Tarnte die DGHS einen Mord? - Deutsche Gesellschaft für Humanes
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Tarnte die DGHS einen Mord? - Deutsche Gesellschaft für Humanes
AFFÄREN Tarnte die DGHS einen Mord? Hinweise zum Tod des früheren Ministerpräsidenten auffällig einseitig D schoben, überdeckt werden? So, wie damals im Gieren nach Macht in einem Bundesland mit wichtiger Rüstungsindustrie so manches verdeckt, gemauschelt, verschleiert wurde? Kaum sind in einer Affäre so viele Köpfe gerollt: Der von Gert Börnsen, Fraktionsvorsitzendem der SPD-Fraktion im Kieler Landtag, der von Björn Engholm, Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der SPD, der von Ursula Gräfin Brockdorff, Sozialministerin im Barschel Kabinett; der von Norbert Gansel, von Günther Jansen, von Klaus Klingner, dem schleswig-holsteinischen Justizminister; der von Klaus Nilius, Stefan Pelny, Reiner Pfeiffer, Heribert Ostendorf und Carl-Hermann Schleifer, der als Finanzstaatssekretär unter Barschel 1988 in den Ruhestand versetzt wurde. Wenn wir hier den Fall Barschel zur Sprache bringen, so auch, um ein faules Stück DGHS-Geschichte aufzudecken, das Widersprüche erkennbar macht. Das Interview bringt es an den Tag: So oder so wurde gelogen, „schamlos gelogen“ – so der Leitende Oberstaatsanwalt Wille. Ausriss vom bekannten Bild des toten Ministerpräsidenten in der Badewanne, noch mit Krawatte, erwiesenermaßen jedoch nicht Tod durch Ertrinken, wie er in der damaligen Suizid-Broschüre der DGHS und in einer konstruiert wirkenden Presseerklärung damals angedacht war. Die „Moderne“ hat es sich angewöhnt, Bilder von Toten nicht nur zu zeigen, sondern wie früher den Schaulustigen bei Hinrichtungen am Marktplatz der Sensationsgier zu offerieren. Mumien und frühere Herrscher, die ihre Totenruhe in Pyramiden suchten, werden in Museen fremder Länder verfrachtet – ohne dass dies als Störung der Totenruhe geahndet wird. Der Hinweis auf Wissenschaft oder Aufklärung wird als Rechtfertigung genannt. Was ist ethisch gerechtfertigt? Was sinnvoll? – Wie weit dürfen Medien gehen? Bild: Ausriss Foto, Archiv ie damaligen Presse-Infos der DGHS wirken abstrus, konstruiert, suiziddfixiert und -versessen: Der Tod des damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Dr. Dr. Uwe Barschel, wird vor 20 Jahren durch Presseerklärungen des damaligen DGHS-Präsidenten und -Geschäftsführers H. H. A. zur Selbsttötung stilisiert. Angeblicher Ansatzpunkt war die damalige Freitodbroschüre der DGHS „Menschenwürdiges und selbstverantwortliches Sterben“. Darin beschrieben war die Möglichkeit zum Suizid durch Ertrinken in der Badewanne mittels Schlafmittel und Mitteln zur Erschlaffung der Muskeln, die dazu führen sollten, dass die Person nach Eintritt der Bewusstlosigkeit in das Badewasser rutscht und dort friedlich ertrinkt. Friedlich? Ertrinken? – Das folgende, gerade nach gut zwanzig Jahren dennoch sehr aktuelle Interview mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt in Lübeck, Heinrich Wille, deutet nicht auf Selbst-Tötung hin, sondern auf einen Tod durch Fremdeinwirkung, auf ein Kapitalverbrechen, auf Mord. Hier mag das Wort vom „SelbstMord“ einen Sinn machen: Heimtücke, Hinterlist, niedrige Beweggründe gegen das Selbst eines Menschen? Selbst-Entäußerter Tod? Mord? Dass sich eine Gesellschaft wie die DGHS, die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN, so intensiv damals in mehreren Presseerklärungen für die SuizidThese einsetzte: War es