michael/Müller, Leo/Lambrecht,
Rudolf/Müller, Peter F.: Der Fall Barschel. Ein
tödliches Doppelspiel. Propyläen-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-549-07325-4, € 19,90.
HLS: Es ist ja auch, kann ich mir vorstellen, in einem solchen Fall seitens der Familie ein dringendes Bedürfnis nach Wahrheitssuche?
Wille: Ja, davon gehe ich aus. Von mir aus
gesehen ist sie nun wirklich leidgeprüft genug und ich habe die Ermittlungen versucht
immer so zu führen, im Übrigen in der Art
und Weise, dass die Menschenwürde des
Verstorbenen gewahrt ist. Ich denke, da
müssen wir auch Sachwalter dessen sein, die
fortwirkende Menschenwürde eines Toten,
eines Ermordeten, auch wenn es kein Ermordeter wäre, haben wir zu achten, zu respektieren und wenn denn mein Buch
doch, wie ich hoffe, publiziert werden sollte, werde ich sicherlich alles unternehmen, dass dieses Foto in der Badewanne
dort nicht einmal mehr erscheint. Ein illegal aufgenommenes Foto, das würde nun
wirklich nicht reinpassen in ein Buch eines
Leitenden Oberstaatsanwalts.
HLS: Wir danken für dieses Interview.
Das Interview führte HLS-Chefredakteur
Dr. Kurt F. Schobert; es wurde hier
in gekürzter Fassung abgedruckt.
Der gefallene Kronprinz
Ihm wurde nachgesagt, dass er sogar das Zeug gehabt hätte zum Bundeskanzler.
Sein Widerpart im „Spiel“ der Macht, Björn Engholm, war SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat. Beide sind gefallen. Tief. Ein Fall im freien Flug ging der Affäre voraus:
Flugzeugabsturz am 31. Mai 1987. Der damalige Ministerpräsident Dr. Dr. Uwe Barschel hatte schwer verletzt überlebt. So begann
das Ende des Höhenflugs einer Politiker-Karriere, die
ihresgleichen sucht.
„Der Fall Barschel“ wird
umsichtig in dem kompakten
Band von Michael Mueller,
Leo Müller, Rudolf Lambrecht und Peter F. Müller
aufgearbeitet. Die Autoren
lassen keinen Zweifel: Sehr
viel spricht für MORD. Im
Epilog heißt es: „Eins war klar: GeUntersuchungen sollen
heimnisträger Barschel war ein Risiko“. Er
ergeben haben, dass kein
habe, heißt es, unter nachrichtendienstlicher BeAnschlag hinter der in Lüobachtung gestanden. Viel spricht dafür: von mehbeck am 31.5.1987 abgereren Seiten. Denn Barschel war nicht nur Ministürzten Maschine stand.
Barschel überlebte schwer
sterpräsident. Er war Familienvater, anderen Frauverletzt, noch im selben
en nicht abhold, mit einer von Bismarck verheiratet.
Jahr starb er in Genf – ohne
Er war Wissenschaftler, guter Jurist, Notar; auch hier
„technisches Versagen“.
stand ihm die Welt offen. Vor allem war er ein auch
inoffizieller Pendler zwischen Ost und West. Erstaunlich häufig, wie das Buch dokumentiert, wechselte er nach „drüben“, jenseits der Mauer. Auf Freya- oder Freiers-Füßen? In tödlicher Mission zu Rüstungsgeschäften?
„Am Ende waren sich die Lübecker Ermittler sicher, dass die Täter aus einer geheimdienstlichen oder militärischen Organisation kommen mussten, die über den
erforderlichen logistischen Apparat verfügte und zu deren Praxis der Einsatz von Killer-Kommandos gehörte.“ (S. 374) Ein Stoff für Krimis allemal. „Die Lübecker Ermittler
hatten keine echte Chance.“ So der letzte Satz der Autoren. Desinformationen auch
durch die damalige DGHS?
Kurt F. Schobert
Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008
11
Bild: Ausriss Foto, Archiv
Bild: Schobert
schriftliche Weisungen in solchen Fällen zulässig sind, formalisieren, und man müsste
dagegen einen Rechtsweg eröffnen, dass
wir, als untere Behörde beim Oberlandesgericht in diesem Falle, das wäre die adäquate Stelle, Anträge stellen können, unsere Ermittlungen dann gleichwohl durchzuführen.