Geschäftssinn? Effekthascherei? Profilierungssucht? Die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen? – Sollte gar die Überlegung fremdverschuldeten Tötens beiseite ge- „Schamlos gelogen“ – Anatomie eines Falles INTERVIEW ZUM „FALL BARSCHEL“ MIT DEM HLS: Herr Wille, gestern wurde erneut in 3-sat zur besten Sendezeit der Film „Der Tod des Uwe Barschel. Skandal ohne Ende“ gezeigt. Sie kennen diesen Film sicherlich, zumal Sie auch darin zu Wort kommen. Ihr Eindruck? Wille: Es gibt vier Filme darüber. Dieser ist am häufigsten gesendet, am weitesten ver- 6 Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 LEITENDEN OBERSTAATSANWALT HEINRICH WILLE, LÜBECK (12.2.2008) breitet und nach meinem Dafürhalten der schlechteste, weil er sich einerseits in der Sache um eine klare Stellungnahme herumdrückt, andererseits aber auch nicht so offen ist, wie er tut. Er schildert angeblich drei Versionen. Das ist ein Taschenspielertrick. Es gibt natürlich nur zwei. Es gibt nur die Frage: Mord oder Selbstmord? Sterbehilfe ist keine „dritte Version“, sie beschreibt nur die Art und Weise des Suizids. (…) Das zweite sind die Modalitäten des Interviews mit Ihrem frü- „Das ist ein Taschenspielertrick“ heren Vorsitzenden, Herrn Atrott. Dort hat man, ich sage es, in Kenntnis dessen, dass Bild: Ausriss Foto, Archiv es ein schwerwiegender Vorwurf ist, dort hat man manipuliert. Herr Atrott hat bereits im Jahr 1987, kurz nach dem Tode Uwe Barschels, nach dem Mord an Uwe Barschel, wie ich meine, Fragen der Staatsanwaltschaft Lübeck schriftlich beantwortet. Anlass dafür war ein Telefonat von Herrn Pfeiffer, Reiner Pfeiffer, jenem ausführenden Organ, das sich dann vielleicht verselbstständigt hat in der Barschel-Pfeiffer-Affäre, wie man jetzt sicherlich korrekt sagt. Herr Pfeiffer hatte nämlich im August des Jahres 1987 bei der DGHS angerufen. Dieses Telefonat war dokumentiert in der Aufzeichnungsanlage des Innenministeriums, das wusste man. Also hat die Staatsanwaltschaft Lübeck bei der DGHS schrift- Barschels fragliches „Ehrenwort“ bei der Pressekonferenz am 18.9.1987. lich angefragt, was es damit auf sich hätte. Und bereits im Oktober desselben Jahres, also im Monat des Todes von Uwe Barschel, hatte Herr Atrott schriftlich auf zwei Seiten geantwortet. Er hat im Kern geschrieben: Niemand könnte sich an dieses Telefonat erinnern. Er habe recherchiert, er habe mit Mitarbeitern gesprochen, man könne sich nicht daran erinnern und das würde sehr dafür sprechen, dass es kein Telefonat von besonderer Bedeutung gewesen wäre. Soweit die Fakten aus den Akten. Nun hat der Norddeutsche Rundfunk, der für die ARD diesen Film gemacht hat, durch seine Autoren bei mir in Vorbereitung des Filmes nachfragen lassen, was es denn mit diesem Telefonat von dem Apparat von Herrn Pfeiffer aus auf sich hätte und ich habe in meinem Antwortschreiben dieses Schreiben von Herrn Atrott wörtlich zitiert, dass sich eben niemand erinnern könnte an irgend etwas. Vor allem, und das wurde dann auch klargestellt, seien weder Barschel noch Pfeiffer Mitglied der DGHS. Dieses Schreiben liegt im Originaltext dem NDR, den Herren Kirsch und Baap, vor. Gleichwohl hat man dieses Interview so in den Film gestellt, wie es gestern zum fünften oder sechsten Mal dem deutschen Fernsehpublikum präsentiert wurde und ich habe das mitschreiben lassen. Das flüchtige Wort und Bild geht vorüber, aber schwarz auf weiß ist es dann doch etwas anders. Der Moderator – und das ist ja der, der die Aussagen trifft für die Fernsehleute, hiermit für den NDR, für die ARD – der Moderator in diesem angeblichen Dokumentarfilm spricht von dem Anruf, der Anruf gilt der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Augs- Bild: Schobert Bilder: Schobert Der Leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille in Lübeck, rechts die Staatsanwaltschaft. burg, und jetzt kommt es: „ihr damaliger Chef, Hans-Henning Atrott, nimmt das Telefonat entgegen.“ Und dann berichtet Herr Atrott: „Ich werde da verbunden, da sei ein Herr Pfeiffer dran und so weiter, es wird über Zyankali geredet“, dann fragt der Moderator: „War das Herr Pfeiffer?“ Herr Atrott druckst ein bisschen rum und meint, es wäre wohl Herr Barschel gewesen. Und nun, der Moderator, scheinobjektiv, sage ich mal, sagt: „Atrott muss sich irren“, sehr zurückhaltend. Aber Sie haben es gemerkt, es kann nicht Barschel gewesen sein, weil er an diesem Tag gar nicht im Landeshaus war. Also, es ist eindeutig und diese Darstellung, deswegen sage ich scheinobjektiv, spart natürlich den Kern aus. Es wird unterstellt, dass diese Möglichkeit bestanden hätte. Der Teufel als Sinnbild und Symbol des Bösen, Hinterhältigen, Schamlosen. Hier die berühmte Teufelfigur bei der Marienkirche in Lübeck. Wissen Sie, Herr Barschel, wie jeder andere Chef, aber gerade ein Ministerpräsident und erst recht Herr Barschel, hätte den Teufel getan, nun ausgerechnet von dem Telefon seines untergeordneten Referenten Pfeiffer die DGHS anzurufen, das ist so weit von der Realität entfernt, dass das Unterlassen dieses Hinweises für das unkundige Fernsehpublikum natürlich diese Möglichkeit sehr ins Zentrum rückt. Also, an Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 7 AFFÄREN Bild: Schobert Dr. Dr. Uwe Barschel wurde vor gut 20 Jahren im Genfer Hotel Beau Rivage tot aufgefunden. Der Fall erregte weltweit Aufsehen, u. a. durch das Foto des toten CDU-Politikers in der Badewanne. Hat Sie der Fall auch persönlich betroffen gemacht? Der Löwe gilt als Sinnbild von Heldenmut und Tapferkeit. Dieser schlafende Löwe vor dem Holstentor könnte auf ein Ruhen dieser Tugenden hinweisen. Was wurde im Fall Barschel verschlafen? Welche Tugenden nicht geweckt? Barschel kam man überhaupt nicht ran, er war abgeschirmt. Sein Staatssekretär Hebbeln hat das wirklich grandios geschafft. Er ging immer voran und der Rest, der trottet so einen Schritt dahinter und er hat diese Distanz zelebriert in einem Maße, dass also dieser Hinweis schon völlig schief liegt. Nun, es wird also unterstellt, Herr Atrott nehme das Telefonat entgegen und so wird weiterhin getan, es wird also die Tatsache, dass entweder Herr Atrott in diesem Interview schamlos lügt oder dass er, und ich sage auch im Jahre 1987, im Monat des Todes von Uwe Barschel, schriftlich schamlos gelogen hat. HLS: Herr Wille, Sie haben sich jahrelang in einen der aufregendsten Politskandale mit strafrechtlich denkbarer Relevanz hineingekniet, in diesen Fall Barschel, der im doppelten Sinn des Wortes ein Fall war, denn Barschel ist politisch mit diesem Fall auch gefallen bzw. fallengelassen worden. Der frühere holsteinische Ministerpräsident „dass entweder Herr Atrott in diesem Interview schamlos lügt oder dass er (…) schamlos gelogen hat.“ 8 Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 Wille: Also, das Geschehen, wie es damals war, zur Tatzeit, hat mich weitgehend kalt gelassen. (…) Als ich Behördenleiter war, und so ganz allmählich diese Geschichte in die Realität zurückkam, zunächst einmal dadurch, dass Stasi-Akten der Bespitzelung Uwe Barschels, auch der Telefonüberwachung, bekannt wurden, das war im Jahre 1993, haben wir erst Überprüfungen hier begonnen. (…) Wir haben alte Hinweise in neuem Lichte gesehen. Es kamen dann vom Bundesnachrichtendienst eine ganze Menge zusätzlicher Informationen, wir wurden regelrecht angefüttert, sage ich mal. Das führte dann dazu, dass wir beim Bundesgerichtshof einen Antrag auf Zuständigkeit gestellt haben, weil wir ja keinen Tatort in Deutschland hatten und insofern der Anknüpfungspunkt des letzten Wohnsitzes in unserem Bezirk hier eine mögliche Zuständigkeit begründet hatte. Also, ab da hat es mich natürlich sehr stark geprägt, ich hatte eine hochqualifizierte Ermittlungsgruppe, klein, aber beste Kriminalisten und ein Staatsanwalt, heute Oberstaatsanwalt, später noch einen zweiten und dritten Staatsanwalt zu Teilen, die hier engagiert mitarbeiteten. Und ich denke mal, man hätte eine gewisse, wenn auch geringe Chance gehabt, das aufzuklären, wenn man die ungeteilte Unterstützung der vorgesetzten Dienststellen gehabt hätte, was dann sehr bald sich eben nicht mehr realisierte. HLS: Im Kern geht es ja, und Sie haben es bereits angeschnitten, um die Frage, war es Suizid, gegebenenfalls Beihilfe zum Suizid, in Deutschland und in der Schweiz grundsätzlich nicht strafbewährt oder war es Mord? Ihre Einschätzung? Wille: Zunächst will ich sagen, dass ich an die Sache offen herangegangen bin. Ich hatte also kein Vorverständnis. Ich war insbesondere nicht in irgendeiner Weise beeinflusst oder geprägt durch die Mehrheitsmeinung der Medien, durch die öffentliche Meinung, die ja in einer Art massenhysterischem Phänomen hier auf die Selbstmordthese aufgesprungen war. (…) Es ist auch darauf hinzuweisen, dass wir als Ermittler Suizid damals uninteressant fanden. Suizid, also alles das, was in dem Zusammenhang strafrechtlich relevant sein könnte, wie Tötung auf Verlangen usw., war ja längst verjährt, war uninteressant. Suizid wäre ein Argument gewesen, wenn er denn sicher gewesen wäre, das uns dazu gebracht hätte, gar nicht anzufangen zu ermitteln. (…) Krawatte oben und möglicherweise das Hemd sogar geschlossen bleibt. Ob das Hemd geschlossen war, wurde seinerzeit bei Uwe Barschel nicht gesondert festgestellt. Wenn aber der erste Hemdknopf von oben geöffnet war, wäre es noch schwieriger gewesen, wenn er aber geschlossen war, warum sollte man sich gerade den zweiten von oben abreißen? Wenn Barschel in einer letzten Verzweiflung vor dem Tode ein Engegefühl gehabt hätte und den zweiten Knopf abgerissen hätte, dann wäre das so gar nicht möglich gewesen. Er muss mit einer gewissen Kraft abgerissen worden sein. Das hat man auf den Fotos gesehen und der NDR hat sie auch gezeigt. Es war ein Ausriss von oben nach unten festzustellen, also nicht etwa seitlich gerissen, son- HLS: Er wurde aber aus dem nächsten Freundes- und Bekanntenkreis als ein sehr hartnäckiger Kämpfer dargestellt. Das würde ja auch dieser Suizidmotivation widersprechen? Wille: Das ist eins der Argumente. (…) Man muss seine Persönlichkeit qualifiziert beurteilen, von dem, was man weiß und da ist natürlich ein Punkt, was Sie sagen in der Frage: „Er war ein harter Hund“, er war eine Kämpfernatur. (…) Er hatte Alternativen beruflicher Art, wissenschaftliche. Ob er nun mit diesen ganzen Aktivitäten noch hätte Notar bleiben können, weiß ich nicht. Als Rechtsanwalt hätte er wahrscheinlich bald wieder praktizieren können, als angestellter Rechtsanwalt allemal in einer größeren Kanzlei mitarbeiten können. Nein, aber er war wissenschaftlich qualifiziert, er war doppelt promoviert, juristisch, philosophisch, er hatte auch publiziert. (…) Oder er hätte in der Wirtschaft sein können. HLS: Es kommen noch andere Details hinzu, die aber das Mosaik ergänzen. „er ist nicht ertrunken. Was im Übrigen auch gegen Sterbehilfe spricht“ HLS: Sie halten heute am 12. Februar 2008 auf der DGHS-Veranstaltung in Lübeck zum Fall Barschel einen Vortrag. Lassen sich für HLS-Leser, die nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen können, Ihre Erkenntnisse in kurzen Worten zusammenfassen? dern von oben nach unten. Für einen Krawattenträger ist die Vorstellung, die Krawatte hochzuheben und dann den zweiten Knopf von oben abzureißen, völlig absurd. Der Rechtsanwalt Dr. Warburg hat bei Spiegel-TV gesagt: „Das war die Faust des Mörders.“ Wille: Es gibt keine Spuren von Wasser in der Lunge, er ist nicht ertrunken. Was im Übrigen auch gegen Sterbehilfe spricht, denn gerade da wird ja dargestellt, dass das Hineinrutschen in das Wasser eben in Kombination mit Tabletten den sicheren Tod beinhaltet. HLS: Hinzu kommt ja noch das Hämatom am Kopf, an der Stirnseite. HLS: Diese Kombinations-Methode mit suizidtauglichen Medikamenten in Überdosis und Badewanne hat ja in der damaligen Beschreibung der DGHS [= Broschüre „Menschenwürdiges und selbstverantwortliches Sterben“, vergriffen; d. Red.] auch den Hinweis gebracht, dass man im angezogenen Zustand leichter festklebt – Klebeeffekt in der Badewanne – und dann eben nicht reinrutscht. Barschel war angezogen. Wille: Das ist das zweite. Dieses Hämatom Wille: Ja, also, die Interpretation, auch die Versuche von Herrn Atrott, das stimmig zu machen, sind ja hilflose Versuche, die eigentlich scheitern müssen und Bild: Ermittlungsbehörden Wille: Ich würde empfehlen, dass Sie in der Zeitung die Tatortskizze publizieren. Das macht es übersichtlicher. Wenn Sie sich diese offizielle Skizze der Schweizer Polizei ansehen, dann werden Sie sehen, an einer Stelle ist ein Knopf, le bouton. Mit diesem Knopf begann im Übrigen auch die publizistische Aufarbeitung des Falles. Report München befasste sich als erster damit und das ist auch ein gutes Beispiel dafür, mit welcher Blindheit man damals gesegnet gewesen sein muss. Jeder Krawattenträger kann es nachvollziehen, wie man den zweiten Hemdknopf von oben als Selbstmörder, der Barschel ja angeblich sein sollte, abreißen kann und zwar so abreißen, dass die ist prämortal entstanden [= vor dem Tod; d. Red.]. (…) Also, dieses Hämatom, woher? Die Schweizer Rechtsmediziner haben gesagt, er mag ja auf dem Badewannenrand aufgeschlagen sein, in einer Zuckung, einer Jaktation [= unwillkürliches Gliederzucken; d. Red.]. Nun hatte er gerade Medikamente genommen, die das ja verhindern sollten und insofern, wenn es dann wirklich so gewesen wäre, der Lübecker Rechtsmediziner hält das für absurd. Er meint, das wäre nicht vorstellbar gewesen und ich denke, es ist auch so. Also beides Indizien für gewaltsames Vorgehen von dritter Hand. Skizze der Ermittlungsbehörden zum Todes-Hotelzimmer. Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 9 AFFÄREN das hätte eigentlich auch Herr Atrott begreifen müssen, das ist so weit von dem entfernt, was dort empfohlen wird. Auch die Schweizer Rechtsmediziner haben sich ja letztlich selbst widersprochen. Sie waren versucht, durch ihre Erfahrung, dass Selbstmorde in der Badewanne passieren, dieses da so einzusortieren. Und sagten aber selbst, ja, diese Medikamente gibt es in der Schweiz schon seit langen Jahren nicht mehr. Damit haben sie indirekt gesagt, ein Schweizer Sterbehelfer kann das nicht gewesen sein. Denn ein ordentlicher Schweizer Sterbehelfer wird sicher keine abgelaufenen Medikamente nehmen oder sie aus dem Ausland holen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Uwe Barschel es selbst da hingeworfen hat, tendiert gegen Null. Es ist kaum vorstellbar, dass er aus der Badewanne vielleicht noch mal herausgegangen ist, das Handtuch rausgenommen und sich wieder reingelegt hätte oder überhaupt aus dem Badezimmer, wo es ja war und wo es auch verschmutzt wurde, hinausgebracht hat. (…) Dieses Szenario spricht dagegen, dass er allein gewesen ist und dieses Szenario spricht auch gegen Sterbehilfe. Warum sollte ein Sterbehelfer hier versuchen, mit dem Handtuch irgendwelche Verschmutzungen zu beseitigen? Das würde für mich auch keinen Sinn machen. (…) Ich meine, dieses Spurenbild reicht aus um zu sagen, allein von daher ist ein Selbstmord höchst unwahrscheinlich. Ich meine, aus meiner Sicht ist dies doch wohl auszuschließen. Bild: Archiv HLS: Ob Mord oder Suizid: Wenn ein Ministerpräsident eines wichtigen Bundeslandes in Deutschland auf unnatürliche Art und Weise zu Tode kommt, belasten solche Umstände auch die politische Landschaft. Langjährige Untersuchungen mit Landtagsuntersuchungsausschüssen, staatsanwaltschaftlich umfänglichen Ermittlungen und immer wieder rege Begleitmusik der Medien bestätigen dies. Als Leitender Oberstaatsanwalt war und ist ein solch brisanter Fall für Sie sicherlich keine leichte Aufgabe. Belastet die öffentliche Aufmerksamkeit die Ermittlungen oder ist sie diesen tendenziell eher förderlich? Spiegel-Ausgabe vom 8.10.2007, nun mit der These vom Mord. „Spieglein, Spieglein in der Hand: Wahrheit? Lügen-Mix im Land?“ HLS: Zurück zum Szenario. (…) Wille: Da ist dieses Spurenbild. Bemerkenswert: Der rechte Schuh ist verschnürt und steht draußen…. Der linke Schuh ist auf und steht zwar beeinträchtigt auf dem Badewannenvorleger, seinerseits bräunlich verschmutzt. Das weitere Merkwürdige ist ein Handtuch mit identischen Verschmutzungen, das sich in der Abseite vor der Ausgangstüre des Hotelzimmers befindet, innerhalb des Hotelzimmers. Dieses Szenario, das wir nicht abschließend aufklären können, sagt aber eines: Dieses Handtuch, von der Lage her, ist achtlos beim Hinausgehen hingeworfen worden. 10 Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 Wille: Ich hatte zunächst die Hoffnung, dass das öffentliche Interesse den Ermittlungen zugute kommen könnte, auch durch Aufrufe, Appelle und Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Das stellte sich bald als Fehleinschätzung heraus. Weil wir eben nicht die Unterstützung der vorgesetzten Dienststelle hatten. (…) Wir haben die Gauckbehörde durchsucht und wurden nachher gnadenlos zurückgepfiffen, und damit war unsere Autorität als Ermittlungsbehörde von vornherein dahin und außerdem kriegte ich Sprechverbot zu wesentlichen Dingen. Ich durfte mich nur noch in platten Wortformeln öffentlich äußern, weil man schon Bedenken hatte, dass ich das sagen könnte, was ich damals meinte und heute auch meine, dass deutlich mehr für Mord spricht als für Selbstmord. Das habe ich dann auch im Jahr 1994, im Frühjahr, so öffentlich gesagt. Das hat für viel Aufregung gesorgt, das sollte sich ja nun nicht mehr wiederholen, das wurde mir untersagt. HLS: Bei den Ermittlungen der Schweizer Behörden soll es empfindliche Pannen gegeben haben, möglicherweise dann auch in der Abstimmung mit den deutschen Behörden. Konnte man für grenzübergreifende Fälle mit Verdacht auf Kapitalverbrechen daraus für die Zukunft lernen, d. h., das Problem war ja auch die Zuständigkeit, das Problem ist aber mutmaßlich weiter greifend, wenn es ähnliche Fälle gibt, kann man dann aus dem Fall Barschel und wie es ermittlungsmäßig in Deutschland gelaufen ist, lernen, um eine bessere Koordination der Ermittlungsbehörden länderübergreifend zu ermöglichen? Wille: Das war nicht das Problem seinerzeit. Also, wenn man seine Arbeit gemacht hätte, hätte es auch gut funktioniert. Es ist hier von vornherein auf die falsche Schiene gekommen. Es ist auf die Schiene Selbstmord gekommen, im Bereich der Ermittler, und so hat man dann eben auch die Sache behandelt. Das heißt nicht mit der Akribie, der Sorgfalt und vor allem dem Nachdruck und der breiten Fächerung der Ermittlungen, wie das bei einem Mordfall gemacht wird. (…) Die Schwierigkeit war eben dieses kollektive Vorurteil, diese kollektive Fixierung – wie ein massenpsychologisches Phänomen – auf Suizid. Der juristische Hintergrund Die Staatsanwaltschaft ist eine Verwaltungsbehörde und als solche weisungsgebunden. Ein Staatsanwalt handelt im Auftrag oder in Vertretung des Behördenleiters. Die Leitung und Dienstaufsicht steht dem Bundesjustizminister gegenüber der Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof zu, den Landesjustizministern hinsichtlich der Staatsanwaltschaft ihres Landes, den Generalstaatsanwälten hinsichtlich der Staatsanwaltschaften ihres Bezirks. Staatsanwälte sind grundsätzlich an Weisungen ihrer Vorgesetzten gebunden. Der Fall Barschel hatte hochbrisante politische Auswirkungen bis hin zur Frage, welche der großen Parteien über den Bundesrat und die Ländervertretungen maßgeblichen Einfluss auf Mehrheitsverhältnisse im politischen Willensbildungsprozess ausüben. Das 2005/06 renovierte Holstentor, Wahrzeichen Lübecks, u. a. auf den von 1960 bis 1991 produzierten 50-DM-Scheinen zu sehen, Symbol für Eintracht und Friede (Concordia domi foris pax, Aufschift Feldseite). HLS: Aus Ihrer Sicht, Herr Wille, welche Lehren sind zu ziehen aus diesem hochbrisanten, sowohl öffentlich-rechtlichen, medienpolitisch, politisch und bis in die Ebenen auch der Rechtsverfolgungsbehören und Ermittlungsbehörden hinein hochbrisanten Fall? Welche Lehren sind daraus zu ziehen, auch für die Zukunft? Wille: Intern meine ich, wir müssen die rechtlichen Voraussetzungen verbessern, um das Legalitätsprinzip umzusetzen, um ihm wirklich zur Geltung zu verhelfen. „wir müssen die rechtlichen Voraussetzungen verbessern“ Das Grundproblem im Lande war ja, dass es unterschiedliche Auffassung zwischen mir und dem Generalstaatsanwalt gab, wie weit das Legalitätsprinzip ging, dass es mündliche Weisungen gab, dass es Hinweise gab, schriftliche Weisungen. Man müsste also gesetzlich vorsehen, dass nur Über den Fall Barschel sind viele hochrangige Politiker und Personen zu Fall gekommen. Es war nicht allein der Fall Barschels, sondern der tödliche Ernst der für Außenseiter schier unentwirrbaren Kontakte und Konzepte im damaligen Ost-West-Konflikt, an dem sich auch der bayerische Ministerpräsident Strauß verschluckt hatte, weil er einesteils gegen das SEDRegime wetterte, andernteils diesem mit einem Milliardenkredit die Existenz verlängerte. Rezension siehe rechts. Mueller, Michael/Müller, Leo/Lambrecht, Rudolf/Müller, Peter F.: Der Fall Barschel. Ein tödliches Doppelspiel. Propyläen-Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-549-07325-4, € 19,90. HLS: Es ist ja auch, kann ich mir vorstellen, in einem solchen Fall seitens der Familie ein dringendes Bedürfnis nach Wahrheitssuche? Wille: Ja, davon gehe ich aus. Von mir aus gesehen ist sie nun wirklich leidgeprüft genug und ich habe die Ermittlungen versucht immer so zu führen, im Übrigen in der Art und Weise, dass die Menschenwürde des Verstorbenen gewahrt ist. Ich denke, da müssen wir auch Sachwalter dessen sein, die fortwirkende Menschenwürde eines Toten, eines Ermordeten, auch wenn es kein Ermordeter wäre, haben wir zu achten, zu respektieren und wenn denn mein Buch doch, wie ich hoffe, publiziert werden sollte, werde ich sicherlich alles unternehmen, dass dieses Foto in der Badewanne dort nicht einmal mehr erscheint. Ein illegal aufgenommenes Foto, das würde nun wirklich nicht reinpassen in ein Buch eines Leitenden Oberstaatsanwalts. HLS: Wir danken für dieses Interview. Das Interview führte HLS-Chefredakteur Dr. Kurt F. Schobert; es wurde hier in gekürzter Fassung abgedruckt. Der gefallene Kronprinz Ihm wurde nachgesagt, dass er sogar das Zeug gehabt hätte zum Bundeskanzler. Sein Widerpart im „Spiel“ der Macht, Björn Engholm, war SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat. Beide sind gefallen. Tief. Ein Fall im freien Flug ging der Affäre voraus: Flugzeugabsturz am 31. Mai 1987. Der damalige Ministerpräsident Dr. Dr. Uwe Barschel hatte schwer verletzt überlebt. So begann das Ende des Höhenflugs einer Politiker-Karriere, die ihresgleichen sucht. „Der Fall Barschel“ wird umsichtig in dem kompakten Band von Michael Mueller, Leo Müller, Rudolf Lambrecht und Peter F. Müller aufgearbeitet. Die Autoren lassen keinen Zweifel: Sehr viel spricht für MORD. Im Epilog heißt es: „Eins war klar: GeUntersuchungen sollen heimnisträger Barschel war ein Risiko“. Er ergeben haben, dass kein habe, heißt es, unter nachrichtendienstlicher BeAnschlag hinter der in Lüobachtung gestanden. Viel spricht dafür: von mehbeck am 31.5.1987 abgereren Seiten. Denn Barschel war nicht nur Ministürzten Maschine stand. Barschel überlebte schwer sterpräsident. Er war Familienvater, anderen Frauverletzt, noch im selben en nicht abhold, mit einer von Bismarck verheiratet. Jahr starb er in Genf – ohne Er war Wissenschaftler, guter Jurist, Notar; auch hier „technisches Versagen“. stand ihm die Welt offen. Vor allem war er ein auch inoffizieller Pendler zwischen Ost und West. Erstaunlich häufig, wie das Buch dokumentiert, wechselte er nach „drüben“, jenseits der Mauer. Auf Freya- oder Freiers-Füßen? In tödlicher Mission zu Rüstungsgeschäften? „Am Ende waren sich die Lübecker Ermittler sicher, dass die Täter aus einer geheimdienstlichen oder militärischen Organisation kommen mussten, die über den erforderlichen logistischen Apparat verfügte und zu deren Praxis der Einsatz von Killer-Kommandos gehörte.“ (S. 374) Ein Stoff für Krimis allemal. „Die Lübecker Ermittler hatten keine echte Chance.“ So der letzte Satz der Autoren. Desinformationen auch durch die damalige DGHS? Kurt F. Schobert Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2008 11 Bild: Ausriss Foto, Archiv Bild: Schobert schriftliche Weisungen in solchen Fällen zulässig sind, formalisieren, und man müsste dagegen einen Rechtsweg eröffnen, dass wir, als untere Behörde beim Oberlandesgericht in diesem Falle, das wäre die adäquate Stelle, Anträge stellen können, unsere Ermittlungen dann gleichwohl durchzuführen.